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Europol: Chance für eine Verbesserung der gemeinsamen Verbrechensbekämpfung in der Europäischen Union | APuZ 23/1995 | bpb.de

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APuZ 23/1995 Kriminalität und Sicherheitsbedürfnis Zur Bedrohung durch Gewalt und Kriminalität in Deutschland Die Entwicklung der Organisierten Kriminalität in Deutschland Ursachen, Bilanz, Perspektiven Europol: Chance für eine Verbesserung der gemeinsamen Verbrechensbekämpfung in der Europäischen Union Wirtschaftskriminalität Eine Bedrohung für Staat und Gesellschaft

Europol: Chance für eine Verbesserung der gemeinsamen Verbrechensbekämpfung in der Europäischen Union

Jürgen Storbeck

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die politischen, rechtlichen, technischen und sozialen Gegebenheiten, unter denen die Kriminalpolizei das Verbrechen zu bekämpfen hat, haben sich in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und in ihren Nachbarstaaten dramatisch verändert. Internationale Kriminalität perfektioniert sich in diesem Rahmen immer mehr. Um auf diese tiefgreifenden Veränderungen zu reagieren, stehen der Kriminalpolizei noch nicht genügend moderne und effektive Methoden, Instrumente und Kooperationsmodelle für eine EU-weite Verbrechensbekämpfung zur Verfügung. Schwachpunkte liegen im internationalen Informationsaustausch, in der Kriminalitätsanalyse, in der Unterschiedlichkeit von Straf-oder Verbotsnormen für neue Formen der Kriminalität sowie im Fehlen von internationalen Ermittlungen, d. h. von gemeinsamen Ermittlungen gegen die Organisierte Kriminalität in der gesamten Europäischen Union. Anstrengungen, um diesen Anforderungen an die Kriminalpolizei zu genügen, werden in der 3. Säule der Europäischen Union auf folgenden Gebieten unternommen: Harmonisierung der Innen-und Rechtspolitik; Auf-und Ausbau der Europol-Drogeneinheit als Vorläufer von Europol; Planungen zur Errichtung von Europol und Erarbeitung der Europol-Konvention. Derzeit ermöglicht Europol in der Form der Europol-Drogeneinheit in noch begrenztem Umfang die qualitative Verbesserung und Beschleunigung des internationalen kriminalpolizeilichen Informationsaustauschs, die strategische und taktische Analyse, die Unterstützung der nationalen Kriminalpolizeien bei der operativen, fallbezogenen Analyse, die Unterstützung bei der Koordination grenzüberschreitender bzw. internationaler kriminalpolizeilicher Ermittlungen und operativer Einsätze sowie die Förderung des kriminalpolizeilichen Erfahrungsaustauschs und der Entwicklung gemeinsamer Strategien der Verbrechensbekämpfung. Europol erhält mit der Europol-Konvention Zuständigkeiten bei der Bekämpfung weiterer Bereiche international organisierter Kriminalität, aber keine eigene Ermittlungskompetenz. Internationale Ermittlungen könnten in den nächsten Jahren unter der rechtlichen und politischen Verantwortung der Mitgliedstaaten durch internationale Sonderkommissionen -sog. Task Forces -geführt werden. Europol unterliegt der Rechts-und Fachaufsicht der Innen-und Justizminister sowie der demokratischen Kontrolle der nationalen Parlamente. Es wird eine eigene Datenschutzkommission für Europol eingerichtet. Die Finanzkontrolle wird dem Europäischen Rechnungshof obliegen. Die künftige justitielle Kontrolle von Europol ist noch nicht geklärt.

I.

In den letzten fünf, sechs Jahren ist Europa in Bewegung geraten: Strukturen weichen auf, verändern sich, zerbrechen. Die sowjetische Weltmacht besteht nicht mehr; die Sowjetunion selbst ist zerfallen. Eine schleichende Völkerwanderung von Ost nach West, aber auch von Süd nach Nord hat eingesetzt und ist kaum zu stoppen.

