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Warum ist der Ball nicht überall rund? Der Homo ludens in vergleichender Perspektive | APuZ 24/1994 | bpb.de

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APuZ 24/1994 Von Bern bis Los Angeles. Die politische Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft Der Mythos von 1954 Warum ist der Ball nicht überall rund? Der Homo ludens in vergleichender Perspektive Die „success-story" des modernen Sports und seine Metamorphosen. Fitneß, Ästhetik und individuelle Selbstdarstellung

Warum ist der Ball nicht überall rund? Der Homo ludens in vergleichender Perspektive

Josef Schmid/Ulrich Widmaier

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Fußball läßt sich durchaus im Vergleich -historisch, regional und zu anderen Ballspielarten -betrachten und auf seine spezifischen politischen und sozialen Verbindungslinien hin untersuchen. Schon das deutsche Beispiel weist deutliche Veränderungen von der Fußballweltmeisterschaft 1954 bis heute auf: Politischer Kontext, Spielerfiguren und Ballstrategien stehen dabei in enger Wechselwirkung. Ähnlich signifikante Unterscheidungen gelten für ausgewählte Bundesligavereine. Noch deutlicher werden die gesellschaftlichen Wurzeln des Spiels mit dem runden Ball bei einem Blick in die Welt: Vor allem dort, wo eine starke Arbeiterbewegung existiert, und/oder in armen katholischen Gesellschaften treffen wir auf Fußball. In eher bürgerlich geprägten Landschaften finden wir dagegen eher andere Ballsportarten -von Rugby bis zum Tennis.

I. Fußball und Politik: Ein Vergleich

Was hat Fußball mit Politik und Wissenschaft, insbesondere mit Politikwissenschaft zu tun? Die Antwort darauf hängt -wie immer in den Sozial-wissenschaften -vom theoretisch-methodischen Ansatz ab. Platte Phänomenologen hantieren vielfach an der Oberfläche, manchmal gelingt es aber auch -um Hegel aufzugreifen -, jenen „inneren Puls“ zu finden, der die „Idee“ belebt. Aus dem Spektrum der Wissenschaft zum Einstieg einige Kostproben.

Kaum ein Fußballspiel, das nicht medial vermittelt zum Großereignis der Kulturindustrie gemacht wird oder -in der den Repressionscharakter betonenden Variante -bei dem nicht mehrere Hundertschaften von Polizei auftreten, fast wie bei öffentlichen Auftritten von Politikern. So ähnlich könnte eine mögliche Auskunft aus Frankfurt lauten Daß Brot und (Fußball) Spiele Bestandteile symbolischer Legitimationsstrategien sind, die das funktional notwendige Maß an politischer Apathie erzeugen, ließe sich allemal aus systemtheoretischen Beiträgen von Parsons und Luhmann herauslesen Obendrein hat einer ihrer Kritiker und Kenner -eine durchaus bemerkenswerte Kombination -in einem profunden Beitrag den Doppelpaß zum „sozialen System“ erklärt. Derselbe Autor hat andernorts seine Liebe zu Fortuna Köln als die „Kontinuität des Irrationalen“ interpretiert. Auch einem anderen Vertreter der empirisch-analytischen Fraktion schwebt eine Studie über „Arbeitsbeziehungen in der Fußballindustrie" vor

Zu einem ganzen Buch über die „nahtlose Übereinstimmung von Fußball und Politik“ hat es gar Norbert Seitz gebracht. Ständige Parallelen durchziehen von 1954 bis 1987 die bundesrepublikanische Politik(er) -und Fußball(er) geschichte: Zu Beginn war es noch eher eine „rhapsodisch bestimmte Affinität -getragen von beiderseitigen Schrulligkeiten, von politischem Urgestein und heroischen Recken“ Danach allerdings werden aus „Wahlverwandtschaften“ intime Verhältnisse, weist der Ball der Politik den Weg.

Die Adenauer-Ära bringt den Durchbruch eines neuen Deutschlands, d. h.den wirtschaftlichen Aufschwung, die Werbung und den Nierentisch sowie den Weltmeistertitel (im Fußball und etwas später dann auch im Export). Uwe Seeler verkörpert in idealer Weise Fleiß, Fairneß und kleinbürgerliche Zufriedenheit dieser Epoche, in der im übrigen das Ruhrgebiet ökonomisch wie fußballerisch zum kraftvollen Herzen der Nation wird. Mit der sozialliberalen Koalition kommt dann frischer Wind in die Republik: Netzers Traumpässe öffnen wie Willy Brandts Ostpolitik den Raum, hier verbinden sich „Reformvisionen und Ballästhetik“ Vom Durchwursteln ist anschließend in Sport und Politik die Rede, und die Garde der harten Realisten übernimmt das Kommando „Der 2 : 1 Final-erfolg über die Holländer (bei der WM 1974, d. V.) war keine souveräne Handlung mehr, sondern ein Sieg der Abwehr.“

Es folgen bekanntlich Krisen-, Pannen-und Wechseljahre („Bananenrepublik und Gurkentruppe“ -so Seitz), am Ende werden die politischen Richtlinien von Helmut Kohl und die fußballtaktischen von Berti Vogst erteilt Und: „Im späten Frühjahr 1986 sollte sich die Bonner Wende endgültig durchsetzen. Mit Werder Bremens Meisterschaftsniederlage im Zielfinish gegen die Bayern und dem Sieg der Bonner Koalition bei der niedersächsischen Landtagswahl.“ Mittlerweile sind die politischen wie fußballerischen Lager unübersichtlicher geworden, eine stabile Vormacht scheint nirgends mehr zu existieren. Auch muß die deutsche Einheit erst noch verkraftet werden -mal sehen, ob es nach der WM 1994 aufwärts geht.

