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Kriegerische Konflikte, friedliche Streitbeilegung und die Vereinten Nationen | APuZ 2/1994 | bpb.de

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APuZ 2/1994 Kriegerische Konflikte, friedliche Streitbeilegung und die Vereinten Nationen Die Friedenssicherung der Vereinten Nationen in der Krise? Eine Zwischenbilanz Wie der Gewalt widerstehen? Die Frage legitimer Gegengewalt als ethisches und politisches Problem Ziviler Friedensdienst, Europäische Legion oder „Weltbürger in Uniform“? Deutsche Außen-und Sicherheitspolitik vor neuen Herausforderungen

Kriegerische Konflikte, friedliche Streitbeilegung und die Vereinten Nationen

Tobias Debiel

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Daten zu den kriegerischen Konflikten seit 1945 zeigen, daß Krieg ein durchgängig wichtiger, zunehmend bedeutsamerer Faktor des Weltgeschehens ist. Versuche friedlicher Streitbeilegung wurden in immerhin zwei Drittel der Konflikte, Krisen und Kriege unternommen, gut ein Viertel der Bemühungen war von Erfolg gekrönt. Die Vereinten Nationen, bereits zur Zeit des Ost-West-Konflikts der weltweit aktivste Konfliktmanager, spielen seit der Annäherung der Supermächte 1987/88 eine herausragende Rolle bei zahlreichen regionalen Friedensprozessen. Gleichzeitig sind aber viele der anfänglichen Erfolge gefährdet. Zudem weisen die groß-angelegten Blauhelmeinsätze in Kambodscha, im früheren Jugoslawien und in Somalia eine ambivalente Bilanz auf. Um den veränderten weltpolitischen Realitäten gerecht zu werden, sollte die UNO ein effektiveres, fall-bezogenes Konfliktmanagement betreiben. Bei Blauhelmeinsätzen müssen die Aufträge klar definiert, ihre Durchführung gründlich vorbereitet werden. Vor einer universalistischen Überbeanspruchung, einer Art „universalist overstretch“, ist in diesem Bereich angesichts begrenzter Ressourcen und Wirkungsmöglichkeiten zu warnen. Weitaus wichtiger ist es, bereits im Vorfeld von Kriegen aktiv zu werden: durch Errichtung eines Frühwarnsystems, vor allem aber durch den systematischen Ausbau von Vermittlungsaktivitäten, die auch nichtstaatliche Akteure umfassen sollten.

Die Feststellung, daß sich die mit dem Ende des Ost-West-Konflikts gehegten Hoffnungen auf eine friedlichere Welt nicht erfüllt haben, ist mittlerweile zum Allgemeinplatz geworden. Die architektonischen Arbeiten an einem verheißungsvollen „Friedensprojekt Europa“ oder gar einer „neuen Weltordnung“ machen dem Erschrecken über die Wiederkehr der totgeglaubten Gespenster des Nationalismus und Chauvinismus Platz.

Das in den vergangenen Jahren verkündete „Ende der Dritten Welt“ bekommt angesichts der Wirklichkeit in einigen von Krieg und Hunger besonders gebeutelten Regionen einen ungewollten und makabren Sinn: Ein Teil der (vormaligen) Dritten Welt droht sich aus Ohnmacht und Selbstzerstörung von der Weltpolitik der Reichen und Neureichen zu verabschieden. Ganze Länder versinken in Chaos und Bürgerkrieg, werden -da sie den Absprung zu weltmarkttauglichen Aufsteigerökonomien nicht geschafft haben und sich in ihren geschickt geschnürten postkolonialen Fesseln verstricken -zu „terrae incognitae“, zu weißen Flecken auf der mentalen Landkarte der nördlichen Weltregionen Überlegungen, was die vielbeschworene Weltgemeinschaft und die Vereinten Nationen in dieser Lage tun könnten und sollten, unterliegen ähnlich modischen Schwankungen wie die Einschätzung des Kriegs-und Konfliktgeschehens selbst. Anfang der achtziger Jahre noch von den westlichen Regierungen (allen voran: der Reagan-Administration) der bürokratischen Ineffizienz geziehen, wurden die Vereinten Nationen Ende des Jahrzehnts zum respektierten „peace broker“ aufgewertet, gar in die Rolle eines Hoffnungsträgers für eine gerechtere Weltordnung gedrängt. In der zweiten Jahreshälfte 1993 wiederum wuchs die Kritik an der Weltorganisation. US-Präsident Clinton, der im Wahlkampf noch UN-geneigt war spielte plötzlich mit dem Gedanken, die Weltorganisation wegen Differenzen in der Somalia-Operation in die Rolle eines Zaungastes zu verweisen

Eine Analyse des tatsächlichen Kriegsgeschehens seit 1945 fällt weitaus nüchterner aus, als die „ups and downs“ friedenspolitischer Befindlichkeit vermuten lassen. Kriege sind demnach ein durchgängig wichtiger, in seiner Bedeutung zunehmender Faktor des Weltgeschehens gewesen. Die Auswirkungen waren in den verschiedenen Weltregionen sehr unterschiedlich, verheerend aber allemal: Seit 1945 starben schätzungsweise 30 Millionen Menschen in kriegerischen Konflikten oder in deren unmittelbarer Folge Die Zahl der ins Ausland geflüchteten Menschen lag 1992 bei 17, 6 Millionen. Knapp 4 Millionen Menschen befanden sich in einer flüchtlingsähnlichen Situa-tion, über 24 Millionen waren Vertriebene im eigenen Lande

Es gibt aber auch erfolgreiche Bemühungen zur Prävention und Beilegung von Kriegen und Konflikten, die in der öffentlichen Diskussion zumeist unter den Tisch fallen. Die Liste verpaßter Gelegenheiten ist freilich um einiges länger. Lernen läßt sich jedoch aus genutzten wie verlorenen Chancen -insbesondere wenn man danach fragt, wie die Vereinten Nationen, aber auch einzelnen Mitgliedstaaten, regionale Organisationen sowie nichtstaatliche Gruppen ihre Friedenspolitik im ausgehenden 20. Jahrhundert ausrichten sollen. Ein derartiger Versuch soll im folgenden unternommen werden.

I. Kriegerische Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg

Abbildung 1: Pro Jahr geführte, neu begonnene und beendete kriegerische Konflikte (1945-1992)Quelle: Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) (Anm. 9), Stand: 31. 12. 1991.

1. Globaler Trend: steigende Kriegshäufigkeit

Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) in Hamburg hat zwischen 1945 und 1992 insgesamt 181 kriegerische Konflikte registriert Ihre Kriegsdefinition erfaßt gewaltsame Massenkonflikte, die bestimmten Kriterien genügen Als kriegerische Konflikte kommen dabei sowohl kleinere bewaffnete Auseinandersetzungen (z. B. die US-Intervention in Grenada 1983) als auch mittelgroße kriegerische Konflikte (z. B.der Punjab-Konflikt in Indien seit 1982) und große („klassische“) Kriege (z. B. Iran-Irak-Krieg 1980-1988) in Betracht. Die AKUF selbst nimmt allerdings keine Einordnung nach Größe des Krieges vor.

Geht man von den AKUF-Daten aus, läßt sich eine globale ansteigende Kriegshäufigkeit feststellen. So wurden in den fünfziger Jahren während eines Jahres durchschnittlich zwölf Kriege geführt, in den sechziger Jahren bereits 22. In den siebziger Jahren lag die Anzahl bei 32 kriegerischen Konflikten, in den achtziger Jahren stieg sie auf 40 pro Jahr an. Anfang der neunziger Jahre wurden 48 (1990) bzw. 50 (1991 und 1992) jährlich laufende Kriege verzeichnet (vgl. Abb. 1).

Die Tendenz zu immer mehr Kriegen hängt u. a. damit zusammen, daß eine bemerkenswert große Zahl der bewaffneten Konflikte lange andauert. Dadurch werden weniger Kriege beendet als neue beginnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden immerhin 41 kriegerische Konflikte über mehr als zehn Jahre ausgefochten, 25 Kriege erstreckten sich über fünf bis zehn Jahre. Gerade Kriege, in denen sich mehrere Komponenten vermischten (ethnische Rivalitäten, Kampf gegen das Regierungssystem, Dekolonisation) neigen dazu, sich über lange Zeiträume hinzuziehen

2. Kriegerische Konflikte seit dem Ende des Ost-West-Konflikts

Der von der AKUF konstatierte Trend steigender Kriegshäufigkeit wird für die Zeit seit Ende des Kalten Krieges durch ein Forschungsprojekt an der Uppsala University in Schweden gestützt Das Uppsala-Projekt geht von einer etwas anderen Definition als die AKUF aus, kommt aber zu einem ähnlichen Resultat: Die Anzahl kriegerischer Konflikte stieg an, von 46 Fällen in 1989 auf 54 in 1992 Die Uppsala-Daten ermöglichen insoll fern eine differenziertere Sichtweise, als die kriegerischen Konflikte nach Größe (gemessen an der Zahl der Opfer) unterschieden werden

Diese Aufschlüsselung macht deutlich, daß die Zunahme kriegerischer Konflikte sich auf das vermehrte Auftreten kleinerer bewaffneter Konflikte zurückführen läßt. Die schwedischen Forscher verstehen darunter bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen zwei Parteien (unter denen zumindest eine die Regierung eines Staates ist), die mindestens 25 Tote pro Jahr, aber weniger als 1000 Tote im gesamten Konfliktverlauf forderten. Die Zahl derartiger kriegerischer Konflikte stieg von 13 im Jahre 1989 auf 22 im Jahre 1992 an. Die Häufigkeit mittelgroßer kriegerischer Konflikte, die insgesamt mehr als 1000 Tote forderten, jedoch im jeweiligen Berichtsjahr unter der Schwelle von 1000 Toten blieben, ist hingegen zurückgegangen: von 14 (1989) auf 12 (1992). Große kriegerische Konflikte (Kriege) mit mehr als 1000 Toten im Jahr haben nur relativ leicht zugenommen: 1989 wurden 19 gezählt, 1992 waren es 20 (vgl. Abb. 2).