In Westeuropa bis hin nach Mitteleuropa ist ein großer gemeinsamer Wirtschafts-und Lebensraum entstanden, in dem über dreihundert Millionen Menschen leben. Der „Eiserne Vorhang“ nach Osteuropa besteht nicht mehr, so daß teilweise schon jetzt, spätestens aber in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre nach der Ausgabe von Pässen an die russische Bevölkerung sich fast sechshundert Millionen Bürger mehr oder weniger ungehindert in Europa bewegen können. Andererseits besteht ein gewaltiges Wohlstandsgefälle zwischen West-und Osteuropa, zwischen Südost-und Nordeuropa, zwischen Europa und anderen Kontinenten. Osteuropa und Südosteuropa sind darüber hinaus durch kriegerische Auseinandersetzungen im Rahmen der Neuordnung der dortigen Staaten betroffen, deren Auswirkungen wir auch auf die Kriminalitäts-und Sicherheitslage bei uns in den nächsten Jahren mehr und mehr erleben werden.

Das Ende dieses Jahrhunderts erlebt zugleich einen ungeheuren Wertewandel: Das Christentum und herkömmliche politische Ideologien verlieren an Bedeutung, Moral und Ethik verändern sich. Wir sind in Europa nicht mehr so widerstandsfähig gegenüber Organisierter Kriminalität; unser politisches und gesellschaftliches Immunsystem ist geschwächt.

Grenzen bestehen in Europa zwar noch; sie sind jedoch mühelos zu überwinden. Menschen, Güter und Dienstleistungen bewegen sich auf unserem Kontinent in Tages-und Stundenfrist von einem an praktisch jeden anderen Ort. Diese Mobilität beB sitzen natürlich auch Kriminelle, kriminogene Güter und illegale Dienstleistungen. Und wie Wirtschaft und Handel erstarken können, so bilden sich im Wirtschaftsraum Europa auch gewaltige kriminelle Organisationen mit äußerst beängstigenden Verdienstmöglichkeiten und -als Folge davon -großer Macht.

Westeuropa liefert durch sein freiheitliches Rechtssystem und nicht zuletzt durch liberale Aufenthalts-und Asylbestimmungen vielfache Anreize für internationale Kriminalität. Straftäter können zudem die in Europa teilweise sehr unterschiedlichen Straf-, Verwaltungs-und Wirtschaftsgesetze zu ihren Gunsten nutzen. Ihre Methoden sind dort besonders wirksam, wo gesetzliche Regelungen und Durchführungsvorschriften häufig kompliziert sind und durch ihre Unterschiedlichkeit, ja sogar Widersprüchlichkeit Lücken aufweisen, die eine grenzüberschreitende Strafverfolgung entscheidend behindern. Strafverfolgungsbehörden sind darüber hinaus durch die Bindung an bestehendes Recht für Straftäter berechenbar.

Die Koordinierung von Bekämpfungsmaßnahmen ist aufgrund dieser unterschiedlichen nationalen Rechtssysteme und des teilweise übersteigerten Souveränitätsdenkens schwerfällig, während Kriminalität flexibel und ohne nationale Engstarrigkeit agieren kann. So ist das Aufspüren von illegalen Vermögensgewinnen durch die Polizei schwieriger als das innovative Aufspüren und Nutzen von Marktchancen und Möglichkeiten der Finanztransaktionen durch das organisierte Verbrechen.

Unsere liberalen europäischen Rechtssysteme, die Erleichterungen im Grenzverkehr, aber auch die Möglichkeiten, die der weltweite Handel und Transport von Gütern bieten, werden verstärkt für Rauschgiftgeschäfte genutzt. Kolumbianische Kartelle steigern ihre Exporte nach Europa, wie wir aus den immer größeren Sicherstellungen von Kokain (1994 fast 30 Tonnen Kokain in Europa) erkennen und aufgrund des großen Angebots bei uns feststellen müssen. Die Kartelle nützen nicht nur die traditionellen Routen über Spanien, die Häfen Rotterdam, Antwerpen, Hamburg und Bremen oder die Flughäfen Frankfurt, Paris, London, Rom, sondern führen Kokain inzwischen auch über Rußland, Polen usw. in die wirtschaftlich reichen Regionen Europas ein. Überhaupt gewinnen die Staaten Osteuropas wachsenden Einfluß auf die Rauschgiftzufuhr nach Mittel-und Westeuropa. Die Balkanroute als „klassischer“ Versorgungsweg der Konsumenten von Heroin in Westeuropa hat sich weit nach Norden und Osten verlagert und führt teilweise über die Ukraine, Rußland und Polen.

