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Neue Konturen der Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Staaten | APuZ 20/1994 | bpb.de

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APuZ 20/1994 Entwicklungshilfe im Spannungsfeld von politischen Interessen und sozialer Gerechtigkeit Grenzen und Chancen der Entwicklungshilfe Entwicklungszusammenarbeit und die Flüchtlings-und Migrationsproblematik Neue Konturen der Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Staaten Artikel 5

Neue Konturen der Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Staaten

Glenn Brigaldino

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Zusammenfassung

Die Zusammenarbeit der Länder der Europäischen Union mit den 70 Ländern der AKP-Gruppe (Afrika, Karibik, Pazifik) ist durch die Bestimmungen der Lome-IV-Konvention geregelt. Dieses einzigartige Kooperationsinstrument eröffnet vielfältige und weitreichende Möglichkeiten zur wirkungsvollen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Staaten. Der finanzielle Rahmen der Zusammenarbeit ist festgelegt durch ein finanzielles Protokoll in Höhe von 12 Milliarden ECU. Im Rahmen der Halbzeitüberprüfung des auf zehn Jahre angelegten Abkommens wird auch ein zweites Finanzprotokoll beschlossen werden müssen. Doch nicht so sehr die absolute Höhe der Mittel steht oben auf der Tagesordnung der verhandelnden Parteien, sondern Fragen zur Verbesserung der Kooperationsinstrumente, des Partnerschaftsprinzips und der institutioneilen Kapazitäten erweisen sich als Prioritäten. Das Lome-Abkommen räumt den AKP-Staaten eine Fülle von Instrumenten zur Förderung ihrer Entwicklung ein. Diese können aber oftmals nur unzureichend genutzt werden aufgrund schwacher Kapazitäten in den AKP-Ländern und administrativer Schwerfälligkeit in der EU-Kommission. Verbesserungen tun not, und an Vorschlägen zur Steigerung der Effizienz und Förderung der Kapazitäten im allgemeinen mangelt es nicht. Die wachsenden wirtschaftlichen Probleme, die politischen sowie sozialen Spannungen in vielen AKP-Ländern drohen sämtliche Erfolge der Vergangenheit zunichte zu machen, wenn es nicht gelingt, diesen Ländern wirkungsvolle und nachhaltige erfolgreiche Entwicklungsperspektiven zu eröffnen. Unter den vorherrschenden Integrationsmustern des Weltmarktes sind die Erfolgschancen hierfür mit großer Skepsis zu bewerten. Die Lomö-Zusammenarbeit wird in der Folge der Bestimmungen des Vertrages von Maastricht allmählich in sich schlüssiger definiert werden müssen. Dabei werden die Entwicklungspolitiken der einzelnen EU-Staaten auch stärker aufeinander abgestimmt werden müssen. Die zukünftige Form der Kooperation mit den AKP-Staaten wird neue Gestalt annehmen und möglicherweise „globalisiert“, d. h. über die historisch definierte AKP-Gruppe hinaus angewandt werden. Ob es ein neues Lom 6-Vertragswerk geben wird oder ob die Zusammenarbeit der AKP-Länder mit der EU in einer erweiterten Entwicklungsbeziehung aufgehen wird, ist nicht so sehr von Bedeutung. Maßgebend für den Erfolg jeglicher Form der Entwicklungskooperation wird es sein, ob es gelingen wird, diese fundamental partnerschaftlich zu gestalten, und ob ein nachhaltiger Aufbau von Entwicklungskapazitäten in den armen Ländern zustande kommt.

I. Einführung

Schaubild 1: Die AKP-Länder

Die zwölf Länder der Europäischen Union (EU) unterhalten besondere Beziehungen im Bereich der internationalen Zusammenarbeit mit 70 Ländern Afrikas, des Karibischen und Pazifischen Raumes, die als AKP-Länder bezeichnet werden. Seit 1975 wird diese Zusammenarbeit vertraglich durch die Lome-Konventionen I bis IV geregelt. Die vierte Lome-Konvention ist, anders als die drei Vorgänger, auf zehn Jahre anstatt auf fünf Jahre abgeschlossen worden. Das finanzielle Protokoll zu dieser Konvention, das Höhe und Verteilung der von der EU bereitgestellten Mittel regelt, ist allerdings ein Fünfjahres-Abkommen, das zur Halbzeit von Lome IV auf seinen Inhalt sowie auf Ausstattung und Ausnutzung hin überprüft werden muß. Ab Februar 1995 müssen neue Mittel -im Rahmen eines achten Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) -bereitgestellt werden für die AKP-EU-Entwicklungszusammenarbeit unter der vierten Lome-Konvention. Mit der Ratifizierung des „Maastricht“ -Vertrages ist die Entwicklungszusammenarbeit erstmals zum rechtlichen Bestandteil der Europäischen Union und ihrer Institutionen erhoben worden.

Sind die Implikationen des Vertrages zur Europäischen Union für die meisten Bürger der EU noch weitgehend ungewiß, so sind die Ziele des Artikels 130 in seinen Abschnitten u bis y über die Entwicklungszusammenarbeit der EU wohl für die meisten Bürger nicht von Algebra zu unterscheiden.

Wachsende soziale Probleme, verbunden mit krisenhaften innergesellschaftlichen Verteilungskämpfen in den EU-Mitgliedsländern, versperren allen Beteiligten den Blick auf internationale Prioritäten. Zusammenhänge zwischen Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit innerhalb der EU, der Einzelstaaten und Regionen mit Armuts-, Umwelt-und Partizipationsproblemen in den unterentwikkelten Ländern im allgemeinen und in den ärmsten der AKP-Länder im besonderen werden fast nur noch von Experten wahrgenommen oder lediglich abstrakt von der breiten Bevölkerungsmehrheit der Europäer erahnt.

Es ist keineswegs Schwarzseherei, wenn viele entwicklungspolitische Akteure aus den AKP-Ländern feststellen, daß Entwicklungszusammenarbeit für die EU keine politische Priorität darstellt und daß der Maastricht-Vertrag kaum etwas daran ändern wird.

Ungewißheit ist vielleicht das herausragende Merkmal in der Debatte über die Zukunft der EU-AKP-Entwicklungskooperation, direkt gefolgt von Einseitigkeit, denn den Ton in den Diskussionen über Ziele, Mittel, Formen und Konturen der Zusammenarbeit mit den AKP-Ländern geben die Europäer an.

