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Entwicklungshilfe im Spannungsfeld von politischen Interessen und sozialer Gerechtigkeit | APuZ 20/1994 | bpb.de

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APuZ 20/1994 Entwicklungshilfe im Spannungsfeld von politischen Interessen und sozialer Gerechtigkeit Grenzen und Chancen der Entwicklungshilfe Entwicklungszusammenarbeit und die Flüchtlings-und Migrationsproblematik Neue Konturen der Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Staaten Artikel 5

Entwicklungshilfe im Spannungsfeld von politischen Interessen und sozialer Gerechtigkeit

Joachim von Stockhausen

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes steht die Entwicklungshilfe an einem Wendepunkt insofern, als sie ihre Begründung und Funktion als „Waffe gegen den Kommunismus“ eingebüßt hat. Um die für eine „gerechtigkeitsorientierte Entwicklungsstrategie“ erforderliche Vorleistungspflicht der Regierungen der Entwicklungsländer einzufordern, ist diese Anfang der neunziger Jahre zur unerläßlichen Voraussetzung für die Vergabe von deutscher Entwicklungshilfe erklärt worden. Bedenken sind angebracht, ob eine solche Konditionalität des „ordentlichen Regierens“ als geeignete Kunst der Entwicklungsförderung anzusehen ist. Sie gewinnen in dem Maße an Gewicht, wie künftig die Vergabe von Entwicklungshilfe vorrangig mit Überlegungen der sozialen Gerechtigkeit begründet werden muß, sind doch mit einer solchen Begründung vielfältige Fragen nach der Moral und der Fähigkeit wohlwollender staatlicher „Entwicklungshilfediktatoren“ verknüpft. In dem Maße, wie solche wohlwollende „Diktatoren“ in Zweifel zu ziehen sind, stellt sich verstärkt die Frage, wie die Vergabe von Entwicklungshilfe mit Verantwortung anzureichern ist, nach welchen Regeln ihre Billigung oder Ablehnung erfolgen soll. Der Entwicklungshilfe verstärkt Verantwortung zu verinnerlichen verweist aber nicht nur auf die Art ihrer Durchführung, sondern auch auf die Begründung ihrer Vergabe, nämlich als Vorsorgepolitik den Teufelskreis zwischen armutsbedingtem Ressourcenraubbau in den Entwicklungsländern und reichtumsbedingter Energie-und Rohstoffverschwendung in den Industrie-ländern zu durchbrechen.

I. Einleitung

Als Präsident Truman vor 50 Jahren die Entwicklungshilfe ins Leben rief, waren es vorrangig politische Interessen, die es den Vereinigten Staaten und später ihren Verbündeten geraten erscheinen ließen, sich der unterentwickelten Länder anzunehmen. Die in jener Zeit mit der Vergabe von Entwicklungshilfe verfolgte Absicht bestand darin, mit der Lieferung von Waffen und Militärberatern sowie durch wirtschaftliche Förderung die hilfe-empfangenden Länder davor zu bewahren, dem kommunistisch-bolschewistischen System zum Opfer zu fallen. Eine solche Hilfe wurde ohne jeden Zweifel als ein Gebot der politischen Klugheit, als ein politisch gewinnversprechendes Geschäft angesehen. Folgerichtig hat sich mit dem Ende des Kalten Krieges auch die Einstellung der amerikanischen Regierung zur Entwicklungshilfe grundlegend geändert: Die künftige Auslandshilfe wird nicht mehr als „Waffe gegen den Kommunismus“ angesehen, es wird nicht mehr als notwendig erachtet, eine freundschaftliche Einstellung gegenüber dem Westen finanziell zu entlohnen Es liegt im Wesen des Verständnisses von Entwicklungshilfe, das von geostrategischen und anderen außenpolitischen Eigeninteressen abstrahiert, daß mit ihr ein Wohlstandsausgleich zwischen den Völkern in bitterer Not und Armut und denen, die in Wohlstand leben, herbeigeführt werden soll. Dabei wird Entwicklungshilfe nicht nur mit der Pflicht zu Gemeinwohlgerechtigkeit und dem Gebot der Fairneß (John Rawls) begründet, sondern auch als ein Erfordernis des Gemeinwohls angesehen -ein Erfordernis, das sich aus dem Faktum der gegenseitigen weltweiten Abhängigkeit der Menschen herleitet. Beschränkte sich die Herleitung dieser Abhängigkeit bisher weitgehend auf die Außenpolitik und Ökonomie, so hat neuerdings die Einsicht in die wesentlich höhere ökologische und soziale Komplexität der gegenseitigen Verwobenheit dazu geführt, auch und insbesondere die Umwelt und die weltweiten Flüchtlingsströme in die Gemeinwohl-betrachtung einzubeziehen.

II. Politische Konditionalität des „ordentlichen Regierens“

Bei der in dieser Weise abgeleiteten und begründeten Entwicklungshilfe handelt es sich nicht um eine einseitige Pflichtenbeziehung der reichen Industrieländer; als Solidarbeziehung stellt sie ein komplexes Geflecht von gegenseitigen Pflichten und Rücksichtnahmen auch und gerade der Empfängerländer dar. Dabei verdienen drei Gesichtspunkte eine besondere Beachtung:

1. In der Solidargemeinschaft aus Entwicklungshilfegebern und -empfängern kann Unterstützung nur insoweit gewährt werden, wie die Geber von den Empfängern dazu in die Lage versetzt werden.

2. Der Solidarausgleich innerhalb der Entwicklungshilfe besteht in dem, was die Geberländer ohne äquivalente Gegenleistungen den Empfängerländern netto zukommen lassen.

3. Unter Bezugnahme auf den Subsidiaritätsgedanken der katholischen Soziallehre hat die Selbsthilfe der Empfänger Vorrang vor der Entwicklungshilfe.

