Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Folgen der schnellen Privatisierung der Treuhandanstalt. Eine vorläufige Schlußbilanz | APuZ 43-44/1994 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 43-44/1994 Das zentralistische Erbe. Die institutioneile Entwicklung der Treuhandanstalt und die Nachhaltigkeit ihrer Auswirkungen auf die bundesstaatlichen Verfassungsstrukturen Treuhandanstalt: Bilanz und Perspektiven Die Folgen der schnellen Privatisierung der Treuhandanstalt. Eine vorläufige Schlußbilanz Die Treuhandanstalt im politischen System der Bundesrepublik Strukturpolitik wider Willen?. Die regionalpolitischen Dimensionen der Treuhandpolitik

Die Folgen der schnellen Privatisierung der Treuhandanstalt. Eine vorläufige Schlußbilanz

Jan Priewe

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Treuhandanstalt (THA) Berlin hat innerhalb von vier Jahren nahezu das gesamte ehemalige volks-eigene Vermögen der DDR, mit Ausnahme von Grund und Boden, privatisiert. Sie folgte damit der ordnungspolitischen Devise der schnellstmöglichen Privatisierung, setzte auf Tempo und quantitative Erfolge. Die Sanierung der ihr anvertrauten Unternehmen sollte im Kern von den privaten Investoren vorgenommen werden, die THA wollte sich nur auf ein Minimum an „Ansanierung“ und „Sanierungsbegleitung“ beschränken. Indessen konnte sich die Anstalt infolge des aufgelaufenen Problemdrucks einem stärkeren Sanierungsengagement, auch vor der Privatisierung, nicht entziehen, sie tat es jedoch zögerlich und ohne strukturpolitische Konzeption. Im Zuge der Privatisierung gingen über 70 Prozent der Arbeitsplätze im ursprünglichen Treuhandsektor verloren, eine weitgehende Deindustrialisierung war die Folge. Zugleich wurde die Tätigkeit der THA immer teurer, da sie mit „negativen Kaufpreisen“ den Investoren versteckte Subventionen gewährte und/oder Unternehmen unter Wert veräußerte. Zwar waren die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Treuhand äußerst schwierig, gleichwohl läßt sich feststellen, daß die Treuhand selbst wie auch die Treuhandpolitik der Bundesregierung es versäumten, die Handlungsmöglichkeiten zum Um-und Aufbau des ostdeutschen Unternehmenssektors voll auszuschöpfen. Die Folgen der Treuhand-aktivitäten für die Beschäftigung, das regionale Entwicklungspotential und die öffentlichen Finanzen sind prekär.

I. Bewertungsprobleme

Tabelle 1: Bilanz der Treuhand-Aktivitäten zum 31. 5. 1994

Die Treuhandanstalt (THA) hat von Anfang an eine Polarisierung der Meinungen ausgelöst: Die einen rühmen sie als effizient arbeitende Privatisierungsagentur, die die schnellste Privatisierung einer Volkswirtschaft hervorbrachte, die es weltweit je gegeben hat -und das unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen. Eine zweite Gruppe von Beobachtern kritisiert die Treuhand, weil sie auf die potentiellen Investoren durch Auflagen zu viel Einfluß genommen und zudem zu viel eigenständige Sanierung zur Erhaltung letztlich nicht lebensfähiger „industrieller Kerne“ betrieben habe. Vom Standpunkt der reinen Lehre der Marktwirtschaft hätte sie zahlreiche ordnungspolitische Sünden begangen, besonders in der Schlußphase. Für die dritte Gruppe war und ist die Treuhand das „Schlachthaus“, das wesentlich für die Zerstörung der Wirtschaftssubstanz der neuen Bundesländer verantwortlich ist: eine Art Kolonialagentur, die den Ausverkauf der Ex-DDR betrieb, der Bereicherung und Begünstigung einer häufig halbseidenen westdeutschen Klientel diente und zur „zweiten Enteignung“ der Bürger des „Beitrittsgebietes“ führte.

Eine genauere Analyse führt zu einer differenzierteren Bewertung. Dabei muß erstens zwischen den schwierigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen -z. B. Währungsunion, Einigungsvertrag, Wegbrechen der osteuropäischen Märkte, Lohnauftrieb etc. -, zweitens der Treuhandpolitik der Bundesregierung, drittens der allgemeinen Wirtschaftspolitik von Bund und Ländern und viertens schließlich dem Handeln der Treuhand selbst unterschieden werden. Vielfach wurde die Treuhandanstalt Zielscheibe heftiger Kritik, die eigentlich den gesetzten Rahmenbedingungen oder der Einigungspolitik der Bundesregierung hätte gelten müssen. Akzeptiert man einmal die allgemeinen Rahmenbedingungen, dann wurden jedoch -so meine These -schwerwiegende Fehler in allen drei Bereichen gemacht.

Freilich ist es für eine endgültige Bewertung der Treuhandaktivitäten noch zu früh. Empirische Untersuchungen zur sektoralen Transformation, insbesondere dort, wo die THA viel Geld aufwendete, liegen kaum vor, und die positiven oder negativen ökonomischen Folgen sind mitunter noch nicht deutlich genug erkennbar. Ferner mangelt es nach wie vor an empirischen Daten zur Treuhand selbst, um die Anstalt umfassend zu evaluieren. Auch der im September 1994 vorgelegte Bericht des Untersuchungsausschusses des Bundestages zur Treuhandanstalt, der hier noch nicht einbezogen werden konnte, hat eine Vielzahl wichtiger Dokumente nicht berücksichtigen können, da sie dem Ausschuß vorenthalten wurden.

II. Der Umfang der erreichten Privatisierung

Tabelle 1: Bilanz der Treuhand-Aktivitäten zum 31. 5. 1994 Quelle: Treuhandanstalt, Zentrales Controlling, Monats-informationen, Stand 31. 5. 1994; eigene Berechnungen.

Das mit dem Einigungsvertrag übernommene Treuhandgesetz der DDR -im März 1990 von der DDR-Volkskammer beschlossen -gab der Anstalt einen recht vage gehaltenen Restrukturierungsauftrag für das ehemals volkseigene Eigentum. Im einzelnen wurden der THA die folgenden Aufgaben gestellt, die jeweils der Präzisierung und Konkretisierung bedurften

1. Privatisierung, Sanierung, Stillegung, Reprivatisierung und Kommunalisierung von ehemals volkseigenem Vermögen;

2. „Strukturanpassung“ der Wirtschaft an marktwirtschaftliche Erfordernisse; Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen; 3. Vermögenszuordnung; 4. Erteilung von Investitionsvorrangentscheiden und Grundstücksverkehrsgenehmigungen; 5. Verwaltung des Sondervermögens (Vermögen von Parteien und Massenorganisationen); 6. Finanzierung des Kreditabwicklungsfonds und der Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung; 7. Einräumung verbriefter Sparer-Anteile für diejenigen Sparer, die bei der Währungsumstellung ungünstige Umtauschsätze hinnehmen mußten.