Das Grundprinzip der Partnerschaft in den AKP-EU-Beziehungen ist zutiefst gestört und läuft Gefahr, sowohl von bi-als auch von multilateraler Seite her durch wirtschaftliche und politische Konditionalitäten ausgehöhlt zu werden. Doch bevor hier auf mögliche Perspektiven, wünschenswert oder nicht, eingegangen werden soll, ist es angebracht, die gegenwärtigen Grundpfeiler dieser Kooperation kurz zu beschreiben. Danach folgt ein Blick auf die Verhandlungspositionen von AKP und EU zur Halbzeitprüfung des Lome-Abkommens. Anschließend werden die Chancen zu einer wirkungsvolleren und gegenseitig nutzbringenderen AKP-EU-Kooperation nach Lome IV ausgelotet.

II. Grundlage der AKP-EU-Kooperation

Schaubild 2: Die finanziellen Hilfen der EG im Rahmen der Lome-Abkommen I bis IV

Das Lome-Vertragswerk als Kern der Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Staaten ist inhaltlich sicherlich als „... ein Modell für Nord-Süd-Zusammenarbeit“ zu werten Im Jahre 1989 unterzeichnet, regelt es die AKP-EU-Beziehungen bis zum Jahre 2000. Seine finanzielle Ausstattung wird in zwei Fünf-Jahres-Abschnitten festgelegt. Über das finanzielle Protokoll für die zweite Periode, gültig ab 1995, wird zur Zeit im Rahmen der Halbzeitprüfung des Lom 6-IV-Abkommens zwischen den Vertragsparteien verhandelt. Finanziert wird es durch einen Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), und zwar über direkte Einzahlungen der EU-Mitgliedstaaten, nicht durch den regulären EU-Haushalt (über den das Parlament der EU eingeschränkte Kontrollbefugnisse ausübt). Wie aus folgender Tabelle zu ersehen ist, leisten Frankreich und Deutschland die größten Beiträge zu dem siebten EEF. Mit der Aufnahme der vier Beitrittskandidaten könnten neue Ressourcen für Lome IV aufgebracht werden, etwa in Höhe von zehn Prozent der Mittel für das erste Finanzprotokoll

Mit der Entscheidungsfindung und der praktischen Umsetzung der AKP-EU-Zusammenarbeit sind eine Reihe von Institutionen und Gremien betraut. Die hauptsächlichen politischen Träger der Kooperation sind der EU-Rat für Entwicklungszusammenarbeit, die Generaldirektion 8 der EU, das ständige Sekretariat der AKP-Staaten sowie die zweimal jährlich tagende Paritätische Versammlung aus offiziellen AKP-Vertretern und EU-Parlamentariern (einschließlich ihres Präsidiums und der Arbeitsgruppen).

Umgesetzt wird die Konvention vor allem durch die Länderdelegationen der EU-Kommission in Zusammenarbeit mit den nationalen Anweisungsbefugten im betreffenden AKP-Land. Praktisch durchgeführt werden Projekte und Programme des Lome-Abkommens mittels staatlicher Institutionen eines AKP-Landes, Nichtregierungsorganisationen oder durch Consulting-Firmen und Technische Zusammenarbeitsorgane. Die Gesamtmittel für die Lome-Zusammenarbeit in Höhe von 12 000 Millionen ECU verteilen sich über acht Hauptaufgabenbereiche (vgl. Schaubild 3).

Am bekanntesten ist vielleicht das Stabex-Abkommen. Stabex ist ein rohstoffpolitisches Kompensationsinstrument, das zur Stabilisierung von AKP-Exporterlösschwankungen agrarischer Rohstoffe beitragen soll. Es findet Anwendung bei 49 Produkten, wobei die bereitgestellten Mittel zu mehr als der Hälfte alleine von Kaffee und Kakao beansprucht werden. Stabexmittel können auch für Exportdiversifizierungsmaßnahmen in Anspruch genommen werden. Bedenkt man jedoch, wie sehr die Rohstofferlöse und die allgemeinen „terms of trade“ schon seit mindestens zehn Jahren erodiert sind, und sieht in diesem Zusammenhang, wie dringlich die meisten AKP-Länder eine Diversifizierung ihrer Produktion in Angriff nehmen müssen, dann erkennt man unschwer, daß die Stabexmittel, als bloßes Kompensationsinstrument, hierfür bei weitem nicht ausreichend sein können.

Die Nothilfemittel des siebten EEF liegen seit April 1992 größtenteils im Verantwortungsbereich des Amtes zur Koordinierung für humanitäre Hilfe (ECHO). Dieses Amt untersteht direkt dem EU-Kommissar für Entwicklungszusammenarbeit. Seine konkreten Interventionen in Notsituationen außerhalb der EU sind bezüglich operationeller Koordinierung oder Konzentration auf Präventions-und Frühwarnungsaufgaben nicht klar zu definieren. Seit 1993 ist ECHO mit über 80 internationalen Nothilfeorganisationen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) Rahmenverträge zur Zusammenarbeit eingegangen und hat somit seinen Einfluß und seine Mitwirkung bei humanitären Einsätzen intensiv formalisiert. Seine abgehobene Operationsstruktur außerhalb der allgemeinen EU-Entwicklungskooperation läßt jedoch viele Fragen hinsichtlich der politischen Intention hinter einer solchen Arbeitsweise offen.

Die Europäische Investitionsbank (EIB) vergibt Darlehensmittel unter dem Lome-Abkommen, und sie verwaltet die Risikokapital-Ressourcen des EEF. Während die Darlehen vorwiegend in staatliche Infrastruktur und in industrielle Projekte investiert werden, dient das Risikokapital vor allem zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen der Privatwirtschaft. Die EIB selbst stellt nur sehr geringe eigene Mittel (zirka ein Prozent) für Projekte der AKP-Zusammenarbeit zur Verfügung. Lediglich zwölf Prozent der für Zwecke außerhalb der EU bereitgestellten Gelder der EIB wurden 1993 in den AKP-Ländern eingesetzt

Die regionale Kooperation ist potentiell ein Instrument von zunehmender entwicklungspolitischer Wichtigkeit. Doch seitens der AKP-Länder genießt es eher geringe Priorität. Seitens der EU sind infrastrukturelle Maßnahmen bisher stärker als direkte, wirtschaftlich integrative Projekte berücksichtigt worden

Strukturelle Anpassungshilfen unter Lome IV stehen bereit, um einzelne AKP-Länder bei der Durchführung von Strukturanpassungsmaßnahmen (SAP) zu unterstützen: -in sektoralen Importprogrammen, -bei der Umsetzung international vereinbarter SAP-Maßnahmen, -zur Abmilderung sozialer Härten infolge der SAP. Hauptinstrument der AKP-EU-Zusammenarbeit zur Förderung vielfältiger zentraler Aufgaben und Vorhaben sind die Nationalen Indikativ-Programme (NIP). In den einzelnen AKP-Ländern werden diese Programme gemeinsam von Kommissionsdelegierten der EU und von nationalen Beauftragten überwacht. Die Mittel für die Indikativ-Programme werden für die Dauer des Finanz-protokolls vergeben. Diskutiert wird zur Zeit, ob es effektiver wäre, die Mittel in Tranchen nach Erreichen vorgegebener Zwischenziele zu vergeben. Diverse andere Instrumente treten zu den nationalen Programmen hinzu und ergänzen diese.