Diese Daten vermitteln den Eindruck, daß die gewaltsame Austragung von Konflikten weltweit zunimmt, ein entsprechender Anstieg verlustreicher Kriege aber nicht zu beobachten ist. Freilich sind die Ergebnisse nicht eindeutig interpretierbar. Denn kleinere bewaffnete Konflikte können relativ schnell eskalieren. Ein jüngstes Beispiel ist Burundi. Der Konflikt zwischen Tutsi-Minderheit und Hutu-Mehrheit wurde 1992 vom Uppsala-Projekt noch als kleinerer Konflikt geführt. Nach dem Putsch der Streitkräfte am 21. Oktober 1993 ist er jedoch binnen Tagen zu einem Krieg mit vermutlich mehreren tausend Opfern eskaliert.

3. Der sogenannte OECD-Frieden

Die beschriebenen globalen Trends sind durch regional sehr unterschiedliche Entwicklungen gebrochen. So stellte der Zweite Weltkrieg im Norden eine Zäsur dar: Krieg zwischen den in der Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) zusammengeschlossenen westlichen Industrieländern ist weitgehend undenkbar geworden. Blickt man auf die leidvollen Erfahrungen der beiden Weltkriege zurück, die über 70 Millionen Menschen das Leben kosteten, so ist dieser „OECD-Frieden“ eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft. Mögliche Erklärungen dafür bieten sich zuhauf an: Stärker idealistisch orientierte Analysen verweisen darauf, daß sich Demokratien im Verhältnis zueinander als erstaunlich friedensfähig erwiesen haben Auch wird auf die zunehmende wirtschaftliche, politische, militärische und kulturelle Vernetzung, das Bewußtsein wechselseitiger Abhängigkeit (Interdependenz) sowie die Kooperation im Rahmen sogenannter internationaler Regime, z. B.der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), verwiesen Eher machtpolitisch ausgerichtete Analytiker heben hingegen die stabile Struktur der bipolaren eurasisch-atlantischen Sicherheitsordnung hervor, in der die Blockvormächte USA und Sowjetunion mögliche Aspirationen ihrer Bündnispartner durch ihr Übergewicht einhegten und sich untereinander durch die Drohung wechselseitiger Vernichtung in Schach hielten

Welcher Erklärung man auch zuneigt: Der „OECD-Frieden“ ist nicht ohne Makel. Die westlichen Industriestaaten haben sich im Süden weitaus weniger friedfertig gebärdet als untereinander und dort manchen Staaten denkbar schlechte Start-und Entwicklungschancen hinterlassen. 77mal kämpften die westlichen Industriestaaten mit ihren Streitkräften auf den Schlachtfeldern der Welt mit, zumeist als Kolonialmächte, aber auch als direkte Kriegsparteien zur eigenen Interessensicherung sowie als Interventionsmächte, die in bereits laufende Kriege eingriffen

Außerdem darf nicht vergessen werden, daß sich selbst innerhalb der westlichen Industrieländer friedliche Konfliktlösungsmuster noch nicht gänzlich durchgesetzt haben. Dies zeigen die Bürgerkriege in Nordirland (seit 1969) und im Basken-land (seit 1968, ab 1979 Kämpfe unterhalb der Kriegsebene). Die westlich orientierten Staaten Griechenland und Türkei und die seit 1974 de facto geteilte Insel Zypern schwankten zwischen Krieg und Frieden: Nach dem griechischen Bürgerkrieg (1946-1949) gab es hier noch mehrere bewaffnete Konflikte auf und um Zypern (1955-1959, 1963-1964, 1974). Schließlich hat sich der seit 1984 andauernde gewaltsame Konflikt zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Guerilla PKK 1992/93 zu einem brutalen Vernichtungskrieg mit beidseitigen Massakern und Brandschatzungen ausgeweitet.

4. Konfliktherde in Südost-und Osteuropa

Im Osten und Südosten des europäischen Kontinents wirkte der Kalte Krieg mitunter wie ein Kühlschrank, in dem ethno-nationale und soziale Spannungen nur eingefroren waren. Freilich wurden diese Konflikte durch die Zwangsstruktur autoritär-diktatorischer Vielvölkerstaaten (Jugoslawien, Sowjetunion) auch verändert und neu konstelliert Bis zum Ende der achtziger Jahre beschränkten sich kriegerische Konflikte in dieser Region auf militärische Interventionen der Sowjetunion in dem von ihr beanspruchten Herrschaftsbereich (Ungarn 1956, Tschechoslowakei 1968). Mit dem Zerfall der Vielvölkerstaaten Sowjetunion und Jugoslawien ist nun aber schlagartig deutlich geworden, daß Europa keine „Insel des Friedens“ ist.

In Europa und an der Schnittstelle zum Vorderen und Mittleren Orient gab es zwischen 1989 und 1992 allein sieben neue kriegerische Konflikte: in Rumänien (1989), mit besonderer Brutalität im ehemaligen Jugoslawien (seit 1991) sowie in mehreren Nachfolgerepubliken der Sowjetunion: in Georgien (Südossetien, Staatsstreich gegen die Regierung Gamsachurdia, Abchasien), in Nagorny Karabach (Armenien/Aserbaidschan), in Moldawien (Dnjestr-Republik). Seit August 1992 ist außerdem in Tadschikistan, der asiatischen Grenzrepublik der früheren UdSSR zu Afghanistan, ein sehr verlustreicher Krieg im Gange.

5. Hauptkriegsschauplatz Dritte Welt

Im Unterschied zu Europa und Nordamerika war Krieg in vielen Ländern des Südens bereits wäh-rend der letzten viereinhalb Jahrzehnte eine alltägliche und zerstörerische Erfahrung. Legt man die Daten der AKUF zugrunde, so fanden 170 der insgesamt 181 Kriege seit 1945 in der Dritten Welt statt. Asien sowie Subsahara-Afrika lösten sich seit Mitte der sechziger Jahre als Regionen mit der größten Kriegshäufigkeit ab -Erdteile, die in besonderem Maße von Dekolonisations-und Staatswerdungsprozessen betroffen waren (vgl. Abb. 3).

Es folgt die Konfliktregion Naher Osten/Nordafrika, in der es keine dominierende Konfliktursache gab: Sowohl der Umsturz von Regierungen als auch Autonomietendenzen und zwischenstaatliche Machtkonflikte spielten eine Rolle. In Lateinamerika schließlich war in den achtziger Jahren ein deutlicher Anstieg der Kriegszahl zu beobachten, gefolgt von einem gewissen Rückgang zu Beginn der neunziger Jahre. Hier richteten sich drei Viertel der Kriege seit 1945 gegen das jeweils herrschende politische Regime. Der Kriegscharakter wird aber -ähnlich wie in einigen Regionen Südund Südostasiens -zusätzlich dadurch geprägt, daß sich in vielen Ländern die Kriegsparteien und Herrschaftscliquen auf eine eigene ökonomische Basis stützen: Sie haben sich Steuerungsfunktionen im Drogenhandel angeeignet (so vor allem in Kolumbien, Bolivien, Peru, Panama, Haiti).

II. Friedliche Streitbeilegung in Konflikten, Krisen und Kriegen

Quelle: P. Wallensteen/K. Axell (Anm. 13), S. 333 (Tabelle II).Abbildung 2: Kriegerische Konflikte nach ihrer Größe (1989-1992)

1. Das Instrumentarium friedlicher Streitbeilegung

Die internationale Staatenwelt kennt ein breites Instrumentarium zur friedlichen Beilegung von Konflikten, Krisen und Kriegen. Das Spektrum umfaßt mit zunehmender Intensität u. a. folgende Formen: Bei den Guten Diensten (Good Offices), die zumeist auf informeller Ebene stattfinden, geht es darum, den Dialog zwischen den Konfliktparteien in Gang zu setzen, beispielsweise indem ein geeigneter Verhandlungsort, Kommunikationsverbindungen etc. zur Verfügung gestellt oder auch Nachrichten überbracht werden. Gute Dienste sind eine typische Aufgabe für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), die Kirchen, aber auch die jeweiligen UN-Generalsekretäre.

