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Kulturell geprägte Wirtschaftsdynamik und politischer Wandel in China | APuZ 51/1993 | bpb.de

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APuZ 51/1993 Kulturell geprägte Wirtschaftsdynamik und politischer Wandel in China Politik und Ökonomie in der innerchinesischen Debatte über die Zukunft der VR China Sozialer Wandel in der Volksrepublik China Hongkong vor dem 1. Juli 1997. Leben und Überleben auf geborgte Zeit

Kulturell geprägte Wirtschaftsdynamik und politischer Wandel in China

Carsten Herrmann-Pillath

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Mit der raschen wirtschaftlichen Integration von Hongkong, Taiwan und der Volksrepublik China wird es zunehmend erforderlich, unter „China“ einen politisch komplexen Kulturraum zu begreifen, der weit über die Grenzen der Volksrepublik hinausgreift. Chinas Öffnung nach Westen in der Ära Deng Xiaoping war tatsächlich eine Öffnung nach dem „chinesischen Westen“. Diese geht gleichzeitig einher mit der zunehmenden Regionalisierung des festländischen Großraumes. Grundlage dieses Phänomens ist die chinesische Kultur. Bei der Analyse der Vorgänge sollte auf ein eigenständiges theoretisches Konzept zurückgegriffen werden, nämlich das „Netzwerk“ als drittes Transaktionsregime neben Markt und Hierarchie. Empirisch läßt sich in vielen Bereichen zeigen, in welcher Weise personalisierte Netzwerke zwischen Individuen den wirtschaftlichen und politischen Wandel prägen. So wird die äußerst rasche wirtschaftliche Integration zwischen Taiwan und der VR China nur dadurch ermöglicht, daß taiwanesische Kaufleute eine Fülle informeller Organisationen schaffen, die dann den eigentlichen institutionellen Rahmen für den Wirtschaftsverkehr bieten. In ähnlicher Weise ist auch einer der wichtigsten Träger der wirtschaftlichen Dynamik auf dem Festland, die ländliche Industrie, organisatorisch unter anderem auf informelle Verwandtschaftsstrukturen gestützt. Angesichts solcher Erscheinungen leitet ein China-Bild systematisch irre, das sich an den formalen politischen und wirtschaftlichen Institutionen oder an der offiziellen Politik chinesischer Regierungen orientiert. Gefordert ist ein kulturspezifischer Zugang zu China.

I. Kein Staat, sondern ein politisch komplexer Kulturraum: China und seine Wirtschaft

Wer die Zahlen zum Außenhandel und Kapitalverkehr der Volksrepublik China studiert, wird rasch feststellen, daß Chinas Politik seit 1978 im wesentlichen auf eine Öffnung gegenüber den wirtschaftlichen Aktivitäten der Chinesen außerhalb der politischen Grenzen des Landes zielte -unter anderem deshalb, weil die Führung der KP Chinas die Außenwirtschaftspolitik immer als Bestandteil einer langfristigen Strategie der nationalen Wiedervereinigung betrachtete Die Integration der grenzüberschreitenden chinesischen Wirtschaft beschleunigt sich mit der De-facto-Annäherung zwischen Taibei und Beijing rasant. Zwischen den ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen Hongkongs und Südchinas findet eine Verschmelzung statt, die einerseits die britische Kronkolonie bereits in die Volksrepublik einverleibt, andererseits aber den Einfluß Hongkongs und seiner wirtschaftlichen Eliten tagtäglich wachsen läßt Obgleich in diesem „Greater China“ -eng verstanden als das Dreieck Volksrepublik China-Taiwan-Hongkong -kein formales Abkommen zur Handelsliberalisierung existiert, wies und weist keine formal etablierte Freihandelszone oder kein Gemeinsamer Markt in der Weltwirtschaft ein vergleichbar hohes Wachstum des intraregionalen Handels auf

Dies sind nur einige Aspekte der Entstehung des Phänomens „Greater China“. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sind nach wie vor nicht ausreichend geistig darauf vorbereitet, ihm angemessen Rechnung zu tragen: Fast scheint es, daß die lange Jahrzehnte vorherrschende „Ein-China-Politik“ der meisten weltpolitischen Akteure auch die Brille der Beobachter getrübt hat So gibt es bei-spielsweise in der Zunft der Chinaforscher eine stillschweigende Arbeitsteilung zwischen „Taiwanesen“ und „Festländern“, d. h., wer sich mit dem Festland befaßt, verfolgt die Entwicklung in Taiwan als Nebenschauplatz und umgekehrt. Häufig überlagerte sich diese Arbeitsteilung auch mit politischen und weltanschaulichen Bindungen im eigenen Land. „China“ wird selbst von den meisten Chinakundlem implizit mit der „Volksrepublik China“ gleichgesetzt.

Eine solche Gleichsetzung muß heute als gravierendes Vor-und Fehlurteil betrachtet werden, das Folgen für sämtliche Facetten des westlichen Chinabildes hat. Gerade die wirtschaftliche Dynamik der Integration von ehemals „peripheren“ und „zentralen“ Regionen Chinas zeigt, daß wir unter „China“ den grenzüberschreitenden chinesischen Kulturraum begreifen müssen: Politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse in diesem Raum sind ein komplexes, dynamisches System aus seinen politisch und historisch mehr oder weniger zufällig abgegrenzten Komponenten. Zwar haben geschichtliche Veränderungen seit dem 19. Jahrhundert zur Entfaltung eigenständiger formaler Herrschaftsinstitutionen in Teilregionen der chinesischen Peripherie geführt, die nun auch den politischen Aspekt der chinesischen Integration prägen, doch realisierten sie sich innerhalb eines gemeinsamen kulturellen Substrates Diese zunächst abstrakt gekennzeichnete weltgeschichtliche Konstellation hat viele konkrete Konsequenzen.

So ist bei einer Analyse des gegenwärtigen und einer Prognose des zukünftigen politischen Wandels in China zu berücksichtigen, daß im „Grundgesetz“ für die zukünftige Sonderverwaltungszone Hongkong deren rechtliche Selbständigkeit verankert ist Hongkongs wirtschaftliche Entwicklung baute aber wesentlich auf der Tatsache auf, daß es als Kronkolonie Teil eines seinerseits kulturell geprägten Rechtsraumes war, nämlich des angelsächsischen Common Law. Die Rechtspraxis des Common Law realisierte sich im Medium der englischen Sprache, deren Verwendung für die chinesischen Eliten Hongkongs selbstverständlich werden mußte. Zukünftig soll das Common Law weiter herrschen -Sprache des Rechts muß nun aber auch das Chinesische sein. Es ist jetzt noch nicht absehbar, welche langfristigen Folgen sich daraus ergeben werden. Mit einiger Sicherheit läßt sich aber zweierlei sagen: Falls die Sinisierung des Common Law scheitert, ist auch die weitere wirtschaftliche Dynamik Hongkongs und damit Süd-chinas gefährdet -gegen ein solches Scheitern wirkt allerdings die Tatsache, daß Hongkongs chinesische Eliten in einem langen Prozeß kultureller Assimilation and Akkommodation selbst Träger dieser Tradition geworden sind Ähnlich bedeutungsvoll, aber ebenfalls kaum antizipierbar sind die Folgen des Tatbestandes, daß in Taiwan die erste demokratisch verfaßte chinesische Gesellschaft entstanden ist. Der Konflikt zwischen der Republik und der Volksrepublik China, der die Konstellation des Bürgerkrieges der zwanziger bis vierziger Jahre unseres Jahrhunderts fort-schrieb, war bis in die achtziger Jahre hinein vor allem ein Konflikt zwischen den regierenden Parteien. Heute ist er ein Konflikt zwischen alternativen Formen politischer Herrschaft, der in Taiwan zunehmend zur Ausbildung einer eigenständigen taiwanesischen Identität beiträgt Der politische Wandel in der Volksrepublik dürfte zukünftig wesentlich durch diesen historischen Tatbestand geprägt werden. Denn das taiwanesische Volk wird keiner politischen Gestaltung der chinesischen Einheit zustimmen, die es hinter das Erreichte zurückwirft und die Wahrung eigener Interessen gefährdet. Das bedeutet aber, daß selbst eine -zur Zeit wohl weit entfernte -umfassende Demokratisierung der Volksrepublik keine hinreichende Bedingung für die chinesische Wiedervereinigung wäre, solange nicht im Rahmen eines föderalistischen Systems die jahrtausendealte Herrschaftstra-dition des unitarischen Zentralstaates gebrochen würde Nur die Begrenzung der Macht des wie auch immer politisch legitimierten Zentralstaates könnte die berechtigten Interessen der taiwanesischen Bevölkerung schützen