Soweit zur Analogie von Politik und rundem Leder. Wir wollen im folgenden einige der bislang noch etwas unterbelichteten Aspekte aufarbeiten, die sich in vergleichender Perspektive ergeben. Die Bedeutung des Vergleichs, sei er nun historisch, regional oder international angelegt, wird ja hierzulande vielfach unterschätzt. Vergleichen kann man bekanntlich nur Untersuchungsobjekte, die nicht identisch, aber auch nicht zu unterschiedlich sind. Was dies im jeweiligen konkreten Zusammenhang bedeutet, hängt wiederum von der verfolgten theoretisch begründeten Fragestellung ab. Zugleich wird darüber auch die Auswahl des empirischen Gegenstandsbereiches gesteuert. Was bedeutet das nun in diesem Fall? Unser Interesse liegt im Ball, genauer im Ballspiel. Wir gehen davon aus, daß die Fußballwelt unterschiedliche Formen und Figurationen annimmt und nicht überall in der Welt primär Fußball gespielt wird, sondern machmal auch andere Sportarten dominieren. Uns interessiert zum Beispiel das Problem, warum der Ball in den USA zumeist oval ist -und statt Fußball eher Football (Rugby) gespielt wird Diese Fragestellung ist nicht ohne Pikanterie, wenn nicht sogar ein veritables Politikum, da die USA als Austragungsort der Weltmeisterschaft zweifelsohne eine Fußball-Diaspora darstellen.

Um etwas mehr Licht in das Dunkel zu bringen, wollen wir erst einmal einen kulturhistorischen Rückblick vornehmen. Das Spiel erweist sich nämlich geradezu als eine anthropologische Grundkonstante und der Mensch als „Homo ludens“ Allerdings gibt es verschiedene Spiel-und Sportarten, was auf kulturelle und institutionelle Überlagerungen hindeutet und so die für vergleichendes Vorgehen notwendige Variation erzeugt. Deutlich zeigt dies zum einen eine lokal-regionale Betrachtung der Bundesliga, ihrer Vereine und Spielerfiguren sowie des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontextes. Diese Unterschiedlichkeit -nicht nur des Ballspieles -zeigt sich zum anderen im Haupt-kapitel unseres Beitrages, das international vergleichende Überlegungen verfolgt. Hier wollen wir einige Forschungsergebnisse eines amerikanischen Kollegen aufnehmen und weiterentwickeln. Daß unsere Überlegungen erst vorläufig sind und durchaus an mehreren Stellen dringend zu vertiefen wären, liegt schlicht an dem Umstand, daß die Zahl der vergleichend ausgebildeten Fußballpolitologen bislang noch nicht einmal Mannschaftsstärke erreicht hat und einige seit geraumer Zeit bei den „Alten Herren“ spielen.

II. Ballspiele in der Geschichte der Zivilisation

Bei Norbert Elias können wir nachlesen, daß wir hier im abendländischen Kulturraum auch in fuß-bäuerischer Hinsicht Kinder des Mittelalters sind. Erst die revolutionäre Aufklärung der Neuzeit -verbunden mit dem von Max Weber so trefflich beschriebenen Prozeß der Rationalisierung, d. h.des Fassens aller Lebensbereiche in „gesatzte Regeln“ -hat uns in fußballerische Hemisphären getrennt und gleichzeitig die ursprüngliche Spontaneität aus dem Spiel entfernt. Die volkstümlichen Fußball-spiele des Mittelalters waren aus heutiger, an strenge Regeln gewöhnter Sicht Massenschlägereien, die man heute nur noch beim Eishockey und -zumindest beim europäischen Fußball -auf den Zuschauerrängen beobachten kann. Dennoch war, wie Elias ausführt, das Spiel nicht regellos. Aber die Regeln bezogen sich eher auf das Ziel und die äußeren Umstände des Spiels und nur wenig auf die Art des Kampfes Mann gegen Mann (über die aktive Teilnahme von Frauen ist uns nichts bekannt). Häufig fanden die Spiele zu Karneval statt und waren Ausdruck spontaner Lebensfreude in einem relativ freudlosen und durch frühen Tod gekennzeichneten Alltag. Man glaubt zu wissen, daß der mittelalterliche Mensch sehr viel stärker von Emotionen geprägt war, die sehr schnell von Zuneigung in Aggressivität umschlugen. Da ganze Dörfer zu den Fußballspielen des Mittelalters gegeneinander antraten, waren sie auch geeignete Institutionen zur Konfliktkanalisierung. In dieser Hinsicht hat die heute praktizierte strikte Trennung in wenige aktive Spieler und meist viele passive Zuschauer erhebliche Defizite aufzuweisen.