Zu nennen sind vor allem die regionalen Indikativ-Programme, die industrielle Kooperation dezentralisierte Zusammenarbeit, Querschnittsaufgaben zu Bevölkerungs-, Umwelt-, Frauen-und kulturellen Fragen sowie Maßnahmen zur Förderung des privaten Sektors und zur Schuldenverringerung.

Diese grobe Skizzierung der Instrumente der Lomd-Zusammenarbeit soll hier zur Beschreibung des entwicklungspolitischen Rahmens genügen, den die Konvention absteckt. Über Leistungsfähigkeit, Effizienz und Ausstattung der Lomö-Zusammenarbeit bestehen sicherlich Auffassungsunterschiede und auch Meinungsverschiedenheiten zwischen vielen Beteiligten. Doch als Zwischen-resümee sollte festgehalten werden: „Nach wie vor schafft das Lome IV-Abkommen ein Forum im Nord-Süd-Dialog, das am Ende immer wieder Kompromisse ermöglicht, auf deren Grundlage die Kooperation fortgeschrieben und erweitert werden kann... Dies dürfte sich auch in Zukunft nicht ändern.“ Wie sich die Kooperation während der zweiten Hälfte des Lome IV-Abkommens fort-schreiben, erweitern oder gar umdefinieren wird, soll im Folgenden zu klären versucht werden.

III. Überprüfung von Lome IV

Tabelle: Beiträge der EU-Mitgliedsstaaten für Entwickungshilfe

Die Halbzeitüberprüfung von Lome IV erfolgt unter grundlegend veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen -verglichen mit jenen vor 1990. Die gravierendsten Entwicklungen waren sicherlich die Auflösung des Ost-Blocks, die damit einhergehende Ausweitung der Marktwirtschaft sowie ihre intensivierte Organisation in regionalen Blöcken. Hinzu kommt das Einsetzen neuer Demokratisierungsprozesse in weiten Teilen der unterenwickelten Welt bei gleichzeitiger Ausbreitung von gewaltsamen politischen und ethnischen Konflikten in der ganzen Welt. Ohne diese Hauptentwicklungen im Detail weiter erläutern zu wollen oder auf andere gewichtige Umbrüche aufmerksam zu machen, soll resümiert werden, daß die Entwicklungschancen der AKP-Länder (vor allem der südlich der Sahara gelegenen afrikanischen) sich in dieser gewaltigen Umbruchsperiode nicht verbessert haben. Die Lome-Zusammenarbeit war nur unzureichend dazu geeignet, die Rolle des Rettungsankers gegen den weiteren sozioökonomischen Kollaps vieler dieser Länder zu spielen.

Unter den 61 Ländern der Welt, deren „Index der menschlichen Entwicklung“ von dem United Nations Development Programme (UNDP) als „niedrig“ eingestuft wird, befinden sich 45 AKP-Länder (zwei Drittel der Gesamtgruppe), und nur drei davon liegen nicht in Afrika

Im Kontext der Halbzeitüberprüfung von Lome IV besteht die Möglichkeit, mehr als einen bloßen Zwischenbericht in Form einer deskriptiven Bestandsaufnahme der Versäumnisse und Probleme in der AKP-ELT-Zusammenarbeit vorzulegen. Es bestehen, wenngleich auch eng definierte, Chancen zur Verbesserung der Kooperationsresultate in den kommenden fünf Jahren. Ob diese Chancen, seien sie technischer, organisatorischer oder materieller Art, ausreichen, um die Entwicklungsposition der AKP-Länder zu stärken, ist vorab nicht zu bestimmen.

Es ist jedoch wenig nützlich, in den Verhandlungen einen Kompromiß zwischen Maximalforderungen erzielen zu wollen. Ob „Modernisierung der Lome-Kooperation“ im Sinne einer Stärkung von Konditionalisierung oder „Globalisierung der EU-Entwicklungszusammenarbeit“ durch Einbeziehen aller unterentwickelten Länder in ein vertragliches Rahmenwerk kompromißfähige Ansätze gegenüber dem Bewahrenwollen des Status quo sind, bleibt eine im Hinblick auf konkrete Entwicklungserfolge unbefriedigende Fragestellung.

Einen praktischen „Ausweg“ aus einer solchen Dichotomie der Positionen bietet möglicherweise eine inhaltlich gestaffelte Halbzeitüberprüfung Anhand mehrerer Leitprinzipien würde demnach Lome IV in ausgewählten Prioritätsbereichen revidiert. Dieser Ansatz soll zunächst weiter erläutert werden.

IV. Als Partner aus der Krise

Schaubild 3: Lome-IV-Konvention: Finanzprotokoll 1990-1995 (Mio. ECU)

Angesichts der Tatsache, daß es 14 Monate intensiver Detailverhandlungen bedurfte, bis Lome IV beschlossen werden konnte, wäre es illusorisch, von der Halbzeitüberprüfung eine umfassende Revision zu erwarten. Andererseits wird niemandem durch das Ausklammern grundsätzlicher Fragen über Inhalte, Umsetzung und Zukunft der AKP-EU-Zusammenarbeit geholfen. Um eine Polarisierung der Debatte zu vermeiden, wäre es sinnvoll, die bestehende allgemeine Übereinstimmung zum Ausgangspunkt der Verhandlungen zu machen. Als erfolgversprechendste Richtung, in der die Konvention geändert werden sollte, läßt sich bereits jetzt eine breite Übereinstimmung bei EU-und AKP-Akteuren ausmachen in Fragen wie -Flexibilität in der Lome-Mittelzuweisung und Verwaltung, -Effektivitätssteigerung im Gebrauch der Mittel sowie verantwortungsvolleren Umgang mit ihnen, -Prioritätsetzung auf produktive Investitionen bei gleichzeitiger Diversifikation der Produktion und -weiter gefaßte Partnerauswahl, also eine Dezentralisierung der EU-AKP-Kooperation.

Auf einer solchen Grundlage ließen sich in der Folge der Halbzeitüberprüfung entwicklungspolitische Ansätze ausarbeiten, die zur Definierung der Post-Lome-Zusammenarbeit beitragen könnten. Um solche Ansätze vorzubereiten, könnte in den laufenden „mid-term“ Verhandlungen auf mehrere Schlüsselprinzipien näher eingegangen werden. Effektivität und Operationalität sowie die Verbesserung der Weltmarktposition der AKP-Staaten sind vorab zu nennen. Überragende Bedeutung kommt jedoch dem Partnerschaftsprinzip der Konvention zu, durch das AKP und EU im einzelnen AKP-Land wie auch in gemeinsamen Institutionen (wie etwa in der Paritätischen Versammlung) Zusammenarbeiten. Auf beiden Seiten dieser Beziehung entstanden „Lücken“ im vertraglich fixierten Partnerschaftsprinzip, da es bisher stets unzureichend in die Praxis umgesetzt wurde. Unbequeme Fragenbereiche wurden ausgeklammert, so z. B. die direkte Bezugnahme auf demokratische und verantwortungsvolle Regierungspraxis in vielen AKP-Staaten.