Damit wird auch deutlich, daß der Wandel Chinas in der Gegenwart eng mit dem säkularen Prozeß der Regionalisierung der politischen Organisation des unitarischen Staates zusammenhängt. Dieser im 19. Jahrhundert angestoßene Prozeß war lange Zeit von militärischen Konflikten geprägt und schien durch die Errichtung des kommunistischen Herrschaftssystems nicht nur gebremst, sondern zurückgenommen Zu den bemerkenswertesten Erscheinungen der Ära Deng Xiaoping gehört jedoch, daß sich innerhalb der scheinbar rigiden Strukturen des Einparteiensystems eine komplexe, konsensuale Herrschaftsform ausbildet, in der die Gebietskörperschaften der verschiedenen Ebenen (Städte, Kreise, Provinzen, Zentralregierung) zunehmend verschiedene Interessenlagen innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches gegenüber den übergeordneten Instanzen repräsentieren. Damit findet erstmals eine friedliche Regionalisierung des Herrschaftssystems auf dem chinesischen Festland statt, die gerade durch die wachsende Bedeutung der früheren Peripherie abgestützt und stabilisiert wird

Bei diesen komplexen politischen Veränderungen ist die chinesische Kultur das Medium wirtschaftlicher Integration. Die wirtschaftliche Integration trägt aber stetig auch zum politischen Wandel bei, beispielsweise, indem der wachsende direkte und indirekte Einfluß von Auslandschinesen auch in den staatswirtschaftlichen Strukturen die De-facto-Privatisierungder Staatsunternehmen beschleunigt und damit ein tragendes Element soziopolitischer Dominanz im „Danwei-Sozialismus“ untergräbt, die sich auf die Verschmelzung von politischer Verteilung von Lebenschancen, informeller sozialer Kontrolle und der individuellen Lebenswelt in der „Arbeitseinheit“ („Danwei“) stützt

Allein diese wenigen Beobachtungen dürften ausreichend belegen, daß das bisherige westliche Chinabild einer gründlichen Revision bedarf und daß der Westen China vornehmlich als politisch komplexen und wirtschaftlich integrierten Kulturraum begreifen sollte. Daß diese Verschiebung von Perspektiven bislang nur zögernd geschieht, hat freilich auch methodische Gründe.

II. Ein methodologischer Exkurs: Welche theoretischen Konzepte eröffnen den Zugang zu China?

Westliche Augen sind daran gewöhnt, die gesellschaftliche Wirklichkeit gemäß der wahrnehmbaren formalen Institutionen -etwa schriftlich fixierten Statuten und Gesetzen -perzeptiv zu strukturieren. So betrachtet die Wirtschaftswissenschaft die wirtschaftliche Integration politisch selbständiger Regionen als eine mögliche Abfolge gesetzlicher und konstitutioneller Schritte, die zunehmend die institutionellen Barrieren gegen den freien Strom von Gütern, Kapital und Menschen zwischen diesen Gebieten abbauen; ist Integration ein Ziel der Wirtschaftspolitik, verlangt sie entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen. Die europäische Integration ist ein Musterfall für solche Prozesse und deren Wahrnehmung durch die Beteiligten. Entsprechend schwierig ist der Umgang mit der chinesischen Integration, bei der sich der wirtschaftliche Wandel zunehmend von formalen politischen Institutionen abkoppelt So zieht der politische Antagonismus zwischen der Republik und der Volksrepublik China eine Fülle formaler Handelshemmnisse nach sich, wie etwa die künstliche Erhöhung der Transportkosten durch das Verbot direkter Handelsbeziehungen; taiwanesische Investoren sind außerdem nicht durch einInvestitionsabkommen geschützt, da ein solches Abkommen Fragen der Anerkennung der autonomen Staatlichkeit Taiwans aufwirft und sie auf festländischem Boden eigentlich rechtlich als Inländer betrachtet werden -wie alle „tong bao“, „Landsleute“ Und dennoch expandieren die Handelsbeziehungen und Kapitalströme zwischen beiden Regionen mit atemberaubender Geschwindigkeit.

Grundlage dieser Entwicklung ist die Tatsache, daß in der chinesischen Kultur formale Institutionen nicht die primären strukturellen Determinanten gesellschaftlicher Wirklichkeit und ihrer Wahrnehmung sind. Formale Institutionen sind im Gegenteil häufig Gegenstand symbolischer Manipulation im Dienste politischer und wirtschaftlicher Interessen und können eine gänzlich andere Bedeutung erhalten, als ihre formale Definition vorzugeben scheint. Von wesentlich strukturbestimmender Kraft sind hingegen informelle Netzwerke zwischen Individuen, die im Austausch von Gütern und Diensten im weiten Sinne ihre wechselseitigen Interessen verfolgen -in China selbst als „guanxi“ bezeichnet, im Westen häufig allzu einfach als „Beziehungen“ wörtlich übersetzt und damit auch mißverstanden Es handelt sich um langfristige Vertrauensverhältnisse, die je nach Tiefe der persönlichen Beziehungen durch länger-oder kurzfristiger orientierte Reziprozität ständig erneuert werden müssen und die gerade deshalb eine beträchtliche Flexibilität aufweisen, weil sie nicht durch formale Institutionen wie etwa rechtsverbindliche Verträge festgeschrieben sind. Derartige Netzwerke durchdringen und überlagern formale Institutionen wie etwa politische Organisationen oder wirtschaftliche Rechtspersonen bis zu einem Grad, daß die formale Struktur handlungspraktisch bedeutungslos wird. Auf der anderen Seite schaffen die Individuen innerhalb bestimmter Netzwerke häufig auch Organisationen, die der gemeinsamen Verfolgung bestimmter Interessen dienen; Netzwerke werden als objektiver sozialer Tatbestand reflektiert und observiert

Nun sind Netzwerke keinesfalls ein ausschließlich chinesisches Phänomen. Bemerkenswert ist aber, daß sie erst neuerdings Gegenstand wissenschaftlicher Forschung werden und etwa in der Wirtschaftswissenschaft bei der Analyse von Innovationsprozessen entdeckt worden sind. Eine bahnbrechende OECD-Studie spricht sogar von einem „dritten Transaktionsregime“ zwischen Markt und Hierarchie, das durchaus auch im Westen aufzufinden und offenbar in bestimmten Bereichen höchst leistungsfähig ist, wie etwa bei der Koordination arbeitsteiliger Wissensproduktion (Netzwerke zwischen Wissenschaftlern an Universitäten und Technikern in Unternehmen) oder der Integration kleiner und mittelständischer Betriebe in bestimmte Absatzorganisationen und Marken-produktionen marktführender Unternehmen

Netzwerke waren und sind jedoch nur selten Gegenstand wissenschaftlicher Analyse oder aktiver formaler Gestaltung gewesen, weil wirtschaftliche Aktivitäten stets dichotomisch analysiert wurden, nämlich entweder als Markttransaktionen unter einem bestimmten Regime formaler Institutionen wie dem Vertragsrecht oder als hierarchisch regulierte Prozesse innerhalb einer formalen Untemehmensorganisation. Netzwerke wurden als „persönliche Beziehungen“ und damit als irreguläres, zufallsbedingtes und von persönlichen Lebensläufen abhängiges Phänomen aus der wissenschaftlichen Analyse weitgehend ausgeblendet Tatsächlich aber könnten sie mit der OECD-Studie als ein drittes Transaktionsregime bezeichnet werden, das sich auszeichnet durch -Komplementarität der Fähigkeiten der Beteiligten, -persönliche Beziehungen als Kommunikationskanäle, in denen Reziprozität und Reputation einen hohen Stellenwert besitzen, -ausgeprägte Flexibilität nach innen und außen, -hohe Selbstbindung der Beteiligten an Netzwerkverpflichtungen,

-Betonung von gegenseitigem Nutzen auf der Grundlage interdependenter Beziehungen (im Gegensatz zu marktlicher Unabhängigkeit der Akteure einerseits und ihrer hierarchischen Bindung in Unternehmen andererseits).