Zwar kann im mittelalterlichen Fußballspiel schon aufgrund des Fehlens einer Zentralinstanz weder von einheitlichen Regeln noch von einer standardisierten Geometrie des Balles ausgegangen werden, aber die Ausdifferenzierung in unterschiedliche Formen des Spiels mit einer weitgehenden Kodifizierung der Spielregeln ist eine Errungenschaft des Modernisierungsschubs durch die bürgerliche Gesellschaft im allgemeinen und der Sonderentwicklung von nationalen Varianten dieses Gesellschaftstyps im besonderen. Die bedeutendste Sonderentwicklung der bürgerlichen Gesellschaft fand in Nordamerika statt. The First New Nation entwickelte auch in fußballerischer Hinsicht aus kommunikativ-kultureller Isolation heraus ein eigenes Ballspielprofil, das eine Weiterentwicklung des von der englischen Oberschicht -in den feinen Schools und Colleges -gespielten Rugby darstellt. Dies ist typisch für postkoloniale Gesellschaften, die in der Regel die Gewohnheiten der Ober-und Mittelschicht des Mutterlandes über-nehmen. Aus europäisch-kulturkritischer Sicht gegenüber der neuen Welt werden dazu natürlich Vorbehalte geäußert: „Immerhin wird man aber doch im ganzen genommen den Fußball in den Vereinigten Staaten von Nordamerika und dessen Eigenarten nicht zur Nachahmung empfehlen dürfen, im Gegenteil davor warnen müssen.“

Aber nicht nur die spezifische Institutionalisierung des Fußballs auf der Grundlage unterschiedlicher Regelwerke ist ein Ergebnis des Modernisierungsund Rationalisierungsschubs der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch die Differenzierung der Ballspiele schlechthin. Die aristokratischen und bürgerlichen (Ober-) Schichten waren als Träger gesellschaftlicher Innovationen gezwungen (auch wegen der sozialen Exklusivität), häufig neue, zivilisierte Spiele zu „erfinden“. Diese Entwicklung geht meist einher mit einer Reduktion der Zahl der Spieler, einem Abbau des Grades körperlicher Kontaktaufnahme und einer Miniaturisierung des Balles (von den Vorläufern des Fußballs im Mittelalter über Rugby, Tennis zu Golf z. B.). Mit anderen Worten: Klasse statt Masse. Hier zeigt sich zivilisationstheoretisch schon relativ früh der postmoderne Kern der bürgerlichen Gesellschaft, den wir heute überall in Form von Hedonismus, Eklektizismus und Individualismus einerseits kulturell feiern und andererseits politisch beklagen.

III. Figurationen und Vereine in der Bundesliga

So paradox es auf den ersten Blick klingen mag: Fußball wird zwar in Deutschland überall gespielt, doch ist er überall ein bißchen anders. Gemeint sind hier die Unterschiede, die Vereine, ihre Fans und ihre lokal-regionale Verankerung ebenso charakterisieren wie ausgeprägte Spielerpersönlichkeiten. So ist denn auch der Stil der kickenden Truppe wie auch die Sozialstruktur ihres Anhangs in manchen Städten zwischen rivalisierenden Lokalvereinen -man denke etwa an Berlin, München, Stuttgart oder Bochum/Wattenscheid -klar abgrenzbar. Einige Vereine bündeln zudem gesellschaftliche Strukturen, Stile und Verhaltensmuster und symbolisieren deshalb geradezu den typischen way oflife der Region. * So kann der FC Bayern München durchaus als das fußballerische Korrelat zur Sozialfigur des Yuppi (Young Urban Professional) gelten: Immer an der Spitze sein wollen und müssen, die Devise „Sein oder Design“ auf die Spitze treiben. Dennoch: auch hier ist der Ball nur aus Leder. Bei ausbleibendem Erfolg zeigt sich alsbald die Brüchigkeit dieses Modells aus (äußerem) Schein und (Geld-) Schein.

