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Wie der Gewalt widerstehen? Die Frage legitimer Gegengewalt als ethisches und politisches Problem | APuZ 2/1994 | bpb.de

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APuZ 2/1994 Kriegerische Konflikte, friedliche Streitbeilegung und die Vereinten Nationen Die Friedenssicherung der Vereinten Nationen in der Krise? Eine Zwischenbilanz Wie der Gewalt widerstehen? Die Frage legitimer Gegengewalt als ethisches und politisches Problem Ziviler Friedensdienst, Europäische Legion oder „Weltbürger in Uniform“? Deutsche Außen-und Sicherheitspolitik vor neuen Herausforderungen

Wie der Gewalt widerstehen? Die Frage legitimer Gegengewalt als ethisches und politisches Problem

Gert Krell

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der Zeit des Ost-West-Konflikts und der Entspannungspolitik erschien gerade in Deutschland die Stilllegung des Militärischen plausibel. Dem tatsächlichen Einsatz im Fall der Verteidigung fehlten angesichts der nuklearen Abschreckung im Bewußtsein der Öffentlichkeit Begründung und Legitimation; die Frage einer militärischen Beteiligung im Rahmen kollektiver Sicherheit stellte sich nicht. Mit dem Ende der durch Ideologie und nukleare Abschreckung geteilten Ost-West-Welt und der durch diese Teilung verursachten Blockade der Vereinten Nationen ist die Rolle militärischer Gewalt plötzlich wieder zu einer Art Testfrage für alle diejenigen in Politik und Wissenschaft geworden, die ein besonderes Verhältnis zum Frieden für sich in Anspruch nehmen. Das gilt auch für den pazifistischen Teil des politischen Spektrums, der sich mit alten und vielfach schon vergessenen Kontroversen im eigenen Lager um „kollektive Sicherheit gegebenenfalls auch durch militärische Zwangsmaßnahmen“ versus „unbedingter Antimilitarismus“ konfrontiert sieht. Der Beitrag präsentiert und diskutiert wichtige Argumentationsfiguren der aktuellen Debatte: Gewalt als Grundwiderspruch, Eskalations-Risiko, gewaltfreie Alternativen, die Gefahr des Mißbrauchs des militärischen Instruments, Moral und Interesse. Dabei kommen grundlegende ethische und politische Probleme internationaler Friedenssicherung zur Sprache. Die Bilanz skizziert Grundlagen einer pazifistischen Strategie, die Elemente aus beiden Positionen zu integrieren versucht.

I. Einleitung

Angesichts der gewaltsamen Konflikte vor allem auf dem Balkan und im Bereich der ehemaligen Sowjetunion wird aus der Rückschau besonders deutlich, daß der Ost-West-Konflikt das internationale System polarisiert, mit dieser Polarisierung zugleich aber auch strukturiert hatte. Er hat in manchen Konflikten Dritter verschärfend, aber er hat eben auch „weltordnend“ gewirkt -wenn auch auf eine sehr prekäre und problematische Weise. Den Chancen, die sich jetzt für eine konstruktivere Weltordnungspolitik ergeben, stehen nicht nur konzeptionelle und praktische Probleme, sondern auch das fortwirkende Erbe der alten Pseudo-Ordnung gegenüber. Im Golf-Krieg, in Kambodscha, im ehemaligen Jugoslawien, in Somalia: überall sind auch Altlasten des Ost-West-Konflikts handgreiflich zu spüren, die jetzt -und das ist die Paradoxie dieses Erbes -nicht mehr seiner zugleich kontrollierenden Wirkung unterliegen.

Die Ambivalenz der neuen Lage spiegelt sich in der deutschen Kontroverse über die Aufgaben der Streitkräfte. Der Abschreckungsfrieden hatte bei aller Fragwürdigkeit einen wichtigen Vorteil: Er radikalisierte den Zusammenhang zwischen Politik und Militär soweit, daß das Militär als Teil einer umfassenden Kriegsverhinderungsstrategie verstanden werden konnte, die seinen Einsatz gerade nicht mehr als Fortsetzung, sondern als das Ende der Politik und damit als „undenkbar“ begriff. Diese Konstruktion, von der gerade die deutsche Debatte aus historischen, politischen und geographischen Gründen besonders stark geprägt wurde, enthielt immer Verdrängungselemente. Sie entsprach zu keiner Zeit der vollen Wirklichkeit realer Abschreckungspolitik, weder im Westen noch im Osten. Und sie verleugnete das grundlegende Abschreckungsdilemma: das Wechselverhältnis zwischen verringerter Kriegswahrscheinlichkeit und unaufhebbarem, katastrophalem Restrisiko

Der gesellschaftliche Interpretationskonsens hielt jedoch an der Nichteinsetzbarkeit militärischer Mittel fest, und er war deshalb besonders stabil, weil er Regierende und Regierte umfaßte. Die Verdrängung des Restrisikos wurde durch die Entspannungspolitik erleichtert, die sich -nach einer Phase heftiger Kontroversen -zu einem festen Bestandteil dieses gesamtgesellschaftlichen Konsenses entwickelte. Er wurde nur dann brüchig, wenn auffällige rüstungspolitische Entscheidungen die verdrängten Dimensionen nuklearer Abschrekkungspolitik ins Gedächtnis zurückriefen oder wenn die Entspannung gefährdet war.