Bei der Beratung (conciliation) und Versöhnung (consultation) ist die dritte Partei stärker engagiert, indem sie sich um Wege zu Problemlösungen und den Abbau von Wahrnehmungsverzerrungen bemüht, i. d. R. aber keine eigenen Vorschläge macht. Die Rolle des norwegischen Außenministers Johan Jörgen Holst und seines Vorgängers Thorvald Stoltenberg bei den Geheimverhandlungen zwischen der PLO und Israel 1993 dürfte sich weitgehend in diesem Bereich abgespielt haben.

Bei der eher direktiven Vermittlung (mediation) hingegen greift die dritte Partei mit eigenen Vorschlägen in die Verhandlungen ein, kann sogar durch negative oder positive Sanktionen (sticks and carrots) Anreize zur Befolgung eines bestimmten Lösungskonzeptes geben. Erfolgreiche Beispiele derartiger Vermittlung sind die Angola-Namibia-Verhandlungen unter Leitung des amerikanischen Chef-Unterhändlers Chester A. Crocker, die 1987/88 den Weg zur Unabhängigkeit Namibias (1990) ebneten oder auch das von US-Präsident Jimmy Carter zwischen Israel und Ägypten vermittelte Camp-David-Abkommen von 1978. Bei Untersuchung und Vergleich stellt eine dritte Partei oder eine unabhängige Kommission die Fakten fest (fact-finding) und unterbreitet einen Vermittlungsvorschlag, der allerdings keine bindende Wirkung hat. Die verbindlichste Form friedlicher Konfliktbeilegung ist schließlich die Schiedsgerichtsbarkeit (arbitration), bei der sich die Streitparteien dem Schiedsspruch eines unabhängigen Gerichts unterwerfen Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag ist hier das beste Beispiel: Er war zwischen 1945 und 1990 bei latenten Konflikten elfmal, bei Krisen viermal sowie in einer ernsten Krise und einem Krieg eingeschaltet

2. Friedliche Streitbeilegung in der internationalen Politik

Konfliktvermittlung ist, wie die oben angeführten Beispiele bereits zeigten, ein durchaus gebräuchliches Instrument der internationalen Politik. Laut Billing, der insgesamt 288 internationale Krisen, Konflikte und Kriege zwischen 1945 und 1990 untersucht hat, wurden in zwei Drittel der Fälle Mediationsversuche unternommen -gut ein Viertel der Initiativen war erfolgreich Bercovitch u. a. haben in einer Studie 79 zwischenstaatliche Auseinandersetzungen seit 1945 analysiert und geben an, daß 44mal ein oder mehrere Vermittler eingeschaltet waren. Ungefähr ein Fünftel dieser Bemühungen war von Erfolg gekrönt

Unter welchen Bedingungen können Konflikte friedlich beigelegt werden, wann mißlingt eine Vermittlung? Die verschiedenen Studien zu diesem Thema gehen von unterschiedlichen Definitionen und Datensätzen aus, ihre Ergebnisse sind mithin nur schwer vergleichbar. Doch scheinen einige Tatbestände relativ gesichert -Versuche zum Konfliktmanagement waren insbesondere dann erfolgreich, wenn sich der Streit um Territorialfragen, Grenzverläufe, den Zugang zu Ressourcen oder die Beendigung von Kolonialherrschaft drehte. Vermittlungsversuche scheiterten hingegen öfter, wenn Konflikte ideologisch aufgeladen waren oder nationale Machtpositionen in Frage standen. Ein Beispiel hierfür ist der 1978 begonnene Bürgerkrieg in El Salvador, wo es erst nach einem militärischen Patt und regionalen Friedensbemühungen (Contadora-Gruppe, Friedensprozeß von Esquipulas) 1991 zum Friedensabkommen kam. -Je länger eine militärische Auseinandersetzung dauerte und je mehr Opfer sie forderte, desto schwieriger wurde eine friedliche Konfliktlösung. Allerdings gelten zwei Einschränkungen: In den ersten Monaten nach Kriegsausbruch sind die Konfliktparteien oftmals noch relativ unzugänglich für Vermittlungsbemühungen. Zweitens können die Erfolgschancen nach längerem Kampfverlauf wieder steigen, wenn beide Konfliktparteien ausgelaugt sind und keine Chance mehr sehen, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden (El Salvador ist hierfür erneut ein Beispiel). Ähnliches gilt, wenn sich das Kräfteverhältnis zwischen stärkerer und schwächerer Seite verschiebt, beide Seiten aber einen weiteren opferreichen Krieg scheuen. Diese Situation begünstigte etwa das von Lord Carrington vermittelte Abkommen zwischen der Smith-Muzorewa-Regierung und der Befreiungsbewegung unter Robert Mugabe in Rhodesien/Zimbabwe 1979.

Der amerikanische Politologe William I. Zartman hat für derartige Situationen, in denen ein Konflikt „reif“ für eine friedliche Lösung wird, den Begriff „ripe moment“ geprägt Freilich läßt sich darüber streiten, ob dieses Konzept in der konkreten Vermittlungspraxis tauglich und umsetzbar ist. -Der Erfolg bei der Beendigung zwischenstaatlicher Kriege hing nach einer Studie von Bercovitch u. a. weniger von der „Unparteilichkeit“ des Vermittlers ab als von den Ressourcen, über die er verfügte. Mediatoren, die sich auf eine eher passive Rolle beschränkten (Angebot Guter Dienste bzw. Einfluß auf Verhandlungsprozeduren), waren nur in etwa 20 Prozent der Fälle erfolgreich. Konfliktvermittler hingegen, die sowohl den Verlauf als auch den Inhalt der Verhandlungen beein-flußten („directive“) oder gar substantielle Anreize zur Konfliktbeendigung anboten („substantive“), konnten in 40 Prozent der Fälle positive Ergebnisse vorweisen -Konfliktmanagement in zwischenstaatlichen Konflikten gelingt schließlich selten, wenn ein Land dem anderen an wirtschaftlicher, politischer und militärischer Macht deutlich überlegen ist, so beispielsweise im Falkland-Krieg (1982) zwischen Großbritannien und Argentinien. Kriege zwischen gleichrangigen Staaten lassen sich hingegen leichter beilegen, insbesondere wenn es sich um verhältnismäßig schwache Staaten handelt. Ein Beispiel hierfür ist der sogenannte Fußballkrieg zwischen Honduras und El Salvador 1969, der ca. 100 Stunden dauerte und unter Vermittlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) beendet wurde.

III. Das friedenspolitische Engagement der Vereinten Nationen

Abbildung 3: Kriegerische Konflikte pro Jahr nach Regionen (1945-1992) Quelle: Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) (Anm. 9), Stand: 31.12.1992.

1. Die Vereinten Nationen in der Zeit des Ost-West-Konfliktes

Die Vereinten Nationen waren zur Zeit des Ost-West-Konfliktes sowohl im Vorfeld als auch nach Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen der aktivste Konfliktmanager. In der Literatur herrscht weitgehend Übereinstimmung darüber, daß die UNO vor allem bei der Erleichterung des Übergangs vom Kolonialismus in die Unabhängigkeit erfolgreich war. Zweitens weist sie bei der Kontrolle von Krisensituationen eine recht gute Bilanz auf, auch wenn dies nicht zu einer dauerhaften Konfliktbeilegung führte (zum Beispiel im arabisch-israelischen Konflikt und in Zypern). Ihre Vermittlungsbemühungen konzentrierten sich zudem auf internationale Konflikte und führten insbesondere dann zum Erfolg, wenn sich die Großund Supermächte neutral verhielten oder an einer Lösung interessiert waren

Neben den traditionellen Mitteln der Diplomatie haben die Vereinten Nationen seit 1948 ein besonderes, „weiches“ Instrument militärischer Friedenserhaltung entwickelt: das „Peacekeeping“. Ziel solcher Blauhelm-Einsätze war es u. a., Waf-fenstillstände zu überwachen, Minen zu räumen und humanitäre Hilfe zu leisten. Dieses Konzept stellte letztlich eine improvisierte und in der UN-Charta nicht vorgesehene Alternative zu dem in Kapitel VII angestrebten kollektiven Sicherheitssystem dar, das angesichts der Blockade des Sicherheitsrats durch die rivalisierenden Supermächte (bis zum Ende des Ost-West-Konflikts wurde sage und schreibe 279mal ein Veto eingelegt) nicht zustande kam. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die UN-Blauhelme im Jahre 1988 zeigte, wie Schwäche zur Tugend werden kann