Auf der EU-Seite erwies sich die Frage nach der Kohärenz von Zielsetzungen der Politikfelder (vor allem zwischen Agrar-und Entwicklungspolitik) als ein zentrales, doch wenig debattiertes Problem. Inzwischen wird offener an solche Fragen herangegangen, wobei im Prozeß der Redefinierung des Partnerschaftsprinzips allerdings sorgfältig darauf geachtet werden muß, daß keine Seite ein Definifionsvorrecht für sich in Anspruch nimmt (Demokratiedefizite gibt es auch in der EU, umgekehrt existieren auch in den AKP-Staaten zahlreiche Widersprüche zwischen einzelnen Politikfeldern). Dennoch gibt es keine vernünftige Alternative zum Partnerschaftsprinzip, soll es nachhaltig gelingen, Effektivität und Umsetzung der Konvention zu stärken.

Strenge Kontrolle und Konditionalitäten seitens der EU stehen somit im Widerstreit mit Eigenverantwortung, Kompetenz-und Kapazitätsstärkung in den AKP-Ländern. Nur in enger Zusammenarbeit mit den AKP-Akteuren sind die erforderlichen Verbesserungen in der Anwendung der Konventionsinstrumente zu verwirklichen

Diese Zusammenarbeit muß sich z. B. viel stärker als bisher auf die systematische Evaluierung der Entwicklungszusammenarbeit erstrecken. Sie muß zudem intensiver auf glaubwürdige dezentralisierte Kooperationsformen bauen. Auf keinen Fall darf es hingenommen werden, daß das Partnerschaftsprinzip weiter zerbröckelt und zu einer formellen Floskel oder zu einem einseitigen, EU-determinierten Modus der Entwicklungszusammenarbeit „... unter weitgehender Ausschaltung der afrikanischen Regierungen“ wird

V. AKP und Weltmarkt

Um die Lome-Kooperation in einen langfristig produktiven entwicklungspolitischen Rahmen einzubetten, wird es nötig sein, übergeordnete strukturelle Maßnahmen zu ergreifen. Ein solches Leitprinzip ist unabdingbar, wenn es gelingen soll, soziale, ökologische und ökonomische Grundprobleme in den Entwicklungsländern einer Lösung näherzubringen. Zugleich wird dies nur durch fundamentale Umorientierungen der bisherigen Produktionsweisen und Handelsbeziehungen gelingen

Hauptsächlich in den Industrieländern, in denen Energie-und Umweltverbrauch mit Abstand am größten sind, werden Veränderungen nötig sein. Denn ohne eine möglichst baldige Abkehr von ressourcenverschwendenden Konsumgewohnheiten wird es immer unwahrscheinlicher, daß die armen Länder des Südens Spielräume zur Entfaltung tragfähiger Entwicklungsmodelle finden werden. Zahlen und Graphiken zur Veranschaulichung der Disparitäten zwischen Nord und Süd hinsichtlich ihres Verbrauchs von Ressourcen und Umwelt gibt es inzwischen viele. Zur Verdeutlichung der ökologischen Dramatik soll an dieser Stelle nur auf eine aktuellere Bestandsaufnahme der Lebensstil-Debatte verwiesen werden: „Eine globale Umweltpartnerschaft ist zu entwickeln, in der... gleichberechtigte Umweltnutzungsmöglichkeiten geregelt werden, die den ökologischen Möglichkeiten unseres Planeten und der jeweiligen Regionen angemessen sind. Eine gegenseitige Abhängigkeit von den scheinbaren Problemen anderer, eine ökologische Risikogemeinschaft, zeichnet sich immer deutlicher ab.“

Weniger grundsätzlich, aber auf einer für die AKP-Länder zunächst konkreten Ebene bezogen, wird es nötig sein, Entwicklungsfortschritte zu erzielen in den Fragen der Verschuldung, des Han­ dels und der Rohstoffpreise. Im Memorandum der AKP-Gruppe an die EU, in dem die AKP-Länder ihre Position zur Halbzeitüberprüfung darlegen, wird hervorgehoben, daß in diesen Bereichen die größten Fortschritte im Kooperationsverhältnis AKP-EU erreicht werden müssen, wenn eine Konsolidierung der Wirtschaften vieler AKP-Mitgliedstaaten gelingen soll

Augenblicklich scheint seitens der EU wenig Interesse an der Lösung dieser kritischen Fragen zu bestehen. Handlungsbedarf wird entweder verdrängt, abgewälzt oder geleugnet. So wird Verschuldung zum Zuständigkeitsbereich der internationalen Finanzinstitutionen deklariert, als ob die einzelnen EU-Länder in den Gremien von IWF und Weltbank ihre EU-Identität abstreifen könnten.

Die Aushöhlung des Handels infolge der tiefen Erosion der „terms of trade“ -ein zentraler entwicklungspolitischer Mechanismus für die AKP-Länder -wird gar ignoriert, indem z. B. die unter deutschem EU-Ratsvorsitz vorgelegte Verhandlungsposition in der „mid-term review“ Handelsfragen nicht thematisiert. Zu befürchten ist, daß es ohne politische Einsicht seitens der EU in die Dringlichkeit und Notwendigkeit von Lösungen auf der Ebene der weltwirtschaftlichen Struktur-zwänge, die zur Blockierung von Entwicklung in den AKP-Staaten führen, auch in Zukunft nur marginale Entwicklungserfolge geben wird. Der Gefahr fortschreitender Aushöhlung der Entwicklungsbemühungen durch wirtschaftliche und politische Krisen und Konfliktsituationen wird, entwicklungspolitisch betrachtet, extrem mangelhaft entgegengewirkt.