Die aufgeführten Merkmale ließen sich direkt auf die chinesischen Netzwerke -die „guanxi“ -übertragen. Die Erforschung dieser Netzwerke ist ebenfalls noch nicht weit gediehen. Bezeichnenderweise haben sich auch in diesem Bereich bislang zwei unterschiedliche Forschungsansätze nebeneinander entwickelt, die sich jeweils mit der Volksrepublik und den Chinesen außerhalb des kommunistischen Herrschaftsbereiches befassen. Netzwerke finden auf der einen Seite viel Aufmerksamkeit in der politischen Kulturforschung, die seit längerem versucht, die politische Dynamik und insbesondere den faktionalistischen Konflikt in der Kommunistischen Partei Chinas durch bestimmte kulturell tradierte Verhaltensmuster zu erklären Netzwerke haben andererseits in den letzten Jahren einen paradigmatischen Status innerhalb der Erforschung der auslandschinesischen Wirtschaftskultur erhalten. Inzwischen werden nicht mehr Familienunternehmen, sondern Netzwerke von Familienuntemehmen als eigentliche Grundeinheit chinesischen Wirtschaftsverhaltens betrachtet

Beide Ansätze stehen noch unverbunden nebeneinander. Gerade die Dynamik der chinesischen Integration zeigt aber, daß beide Netzwerktypen in der Praxis längst miteinander buchstäblich vernetzt worden sind, denn die wechselseitige, informelle Durchdringung lokaler und nationaler politischer Eliten mit der neu entstehenden Unternehmer-schicht des Festlandes und den etablierten Unternehmern jenseits der Grenzen ist eine treibende Kraft des Übergangs zur Marktwirtschaft. Insofern müssen Netzwerke einen paradigmatischen Status bei der wissenschaftlichen und politischen Aus

capitalism“.

einandersetzung mit China erhalten. Netzwerke organisieren beispielsweise den eigentlichen Transfer der Macht von der Hongkonger Kolonialverwaltung zur Kommunistischen Partei, und diese Netzwerke schaffen sich längst schon repräsentative Organisationen, etwa in Gestalt von Unternehmenskooperationen zwischen Institutionen der Volksrepublik und Hongkonger „Tycoons“, also mächtigen Geschäftsleuten der Kolonie Wie Netzwerke den wirtschaftlichen Integrationsprozeß in China prägen oder wie sie im ländlichen Raum den Wandel von Eigentumsrechten bestimmen, soll im dritten Abschnitt gezeigt werden.

Für die China-Forschung stellt das Netzwerk-Paradigma einen Ausweg aus der gegenwärtigen „paradigmatischen Krise“ dar, die in der jüngeren Wirtschafts-und Sozialgeschichte ebenso aufgebrochen ist wie in der Auseinandersetzung mit der Ära Deng, also genau in jenen Bereichen, die sich mit dem Phänomen der „Modernisierung“ im chinesischen Kontext auseinandersetzen Nachdem die vergleichsweise einfachen politischen Strukturen der Ära Mao Zedong es erlaubten, Modelle und Typologisierungen der chinesischen Realität zu entwickeln, ist gegenwärtig eine große Unsicherheit in der Anwendung allgemeiner Kategorien auszumachen: etwa bei der schlichten Frage, welche Wirtschaftsordnung China eigentlich aufweist. Entsprechend ist auch eine Scheu vor theoretischer Aufarbeitung zu verzeichnen und eine Neigung, empirische Fragestellungen in den Vordergrund zu rücken Daß in dieser Hinsicht das Netzwerk-Konzept einen leistungsfähigen analytischen Rahmen darstellen könnte, wird auch durch die bemerkenswerte Tatsache belegt, daß in einem jüngst fertiggestellten Gutachten für die taiwanesische Regierung „Netzwerke“ explizit als institutionelles Medium für die Entfaltung einer wirtschaftlichen Arbeitsteilung zwischen taiwanesischen und festländischen Unternehmen identifiziert wurden Netzwerke werden somit auch zu einer wirtschaftspolitischen Kategorie in der dynamischen Wirklichkeit des politisch komplexen Kulturraums „China“.

III. Netzwerke und die politische Ökonomie Chinas

Im folgenden soll versucht werden, die bisherigen Überlegungen anhand konkreter wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen in China zu verdeutlichen. Ich greife zwei Beispiele heraus, die von einiger Wichtigkeit für die weitere Entwicklung Chinas sind: erstens die organisatorischen Aspekte der Integration zwischen der taiwanesischen und der festländischen Wirtschaft und zweitens den institutionellen Wandel im ländlichen Raum. 1. Wirtschaftsintegration durch Netzwerke: Taiwan und das Festland In der Anfangsphase taiwanesischer Investitionen auf dem Festland traten die taiwanesischen Unternehmer als Einzelakteure auf, weil sie sich in der Illegalität bewegten. Es gibt über diese Zeit sehr wenige Informationen. Seitdem aber die taiwanesische Regierung offizielle Genehmigungsverfahren für derartige Investitionen einführte (1989), hat nicht nur der Kapitalstrom nach China stark zugenommen, sondern es hat sich auch eine Fülle flexibler organisatorischer Verfahren entwickelt, mit denen auf die Probleme im Wirtschaftsverkehr zwischen beiden Regionen reagiert wird. Dabei ist bemerkenswert, daß auf beiden Seiten die formalen Institutionen der gegenseitigen Politik zunehmend an praktischer Bedeutung verlieren. Betrachten wir hier nur die taiwanesische Seite

In den letzten Jahren ist eine fast verwirrende Vielfalt von Organisationen und organisatorischen Strategien entstanden, die den Rahmen für einzel-wirtschaftliche Investitionen auf dem Festland darstellen. Formal betrachtet bilden sie eine politische Hierarchie, an deren Spitze die zuständigen Ministerien und Kommissionen der taiwanesischen Regierung stehen In Richtung der Basis dieser hierarchischen Pyramide nimmt der private Charakter der Organisationen zu. So übernehmen inzwischen vielleicht zwei Dutzend Stiftungen und Vereinigungen spezielle Aufgaben im Verkehr mit dem Festland, wie etwa die „Studiengesellschaft der Republik China für den Aufbau von Handel und Industrie“ („Zhonghua minguo gong shang jianshe yanjiuhui“) oder die „Vereinigung für die Handels-koordination zwischen dem Festland und Taiwan“ („Haixia Hang an shangwu xietiao hui“) Zum Teil sind sie eigens gegründet worden, zum Teil schaffen vorhandene Organisationen Tochter-organisationen, wie etwa die Nationale Industrie-vereinigung („Zhonghua minguo quan guo gongye conghui“) in Gestalt von „Freundschaftsvereinigungen taiwanesischer Kaufleute“, die unter anderem in Shanghai und Guangdong gegründet worden sind. Alle diese Organisationen sammeln nicht nur ständig Informationen über die Verhältnisse auf dem Festland und geben sie an ihre Mitglieder weiter, sondern entsenden auch fortlaufend Delegationen oder richten Repräsentanzen ein, die persönliche Beziehungen zu festländischen Lokal-eliten etablieren Dabei findet auf lokaler Ebene ein Tauziehen zwischen diesen Organisationen und den lokalen Verwaltungen statt, die Gegenorganisationen gründen, um die Selbständigkeit der Taiwanesen zu untergraben Etwa werden die „Freundschaftsvereinigungen“ („Lianyi hui“) verboten und statt dessen „Vereinigungen taiwanesischer Kaufleute“ („Tai shang xiehui“) gegründet, in denen lokale Kader vertreten sind und führende Positionen einnehmen. Es gibt aber in wichtigen Bereichen offizielle Zuordnungen zwischen solchen taiwanesischen und festländischen Organisationen und neuerdings sogar gemeinsame Gründungen Ein politisch bedeutsamer Fall solcher Wechselwirkungen zwischen Netzwerken und deren organisatorischer Verkörperung ist die erwähnte „Vereinigung für die Handelskoordination“. Die schon 1989 in Hongkong als Rechtsperson registrierte Vereinigung war mit dem Ziel gegründet worden, Konflikte zwischen Taiwanesen und festländischen Wirtschaftsorganisationen zu schlichten, die angesichts eines formal weitgehend rechtsfreien Raumes entstehen können Die Volksrepublik richtete kurz darauf eine nahezu gleichlautende Organisation ein, und beide Seiten kooperieren seitdem formell miteinander. Nun wurde jüngst auf Initiative des Leiters der taiwanesischen Seite eine „Stiftung für die Entwicklung des Handels zwischen beiden Seiten der Meerenge“ („Hai xia Hang an shangwu fazhan jijinhui“) ins Leben gerufen, deren 48 Gründungsmitglieder die größten Unternehmen Taiwans sind, die auf dem Festland investieren.

Diese Stiftung repräsentiert die Interessen der taiwanesischen Wirtschaft gegenüber beiden Regionen, denn die persönlichen Beziehungen ihrer Mitglieder reichen tief in beide regierenden Parteien hinein. In Taiwan erlangt ihr De-facto-Status als „private“ Organisation fast denjenigen der ebenfalls als „privat“ bezeichneten, offiziell für die praktische Festlandpolitik zuständigen „Straits Exchange Foundation“. In der Volksrepublik ist sie wiederum sofort von höchster Ebene als wichtige handelspolitische Instanz anerkannt worden. Diese Stiftung gründet nun ihrerseits lokale „Servicezentren für taiwanesische Kaufleute“, die taiwanesische Interessen gegenüber lokalen Regierungen auf dem Festland vertreten sollen. Neben diesen „Zentren“ bestehen -besonders in den Wirtschafts-Sonderzonen -bereits „Servicekomitees“, die gemeinsam von verschiedenen taiwanesischen Branchenvereinigungen („gonghui“) auf Initiative von deren Nationaler Vereinigung („gongye conghui“) gegründet werden. So ergibt sich das Bild einer höchst komplexen Schichtung und Verwebung unterschiedlichster, mehr oder weniger formal strukturierter Organisationen, die gewissermaßen das Oberflächenphänomen einer durch individuelle Netzwerke gekennzeichneten gesellschaftlichen Tiefenstruktur sind.