Im Zentrum der Treuhandaktivitäten standen zweifellos die unter erstens genannten Aufgaben, und nur sie sollen hier betrachtet werden. Die von der THA in Absprache mit dem die Fach-und Rechtsaufsicht führenden Bundesfinanzministerium gewählte strategische Formel für diese Aufgaben lautete: schnelle und möglichst vollständige Privatisierung (ausgenommen Grund und Boden), die als beste Form der Sanierung verstanden wurde. Dabei wurde keine Kaufpreismaximierung vorgenommen, sondern eine „Optimierung“ der Kriterien Kaufpreis, Investitions-und Arbeitsplatzzusagen der Investoren. Sanierung vor Privatisierung sollte sich im Kern beschränken auf die bilanzielle Sanierung (DM-Eröffnungsbilanz mit ausreichend Eigenkapital, gegebenenfalls durch Einräumung von Ausgleichsforderungen) und die Sicherung der Zahlungsfähigkeit der Unternehmen durch Bürgschaften, Liquiditätshilfen und andere Maßnahmen.

So verstand sich die THA ganz überwiegend als Privatisierungsagentur, die ihre Unternehmen zwar treuhänderisch verwaltet, nicht aber wie ein Konzern unternehmerisch führt. Sanierung vor Privatisierung lehnte sie ab ebenso wie Industrie-oder Beschäftigungspolitik, ferner wollte sie auch keine Minderheits-oder auch Mehrheitsbeteiligungen halten. Allerdings mußte sie aufgrund starken politischen Drucks von außen -etwa seitens der neuen Länder oder der Gewerkschaften, aber wohl teilweise auch seitens des Bundeskanzleramtes -Kompromisse eingehen (so etwa bei der Unterstützung von Beschäftigungsgesellschaften, der Einbeziehung der Länderregierungen und der Erhaltung „industrieller Kerne“).

Mitte 1990, als die THA ihre eigentliche Arbeit mit der Währungsunion begann, waren ihr ca. 8500 Unternehmen (mit etwa 45000 Betriebsstätten) mit 4, 1 Mio. Beschäftigten und rund 60 Prozent der Fläche der DDR unterstellt. Durch Entflechtung und Aufspaltung erhöhte sich die Zahl der Unternehmen auf etwa 12300. Bis zum 31. 5. 1994 wurden davon knapp 50 Prozent privatisiert, etwa 13 Prozent reprivatisiert (Rückübertragung an Alteigentümer) und gut 2 Prozent kommunalisiert, knapp 28 Prozent liquidiert. Etwa 5 Prozent der Unternehmen, die kurzfristig schwer privatisierbar sind, befinden sich noch in treuhänderischer Verwaltung, fast ausschließlich Industrie-und Bergbaubetriebe mit fast 160000 Arbeitsplätzen (siehe Tab. 1). Ferner hat die THA 7300 Betriebsteile privatisiert -darunter versteht sie im Gegensatz zu ganzen Unternehmen kleine oder größere abgespaltene Teile von Unternehmen ohne eigene Rechtsform, z. B. Grundstücke, Anlagenteile, Gebäude etc. Ferner wurden der Handel, die Gaststätten, die Apotheken, Kinos etc. in kurzer Zeit nahezu vollständig privatisiert. Diese Zahlen sind in den oben genannten Angaben ausgeklammert. Dagegen hat die Privatisierung von Grund und Boden gerade erst begonnen; immer noch ist die THA Eigentümerin eines sehr großen Anteils -der nicht genau bekannt ist -der Fläche der Ex-DDR. Im Juni 1994 gab die THA an, daß sie in knapp 1200 Fällen mit Unternehmen nach-verhandelt, so etwa über Arbeitsplatzzusagen, Mehrerlösklauseln, Nachbewertungen, Auflösung von Rückstellungen etc.

Ein großer Teil der Unternehmensprivatisierungen -2664 an der Zahl, das sind etwa 44 Prozent aller vollständigen Privatisierungen -sind Verkäufe bzw. Vergaben an das Management (Management-Buy-Out, MBO). Vielfach handelt es sich dabei um Privatisierungen von Klein-und Kleinstunternehmen, die nur zustande kamen, weil es keine anderen Investoren gab und die einzige Alternative die Liquidation gewesen wäre. In der Anfangsphase wurden MBO seitens der THA eher vermieden, da man bei den neuen Eigentümern Kapitalmangel vermutete. 844 Unternehmen -rund 10 Prozent gemessen an Beschäftigungs-und Investitionszusagen -wurden an ausländische Investoren verkauft. Am stärksten haben sich französische, britische, österreichische, Schweizer und US-Investoren engagiert. Trotz intensiver Bemühungen war der Versuch, japanische Unternehmen zu akquirieren, fehlgeschlagen. Die THA gibt an, daß von etwa 3400 Unternehmensliquidationen nur etwa 334000 Arbeitsplätze betroffen wurden, von denen dann sogar noch 31 Prozent gerettet werden konnten -jedoch handelt es sich dabei um Unternehmensreste, die zuvor schon enorm zusammengeschrumpft waren. Der Treuhand-Untersuchungsausschuß des Bundestages hält die genannte Zahl der dabei erhaltenen Arbeitsplätze für weit überhöht.Angaben darüber, wie groß der Anteil der Käufer von Treuhandeigentum aus dem Gebiet der neuen Bundesländer ist, existieren nicht; gemessen an den vereinbarten Kauferlösen oder an den Beschäftigungs-und Investitionszusagen dürfte er aber minimal sein. Am stärksten wurden ostdeutsche Bürger bei Management-Buy-Outs sowie bei der „kleinen Privatisierung“ (Handel, Dienstleistungen) berücksichtigt. Nahezu alle mittleren und größeren Unternehmen dürften ansonsten Tochterunternehmen westdeutscher bzw. ausländischer Firmen sein.

III. Die Finanzen der Treuhandanstalt

Tabelle 2: Ausgaben und Einnahmen der Treuhandanstalt 1990-1994 (in Mrd. DM) Quelle: Deutsche Berechnungen.