Es ist insbesondere der zuletzt genannte Gesichtspunkt, dem eine besondere Aufmerksamkeit zukommt, bietet er doch gleichsam ein Aufbauprinzip für entwicklungshilfepolitisches Handeln. Was der einzelne, die kleinere nichtstaatliche Gemeinschaft und der einzelne Staat selbst zu leisten vermögen, hat Vorrang vor der (nur „subsidiären“) Hilfe der größeren Gemeinschaft der Entwicklungshilfegeber. Diese aus dem Subsidiaritätsprinzip abgeleitete Zuständigkeitsordnung basiert auf dem Solidaritätsgedanken und regelt das Verhältnis von Individualverantwortung zu den unterschiedlichen Ebenen der Kollektivverantwortlichkeiten. Erhebliche praktische Schwierigkeiten bereitet dabei die Frage der Vorleistungspflicht des Staates in den Entwicklungsländern.

Diese Vorleistungspflicht der Regierungen der Entwicklungsländer als Empfänger von öffentlicher Entwicklungshilfe zielt in zwei Richtungen. Zum einen ist sie auf die zuständige Verantwortung des Staates ausgerichtet, die erforderlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der einzelne und/oder die kleineren Gemeinschaften in die Lage versetzt werden, Individualverantwortung tragen und Selbsthilfe leisten zu können. Und es ist die ernsthafte Wahrnehmung dieser Verantwortung, um die es geht, wenn darauf hingewiesen wird, daß sich als entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes mehr und mehr das Verfassungsrecht, die Politik und die Qualität der Politiker herausgestellt haben.

Zum anderen geht es um den Aspekt der sachlichen und räumlichen Nähe der Zuständigkeit, die notwendigen Bedingungen und Voraussetzungen für Eigenverantwortung zu schaffen. Nach der Solidaritätsverantwortung, die das Subsidiaritätsprinzip inhaltlich bestimmt, gilt, daß die dem einzelnen jeweils näherstehende Gemeinschaft zunächst zur ergänzenden Hilfestellung aufgerufen ist. Doch was ist zu tun, wenn dieses Ordnungskriterium nicht respektiert wird? So fragt Klaus Natorp, ob es die Entwicklungshelfer wagen werden, notfalls auch an den beharrenden Kräften der Regierungen vorbei ihre Vorhaben für die Armen ins Werk zu setzen

Mit einer solchen Umgehung der Administration wird die aus der sachlichen und räumlichen Nähe abzuleitende Vorleistungspflicht des Staates zur Disposition gestellt, was dann wohl zwangsläufig auch zur Erfolglosigkeit dieser Strategie führen muß, sofern das Ordnungskriterium der räumlichen und sachlichen Nähe eine praktisch relevante Begründung hat. Wenn es denn richtig ist, daß eine „gerechtigkeitsorientierte Strategie“ in erster Linie darauf ausgerichtet sein muß, Besitz, Kontrolle und Nutzung der natürlichen Ressourcen auf die breite Masse der Bevölkerung übergehen zu lassen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, dann ist es die Macht des Rechtes, das Recht des Rechtsstaates, das es zu gestalten gilt, um der tatsächlichen wirtschaftlichen Chancengleichheit aller Bürger zu dienen.

Eine Möglichkeit, diese Vorleistungspflicht der Regierungen der Entwicklungsländer einzufordern, ist, sie zur unerläßlichen Voraussetzung der Vergabe von Entwicklungshilfe zu machen. Doch auf solche Weise das Aufbauprinzip sozialen Handelns durchzusetzen, wirft nicht nur die Frage auf, wie viele Länder dann noch als Empfänger von Entwicklungshilfe übrigbleiben; eine solche Konditionierung würde auch das Solidaritätsprinzip dem Subsidiaritätsprinzip unterordnen. Im Jahre 1990 hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) diese Frage gleichsam in den Rang einer „Programmatik für zwischenstaatliche Beziehungen“ erhoben, indem die Vergabe von Entwicklungshilfe nunmehr insbesondere an fünf Kriterien orientiert wird: Beachtung der Menschenrechte durch die Regierung, Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozeß, Gewährleistung von Rechtssicherheit, Schaffung einer „marktfreundlichen“ Wirtschaftsordnung und schließlich Entwicklungsorientierung des staatlichen Handelns (Verbesserung der Lage der ärmsten Bevölkerungsteile, Begrenzung des Bevölkerungswachstums, Reduzierung überzogener Rüstungsausgaben). Um das Solidaritätsprinzip nicht dem der Subsidiarität opfern zu müssen, ist im Falle von präsidentiellen Diktaturen ohne entwicklungspolitische Programmatik ergänzend empfohlen worden, ausschließlich karitative Hilfe zu leisten und sie auf solche Projekte zu beschränken, die der notleidenden Bevölkerung von Nutzen sind und die nicht zur materiellen oder immateriellen Stärkung des Regimes mißbraucht werden können.

Ist diese ergänzende Empfehlung schon nicht neu -bereits im Jahre 1981 hat Gunnar Myrdal diese Form der Entwicklungshilfe als die einzig zu rechtfertigende bezeichnet -, so enthält das ganze Konzept der Förderung des „ordentlichen Regierens“ keinen Hinweis darauf, wie es denn in die Praxis umgesetzt werden soll. Das Entwicklungshilfe-ministerium spricht auf der einen Seite davon, daß es hier eine Pionierleistung vollbracht habe, auf der anderen Seite kann es mit dieser Pionierleistung nichts anfangen. Denn nach eigenem Bekunden weiß es bei der Berücksichtigung der neuen Kriterien die Frage nicht zu beantworten, wie trotz gewichtiger Defizite bei einzelnen Rahmenbedingungen mit einem Land zusammengearbeitet werden kann, um die Lebenslage der armen Bevölkerung zu verbessern, wenn nur die Einstellung der Zusammenarbeit die letzte Konsequenz darstellt Mit Blick auf die osteuropäischen Länder beklagt Ralf Dahrendorf ein Fehlen von Theorien, „die uns dabei helfen können, den Übergang vom Sozialismus zur offenen Gesellschaft zustande zu bringen oder auch nur zu verstehen“ Der Kern des Problems liege in den nicht übereinstimmenden Zeitskalen der zu diesem Zweck nötigen politischen, ökonomischen und sozialen Reformen. Und wo ist nach vierzigjähriger deutscher Entwicklungshilfe die Theorie für die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, auf die sich eine Förderung des „ordentlichen Regierens“ stützen könnte? Der „Treck durch das Tal der Tränen“ (Ralf Dahrendorf) ist lang und bedrohlich, ohne Zweifel zu lang und zu beschwerlich, als daß eine wirtschaftliche Bestrafung durch einen zwei-bis dreijährigen Entzug von Entwicklungshilfe einen Anreiz zu politischen Reformen schaffen könnte.