Diese Entwicklung beschleunigt sich neuerdings noch dadurch, daß viele Taiwanesen inzwischen kollektiv auf dem Festland investieren Ursprünglich war dies lediglich ein Nebeneffekt der Tatsache, daß viele kleinere Unternehmen sich am Verhalten anderer orientierten und wegen der vielfältigen Lieferbeziehungen zwischen den Unternehmen zum Teil gezwungen waren, einem bestimmten „Führer“ zu folgen; zum Teil gab es auch ein abgestimmtes Verhalten zwischen verschiedenen Unternehmen, die innerhalb des gleichen Branchennetzwerkes operieren Heute handelt es sich zunehmend um gezielte Investitionsstrategien auch größerer „guanxi qiye“, die im Rahmen des oben erwähnten „Netzwerk-Ansatzes“ auch wirtschaftspolitisch unterstützt werden Die jeweiligen Branchenvereinigungen (etwa der Computerproduzenten) entsenden Delegationen auf das Festland, die optimale Standorte für taiwanesische Industrieparks suchen. Nach den Verhandlungen mit den lokalen Verwaltungen werden dann beispielsweise Kapitalgesellschaften gegründet, die Einrichtung und Erschließung gemeinsam mit den lokalen Stellen durchführen; Anteilseigner werden die Investoren, die sich im Industriepark ansiedeln. So gibt es inzwischen taiwanesische „Spielzeugstädte“, „Elektronikstraßen“ und ähnliches. Erklärtes Ziel ist wieder, durch kollektives Handeln die eigene Position gegenüber den lokalen Verwaltungen zu stärken. Die fehlende Rechtssicherheit wird so durch Netzwerke und Verhandlungsregimes ausgeglichen, die an die Stelle formaler Integrationsmechanismen auf der Ebene von Regierungsverhandlungen treten. So leistungsfähig diese Mechanismen sind, so schwer nachvollziehbar sind sie aus der Vogelperspektive der „thin description“, die gewöhnlich von der Wirtschaftswissenschaft bevorzugt wird. Sie haben die bemerkenswerte Folge, daß nicht nur die wirtschaftlichen Transaktionen erleichert und abgesichert werden, sondern daß gleichzeitig lokale Repräsentationsorgane wirtschaftlicher Interessen entstehen, die bereits mittelfristig eine politische Dimension erhalten können. 2. Netzwerke und institutioneller Wandel im ländlichen Raum a) Lokale Netzwerke In der chinesischen Systemtransformation spielen die sogenannten „xiangzhen qiye“, die ländlichen Unternehmen auf der Ebene der Kleinstädte und Dörfer, eine wichtige Rolle. Diese Bezeichnung geht ausschließlich auf die territoriale Zuordnung zurück und besitzt keine eigentumsrechtliche Bedeutung. Es kann sich also um Betriebe mit unterschiedlichen Eigentumsformen handeln, allerdings unter Ausschluß des staatlichen Eigentums. In der deutschen Übersetzung ist es ratsam, zwischen diesen „Gemeindebetrieben“ und den eigentlichen „Kommunalbetrieben“ (als einer Teilmenge der Gemeindebetriebe) zu unterscheiden, deren Eigentümer eine lokale Gebietskörperschaft ist. Die Provinzen unterscheiden sich deutlich hinsichtlich der Anteile unterschiedlicher Eigentumsformen, die miteinander sogar in konkurrierender Beziehung stehen können, so daß etwa mancherorts örtliche Verwaltungen lokale Privatunternehmen zugunsten der Kommunalbetriebe diskriminieren.

Wie sind aber die Strukturen der Verfügungs-und Nutzungsrechte im einzelnen zu charakterisieren Betrachten wir die formal eindeutig im Eigentum der jeweiligen Lokalregierung befindlichen Kommunalbetriebe. Viele Dörfer haben nach der Abschaffung der Volkskommunen im Jahre 1982 eine organisatorische Trennung zwischen der Dorf-regierung und einem lokalen „Generaluntemehmen“ („cong gongsi“) vollzogen, das als eine Art Holding sämtlicher lokaler Unternehmen fungiert. Gleichzeitig gibt es auf der Ebene der Landkreise -formal die unterste staatliche Behörde, im Gegensatz zur Selbstverwaltung der Dörfer -Büros, die für die Gemeindeunternehmen zuständig sind. Die staatliche Behörde ist die regulierende Instanz, das Generalunternehmen vertritt das dörfliche Kollektiv als Eigentümer. Derartige Beschreibungen eröffnen aber keinen Zugang zu den eigentlichen sozialen Tatbeständen.

Die formale Beziehung zwischen der Leitung der Unternehmen und den lokalen Behörden ist in Netzwerke eingebettet, in denen über bestimmte konkrete Verteilungen von Verfügungs-und Nutzungsrechten fortlaufend verhandelt wird. Formale administrative und politische Strukturen sind lediglich Oberflächenphänomene und lassen einen weiten, interpretationsbedürftigen Spielraum für die tatsächlichen Verhältnisse. Beispielsweise spielen lokale Behörden häufig eine wichtige Rolle bei der Aufbringung des Gründungskapitals, sie greifen aber vergleichsweise selten direkt in die operationalen Entscheidungen der Unternehmensführung ein. Das Verhältnis zwischen Unternehmensführung und lokaler Regierung wird vielmehr in dem Moment definiert, wenn die Entscheidung über die Besetzung der Unternehmensleitung gefällt wird, die sich in der Regel die Lokalregierungen vorbehalten. Denn hier wird uno actu festgelegt, welche Netzwerke aktiviert werden, über die anschließend die eigentliche Kommunikation und Interaktion zwischen lokaler Wirtschaft und Politik erfolgt. Dies kann so unverblümte Formen annehmen wie die Besetzung aller Direktoren-Posten mit Söhnen des Bürgermeisters. Ganz allgemein gilt, daß Dörfer mit dicht verwobenen Verwandtschaftsgeflechten (also Dörfer, die von nur einer oder wenigen Lineages [Stamm, Geschlecht] beherrscht sind) häufiger umfangreiche Kommunal-betriebe und -einrichtungen aufweisen als Dörfer, in denen dies nicht gegeben ist: Nicht das formal bestehende kollektive Eigentumsrecht bestimmt die tatsächliche Verteilung von wirtschaftlichen Rechten, sondern die jeweils lokal vorherrschenden Verwandtschaftsstrukturen als soziale Tatbestände.

Diese lebenspraktisch fundamentalen Strukturen lassen sich jedoch nur mit Hilfe einer „thick description“ der langen Geschichte einzelner chinesischer Dörfer nachvollziehen. So hat der japanische Soziologe Nakao Katsumi Feldforschung in einem der Dörfer der Provinz Shandong durchgeführt, die bereits in den vierziger Jahren von japanischen Ethnologen detailliert untersucht worden waren Er konnte zeigen, daß der konkrete Verlauf der Landreform, der Kollektivierung und der Wirtschaftsreform zu Beginn der achtziger Jahre wesentlich dadurch bestimmt worden war, daß auf der einen Seite der Staat zwar tief in die dörflichen Strukturen eingriff, aber auf der anderen Seite gerade durch diesen Eingriff auch neue Macht-ressourcen schuf, die wiederum zum Gegenstand der Konflikte zwischen verschiedenen Lineages im Dorf wurden. Die Verwandtschaftsstrukturen wurden größtenteils auf die Zusammensetzung der Produktionsgruppen projiziert und erwiesen sich besonders dadurch als sehr anpassungsfähig, daß es in der chinesischen Tradition keine strikten Regeln für die Bestimmung der jeweils führenden, repräsentativen Eliten der Verwandtschaftsgruppen gibt. Auf diese Weise blieb die Differenzierung der Dorfbevölkerung nach Klassen, die von der Kommunistischen Partei stets betrieben wurde, letztlich für die eigentlich sozialstruktur-bestimmenden Verwandtschaftsgruppierungen bedeutungslos.