Trotz aller Widersprüche erschien gerade in Deutschland die Stillegung des Militärischen damit plausibel. Dem tatsächlichen Einsatz im Falle der Verteidigung fehlten im Bewußtsein der Öffentlichkeit Begründung und Legitimation. Und die Frage einer militärischen Beteiligung an Maßnahmen kollektiver Sicherheit stellte sich nicht: Die durch Ideologie und Abschreckung geteilte Welt ließ die Entfaltung eines solchen Ordnungskonzepts (außer in der Propaganda) nicht zu. Angesichts dieser Vorgeschichte ist es nur konsequent, daß mit dem Ende des Ost-West-Konflikts der Grundkonsens in der Bundesrepublik Deutschland über die Streitkräfte zerbrochen ist -nicht nur in der Politik, sondern auch in der Friedensforschung, ansatzweise sogar in der Friedensbewegung. Die Möglichkeit eines militärischen Einsatzes deutscher Streitkräfte stößt nicht nur auf die Tradition und die Tabus der alten Abschreckungsdebatte, sie berührt auch tiefere Schichten der deutschen Vergangenheit. Die Debatte wird erschwert dadurch, daß keineswegs immer klar ist, worum es überhaupt geht. Das Regierungshandeln läßt offen, ob die Stärkung kollektiver Sicherheit oder eine Relegitimie-rung der Streitkräfte im Zentrum der Überlegungen steht. Die Diskussion in der Opposition und in der Friedensbewegung verwischt ihrerseits gelegentlich die Differenz zwischen Kritik an national-staatlicher Sicherheitspolitik und emphatischem Antimilitarismus Dabei geht leicht verloren, daß die Kontroverse „kollektive Sicherheit gegebenenfalls auch durch militärische Zwangsmaßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft“ versus „unbedingter Antimilitarismus“ selbst zur pazifistischen Tradition gehört. Einer der bedeutendsten Pazifisten unseres Jahrhunderts, Albert Einstein, verkörpert diesen Streit in seiner eigenen Biographie

Auch diese Kontroverse hatte die nukleare Abschreckung überlagert, und sie gewinnt jetzt an Bedeutung. Die Rolle militärischer Gewalt ist wieder zu einer Art Testfrage für all diejenigen in Politik und Wissenschaft geworden, die ein besonderes Verhältnis zum Frieden für sich in Anspruch nehmen. Daß sie so viele Energien auf sich zieht, hat auch Gründe, die jenseits oder vielmehr diesseits der oben vorgestellten Realanalyse liegen. Der wichtigste dürfte darin zu sehen sein, daß die Gewalt anderer nicht nur Sympathie mit den Opfern hervorruft, sondern auch die innere Aggressionsund Gewaltproblematik der scheinbar nur Außen-stehenden berührt. Das gilt auch und gerade für Menschen in Friedensforschung und Friedensbewegung. Psychologisch orientierte Kolleginnen und Kollegen weisen darauf hin, daß die Arbeit am Frieden eine erhebliche unbewußte Verführung darstellt, die eigenen destruktiven Impulse anzuregen bzw. von der eigenen Destruktivität abzulenken

Der Dualismus von Verführung und Verleugnung bei der Beschäftigung mit der äußeren Gewalt schlägt sich in zwei unterschiedlichen Formen nieder: zum einen in einer heimlichen Affinität zu Militär und Krieg. Sie findet sich vor allem bei denjenigen, die sich intensiv mit Krieg und Waffen beschäftigen und -so wie der Autor -die Grenzüberschreitung zur Sicherheitspolitik nicht scheuen. Gewalt und Aggression, Krieg und Völkermord -das sind Themen, von denen (männliche?) Friedensforscher nicht loskommen, obwohl sie als Friedensleute natürlich auf der „anderen Seite“ stehen

Der genannte Dualismus kann sich zum andern in einer besonders heftigen Distanz gegenüber den Institutionen manifestieren, die (angeblich) allein für Krieg und Gewalt verantwortlich sind, wie „der Staat“, „die Politik“, „das Militär“, „das Patriarchat“, „die Rüstungsindustrie“. Diese Problematik ist eher im Radikalpazifismus und in der Friedensbewegung zu finden. In dem entlastenden Schwarz-Weiß-Raster: hier gute Pazifisten, dort böse Militaristen/Bellizisten, könnte einer der selbst zu verantwortenden Mitgründe für die historische Ohnmacht des Pazifismus liegen. Auch heute werden gelegentlich massive Aggressionen gegen Abweichungen freigesetzt, wenn sich das Selbstbild der am Frieden Orientierten mit Beiträgen aus den eigenen Reihen konfrontiert sieht, die nicht radikalpazifistisch argumentieren.

Polarisierungen und wechselseitige Ausgrenzungen von beiden Seiten sind ein relevanter Bestandteil der Debatte Sie bieten die Chance, die eigene Verstrickung in die Problematik auszublenden bzw. auf die andere Seite zu projizieren. Polarisierungen zwischen „Utopisten“ und „Realisten“ haben aber in der Friedensdebatte wie in der Politik allgemein auch die Funktion, Möglichkeiten für konkrete Veränderungen zu verbauen oder die eigene Ratlosigkeit zu verschleiern. Sie wären damit nur zwei Seiten derselben Medaille unreflektierter Allmachts-bzw. Ohnmachtsphantasien Umgekehrt müßte sich aus der Reflexion über die wechselseitige Befangenheit ein Dialog hersteilen lassen, der aus der Polarisierung herausführt und neue, integrierte politische Perspektiven eröffnet. Ein solcher Versuch soll hier unternommen werden. Er kann nicht völlig unparteiisch sein; aber er sollte eine Zusammenschau bieten, der anzumerken ist, daß sie sich im Verlauf ernsthafter Diskussionen herausgebildet hat.