Von 1948 bis 1987, also vor der Annäherung der beiden Supermächte, unternahmen die UN 13 friedenserhaltende Operationen. Die Peacekeeping-Einsätze begannen mit Beobachtermissionen in Griechenland, Palästina und anderen Staaten Sie umfaßten einige Dutzend bis wenige hundert Militärs und hatten neben einer vertrauensbildenden Aufgabe mitunter auch eine Art „Stolperdraht“ -Funktion, indem sie für erneut angreifende Streitkräfte eine Hemmschwelle bildeten Während der fünfziger und sechziger Jahre wurden größere Truppenverbände in Ägypten (UNEF, 1956-1967, Maximalstärke: 6073 Mann), Zypern (UNFICYP, ab 1964, Maximalstärke: 6411 Mann) und im Kongo (ONUC, 1960-1964, Maximalstärke: 19828 Mann) stationiert, die eine weitere Eskalation der dortigen Konflikte verhindern bzw.den Status quo stabilisieren sollten. Die United Nations Temporary Executive Authority (UNTEA) in West New Guinea/West Irian 1962 begründete eine weitere Form des UN Peacekeeping: die Verwaltung eines Gebiets im Prozeß der Entkolonialisierung

Eine gewichtige Ausnahme unter den Peacekeeping-Operationen bildete die Aktion im Kongo (1960-1964), dem heutigen Zaire Zeitweise knapp 20000 Soldaten griffen seit Juni 1960 auf Ersuchen der Zentralregierung ein, um die Sezession der reichen Provinz Katanga zu verhindern. Was als friedenserhaltende Maßnahme begann, weitete sich zu einem Kriegseinsatz aus, bei dem die Vereinten Nationen ohne hinreichende Legitimation zugunsten der kongolesischen Regierung Partei bezogen. Daß der UN-Einsatz blutig verlief und letztlich in die jahrzehntelange Herrschaft des Diktators Joseph Desire Mobutu mündete, bedeutete einen schweren Rückschlag für das Prestige der Weltorganisation.

2. Die Vereinten Nationen in der Ära nach dem Kalten Krieg

Seit der Annäherung der Supermächte 1987/88 hat sich die Bedeutung der Vereinten Nationen gewandelt. Sie kann nunmehr eine herausragende Rolle bei zahlreichen regionalen Friedensprozessen spielen. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, daß seit 1988 20 neue Peacekeeping-Operationen beschlossen wurden. Mitte 1993 waren 13, Ende 1993 sogar 17 UN-Friedensmissionen im Einsatz. Gleichzeitig sind aber viele anfängliche Erfolge auch äußerst gefährdet. »

Das Jahr 1988 las sich zunächst wie eine makellose Erfolgsbilanz der Weltorganisation, da sie maßgeblich an einer Reihe wichtiger Abkommen mitgewirkt hatte: Afghanistan, Pakistan, die UdSSR und die USA Unterzeichneten in Genf die Afghanistan-Vereinbarungen; der acht Jahre dauernde 1. Golfkrieg zwischen Iran und Irak fand ein Ende; Angola, Kuba und Südafrika einigten sich auf ein Waffenstillstands-und Truppenentflechtungsabkommen. Auch 1989 bot Lichtblicke: Vietnam zog seine Truppen aus Kambodscha ab. In Namibia gelang -ebenfalls unter Obhut der UNO und abgesichert durch die vielleicht erfolgreichste UN-Blauhelmaktion UNTAG -der demokratisch legitimierte Übergang in die Unabhängigkeit.

Die irakische Invasion in Kuwait am 2. August 1990 und der darauf folgende 2. Golfkrieg warfen einen ersten Schatten auf die so verheißungsvoll begonnene „Ära nach dem Kalten Krieg“. 1991-1993 erlitten auch in den anderen Weltregionen Friedens-und Aussöhnungsprozesse zum Teil dramatische Rückschläge. Der Krieg im früheren Jugoslawien eskalierte trotz umfassender Vermittlungsbemühungen seitens KSZE, EG unc(UNO. Die zunächst 14000 UNO-Soldaten, die in Slawonien und der Krajina stationiert wurden, trugen zwar in Kroatien zu einer gewissen Beruhigung bei, doch weitete sich der Krieg in Bosnien-Herzegowina mit unvorstellbarer Brutalität aus. 1993 sahen etwa 24000 Blauhelme in der Region mehr oder minder hilflos dem eskalierenden Kriegsgeschehen zu.

In Afghanistan lieferten sich nach dem Abzug der sowjetischen Truppen und dem Sturz der kommunistischen Regierung unter Nadschibullah im April 1992 rivalisierende Rebellenorganisationen erbitterte Kämpfe. Die Lage in Kambodscha ist auch nach der Abhaltung von Wahlen im Mai 1993 und der Beendigung der UNO-Treuhandschaft ungewiß. Die UNTAC (UN Transitional Authority in Cambodia) scheint, wie Franz Ansprenger treffend feststellt, „gerade noch mit einem blauen Auge davonzukommen“

Die zeitweise erfolgversprechenden UN-Vermittlungsbemühungen im Zypern-Konflikt und in Westsahara sind nahezu zum Erliegen gekommen. Im Westsahara-Konflikt muß sich die UNO Vorhalten lassen, dem marokkanischen König Hassan auf Druck der USA und der EG eine „Vorzugsbehandlung“ zukommen zu lassen. Er sabotiert den im Frühjahr 1991 von Weltsicherheitsrat und Vollversammlung einstimmig beschlossenen Friedensplan. USA und EG dulden dies jedoch -offensichtlich wegen ihrer militärischen, politischen und ökonomischen Interessen an der Aufrechterhaltung seines Regimes

In Angola kippte der Prozeß der Friedenskonsolidierung nach den Wahlen vom Oktober 1992 in einen äußerst brutalen Krieg um, an dessen Folgen im September 1993 bis zu 1000 Menschen täglich gestorben sein sollen Die UNAVEM II-Mission war mit 350 Militärbeobachtern viel zu klein dimensioniert, das Konzept zu wenig durchdacht, um einen positiven Einfluß auf den Konflikt zu nehmen. Es steht zu hoffen, daß die auf 7 500 Blau-helme angesetzte UNOMOZ-Operation in Mosambik mehr Erfolg haben wird: Sie soll die im Oktober 1992 in Rom erzielte Friedensvereinbarung garantieren sowie freie Wahlen vorbereiten und überwachen.

In der zweiten Jahreshälfte 1993 schließlich drohte die UN bei ihrem unter Kapitel VII UN-Charta (Zwangsmaßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens) beschlossenen Einsatz von rund 20000 Blauhelm-Soldaten in Somalia (UNOSOM II) die humanitären Zielsetzungen aus dem Auge zu verlieren und selbst zur Kriegspartei zu werden. Befürchtungen wurden laut, die UNO könnte in Somalia ihr „Vietnam“ erleben.

IV. Krieg und Frieden im ausgehenden 20. Jahrhundert: Die Vereinten Nationen an der Wegscheide

Abbildung 4: Blauhelme auf Friedensmissionen (Stand: 31. 5. 1993)

Der weltpolitische Umbruch 1989/90 stellt ein säkulares Ereignis dar. „Die tektonischen Platten, die die Weltpolitik ein halbes Jahrhundert trugen, haben sich verschoben“ -so beschreibt Joseph S. Nye es anschaulich. Heute werden grundlegende Richtungsentscheidungen getroffen, die sorgsam abgewogen sein wollen. Zugleich aber muß eine nüchterne Politik berücksichtigen, daß sich die dynamischen Prozesse des Weltgeschehens nicht oder nur vorübergehend in eine am Reißbrett entworfene Architektur zwängen lassen.

Die Vereinten Nationen tun vor diesem Hintergrund gut daran, eine Anpassung an veränderte Realitäten vorzunehmen, ohne sich dabei mit einem allumfassenden Machbarkeitsanspruch bei der Lösung kriegerischer Konflikte zu übernehmen und unerfüllbare Erwartungen zu wecken. Dies käme nämlich einer Art „universalist overstretch“, einer universalistischen Überforderung, gleich. Die Zunahme sicherheitspolitischer Aufgaben darf zudem -wie gerade Vertreter der Entwicklungsländer betonen -nicht dazu führen, daß die Vereinten Nationen ihre entwicklungspolitische Verantwortung gegenüber den armen Ländern des Südens vergessen

Die in der jüngsten Vergangenheit gemachten Erfahrungen mit Krieg und friedlicher Streitbeilegung wie auch die aktuellen Schwierigkeiten in den von den UN mitgestalteten Friedensprozessen bieten reichlich Anschauungsmaterial, vor dessen Hintergrund sich einige Wegmarkierungen für die künftige Rolle der Vereinten Nationen angeben lassen. 1. Effektives „low profile“ anstelle einer universalistischen Überforderung Krieg ist auch in der „neuen Welt(un) ordnung“ eine grausame und zerstörerische Realität für die Menschen in zahlreichen Weltregionen. Angesichts von derzeit etwa 50 kriegerischen Konflikten, davon ungefähr 20 Kriegen mit mehr als 1000 Todesopfern im Jahr, müssen die Vereinten Nationen schon allein wegen ihrer beschränkten finanziellen und materiellen Ressourcen ein „low profile“ an den Tag legen. Auch wenn über 80000 Blauhelme im Jahre 1993 eindrucksvoll demonstrierten, daß die UNO weltweit gefragt ist (vgl. Abb. 4): Mehr als ein partielles Engagement mit eingeschränkten Erfolgschancen ist nicht möglich. Dieses aber sollte nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt werden.