Eine Schlüsselrolle für die Entwicklung der Gemeindebetriebe (damals noch „Brigadebetriebe“ genannt) im Dorf spielte dann die Tatsache, daß der Niedergang der örtlichen Landwirtschaft, der eine Folge der verfehlten Politik der Kollektivierung war, in den siebziger Jahren dazu führte, daß industrielle Nebenbetriebe eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle sein konnten. Als ein Mitglied einer der dörflichen Lineages in dieser Hinsicht unternehmerisch aktiv wurde, verschob sich die Machtbalance zwischen den beiden großen, um Koalitionen von Lineages geschmiedeten Gruppen im Dorf nachhaltig. Seit dieser Zeit wird die Dynamik der lokalen ländlichen Industrie auch dadurch bestimmt, daß zwischen den Lineages eine intensive Konkurrenz um die Kontrolle und die Schaffung industrieller Einkommenschancen stattfindet. Führungspositionen in ländlichen Unternehmen sind in dieser Hinsicht von ebenso zentraler Bedeutung wie Stellungen in der Dorfverwaltung.

Unabhängig von der konkreten Rechteverteilung sind jedoch Lokalregierungen und Gemeindeuntemehmen gleichermaßen den Zwängen des Marktes ausgesetzt. Die Budgetbeschränkungen der letzteren sind nur geringfügig härter als die fiskalischen Beschränkungen der ersteren, denn beide können nur sehr begrenzt auf Subventionen durch übergeordnete Instanzen zurückgreifen. Daher bilden sich allerorts Netzwerke zwischen „politischen“ und „wirtschaftlichen“ Unternehmern, die gemeinsam daran interessiert sind, die lokale Wirtschaft aufzubauen und eventuelle Verteilungskonflikte über die Netzwerk-Reziprozität zu regulieren Privatunternehmen lassen sich beispielsweise als „Kollektivunternehmen" registrieren und müssen dann zwar bestimmte finanzielle Lasten gegenüber der Lokalregierung tragen, gelangen aber dafür zum Beispiel in den Genuß von günstigen Krediten durch die örtliche Kreditgenossenschaft. Entsprechend gibt es keine klare und verbindliche, an formalrechtlichen Bestimmungen orientierte Statistik der Unternehmenstypen auf dem Lande. Nicht die -weiterhin fehlende -Institutionalisierung etwa der fiskalischen Beziehungen zwischen lokalen Behörden und Unternehmen hat in den letzten Jahren die Rechtsposition der Unternehmen und damit die Rahmenbedingungen für die unternehmerische Dynamik verbessert, sondern die Stabilisierung von informalen Netzwerken nach den kulturrevolutionären Konflikten -nicht zuletzt als Folge des Wirtschaftswachstums, das Verteilungskonflikte zwischen verschiedenen Machtgruppen in den Dörfern abmilderte. Die jeweiligen Grade der „Öffentlichkeit“ von Eigentumsrechten bzw. umgekehrt das Ausmaß der „Privatisierung“ werden in diesen Netzwerken flexibel verhandelt. b) Überlokale Netzwerke Neben solchen lokalen Netzwerken spielen über-lokale Netzwerke eine vitale Rolle gerade bei den erfolgreicheren Gemeindeunternehmen. Beispielsweise haben sich oft florierende Geschäftsbeziehungen zwischen der kulturrevolutionären Generation landverschickter Jugendlicher und den Unternehmen der damaligen Aufenthaltsgemeinden entwickelt. Es gibt landesweite Informationskanäle, die es den Bewohnern einer Region ermöglichen, etwa in Peking Personen in wichtigen Positionen ausfindig zu machen, die aus dieser Region stammen (also „tong xiang“ sind). Dieses gemeinsame Merkmal wird sofort dazu verwendet, Netzwerke im eigentlichen Sinne („guanxi“) aufzubauen, in die dann die ökonomischen Transaktionen eingebettet werden, wie etwa die Organisation von Exporten aus der ländlichen Heimatregion. Es entstehen unter Umständen kaskadenartige Vernetzungen einzelner Netzwerke, die von Dörfern des chinesischen Hinterlandes bis hin zu führenden Positionen der Pekinger Zentralregierung reichen und ausschließlich über bestimmte Schlüsselpersonen vermittelt werden, die sich persönlich kennenund jeweils ihre individuellen Netzwerke aktivieren können.

Es liegt auf der Hand, daß beide bislang betrachteten Netzwerktypen auch sehr leicht in Wechselwirkung treten können. Beispielsweise aktivieren viele Auslandschinesen ihre Bezüge zur Heimat-region, um Investitionen zu planen. Konkret kann dies bedeuten, daß über verwandtschaftliche Beziehungen letztlich auch traditionelle Kultur-elemente wiederbelebt werden, die durch die Gesellschaftspolitik der KP eigentlich unterdrückt werden sollen, nämlich die Klan-und Lineage-Organisationen Dieses Beispiel zeigt auch, daß chinesische Netzwerke die unterschiedlichste Gestalt annehmen: Insofern ist das Netzwerk die allgemeinere Grundform von Assoziationen, Faktionen oder den soeben angesprochenen weiteren Verwandtschaftsbeziehungen und nicht, wie herkömmlich angenommen, die Familie die dominante soziostrukturelle Grundeinheit in der chinesischen Kultur c) Eigentumsrechte und Netzwerke Interessanterweise läßt sich die skizzierte Einbettung von Eigentumsrechten in Netzwerke auch in anderen Bereichen der Wirtschaft beobachten. Deshalb dürfte vermutlich das Eigentumsproblem in China keine derart überragende wirtschaftspolitische Bedeutung für den Übergang zur Marktwirtschaft besitzen, wie in sozialistischen Planwirtschaften europäischen Typs. Die traditionelle Kultur kannte keinen Begriff absoluten individuellen Eigentums, der sich in Europa nach dem Feudalismus ausbildete, sondern nur ein persönliches Eigentumsrecht, das stellvertretend für die Familie als eigentlichen, korporativen Eigentümer ausgeübt wurde Hinzu kam besonders in den entwikkelten südöstlichen Regionen Chinas, daß sehr komplexe Verschachtelungen vor allem von Eigentumsrechten am Land möglich waren, da die Rechte zur Nutzung und Übertragung der Oberfläche unterschieden wurden vom Eigentum an der darunterliegenden Erde. Es gab langfristig stabile Pachtverhältnisse bei Oberflächenrechten, die sogar weiter verpachtet werden konnten, und gleichzeitig einen fortlaufenden Kauf und Verkauf der eigentlichen Eigentumsrechte -allerdings war der Wechsel der Verpächter für die Bauern kaum wahrnehmbar, weil der Pachtzins an Verwaltungsbüros gezahlt wurde. Dies ist nur ein Beispiel dafür, daß die traditionelle chinesische Kultur eine Fülle institutioneller Arrangements kannte, wirtschaftliche Aktivitäten zu organisieren, indem zwischen den verschiedenen Teilrechten des Eigentums stark ausdifferenziert wurde und die konkrete Verteilung von Teilrechten wieder über Netzwerke reguliert wurde, deren Mitglieder dann flexible Organisationen zur Verfolgung ihrer Ziele gründeten Ähnliche Verhältnisse scheinen heute in vielen Regionen Chinas bei der Verteilung von Rechten an Grund und Boden wieder vorzuherrschen Die formale Struktur des sogenannten „Verantwortungssystems“, in dem das Dorf als Kollektiv Eigentümer des Bodens bleibt und der einzelne Bauemhaushalt Nutzungs-und teilweise auch Verfügungsrechte langfristig pachtet, beschreibt die soziale Wirklichkeit nur unzureichend. Es ist der Charakter lokaler Netzwerke, der in Verbindung mit bestimmten Verteilungsnormen und dem Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere des Grades der ländlichen Industrialisierung, die Verteilung von Rechten determiniert. Auf diese Weise entstehen lokal sehr unterschiedliche Verteilungen, die nach Maßgabe netzwerkgebundener Reziprozität stets verhandelbar sind. Allgemeine Subsistenznormen legen fest, daß jede Familie über einen Minimalbestand an Land verfügen muß (das sog. „Getreiderations-Land“); die darüber hinausgehende Fläche kann durch „kollektive“ Beschlüsse flexibel arrangiert werden (etwa als große Farm an bestimmte „spezialisierte Haushalte“ verpachtet oder als „Verantwortungsland“ nach Maßgabe der vorhandenen Arbeitskräfte auf alle Haushalte verteilt werden). Dabei kann das „Kollektiv“ eine sehr unterschiedlicheGestalt haben und sich beispielsweise in Südost-China qua sozialem Tatbestand als eine traditionelle Lineage konstituieren, im Norden aber als eine authentische Selbstverwaltungsinstanz, die von lokalen Faktionen und faktionalen Konflikten geprägt ist