Beunruhigender ist jedoch, daß auch osteuropäische Kriminalität sich mehr und mehr auf die Produktion von Rauschgift für Westeuropa verlegt:

-Polen ist mit 15-20 Prozent drittgrößter Produzent in Europa von Amphetamin.

-Ungarische Kriminelle haben letztes Jahr bedeutende Mengen von Amphetamin-Derivaten (MDEA) hergestellt.

-In Riga ist vor zwei Jahren eine große Fabrik zur Herstellung von Amphetamin-Derivaten (MDA) entdeckt worden.

-Eine südamerikanische Gruppe hat 1993 zusammen mit Ungarn versucht, in Budapest ein Kokain-Labor aufzubauen.

-Besondere Gefahren gehen jedoch von den ehemaligen Republiken der Sowjetunion aus.

Opium, Cannabis und Ephedrin werden in großen Mengen in Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan, Tadschikistan und Rußland angebaut und inzwischen dort auch schon „veredelt“.

Mit Kraftfahrzeugdiebstahl und internationaler Kfz-Verschiebung hat sich neben der Rauschgift-kriminalität ein weiterer bedeutender krimineller „Wirtschaftsweg“ entwickelt. So dürften im vergangenen Jahr ca. 300000 Pkw und Kombi auf Dauer in den Staaten der EU verschwunden sein.

Der Schaden beläuft sich auf rund sechs Milliarden DM. Führend in dieser Kriminalität sind polnische Tätergruppen, aber mehr und mehr auch Weißrussen, Russen, Ukrainer und Bulgaren. Abnehmer der Beutefahrzeuge finden sich nach wie vor in den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, von wo aus Fahrzeuge bis in den Fernen Osten weiterverschoben werden. Unsere Nachbarstaaten im Osten sind seit Jahren Ziel-, vermehrt aber auch Transitländer für die Belieferung von mittlerweile ganz Osteuropa und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion mit Kraftfahrzeugen.

Ein anderes, völlig neues Kriminalitätsphänomen stellt der illegale Handel mit radioaktiven und nuklearen Substanzen dar. Der Zerfall der ehemaligen Sowjetunion in viele souveräne Republiken hat das Risiko erhöht, daß nukleares Material in unbefugte Hände geraten kann und auf dem illegalen Markt gehandelt wird. Ende 1994 konnten deutsche Sicherheitsbehörden in mehreren Fällen waffenfähiges Nuklearmaterial sicherstellen, bei dem zumindest die Vermutung nahelag, daß es aus russischer Produktion stammt. Der Nuklear-schmuggel stellt eine neue Dimension der Bedrohung dar, wie Ende April 1995 u. a. M. Attari, der Sicherheitsberater des französischen Staatspräsidenten Mitterrand, warnte.

Zusätzlich scheint Organisierte Kriminalität mehr und mehr auch in das normale Geschäfts-und Wirtschaftsleben einzudringen. Ein Beispiel dafür ist die immer bedeutsamere Schleusung und illegale Beschäftigung von Arbeitnehmern. Die Schlepper und Vermittler nutzen die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in den Staaten Ost-europas und Asiens aus, um illegale Einwanderer gegen Zahlung von 5000, -/6000, -DM pro Person in die Europäische Union einzuschleusen und sie dann häufig weiter auszubeuten, indem sie als Arbeitskräfte zu Billigstlöhnen vermittelt werden. Sie werden konkurrenzlos billig im Baugewerbe, in der Produktion oder im Dienstleistungsgewerbe eingesetzt und verschaffen dem jeweiligen Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Vorteile, auch weil Steuern und Sozialversicherungsbeiträge meist nicht abgeführt werden. Ähnliche Veränderungen, neue Trends sowie eine Professionalisierung und Internationalisierung des Verbrechens lassen sich in fast allen Bereichen der Kriminalität feststellen. Für die Staatsgewalt, den Polizeibeamten und den Zöllner haben sich somit seit ca. fünf Jahren das Arbeitsfeld und seine „Kunden“ in einer Weise verändert wie vielleicht nie zuvor in der neueren Geschichte.

II.