Ebenfalls zur Gruppe der neureichen Fußballelite zählt -neben Frankfurt, das wiederum ein Fall für sich ist -Borussia Dortmund. Der BVB verkörpert als Verein den erfolgreich vollzogenen Struktur-wandel des Ruhrgebietes; seine solide sozialverträgliche Komponente weist darauf hin, wessen (politisches und historisch-kulturelles) Kind er ist und markiert auf diese Weise eine wichtige Differenz zu Bayern München, wo der ungebremste Kapitalismus herrscht

Geradezu das Gegenteil einer elitären Startruppe verkörpert zum Beispiel der VfL Bochum. Zwar ist der VfL schon besungen worden, doch verfügt er über das Image einer „grauen Maus“. Fußballerisch scheint eher braves Handwerk, als Verein bieder-bürokratisches Handeln zu dominieren. Wo sonst wird „ein Ausmaß an Arbeits-bzw. Beschäftigungssicherheit innerhalb des , Systems der Arbeitsbeziehungen in der Fußballindustrie 4 erreicht, das außer im öffentlichen Dienst und bei Bor. Mönchengladbach nirgendwo in der gesamten Arbeitswelt gegeben ist“ Diese „Politik des mittleren Weges“ mag zwar auch für die Bundesrepublik gelten und ihre politisch-ökonomische Erfolgsstory begründet haben, im Fußball hat sich aber (wie im richtigen Leben) inzwischen die These von der Unabsteigbarkeit in die zweite Liga nur als Mythos erwiesen

Stellt Bochum also eher Mitte(lmaß) dar, so belegt das benachbarte Gelsenkirchen, daß man selbst in der zweiten Liga Erfolg haben kann. Denn auch wenn „nicht alles Beckenbauers sind“ die auf dem Spielfeld kreise(l) n, ist es Schalke nicht schwergefallen, seine Fans zu begeistern und den Wiederaufstieg -vermutlich vorübergehend -zu meistern. (Allerdings scheint der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt angesichs einer Arbeitslosigkeit von rund 16 Prozent in hohem Maße dem Gesetz der Trägheit zu unterliegen.) Zu den Vereinsfinanzen und seinem ehemaligen Präsidenten kann man nichts sagen, ohne in ein schwebendes Verfahren einzugreifen. Der Appendix 04 deutet auf die lange Tradition des Arbeitervereins hin, wo „hinter den Zechenhäusern“ z. B. Rüdiger Abramczik -später „Flankengott“ tituliert -seine ersten Bolz-Erfahrungen gesammelt hat. Wie man sieht, müssen es nicht immer die berühmten Sand-strände von Rio sein, auf denen die Fußballartisten heranreifen. Eine erste Verbindung zwischen Religion und Fußball zeigt sich auch beim unvergeßlichen „Stan“ Libuda, durch dessen Dribbelkünste sich die Fans zu der Behauptung hinreißen ließen: „An Gott kommt keiner vorbei -nur Libuda“ und der von heutigen Prämien nicht mal träumen konnte und sogar anschließend mit einem Tabakladen gescheitert ist.

Etwas Anrüchiges und Anarchistisches hat hingegen das Fußball-Kellerkind FC St. Pauli an sich. Liegt doch das Stadion am Millerntor ganz in der Nähe der Reeperbahn. Auch wird berichtet, daß Volker Ippig, der Torhüter, lange in den besetzten Häusern der Hamburger Hafenstraße wohnte und 1986 seinen Vertrag aus dem fernen (sandinistisehen) Nicaragua verlängerte. „Kein Wunder, da es unter den Fans am Hamburger Millerntor auch einen schwarzen Block gibt.“

In dieser vielgestaltigen Fußbailandschaft in Deutschland spiegelt sich bis heute ein historisch und soziokulturell tief verankerter Partikularismus und Regionalismus wider -nur selten reicht der Blick über das eigene Stadion bzw.den eigenen Kirchturm hinaus. Mag sein, daß das Fehlen einer wirklichen Metropole -etwa im Unterschied zu England -unsere alte Mittelstürmer-Malaise ausmacht. Vielleicht ist statt dessen die Doppelspitze aus dem Geist des Förderalismus und der Politik-verflechtung entstanden die aufgrund der gelegentlich auftretenden Koordinationsprobleme den Libero als Rückversicherungssystem erfordert, was in politischer Perspektive zu einem Vergleich mit der stark geforderten Ausputzerfunktion des Bundesverfassungsgerichts Anlaß gibt.

IV. Fußball in der Welt oder: Fußball, Gott und die Welt

Seit dem grundlegenden Beitrag von Andrei S. Markovits wissen wir, warum Fußball (aber auch der Sozialismus) in Amerika keine Chancen hat. Der Grund liegt in einer Sonderentwicklung der amerikanischen bürgerlichen Gesellschaft als „Frontgesellschaft“, in der die etablierten Mittel-schichten (meist englischer Herkunft) den Ton angaben. Sie definierten die für die Integration von Einwanderern normativen Grundlagen der Gesellschaft und ihre Ballspiele wurden zum Symbol des American way of life. Die Tradition des American Football geht auf die älteren, rauheren Traditionen des Fußballs in England zurück, die in den britischen Kolonien Nordamerikas den Stil des Fußballsports prägten. Insbesondere durch die Verbürgerlichung dieses Sports, die ihren Ausdruck in der Vorreiterrolle und Popularisierungsfunktion der Colleges findet, wurde eine Sonderentwicklung eingeleitet, die auch durch die imperiale Phase des britischen Exports von (Massen-) Kultur-gütern in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht mehr angehalten werden konnte. Der Fußball als neuester britischer „Exportschlager“ für die breite Masse traf in den USA auf ein „besetztes“ Feld und hatte keine Chance, Massen-sportart zu werden. Football dagegen wurde durch seine Verankerung in der bürgerlich dominierten community und durch die Festlegung von Regeln, die die Transaktionskosten zwischen den Einwanderergruppen senkten, neben Baseball zum nationalen amerikanischen Integrationssport schlechthin. An diesem Beispiel läßt sich nicht nur die Bedeutung von dass und community, sondern auch die Relevanz von Institutionalisierungsprozessen demonstrieren, d. h. die Festlegung von Spielregeln und die Schaffung von Organisationsstrukturen zu deren Überwachung (z. B. in der Form einer Kooperation unter den amerikanischen Elite-Colleges) als Voraussetzung für die Verbreitung und Popularisierung einer Sportart.