IV. Politik, Kultur und Wirtschaft in China: Plädoyer für eine kulturspezifische Methode

Die verschiedenen, hier nur oberflächlich berührten Beispiele haben gezeigt, daß sich unser China-Bild lösen sollte von weitreichenden Verallgemeinerungen, die etwa in Vorstellungen vom „Übergang von der Plan-zur Marktwirtschaft“ oder bei der Konzentration auf „Pekings Wirtschaftspolitik“ zum Ausdruck kommen. Daß uns die chinesische Politik immer wieder als eine Einheit zu begegnen scheint, ist ein Mißverständnis als Folge kultureller Differenzen zwischen China und dem Westen. Die Zentralregierung, die „Mitte“, ist ihrerseits Machtpol konkurrierender politischer Netzwerke, die immer wieder versuchen, das symbolische Potential der „Mitte“ auszunutzen. Daß China seit 1992 einen konjunkturellen Boom erfährt und rasche weitere Schritte in Richtung Marktwirtschaft geht, war das Ergebnis von Deng Xiaopings „Reise nach Süden“ auf der er -im Grunde auf maoistische Taktiken zurückgreifend -außerhalb der formalen politischen Institutionen durch einige Äußerungen landesweit Machtbalancen und Interessenkonflikte zugunsten der Befürworter rascher wirtschaftlicher Entwicklung verschob. Hierzu brauchten keine administrativen oder gesetzlichen Maßnahmen ergriffen werden -ausschlaggebend war der symbolische Gehalt des konkreten individuellen Aktes. Was seither geschieht, ist nur mehr in begrenztem Maße unter der Kontrolle zentraler Instanzen befindlich oder durch einen verbindlichen gesetzlichen Rahmen reguliert. Entscheidend sind vielmehr die individuellen Handlungen der Mitglieder der aktivierten Netzwerke. Netzwerke sind aber von ihrer Natur her lokale, kontingente Phänomene. Entsprechend entsteht eine ausgeprägte lokale Vielfalt von Institutionen und Entwicklungsmustern.

Wenn wir unser China-Bild nicht dieser Realität anpassen, wird es grundlegend defizitär bleiben. Daß Chinas Entwicklung beispielsweise als extrem sprunghaft erscheint, liegt daran, daß sich die Beobachter auf den politischen Konflikt in der „Mitte“ konzentrieren. In diesem Konflikt ist aber die Kontrolle symbolischer Medien eines der wichtigsten Machtinstrumente. Die jeweils herrschenden Kräfte -politischen Netzwerke -in der Zentralregierung sind bestrebt, ein Bild einheitlicher Verhältnisse zu produzieren, weil die Eindeutigkeit der symbolischen Repräsentation der „Mitte“ wiederum ein wichtiges Instrument in Machtkonflikten auf lokaler Ebene ist. Praktisch geht dies soweit, daß die „Marktwirtschaftler“ bis zum Sommer 1993 intern alle Äußerungen von Wirtschaftswissenschaftlern zensierten, die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklungen kritisch beurteilen Erst wenn die Positionen im internen Machtkonflikt der Führung abgesteckt sind, wird genau die zensierte Meinung plötzlich zur Regierungslinie. Wenn wir uns an den Informationen orientieren, die auf diese Weise nach außen treten, lassen wir uns systematisch irreleiten. Unser China-Bild verzeichnet beispielsweise Politikschwankungen zwischen „Planwirtschaft“ und „Marktwirtschaft“ im Zuge der sogenannten Austeritätspolitik nach 1989, die in der Realität gar nicht existierten, und wird nach gewisser Zeit damit konfrontiert, daß in China tatsächlich die marktwirtschaftliche Transformation kontinuierlich fortgeschritten ist, aber gleichzeitig ein großes Inflationspotential durch eine ebenso ungebrochene Kreditexpansion aufgebaut wurde

Unser Zugang zu China muß also bereits auf der konzeptuellen Ebene an die kulturelle Eigenart des Gegenstandes angepaßt werden. Es gibt hierzu nur wenige Ansätze, da die methodologische Reflexion in der Sinologie ein Schattendasein führt Leider handelt es sich hier aber keinesfalls um ein akademisches Problem, das ausschließlich von Interesse für Spezialisten ist. Unsere lebenspraktische Beziehung zum chinesischen Kulturraum und seiner politischen Komplexität und wirtschaftlichen Dynamik wird durch unseren konzeptuellen Zugang wesentlich mitbestimmt. Gleichzeitig könnte es aber auch Rückwirkungen auf die westUche Theoriebildung geben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der folgende Beitrag ist ein Forschungsergebnis des „Europäischen Projektes zur Modernisierung in China: Kultureller und wirtschaftlicher Wandel in der Gegenwart“, das von der Volkswagen-Stiftung finanziert und in Kooperation zwischen den Universitäten Bochum (Prof. Helmut Martin) und Duisburg (Prof. Carsten Herrmann-Pillath) (vormals Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln) organisiert wird. Der Autor ist den Mitarbeitern des Projektes zu Dank verpflichtet, insbesondere Herrn Sun Chi-pen, der keine Mühe bei der Beschaffung taiwanesischer Quellen scheute. Wichtige Beiträge lieferten Frau Zhu Qiuxia und Herr Yue Bing. Eine entscheidende Anregung kam von Christoph Müller-Hofstede, Ost-West-Kolleg, Köln. Ich danke außerdem der „Japan Society for the Promotion of Science“, die meine Arbeit mit der Verleihung einer Fellowship an der Keio-Universität in Tokyo unterstützte und mir auf diese Weise den Zugang zur japanischen Sicht der im folgenden zu diskutierenden Phänomene eröffnete. Nach einer Angabe in Liaowang vom 29. 3. 1993, S. 10, stammten beispielsweise bis Ende 1992 90, 31 Prozent aller realisierten ausländischen Direktinvestitionen in China aus Hongkong, Macao und Taiwan. Diese Zahl weicht zwar von den offiziellen Zahlen ab, könnte aber durchaus der Wirklichkeit nahekommen, denn die taiwanesischen Investitionen auf dem Festland dürften um das Dreifache umfangreicher sein, als die offizielle Statistik erkennen läßt. Vgl. Liang an jing mao tongxun, (1993) 1, S. 4. Viele Investitionen aus westlichen Industrieländern werden außerdem unter wesentlicher Beteiligung chinesischer Mitarbeiter und Unternehmen organisiert. (Karte der VR China und Zahlenmaterial siehe Anhang des Heftes.)

  2. Westliche Darstellungen der chinesischen Öffnungspolitik übersehen diesen Aspekt häufig, während er in Asien gleich stark betont wird wie der wirtschaftspolitische. Vgl. Maruyama Nobuo, Kanan keizai-ken, Tökyö 1992, S. 373.

  3. Siehe auch den Beitrag von Paul A. von Hehn in diesem Heft.

  4. Vgl. Randall Jones/Robert King/Michael Klein, The Chinese Economic Area: Economic Integration Without a Free Trade Arrangement, OECD Economics Department Working Papers No. 124, Paris 1992. Ich danke Herrn Professor Willy Kraus für den Hinweis auf diesen Beitrag.

  5. Freilich gilt dies nicht für Ostasien selbst. Die Idee von einem „Greater China“ wurde von wissenschaftlicher Seite bereits zu Beginn der achtziger Jahre von Ökonomen in Taiwan und Hongkong propagiert, wie etwa Edward K. Y. Chen vom Centre of Asian Studies der University of Hong Kong. Zum Überblick siehe Chamg Kao (Gao Zhang), A „Greater China Economic Sphere“: Reality and Prospects, in: Issues & Studies, November 1992, S. 49-64. Heute ist einer der führenden Vertreter des Konzeptes der Taiwanese Charles H. C. Kao (Gao Xijun), vgl. u. a.den Beitrag Da bianju, da shishi, da geju -tantao „jingji Zhongguo“ qianjing, in: Jingji qianzhan, (1992) 28, S. 10-19. Diese Visionen und die tatsächlichen Entwicklungen in China werden seit längerem in anderen Ländern Ostasiens intensiv beobachtet, allen voran natürlich in Japan. Es gibt in Japan inzwischen eine Flut von Publikationen, die sich mit der zukünftigen Rolle der Chinesen in der Weltwirtschaft befassen. Das „Institute of Developing Economies“ etwa hat unter der Leitung von Maruyama Nobuo eine eigene Reihe „Ajia no keizai ken sirizu“ (Wirtschaftskreise Asiens) herausgegeben, die sich vor allem auf China konzentriert, die japanische Außenhandelsorganisation JETRO hat im Oktober 1992 eine ausführliche Studie zu den Beziehungen zwischen Taiwan und dem Festland ediert (Ryö gan keizai kry to Taiwan), oder das Nomura Research Institute in Hongkong publizierte im August 1992 eine an ein breiteres Publikum gerichtete Studie zur Dominanz der Chinesen in der Wirtschaft Asiens, Hong Kong to ka jin keizai ken (Hongkong und der Wirtschaftskreis der Chinesen). Das Interesse am wirtschaftlichen Einfluß der Chinesen reicht bis zu journalistischen Untersuchungen der New Yorker Chinatown und ihrer internationalen Beziehungen, siehe Morita Yasuro, Chika keizai no atarashii shihaisha, Tky 1991 (Die neuen Herrscher der Untergrundwirtschaft). Im Vergleich hierzu ist der Informationsfluß in Europa spärlich. 6 Freilich ist zu beachten, daß „Frontier“ -Gesellschaften wie Taiwan erst sehr spät dem aktiven politischen Prozeß der Konfuzianisierung unterworfen wurden und daher durchaus kulturelle Variabilität existierte, siehe Chen Kongli, Qing dai Taiwan shehui fazhan de moshi wenti -ping „tu shu hua“ he „nei di hua“ de zhenglun, in: Edward K. Y. Chen/Jack F. Williams/Joseph Wong (Hrsg.), Taiwan -Economy, Society and History, Hong Kong 1991, S. 357-373.