Wie haben sich nun Regierungen und Strafverfolgungsbehörden auf diese neuen Herausforderungen eingestellt? Einige Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben durch Verbesserung der Ausrüstung und Nachrichtentechnik sowie durch Intensivierung der Aus-und Fortbildung national erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Effektivität ihrer Strafverfolgungsbehörden -und hier vor allem die der Polizei und des Zolls -zu erhöhen. In organisatorischer Hinsicht tut sich al21 lerdings weniger: Nur in Großbritannien und Belgien arbeitet man gegenwärtig an einer grundlegenden Neuorganisation der Polizei nach modernen Erkenntnissen von Management und Einsatzlehre. Am schleppendsten ist jedoch die Modernisierung des rechtlichen Instrumentariums und der Rechtsgrundlagen für Polizeibehörden, wie wir z. B. an der fast neun Jahre währenden Arbeit am neuen BKA-Gesetz und dem langen Gesetzgebungsverfahren zur Geldwäsche in Deutschland sehen.

International erfolgt die Reaktion auf die moderne Entwicklung eher noch langsamer. Zwar hat die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation IKPO-Interpol ihr Fernmeldenetz und ihre interne Datenverarbeitung seit Ende des letzten Jahrzehnts sehr rasch modernisiert und auf einen hohen technischen Standard gebracht, doch die Arbeitsmethoden innerhalb dieser Organisation und in ihren nationalen Zentralbüros sind weitgehend dieselben geblieben. Und seit zehn Jahren haben wir an dem Schengener Informationssystem geplant und es endlich eingerichtet, ohne daß es allerdings schon in allen Schengener Mitgliedsstaaten voll funktionsfähig in Betrieb ist. Damit hinken wir in der internationalen Verbrechensbekämpfung rechtlich, organisatorisch, technisch und methodisch mehrere Jahre hinter den politischen Veränderungen und der Entwicklung organisierter Kriminalität hinterher. Das mögen folgende Beispiele zeigen:

Um für ein konkretes Ermittlungsverfahren einer lokalen oder regionalen Polizeibehörde Informationen über Person, Sachen oder Modus operandi aus anderen Staaten zu erhalten, bedarf es aufgrund rechtlicher und bürokratischer Hindernisse, einer noch mangelnden internationalen Organisation und wegen der Unterschiedlichkeit der Methoden und Sprachen häufig mehrerer Tage, meist jedoch mehrerer Wochen. Führt zum Beispiel die Polizei Frankfurt gegen britische, französische und italienische Wirtschaftskriminelle oder Rauschgift-täter ein Verfahren und benötigt zur Vorbereitung einer Durchsuchung bzw. zur Beschlagnahme von Unterlagen Informationen aus den Herkunftsländern der Verdächtigen, so müssen diese mühsam und bürokratisch über das Landeskriminalamt Hessen, das Bundeskriminalamt, die Interpol-Dienststellen in Rom, Paris und London und dann die regionalen oder lokalen Dienststellen in diesen Staaten eingeholt werden. Trotz teilweise moderner Informationstechnik der Polizei kann die ermittlungsführende Behörde in Frankfurt aufgrund der zeitaufwendigen aktenmäßigen Bearbeitung, eines zwingend zu durchlaufenden bürokratischen Genehmigungsverfahrens und der teilweise notwendigen Übersetzung in und von Fremdsprachen innerhalb der einzelnen Behörden normalerweise erst nach zehn bis vierzehn Tagen auf die notwendigen Informationen hoffen. Schnelle Ermittlungen sind daher regelmäßig nicht möglich. Verdächtige sind somit in der Lage, Beweismaterial zu vernichten, Verbrechensgewinne in Sicherheit zu bringen oder auch zu fliehen.