Nicht nur in Nordamerika, sondern auch in anderen Kolonien waren die Briten nicht sehr erfolgreich mit der Verbreitung ihrer Art von Fußball als einer Veranstaltung fürs gemeine Volk. Australien, Neuseeland und Südafrika gehören nicht gerade zu den Hochburgen des Fußballs und sind eher „Entwicklungsländer“. Sie spielen jedoch Rugby und Cricket, was die oben geäußerte These bestätigt, daß die koloniale Führungsschicht die Art der Ballspiele definiert. Dies gilt trotz des Umstandes, daß zum Beispiel zur Zeit ein Neuseeländer -Kiwi genannt -in der Bundesliga für Schlagzeilen sorgt. Diese merkwürdige Isolation der Briten im Kreise ihrer Ex-Kolonien, also der englischsprachigen Länder, fällt auch in anderen Zusammenhängen auf. So fragte vor kurzem Francis Castles in einem Beitrag, der sich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieser sogenannten Länderfamilie bezog, nicht nur rhetorisch: „Why are the British so awful?“ Ist es die postkoloniale Verdrängung britischer Traditionen bzw. eine Art emanzipatorische Anstrengung, oder ist es eine institutionelle Eigenentwicklung, die ähnlich wie in Nordamerika auf der Kappung der kulturellen Nabelschnüre zum Mutterland zu einem bestimmten Zeitpunkt beruht? Da man sich weder die Sprache noch das Tee-und Whiskytrinken abgewöhnt hat, scheint uns die zweite Vermutung plausibler. Allerdings dürfte die Markovits’sche These, daß eine „Frontgesellschaft“, die einen Westen, ein Outback oder den Dschungel erobert, auch deftigere Spiele praktiziert, etwas zu analogieschlüssig sein. Zutreffender ist wohl die Überlegung, daß in den „neuen“ Einwanderergesellschaften der britischen Ex-Kolonien eine bürgerliche Gesellschaft im Sinne einer Mittelstands-bzw. Massengesell-schäft entstand, die die Klassenunterschiede zwar nicht faktisch, aber normativ in ihrem Selbstverständnis aufhob und damit den Zwang zu weiteren fußballtechnischen Innovationen einer nach Exklusivität strebenden Oberschicht beseitigte. In England dagegen produzierte der bis heute andauernde Klassencharakter der Gesellschaft die Notwendigkeit sozialer Exklusivität auch im Freizeitbereich mit den oben geschilderten Folgen einer sozio-technischen Weiterentwicklung der Ballspiele (Tennis, Golf).

Ein Beitrag über Fußball aus einer vergleichenden Perspektive kann -spätestens nach Max Webers Analyse über den Protestantismus und den Geist des Kapitalismus -den Einfluß von Religion und Konfession nicht vernachlässigen. Aus der Sicht der Sportforschung lautet die korrespondierende Feststellung zum Faktor Religion: „Sein Charakter als der einer Tätigkeit im Rahmen fester Regeln vermag das Spiel in die Nähe des Religiösen -als Ausdruck des immer Waltenden und Bestehenden -zu rücken.“

Dabei fällt in besonderem Maße die Verlagerung der Zentren der Fußballkunst von England in die katholischen Länder Südeuropas und Südamerikas auf. Diesen Gedanken weiter verfolgend, drängt sich der Verdacht auf, daß Fußball im europäischen Sinne nur in einer katholisch geprägten Gesellschaft richtig gedeihen kann. Die konsequente Weiterentwicklung dieses Gedankens würde auch mit dem weit verbreiteten Irrglauben aufräumen, daß England ein protestantisches Land war und ist. So erklären sich dann auch die immer wieder aufkommenden Spielstärken Polens und Irlands, die immer für Überraschungen gut sind (und sogar beide mehrfach England besiegen konnten).

Fest steht, daß Fußball wie Football auf Vorläufer im Mittelalter zurückgehen, also in einer Zeit entstanden sind, in der das Abendland noch einheitlich katholisch war. Zu klären ist die Frage, ob die Bifurkation (Abspaltung) in der Entwicklung auf den unterschiedlichen Einfluß katholischer versus protestantischer Gesellschaften zurückgeführt werden kann. Mit anderen Worten, kann ein differentieller Einfluß der innerweltlichen Bewährungsund Askesephilosophie des Protestantismus bzw.der außerweltlichen ritualistischen Frömmigkeit des Katholizismus festgestellt werden?