Noch zur Zeit des Ost-West-Konfliktes hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker von der Beherrschung der Kunst des Möglichen gesprochen, die für den außenpolitischen Erfolg entscheidend sei: Wir wollen und wir brauchen gute Beziehungen zur Sowjetunion. Damit dürfen wir nicht warten, bis die Sowjetunion sich in eine freie Gesellschaft verwandelt hat und Menschenrechte so schützt, wie wir es verstehen Mit Blick auf die Entwicklungsländer schlägt Theodor Hanf als einen solchen Kunstgriff des Möglichen das von ihm so bezeichnete „demokratische Opportunitätsprinzip“ vor Danach sei jede einzelne Maßnahme der Entwicklungshilfe daraufhin zu befragen, ob sie in dem jeweils gegebenen Kontext bessere Voraussetzungen für Demokratie schaffen und den Spielraum für Demokratie verbreitern kann.

Gegen eine Politik der Konditionierung spricht sich auch der international renommierte Entwicklungsökonom Alfred O. Hirschman aus Dabei geht er von der „Theorie der kognitiven Dissonanz“ aus, die sich damit befaßt, ob und inwieweit es möglich ist, einen „geordneten“ Ablauf, bei dem Einstellungsänderungen als Grundvoraussetzung für Verhaltensänderungen begriffen werden, durch einen „ungeordneten“ Ablauf zu ersetzen, bei dem moderne Einstellungen infolge von Dissonanzen erworben werden; letztere entstehen dann, wenn Personen mit nichtmodernen Einstellungen sich plötzlich -nicht zuletzt als Folge davon, daß sie von Modernität umgeben sind -in moderne Verhaltensweisen einbezogen finden. Mache man die Gewährung von Entwicklungshilfe von inneren Reformen abhängig, so könne eine Belohnung eines schon partiell vorhandenen dissonanten Verhaltens dazu führen, daß der Wandlungsprozeß nicht so umfassend ausfalle, wie dieses möglich wäre, wenn die Akteure ihr Verhalten nicht mit dem Hinweis abtun könnten, nur deshalb so gehandelt zu haben, um in den Genuß von Entwicklungshilfe zu gelangen. Der Umstand, daß die öffentliche Entwicklungshilfe nicht mehr so reichlich zur Verfügung steht -im Jahre 1992 lag sie mit 54, 9 Mrd. US-Dollar um 2, 5 Mrd. US-Dollar niedriger als im Vorjahr -, dürfte dazu beitragen, die von Hirschman so bezeichnete „Kunst der Entwicklungsförderung“ zu begünstigen, nämlich für mehr Gelegenheiten zu Dissonanz erzeugenden Handlungen zu sorgen und sich darauf zu konzentrieren und zu beschränken, in den Entwicklungsländern politisch bereits beschlossene Reformen zu unterstützen.

III. Der Staat als wohlwollender Entwicklungshilfediktator

Im wesentlichen war es die außenpolitische Instrumentalisierung der Entwicklungshilfe, die dazu geführt hat, die Entwicklungshilfepolitik als Staats-aufgabe zu betrachten. Entwicklungshilfe, so wurde und wird argumentiert, ist ein öffentliches Gut, und es ist die Aufgabe des Staates, ein suboptimales Aufkommen von freiwilligen privaten Spenden zu korrigieren. Sollten die Menschen in den westlichen Industrieländern tatsächlich nur zu einem „unzureichenden“ Spendenaufkommen bereit sein, so macht ihnen Oswald von Nell-Breuning daraus keinen Vorwurf: Denn „Menschen, die den Vorzug genießen in einem fortgeschritteneren Lande zu leben und an dessen hohem Lebensstandard teilzunehmen, haben... keine unmittelbar persönliche Verpflichtung der Menschenliebe, den... vollkommen unbekannten Menschen in den unterentwickelten Ländern zu helfen; das wäre... eine , Fernsten-Liebe‘, der zu viele andere Verpflichtungen Vorgehen, als daß dafür noch Zeit und Kräfte übrigbleiben könnten“ Anders lägen die Dinge auf der Ebene des Staates. Für die fortgeschrittenen, hochentwickelten Staaten seien die Entwicklungsländer, selbst wenn sie Antipoden wären, unmittelbare Nachbarn, so daß die ihnen gewährte Hilfe keine Übung der Fernsten-Liebe, sondern echte Nachbarschaftshilfe sei. Entwicklungshilfe, so ist zwangsläufig seine Schlußfolgerung, ist im Bereich der politischen Ethik angesiedelt.

Entwicklungshilfe aus der Sicht der politischen Ethik zu betrachten mag unproblematisch sein, wenn sie ausschließlich aus Gründen vermeintlicher politischer Klugheit gewährt wird; doch Bedenken und Zweifel sind angebracht, wenn ihre Vergabe vorrangig mit Überlegungen der sozialen Gerechtigkeit begründet wird und begründet werden muß. Handelt es sich doch bei den Akteuren der Entwicklungshilfe um ungleiche Partner, wobei der mächtige Entwicklungshilfegeber allein auf die Beliebtheit derer angewiesen ist, für die die Entwicklungshilfe als „Fernsten-Liebe“ bestimmt ist. Damit ist die Frage zu stellen, wie es um die Moral und Fähigkeit wohlwollender staatlicher „Entwicklungshilfediktatoren“ bestellt ist, wie die von der „Fernsten-Liebe“ ausgehende Gefahr, den Inhaber der Macht zu korrumpieren und den Zweck seiner Hilfe zu vereiteln, zu bewerten ist.