Vielleicht noch schwerwiegender ist, daß die bei den Polizei-und Sicherheitsbehörden vorhandenen Informationen nur in wenigen Staaten Europas national zusammengeführt und ausgewertet werden. Im internationalen Zusammenhang geschieht das praktisch überhaupt nicht. Wertvolle Ermittlungsansätze gehen verloren. Internationale Straftäter können unbemerkt und ungehindert quer durch Westeuropa reisen, um ihren „Geschäften“ nachzugehen. Doch selbst wenn sie auf jeder Station ihrer Reise von den Sicherheitsbehörden bemerkt und ihre Kontakte mit örtlichen Straftätern genau registriert werden, so bleiben diese Informationen, sofern sie nicht zufällig bei der Begehung einer konkreten Straftat ertappt werden, ungenutzt. Sie schlummern möglicherweise mehrere Monate oder Jahre in den Archiven und werden dann gelöscht. Auch jetzt noch gibt es keine Stelle in Europa, die aufgrund der europaweit den Polizeibehörden vorliegenden Informationen die internationalen Aktivitäten von Tätern oder kriminellen Organisationen erkennen und daraufhin konkrete Ermittlungen initiieren kann. Das führt u. a. dazu, daß in vielen Fällen Ermittlungen in den Staaten Europas parallel gegen dieselben Täter oder dieselben kriminellen Organisationen geführt werden, ohne daß eine Dienststelle mit der anderen kooperiert. Es besteht also ein dringendes Bedürfnis nach Koordinierung von Ermittlungen gegen international agierende kriminelle Organisationen einschließlich der Koordination von international operativen Einsätzen, wie z. B. gleichzeitigen Durchsuchungen, Festnahmen oder der Durchführung von sogenannten kontrollierten Lieferungen.

Schließlich ist anzumerken, daß lokale, regionale und nationale Strafverfolgungsbehörden häufig durch den Umfang der Ermittlungen gegen internationale organisierte Kriminalität personell, finanziell und technisch überfordert sind. Gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität und der Rauschgiftkriminalität haben nationale Dienststellen größte Schwierigkeiten, erfolgreich gegen internationale kriminelle Organisationen wie kolumbianische Drogenkartelle, chinesische Triaden, Mafia, Cosa Nostra usw. erfolgreich zu ermitteln. Schon für ein nationales Ermittlungsverfahren in Wirtschaftsstrafsachen von nicht nur lokaler Bedeutung sind mehrköpfige Ermittlungsteams über Jahre beschäftigt. Sie ermitteln gegen Organisationen, die einen jährlichen Umsatz machen, der dem Staatshaushalt von kleineren europäischen Staaten entspricht. Wie sollen dann lokale oder regionale Kriminalpolizeien erfolgreich gegen die vielfachen Aktivitäten dieser internationalen Verbrechens-konzerne vorgehen können? Selbst großen nationalen Polizeidienststellen wie dem Bundeskriminalamt oder New Scotland Yard sind da Grenzen gesetzt.

Besonders problematisch ist schließlich, daß wir gerade zu neuen Formen internationaler Kriminalität keine gleichlautenden Strafgesetze haben, ja daß zu einzelnen Bereichen in manchen Mitglieds-staaten der Europäischen Union überhaupt noch keine Strafvorschriften bestehen. So bekämpfen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union den illegalen Handel mit radioaktiven Stoffen und biologischen und chemischen Waffen, das illegale Einschleusen von Arbeitnehmern, den Organhandel, bestimmte Bereiche der Computerkriminalität und die Umweltkriminalität wie z. B.den Mülltourismus einerseits mit Strafgesetzen, andererseits mit Steuer-und Finanzvorschriften, teilweise mit einfachen Verwaltungsvorschriften und häufig überhaupt noch nicht. Da aber eine gemeinsame internationale Verbrechensbekämpfung grundsätzlich die Strafbarkeit in den beteiligten Staaten voraussetzt, ist eine Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg gegen die modernen Verbrechensformen derzeit nur sehr eingeschränkt möglich und findet tatsächlich auch kaum statt.

III.

Vor diesem Hintergrund mangelhafter internationaler Verbrechensbekämpfung einerseits und dem Abschluß des Maastrichter Vertrages andererseits ist nun die Errichtung von Europol zu sehen. Der Vertrag von Maastricht markiert für die Mitglieds-staaten der Europäischen Union eine neue Phase der Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit. Die bisherige, außerhalb der Gemeinschaftsstrukturen erfolgte informelle Kooperation („TREVI“) wurde abgelöst und institutionalisiert durch den Rat der Innen-und Justizminister der Union. Erstmals wurden Regelungen zur Innen-und Justizpolitik der Mitgliedsstaaten im nun entstandenen Unionsrecht verankert. Sie bilden -neben einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik und einer gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik -den „dritten Pfeiler von Maastricht“.