Der Abschluß der GATT-Verhandlungen 1993 wird sehr länderspezifische Auswirkungen auf einzelne AKP-Staaten haben. Insgesamt werden jedoch die „Vorteile“ -vor allem für die ärmsten AKP-Staaten -eher von Nachteil sein, und erste Enttäuschung macht sich bereits bemerkbar. So werden „... vor allem die agrar-und textilexportierenden Länder langfristig gewinnen. Aus der Sicht des Großteils der Entwicklungsländer sind die Ergebnisse... in keiner Weise zufriedenstellend. Vor allem... die AKP-Staaten dürften die Nettoverlierer der Runde sein“

VI. Effektivität durch Kapazität

Auf dem Papier ist die Arbeitsteilung in der EU-AKP-Kooperation klar geregelt; die EU stellt Mittel für Programme und Projekte bereit, die von dem einzelnen AKP-Land vorgeschlagen und auch umgesetzt werden. Doch es gibt anhaltende Umsetzungsschwierigkeiten von Konventionsinhalten, die für einen Großteil der Erfolgsmängel in der Lome-Zusammenarbeit verantwortlich zu machen sind. Die Operationalität der Konvention läßt viel zu wünschen übrig. Deutliche Verbesserungen sind hier vonnöten, um eindeutigere Entwicklungserfolge zu erzielen. Neben der allgemeinen Komplexität der Konvention (und der damit zusammenhängenden Überforderung zahlreicher AKP-Administrationen) ist es vor allem die schwache Wirkung verschiedener Lome-Instrumente (z. B.der EIB, des GDI und auch des Stabex), mit denen bedeutendere Entwicklungserfolge durch die Konvention nicht zu erzielen sind.

Der Hauptgrund für die zu geringe Effektivität der Lome-Zusammenarbeit ist vermutlich die mangelhafte Förderung der Kooperationsinstitutionen in den AKP-Partnerländern. Oft sind es administrative Schwächen oder auch die zu geringe fachspezifische Kompetenz in den AKP-Staaten, die Vorbereitung, Durchführung und Evaluierung der Projekte und Programme behindern. Ein schleppender Mittelabfluß ist die Folge, wodurch dringend benötigte Ressourcen nicht oder nur unzureichend zum effektiven Einsatz kommen. Kapazitäten in den AKP-Ländern könnten und müßten jedoch gezielt gefördert und aufgebaut werden, wenn es gelingen soll, Formen von nachhaltiger Entwicklung zu realisieren.

Eine Möglichkeit, dieses Problem anzupacken, wäre die Einrichtung eines Sonderfonds zur Förderung der Kapazitäten in den AKP-Staaten. Dieser sollte nicht nur für Regierungsadministrationen bereitstehen, sondern auch für NROs und private Träger der Entwicklungszusammenarbeit. Er könnte zur anwenderorientierten Vermittlung von Lome-Inhalten, für technische Hilfe oder auch für Trainingszwecke genutzt werden.

Es gibt aber auch Kapazitätsprobleme innerhalb der EU, für deren Abhilfe es eine ganze Reihe von Möglichkeiten gibt. So müßte zum Beispiel mehr qualifiziertes Personal für die Entwicklungszusammenarbeit der EU bereitgestellt werden. Es müßten eindeutigere Kompetenz-und Rollenzuweisungen definiert werden (ist z. B.der EU-Länderdelegierte in erster Linie Diplomat oder Manager für Entwicklungskooperation?); die institutionelle Zuordnung der Entwicklungszusammenarbeit in der EU-Kommission sollte in einer einzigen Generaldirektion (GD) liegen (z. Zt. ist sie verteilt auf GD 1 und GD 8), und es sollte zu einer Stärkung von Evaluierungsmaßnahmen kommen (in Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten).

Das seit 1991 eingeführte System des „Projekt-zyklus-Management“ in der Entwicklungskooperation der EU-Kommission muß systematisch alle Akteure und ihre Handlungen unter dem Gesichtspunkt ihrer institutioneilen Tragfähigkeit subsummieren und bewerten, um maximale Erfolge zu gewährleisten.

Kapazitätsstärkung ist inzwischen ein anerkanntes Konzept zur Gewährleistung langfristiger Entwicklungserfolge. Aus der Sicht der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) ist positiv festzustellen, daß die Stärkung von Kapazitäten als ein „Oberziel der technischen Zusammenarbeit“ anerkannt wird. Ihr werden gesellschaftspolitische Funktionen zugesprochen, die sich von der traditionellen „Ausfüllung der ... Kernaufgaben des Staates“ bis hin zur „... Befähigung breiter Bevölkerungsgruppen zur Beteiligung an ... Entscheidungsprozessen“

erstrecken Doch während die Ansätze und Instrumente, wie sie von der GTZ vorgeschlagen werden, als „mögliche Antworten auf Defizite der TZ-Diskussion“ erklärterweise „... weitgehend auf der Linie der , DAC Principles for effective aid‘ liegen“, sollte versucht werden, viel ‘stärker über diese Prinzipien hinauszugehen.

Lösungsansätze wie „Klärung der Rollenverteilung“, „Einbeziehen von NROs“, „Technologie-und Know-how-Transfer“ und „Nutzung einheimischen Wissens“ weisen sicherlich in eine wünschenswerte Richtung.

Doch während es nicht an Empfehlungen zur Verbesserung der technischen Kooperation mangelt, bleiben konkrete Verbesserungen vorerst immer noch die Ausnahme. Klarheit in den länderspezifischen Zielen, Einbeziehung der einheimischen Partner ins Management und Umsetzung der technischen Kooperation sind Grundvoraus-Setzungen für Effektivität. Die Bereitschaft der Geberinstitutionen, dementsprechend ihre Hilfe auszurichten, steht ebenso wie das Engagement in einzelnen AKP-Administrationen zur Durchführung von TZ-Vorhaben noch am Anfang

Auf die Ebene der einzelnen Länder bezogen, müßten erst einmal die Entwicklungsprioritäten aus der jeweiligen Empfängersicht definiert werden. Externe Entwicklungsressourcen sollten dann gezielt dafür eingesetzt werden, wobei sie mittels eines einheitlichen nationalen Systems zum Einsatz zu gelangen hätten. Auf die systematische Stärkung solcher nationaler Systeme des Mitteleinsatzes sollten sich Kapazitätsaufbau-und Fördermaßnahmen beziehen. Dies würde der Aufsplitterung lokaler Kapazitäten, entsprechend der (bürokratischen) Vielfalt der bi-und multinationalen Kooperationsverfahren, von Anfang an entgegenwirken Mit wachsender Übertragung von entwicklungspolitischen Aufgaben auf die EU muß auch eine entsprechende Stärkung der EU-eigenen Kapazitäten einhergehen. Mehr noch: Ohne Konsens zwischen der EU und ihren Mitgliedsländern in Fragen der Arbeits-und Aufgabenteilung in der Lome-Kooperation bleibt Kapazitätsförderung ebenfalls bloßes Stückwerk.