Zunächst sind katholische Gesellschaften ärmere Gesellschaften und sind folglich noch stärker von sozialen Gegensätzen geprägt. Damit soll nicht gesagt werden, daß protestantische Länder keine Armut oder keine großen sozialen Unterschiede kennen. Sie werden aber in geringerem Umfang als kollektive Klassenlage gedeutet, in der sich die betroffenen Individuen einrichten müssen -vielleicht sogar wollen. Sozioökonomische Defizite werden als vorübergehender Zustand gesehen, in den man zum Teil selbstverschuldet geraten ist. Insofern entwickelt man auch keine Kultur der Unterprivilegierung, die ein dauerhaftes Verbleiben in derart sozial und ökonomisch deprivierter Lage erträglich macht. Football als verweichlichte und „gepolsterte“ Form des Rugby ist deswegen als Spiel der Ober-und Mittelklasse, in erster Linie über Schulund Unisport und erst später getragen von den Vereinen der community, populär geworden. Fußball dagegen entwickelte sich zu seiner heutigen Popularität durch Übertragung in den Bereich der Arbeiterkultur, die ja ohnehin über weite Strecken eine „billigere“ Kopie der bürgerlichen Kultur darstellt. Neue Vereine entstanden, die nicht mehr „Germania“, sondern „Solidarität“ oder „FC“ genannt wurden. Fußball in passiver wie aktiver Ausübung entwickelte sich zur beliebtesten Freizeitbeschäftigung der Arbeiterklasse bzw.des Proletariats, die im Gegensatz zu Karneval an jedem Wochenende stattfindet. Die Verbreitung des Fußballs ist somit verbunden mit der Konstituierung unterprivilegierter sozialer Klassen und Gruppen, auf die sich die Betroffenen in ihrem Selbstverständnis dauerhaft beziehen. Dieses scheint vor allem in einer katholischen Klassengesellschaft möglich

Unser Ansatz scheint in seiner Erklärungskraft jenen von Mancur Olson zu übersteigen, der mit seiner Logik kollektiven Handelns „den Auf-und Abstieg“ auf der ganzen Welt erklären kann bzw. glaubt erklären zu können. Wir erwähnen dies nebenbei, weil damit auch die nur geringe Popularität des Fußballs in den vom Konfuzianismus geprägten Ländern mühelos erklärt werden kann, da diese Religion in der einschlägigen Literatur -wir verkürzen etwas -als funktionales Äquivalent zum Protestantismus betrachtet wird.

V. Fazit

Neben sozialstrukturellen, klassenspezifischen Grundlagen müßten weitere, vor allem institutioneile Faktoren beachtet werden: z. B. Tocquevilles Überlegungen zum Phänomen der Gleichheit als Charakteristikum der amerikanischen Gesellschaft und Demokratie, das in der community seinen strukturellen Ausdruck findet Die in der Community enthaltene Ambivalenz von Gleichheit und Integration (Heimat und soziale Anerkennung) einerseits und Kon-bzw. Uniformitätsdruck andererseits zeigt sich unserer Ansicht nach auch in der amerikanischen Art, Fußball zu spielen. Der Mannschaftscharakter des Spiels ist erheblich stärker ausgeprägt, indem ein einzelner Mitspieler kaum eine Chance hat, die Torlinie zu erreichen, wenn ihn seine Mitspieler nicht aktiv dabei unterstützen. Europäischer Fußball (soccer) ist zwar unbestritten auch eine Mannschaftssportart, aber die Möglichkeiten der Solisten („des für die Tribüne Spielens“) sind insbesondere im Angriff erheblich größer. Ganz im Sinne von Alexis de Tocqueville: Gleichheit um den Preis der Freiheit versus Individualität auf Kosten der Gleichheit?

Neben dem hier angedeuteten Einfluß der Religion und der Institution Kirche kann auf die Beobachtungen Tocquevilles über amerikanische Vereine zurückgegriffen werden Dort sind Vereine spontane, freiwillige und weitgehend lokale Einrichtungen, während sie auf dem Kontinent stärker staatlich reguliert und national orientiert sind. Ein Blick nach Amerika kann auch ein weiteres Phänomen erhellen, nämlich den -von manchen als krisenhaft bewerteten -Strukturwandel des modernen Fußballs vom Volks-und Massensport zum Medienereignis und dem damit zusammenhängenden -für fußballerische Nachwuchsgewinnung geradezu fatalen -Ende der Kindheit Ganz ähnlich verläuft im übrigen der Prozeß der Amerikanisierung bei den politischen Parteien.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Vorabdruck aus: F. R. Stuke (Hrsg.), Fußball für alle -die Weltmeisterschaft 1994 im Fernsehen. Ex Tempore. Äußerungen zur Kommunikationsgesellschaft, Bd. 5, Bochum 1994. Vgl. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt/M. 1976 (orig. 1821), S. 25.