Damit die Vereinten Nationen dazu in der Lage sind, ist eine Verbesserung der logistischen und organisatorischen Ausstattung des völlig unterbesetzten Peacekeeping-Stabs in New York (der 1992 von 15 auf 50 Personen aufgestockt wurde) sowie eine dauerhafte Finanzierung der Peacekeeping-Operationen vonnöten. Die Kosten der UN-Einsätze im Jahr 1993, für die ursprünglich 1, 6 Mrd. US-Dollar angesetzt waren, dürften sich auf über 4, 2 Mrd. US-Dollar belaufen Dies ist eine stolze Summe, macht aber nur etwa ein halbes Prozent der weltweiten Militärausgaben in Höhe von etwa 750 bis 800 Mrd. US-Dollar (Preise von 1988) im Jahr 1993 aus Gleichzeitig hatten die UN im September 1993 Außenstände für Peacekeeping-Öperationen in Höhe von 1, 1 Mrd. US-Dollar Es ist ein schier untragbarer Zustand, daß der UN-Generalsekretär einen wichtigen Teil seiner Zeit damit verbringt, als Kollektensammler und potentieller Konkursverwalter tätig zu sein. 2. Fallorientiertes Konfliktmanagement anstelle einer Stilisierung von Einsätzen zu Präzedenzfällen

Das Handeln der Vereinten Nationen hat durch die mediale Vernetzung im „CNN“ -Zeitalter durchaus Auswirkungen auf andere Konfliktherde, wie die geschickte Nutzung des Somalia-Debakels durch die Machthaber in Haiti zeigt, die im Oktober 1993 mit einer inszenierten Minidemonstration von etwa hundert Vandalen die Landung von 200 amerikanischen Blauhelmsoldaten verhinderten und den Abzug von 300 UN-Beobachtern bewirkten. Zugleich muß jedoch davor gewarnt werden, einzelnen Aktionen Präzedenzwirkung zuzusprechen. Die zwei Kriege seit 1945, die vom UN-Sicherheitsrat autorisiert wurden, zeigen dies: Das im Korea-Krieg (1950-1953) wirksam eingesetzte Schreckensszenario einer nach der Domino-Theorie zusammenstürzenden westlichen Einflußsphäre war ebenso ein Popanz wie die Vorstellung, mit dem Krieg gegen die Aggression Saddam Husseins auf Kuwait werde das Völkerrecht als Herrscherin über die Weltgeschicke inthronisiert. Auch die UN-Einsätze in Somalia und Kambodscha werden nicht als Modell für die vielfältigen und komplizierten Konfliktlagen der neunziger Jahre dienen können. Ein gelungenes, fallorientiertes Konfliktmanagement dürfte von daher mittelfristig mehr Ausstrahlungskraft haben als hochstilisierte Großaktionen. Dem Völkerrecht dürfte im übrigen am ehesten gedient sein, wenn man es als generelle Verpflichtung außenpolitischen Handelns versteht und es nicht (je nach Interessenlage) selektiv für militärische Zwecke herbeizitiert.

3. Klare Aufträge statt diffuser Aufgabenzuweisungen

Daß die in die Vereinten Nationen gesetzten Hoffnungen Enttäuschung und neuer Ohnmacht zu weichen drohen, hat zu einem gewissen Teil mit den überstürzt unternommenen Operationen in Kambodscha, dem früheren Jugoslawien und Somalia zu tun, deren Aufträge unklar waren und deren Ergebnisse äußerst ambivalent sind. Ähnlich wie beim Kongo-Einsatz 1960-1964 ist der „gute Ruf“ der UN als neutrale Schiedsinstanz gefährdet.

In jüngster Zeit wird des öfteren ein „robustes Peacekeeping“ gefordert, um größere Aufträge adäquat erfüllen zu können. UN-Truppen sollen dabei von ihrem Auftrag und ihrer Ausrüstung her befähigt sein, bei Verletzung von Waffenruhen und in ähnlichen Krisensituationen die Lage militärisch unter Kontrolle zu bekommen Das Konzept ist sicherlich bedenkenswert. Doch so verführerisch der Begriff „robust“ klingen mag: Er darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch gut bewaffnete Peacekeeping-Truppen in einem Bürgerkriegsmorast versinken können Reguläre Streitkräfte haben gegenüber Guerilla-Truppen selten die Oberhand gewonnen -es sei denn, sie waren zu massiven und gezielten Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung bereit. Dies verbietet sich generell und für die UN ganz besonders.

Soll Peacekeeping eine dauerhafte Friedenskonsolidierung einleiten, kommt es -ob robust oder nicht -an einem ernstgemeinten (und nicht nur vorgeblichen) Konsens der Kriegsparteien und damit einer Verständigung im Lande selbst nicht vorbei. Außenstehende verfügen i. d. R. nicht über die Kenntnisse und Ressourcen, den politischen Wiederaufbau eines fremden Staates zu gestalten

4. Humanitäre Intervention -kein Allheilmittel und selbst als allerletztes Mittel zweischneidig

Weiter reichende Vorstellungen gehen dahin, daß die Vereinten Nationen bei massiven Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit militärischen Mitteln eingreifen. Eine derartige „humanitäre Intervention“ unternahmen die westlichen Alliierten im unmittelbaren Anschluß an den 2. Golfkrieg im Frühjahr 1991, als sie 10000 Soldaten zur Errichtung einer Schutzzone für die Kurden im Nordirak entsandten. Vorausgegangen war ein Beschluß des UN-Sicherheitsrats: Mit der Resolution 688 vom 5. April 1991 schuf er ein völkerrechtliches Hilfskonstrukt, das es den westlichen Alliierten ermöglichte, in die durch Art. 2 Abs. 7 UN-Charta garantierte Souveränität des Irak einzugreifen Ein zweites Mal reagierte der UN-Sicherheitsrat in Somalia, als immer dramatischere Fernsehbilder die Menschheitskatastrophe am Horn von Afrika in die Wohnstuben brachten. In der Resolution 794 vom 3. Dezember 1992 erteilte er den Mitgliedstaaten das Mandat, die Auslieferung humanitärer Hilfsgüter auch mit militärischen Mitteln sicherzustellen. Die 30000 Mann starke multinationale Truppe unter Führung der USA, die ab 9. Dezember 1992 in Somalia landete, wurde 1993 nach und nach durch UN-Blauhelme abgelöst.

Die bisherigen Erfahrungen lehren, daß „humanitäre Interventionen“ nur in Extremfällen (Völkermord, massenhaftes Sterben infolge von Krieg, Hungersnot und Chaos) und als allerletztes Mittel in Frage kommen. Selbst dann bleiben militärische Hilfsaktionen aber zweischneidig, solange ihr Verlauf von innenpolitischen Schwankungen der beteiligten Staaten abhängt und sich nicht an klar definierten Kriterien orientiert

5. Professionelle UN-Soldaten -weder „blaue Engel“ noch „Rambos“

Blauhelm-Soldaten können Positives bewirken. Sie leisten respektable Einsätze und leben gefährlich: Bis Januar 1992 kamen mehr als 800 Men-sehen im Rahmen friedenserhaltender Maßnahmen ums Leben und die Zahl ist in den vergangenen zwei Jahren erheblich angestiegen. Zugleich aber macht es wenig Sinn, die Bereitstellung von Truppen höher zu bewerten als beispielsweise den Einsatz ziviler Katastrophenkorps. Auch führt es an der Realität vorbei, UNO-Soldaten als „blaue Engel“ o. ä. zu überhöhen, denn ihre Anwesenheit birgt auch Schattenseiten in sich: Wo fremde Truppen stationiert sind, gibt es Prostitution, nimmt Drogenhandel zu, blühen Schwarzmarkt und Korruption, entsteht eine kleine Luxusökonomie, die in der Bevölkerung Mißtrauen und Mißgunst weckt. Vor der Entsendung großer Truppenkontingente sollte deshalb stets ihre Wirkung auf die betroffenen Menschen bedacht werden. Das, was sozialtechnokratisch „Akzeptanz“ genannt wird, ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg umfangreicher Aktionen. Nicht zuletzt bedürfen die Soldaten, wie sich von den skandinavischen Staaten und Österreich lernen läßt, einer speziellen Ausbildung: Das Verhalten friedenserhaltender Blauhelme in Krisensituationen fordert andere Eigenschaften als das Handeln im Kampfeinsatz. Erschreckende Nachrichten von Ausschreitungen einiger UN-Soldaten in Somalia sind ein warnendes Beispiel.