II. Die Kontroverse

1. Die radikalpazifistische Argumentation

Die radikalpazifistische Position so wie sie hier verstanden wird, ist keine quietistische. Sie ist selbst politisch und humanitär engagiert, ja sie verlangt sogar die Einmischung in Konflikte, und zwar mit dem Ziel der Gewaltprävention, der Gewaltminderung und des Menschenrechtsschutzes. Sie lehnt jedoch entschieden gewaltsame -oder genauer formuliert: militärische -Interventionen ab, und zwar aus prinzipiellen, nicht aus kasuistischen, d. h. auf den Einzelfall bezogenen Erwägungen. Zur Begründung für die prinzipielle Ablehnung militärischer Gewaltanwendung lassen sich eine Reihe von Argumenten aufführen:

Gewaltgegen Gewalt als Grundwiderspruch Das erste und wichtigste Argument lautet: Es ist ein moralischer und logischer Widerspruch, organisierte Gewalt mit organisierter Gewalt bekämpfen zu wollen. Das oberste Ziel jeder Friedenspolitik muß sein, Lebensentfaltungschancen zu erhalten, und die Voraussetzung dafür ist nun einmal das physische Überleben selbst. Bei militärischen Zwangsmaßnahmen wird aber genau das -das physische Überleben -aufs Spiel gesetzt. Militärische Konflikt-Intervention bedeutet die Fortsetzung jener Gewaltpolitik, die es doch gerade zu überwinden gilt.

Das Eskalations-Risiko Eng verbunden mit diesem prinzipiellen Einwand ist die verbreitete Erfahrung, daß militärische Gewalt eskalierend wirkt, d. h. die Gewalt vermehrt statt vermindert. Damit ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel grundsätzlich in Frage gestellt. Dieser Einwand läßt sich auch gegen jede Art von militärischer Drohpolitik erheben: Abschreckung hält nur, so das Argument, die bekannte Spirale von Drohung und Gegendrohung, Gewalt und Gegengewalt in Gang.

Wirksame, gewaltfreie Alternativen Ein drittes Argument umfaßt den ganzen Bereich alternativer, nicht-militärischer Strategien zur Abwehr von Gewalt, von der sozialen Verteidigung bis zu wirtschaftlichen, völkerrechtlichen, kulturellen und sozialen Sanktionen. Diese Mittel könnten ebenso wirksam sein wie militärische Zwangsmaßnahmen, wenn sie nur endlich richtig und umfassend angewandt würden; und sie sind friedens-politisch glaubwürdiger und außerdem weniger risikoreich.

Die internen Wirkungen und die Gefahr des Mißbrauchs des Instruments Das vierte Argument richtet sich . gegen die internen Wirkungen des Militärs: Als Zwangsapparat führt das Militär schon im Frieden, erst recht im Krieg, zur Entwürdigung der ihm ausgelieferten bzw. sich seinen Regeln unterwerfenden Mitglieder. Als totale Institution ist das Militär letztlich nicht mit dem demokratischen Zivilisationsprozeß vereinbar und als totale männliche Institution nicht mit der Geschlechterdemokratie. Eng verbunden mit der internen Struktur ist die Gefahr des Machtmißbrauchs dieses Gewaltinstruments durch die Politik bzw. die Gefahr der Machtanmaßung durch das Militär selbst. Begriffe wie „Verteidigung“, „nationale Sicherheit“, „brüderliche Hilfe“ oder „kollektive Sicherheit“ sind in der Regel Decknamen für machtpolitische Interessen, die in einem wirklich demokratisch oder gar ethisch geführten Diskurs nicht zur Legitimation militärischer Mittel oder Maßnahmen ausreichen würden.

Moral, Existenz und Interesse Selbst wenn ein Recht auf gewaltsame Notwehr akzeptiert wird -wer entscheidet mit welcher Legitimation darüber, daß eine Gruppe von Menschen ihr Leben für das Völkerrecht, die internationale Ordnung oder die Überlebenschancen Dritter aufs Spiel setzt? Ist nicht das Hauptproblem jeder Art von Kriegführung, daß diejenigen, die daran beteiligt sind, zum Teil dazu gezwungen werden -sei es direkt oder aufgrund ihrer Lebensumstände? Müßte die Gruppe, die sich für internationale Friedenssicherung gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln einsetzt, nicht bereit sein, sich dafür u. U. auch persönlich zur Verfügung zu stellen?

2. Die innerpazifistische Gegenposition

Die innerpazifistische Gegenposition unterscheidet sich von der soeben skizzierten nicht fundamental. Völlige Einigkeit besteht in der politischen Grundorientierung. Sie zielt auf die Gewaltminde­ rung, letztlich auf die Überwindung der Institution des Krieges. Auf dem Wege dorthin soll manifester Gewalt so widerstanden werden, daß die Gewalt nicht zunimmt. Jede Heroisierung des Krieges oder gewaltsamen Widerstandes ist verdächtig -in dem Sinne, wie es Albert Einstein in seiner radikalpazifistischen Phase formuliert hat: Krieg führen heißt, Unschuldige töten und sich selbst unschuldig töten lassen. Welcher selbständige und anständige Mensch könne sich an einem solchen Geschäft (auch nur gedanklich, wäre hinzuzufügen) beteiligen!