Nicht nur die Bundesregierung fordert von den Entwicklungsländern eine exportorientierte Wirtschaftspolitik und unterstützt sie dabei im Rahmen ihrer Entwicklungshilfe; doch auf der anderen Seite begünstigt sie tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse und verfolgt eine staatliche Subventionspolitik, die erhebliche Wettbewerbsbelastungen der Entwicklungsländer zur Folge haben. Ein solchermaßen praktizierter Protektionismus mindert nicht nur das Wirtschaftswachstum in den Geberländern, er belastet auch und vor allem die wirtschaftliche Entwicklung in der Dritten Welt

Diese auf den ersten Blick paradox erscheinende Situation gewinnt an Klarheit, wenn bei den politischen Akteuren zwischen ökonomischer und politischer Rationalität unterschieden wird. Die Mehrzahl der entwicklungshilfegebenden Industrieländer sind als repräsentative Demokratien organisiert, in denen die miteinander konkurrierenden Parteien darauf bedacht sind, die Mehrheit der Wählerstimmen auf sich zu vereinigen und möglichst viele Jahre an der Macht zu bleiben. Als Gegenleistung für politische Unterstützung bieten die Regierungen „ökonomische Vergünstigungen“ an, die in der einen oder anderen Form eine Lasten-umverteilung zuungunsten der Nichtbegünstigten darstellen. Von solchen Vergünstigungen wird nicht zuletzt das Gestaltungsmuster der Handelspolitik geprägt: Fördern und bedingen die außenwirtschaftlichen Verflechtungen binnenwirtschaftliche Entwicklungen, die die Umsetzung hochrangiger Ziele durch unpopuläre Strukturanpassungen gefährden, so neigen demokratische Regierungen zu entsprechenden Handelsbeschränkungen.

Eine solche „Externalisierung binnenwirtschaftlich unerwünschter Effekte“ folgt aus dem Umstand, daß die politische Willens-und Entscheidungsbildung nationalstaatlich organisiert ist und die Wahlchancen der konkurrierenden Parteien vor allem von den binnenwirtschaftlichen Entwicklungen abhängen. Als besonders geeignete „politische Lastenträger“ werden dabei insbesondere die ärmsten und einflußlosesten Entwicklungsländer angesehen, sind doch von ihnen nur geringe unliebsame Reaktionen zu erwarten. Kommt es dennoch dazu, wird ihren organisierten Protesten mit der Vergabe von Entwicklungshilfe begegnet. So erhält die Entwicklungshilfe den Charakter einer Art von Zoll-zugeständnis an die Dritte Welt und den einer Lastenumverteilung auf nationaler Ebene zugunsten derer, die von Importerleichterungen für die Entwicklungsländer verschont bleiben. Der Umstand, daß das von allen entwicklungshilfegebenden Industrieländern zugesagte Ziel von 0, 7 Prozent des Bruttosozialproduktes (BSP) nicht eingehalten wird, ist so gesehen ein Ausdruck des politischen Bemühens, die Kosten der systemerhaltenden nationalen Stabilität zu minimieren. Zugleich erklärt die solchermaßen nationalstaatliche Instrumentalisierung der Entwicklungshilfe, warum Unterprivilegierung in der Dritten Welt immer weniger mit Ausbeutung zusammenfällt und sich zu einer „gewissen Moralisierung der Ansprüche“ wandelt, die die Entwicklungsländer gegen die reichen Industrieländer anmelden.

Aus der Sicht der Geberregierung ist die Entwicklungshilfe für eine dem politischen Machterhalt dienende Instrumentalisierung in besonderer Weise geeignet, gehört sie doch zu denjenigen Bereichen praktischer Politik, die sich durch eine geringe Wählerbeweglichkeit auszeichnen, nicht zuletzt als Folge davon, daß die Wähler über sie und ihre außenpolitische Umsetzung relativ wenig informiert sind. Eine Entwicklungshilfe, die in den Dienst des Machterhaltes der regierenden Partei oder Parteien gestellt wird oder, vorsichtiger ausgedrückt, sehr leicht gestellt werden kann, ist nicht davor gefeit, auch in dem Bezugssystem der Empfängerländer in diesem Sinne genutzt zu werden. Empirische Untersuchungen deuten darauf hin, daß die Entwicklungshilfe, so wie sie in der Vergangenheit gehandhabt worden ist, kein öffentliches internationales Gut ist, ein Gut, von dem alle Staaten profitieren in dem Sinne, daß jedes Land aus dem Verhalten der anderen Geberländer über eine Verminderung seiner eigenen Hilfe einen Vorteil zu ziehen versucht (Trittbrettfahrerverhalten), und das damit einem systemimmanenten Prozeß der Verminderung ausgesetzt ist. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Konkurrenzdenken um außenwirtschaftlichen Einfluß ist der Motor, der die gewährte Hilfe um so größer werden läßt, je höher die der anderen Länder ist

Dieser expansionistische Mechanismus kann allerdings auch in die umgekehrte Richtung wirken. Nehmen die binnenwirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht nur in einem, sondern in mehreren Geberländern zu und sinkt damit die relative politische Bedeutung der außenwirtschaftlichen Instrumentalisierung der Entwicklungshilfe, dann werden ihre Kürzungen mit dem Verhalten der anderen Geberländer gerechtfertigt. Ganz in diesem Sinne betont der deutsche Entwicklungshilfeminister, daß das Mittelaufkommen von etwa 0, 34 Prozent des BSP im Jahre 1992 gegenüber 0, 41 Prozent in den Jahren zuvor dem Durchschnitt der Mitgliedsländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) entspräche und fügt erläuternd hinzu, daß die Entwicklungshilfepolitik angesichts der innenpolitischen und wirtschaftlichen Probleme an Bedeutung eingebüßt habe