  6. Freilich ist zu beachten, daß „Frontier“ -Gesellschaften wie Taiwan erst sehr spät dem aktiven politischen Prozeß der Konfuzianisierung unterworfen wurden und daher durchaus kulturelle Variabilität existierte, siehe Chen Kongli, Qing dai Taiwan shehui fazhan de moshi wenti -ping „tu shu hua“ he „nei di hua“ de zhenglun, in: Edward K. Y. Chen/Jack F. Williams/Joseph Wong (Hrsg.), Taiwan -Economy, Society and History, Hong Kong 1991, S. 357-373.

  7. Vgl. zum folgenden Far Eastem Economic Review vom 8. 7. 1993, S. 18. Siehe auch den Beitrag von Paul A. von Hehn in diesem Heft.

  8. Zu Kontinuität und Wandel der chinesischen Kulturtradition in Hongkong vgl. Lau Siu-kai/Kuan Hsin-chi, The Ethos of the Hong Kong Chinese, Hong Kong 1988.

  9. Vgl. Hermann Halbeisen, Politische Reformen in Taiwan, Arbeitspapiere zur Politik Ostasiens (SPO-wp-1/92), Fakultät für Ostasienwissenschaften, Ruhr-Universität Bochum,

  10. Siehe vor allem Karl Bünger, Concluding Remarks on Two Aspects of the Chinese Unitary State As Compared with the European State System, in: Stuart Schram (Hrsg.), Foundations and Limits of State Power in China, Hong Kong-London 1987.

  11. Wie Wu Xinxing, Dalu zhengce yu liang an guanxi -jian lun minjian jiaoliu de yiyi, in: Minzhu jijinhui (Hrsg.), Liang an jingmao guanxi zhi qiantao yu zhanwang, Taibei 1992, S. 143-154, hier S. 144, betont, wären taiwanesische Vertreter selbst innerhalb eines demokratisch gewählten, gesamt-chinesischen Volkskongresses eine verschwindende Minderheit. Zu den verschiedenen institutioneilen Alternativen für eine mögliche Wiedervereinigung vgl. Liao Kuang-sheng, China’s State Structure and National Reunification, in: Kuan Hsin-chi/Maurice Brousseau (Hrsg.), China Review 1990, Hong Kong 1991.

  12. Vgl. J. K. Fairbank, The Reunification of China, in: The Cambridge History of China, Vol. 14/1, Cambridge 1987, S. 1-50.

  13. David Goodman spricht daher von „Creative tension“ im Verhältnis zwischen Provinzen und Zentralregierung, vgl. David Goodman, Provinces Confronting the State?, in: Kuan Hsin-chi/M. Brousseau (Hrsg.), China Review 1991, Hong Kong 1992.

  14. Beispielsweise sind vermutlich rund 50 Prozent der ausländischen Anlegern zugänglichen B-shares staatlicher Aktiengesellschaften der VR China im Besitz von Taiwanesen, siehe Gao Konglian, Liang an jingmao yu zhanwang, Taibei 1993, S. 19. Zum „Danwei-Sozialismus“ siehe auch den Beitrag von Günter Schucher und Jutta Hebel in diesem Heft.

  15. Vgl. Philippe Rgnier/Niu Yuanming/Zhang Ruijun, Toward a Regional „Block“ in East Asia: Implications for Europe, in: Issues & Studies, (1993) 3, S. 15-34.

  16. Vgl. Guo Anmin, Tai shang zai da lu touzi mianlin zhi kunjing, in: Zhong gong yanjiu, (1992) 9, S. 33-41.

  17. Ausführlicher mit Literaturhinweisen vgl. Carsten Herrmann-Pillath, China -Kultur und Wirtschaftsordnung. Eine System-und evolutionstheoretische Analyse, Stuttgart-New York 1990, S. 131-188. Vgl. u. a. auch Bettina Gransow, Die Gabe und die Korruption. Form-und Funktionswandel des Tausches in China, in: Internationales Asienforum, (1991) 22, S. 343-360.

  18. So haben sich in Taiwan die sogenannten „guanxi qiye“ entwickelt, Unternehmensgruppen, die sich durch die Loyalitäts-und häufig Verwandschaftsbeziehungen zwischen den Eigentümern der Unternehmen und einem Patron des leitenden Unternehmens formierten. Diese Untemehmensgruppen operieren eigentlich als eine Art Konzern, sind aber nicht wie im Westen als ein solcher formal konstituiert, stellen also keine rechtliche Entität dar und besitzen entsprechend auch keine klaren Abgrenzungen gegeneinander. Sie werden aber gesellschaftlich in einem Maße als soziale Tatbestände wahrgenommen, daß es sogar ein Jahrbuch über diese Unternehmen gibt. Ausführlich siehe Ichiro Numazaki, The Role of Personal Networks in the Making of Taiwan’s Guanxiqiye (Related Enterprises), in: Gary Hamilton (Hrsg.), Business Networks and Economic Development in East and Southeast Asia, Hong Kong 1991, S. 77-93.

  19. Vgl. OECD, Technology and the Economy, The Key Relationships, Paris 1992, hier besonders S. 67-88.

  20. Entdeckt werden sie freilich in der jüngeren Zeit auch als informelle Strukturen, die nach dem Zerfall der formalen Institutionen des Sozialismus hervorbrechen, vgl. etwa Lutz Marz, Dispositionskosten des Transformationsprozesses, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/92, S. 3-14. Sie werden dann freilich im wesentlichen als ein Ausgleich für die Dysfunktionalität der realsozialistischen Institutionen verstanden. Es ist hier leider kein Raum verfügbar, die Frage zu diskutieren, ob dies auch in China der Fall ist. In jedem Fall zeigt die Bedeutung von Netzwerken in allen chinesischen Gesellschaften, daß ein einfacher Bezug auf den Realsozialis-mus nicht möglich ist.

  21. Ein führender Vertreter ist Lucian Pye, The Mandarin and the Cadre: China’s Political Cultures, Ann Arbor 1988.

  22. Vgl. Gary Hamilton, The Organizational Foundations of Western and Chinese Commerce: A Historical and Comparative Analysis, in: ders. (Hrsg.) (Anm. 18), S. 48-64. Hamilton spricht an anderer Stelle ausdrücklich von einem „guanxi

  23. Vgl. Far Eastem Economic Review vom 27. Mai 1993, S. 62ff., über die „New China Hong Kong Group Limited“.

  24. Besonders deutlich bei Philipp C. C. Huang, The Paradigmatic Crisis in Chinese Studies. Paradoxes in Social and Economic History, in: Modem China, (1991) 17, S. 229-341, und Kenneth G. Lieberthal/David M. Lampton (Hrsg.), Bureaucracy, Politics, and Decision Making in Post-Mao China, Berkeley-Los Angeles-London 1992; siehe auch den Beitrag von Susanne Weigelin-Schwiedrzik in diesem Heft.

  25. Diese internationale Tendenz verzeichnet auch einer der führenden japanischen China-Watcher, Kokubun Ryosei, Chügoku seiji to minshuka, Tky 1992, S. 27.

  26. Vgl. Lin Yingfeng u. a., Jianli liang an zhongxin weixing fengong guanxi zhi yanjiu, Xingzheng yuan da lu weiyuanhui weituo yanjiu, Taibei 1993, S. 1. 31 ff.

  27. Zum praktischen Bedeutungsverlust formaler Institutionen der kommunistischen Taiwan-Politik auf lokaler Ebene siehe Cheng-Tian Kuo, The PRC and Taiwan, Fujian’s Faltering United Front, in: Asian Survey, Vol. XXXII (1992), S. 683-695.

  28. Einen Überblick zu den formalen Institutionen der taiwanesischen Festlandpolitik bietet Günter Schucher, Neues Konzept zur Wiedervereinigung? Jüngste Veränderungen in der taiwanesischen Chinapolitik, in: Asien, (1991) 41, S. 42-56.