  2. Vgl. schon Eckhard Henscheid, Wie Max Horkheimer einmal sogar Adorno hereinlegte. Anekdoten über Fußball, kritische Theorie, Hegel und Schach, Zürich 1983. Siehe ferner Dietrich Schulze-Marmeling, Der gezähmte Fußball. Zur Geschichte eines subversiven Sports, Göttingen 1992, hier Kapitel 2 („Das Opium des Volkes“).

  3. Vgl. Talcott Parsons, Voting and the equilibrium of the American political System, in: E. Burdick/A. Brodbeck (Hrsg.), American Voting Behavior, Glencoe, 111., 1950 sowie Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Frankfurt/M. 1983 (orig. 1969). Zugegebenermaßen beziehen sich die Autoren nicht auf Fußball -wahrscheinlich weil sie dieses Anwendungsgebiet trotz ihrer Publikationsflut vergessen haben.

  4. Hartmut Esser, Der Doppelpaß als soziales System, in: Zeitschrift für Soziologie, 20 (1991) 2, S. 153-160.

  5. Vgl.ders., Die Kontinuität des Irrationalen. SC Fortuna Köln; Berndt Keller, Mit Deinem Doppelpaß machst Du alle Gegner naß -Du und Dein VfL, beide in: Uwe Bomemeier (Hrsg.), Lob der Bundesliga. Bekenntnisse und Ansichten über die wichtigste Sache der Welt, Essen 1988.

  6. Norbert Seitz, Bananenrepublik und Gurkentruppe. Die nahtlose Übereinstimmung von Fußball und Politik 1954-1987, Frankfurt/M. 1987, S. 11.

  7. Dieser Terminus stammt ebenfalls von einem Frankfurter, der jedoch mit der gleichnamigen Schule nichts zu tun hat, wenn man einmal davon absieht, daß die jene beherbergende Universität nach ihm benannt wurde.

  8. N. Seitz (Anm. 6), S. 89.

  9. Zutreffend ist in beiden Lebensbereichen das Motto der Bayern-Fans: „Wenn’s brenzlig wird, dann kommt der Katsche und hilft dem Kaiser aus der Patsche“ (N. Seitz [Anm. 6], S. 100). Dieses Urteil findet jedoch -mangels ausreichender methodischer Kontrollen -nicht überall Zustimmung.

  10. N. Seitz (Anm. 6), S. 102.

  11. Allerdings ist es mit der Richtlinienkompetenz von Trainern und Kanzlern nicht so weit her; vgl. Peter Haungs, Kanzlerprinzip und Regierungstechnik im Vergleich. Adenauers Nachfolger, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1-2/89, sowie zum fußballerischen Pendant: Der Kicker, diverse Ausgaben.

  12. Diese Wahlverwandtschaft ist nicht von uns konstruiert: „Neben dem französischen Staatspräsidenten Frangois Mitterrand und nach dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß darf der Nachfolger von Franz Becken-bauer als der engste Freund des Bundeskanzlers gelten“, vgl. die Süddeutsche Zeitung vom 20. 10. 1993 in ihrem Streiflicht.

  13. N. Seitz (Anm. 6), S. 149.

  14. Hier zeigt sich zugleich eine der Tücken der vergleichenden Methode, nämlich die Unterschiede von Begriffsinhalten und Konnotationen in anderen Sprachen -schließlich heißt im amerikanischen Sprachgebrauch Fußball nicht „football", was doch naheliegen würde, sondern „soccer“. Auch die unterschiedliche Form des Balles erinnert fatal an die Dauerkritik von nicht vergleichend arbeitenden Kollegen, man könne doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

  15. Grundlegend und begriffsprägend Johan Huizinga, Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek

  16. Vgl. Norbert Elias/Eric Dunning, Zivilisierung des Fußballs, Münster o. J.

  17. Seymour M. Lipset, The First New Nation, Garden City

  18. Konrad Koch, Die Geschichte des Fußballs im Altertum und in der Neuzeit, Münster 1983 (orig. 18951), S. 39; er bezieht sich dabei auf Rugby.

  19. So der Titel eines Buches von Bernd Guggenberger, Sein oder Design. Zur Dialektik der Abklärung, Berlin 1987.

  20. Insofern irrt sich ein ausländischer Beobachter, wenn er vom „Rheinischen Kapitalismus“ schreibt, da eher die Ruhr paradigmatisch ist (-vor allem, nachdem Köln auch nicht mehr das ist, was es einmal war).

  21. B. Keller (Anm. 5), S. 33f.

  22. So der Politikwissenschaftler Manfred G. Schmidt, Die Politik des mittleren Weges. Besonderheiten der Staatstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9-10/90, S. 23-31.

  23. Es erfüllt allerdings den Tatbestand der Verleumdung, wenn man dies der SPD-nahen Vereinsführung anlasten wollte, die -so behaupten manche -im Gegensatz zum Bochumer Vorort keinen „Nigger“ als Mittelstürmer beschäftigen wollte.