Die vereinbarten Privatisierungserlöse erreichten bis Ende Mai 1994 52, 3 Mrd. DM und blieben damit in einer sehr niedrigen Größenordnung, jedenfalls gemessen an den früheren Schätzungen des Wertes des DDR-Volksvermögens von mehreren hundert Milliarden DM Nettovermögensubstanz. Von den vertraglich vereinbarten Erlösen werden bis Ende 1994 kaum mehr als 28 Mrd DM faktisch gezahlt worden sein (siehe Tab. 2). Im übrigen handelt es sich um Bruttobeträge: Rechnet man davon die Zahlungen ab, die für den Ausgleich von Startverlusten, Altkreditübernahme, die Übernahme von Bürgschaften, Gewährleistungen von ökologischen Altlasten etc. geleistet bzw. vereinbart wurden, dann dürften im Durchschnitt aller Verträge „negative Kaufpreise“ gezahlt worden sein. In der Mehrzahl der Fälle erfolgte also die Privatisierung durch Vergabe in Verbindung mit finanziellen Zugaben (z. B. für Altschulden, Anlaufverluste etc.), wobei als Gegenleistungen Arbeitsplatz-und Investitionszusagen akzeptiert wurden.

Die Ausgaben der THA belaufen sich im Zeitraum 1990 bis 1994 auf (voraussichtlich) 171 Mrd. DM. Darin ist die Übernahme der Altschulden von Unternehmen, die insgesamt etwa 100 Mrd. DM ausmachten und die zu 80 Prozent von der THA übernommen werden, nur teilweise enthalten (bis Ende 1993 62 Mrd. DM). Der größte Ausgabenblock der THA sind die „Ausgaben für das Kerngeschäft“. So stellte die THA bis Ende 1993 14 Mrd. DM für Ausgleichsforderungen in die Bilanzen ihrer Unternehmen ein, um hinreichend Eigenkapital sicherzustellen. Zusammen mit der Altschuldenübernahme von insgesamt 80 Mrd. DM belaufen sich die Kapitalzuführungen an die Unternehmen durch die THA auf 95 Mrd. DM (bis Ende 1994). Die Ausgaben der THA für die kassenwirksame Inanspruchnahme für Bürgschaften und Gewährleistungen ihrer Unternehmen beliefen sich bis Ende 1993 auf 25 Mrd. DM. Verbürgte Kredite -nicht zu verwechseln mit den Altschulden -wurden häufig auch bei der Privatisierung durch die THA abgelöst Der Umfang der Finanzhilfen zur Abdeckung des laufenden Betriebsverlustes der Unternehmen ist nicht bekannt. Die direkten Investitionszuschüsse der THA waren verschwindend gering, 1993 machten sie nur eine Mrd. DM aus. Für sozial-und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gab die THA bis 1993 knapp acht Mrd. DM aus. Da sich die THA außer durch Privatisierungserlöse nahezu ausschließlich durch Kreditaufnahme finanziert, machen die Zinszahlungen einen zunehmend größeren Ausgabenanteil aus. Bis 1994 summieren sie sich auf knapp 65 Mrd. DM, das sind fast 38 Prozent der Gesamtausgaben 1990 bis 1994.

Bis 1994 deckt die THA voraussichtlich nur 25 Prozent ihrer Ausgaben (ohne Altschulden-Übernahme) durch eigene Einnahmen; zur Kreditaufnahme gemäß Haushaltsplan von etwa 130 Mrd. DM im Zeitraum 1990 bis 1994 kommen zusätzliche kreditfinanzierte Ausgaben von etwa 20 Mrd. DM (Ausgleichsforderungen, Zuweisungen an den Kreditabwicklungsfond) sowie die Übernahme von Altschulden in Höhe von 80 Mrd. DM hinzu. Weitere 45 Mrd. DM zusätzlicher Kreditaufnahme ab 1995 werden durch die Nachfolgeorganisationen der THA erwartet, so daß die Gesamtschulden bei etwa 275 Mrd. DM liegen werden. Der vom Gesetzgeber zugestandene Kreditrahmen der THA wurde schrittweise erweitert: Im 1. Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 lag er noch bei 7 Mrd. für 1990 und 10 Mrd. DM für 1991. Im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 wurde er auf 25 Mrd. DM für 1990 und 1991 erhöht, im Treuhandkreditaufnahmegesetz vom 3. Juli 1992 auf jeweils 30 Mrd. DM für die Jahre 1992 bis 1994, bei einer zulässigen Überschreitungsgrenze von jeweils8Mrd. DM. Der Kreditrahmen wurde praktisch voll ausgeschöpft.

Die Treuhandschulden werden 1995 in den „Erblasttilgungsfonds“ eingestellt Der jährliche Schuldendienst, mit dem dann der Bundeshaushalt belastet wird, wird bei etwa 17Mrd. DM liegen, und das auf sehr lange Sicht, da an Tilgung vorerst nicht zu denken ist. Die Treuhandschulden tragen zur Verdoppelung der Schulden der Gebietskörperschaften im Zeitraum von 1989 (930 Mrd. DM) bis 1995 (voraussichtlich 2000 Mrd. DM) zu etwa einem Viertel bei wobei die indirekten Folgekosten durch Sozial-und andere Transfers von West nach Ost nicht eingerechnet sind.

Bei der Bewertung der Kosten der THA verwundern der geringe Umfang der Privatisierungserlöse und zugleich die hohen Kosten der Privatisierung. Es wäre zu prüfen, ob Unternehmen unter Wert verkauft und in welchem Umfang den Investoren offene oder versteckte Subventionen (Beihilfen) gewährt wurden. In der (berichtigten) DM-Eröffnungsbilanz der THA vom 31. 12. 1992 wurde der Anteilsbesitz der Anstalt mit 77, 6 Mrd. DM bewertet; nimmt man das Bergwerkseigentum, land-und forstwirtschaftliches Vermögen und sonstiges Sachvermögen hinzu, dann war das bilanzmäßige, der THA übertragene Vermögen 101 Mrd. DM wert (ohne Forderungen gegenüber THA-Unternehmen) Bei der Bewertung wurde der Grundsatz der Vorsicht zugrunde gelegt. Es ist zu vermuten, daß im Durchschnitt Privatisierungserlöse erzielt wurden, die unter dem Bilanzwert der Unternehmen lagen Im Grunde ist bei der Bewertung der Ertragswert, also die Kapitalisierung zukünftiger Nettoerträge, heranzuziehen. In der Praxis ergab sich der Verkaufspreis jedoch aus den Verkaufsverhandlungen und damit aus der Zahlungsbereitschaft der Investoren, wobei nach für Außenstehende nicht nachvollziehbaren Regeln Arbeitsplatz-und Investitionszusagen mit dem Kaufpreis verrechnet wurden.