Konkurrenzdenken bei der Vergabe von Entwicklungshilfe ist weniger auf originär staatliche Anliegen, wie etwa die kommunistische Eindämmung, als vielmehr auf die Möglichkeit gerichtet, bei den Empfängerregierungen ökonomische Vergünstigungen für die eigenen Exporteure durchzusetzen, um von letzteren als Gegenleistung politische Unterstützung zu erhalten. Wohl kaum ist davon auszugehen, daß die Vergabe und Ausgestaltung von Entwicklungshilfe ausschließlich von „politischen Vergünstigungen“ bestimmt werden. Eine solche Einschätzung würde der simplen Überlegung widersprechen, daß der private Grenznutzen einer lobbyistischen Einflußnahme auf eine bestimmte Entwicklungshilfepolitik zu gering ist, um eine entsprechende Aktivität zu entfalten. Anders dagegen können die Dinge für Interessengruppen aussehen, die bereits in Entwicklungsländern tätig sind; für sie liegt es nahe zu versuchen, den Einfluß ihrer entwicklungshilfegebenden Regierung in dem jeweiligen Empfängerland zu ihrem Vorteil zu nutzen. Und es ist eine solchermaßen mögliche und wohl auch praktizierte Externalisierung von Innenpolitik, die dazu angetan ist, die Entwicklungsländer zum Gegenstand von innenpolitischen Interessen und Machtkämpfen in den Geberländern werden zu lassen, der Entwicklungshilfe einen immer wieder kritisierten imperialistischen Charakter zu verleihen, sie zu einem Spielball von machtpolitischen Interessen der Regierungen von Geber-und Empfängerländern zu degradieren und ihre Fortführung sicherzustellen, egal ob sie einer „gesunden Entwicklung“ dient oder nicht

IV. Hilfe mit Verantwortung paaren Mit Bezug auf die Linderung der Armut in der Dritten Welt ist davon gesprochen worden, daß es sich bei der Entwicklungshilfe um „kaltes Geld“ handele; dieses Geld in „heiße“, selbstverantwortliche Systeme in den Empfängerländern einzuschleusen, habe nicht funktioniert. Das Entwicklungshilfe-Geld müsse vorher „angewärmt“ werden, als „kaltes“ Geld müsse es in besonderer Weise behandelt werden. Mit dieser Einsicht werden zwei Fragen aufgeworfen: Wie ist dieser Prozeß des „Anwärmens“ zu bewerkstelligen, und nach welchen Regeln soll er gebilligt oder abgelehnt werden?

Wohl einem jeden leuchtet ein, daß es in einer komplexen Problemsituation zunächst vernünftig ist, sich Klarheit darüber zu verschaffen, was man eigentlich tun will. Doch das, was vernünftig erscheint, ist im Falle der Entwicklungshilfe, zu mehr Entwicklung in der Dritten Welt beitragen zu wollen, keineswegs gegeben. Der Grund hierfür ist, daß die angestrebte „Mehr-Entwicklung“ an Klarheit, Eindeutigkeit und intersubjektiver Überprüfbarkeit zu wünschen übrigläßt. Ja, die Angabe des Zieles in Form eines Komparatives läßt die Vermutung zu, daß man gar nicht genau weiß, was man eigentlich will

Mit der Unklarheit der Ziele der Entwicklungshilfe geht das Fehlen von Kriterien einher, aufgrund derer sicher entschieden werden kann, ob das Anliegen der Hilfe erreicht worden ist oder nicht. Zugleich wird die Möglichkeit erhöht, die verbalisierten Ziele der Entwicklungshilfepolitik in einer widerspruchsfreien Übereinstimmung mit den faktischen vitalen außen-und innenpolitischen Eigeninteressen erscheinen zu lassen.

Der Tatbestand unklarer Ziele in komplexen Handlungssituationen zwingt die Akteure dazu, eigene Handlungsziele zu formulieren, und verschafft ihnen die Möglichkeit, sich den Schein universeller Verantwortung gepaart mit hoher Selbstsicherheit in ihrem eigenen Tun zu geben und sich im Laufe der Zeit eine eigene Realität zu schaffen, in der die Maßnahmen nicht nur eine unrealistisch große Bedeutung erlangen sondern sich auch verselbständigen. Dabei werden verschachtelte Rückkopplungen über den geschaffenen und betrachteten Realitätsausschnitt hinaus nicht selten bewußt oder unbewußt ausgeblendet.

Zwar versichern die Projektverantwortlichen, daß zu Beginn jeglicher Förderungsmaßnahmen in den Empfängerländern die politische Bereitschaft zu den als notwendig erachteten Korrekturen vorhanden sein oder geschaffen werden muß, um den Erfolg der vereinbarten Projekte sicherzustellen, doch in der Projektplanung werden solche Entwicklungshindernisse nicht selten in sogenannte Rahmenbedingungen verwandelt, wobei häufig zu fragen ist, „ob es nicht vorrangig um die Veränderungen der Rahmenbedingungen geht“ ob es nicht die Rahmenbedingungen sind, die im Sinne der Betrachtungen von Hirschman der eigentliche Gegenstand der Projekt-Bemühungen zu Veränderungen sein müßten. Der üblichen Verbalintegration von Entwicklungshindernissen und Projektrahmenbedingungen liegt nicht zuletzt die Absicht zugrunde, das in Rede stehende Projekt durchzuführen, ohne die erfolgsnotwendige Verhaltensveränderung der politisch Verantwortlichen abzuwarten oder in geeigneter Form zu unterstützen.