  24. Für weitere Informationen zum Fußball im Ruhrgebiet im allgemeinen und zu Schalke im besonderen siehe Rolf Lindner/Heinrich Th. Breuer, „Sind doch nicht alles Becken-bauers“. Zur Sozialgeschichte des Fußballs im Ruhrgebiet, Frankfurt/M. 1982; siehe auch Bischof Franz Hengsbach, Auf Schalke, in: Uwe Bornemeier (Hrsg.), Auf Schalke, Essen 1988, S. 39-47.

  25. R. Lindner/H. Th. Breuer, ebd., S. 18.

  26. Zum hier auch historisch mit dem Bergbau eng verknüpften katholischen Element siehe Hans-Jürgen Brandt, Kirchliches Vereinswesen und Freizeitgestaltung in einer Arbeitergemeinde 1872-1933. Das Beispiel Schalke, in: G. Huck (Hrsg.), Sozialgeschichte der Freizeit, Wuppertal 1980. Die Problematik wird im folgenden Abschnitt wieder aufgenommen.

  27. Bernd Müllender, Angeschnittener Kopfball, in: D. Schulze-Marmeling (Anm. 2), S. 92.

  28. Inwieweit ein systematischer, durch statistische Analysen belegbarer Zusammenhang zwischen politischem und Spielsystem besteht, muß angesichs der mangelnden wissenschaftlichen Vorarbeiten auf diesem Gebiet noch offenbleiben.

  29. Vgl. Andrei S. Markovits, Why there is no Soccer in the United States? Variationen zu Werner Sombarts großer Frage, in: Leviathan, 15 (1987) 4, S. 486-525.

  30. Hier ist natürlich auf die wichtige Arbeit von Oliver E. Williamson, Markets and Hierachies. Analysis and Antitrust Implications, New York 1975 zu verweisen, in der es auch um Zusammenwachsen und Verschmelzen (von Firmen) geht.

  31. Francis G. Castles, Big Government and Weak States. The Paradox of State Size in the English Speaking Nations of Advanced Capitalism, in: Journal of Commenwealth and Comparative Politics, 27 (1989), S. 267-293.

  32. Vgl. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 3 Bände, Tübingen 1920/21.

  33. J. Huizinga (Anm. 15), S. 232.

  34. Hier wäre noch näher zu klären, ob nicht interessante Anschlußmöglichkeiten an die aktuelle Chaos-Theorie bestehen.

  35. Daß die Kirche kein Monopol bei der ideologischen Stabilisierung von Unterprivilegierung besitzt, zeigen einschlägige italienische Filme wie Don Camillo und Pepone, in denen sich Kleriker und Kommunisten heftige Gefechte um den Einfluß auf die Jugendlichen mit Hilfe rivalisierender Fußballmannschaften liefern. Die schon wiederholt angesprochene enge Verbindung von Fußball und Religion zeigt sich u. a. darin, daß der Sieg der „katholischen“ Mannschaft gegen die „Ungläubigen“ als ein klarer Gottesbeweis interpretiert wird.

  36. Vgl. Mancur Olson, Aufstieg und Niedergang von Nationen. Ökonomisches Wachstum, Stagflation und soziale Starrheit, Tübingen 1985.

  37. Vgl. Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, Stuttgart 1959.

  38. Vgl. ebd.; zum aktuellen deutschen Zusammenhang siehe Gunter A. Pilz (Hrsg.), Sport und Verein, Reinbek 1986, sowie Heinz Schröder, Der Deutsche Sportbund im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Münster 1989.

  39. Vgl. zu diesem institutionellen und sozialstrukturellen Wandel Neil Postman, Das Verschwinden der Kindheit, Frankfurt/M. 1983. Hier findet sich auch ein Hinweis, der unsere Hypothese von der Bedeutung der Religion und der Institution Kirche unterstützt: Seit dem 16. Jahrhundert entwickelt sich vor allem der Protestantismus zur Lesekultur, während das Buch im Katholizismus eine erheblich geringere Verbreitung findet.

Weitere Inhalte

Josef Schmid, Dr. rer. soc., geb. 1956; Studium der Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Konstanz; seit 1989 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl Politische Wissenschaft II der Ruhr-Universität Bochum. Veröffentlichungen u. a.: Die CDU, Opladen 1990; (zus. mit F. Lehner) Technik, Arbeit, Betrieb, Gesellschaft, Opladen 1992; (zus. mit F. Löbler/H. Tiemann) Organisationsstrukturen und Probleme von Parteien und Verbänden. Berichte aus den neuen Ländern, Marburg 1994. Ulrich Widmaier, Dr. phil., Priv. -Doz., geb. 1944; Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und der Methoden empirischer Sozialforschung an den Universitäten Mannheim und Princeton (USA); seit 1989 Vertreter des Lehrstuhls für Politische Wissenschaft II an der Ruhr-Universität Bochum. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit F. Schmid) Flexible Arbeitssysteme im Maschinenbau, Opladen 1992; Endogene Grenzen des Wachstums, Baden-Baden 1989.