Ein Ansatz zur Übereinstimmung ergibt sich auch insofern, als alle genannten radikalpazifistischen Einwände so viel Gewicht haben, daß sie in jeder anderen Strategie zumindest in der Güterabwägung aufgehoben sein müssen. Die entscheidende Differenz besteht jedoch darin, daß die Gegenposition begründete Ausnahmen vom Gewaltverbot für zulässig erachtet, d. h.den Einsatz auch militärischer Zwangsmaßnahmen im Rahmen kollektiver Sicherheit aus ihrem friedenspolitischen Gesamtkonzept nicht a priori ausschließt. Die Gegenargumentation soll analog wieder in fünf Punkten vorgestellt werden:

Zum Grundwiderspruch Auch wenn es paradox klingt: Aus der obersten Zielsetzung der Bewahrung von Lebensentfaltungschancen und deren Voraussetzung, der Sicherung von physischer Existenz und Unversehrtheit, folgt nicht in jedem Fall und in jeder konkreten Notlage die Gewaltfreiheit. Es gibt -wie im Prinzip aus dem medizinischen oder dem innenpolitischen Ethik-Diskurs bekannt -auch in den internationalen Beziehungen extreme Dilemma-Situationen, in denen der Verzicht auf Gegen-gewalt oder deren Androhung nicht nur die Hinnahme, sondern sogar einen weiteren Anstieg der Gewalt bedeuten kann. Solche extremen Dilemma-Situationen sind insbesondere die folgenden drei: 1. ein aggressives, expansionistisches Gewalt-regime, 2. chronischer und massenhafter Staats-terror mit der Tendenz zum Völkermord, 3. militarisiertes Chaos.

Auch wenn Gewalt grundsätzlich als problematisch zu gelten hat, so kann doch Gewalt nicht gleich Gewalt gesetzt werden. Jede gewaltsame Strategie, jede Gewalttat hat deformierende Wirkungen auf beide Seiten, und es leuchtet ein, daß die Aufteilung in Täter und Opfer selbst zur Motorik von gewaltsamen Interaktionsprozessen gehört (die Täter sind immer die anderen). In den meisten Konflikten sind Schuld, Mitschuld und Unschuld nicht wie Schwarz und Weiß verteilt. Gleichwohl ist es notwendig, daß z. B. zwischen der Gewalt der nationalsozialistischen Angriffs-und Vernichtungsmaschinerie und der Gewalt derjenigen, die sich dagegen -ob militärisch organisiert oder nicht -zur Wehr gesetzt haben, moralisch und politisch unterschieden wird. Insofern ist die Argumentationsfigur, mit Krieg könne man keine Konflikte lösen, trivial, aber zugleich demagogisch, da sie den Unterschied zwischen Tätern und Opfern verschweigt und den Krieg der Verteidigung anlastet

Zum Eskalations-Risiko Dauerhafte politische Lösungen sind mit Militär-Interventionen nicht zu erzielen. Aber das ist nicht der Punkt. Es geht um Situationen, in denen überhaupt die Möglichkeit einer Perspektive für politische Lösungen wiederhergestellt werden muß. Zweifellos gibt es Beispiele, in denen bewaffnete Interventionen, die mit dem Ziel der Gewaltminderung und Konfliktregulierung unternommen wurden, dieses Ziel verfehlt bzw. einen zu hohen Preis dafür gezahlt oder sogar die Konfliktlage verschlimmert haben. Das gilt besonders für ethnische Konflikte oder Bürgerkriege. Wahrscheinlich muß auch Somalia zu dieser Kategorie gerechnet werden. Das Konzept des UN-Sonderbeauftragten Mohammed Sahnoun, der auf Diplomatie im Lande kombiniert mit einer bescheidenen militärischen Absicherung der Hilfstransporte im Sinne eines aktiven Peace-keeping setzte, hätte aller Voraussicht nach ausgereicht, die Lebensmittelversorgung drastisch zu verbessern und die poütischen Optionen -sofern es welche gibt -offenzuhalten Gleichwohl erlaubt der Stand der Konfliktforschung nicht die allgemeine Aussage, der zufolge militärische Interventionen zwangsläufig eskalierend wirken. Wir kennen aus der jüngsten Geschichte Beispiele, in denen militärische Interventionen extreme Formen staatlichen Terrors beendet haben, so etwa die vietnamesische Militär-intervention im von Pol Pot regierten Kambodscha oder die tansanische im Uganda des Idi Amin, auch wenn diese Interventionen nicht humanitär motiviert waren. Sie waren völkerrechtlich nicht gedeckt und schon deswegen fragwürdig. Aber hier sollte nur die These begründet werden, daß Militäraktionen unter Umständen die Gesamtbilanz der Gewalt nicht vermehren, sondern mindern.

Dasselbe gilt für Drohpolitik. Auch hier wird die Fachdebatte sehr kontrovers geführt; aber als gesichert kann wiederum gelten, daß Abschreckung keineswegs in jedem Fall zur Eskalation führt, sie kann nachweislich sogar deeskalierende Wirkungen haben. Die Debatte läßt sogar die umgekehrte Aussage zu, nach der ein Verzicht auf Abschrekkung zur Eskalation der Gewalt führen kann Jedenfalls war das die entscheidende historische Erfahrung Albert Einsteins, die seine Abkehr vom Radikalpazifismus bewirkt hat. Angesichts der „Kriegserklärung an Europa“ durch die nationalsozialistische Machtergreifung forderte er nach 1933 -gegen den Protest seiner ehemaligen Weg-gefährten -nachdrücklich Gegenmachtbildung durch den Westen unter Einschluß des Militärs; zunächst in der Hoffnung, Hitler durch Abschrekkung vom Krieg abhalten zu können. Von besonderem Interesse sind die Folgerungen, die Einstein langfristig aus der Erfahrung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges für seine pazifistische Programmatik zog. Er kam zu der Auffassung, der Pazifismus solle nicht mehr die Zerstörung, sondern die Intemationalisierung der militärischen Macht anstreben. Wenn diese einmal erreicht sei, müsse die Reduktion des Militärs zu einer internationalen Polizei angestrebt werden.