Doch nicht nur solche verbalen „Verkleisterungen“ von Nichtzuvereinbarendem, auch zuweilen erst mit erheblicher Zeitverzögerung zutage tretende kontradiktorische Beziehungen zwischen angestrebten Teilzielen führen zu Erfolgsschwierigkeiten, wie in einem jüngeren Untersuchungsbericht der Weltbank selbstkritisch dargelegt wird Solche Zielkonflikte werden nicht häufig so offen publiziert, ist es doch die sich selbst zugebilligte Kompetenz, die psychologisch einer solchen Selbstkritik im Wege steht. So werden „Verschwörungstheorien“ (Dietrich Dörner) entwickelt, die aus dem Versäumnis oder aus den Fehlentwicklungen des eigenen Tuns ein Verschulden von anderen zu machen trachten

Wer aber ist es, der für die Ergebnisse oder auch Nicht-Ergebnisse der gewährten Entwicklungshilfe letztlich verantwortlich ist? Wer ist es, der denjenigen, die durch die Vergabe der Entwicklungshilfe direkt oder indirekt betroffen werden, Rede und Antwort zu stehen hat? Politisch verantwortlich ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Und es ist die Vergabeform der Projekthilfe, durch die die Verwendung der Entwicklungshilfemittel einer parlamentarischen Kontrolle unterworfen werden soll. Doch wie ist es um diese öffentlich-parlamentarische Kontrolle bestellt, zumal die Möglichkeit nicht zu negieren ist, daß die Regierungen und die Bürokratie auch eigenständige, von den proklamierten Zielen der Entwicklungshilfe abweichende Anliegen verfolgen, wie Gewährung von politischen Vergünstigungen, persönlicher Aufstieg in der bürokratischen Hierarchie etc.?

In der Praxis ist die zuständige Stelle der Erfolgs-kontrolle das zu kontrollierende Entwicklungshilfe-ministerium selbst. Dabei mißt es den Ergebnissen seiner Evaluierungen und Inspektionen einen vertraulichen Charakter zu. Die Öffentlichkeit wird durch zusammengefaßte Schlußfolgerungen informiert, um ihr Verständnis für die besonderen Schwierigkeiten und Probleme bei der Planung und Durchführung von Entwicklungsprojekten zu fördern Doch warum müssen die Evaluierungen und Inspektionen, die ja auch eine Überprüfung der Verwendung von Steuergeldern beinhalten, vertraulichen Charakter haben? Und wie ist es möglich, Verständnis für Schwierigkeiten und Probleme aufzubringen, ohne sie im einzelnen zu kennen?

Sofern es nicht möglich ist, der breiten Öffentlichkeit umfassender Rechenschaft abzulegen, wie steht es dann um die parlamentarische Kontrolle, mit der ja die Vergabe von Entwicklungshilfe in der Form der Projekthilfe so häufig begründet wird? Heinz Läufer spricht in diesem Zusammenhang von der „Farce der Kontrolle“ Die Regierungsparteien sähen ihre Aufgabe nicht mehr darin, die Regierung und die Bürokratie öffentlich-parlamentarisch zu kontrollieren, vielmehr wollten sie als parlamentarische Basis Bestand und Funktionsfähigkeit der Regierung sicherstellen. Zwar verfüge die Opposition über eine Reihe von Kontrollmöglichkeiten, habe jedoch kaum Chancen, diese gegen die bürokratische Macht effizient einzusetzen. Es ist wohl die solchermaßen bedingte Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Kontrolle, die jüngst zu der parlamentarischen Initiative geführt hat, die öffentliche Entwicklungshilfe auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, um die Öffentlichkeit und das Parlament stärker an der entwicklungspolitischen Planung zu beteiligen

Wenn denn die Kontrolle der öffentlichen Entwicklungshilfe viele Wünsche offenläßt, wie steht es dann um die philanthropische Entwicklungshilfe, in deren Nähe häufig die Nichtregierungsorganisationen gerückt werden? Ist dieser im Gegensatz zur staatlichen Entwicklungshilfe Verantwortung systemimmanent? Ein Philanthrop hilft, ohne eine äquivalente Gegenleistung einzufordern. Mag sie vordergründig selbstlos erscheinen, so fördert doch näheres Hinsehen auch bei ihr klaren, wenn auch „sekundären“ Eigennutz zutage, etwa das Bewußtsein oder die Freude, etwas Gutes zu leisten oder geleistet zu haben. Und für diejenigen, die die Pläne des Philanthropen ausführen, ist es eine Tätigkeit wie jede andere und durch gleiche private Eigeninteressen beeinflußt wie in jeder anderen Bürokratie. Worin sich allerdings die philanthropische von der staatlichen Hilfe grundlegend unterscheidet, ist, daß sie ihrem Wesen gemäß niemandem verantwortlich ist. Auch wenn damit nicht gesagt werden kann oder soll, daß sie schlecht oder gut ist, wesentlich ist, daß der Philanthrop niemandem Rechenschaft schuldig ist, der von seiner Hilfe direkt oder indirekt betroffen ist.

Wohl das weitreichendste Beispiel fehlender Rückkopplung philanthropischer Entwicklungshilfe ist die sogenannte „Grüne Revolution“. Um der Nahrungsmittelknappheit in der Dritten Welt ein Ende zu setzen, unterstützte die Rockefeiler Foundation den Pflanzenzüchter Ernest Borlaug dabei, neue Hocherjragssorten für Mais und Weizen zu entwikkeln. Diese Unterstützung erfolgte, obwohl ihr damaliger Vizepräsident, Alan Gregg, das starke Bevölkerungswachstum auf einer schon übervölkerten Erde als ein Krebsgeschwür bezeichnete und davor warnte, daß man ein Krebsgeschwür nicht dadurch heilen könne, daß man es füttere

Der breiten Öffentlichkeit war Borlaug bekannt geworden, als ihm 1970 der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Vorgeschlagen waren zwei Männer: Don Helder Camara, Erzbischof von Olinda und Recife, der Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit, und Ernest Borlaug. Mit der Vergabe des Friedensnobelpreises an einen Biologen verband man offensichtlich die Hoffnung, daß man sich mit der „Grünen Revolution“, d. h. mit wissenschaftlich-technologischen Maßnahmen, gewissermaßen der Notwendigkeit von politischen Reformen entziehen könne. Doch die Hoffnung trog. Auf der gesellschaftlichen Ebene hat die „Grüne Revolution“, so Maurice Guernier, zu einer Konzentration der Produktion zugunsten der Großgrundbesitzer geführt und eine große Zahl von Bauern zu Landarbeitern mit niedrigen Löhnen werden lassen oder in die großen Städte getrieben, wo sie einen der schlimmsten und spannungsgeladensten Problempunkte der Dritten Welt bilden -1990 lebten 37 Prozent der Dritte-Welt-Bevölkerung in Städten, 30 Jahre zuvor waren es nur 22 Prozent.