Es bleibt eine unumgängliche Notwendigkeit, die bestehenden personellen und materiellen Kapazitäten in den Administrationen der AKP-Länder (sowohl in den staatlichen wie in den nicht-staatlichen) gezielt und intensiv zu stärken. Die zunehmende Begrenzung der Ressourcen kann teilweise durch Effektivitätsverbesserungen in der Zusammenarbeit wettgemacht werden, um dadurch zumindest die gleiche Entwicklungswirkung zu erzielen wie bisher. Es ist festzustellen, daß administrative Schwächen und geringe fachspezifische Kapazitäten die Vorbereitung, Vorlage und Prüfung der Projekte und Programme behindern und schleppenden Mittelabfluß zur Folge haben.

Die Anerkennung der grundlegenden Bedeutung der Kapazitätsförderung vor Ort scheint inzwischen um sich zu greifen und wird derzeit sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene ausgiebig erörtert. Angesichts der langjährigen Versäumnisse auf dem für die institutioneile Stär­ kung der Entwicklungszusammenarbeit so wichtigen Gebiet der nationalen Kapazitätsstärkung erscheint die Aufmerksamkeit, mit der das Thema zur Zeit von allen Hauptgeberländern und Organisationen bedacht wird, geradezu als ein Frühlingserwachen.

VII. Die Positionen

Mit der Halbzeitüberprüfung des Lome-Abkommens ist zugleich die Zeit für innovative Schritte in der Praxis der AKP-EU-Beziehungen gekommen.

Im Februar 1994 haben zunächst die EU und dann die AKP-Länder ihre Verhandlungspositionen zur Halbzeitüberprüfung des Lome-IV-Abkommens vorgelegt. Die Kerngebiete der Zusammenarbeit, die aus der Sicht der EU überprüft werden müssen, sind:

1. Menschenrechte und Demokratie,

2. Stärkung des Dialoges in Fragen der Programm-und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unter Lome IV sowie Verbesserung des Politikdialoges und

3. Effizienzverbesserung der Lome-Instrumente, der Verfahren und der Evaluierungsmethoden.

Die AKP-Seite hebt ihrerseits fünf Fragenkomplexe hervor, die der Revision bedürfen. Dies sind: Menschenrechte und Demokratie, Handel, Finanzkooperation und Verschuldung, sektorale Kooperation sowie das Finanzprotokoll Die Positionen sind konträr, lassen sich aber dennoch zusammenbringen. Denkbar wäre eine Einigung entlang folgendem groben Muster:

Zu den Fragen der Menschenrechte und Demokratie ist sicherlich mit anstrengenden Auseinandersetzungen zu rechnen, besonders in der Festlegung auf operationale Definitionen und Prinzipien. Da Sanktionsfragen und Souveränitätsaspekte hier unmittelbar aufeinandertreffen, wird der gegenseitige Konzessionsspielraum eng ausfallen. Zustimmung der AKP-Länder zur Erhebung von Menschenrechten und Demokratie zu einem „essential element“ der Lome-Konven-tion sollte nicht durchgesetzt werden ohne gleichzeitige Zugeständnisse der EU bei der Einrichtung gemeinsamer Konfliktlösungsmechanismen sowie der materiellen Unterstützung eingeleiteter Demokratisierungsprozesse.

Umfangreiche Teil-und Detailverhandlungen sind zu erwarten über die breite Palette der Kooperationsfelder und Sektoren. Fragen zur Nutzung nicht abgerufener Mittel, ihre Auszahlung in Raten sowie die Verteilung von Lomö-Mitteln auf eine Reihe von Prioritätssektoren werden entschieden werden müssen. Doch selbst im Verbund mit Verbesserungen in Verfahrens-fragen -bei der dezentralen und regionalen Kooperation, der strukturellen Anpassung wie auch bei der Investitions-und Industriepolitik -werden Fortschritte in diesen Teilbereichen für sich selbst genommen nicht ausreichend sein zur Erhaltung der bereits geringen Entwicklungsstandards. Fortschritte in diesen Bereichen müssen als komplementär zu praktischen Maßnahmen zur Lösung der übergeordneten Problemfelder Verschuldung, Rohstofferlöse, Armut und vor allem Umwelt gemäß der Rio-Deklaration der UNCED betrachtet werden.

Verbesserungen der Effizienz der EU-AKP-Zusammenarbeit sind im Interesse beider Seiten. Die EU sollte vermeiden, hieraus ein Mittel zur Legitimierung real sinkender Ressourcentransfers zu machen. Unter dem deutschen Ministerratsvorsitz im zweiten Halbjahr 1994 haben Fragen zur Effizienz einen hohen Stellenwert. Doch während technische Fragen etwa zu Arbeitsabläufen in der Kommission oder zu Evaluierungsmechanismen hierbei im Vordergrund stehen, wird zuwenig Gewicht auf die Nutzung von Kapazitäten vor Ort oder auf Formen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit gelegt.

Hier muß eine Verbindung hergestellt werden, denn so notwendig Effizienzsteigerungen in der Entwicklungszusammenarbeit auch sind, sie müssen einhergehen mit einem auf Gleichberechtigung und Mitverantwortung gegründeten Dialog zwischen EU und AKP. Die AKP-Länder können ihre Bereitschaft zu einem solchen Kooperationsdialog wohl am besten dadurch demonstrieren, daß sie stärker als bisher ihre Militärausgaben senken und unbeirrt fortfahren, die Partizipationsmöglichkeiten ihrer Bevölkerungen im politischen Willensbildungsprozeß zu erweitern.

In der Positionsvorlage der AKP-Gruppe wird Handels-, Rohstoff-und Verschuldungsfragen ein hoher Stellenwert eingeräumt. Die EU sollte sich in diesen Fragen nicht hinter Mauern des bereits Erreichten verschanzen. Selbst ohne neue Konzessionen und Mittelzuteilungen ließen sich beachtliche Erleichterungen für die AKP-Staaten einleiten. So könnten in der Schuldenfrage die nicht abgerufenen Mittel des EEF und auch der EIB zur Verminderung des Schuldendruckes (vor allem auf die ärmsten AKP-Länder) eingesetzt werden. Auch ließen sich durch die EU eine Reihe von Maßnahmen einleiten, die zu mehr Kohärenz beitragen würden, vor allem zwischen der EU-Agrarpolitik und der Entwicklungskooperation (z. B. durch eine Genehmigungspflicht für Agrarexporte in die AKP-Länder durch GD 8).

Des weiteren könnten institutionelle Veränderungen wie der längst überfällige Zusammenschluß der Nord-Süd-Abteilung der Generaldirektion I mit der Generaldirektion VIII (Entwicklungszusammenarbeit) und auch die Reintegration des Büros für humanitäre Hilfe in die GD 8 zur Steigerung der Effektivität der Entwicklungszusammenarbeit beitragen.