Aus jüngster Zeit gibt es zumindest ein dramatisches Beispiel für eine Situation, in der militärische Abschreckung, und zwar ohne daß eine Alternative in Sicht wäre, erfolgreich Menschenleben schützt bzw. vor der sicheren Vernichtung bewahrt: die Flugverbotszone im Nordirak. Also ist die Konsequenz, daß Abschreckungsbereitschaft -nicht als gesamtpolitisches Programm, aber als Reservemittel für konkrete historische Notlagen -unter Umständen Gewalt und Krieg verhindern kann, nicht völlig abwegig. Auch im Falle Jugosla-Wiens sind ernsthafte Diskussionen darüber möglich, ob nicht rechtzeitige energische Aktionen der internationalen Staatengemeinschaft, und zwar unter Einschluß militärischer Drohungen, die Eskalation der Gewalt hätten verhindern können; Diskussionen, deren Ergebnis nicht ohne weiteres so oder so zu entscheiden sein dürfte.

Zu den alternativen Strategien Was die Erfolgschancen sozialer Verteidigung bzw.des gewaltfreien Widerstands angeht, so zeigen systematische Übersichten eine gemischte Bilanz Aus eigener Kraft erfolgreich ist die soziale Verteidigung bislang nur unter ganz bestimmten Bedingungen gewesen, z. B. im indischen Befreiungskampf. In anderen Fällen ist sie entweder gescheitert oder war sie auf den militärischen Widerstand Dritter angewiesen, um das Ende von Eroberung und Freiheitsberaubung zu erwirken. Was die nichtmilitärische Konflikt-Intervention betrifft, so zeigt die Erfahrung, daß Zivilisierungsversuche und nichtmilitärischer Zwang dann, wenn die konkrete Notlage einmal eingetreten ist, oft nur noch schwer greifen. Regime, die extrem gewalttätige Notlagen produzieren, lassen sich meist von politischen Sanktionen wenig beeindrucken. Größeres Gewicht kommt in diesem Zusammenhang wirtschaftlichen Sanktionen zu; nicht zuletzt deswegen, weil sie sich unmittelbar auf die Möglichkeiten eines Regimes, Gewalt anzuwenden, auswirken können.

Wieder ist die Bilanz nicht so eindeutig, daß sie ohne weiteres der einen oder anderen Seite in der vorgestellten Kontroverse recht geben könnte. Das Hauptproblem bei Wirtschaftsembargos ist, daß sie in der Regel nicht kurzfristig wirksam werden. Das ist ein Hindernis, wenn es darum geht, hier und jetzt militärischer Gewalt zu begegnen. Der Fall des Irak ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich. Dem Regime des Saddam Hussein ist es trotz eines nunmehr über zwei Jahre anhaltenden Wirtschaftsembargos und trotz des verlorenen Krieges gelungen, die Infrastruktur des Landes weitgehend wiederherzustellen und den Militär-apparat zu konsolidieren. Jedenfalls hat das Embargo allein erneute drohpolitische Herausforderungen Kuwaits und der Vereinten Nationen durch den Diktator nicht verhindern können. Auch die serbische Führung hat sich bislang dem Embargo, das inzwischen gravierende Auswirkungen zeigt, nicht gebeugt. Die Schuld für die Misere des eigenen Landes schiebt sie der feindseligen Staaten-welt zu -offenbar durchaus mit propagandistischem Erfolg.

Noch wichtiger als der Vergleich der Erfolgschancen militärischer bzw. nichtmilitärischer Strategien ist der Vergleich ihres Gewaltcharakters, was zum Ausgangspunkt -dem Grundwiderspruch -zurückführt. Entgegen dem Augenschein ist nicht von vornherein ausgemacht, daß militärische Zwangsmaßnahmen in jedem Fall mehr Schaden anrichten als nichtmilitärische. Eher wäre zu vermuten, daß der Gewaltcharakter nichtmilitärischer wie militärischer Zwangsmaßnahmen jeweils eine bestimmte Variationsbreite aufweist, mit den nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen im unteren, den militärischen im oberen Bereich, aber einem gemeinsamen Schnittfeld in der Mitte.

Einige der Zwangsmaßnahmen, die von den Gegnern militärischer Interventionen bevorzugt werden, können jedenfalls nicht als gewaltfrei gelten. Auch unter differenzierten Embargo-Maßnahmen werden Teile der Zivilbevölkerung zu leiden haben, zumal die betroffenen Regime ihre Ressourcen in der Regel zu deren Lasten umverteilen, mögliche Proteste dagegen propagandistisch oder durch Repression auffangen. Bei der Güterabwägung gegen militärische Zwangsmaßnahmen müssen auch diese „Humankosten“ berücksichtigt werden

Zur inneren Logik und zum Machtmißbrauch Es bestehen erhebliche historische und politische Unterschiede zwischen verschiedenen Militärapparaten Chancen der inneren wie der äußeren Demokratisierung lassen sich in der Geschichte einzelner Länder wie im Systemvergleich empirisch belegen, auch wenn strukturelle Grenzen nicht zu übersehen sind. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß die Blauhelmkontingente z. B. einen Typus von „Ordnungskräften“ repräsentieren, den man mit dem klassischen militärischen Instrument von Ausbildung und Selbstverständnis her nicht vergleichen kann. Ob durch Training und Streitkräftestruktur eine „Zivi-lisierung“ von Militäreinheiten möglich ist, die eventuell auch durch Waffengebrauch Frieden „erzwingen“ sollen, ist eine praktische Frage. Sie ist mit dem Hinweis auf die in der alten Kriegführungslogik ausgebildeten und dementsprechend ausgerüsteten Verbände, die gegenwärtig von den Nationalstaaten für Zwangsmaßnahmen der Vereinten Nationen eingesetzt werden, nicht erledigt.