  29. Eine ausführliche Übersicht und Beschreibung dieser Organisationen findet sich in Zhongguo tong shangye zazhi, Februar 1993, S. 55-109.

  30. Eine Illustration für die Tätigkeit einer solchen Delegation findet sich z. B. in: Cai xun, 128 (1992), S. 60-73.

  31. Die kommunistische Führung betrachtet die Selbstorganisation der taiwanesischen Kaufleute als politisch höchst sensibel und gefährlich. Im November letzten Jahres wurden landesübergreifende Organisationen verboten, und ein internes Parteidokument untersagte Parteikadern unter anderem direkte Kontakte mit selbständigen Lokalorganisationen der Taiwanesen. Umgekehrt sehen manche Taiwanesen derartige Organisationen tatsächlich als ein Element der „Taiwanisierung" des Festlandes an. Zu beidem siehe Liang an jing mao tongxun, (1993) 1, S. 23, und Da lu jingmao touzi yuebao, (1993) 17, S. 268f.

  32. So wurde beispielsweise am 8. April 1993 die „Chinesische Vereinigung zur Koordination und Förderung des Bergbaus beiderseits der Meerenge“ gegründet, siehe Liang an jing mao tongxun, (1993) 5, S. 19. Es gibt auch einen fest etablierten gemeinsamen Lobbyismus südchinesischer Behörden und der Unternehmer aus Hongkong und Guangdong, der von den zentralen Behörden argwöhnisch betrachtet wird, vgl. M. Nobuo (Anm. 2), S. 328.

  33. Vgl. zum folgenden Shangye zhougan vom 5. 4. 1993, S. 16ff.

  34. Vgl. Zhongguo tong shangye zazhi, März 1993, S. 92-96, oder Liang an jingmao tongxun, (1992) 12, S. 20L, (1993) 3, S. 22.

  35. Vgl. Li Jie, Xiamen diqu Tai zi qiye yingyun diaocha yanjiu, Taibei 1993, S. 34ff., und die ausführliche Schilderung eines Beispiels aus der Schirmfabrikation in JETRO (Hrsg.), Ryö gan keizai kry to Taiwan, Tökyö 1992, S. 197 ff.

  36. Vgl. Lin Yingfeng (Anm. 26). Der meistdiskutierte Fall ist sicherlich die seit Jahren anhaltende Aktivität des „Plastik-Fürsten“ Wang Yongqing, der nun schon seit längerem die Verlagerung eines ganzen Netzwerkes von Zulieferern und Schlüsselfabriken in der Petrochemie auf das Festland betreibt. Zum jüngsten Stand der Dinge vgl. Liang an jing mao tongxun, (1993) 8, S. 6, und Zhongguo tong shangye zazhi, August 1993, S. 22f.

  37. Die folgende Darstellung stützt sich hauptsächlich auf Lin Qingsong/William Byrd (Hrsg.). Zhongguo nongcun gongye: jiegou, fazhan yu gaige, Beijing 1989; Zhang Gang, Government Intervention vs Marketization in China’s Rural Industrialization: A Preliminary Inquiry into the Role of Local Governments, erscheint in: China Information, Summer 1993; Yue Bing, Zhongguo xiangzhen qiye xingwei de yanjiu, noch unveröffentlichtes Arbeitspapier der Gruppe „Wirtschaft“ des „European Project on China’s Modernization: Contemporary Patterns of Cultural and Economic Change“, Duisburg 1993, und erste Materialsammlungen der Feldforschung „Leadership and Decision-Making in China’s Rural Enterprises“, die im gleichen Projekt durch das Rural Development Institute der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften durchgeführt wird.

  38. Vgl. Nakao Katsumi, Chügoku sonraku no kenryoku közö to shakai henka, Tökyö 1992, besonders S. 60f., 76ff. Es handelt sich um die berühmten „Mantetsu“ -Untersuchungen eines Forschungsinstitutes, das der südmandschurischen Eisenbahn-Gesellschaft zugeordnet war. Sie sind bereits wiederholt von amerikanischen Sinologen für die Rekonstruktion der sozialen Tiefenstrukturen chinesischer Dörfer ausgewertet worden, zuletzt von Prasenjit Duara, Culture, Power, and the State. Rural North China, 1900-1942, Stanford 1988. Nakao und Duara betonen in ähnlicher Weise die zentrale Rolle von lokalen Machtkonflikten (in Duaras Worten der „cultural nexus of power“) für den sozialen Wandel in chinesischen Dörfern.

  39. Vgl. David Zweig, Urbanizing Rural China: Bureaucratio Authority and Local Autonomy, in: Kenneth G. Lieberthal/David M. Lampton (Hrsg.), Bureaucracy, Politics, and Decision Making in Post-Mao China, Berkeley-Los Angeles-London 1992, S. 334-363.

  40. Ein Beispiel untersucht Yuen-fong Woon, Social Change and Continuity in South China: Overseas Chinese and the Guan Lineage of Kaiping County, 1949-1987, in: The China Quarterly, (1989) 118, S. 322-344.

  41. Vgl. bereits P. Steven Sangren, Traditional Chinese Corporations. Beyond Kinship, in: Journal of Asian Studies, Vol. XLIII (1984), S. 391-415.

  42. Die wohl beste Kurzdarstellung der vorindustriellen chinesischen Wirtschaft und ihrer Institutionen ist Madeleine Zehn, The Structure of the Chinese Economy during the Qing Period: Some Thoughts on the 150th Anniversary of the Opium War, in: Kenneth G. Lieberthai u. a. (Hrsg.), Perspectives on Modem China. Four Anniversaries, Armonk -London 1991, S. 31-67.

  43. Mit unmittelbarem Bezug auf S. Sangren (Anm. 41) vgl. hierzu William T. Rowe, Success Stories: Lineage and Elite Status in Hanyang County, Hubei, c. 1368-1949, in: Joseph W. Esherick/Mary Backus Rankin (Hrsg.), Chinese Local Elites and Patterns of Dominance, Berkeley-Los Angeles-London 1990, S. 51-81.

  44. Vgl. Zhu Qiuxia/Carsten Herrmann-Pillath, Boden-system, Eigentumsrechte und Kultur in der chinesischen Landwirtschaft: Eine humanökologische Analyse, Arbeitsbericht Nr. 4 der Gruppe „Wirtschaft“ des „European Project on China’s Modernization“, Sonderveröffentlichung des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln 1992.

  45. Zu den Verhältnissen in Südost-China vgl.detailliert Sulamith H. Potter/Jack M. Potter, China’s Peasants, The Anthropology of a Revolution, Cambridge et al. 1990.

  46. Siehe dazu den Beitrag von Susanne Weigelin-Schwiedrzik in diesem Heft.

  47. Vgl. Jing Bao, (1993) 4, S. 28-31.

  48. Ich habe die skizzierten Zusammenhänge zwischen Machtkonflikten, symbolischer Politik und monetären Entwicklungen in China ausführlich analysiert in: Institutioneller Wandel, Macht und Inflation in China, Baden-Baden 1991.

  49. Zu den großen Ausnahmen zählt Daniel Little, Understanding Peasant China. Case Studies in the Philosophy of Social Science, New Haven-London 1991.

Weitere Inhalte

Carsten Herrmann-Pillath, Dr. rer. pol., Dipl. -Vw., M. A., geb. 1959; Studium der Volkswirtschaftslehre, Sinologie, Romanistik, Mandschuristik, Sprachwissenschaft und des Russischen an der Universität zu Köln; Professor für Ostasienwirtschaft mit dem Schwerpunkt China an der Universität-GH-Duisburg; seit 1990 gemeinsam mit Professor Helmut Martin, Bochum, Leiter des von der Volkswagen-Stiftung geförderten „Europäischen Projektes zur Modernisierung in China: Kultureller und wirtschaftlicher Wandel in der Gegenwart“; 1993 Research Associate des Centre for Asian Studies, Hongkong, und Visiting Professor der Keio-Universität, Tokyo. Veröffentlichungen u. a.: China -Kultur und Wirtschaftsordnung. Eine System-und evolutionstheoretische Analyse, Stuttgart-New York 1990; Der Vergleich von Wirtschafts-und Gesellschaftssystemen: Wissenschaftstheoretische und methodologische Überlegungen zur Zukunft eines ordnungstheoretischen Forschungsprogrammes, in: ORDO 42 (1991); Institutioneller Wandel, Macht und Inflation in China: Ordnungstheoretische Analysen zur Politischen Ökonomie eines Transfonnationsprozesses, Baden-Baden 1991; The Brain, Its Sensory Order and the Evolutionary Concept of Mind: On Hayek’s Contribution to Evolutionary Epistemology, in: Journal of Social and Evolutionary Systems 15 (1992).