VIII. Maastricht und Lome V* *

Ob es ein Lome V geben wird und inwiefern die Entwicklungszusammenarbeit der EU mit den AKP-Ländern den Geboten des Maastrichter Vertrages nach Kohärenz, Komplementarität und Koordination folgen wird, bleibt vorerst noch eine spekulative Frage. Der Vertrag von Maastricht eröffnet neue Perspektiven, Entwicklungspolitik in sich schlüssiger zu gestalten und einen gemeinsamen Handlungsrahmen zu setzen. Die entwicklungspolitischen Diskussionen im Zusammenhang mit der Halbzeitüberprüfung von Lome IV haben bereits wesentlich zur Einleitung der Debatte über die Perspektiven der EU-AKP-Beziehungen beigetragen. Sie werden auch nach Abschluß der Verhandlungen weitergehen und vor allem unter drei übergeordneten Gesichtspunkten ihr Profil finden. Diese wären: 1. die wirtschaftlichen Integrations-und Differenzierungstendenzen, 2. die politischen Strategien der Kooperationsbeteiligten und der Stellenwert, der darin der Entwicklungszusammenarbeit zugesprochen wird, und3. die Unterstützung für Entwicklungshilfe und Zusammenarbeit in der Öffentlichkeit in den Mitgliedstaaten der EU.

Zum ersten Punkt läßt sich sagen, daß vor allem den afrikanischen AKP-Staaten die Integration in die Weltwirtschaft nur schwerlich gelingen wird. Es ist zu befürchten, daß ihre Integration alles andere als „harmonisch“ und „schrittweise“ erfolgen wird, wie dies im Artikel 130u des Maastrichter Vertrages beabsichtigt ist. Zu groß sind die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen, denen die meisten dieser Länder ausgesetzt sind. Man muß wohl davon ausgehen, daß eine wachsende „... Verflechtungsintensität zwischen den weltwirtschaftlichen Metropolen USA, Westeuropa und Japan zu Lasten der Entwicklungsländer... gehen wird“ Man muß wohl ebenso davon ausgehen, daß sich „lediglich eine selektive Integration in die neuen Weltwirtschaftskreisläufe... über präferierte Handelsbeziehungen im Rahmen von regionaler Integration oder über die Einbindung in den Produktionsverbund Transnationaler Konzerne ...“ realisieren läßt

Hinzu kommt, daß die Förderung von institutioneilen Kapazitäten in den AKP-Ländern, insbesondere für das immer wichtiger werdende Krisenmanagement, noch in den Anfängen steckt. Unter dem Zwang, fast fortwährend auf Krisensituationen reagieren zu müssen, verschleißen sich viele AKP-eigene administrative Kapazitäten, oft lange bevor sie für langfristige Entwicklungsvorhaben genutzt werden könnten. Unter solchen Bedingungen wird es nur mit großer Mühe in den AKP-Ländern und nur mit zusätzlichem Engagement seitens der EU gelingen, Kapazitäten aufzubauen, die den notwendigen Entwicklungsprozeß tragen könnten.

In den Fragen zum politischen Stellenwert und zur Strategie-und Zielbestimmung der EU-Entwicklungskooperation wird noch einiges an Definitions-und Grundsatzarbeit zu leisten sein. Aufgabenverteilungen, Kooperationsformen und Entwicklungsprioritäten bedürfen einer präziseren politischen Bestimmung. Allgemein bedarf es einer tieferen Demokratisierung der Strukturen der Entwicklungskooperation sowohl in der EU als auch in den AKP-Ländern (einerseits ist eine Stärkung des Einflusses des Europaparlamentes notwendig, andererseits bedarf es mehr „good governance“).

Zudem ist es unerläßlich, das Partnerschaftsprinzip in der Entwicklungskooperation zu revitalisieren bzw. einzuführen -auch wenn dies zu einem Balanceakt zwischen AKP-Eigenverantwortung und EU-Erfolgs-und Kontrollkriterien zu werden verspricht Richtig ist, daß die Lome-Zusammenarbeit (und vor 1975 die Yaounde-Kooperation) als Garant der historischen Kontinuität in den Beziehungen zwischen europäischen und AKP-Ländern gut funktioniert hat. Als Vehikel zur Anpassung dieser Beziehungen an globale Veränderungen und Umbrüche hat sie mit wechselndem und teils sehr begrenztem Erfolg fertig werden müssen. Gerade in dieser zweiten Funktion muß es ihr aber gelingen, effektiver und vor allem bei der institutioneilen Absicherung der erzielten Entwicklungsfortschritte erfolgreicher zu werden. Hierauf ließe sich denn auch eine Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Staaten „nach Lome“ gründen.

Dazu wird die Entwicklungspolitik der EU insgesamt präziser formuliert werden müssen: gerade in Fragen zu den Prioritäten, den Zielen und zur Aufgabenverteilung Die Chancen zur Verbesserung der EU-wie auch der Entwicklungskooperation der Mitgliedstaaten, die sich ergeben könnten durch Sektoren-und aufgabenspezifische Arbeitsteilung gemäß objektiven Kriterien der entwicklungspolitischen Erfahrung und Kompetenz, sind noch längst nicht ausgenutzt

Wirtschaftsstrategisch, aus der Sicht der EU, sollte nicht vorbeigeplant werden an den Markt-und Investitionspotentialen, die insbesondere in Afrika entstehen könnten. Die Aufnahme Südafrikas in die AKP-Gruppe könnte ein Startzeichen hierfür sein. Diese eigennützige strategische Überlegung wird die Richtung in der EU-AKP-Kooperation vielleicht eher bestimmen als Appelle an Verantwortungsgefühl und Solidarität in den Entwicklungsbeziehungen.

Am schwierigsten könnte es jedoch werden, das öffentliche Interesse in der EU an entwicklungspolitischen Fragen wachzuhalten und zu vertiefen. Die wachsenden Wirtschaftsprobleme und sozialen Konflikte, denen sich immer mehr EU-Bürger ausgesetzt sehen, tragen mit dazu bei, daß Probleme der Entwicklungsländer als fremd und zweitrangig empfunden werden. Da es nicht ausbleiben kann, daß das u. a. auf intensivem fossilen Energieverbrauch beruhende Wirtschaftsmodell der industrialisierten Länder immer stärker an seine Grenzen stößt und grundsätzlich in Frage gestellt werden muß, droht die öffentliche Meinung allgemein in eine defensive Mentalität der Besitzstandswahrung zu münden.

Informationsarbeit durch die Medien, Nichtregierungsorganisationen und vor allem durch glaubwürdige Politiker wird äußerst wichtig sein, um der Verbreitung einer solchen Mentalität vorzubeugen. Baldige Antworten auf Fragen zur gerechten Lastenverteilung wie auch zum sozialen und politischen Grundkonsens in den Ländern der EU selbst, als Voraussetzung zu mehr Solidaritätsbereitschaft nach innen wie nach außen, wird Aufklärung alleine allerdings nicht leisten können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für eine gelungene Überblicksdarstellung der EU-Entwicklungspolitik vgl. H. Lingnau, Die Entwicklungspolitik der Europäischen Gemeinschaften, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, (1993) 9, S. 239-241.