V. Entwicklungshilfe als Vorsorgepolitik

Entwicklungshilfe mit Verantwortung „anzuwärmen“, ihr gleichsam Verantwortung zu verinnerlichen, verweist auch darauf, warum sie gegeben wird. Als Vorsorgepolitik soll sie die heutige Wirtschaftskraft dafür einsetzen, erkannte Risiken von den nächsten Generationen möglichst fernzuhalten im Sinne und in der Verantwortung des Generationenvertrages. Verantwortungsvolle Entwicklungshilfe als Vorsorgepolitik hat drei Prinzipien Rechnung zu tragen: Die Hilfemittel sind in einer Weise aufzubringen und einzusetzen, die einer ökologischen Erneuerung des Wirtschaften in den Geberländem nicht im Wege steht, die den Ressourcenraubbau in den Empfängerländern einschränkt und die dem Gedanken der Subsidiarität und der Delegation von Verantwortung Rechnung trägt.

Ohne jeden Zweifel zeugt das gegenwärtige Aufkommen der Entwicklungshilfemittel nicht von der Einsicht in das globale Verursacherprinzip und in die Notwendigkeit, den Teufelskreis zwischen armutsbedingtem Ressourcenraubbau in den Entwicklungsländern und reichtumsbedingter Energie-und Rohstoffverschwendung in den Industrie-ländern durchbrechen zu müssen. Im wesentlichen sind es drei Modelle, die für ein solchermaßen verstandenes verantwortungsbewußtes Mittelaufkommen der Entwicklungshilfe diskutiert werden: Kompensationszahlungen zum Umwelterhalt, die Einführung einer Welt-Ressourcensteuer und die Ausgabe von Emissionszertifikaten.

Kompensationszahlungen für den Umwelterhalt sind eine spiegelbildliche Anwendung des Prinzips der Internalisierung von Umweltkosten. Während eine nationale extensive Nutzung der Umwelt allen Völkern der Erde zugute kommt, fallen die Kosten aus dem Nutzungsverzicht nur dem betreffenden Staat zur Last. Werden die Kosten auf alle Nutznießer umgelegt, so besteht für den Staat kein Anreiz, die Umwelt stärker in Anspruch zu nehmen, als es dem globalen Interesse entspricht.

Steuerobjekt einer Welt-Ressourcensteuer könnte die Gesamtheit oder eine begrenzte Anzahl von besonders umweltrelevanten fossilen Energieträgern und nicht emeuerbaren Rohstoffen oder in einer reduzierten Fassung die international gehandelten Energieträger und Rohstoffe sein. Von den Entwicklungsländern wird eine solche Steuer mit Skepsis betrachtet, kann sie doch leicht zu einem Nullsummenspiel werden, wenn die importierenden Entwicklungsländer die Steuer mit Preiserhöhungen bezahlen müssen.

Dritte Variante schließlich ist die Ausgabe von und der internationale Handel mit einer festgelegten Zahl von Zertifikaten für einige Emissionen, wie etwa für Kohlenstoffdioxyd. Berechnungsgrundlage für die nationale Zertifikatsmenge wäre die Pro-Kopf-Bevölkerung. Mit Hilfe der Zertifikate würden Länder oder Unternehmen mit hohen Kosten für ihre Schadstoffreduzierung in die Lage versetzt, Verschmutzungsrechte von Produzenten mit niedrigeren Kosten zu erwerben. Um der Gefahr vorzubeugen, daß die Entwicklungsländer einen großen Teil ihrer Zertifikate sehr schnell zugunsten einer kurzfristigen Devisenbeschaffung verkaufen und dann vor dem Problem stehen, ihre energieintensiven Entwicklungsprogramme nicht finanzieren zu können, ist vorgeschlagen worden, daß die Zertifikate nur „geleast“ und periodisch nach dem ursprünglichen Schlüssel neu vergeben werden.

Auf die Vor-und Nachteile, die Stärken und Schwächen der drei Transfermodelle und die Möglichkeiten ihrer Verbindung kann hier zwar nicht eingegangen werden, aber sie weisen doch die Richtung, wie die Mittel für die Dritte Welt durch ein verantwortungsvolles, ökologisch angepaßtes, die Marktwirtschaft als Organisationstechnik nutzendes Wachstum der Geberländer aufzubringen sind. Nicht vorausschauend in eine solche Richtung zu denken, beschwört das Schreckgespenst einer Ökodiktatur herauf, die bei plötzlichen krisenhaften Zuspitzungen der Umweltsituation versucht, ihnen mit drastischen ordnungsrechtlichen, freiheitsbeschränkenden Verfahren zu begegnen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Entwicklungshilfe gilt als verschwenderisch, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 30. 11. 1993; Ziele für Amerikas Auslandshilfe, in: FAZ vom 2. 12. 1993.

  2. Vgl. K. Natorp, Mehr Rückenwind für Entwicklungshilfe,

  3. R. Tetzlaff, Politische Konditionalität -politische Notwendigkeit und entwicklungspolitische Chance, in: Nord-Süd aktuell, VI (1992) 3, S. 488.

  4. Vgl. M. Bohnet, Die Rahmenbedingungen müssen verändert werden. Entwicklungspolitische Strategien des BMZ, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, 33 (1992) 12, S. 14.

  5. R. Dahrendorf, Betrachtungen über die Revolution in Europa, Stuttgart 1990, S. 74.

  6. Vgl. R. von Weizsäcker, Nur Zusammenarbeit schafft Frieden, in: Die Zeit vom 30. 9. 1983.

  7. Th. Hanf, Nach Afghanistan: Überlegungen zu einer demokratieorientierten Dritte-Welt-Politik, in: H. Kohl (Hrsg.), Der neue Realismus, Düsseldorf 1980, S. 191.