Zum Thema Moral und Interesse Auf die Frage, unter welchen Bedingungen ein Staat oder die UNO Menschen auffordern oder gar zwingen darf, das eigene Leben für die Durchsetzung des Völkerrechts aufs Spiel zu setzen, habe ich in der Debatte bislang keine befriedigende Antwort finden können. Der Hinweis auf das Berufsrisiko der Soldaten oder der Vergleich mit anderen spezialisierten Berufen mit einem besonderen Risiko für Leib und Leben (etwa die Polizei oder auch die Feuerwehr) reicht m. E. nicht aus. Polizeieinsätze und bewaffnete Interventionen, gar Kampfeinsätze sind nicht vergleichbar, auch wenn es Überschneidungen geben mag. Hier bietet nur das Prinzip der Freiwilligkeit einen Ausweg, so wie es von vielen Ländern, die traditionell Soldaten für Blauhelmkontingente stellen, schon seit Jahren mit Erfolg praktiziert wird.

III. Pazifismus versus Bellizismus -und sonst nichts?

Die Diskussion könnte gezeigt haben, daß die Chancen für eine neue Konsensbildung über die Sicherheitspolitik innerhalb des Pazifismus selbst -aber auch darüber hinaus -vielleicht doch größer sind, als man angesichts mancher Polemik glauben möchte. Der Konsens beginnt damit, daß es nicht um die Wiederbelebung einer Theorie des gerechten Krieges geht. Die „ultima ratio (regum)“ ist eine Denkfigur des Absolutismus. Sie stammt aus einer Tradition, in der Krieg als selbstverständliches Mittel der Politik galt, das freilich bestimmten Regeln zu unterwerfen war. (Faßt man alle in der historischen Debatte genannten Einschränkungen für das ius ad bellum zusammen, hätten freilich auch früher so gut wie keine Kriege stattfinden dürfen.) Krieg ist seit 1928 völkerrechtlich geächtet, und auch die Ethik des „gerechten Krieges“ ist passe. Die erkenntnisleitende Orientierung zeitgemäßer Friedens-und Sicherheitspolitik sind die Zivilisierung der internationalen Beziehungen und die friedliche Streitschlichtung. Dieses Projekt erfordert Strategien der Friedensförderung wie soziale Gerechtigkeit, umweltverträgliche Entwicklung, Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz und interkulturelle Empathie sowie den Ausbau gewaltfreier Verfahren der Konfliktregulierung und Konflikt-Intervention. Wenn überhaupt, dann kann nur so auf Dauer der Gewalt der Nährboden entzogen, können die Zwangssituationen, in denen sich die Frage möglicher Gegengewalt erst stellt, vorbeugend vermieden werden.

Nur in einem solchen Kontext sind Überlegungen über die militärische Absicherung kollektiven Widerstands gegen gewaltsamen Rechtsbruch bzw. kollektiver Durchsetzung von Hilfsmaßnahmen legitim. Für deren Bewertung kommt es ganz entscheidend darauf an, ob und in welcher Weise die Staatengemeinschaft zu der Konfliktlage beigetragen hat bzw. umgekehrt: wieweit sie glaubhaft bemüht war, sie zu verhindern; und ob und inwieweit sie bereit ist, aus solchen Notlagen für ihre zukünftige Gesamtpolitik Konsequenzen zu ziehen. Wenn Politik Menschenrechte verachtende Diktaturen aus vermeintlich realpolitischem Interesse hofiert, gar mit Waffenlieferungen unterstützt, kann sie keine moralischen Gründe mehr für den bewaffneten Ausnahmefall in Anspruch nehmen, bei dem sie sich einer militärischen Aggression eben dieser Diktatur in den Weg stellen will.

Aber auch eine glaubwürdige Strategie der Friedensförderung wird nicht widerspruchsfrei verlaufen. Krieg ist -entgegen dem Willen des Völkerrechts und entgegen allen zivilisatorischen Bemühungen -nach wie vor ein hartnäckiges, real existierendes Mittel der Politik, das auch solchen Menschen, die damit gar nichts zu tun haben wollen, unmittelbar oder mittelbar aufgezwungen wird. Auf dieses Problem müssen Friedensforschung und Friedensbewegung ebenso wie die etablierte Politik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eine neue Antwort finden, und zwar auch dann, wenn der Vorrang für Gewaltprävention unstrittig ist, ja selbst wenn er überzeugend praktiziert wird.

Das gemeinsame pazifistische Grundanliegen umfaßt des weiteren den Vorrang kollektiver gegenüber nationalstaatlichen Maßnahmen der Friedenssicherung im engeren Sinne. Kollektive Sicherheit gilt als eine Möglichkeit, den Widerspruch zwischen dem langfristigen Ziel einer Welt ohne Krieg, Rüstung und Militär auf der einen Seite und der nicht zu übersehenden Realität von Notsituationen auf dem Wege zu dieser Welt auf der anderen Seite zu überbrücken. Damit ist vor allem ein Prozeß der Intemationalisierung von Instrumenten der Konflikt-Intervention einschließlich Zwangs-und Sanktionsmitteln gemeint.

Mit Blick auf die Bewältigung solcher Notsituationen scheint mir jedoch die Polarisierung zwischen „prinzipiell kein Militär“ und „notfalls auch Militär“ wenig sinnvoll. (Die Frage der Landesverteidigung klammere ich hier aus. Erstens stellt sich dieses Problem auf absehbare Zeit für Deutschland nicht. Und zweitens ist zwischen den hier diskutierten Positionen nicht strittig, daß die Bundesrepublik für den in diesem Bereich notwendigen Rückversicherungsbedarf weit weniger Streitkräfte benötigt, als sie zur Zeit noch hat.)