6. Ethnonationaler Ausgleich statt „Kampf der Kulturen“

So neu, wie oftmals behauptet, sind die Kriegskonstellationen der neunziger Jahre nicht. Ein „Kampf der Kulturen“, wie der renommierte Politologe Samuel P. Huntington in einem essayistischen Schnellschuß behauptet, ist weder in der Mehrzahl der aktuellen Kriege auszumachen, noch wird er das bestimmende Merkmal der Zukunft sein Dennoch hat mit dem Zusammenbruch der autoritär-diktatorischen Vielvölkerstaaten Jugoslawien und Sowjetunion sowie mit dem Wegfall einer Ost-West-Überwölbung regionaler Konfliktkonstellationen ein bestimmter Kriegstyp an Bedeutung gewonnen: 1990-1992 waren 10 der 18 neu begonnenen Kriege primär ethno-national be-stimmt. Mehr als die Hälfte der zur Zeit laufenden Kriege haben ethnisch-kulturelle Hintergründe Militärische Maßnahmen sind hier, wie vergleichende Fallstudien zu Interventionen in ethnische Konflikte zeigen, besonders diffizil und an sehr restriktive Erfolgsbedingungen gebunden

Weitaus wichtiger ist es vor diesem Hintergrund, die bisherigen Erfahrungen mit Mediationsverfahren unter praxisorientierten Gesichtspunkten zu systematisieren und entsprechende Forschungsund Trainingszentren zu fördern. Zweitens sollten Regeln entwickelt und durch diplomatische Maßnahmen gestützt werden, die in Mehrheiten-Minderheiten-Konflikten friedliche Wege aufzeigen. Konflikte sollten dabei nicht länger in der Logik eines „Nullsummenspiels“ interpretiert werden, bei dem der Gewinn des einen mit einem Verlust des anderen einhergeht. Statt dessen geht es um kreative Lösungen, aus denen beide Seiten Vorteile ziehen („win-win-outcome“).

Ob die jeweilige Regelung auf eine Fortdauer des staatlichen Zusammenhaltes unter Etablierung weitgehender Autonomieregelungen hinausläuft oder aber zu einer geordneten Sezession führt, bei der neu gebildeten Minderheitengruppen substantielle Selbstbestimmungsrechte eingeräumt werden, sollte dann nicht mehr zur Glaubensfrage werden Regionalorganisationen wie die KSZE, die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sowie eventuell auch die Arabische Liga und die Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN) sind aufgrund der regional jeweils unterschiedlichen Bedingungen gefordert, zu einer derartigen Normbildung beizutragen Daneben gilt es, den Vermittlungsversuchen nichtstaatlicher Akteure (Menschenrechtsgruppen, Friedensinitiativen etc.) mehr Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen

7. Frühwarnung -auch auf die Gefahr eines Fehlalarms hin

Die internationale Staatengemeinschaft braucht ein Frühwarnsystem, das auf potentiell gewaltsame Konflikte rechtzeitig hinweist und mit Maßnahmen präventiver Diplomatie abgestimmt ist. „Ein Quentchen Vorbeugung ist weitaus besser als eine Tonne Bestrafung“ -diese Lektion, die Stanley Hoffmann aus dem Golf-Krieg gezogen hat, läßt sich auf viele weitere kriegerische Konflikte übertragen Erfahrungen mit entsprechenden Projekten in der US-Sicherheitspolitik mahnen dazu, ein derartiges Early Warning System unübersehbar und in direkter Nähe der höchsten Entscheidungsgremien zu implementieren, im Falle der Vereinten Nationen also beim Generalsekretär und Sicherheitsrat. Denn bürokratische und politische Entscheidungsträger neigen aus

Angst vor der möglichen Blamage eines Fehlalarms dazu, erst dann zu reagieren, wenn es schon zu spät ist Ein Frühwarnsystem wäre außerdem so auszugestalten, daß politische Interessenunterschiede im Sicherheitsrat es nicht gänzlich lahmzulegen vermögen. Das Verhalten der UNO in Somalia 1991 und 1992 ist übrigens ein tragisches Musterbeispiel dafür, wie trotz ausreichender Informationen Chance um Chance zu einem friedlichen Eingreifen verpaßt wurde.

V. Schlußbemerkung

Abbildung 5: Agenda für den Frieden

Jeff Laurenti von der privaten United Nations Association of the United States (UNA-USA) gebrauchte ein anschauliches Bild, um die Herausbildung friedenserhaltender Maßnahmen in der Anfangsphase des Kalten Krieges zu beschreiben: „Der Traum von den Vereinten Nationen als Weltpolizist wurde auf die Vorstellung von einer freiwilligen Weltfeuerwehr heruntergeschraubt.“ So schön -so gut, mochte man bis 1988/89 meinen. Worum es aber heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, in aller Bescheidenheit gehen könnte, hat Franz Ansprenger in einem verwandten Bild formuliert: nämlich um „eine weltweite Berufsfeuerwehr-Leitzentrale anstelle der bisher eingesetzten freiwilligen Feuerwehren aus diverser Herren Länder“

Wenn dieser Berufsfeuerwehr nicht ständig der Geldhahn zugedreht wird, wenn ihre Einsätze auch einer kritischen Überprüfung unterworfen werden, aber vor allem (und mit drei Ausrufezeichen): wenn weitaus wirksamere Brandschutzbestimmungen als bisher verwirklicht werden -dann könnte ein derartiger Schritt vielleicht mehr sein als der berühmt-berüchtigte Tropfen auf den heißen Stein: Er wäre vielleicht einer jener steten Tropfen, die den Stein höhlen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dieter Senghaas, Friedensprojekt Europa, Frankfurt/M. 1992.

  2. Das Leitbild einer „neuen Weltordnung“ wurde von US-Präsident Bush das erste Mal im Kontext der Vorbereitungen des 2. Golfkriegs entworfen, nämlich am 11. September 1990 in einer Rede vor dem Kongreß. Vgl. George Bush. Toward a New World Order, US Department of State Dispatch, Vol. l (17. September 1990), No. 3, S. 91-94. Die in der Diskussion um eine „neue Weltordnung“ erschienenen Publikationen sind mittlerweile Legion.

  3. Vgl. Ulrich Menzel, Das Ende der „Dritten Welt“ und das Scheitern der großen Theorie. Zur Soziologie einer Disziplin in auch selbstkritischer Absicht, in: Politische Vierteljahresschrift, 32 (1991) 1, S. 4-33; Richard E. Bissei, Who killed the Third World?, in: The Washington Quarterly, 13 (1990) 4, S. 23-32.

  4. Vgl. hierzu Jean-Christophe Rufin, Das Reich und die neuen Barbaren, Berlin 1993, sowie die Rezension von Erhard Eppler, Ein Limes teilt die Welt, in: DER SPIEGEL, Nr. 43 vom 25. Oktober 1993, S. 78-87. Beispiele für vergessene Kriege gibt es v. a. in Afrika, so etwa im Sudan, in Liberia, Angola, Ruanda und Burundi.

  5. Während des Wahlkampfes hatte Clinton u. a.den Vorschlag Boutros-Ghalis nach Errichtung einer ständigen freiwilligen UN-Eingreiftruppe unterstützt, so etwa in seiner Rede vor der United Nations Association of the USA (UNAUSA) am 9. Oktober 1992, dokumentiert in: U S. Policy Information and Texts vom 13. 10. 1992, S. 17 f.

  6. Nach den skandalösen und größtenteils fehlgeschlagenen Einsätzen der US-Ranger in Mogadischu vom Herbst 1993 schob der US-Präsident die Schuld den Vereinten Nationen zu und erklärte, er sei immer weniger bereit, unter UN-Strukturen mitzuarbeiten, die nicht „die Unterstützung gewähren, die wir brauchen, um unsere Leute zu schützen“. Vgl. UN-Praxis in Somalia empört Clinton, in: Frankfurter Rundschau vom 7. Oktober 1993, S. 10.

  7. Auf die gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Folgen von Kriegen gehe ich ausführlicher ein in: Tobias Debiel, Kriege, in: Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Globale Trends 93/94. Daten zur Weltentwicklung, Frankfurt/M. 1993, S. 177-197 (hier: S. 183-187).

  8. Vgl. U. S. Committee for Refugees, World Refugee Sur-vey 1993, Washington (D. C.) 1993, S. 50-52. Die Angaben für Menschen in flüchtlingsähnlichen Situationen und Binnenflüchtlinge sind mit z. T. erheblichen Unsicherheiten belastet und nicht vollständig.

  9. Die folgenden Daten stützen sich auf: AKUF (Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung), Daten des Kriegeregisters zu den Kriegen der Welt 1945-1992 (Stand: 31. 12. 1992), Hamburg 1993, Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung des Instituts für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg.

  10. Die AKUF definiert Krieg als gewaltsamen Massenkonflikt mit drei Merkmalen: a) es sind zwei oder mehr Streitkräfte beteiligt, darunter mindestens auf einer Seite reguläre Regierungsstreitkräfte; b) auf beiden Seiten gibt es ein Mindestmaß an zentralgelenkter Organisation; c) die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kontinuität. Vgl. Klaus Jürgen Gantzel/Torsten Schwinghammer/Jens Siegelberg, Kriege der Welt. Ein systematisches Register der kriegerischen Konflikte 1985 bis 1992. Stiftung Entwicklung und Frieden, Bonn 19922 (= Interdependenz, Nr. 13), S. 6.