  2. Die drei nordischen Beitrittskandidaten verwenden gegenwärtig ein gutes Drittel ihrer Entwicklungshilfe für Länder der AKP. Österreich allokiert hierfür etwa ein knappes Zehntel seiner Mittel. Zusätzliche Ressourcen für das zweite Finanzprotokoll sollten sich jedoch nicht nur aus Beiträgen der neuen Mitglieder speisen; zumindest $ine reale Anpassung der Beiträge der Altmitglieder wäre angebracht.

  3. Zahlen aus EIB-Information, Nr. 79, Februar 1994, S. 2.

  4. Zum Stand der EU-Regional-Kooperation vgl. das Themenschwerpunktheft „Regional Integration“, in: The Courier, (192) 1993; darin insbes. G. Laporte, Regional Integration: from words to deeds, S. 60ff.

  5. Vgl. L. Box, ECDPM occasional paper, „Prospects for industrial development in the ACP“, Maastricht 1994.

  6. Ch. Benedictine, zit. in: K. W. Menck (HWWA), Entwicklungspolitik der Europäischen Gemeinschaft, in: Jahrbuch der Europäischen Integration, 1992/93.

  7. Vgl. UNDP Human Development Report 1993. Ein berechtigter Hinweis auf die Relativität von Versuchen zur Quantifizierung von Entwicklungsunterschieden findet sich bei E. Altvater, Der Preis des Wohlstands, Münster 1992, S. 52.

  8. In der Studie des European Center for Development Policy Management (ECDPM) mit dem Titel „European Development Policy after the Treaty of Maastricht“ wird ein solcher „Ausweg“ vorgeschlagen. Er zielt auf eine Verbesserung und Erweiterung der Lome-Zusammenarbeit. Eine effektivere Ausnutzung und Anwendung der bestehenden Lome-Instrumente ist kurzfristig erreichbar; möglichst frühzeitig sollte eine auf partnerschaftlichem Dialog fußende Debatte über die post-Lome IV-Zusammenarbeit zwischen EU und AKP einsetzen. Vgl. J. Bossuyt/L. Laporte/G. Brigaldino, ECDPM, Occasional Paper, Maastricht 1993.

  9. So wie diese in der für die EU-Kommission erstellten so-genannten Post-Fiji-Studie vorgeschlagen wurden: Study of the causes of delay in the implementation of financial and technical Cooperation, Price Waterhouse, November 1991.

  10. H. Opledahl in: Frankfurter Rundschau vom 7. 2. 1994. An gleicher Stelle wird eindringlich aufmerksam gemacht auf ein Hauptdefizit der Entwicklungszusammenarbeit: „... die Debatte über die Zukunft des (afrikanischen) Kontinents (wird) vor allem von Nicht-Afrikanern geführt. Es sind heute Weltbank und Währungsfonds, UN-Beamte und Experten aus Europa und den USA, die die politischen und ökonomischen Ziele formulieren und Entwicklungsoptionen abwägen.“

  11. Als wissenschaftlichen Diskurs zum Gegensatz von Entwicklung und Umwelt und zur internationalen Regulation von Energie-und Rohstoffeinsatz vgl. E. Altvater (Anm. 7). Eine ausführliche Kritik des auf Überfluß beruhenden Konsummodells findet sich bei F. E. Trainer, Abandon Affluence, London 1989.

  12. A. Darski/R. Bleischwitz, in: Politische Ökologie, (1993) 33, S. 11.

  13. Vgl. AKP-Memorandum an die EU vom 25. 2. 1994, erläutert und zitiert in Euro-Cidse, News Bulletin, Brüssel, Februar 1994.

  14. M. Windfuhr, Gatt und die Entwicklungsländer, in: E + Z, 35 (1994) 3, S. 76-78; vgl. auch G. Mhone, Gatt-Implications..., in: SAPEM, February 1994, S. 34-40.

  15. K. v. Mitzlaff/A. Vermehren, TZ am Ende?, in: E + Z, 35 (1994) 3, S. 68f.

  16. Vgl. J. Bossuyt/G. Laporte/F. van Hoek, New Avenues for Technical Cooperation in Africa, ECDPM, Occasional Paper, Maastricht 1992.

  17. Vgl. A. M. Osman, Managing Aid and Building National Capacity, in: Management Development in Progress (MDF), Februar 1994.

  18. Für eine genaue Zusammenfassung der Positionen vgl. Euro-Cidse News Bulletin (Anm. 13).

  19. M. Bonder/B. Röttger, Eine Welt für alle?, in: Nord-Süd aktuell, (1993), S. 67.

  20. Ebd., S. 68.

  21. Das Thema „Partnerschaft in der Entwicklungszusammenarbeit“ ist Diskussionsgegenstand eines aktuellen „Round Table“ des European Centre for Development Cooperation (ECDPM) in Maastricht (Abschlußbericht ab 9/94).

  22. So fordert E. Grilli „a more precise definition of the shared goals and priorities of EC development Cooperation“. The European Community and the Developing Countries, Cambridge 1993.

  23. So wünschen sich C. Kesper u. a. „... daß das Subsidiaritätsprinzip in bezug auf die Entwicklungszusammenarbeit unter der Perspektive diskutiert wird, was sich konkret durch eine koordinierte EG-Politik effektiver erreichen ließe und was demgegenüber am besten weiterhin unter nationaler Regie abzuwickeln wäre“. C. Kesper u. a., Europäische Entwicklungspolitik nach dem Vertrag von Maastricht, in: Aussenpolitik, (1993) 4, S. 410. Inhaltlich und im Überblick wird Subsidiarität erörtert von J. Peterson, Subsidiarity: a definition to suit any vision, in: Parliamentary Affairs, January 1994.

  24. Vgl. J. Bossuyt/G. Laporte/G. Brigaldino (Anm. 8), S. 49-76.

Weitere Inhalte

Glenn Brigaldino, Dipl. -Soz. -Wiss., geb. 1958; Studium in Duisburg und Portsmouth, Großbritannien; von 1988 bis 1993 UNHCR-Mitarbeiter in Somalia, Iran, Sudan und Ungarn; seit 1993 Programme Officer beim European Centre for Development Policy Management (ECDPM) in Maastricht, Niederlande. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit J. Bossuyt und G. Laporte) European Development Policy after the Treaty of Maastricht, Maastricht 1993; Europäische Fluchtpunkte, in: Sozialismus, (1993) 10; Hungary on the Eve of an ambiguous Integration, in: Scandinavian Journal of Development Alternatives, (1993) 2/3.