Letztlich ergaben sich die „Verhandlungswerte“ aus der Marktposition der THA: Dem Angebot an vielen Firmen, die teilweise schwer sanierbar sind und nur eingeschränkte Absatzchancen haben, stehen nur relativ wenige Investoren gegenüber. Von den begehrten „Filetstücken“ abgesehen, handelt es sich also um einen klassischen Käufermarkt, in den sich die THA infolge der ordnungspolitisch gewünschten Strategie der schnellen Privatisierung hineinbegeben hat Das Resultat sind vermutlich hohe Subventionstatbestände, die größtenteils verdeckt sind, da Kaufpreis, Altlastenübernahme und Subventionen vermischt wurden. Dabei dürfen die eigentlichen Altlasten (Altschulden, Aufwand für ökologische Altlastensanierung etc.) nicht als Subventionen gewertet werden. Hinzu kommt, daß die wichtigste Gegenleistung der Unternehmen, Investitionen zu tätigen und Arbeitsplätze anzubieten, nur schwer kontrollierbar ist; zudem sind hohe Mitnehmereffekte zu erwarten.

Der Sachverhalt negativer Netto-bzw.sehr niedriger Brutto-Verkaufspreise läßt drei Interpretationsmöglichkeiten zu:

Erstens wäre es denkbar, daß Investoren begünstigt wurden, indem ihnen Vermögen unter Wert überlassen wurde. Dies wäre ordnungs-und verteilungspolitisch höchst fragwürdig, es würde auch dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Kaufinteressenten widersprechen.

Zweitens könnte es sein, daß die von den Investoren geschätzten Ertragswerte der THA-Unternehmen tatsächlich sehr niedrig bzw. negativ waren. In diesem Fall handelt es sich um dauerhaft unrentable Firmen, die nur dadurch am Leben gehalten werden, daß die THA die kapitalisierten zukünftigen Verluste ausgleicht. Dies wäre eine Privatisierung durch Subventionierung bzw. Sozialisierung der Verluste.

Drittens könnte angenommen werden, daß die Ertragswerte der verkauften Einheiten tatsächlich negativ waren, so daß nicht unter Wert verkauft wurde. Daß die Firmen nicht stillgelegt wurden, was nach üblicher Rentabilitätsrechnung angezeigt wäre, folgt in diesem Fall aus dem gesamtwirtschaftlichen Kalkül, daß die sozialen Folgekosten von Stillegungen wesentlich höher sind als die über negative Kaufpreise gezahlten Subventionen. In diesem Fall hätte die THA „heimlich“ oder „implizit“ Strukturpolitik betrieben, was sie stets abgelehnt und bestritten hat Wahrscheinlich sind alle drei Interpretationen teilweise zutreffend: Die THA hat -ohne immer genau zu wissen, was sie tut -Investoren durch zu niedrige Kaufpreise begünstigt unrentable Firmen durch Sozialisierung der Verluste privatisiert, und eine implizite, aber nicht gezielte Strukturpolitik betrieben. In allen drei Fällen ist das Ergebnis teuer und der Erfolg gering, und das tatsächliche Handeln steht im Widerspruch zu dem, was vorgeblich getan wurde.

Die hohen Kosten der THA lassen sich teilweise auch bürokratietheoretisch erklären: Eine Quasi-Behörde mit vagem Auftrag, großen Ermessensspielräumen, ohne harte Budgetrestriktion und ohne klare, nachvollziehbare Handlungsregeln, die gegenüber den Aufsichtsinstanzen einen großen Informationsvorsprung hat, wird dahin tendieren, den Kostenrahmen ständig zu erweitern

IV. Die Entwicklung der Beschäftigung

Abbildung: Beschäftigungsbilanz der THA (THA-und Ex-THA-Untemehmen) Quelle: Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Wirtschaftsbulletin Ostdeutschland, (1994) 2, S. 33 (auf der Grundlage von Söstra/Berlin).

Die THA gibt die Arbeitsplatzzusagen der Investoren mit knapp 1, 5 Mio. an. Der überwiegende Teil davon ist vertraglich vereinbart, teilweise mit Strafgebühren („Pönalen“) zwischen 5 000 und 40000 DM je nicht eingehaltene Arbeitsplatz-zusage. Mit den vertraglichen Vereinbarungen wurde erst im Frühjahr 1991 begonnen, und auch dies nicht in allen Fällen. Zum Teil sind die Arbeitsplatzzusagen lediglich Absichtserklärungen der Investoren. Häufig ist auch der Zeitraum nicht klar definiert, in dem die Arbeitsplätze zu schaffen und während dessen sie aufrechtzuerhalten sind. Auch muß es sich nicht immer um Arbeitsplätze in dem gekauften Unternehmen handeln, es kann auch um Beschäftigung gehen, die durch Neuansiedelung von Dienstleistungs-oder Industriebetrieben, beispielsweise auf nicht betriebsnotwendigen Grundstücken, entstehen soll. In diesem Fall werden die Ansiedlungschancen der regionalen Wirtschaftsförderung geringer ausfallen. Ähnliches gilt für Investitionszusagen, bei denen es sich ebenfalls häufig um bloße Absichtserklärungen handelt. Bis Juni 1994 haben die Investoren -einschließlich Energiewirtschaft -immerhin 198 Mrd. DM an Investitionen, teilweise für einen längeren Zeitraum, der nicht spezifiziert ist, zugesagt. Nur ein Teil der Arbeitsplatz-und Investitionszusagen ist vertraglich gesichert, der Rest sind Absichtserklärungen Ob die Beschäftigungs-und Investitionszusagen eingehalten werden, kann bislang nicht genau ermittelt werden, da kein flächendekkendes Informations-und Kontrollsystem existiert. Nur in wenigen Fällen wurden bislang die „Pönalen“ eingefordert.

Im April 1994 waren -ermittelt durch SÖSTRA-Befragungen, deren Ergebnisse hochgerechnet wurden -989000 Personen in Ex-Treuhand-Unternehmen beschäftigt und in Noch-Treuhand-Firmen 161000, insgesamt also 1, 15 Mio. Personen Die THA gibt weitere gut 400000 Beschäftigte in privatisierten Betriebsteilen an, jedoch ist diese Zahl nicht überprüfbar und zudem schwer abgrenzbar. Klammert man diesen Faktor aus, dann ist die Beschäftigung im ehemaligen Treuhandbereich von 1990 bis 1994 um nicht weniger als 72 Prozent geschrumpft (vgl. die Abbildung). Von den noch in THA-Firmen Beschäftigten arbeiten 40000 Personen in befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nach §-249 h Arbeitsförderungsgesetz, 15000 in Firmen, die in Liquidation stehen, und 20000 Arbeitsplätze sollen darüber hinaus in Kürze entfallen. In den Ex-Treuhand-Unternehmen ist eine Personalreduktion auf 907000 bis 1996 geplant. Mithin wird die Beschäftigung in THA-und Ex*-THA-Unternehmen bis 1996 auf etwa 1 Mio. schrumpfen.