  11. Aktuelle Beispiele finden sich vor allem in Afrika, so die Bürgerkriege im Sudan (seit 1983), im Tschad (seit 1966) und in Angola (seit 1976). Aber auch in anderen Weltregionen gibt es eine Vielzahl derartiger langdauernder und komplexer Kriege, für die sich der englische Fachterminus „protracted conflicts“ (langwierige Konflikte) eingebürgert hat: Im Mittleren Osten etwa die Kurdenkonflikte in Irak, Türkei und Iran; in Süd-und Südostasien der Tamilenkonflikt in Sri Lanka (seit 1983) sowie die ethnischen und gegen das Militärregime gerichteten Kriege (seit 1948) in Myanmar, dem früheren Birma.

  12. Das Forschungsprojekt ist am Department Peace and Conflict Research der Uppsala University angesiedelt. Seit 1987 veröffentlicht es einen Teil seiner Ergebnisse u. a. im renommierten Jahrbuch des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI. Vgl. aktuell: Ramses Amer u. a., Major Armed Conflicts, in: SIPRI Yearbook 1993, World Armaments and Disarmament, Oxford u. a. 1993, S. 81-130.

  13. Die Angaben stützen sich auf: Peter Wallensteen/Karin Axell, Armed Conflict at the End of the Cold War, 1989-92, in: Journal of Peace Research, 30 (1993) 3, S. 331-346 (hier: S. 332-334). Im SIPRI Yearbook werden im Unterschied zu den hier vorgestellten Daten nur die „Conflict locations with at least one major armed conflict“ berichtet -eine Kategorie, die sich von den hier vorgestellten Einteilungen unterscheidet.

  14. Spätestens an dieser Stelle mag die „Kriegsbuchhalterei“ angesichts des durch Krieg verursachten Leids unangemessen erscheinen. Doch läßt sich ohne Zahlen und Daten nicht angeben, wo, warum und mit welcher Intensität in aller Welt Kriege geführt wurden.

  15. Philosphisch begründete Immanuel Kant in seiner Abhandlung „Zum ewigen Frieden“ (1795) den Gedanken, daß ein dauerhafter Friede nur unter republikanisch verfaßten Staaten möglich sei. Einen guten Überblick zur aktuellen Diskussion geben u. a.: Volker Rittberger, Zur Friedensfähigkeit von Demokratien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/87, S. 3— 12; Martin Mendler, Demokratie und Kapitalismus als Garanten für ein friedliches Außenverhalten?, in: antimilitarismus Information (ami), 23 (1993) 5, S. 11-28; Günther Bächler, Gewaltverzicht durch Demokratisierung, in: Wolfgang R. Vogt (Hrsg.), Mut zum Frieden, Darmstadt 1990, S. 176-187.

  16. Eine Übersicht zur Frage, ob Frieden durch Integration gefördert wird, bietet die exzellente Studie: Martin Mendler/Wolfgang Schwegler-Rohmeis, Weder Drachentöter noch Sicherheitsingenieur, Frankfurt 1989 (HSFK-Forschungsbericht 3/1989), S. 74-91.

  17. Einer der scharfsinnigsten Denker dieser „realistischen Schule“, John J. Mearsheimer, fürchtet konsequenterweise, daß Europa nach dem Ende des Kalten Krieges von Nationalismus und Krieg zerrütet würde und selbst unter den wohlhabenden Industrienationen alte Machtkonkurrenzen wiederaufflammten und Kriege möglich seien. Vgl. zu diesem drastischen Szenario: John J. Mearsheimer, Back to the Future. Instability in Europe After the Gold War, in: International Security, 15 (1990) 1, S. 5-56.

  18. Vgl. AKUF (Anm. 9).

  19. Vgl. zu den territorialen und ethnischen Konfliktkonstellationen in den Nachfolgerepubliken der Sowjetunion: Bernd Johann, GUS ohne Zukunft? Eine Region zwischen Zerfall und neuen Allianzen, Stiftung Entwicklung und Frieden, Bonn 1993, (= Interdependenz, Nr. 15), insbesondere S. 16-27.

  20. Vgl. zum Verhandlungsprozeß um Namibia seit 1977: Vivienne Jabri, Mediating Conflict: Decision Making and Western Intervention in Namibia, Manchester-New York 1990.

  21. Vgl. für einen Überblick zu den Methoden friedlicher Streitbeilegung: Thania Paffenholz, „Die Waffen nieder!“ Konzepte und Wege der Kriegsbeendigung, in: Volker Matthies (Hrsg.), Frieden durch Einmischung?, Bonn 1993, S. 57-68 (hier: S. 60-62); Peter Billing, Eskalation und Deeskalation internationaler Konflikte. Ein Konfliktmodell auf der Grundlage der empirischen Auswertung von 288 internationalen Konflikten seit 1945, Frankfurt/M. u. a. 1992, S. 57-58.

  22. Vgl. P. Billing (Anm. 21), S. 318.

  23. Vgl. P. Billing (Anm. 21), S. 245. Die Dissertation von Billing stützt sich auf die Datenbank des seit 1987 an der Universität Heidelberg durchgeführten Forschungsprojekts KOSIMO (KOnfliktSImulationsMOdell).

  24. Vgl. Jacob Bercovitch/J. Theodore Anagnoson/Donette L. Wille, Some Conceptual Issues and Empirical Trends in the Study of Successful Mediation in International Relations, in: Journal of Peace Research, 28 (1991) 1, S. 7-17 (hier: S. 9-10).

  25. Vgl. ebd.; P. Billing (Anm. 21); Hugh Miall, The Peacemakers. Peaceful Settlement of Disputes Since 1945, London u. a. 1992; Frank R. Pietsch, Internationale und nationale Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Politische Vierteljahresschrift, 32 (1991) 2, S. 258-285.

  26. Vgl. William I. Zartman, Ripe for Resolution. Conflict and Intervention in Alrica, New York-Oxford 1989.

  27. Vgl. J. Bercovitch u. a. 1991 (Anm. 24), S. 16.

  28. Vgl. u. a. F. R. Fletsch (Anm. 25), S. 279; K. J. Holst!, International Politics, Englewood Cliffs (N. J.) 19926, S. 374.

  29. Vgl. z. B. Michael Renner, Critical Juncture: The Future of Peacekeeping, Washington (D. C.) 1993, S. 26-38.

  30. Vgl. zum folgenden Roger Hill, Preventive Diplomacy, Peace-making and Peace-keeping, in: SIPRI Yearbook 1993, World Armaments and Disarmament, Oxford u. a. 1993, S. 45-65 (hier: S. 52-53).

  31. Vgl. hierzu Franz Ansprenger, Blauhelme -Hoffnung und Alpdruck der Vereinten Nationen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 38 (1993) 11, S. 1321-1332 (hier: S. 1325-1326). Ansprenger unterscheidet in seinem Aufsatz drei Kategorien von UN-Blauhelm-Einsätzen: das Stolperdraht-Modell, das Stabilisator-Modell, das Entkolonialisierungsmodell.

  32. Im konkreten Fall wurde die Administration West New Guineas in der Übergangsphase von niederländischer Kolonialherrschaft zur vorläufigen Verwaltung durch Indonesien übernommen. Daß die südostasiatische Regionalmacht sich die Insel kurz darauf durch Annexion einverleibte (1969), wirft freilich ein schlechtes Licht auf die Aktion.

  33. Operation des Nations Unies au Congo (ONUC). Vgl. zum folgenden Peter Bardehle, Soldaten für den Frieden. Grundlagen und Formen des UN-Peacekeeping, in: Europa-Archiv, 43 (1988) 20, S. 591-598 (hier: S. 594); Kim R. Holmes, New World Disorder: A Critique of the United Nations, in: Journal of International Affairs, 46 (1993) 2, S. 323-340 (hier: S. 333f.).

  34. UNTAG steht für United Nations Transition Assistance Group. Die Operation, die insbesondere die Abhaltung freier und fairer Wahlen garantierte, umfaßte ca. 4500 Soldaten, 1500 Polizisten und 2 000 zivile Beobachter.

  35. F. Ansprenger (Anm. 31), S. 1331.

  36. Vgl. Karl Rössel, „Notre ami, le roi du Maroc“. USA und EG dulden Hassans Sabotage des UNO-Friedensplanes, in: blätter des iz 3w, Nr. 180, März/April 1992, S. 10-14.

  37. Vgl. Unita drohen UN-Sanktionen (Im Blickpunkt: Angola), in: Frankfurter Rundschau vom 15. September 1993, S. 5.

  38. Joseph S. Nye, American Strategy After Bipolarity, in: International Affairs, 66 (1990) 3, S. 513, zit. nach: Daniel N. Nelson, Security After Hegemony, in: Bulletin of Peace Proposals, 22 (1991) 3, S. 335-345 (hier: S. 335, deutsche Übersetzung: T. D.).

  39. Vgl. z. B. South Centre, The United Nations at a Critical Crossroads, Time for the South to Act, Genf-Dar-es-Salaam, October 1992.