  8. Vgl. A. O. Hirschman, Entwicklung, Markt und Moral, Frankfurt/M. 1993, S. 24f.

  9. O. von Neil-Breuning, Die ethische Begründung der Entwicklungshilfe, in: Jahrbuch des Instituts für christliche Sozialwissenschaften, 3. Bd., Münster 1962, S. 342.

  10. Bezeichnendes Beispiel ist der von der EU subventionierte Rindfleischexport nach Afrika und seine Zerstörung der mit europäischer und deutscher Entwicklungshilfe geförderten afrikanischen Viehwirtschaft. Vgl. W. Zank, Mangel durch Überfluß, in: Die Zeit vom 3. 12. 1993.

  11. W. Zohlenhöfer, Zur politischen Ökonomie des neuen Protektionismus, in: M. Feldsieper/R. Groß (Hrsg.), Wirtschaftspolitik in weltoffener Wirtschaft, Berlin 1983, S. 154.

  12. J. Habermas, Bedingungen für eine Revolutionierung spätkapitalistischer Gesellschaftssysteme, in: Marx und Die Revolution, Frankfurt/M. 1970, S. 38.

  13. P. Mosley, The Political Economy of Foreign Aid: A Model of the Market for a Public Good, in: Economic Development and Cultural Change, 34 (1985), S. 373ff.; B. S. Frey, International Political Economics, Oxford 1984, S. 99.

  14. Entwicklungspolitik kann Asylmißbrauch nicht verhindern, in: Süddeutsche Zeitung vom 7. 11. 1992.

  15. Jüngstes bezeichnendes Beispiel ist die Bewilligung von 350 Mio. Mark Entwicklungshilfe für ein U-Bahn-Projekt in Kanton/China, mit denen dem deutschen Konsortium unter Führung der Siemens AG ein günstiges Finanzierungsangebot ermöglicht wird. Ein solches Finanzierungsangebot war erforderlich geworden, nachdem die chinesische Wirtschaftsministerin vor ihrem Deutschlandbesuch deutlich gemacht hatte, daß nur günstige Finanzkonditionen, auch über die deutsche Entwicklungshilfe, deutschen Firmen zu Großaufträgen verhelfen werden. Vgl. Peking verknüpft Aufträge an deutsche Firmen mit Forderung nach Bonner Entwicklungshilfemitteln, in: Handelsblatt vom 17. /18. 9. 1993.

  16. Vgl. D. Dörner, Logik des Mißlingens, Reinbek 1991, S. 68.

  17. Vgl. G. Esters, Entwicklungspolitische Konzeption und Nord-Süd-Dialog, in: G. Esters (Hrsg), Nord-Süd-Politik, Bonn-Bad Godesberg 1977, S. 103.

  18. H. -H. Münkner, Wenn beim Bau eines Hauses vom Dach ausgegangen wird..., in: ASA-Programm (Hrsg.), Nachfragen zur Entwicklungspolitik, Saarbrücken-Fort Lauderdale 1986, S. 85f.; J. von Stockhausen, Projekthilfe noch problemgerecht?, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, 26 (1985) 11, S. 6ff.

  19. Die Bank habe während der achtziger Jahre durch ihre Reformen des öffentlichen Sektors erheblich dazu beigetragen, die Institutionen in den Entwicklungsländern vorübergehend zu schwächen, ohne dabei dieser Schwächung bei der Umsetzung ihrer Projekte Rechnung zu tragen. So sei die geplante durchschnittliche Projektausführungszeit von fünf bis sechs Jahren meistens deutlich überschritten worden -in ihrem Weltentwicklungsbericht 1983 veranschlagt die Weltbank die Kosten einer zweijährigen Verzögerung in der Projektausführung auf 20 Prozent der Investitionskosten -, und die Auszahlung der Kredite habe sich beträchtlich verzögert. Vgl. die Weltbank muß ihre Projekte besser vorbereiten, in: FAZ vom 6. 10. 1992.

  20. „Eine bedeutende Rolle für Mißerfolge spielen die vielfältigen staatlichen Einwirkungen in den Entwicklungsländern, namentlich auf wichtige Projektvariablen wie Preise, Tarife und Personal. Projektfremde Zielsetzungen halten die jeweiligen Regierungen oft davon ab, erforderliche Preis-und Tarifanpassungen zu genehmigen.“ Oder: „Es ist eine zwangsläufige Folge von niedrigen Gehältern, daß das Personal nebenbei anderen Beschäftigungen nachgeht. Dies macht deutlich, daß institutioneile Probleme allein durch Planungsund Bauüberwachungs-Consultants... langfristig nicht gelöst werden können.“ Kreditanstalt für Wiederaufbau, Ergebnisse der Projektarbeit. Aus der Praxis der finanziellen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, Frankfurt/M. 1991, S. 21 f.

  21. Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), Journalisten-Handbuch Entwicklungspolitik 90/91, Bonn 1990, S. 24.

  22. H. Läufer, Bürokratisierte Demokratie, Osnabrück 1983, S. 80.

  23. Vgl. Debatte über Entwicklungspolitik, in: FAZ vom 30. 10 1993.

  24. Vgl. G. Hardin, An Operational Analysis of „Responsibility“, in: G. Hardin/J. Baden, Managing the Commons, San Francisco 1977, S. 74.

  25. Vgl. M. Guemier, Die Dritte Welt: drei Viertel der Welt, München-Zürich 1981, S. 98 f.

Weitere Inhalte

Joachim von Stockhausen, Dr. sc. agr., geh. 1939; Studium der Land-und Volkswirtschaft; apl. Professor für Agrarökonomie an der Universität Göttingen; freiberuflicher Gutachter in der Entwicklungshilfe. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen der Entwicklungshilfepolitik und der Finanzsysteme in Entwicklungsländern.