Die rund 1, 5 Mio. Arbeitsplatzzusagen beziehen sich mit 709000 auf vollständig oder mehrheitlich privatisierte Unternehmen -diese Zusagen wurden nach SÖSTRA-Hochrechnungen mit 848000 übererfüllt -, mit etwa 425 000 auf privatisierte Betriebsteile und mit 368000 auf Zusagen im Bereich der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft (TLG), hier überwiegend auf zukünftige Ansiedlungen. Bei den beiden zuletzt genannten Zahlen ist offen, ob sie realisiert werden können. Kontrollrechnungen liegen noch nicht vor.

Besonders drastisch war der Beschäftigungsrückgang in der Industrie, in der 1989 3, 2-3, 4 Mio. Personen tätig waren. In Industriebetrieben mit mehr als 20 Beschäftigten arbeiteten in den neuen Bundesländern (und Ost-Berlin) im Februar nur noch 638000 Menschen, einschließlich Kleinbetriebe waren es etwa 1, 2 Mio. Nach SÖSTRA entfallen davon 60 Prozent, also gut 700000 Arbeitsplätze, auf THA-und Ex-THA-Firmen

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die Bilanz der schnellen Privatisierung besorgniserregend. Über 70 Prozent der Arbeitsplätze gingen verloren, die noch im Besitz der THA verbliebenen Betriebe arbeiten überwiegend immer noch defizitär. Die Deindustrialisierung aufzuhalten war die THA nicht in der Lage: Die Industriedichte -Zahl der Industriebeschäftigten je 1000 Einwohner -ist nicht einmal halb so groß wie in den alten Bundesländern, der Beitrag der ostdeutschen Industrieproduktion zur gesamtdeutschen liegt bei 3 bis 4 Prozent, der Beitrag der ostdeutschen Exporte zu den gesamtdeutschen bei nur 2 Prozent -bei einem Bevölkerungsanteil Ostdeutschlands von knapp 20 Prozent. Der kleine Sektor des produzie-renden Gewerbes ist weitgehend auf lokale Produktion beschränkt, insbesondere auf die Bauwirtschaft, „bauorientierte“ Industrie (z. B. Steine und Erden, Baumaterialien), die Nahrungs-und Genußmittelindustrie und das Handwerk. Ansätze für regional vernetzte Industriekomplexe existieren nur in wenigen Bereichen. Alte regionale Netzwerke sind verlorengegangen, neue kaum entstanden. Aussicht auf eine Reindustrialisierung durch einen sich selbst tragenden Aufschwung in absehbarer Zeit besteht kaum. Obwohl seit dem zweiten Halbjahr 1993 die ostdeutsche Industrieproduktion wieder kräftig wächst, wurden im vierten Quartal 1993 nur knapp 40 Prozent des Produktionswertes des ersten Quartals 1990 erreicht Nach wie vor ist die Industrieproduktion einer Region die entscheidende Basis für das wirtschaftliche Entwicklungspotential. Die dynamischen, produktionsorientierten Dienstleistungen sind auf die Industrie bezogen, und die haushaltsorientierten Dienstleistungen expandieren nur bei einem dynamischen Industrie-Dienstleistungs-Komplex Neugründungen können den Verlust alter Industrien nicht wettmachen. Seit vielen Jahren hat die regionale Wirtschaftsförderung in den alten Bundesländern bereits das Schwergewicht auf Bestandserhaltung durch Innovationsförderung gelegt gegenüber der Werbung für Neuansiedelung.

Ebenso problematisch wie der quantitative Niedergang von Produktion und Beschäftigung im (ehemaligen) Treuhand-Sektor ist dessen qualitative Erosion. Die Industrieforschung ist weitgehend abgebaut worden (die Zahl der hier Beschäftigten sank um 80 bis 85 Prozent), das Forschungs-und Entwicklungspotential in den Unternehmen wurde im Zuge der Privatisierung und Sanierung reduziert. Dies bestärkt den Eindruck, daß die Investoren, die THA-Firmen erwarben, vorrangig defensive Sanierung betrieben in der Form des „Gesundschrumpfens“ und des Vorrangs von kapitalintensiven Verfahrensinnovationen vor eher „humankapitalintensiven“ Produktinnovationen. Das entscheidende Technologiepotential der Käufer blieb in den westlichen Stammhäusern Dieser Prozeß wird sich nur langsam umkehren lassen.

V. Defizite der Treuhandpolitik

Im Laufe ihrer Tätigkeit in den vergangenen Jahren hat die THA ihre Strategie der bedingungslosen schnellen Privatisierung Stück für Stück ändern müssen Ohne diesen Kurswechsel wären die Ergebnisse, gemessen an Beschäftigungs-und Investitionszusagen, wohl noch ungünstiger ausgefallen.

Trotz schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen hatte die THA große Handlungsspielräume, die sie jedoch unzulänglich genutzt hat. Zweifellos trägt die Bundesregierung, insbesondere das Finanzministerium, dem die Aufsicht über die THA anvertraut ist, einen erheblichen Teil der Verantwortung für die Schwächen und Versäumnisse der Treuhandpolitik Die wirtschaftliche Entwicklung sowie die dargestellte Treuhandbilanz, aber auch die Berichte und Recherchen des Bundesrechnungshofes, der die wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Mittel zu überprüfen hat, und des Untersuchungsausschusses des Bundestages, der auf Antrag der Oppositionsparteien im Herbst 1993 eingesetzt wurde, bestätigen mehr und mehr die Kritiker der Treuhand. Die Defizite der Treuhandpolitik des Bundes und der Anstalt selbst lassen sich in sechs Punkten resümieren

1. Unklarer gesetzlicher Auftrag: Zur Bewältigung der Jahrhundertaufgabe, die der THA aufgebürdet wurde, wäre ein präziserer gesetzlicher Auftrag notwendig gewesen. Das Treuhandgesetz enthält keinen beschäftigungs-und strukturpolitischen Auftrag; das Verhältnis von Privatisierung und Sanierung wurde nie klar geregelt; ob die THA als Konzernunternehmen oder nur als Zwischeneigentümer ohne „Durchgriffshaftung“ für ihre Unternehmen anzusehen ist, wurde nicht hinreichend geklärt. Ebensowenig ist festgelegt worden, ob sich die THA primär als Verkaufsagentur oder auch als Reparaturbetrieb verstehen sollte. Die Unbestimmtheit des gesetzlichen Auftrags verlieh der THA eine große Machtfülle, die kaum noch kontrollierbar war.

Indem der THA kein strukturpolitischer Auftrag zugestanden und sie dem Bundesfinanzministerium zugeordnet wurde, waren erhebliche Koordinationsprobleme vorprogrammiert. Die in diesen Jahren so notwendige horizontale und vertikale Politikverflechtung fand nur völlig unzureichend statt. Dies gilt beispielsweise für die Koordination von Treuhandanstalt, Bundesfinanzminister, Bundeswirtschaftsminister, Forschungs-und Technologieministerium und Bundeskanzleramt, und erst recht für die Abstimmung mit den Länderregierungen, die für regionale Strukturpolitik zuständig sind. Fast überall saß die THA am längeren Hebel; sie war kein integrierendes und koordinierendes Aufbauministerium, sondern verstand sich als bloße Privatisierungsagentur.