  40. Vgl. Enid C. B. Schoettle, Kein Geld für den Frieden? Die Finanzierung der UN-Friedenserhaltung, in: Europa-Archiv, 48 (1993) 16, S. 453-462 (hier: S. 454).

  41. Eigene Schätzung, die Angaben des Stockholmer Friedensforschengsinstituts SIPRI und des UN-Entwicklungsprogramms UNDP berücksichtigt. Für den Zeitraum 1991 bis 1993 gehe ich davon aus, daß die weltweiten Militärausgaben um jährlich drei bis fünf Prozent zurückgegangen sind.

  42. Vgl. UNO Woche, 9 (1993) 19, S. 8. Die USA, neben Rußland der Hauptschuldner, haben mittlerweile den größten Teil ihrer ausstehenden Gelder überwiesen.

  43. Boutros-Ghali schlägt in diesem Sinne Truppen zur Friedensdurchsetzung vor, die sich an Art. 40 der UN-Charta anlehnen (vorläufige Maßnahmen des Sicherheitsrats). Vgl. Boutros Boutros-Ghali, Agenda für den Frieden. Bericht des Generalsekretärs vom Juni 1992, dokumentiert in: Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Die Agenda für den Frieden, Bonn 1993, S. 19-65 (hier: Ziffer 44). Das Konzept des „robusten Peacekeeping“ wird in der bundesdeutschen Diskussion insbesondere von Winrich Kühne vertreten. Daß er in den Aufgabenkatalog auch die Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit einbezieht, stimmt freilich bedenklich, wird damit doch die Abgrenzung zum „Peaceenforcement“ (militärische Zwangsmaßnahmen) gänzlich verwischt. Vgl. Winrich Kühne, Ohne Soldaten geht es nicht! Rettung aus der Not durch „robuste Blauhelmeinsätze“, in: Volker Matthies (Hrsg.), Frieden durch Einmischung?, Bonn 1993, S. 123-138 (insbesondere S. 130-132).

  44. Vgl. Jochen Hippier, Krieg und Chaos. Irreguläre Kriegführung und die Schwierigkeiten externer Interventionen, in: V. Matthies, ebd., S. 139-154 (hier: S. 150-154).

  45. Vgl. „Wir versuchen den Somalis unser Entwaffnungskonzept aufzuzwingen“. Interview mit Frank Crigler, dem ehemaligen US-Botschafter in Somalia, über den Kurswechsel Präsident Clintons und die Fehler der amerikanischen Politik, in: Frankfurter Rundschau vom 11. Oktober 1993, S. 2.

  46. Vgl. Hans-Joachim Heintze/Messeletch Worku, Golfkrieg und Jugoslawienkrise -Einwirkungen auf das Völkerrecht. Angeblich „historische“ Sicherheitsresolution 688 bringt noch keinen Durchbruch, in: Sicherheit und Frieden (S + F), 10 (1992) 1, S. 16-20 (hier: S. 16-17).

  47. Ich habe einen entsprechenden Kriterienkatalog vorgeschlagen in: Tobias Debiel, Humanitäre Intervention. Moralische Pflicht oder Türöffner für neokoloniale Machtpolitik?, in: antimilitarismus Information (ami), 22 (1992) 10, S. 9-14. Die Somalia-Operation zeigt freilich, wie ziel-und planlos Interventionen in der Realität verlaufen können. Eine kluge Abwägung der Gesamtproblematik gibt Klaus Otto Nass, Grenzen und Gefahren humanitärer Interventionen, in: Europa-Archiv, 48 (1993) 10, S. 279-288.

  48. Vgl. B. Boutros-Ghali (Anm. 43), Ziffer 47.

  49. Vgl. Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations?, in: Foreign Affairs, 72 (1993) 3, S. 22-49. In deutscher Sprache erschien eine gekürzte Version des Artikels unter dem Titel „Im Kampf der Kulturen“ in: Die Zeit vom 13. August 1993, S. 3. Die wichtigsten Einwände gegen Huntingtons These finden sich in Kommentaren von Fouad Ajami, Kishore Mahbubani, Robert L. Bartley, Liu Binyan, Jeane J. Kirkpatrick, Albert L. Weeks und Gerard Fiel, in: Foreign Affairs, 72(1993) 4, 8. 2-26.

  50. Vgl. AKUF (Anm. 9). Eine eingehende Analyse und Systematisierung ethno-nationaler Konfliktkonstellationen in der neuen Weltordnung unternimmt Chris Scherrer, Ethno-Nationalismus als globales Phänomen. Ethnizität und die Krise der Staaten in der Dritten Welt sowie der früheren UdSSR, Institut für Entwicklung und Frieden, Duisburg, INEF-Report, (1994) 6.

  51. Vgl. Robert Cooper/Mats Berdal, Outside Intervention in Ethnie Conflicts, in: Survival, 35 (1993) 1, S. 118-142 (hier S. 134-140).

  52. Siehe hierzu: Jenonne Walker, International Mediation of Ethnie Conflicts, in: Survival, 35 (1993) 1, S. 102-117.

  53. Ein erster Ansatz für derartige „Sezessionsregime“ findet sich bei: Norbert Ropers/Peter Schlotter, Minderheitenschutz und Staatszerfall: Normbildung im KSZE-Prozeß, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 38 (1993) 7, S. 859-871.

  54. Insbesondere Afrika, dessen postkoloniale Regierungen die Grenzziehungen bislang nicht angetastet haben, steht vor der Frage staatlicher Neubildungen. Ob mit der Unabhängigkeit Eritreas am 24. Mai 1993, die nach dem Sturz des Mengistu-Regimes möglich wurde, die Büchse der Pandora geöffnet oder aber ein Modell für eine einvemehmliche Loslösung geschaffen wurde, muß sich erweisen.

  55. In Lateinamerika spielt die Frage von Sezessionen heute kaum eine Rolle. Worum es hier aber geht, sind Autonomiebestimmungen und die Garantie elementarer Menschenrechte für die indigenen Völker.

  56. Bei Peacekeeping-E'msätzen hingegen sollten die Regionalorganisationen aus einer Reihe von Gründen, insbesondere wegen der Gefahr eines Machtmißbrauchs regionaler Vormächte, Zurückhaltung üben. Die Vereinten Nationen dürften hier in der Regel über einen „komparativen Vorteil“ verfügen. Siehe die klug argumentierende Studie von Paul F. Diehl, Institutional Alternatives to Traditional U. N. Peacekeeping: An Assessment of Regional and Multinational Options, in: Armed forces & Society, 19 (1993) 2, S. 209-230.

  57. Das maßgeblich von John Burton entwickelte Konzept problemlösungsorientierter Workshops, bei dem private Gruppen und Organisationen die Vertreter von Konfliktparteien (zumeist unterhalb der obersten Führungsebene) zusammenbringen, ist ein bereits mehrfach praktizierter Ansatz. Vgl. z. B. John Burton, Conflict Resolution and Prevention, London 1990. Aktive Mediatoren im nichtstaatlichen Bereich sind beispielsweise die Helsinki Citizens Assembly (HCA), Prag, International Alert (IA), London, sowie das vom früheren US-Präsidenten Jimmy Carter ins Leben gerufene International Negotiation Network (INN) am Carter Centre of Emory University in Atlanta, Georgia. In der Bundesrepublik Deutschland baut das Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung in Berlin zur Zeit entsprechende Expertisen auf.

  58. Stanley Hoffmann, Avoiding New World Disorder, in: The New York Times vom 25. Februar 1991, zit. nach: Alan K. Henrikson, How Can the Vision of a „New World Order“ Be Realized?, in: World Affairs, 16 (1992) 1, S. 63-79 (hier: S. 74, Übersetzung: T. D.).

  59. Vgl. Urs Leimbacher, Krisenmanagement -die Herausforderung der neunziger Jahre, in: Europa-Archiv, 48 (1993) 17, S. 481-489. Der Autor zeigt auf, wie sowohl beim Umsturz in Iran (1979) als auch bei der irakischen Invasion in Kuwait (August 1990) klare Krisenwarnzeichen von den höchsten Entscheidungsträgem ignoriert wurden.

  60. Zit. nach M. Renner (Anm. 29), S. 27 (Übersetzung: T. D.).

  61. F. Ansprenger (Anm. 31), S. 1332.

Weitere Inhalte

Tobias Debiel, M. A., geb. 1963; Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Volkswirtschaft und Philosophie in Bonn; seit 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität-Gesamthochschule-Duisburg. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Ingo Zander, unter Mitarbeit von Herbert Wulf) Die Friedensdividende der 90er Jahre. Chancen und Grenzen der Umwidmung von Militärausgaben zugunsten ziviler Zwecke, Bonn 1992; Ein Schritt vor, zwei zurück? Außen-und sicherheitspolitische Gehversuche der Clinton-Administration, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 38 (1993) 8; Die europäischamerikanischen Beziehungen 1985-1992. Wirtschafts-und Sicherheitspolitik im Übergang, Münster-Hamburg (i. E.).