Was die Konflikt-Intervention im Rahmen kollektiver Sicherheit angeht, so fordern beide genannten pazifistischen Orientierungen eine „konstruktive, menschenrechtsorientierte Einmischungspolitik“, wobei die grundlegende Maxime die Sicherung von Lebensentfaltungschancen und damit ihrer Voraussetzung, der physischen Existenz und Unversehrheit, bildet. Das ist eine sehr hohe Hemmschwelle, aber aus meiner Sicht kein prinzipieller Einwand gegen eine militärische Komponente internationaler Sicherheit -das, was Wolfgang Vogt im Rahmen seines Transformationskonzepts zur Entmilitarisierung der Sicherheitspolitik als „sanktionsfähige Deckungsgarantie“ bezeichnet Das ausschlaggebende Kriterium auf der Mittel-Ebene ist, wie oben gezeigt, nicht die Wahl des Instruments, sondern die Frage des Gewaltcharakters der Einmischung: Sie soll möglichst gewaltarm erfolgen und zugleich die vorhandene (bzw. drohende) Gewalt wirksam mindern. Die Entscheidung für oder gegen die militärische Absicherung von Zwangsmaßnahmen oder Hilfslieferungen wird damit zu einer Frage der Güter-abwägung, nicht der Ideologie.

Radikalpazifisten fordern zu Recht den Ausbau der nicht-militärischen Sanktionsmöglichkeiten und ihre konsequente Anwendung im Konfliktfall. Die neuere Diskussion hat hier ein breites Feld von Möglichkeiten vorgestellt. Aber die Debatte bleibt dort in ihrem eigenen Widerspruch gefangen, wo sie z. B. die wirksame Durchsetzung vonSanktionen fordert, aber die möglichen militärischen Konsequenzen einer solchen Forderung nicht mehr thematisiert. Die Gegenposition kann ihrerseits darauf verweisen, daß sich auch die Debatte über militärische Zwangsmaßnahmen weiter ausdifferenziert hat. Die interessantesten Überlegungen betreffen hier einen neuen Typ von UN-Streitkräften, der über Blauhelme hinausgehen, aber nicht im klassischen Sinne Krieg führen soll. Zu den Aufgaben solcher Streitkräfte, die multinational zusammengesetzt sein und der UNO auf Abruf zur Verfügung stehen sollen, würde zum Beispiel gehören, Waffenstillstände und Verhandlungen gegen unkontrollierte Gewaltausübung abzusichern oder humanitäre Hilfe, lebenswichtige Versorgung der Zivilbevölkerung bzw. Schutz-zonen militärisch durchzusetzen. Es sollte auch möglich sein, solche Streitkräfte im Rahmen präventiver Diplomatie an Krisenpunkten vorab zu stationieren. Die Kontingente für diese Streitkräfte sollten aus ausgewählten und international ausgebildeten Freiwilligen bestehen.

Eine Friedens-und Sicherheitspolitik, die sich auf die hier formulierten Kriterien und Anregungen stützen würde, wäre zwar nicht radikalpazifistisch, aber gleichwohl pazifistisch. Sie würde sich von klassischer Macht-und Interventionspolitik fundamental unterscheiden. Daß die UNO in ihrer gegenwärtigen Verfassung weder über ausreichend wirksame noch ausreichend legitimierte Instrumente kollektiver Sicherheit verfügt, und zwar sowohl im nichtmilitärischen wie im militärischen Bereich, das gehört inzwischen zum Kernbestand auch der „realpolitischen“ Debatte

Die deutsche Außenpolitik könnte friedenspolitisches Terrain zurückgewinnen, wenn sie die Vereinten Nationen bei ihren Reformbemühungen allgemein und speziell im Bereich der Friedenssicherung (Ausbau der zivilen Konflikt-Interventionsstrategien, Aufbau einer genuinen UN-Schutztruppe) aktiv unterstützen würde, statt sich rechtlich, politisch und militärisch auf out-of-areaAktivitäten im Rahmen der NATO oder der WEU vorzubereiten. Für die Friedensforschung und Friedensbewegung hätte die hier skizzierte Position neben ihrem inhaltlichen Gewicht den politischen Vorteil, daß sie sich einer Polarisierung entzöge, bei der nach aller historischen Erfahrung die klassische Machtpolitik am Ende die lachende Dritte bleibt. Die Gefahr dieser klassischen Machtpolitik besteht aus meiner Sicht weniger in einer Zunahme neo-imperialistischer Militär-Interventionen unter dem Deckmantel der kollektiven Sicherheit als vielmehr in einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Ratlosigkeit der internationalen Staatengemeinschaft gegenüber einer steigenden Zahl von durch Bürgerkiege verursachten Sozialkatastrophen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Darauf insistierten insbesondere die Vertreter der „Defensiv-Verteidigung“. Ihnen ging es keineswegs darum, Krieg wieder führbar zu machen, wie oft unterstellt wurde -ganz im Gegenteil. Gerade weil die Defensiv-Verteidigung das Risiko des Scheitems der Abschreckung ernst nahm, forderte sie eine noch radikalere Politisierung des militärischen Instruments. Die Kriegsverhütung sollte nicht bloß durch politische Interpretation (z. B. Gleichgewicht durch Rüstungskontrolle), sondern durch aktive, politisch reflektierte Gestaltung der Militärstrategie selbst gestützt werden. Als einen der früheren grundlegenden Texte siehe Horst Afheldt, Verteidigung und Frieden. Politik mit militärischen Mitteln, München-Wien 1976.

  2. Dies reicht bis zum Vorwurf des Neo-Imperialismus. Wie der Vergleich etwa der Politik der USA gegenüber Haiti und der deutschen Außenpolitik in Afrika heute mit ihren realen imperialistischen Vorläufern zeigt, ist gerade dieser Teil der Debatte weit überzogen.

  3. Vgl. Albert Einstein, Über den Frieden. Weltordnung oder Weltuntergang?, hrsg. von Otto Nathan und Heinz Norden, Bern 1975.