2. Die Strategie der schnellen Privatisierung: Da sich die THA -zumindest bis etwa Herbst 1992 -als reine Verkaufsagentur mit dem Ziel der schnellstmöglichen Privatisierung verstand, mußten die Verkaufskonditionen der wenigen westlichen Investoren weitgehend akzeptiert werden. Die aber setzten ganz überwiegend auf Sanierung durch Schrumpfung oder auf „Resteverwertung“ und Grundstücksspekulation. Privatisierung wurde als Zauberformel zur schnellen Gesundung mystifiziert. Um ihre Unternehmen loszuwerden, mußte die THA immer stärker vom Verkauf zur Vergabe mit hohen Zugaben (negative Verkaufspreise) übergehen. Die wichtigste Gegenleistung der Investoren bestand dann in den vertraglichen Zusagen -etwa zum Erhalt oder zur Schaffung von Arbeitsplätzen, die nur sehr schwer kontrollierbar und bei veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen auch gar nicht einhaltbar sind. Auch schlechte, riskante und teure Privatisierungen wurden akzeptiert. Quantität ging vor Qualität, wie unter anderem das Bonussystem der THA demonstriert, das quantitative Privatisierungserfolge der THA-Mitarbeiter honoriert.

Die THA hat darauf verzichtet, ihre Unternehmen als Staatsunternehmen oder mit Minderheitsbeteiligungen bis zum Ende der Sanierung im Rahmen abgestimmter Unternehmenskonzepte mit begrenzten und degressiv gestaffelten Subventionen zu behalten. Erst viel zu spät wurde diese Leitlinie mit wenigen Ausnahmen durchbrochen. Hinter der Strategie der schnellen Privatisierung stand letztlich das ordnungspolitische Leitbild einer radikalen Marktwirtschaft, das der Idee* einer gemischten Wirtschaft entgegen steht, die unter strukturpolitischen Gesichtspunkten auch Staatsuntemehmen (oder halbstaatliche Unternehmen) zuläßt 3. Privatisierung ohne Regelbindung der Entscheidungen: Die THA hat keine transparenten, einheitlichen Entscheidungsregeln für die Beurteilung der Sanierungsfähigkeit und die Auswahl der Investoren festgelegt. Die Kaufpreisfindung ist nicht nachvollziehbar. Es gab offenbar keinerlei Regeln, wie hoch versteckte Subventionen der verschiedensten Art sein durften, wie mit ostdeutschen Produktionskapazitäten umzugehen war, die gesamtdeutsch als Überkapazitäten der jeweiligen Branche anzusehen sind; in einzelnen Fällen wurde ohne Rücksicht auf regionale Folgeprobleme stillgelegt, in anderen Fällen massiv subventioniert. Faktisch wurde -wie der Bundesrechnungshof feststellte -relativ regellos, mitunter willkürlich und manchmal kriminell privatisiert. Durchweg wurden nur betriebswirtschaftliche Entscheidungskriterien zugrunde gelegt, industriepolitische Gesichtspunkte spielten nur in wenigen Ausnahmefällen eine Rolle

4. Die Vernachlässigung der Sanierung vor der Privatisierung: Die noch nicht privatisierten Unternehmen hat die Treuhand lange Zeit hingehalten; eine Sanierung sollte erst durch die neuen Eigentümer erfolgen So sind manche Betriebe ohne Not extrem zusammengeschrumpft. Andernfalls, so fürchtete man, würden unter Umständen Fehlinvestitionen getätigt, die zu hohen Folgekosten für die THA führten

Erst sehr spät wurden sog. „investorneutrale Investitionen“ in noch nicht privatisierten Unternehmen zugelassen, also jenes dringend notwendige Minimum an Investitionen, die auch potentielle Kaufinteressenten tätigen würden. Ebenfalls spät und nur sehr zögerlich wurden fünf Management KGs gegründet, die jeweils etwa ein Dutzend kurzfristig nicht privatisierbare Unternehmen unter der Leitung eines Treuhand-Managers in der Rechtsform einer KG zusammenfassen, sanieren und für die spätere Privatisierung vorbereiten sollen. Als nur noch wenige „industrielle Kerne“ im THA-Bestand vorhanden waren, begann die THA, einige regional bedeutsame Industrieunternehmen vor der späteren Privatisierung „anzusanieren“. Alle diese Maßnahmen kamen zu spät, zu zögerlich und nur durch politischen Druck von außen zustande.

5. Vernachlässigung der Absatz-und Innovationsförderung: Daß die Absatzprobleme das entscheidende Hindernis für eine offensive Sanierungsstrategie waren, wurde ständig verkannt. Daher versäumte man, absatzfördernde Konzeptionen zu entwickeln Statt dessen wurde darauf gesetzt, daß sich die Ostbetriebe mit niedrigen Preisen auf der Basis möglichst niedriger Löhne Marktanteile durch Verdrängungswettbewerb erkämpfen. Man vertraute der Diagnose, daß es sich ausschließlich um Angebotsprobleme, also um Absatzmangel auf­ grund zu hoher Kosten, handele, und hoffte darauf, daß westliche Investoren Marktanteile mit-brächten. Soweit sie dies taten, bestand (und besteht) jedoch die Gefahr, daß westdeutsche Produktionsstandorte spiegelbildlich Marktanteile verlieren und Beschäftigung sowie Investitionen lediglich von West nach Ost -mit enormen finanziellem Aufwand -verlagert werden

Diese Probleme wären entschärft worden, wenn es gelungen wäre, in Ostdeutschland industriepolitische Innovationsstrategien durchzusetzen, die das „endogene“ ostdeutsche Produktionspotential stärken und steigern, ohne daß es zu einer bloßen Verlagerung von Aktivitäten von West nach Ost kommt. Die THA als Privatisierungsagentur sah sich hierfür offenbar nicht zuständig. So koexistierten Treuhandpolitik und Forschungs-und Technologiepolitik von Bund und Ländern fast berührungslos nebeneinander.

6. Zentralismus ohne wirksame Kontrolle: Die THA ist insofern eine zentralistische Institution, als sie alle wesentlichen Entscheidungen über die von ihr verwalteten Unternehmen sowie über den Grund und Boden auf sich konzentriert. Die Entscheidungsspielräume der Geschäftsführungen der THA-Unternehmen sowie der Aufsichtsräte blieben klein; der Einfluß der fünf neuen Bundesländer und der Gemeinden -etwa auf die Grundstücksnutzung und -Verwertung -war und ist nur schwach.