Bei der gemeinsamen Innen-und Rechtspolitik der Union handelt es sich -wie der Vertrag ausdrücklich hervorhebt -um „Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse“. Hierzu zählen u. a. die polizeiliche Zusammenarbeit zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels und sonstiger schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalität.

Da die Politikbereiche von Innerem und Justiz zu den zentralen Bereichen staatlicher nationaler Souveränität gehören, gestaltet-sich der Verhandlungsprozeß auf diesen Gebieten sehr schwierig. Je mehr die Integration an den Kern dieser staatlichen Souveränität rührt, desto weniger sind die Mitgliedsstaaten bereit, einer „Politik der großen Schritte“ zuzustimmen.

Die Frage, inwieweit in der polizeilichen Zusammenarbeit eine Vergemeinschaftung stattfinden kann, ist zum ersten Mal auf dem Europäischen Rat von Luxemburg im Juni 1991 aufgeworfen worden. Dort schlug die deutsche Bundesregierung die Harmonisierung der europäischen Asyl-, Einwanderungs-und Ausländerpolitik in formeller und materieller Hinsicht sowie die vertragliche Festlegung auf die Einrichtung einer Europäischen kriminalpolizeilichen Zentralstelle (Europol) vor. Nach dem Wunsch der Bundesregierung sollte in diesen Bereichen eine Vergemeinschaftung erfolgen. Der Europäische Rat erklärte sich mit den Zielen dieser Initiative weitgehend einverstanden, doch konnte sich der deutsche Vorschlag für die Änderung des EWG-Vertrages in Maastricht letztendlich nicht durchsetzen. So entsprechen die in den Artikeln K 1 bis K 9 des Vertrages über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 (EUV) gefundenen Regelungen den klassischen Formen zwischenstaatlicher Abstimmungsmechanismen, d. h. intergouvernementaler Kooperation. .

Neben der Asyl-und Einwanderungspolitik stellte die polizeiliche Zusammenarbeit in Verbindung mit dem Aufbau einer Europäischen kriminalpolizeilichen Zentralstelle (Europol) den Schwerpunkt von Art. K 1 EUV dar. Die polizeiliche Zusammenarbeit soll dabei inhaltlich die Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels und sonstiger schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalität umfassen. Erforderlichenfalls soll auch eine Zusammenarbeit mit den Zollbehörden in die Arbeit miteinbezogen werden. In einer dem Maastrichter Unionsvertrag beigefügten „Erklärung zur polizeilichen Zusam23 menarbeit“ werden u. a die Aufgaben und Kompetenzen, die Europol zunächst haben soll, präzisiert. Operative Handlungsbefugnisse (eigene Ermittlungsfunktionen) werden Europol danach nicht eingeräumt. Europol soll zunächst nur dem Informations-und Erfahrungsaustausch, einer zentralen Analyse und der weitgehenden Unterstützung der nationalen Polizeibehörden dienen. Diese Aufgabenbeschränkung stellt momentan das Maximum des politisch Durchsetzbaren dar.

Da durch eine ganze Reihe von Konventionen und bilateralen Verträgen zur Bekämpfung von Rauschgiftkriminalität und Geldwäsche eine ausreichende Rechtsgrundlage für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit besteht, hat nach dem Willen der Mitgliedsstaaten Europol seine Aufgaben zunächst als Europol-Drogeneinheit (EDU) in der Rauschgiftbekämpfung und der damit verbundenen Geldwäsche zu erfüllen. Schwerpunkte sind dabei die Informationsverarbeitung und Analyse.

Zur Errichtung einer gemeinsamen Europol-Datenbank mit auch personenbezogener Information und Übertragung für weitergehende Aufgaben in zusätzlichen Kriminalitätsbereichen ist für alle Mitgliedsstaaten eine internationale Konvention unabdingbare Voraussetzung, deren Erarbeitung wohl noch in diesem Jahr abgeschlossen sein wird, für deren Ratifizierung danach noch ein bis zwei Jahre erforderlich sind. Deshalb haben sich die EU-Staaten für eine Übergangszeit auf eine Lösung geeinigt, nach der Verbindungsbeamte aus allen Mitgliedsstaaten zu Europol entsandt werden. Diese Verbindungsbeamten haben jeweils Direktzugang zu ihren nationalen Informationssystemen.