  4. Ich nenne hier als Beispiele Thea Bauriedl, Wege aus der Gewalt, Freiburg 1992; Michael Lukas Moeller, Der Krieg, die Lust, der Frieden, die Macht, Reinbek 1992; Christian Büttner, Männer in der Friedensforschung, in: Friedensforschung aktuell, Nr. 30 (Winter 1991), S. 6-11.

  5. Vgl. Chr. Büttner, ebd., S. 8.

  6. Mir liegt an der Klarstellung, daß ich selbst nicht frei davon bin und nach meiner eigenen Theorie gar nicht sein kann. Von denjenigen, die mir geholfen haben, meine eigene Position kritisch zu überprüfen, nenne ich an dieser Stelle nur Karlheinz Koppe, Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn, und Werner Ruf, Gesamthochschule Kassel. Es gab andere, die auf Beiträge von mir Bezug genommen haben, mit denen ein Dialog bislang nicht möglich war. Produktives Streiten setzt die Bereitschaft zur Anerkennung des Gegenüber voraus.

  7. Bei diesen Überlegungen orientierte ich mich an Th. Bauriedl (Anm. 4), S. 104ff.

  8. Jede Art von Begrifflichkeit wird fast automatisch mit zum Gegenstand der Kontroverse. Friedrich Wilhelm Förster, selbst Pazifist, hat in einem Artikel aus dem Jahre 1932 zwischen „absolutem“ und „realistischem“ Pazifismus unterschieden. Diesen Dualismus übernehme ich ganz bewußt nicht, da mir der Begriff „realistisch“ aus verschiedenen Gründen verdächtig erscheint. Albert Einstein bezeichnet sich selbst nach 1933 als „entschiedenen“, aber „nicht absoluten“ Pazifisten (Anm. 3, S. 583-585). Ich verwende den Begriff „radikalpazifistisch“ hier deshalb, weil ich keinen besseren finde.

  9. Vgl. A. Einstein (Anm. 3), S. 119.

  10. Ich weiß, daß es politische und religiöse Pazifisten gegeben hat, die ihren eigenen Tod in Kauf genommen haben, um nicht selbst töten zu müssen. Ich habe vor dieser Haltung größten Respekt. Der Verallgemeinerung dieser Haltung stehen aber nicht nur praktische -diese Gruppe war immer eine Minderheit -, sondern auch ethische Gesichtspunkte entgegen, nämlich der legitime Anspruch anderer Gefährdeter auf Schutz. Ich sehe in dieser Haltung daher eher eine sehr ernste Mahnung, politisch aktiv darauf hinzuwirken, daß solche Notsituationen nach Möglichkeit gar nicht erst entstehen.

  11. Vgl. dazu Jonathan Stevenson, Hope Restored in Somalia?, in: Foreign Policy No. 91 (Sommer 1993), S. 138-154. Zur Interventionsproblematik insgesamt vgl. Robert Cooper/Mats Berdül, Outside Intervention in Ethnie Conflict, in: Survival, 35 (1993) 1, S. 118-142, sowie Lothar Brock/Tillmann Elliesen, Zivilisierung und Gewalt. Zur Problematik militärischer Eingriffe in innerstaatliche Konflikte, Frankfurt 1993 (HSFK-Report).

  12. Vgl. z. B. die Debatte in der Sondernummer des Journal of Social Issues, 43 (1987) 4: Beyond Deterrence.

  13. Vgl. Daniel Frei, Friedenssicherung durch Gewaltverzicht?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15-16/83, S. 3-23.

  14. Die Sanktionen gegen das Militärregime in Haiti verdeutlichen das Problem. Nach Aussage einer Studie der Harvard-Universität hat das von der UNO verhängte Treibstoff-Embargo die Kindersterblichkeit im Lande erhöht; vgl. Süddeutsche Zeitung vom 11. November 1993, S. 8.

  15. Vgl. hierzu grundsätzlich Christoph Weiler/Michael Zürn, Das Ende des Militärs? Eine Auseinandersetzung mit „Staat und Krieg“, in: Wilfried Karl/Thomas Nielebock (Hrsg.), Die Zukunft des Militärs in Industriegesellschaften, Baden-Baden 1991 (Jahrbuch für Friedens-und Konfliktforschung, Bd. 18), S. 185-200.

  16. Vgl. Wolfgang R. Vogt, Zivilisierung der Sicherheit. Ein alternatives Transformationskonzept zur Entmilitarisierung der Sicherheitspolitik -„Zivilär“ und „Politär“ als neue Sicherheitsdienste einer zukünftigen Friedensordnung, in: Wilhelm Kempf/Wolfgang Frindte/Gert Sommer/Michael Spreiter (Hrsg.), Gewaltfreie Konfliktlösungen. Interdisziplinäre Beiträge zur Theorie und Praxis friedlicher Konflikt-bearbeitung, Heidelberg 1993.

  17. Vgl. dazu etwa Boutros Boutros-Ghali, Agenda für den Frieden. Vorbeugende Diplomatie, Friedensschaffung und Friedenssicherung, Bonn (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen) 1992; Mats Berdal, Whither UN Peacekeeping? An analysis of the changing military requirements of UN peacekeeping with proposals for its enhancement, London 1993 (Adelphi Paper Nr. 281).

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Gert Krell, Dr. phil., geb. 1945; Forschungsgruppenl'eiter für den Bereich „Sicherheit in Europa“ bei der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung in Frankfurt; Lehrbeauftragter an der Universität Frankfurt. Veröffentlichungen zur Außen-und Sicherheitspolitik der USA und der Bundesrepublik, zur Rüstungskontrolle, zu Migration und Asyl sowie zu Fragen der Friedens-und Konfliktforschung; Mitherausgeber des alljährlich erscheinenden Friedensgutachtens.