Die Mammut-Anstalt wurde von vielen ein wenig kontrolliert, aber von niemandem wirksam Das Finanzministerium als die Fachaufsicht führende Behörde kümmerte sich lange Zeit kaum um die fernen ostdeutschen Probleme, sondern hielt die Treuhand „an der lange Leine“ und benutzte sie zudem als „politischen Blitzableiter“. So wurden Kurskorrekturen zu zaghaft und zu spät eingeleitet. Eine koordinierte langfristige Gesamtstrategie für den wirtschaftlichen Um-und Aufbau Ostdeutschlands wurde seitens der Bundesregierung nie entwickelt. Der Verwaltungsrat der THA diente wohl eher der Legitimierung wichtiger Entscheidungen, er war weder ein wirksames Kontrollgremium noch eines zur Strategiebildung. Dem Treuhand-Ausschuß des Bundestages fehlten wirksame Kompetenzen. Dem Bundesrechnungshof mangelte es an Personal.

Fazit: Wenn sich die Treuhand Ende 1994 auflöst, wird sie große Folgeprobleme hinterlassen. Viele schwer sanierbare größere Firmen sind noch nicht privatisiert, viele der MBO-Unternehmen, aber auch zahlreiche andere sind gefährdet; in vielen Fällen müssen die Arbeitsplatz-und Investitionszusagen der Investoren neu verhandelt werden, weil sie nicht erfüllt wurden oder werden können; zahlreiche Investoren würden ihr Unternehmen gerne der THA zurückgeben, weil sie die wirtschaftliche Lage zu positiv eingeschätzt hatten; der Grundbesitz der THA muß verpachtet und längerfristig verkauft werden; der Schuldendienst auf die THA-Schulden in der Größenordnung von 17Mrd. DM jährlich muß von den öffentlichen Haushalten übernommen werden. Die Deindustrialisierung Ostdeutschlands ist sehr weit fortgeschritten, zu einer Re-Industrialisierung wird es nur sehr langsam kommen. Somit werden hohe finanzielle Transfers von West nach Ost auf lange Sicht notwendig sein.

Die Treuhandanstalt, so resümieren die Herausgeber eines Sammelbandes zur Analyse ihrer Aktivitäten, wollte und sollte „das Unmögliche wagen“: die schnelle Transformation des volkseigenen Vermögens in die Marktwirtschaft durch Privatisierung Daß dies nicht friktionsfrei, zumal unter den gegebenen Rahmenbedingungen der Währungsunion, nicht ohne Produktionsrückgang und Arbeitslosigkeit gelingen konnte, steht außer Frage. Indem die Treuhand ihr ordnungspolitisches Credo der schnellen Privatisierung realisiert hat, hat sie weit weniger erreicht, als möglich gewesen wäre. Jetzt müssen ihre Erblasten getragen und abgearbeitet werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Michael Kloepfer, öffentlich-rechtliche Vorgaben für die Treuhandanstalt, in: Wolfram Fischer/Herbert Hax/Hans Karl Schneider (Hrsg.), Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen, Berlin 1993, S. 49ff.

  2. Vgl. Deutsche Bundesbank, Die Finanzen der Treuhand-anstalt, in: Monatsbericht vom April 1994, S. 22.

  3. Vgl. ebd., S. 25.

  4. Vgl. dazu Rudolf Hickel/Jan Priewe, Nach dem Fehlstart. ökonomische Perspektiven der deutschen Einigung, Frankfurt am Main 1994, S. 150f.

  5. Vgl. Deutsche Bundesbank (Anm. 2), S. 29.

  6. Vgl. die berichtigte DM-Eröffnungsbilanz der THA, in: Deutsche Bundesbank (Anm. 2), S. 31.

  7. Vgl. auch Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg ), Wirtschaftsbulletin Ostdeutschland, Ausgabe 3/1994, S. 30ff.

  8. Vgl. Jan Priewe, Privatisation of the industrial sector: the function and activities of the Treuhandanstalt, in: Cambridge Journal of Economics, 17 (1993) 3, S. 345f.

  9. Zudem wäre nicht erkennbar, Welche Kriterien sie dabei angelegt hat, da sie sich bewußt auf betriebswirtschaftliche Entscheidungsparameter konzentrieren wollte. Eine solche „implizite“ Strukturpolitik kann auch nicht sehr rational sein, wenn die Ziele und der Mitteleinsatz nicht klar formuliert und miteinander abgestimmt sind. Sie wäre auch nur dann rational, wenn zuvor strukturpolitische Alternativen zur schnellen Privatisierung ernsthaft geprüft worden wären.

  10. Vgl. auch die aus theoretischer Analyse resultierende Vermutung: „Treuhandkunden verbuchen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Nettovermögenstransfer zu ihren Gunsten und zu Lasten des Staates ...“, Dietrich Dickertmann/Siegfried Gelbhaar, Treuhandanstalt: Theoretische Deutungsmuster ihrer Privatisierungstätigkeit, in: Wirtschaftsdienst, (1994) 4, S. 323.

  11. Vgl. die institutionenökonomische und bürokratietheoretische Untersuchung von D. Dickertmann/S. Gelbhaar (Anm. 10).

  12. Vgl. Bundesrechnungshof, Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1993 zur Haushalts-und Wirtschaftsführung, in: Bundestagsdrucksache 12/5650 vom 17. 9. 1993, Bonn 1993, S. 173.

  13. Vgl. SÖSTRA/Treuhandanstalt/IAB, Beschäftigungsperspektiven von Treuhandunternehmen und Ex-Treuhand-firmen im Vergleich -Befragung April 1994 -, Berlin, Juni 1994; siehe auch Jürgen Kühl, Treuhand: Privatisierung vor dem Abschluß, in: IAB-Kurzbericht Nr. 12/1. 9. 1994; Dirk Nolte u. a., Zum Verbleib von ehemals 4 Millionen Beschäftigten in Unternehmen der Treuhandanstalt, Diskussionspapier des WSI, Nr. 11, Düsseldorf, April 1994.

  14. Schätzung des Institutes für Wirtschaftsforschung Halle in dessen Herbstgutachten 1993, Halle-Berlin 1993, S. 47.

  15. Vgl. SÖSTRA u. a. (Anm. 13), S. 5.

  16. Vgl. Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Wirtschaftsbulletin Ostdeutschland, (1924) 2, S. 8.

  17. Vgl. hierzu ausführlich Jan Priewe/Rudolf Hickel, Der Preis der Einheit. Bilanz und Perspektiven der deutschen Vereinigung, Frankfurt am Main 1991, S. 201 ff.

  18. Vgl. einige statistische Indikatoren bei: Institut für Wirtschaftsforschung Halle (Anm. 15), S. 109ff.

  19. Vgl. R. Hickel/J. Priewe (Anm. 4), S. 58ff.

  20. Die Beurteilung von eventuellen Versäumnissen des Bundesfinanzministerium bei der Rechts-und Fachaufsicht ist unter anderem Gegenstand des Berichts des Treuhand-Untersuchungsausschusses des Bundestages vom September 1994.

  21. Vgl. zur kritischen Darstellung der THA-Aktivitäten: Dirk Nolte, Zwischen Privatisierung und Sanierung: Die Arbeit der Treuhandanstalt, WSI-Materialien Nr. 32, Düsseldorf 1993; Karl Lichtblau, Privatisierungs-und Sanierungsarbeit der Treuhandanstalt, in: Beiträge zur Wirtschafts-und Sozialpolitik, (1993) 209; Frank Stille, Sanierungsstrategien der Treuhandanstalt: Politische Zwänge versus ökonomische Effizienz, in: Horst Sieben (Hrsg.), Die zweifache Integration: Deutschland und Europa, Tübingen 1993, S. 115ff.; R. Hickel/J. Priewe (Anm. 4), S. 64ff.

  22. Im Vergleich mit den Privatisierungsgesetzen der osteuropäischen Länder ist das deutsche Treuhandgesetz am unklarsten gehalten; es stattet die Privatisierungsinstitution mit mehr zentralistischen Machtbefugnissen aus, als das in irgendeinem anderen Land der Fall ist.

  23. Vgl. Hartmut Tofaute, Restliche Treuhandunternehmen als Staatsbeteiligung führen, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, (1992) 4; ders., Überlegungen zu Erhalt und Weiterführung verbliebener Treuhandunternehmen, in: Dirk Nolte/Hartmut Tofaute (Hrsg.), Kahlschlag verhindern -industrielle Kerne erhalten, WSI-Materialien Nr. 36, Düsseldorf 1993.

  24. Zu nennen wäre etwa die Berücksichtigung von Zulieferbeziehungen und regionalökonomischen Zusammenhängen, die Identifizierung und Förderung strategisch wichtiger Branchen oder Unternehmen, der Aufbau regionaler Industriekomplexe etc.

  25. Die THA war bis zum 19. 1. 1993 „nur dann bereit, selbst die Sanierung einzuleiten, wenn trotz intensiver Bemühungen kein Käufer gefunden“ werden konnte (Treuhand-Richtlinie vom Mai 1991). Zitiert nach: Bundesrechnungshof (Anm. 12), S. 183.

  26. Im einzelnen kritisiert der Rechnungshof die Beteiligungsführung der THA: „Die Treuhandanstalt konkretisierte ihre Sanierungsaufgabe nicht hinreichend und nahm damit Unsicherheit über die angestrebten Ziele in Kauf. Sie gab keine Kriterien für die Bestimmung des im Einzelfall vertretbaren zeitlichen und finanziellen Sanierungsaufwandes bei der Beurteilung der Sanierungsfähigkeit vor. Entscheidungen über Sanierungskonzepte und Einstufungen der Unternehmen waren vielfach nicht mehr zeitnah, weil sie nicht planmäßig überprüft wurden. Die Unternehmensleitungen erhielten häufig keine Stellungnahme der Treuhandanstalt zu ihren Untemehmenskonzepten und notwendigen Sanierungsmaßnahmen. Die Treuhandanstalt wirkte nicht in dem gebotenen Umfang auf die Umsetzung von Unternehmens-konzepten und Sanierungsmaßnahmen hin. Es fehlten ... Vorgaben der Treuhandanstalt zur Bestimmung des im Einzelfall vertretbaren Sanierungsaufwandes und -Zeitraumes. Offen blieb auch, ob und inwieweit neben betriebswirtschaftlichen auch volkswirtschaftliche Aspekte (z. B. Kosten der Arbeitslosigkeit bei Stillegungen) bei der Beurteilung der Sanierungsfähigkeit eine Rolle spielen können oder sollen. ... So vertraten mit Sanierungsaufgaben beauftragte Mitarbeiter der Treuhandanstalt z. B. die Auffassungen, Sanierungskonzepte seien nur für die Feststellung der DM-Eröffnungsbilanz ... notwendig ...; von Interesse seien nicht Sanierungskonzepte, sondern Privatisierungskonzepte, da nicht sicher sei, welche Art von Sanierung den Betrieb für einen potentiellen Erwerber interessant machen würde.“ Ebd., S. 183ff.

  27. Indessen gab es dazu zahlreiche Vorschläge: etwa „local-content'-Quoten, also Wertschöpfungsquoten für ostdeutsche Produzenten bei öffentlichen Aufträgen, Subventionen oder Untemehmensverkäufen, Wertschöpfungspräferenzen bei der Mehrwertsteuer, wie von Tyll Necker, dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, vorgeschlagen, oder spezielle Förderungen der Zulieferbeziehungen in Ostdeutschland.

  28. Dieser Mangel an absatzfördernder Strukturpolitik ist freilich kaum der THA vorzuwerfen, wohl aber der Bundesregierung. Sie hat indessen lange Zeit an die marktwirtschaftliche Zauberwirkung der Privatisierung geglaubt und darüber hinaus einfach die -nicht sonderlich wirksame, aber teuere -Regionalpolitik der alten Bundesländer nach Ostdeutschland übertragen. Zwar wurden in den Sozialpakt-Verhandlungen im Frühjahr 1993 absatzfördernde Maßnahmen angemahnt, jedoch blieb es bei dem Appell der Spitzenverbände von Industrie und Handel, verstärkt Produkte aus Ostdeutschland zu kaufen („Einkaufsoffensive“). Daß es nur zu derart symbolischen Bekundungen kam, ist wohl in erster Linie den Interessen westdeutscher Unternehmen zu verdanken, für die der ostdeutsche Absatzmarkt mittlerweile eine große Bedeutung erlangt hat. Die THA hat sich in diesen Fragen weitgehend zurückgehalten.

  29. Vgl. auch Dieter Kampe, Nachruf auf die Treuhand. Wer uns kennenlernt, gewinnt uns lieb, Berlin 1993.

  30. Siehe die Einleitung der Herausgeber: W. Fischer/H. Hax/H. K. Schneider (Hrsg.) (Anm. 1), S. 10.

Weitere Inhalte

Jan Priewe, Dr. rer. pol., geb. 1949; Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Rudolf Hickel) Der Preis der Einheit. Bilanz und Perspektiven der deutschen Vereinigung, Frankfurt am Main 1991; (zus. mit Rudolf Hickel) Nach dem Fehlstart. Ökonomische Perspektiven der deutschen Einigung, Frankfurt am Main 1994; zahlreiche Veröffentlichungen zur Treuhandanstalt.