Europol kommen in dieser ersten Form zwei Funktionen zu: Zum einen dient Europol der Übermittlung personenbezogener Daten zur Unterstützung konkreter polizeilicher Ermittlungen. Zum anderen sollen auf der Grundlage allgemeiner, nicht personenbezogener Daten Lagebilder erstellt und Kriminalitätsanalysen vorgenommen werden. Diese Form der Zusammenarbeit bietet im Vorfeld einer Konvention die Möglichkeit, sich rechtlich im Rahmen der bisherigen bilateralen Zusammenarbeit zu bewegen. In der Praxis wird durch die räumliche Nähe die Effektivität des gemeinsamen Informationsaustausches wesentlich erhöht. Auskunftsersuchen eines Mitgliedsstaates in laufenden Ermittlungsverfahren können ohne Übersetzungsprobleme und langwierigen „Papierkrieg“ gleichzeitig durch die Verbindungsbeamten der anderen Staaten im Wege der Abfrage in den nationalen Systemen und weitergehenden Recherchen in Stundenfrist erfüllt werden.

Politische und rechtliche Grundlage für die Aktivitäten von Europol in der Vor-Konventionsphase ist ein Ministerial Agreement der Innen-und Justizminister der EU-Staaten. Diese Ministervereinbarung vom Juni 1993, die am 30. Oktober 1993 in Kraft trat, sieht vor, daß die Verbindungsbeamten die Informationsersuchen auf der Grundlage ihrer entsprechenden nationalen Gesetze und Regelungen entgegennehmen, bearbeiten und weiterleiten. Dabei haben die Verbindungsbeamten bei Europol Zugang nicht nur zu Fahndungsdaten, wie man sie im Schengener Informationssystem oder bei Interpol findet, sondern zu weitergehenden, national bestehenden Dateien. Diese nationalen Dateien lassen polizeiliche Recherchen zu und enthalten für die Bereiche Rauschgiftkriminalität und später auch andere Formen der organisierten Kriminalität Daten über Täter, Tätergruppen, Adressen, Telefonnummern, Verdachtsmomente usw. Hierbei handelt es sich teilweise um noch nicht ausermittelte Informationen, die einer Bewertung bedürfen, um sie für die polizeiliche Arbeit nutzbar zu machen.

Inzwischen ist diese Ministervereinbarung durch eine sogenannte Joint Action vom 10. März 1995, die durch Veröffentlichung im Journal der EU am 20. März 1995 in Kraft trat, um die Zuständigkeiten der EDU auf die Bekämpfung der Nuklearkriminalität, auf die illegale organisierte Einwanderung, auf die Verschiebung gestohlener Kraftfahrzeuge, auf damit verbundene Geldwäsche und auf darin verwickelte kriminelle Organisationen ausgedehnt, ohne daß die Bezeichnung „Europol-Drogeneinheit“ geändert wurde.

Europol in der Form der Europol-Drogeneinheit nahm in der beschriebenen Form Anfang 1994 seine Arbeit in Den Haag auf. Das geschah in der für internationale Verhältnisse erstaunlich kurzen Zeit von etwas mehr als zwei Jahren nach der politischen Entscheidung der EU-Staatschefs im Dezember 1991 in Maastricht. Insgesamt hat Europol inzwischen in mehr als 1000 internationalen Fällen den nationalen Polizei-und Zollbehörden der Mitgliedsstaaten Unterstützung geleistet.

Schwieriger gestaltet sich auf der Grundlage der Ministervereinbarung die zentrale Intelligence-Arbeit, d. h. die zentrale Analysearbeit unter Verwendung moderner Datenverarbeitung und Software -insbesondere, weil Europol ja wegen der fehlenden Konvention nur nicht-personenbezogene Daten zentral speichern darf.

Die Europol-Analytiker arbeiten an strategischen Analysen über das rechtliche und technische Instrumentarium der Rauschgiftbekämpfungsbehörden in den Mitgliedsstaaten sowie über neue Rauschgiftschmuggelrouten, Methoden der Geldwäsche usw. In der taktischen Analyse haben Untersuchungen begonnen über Methoden und auffallende Aktivitäten von kriminellen Organisationen im Bereich der Rauschgiftproduktion, des Rauschgifthandels und der Geldwäsche sowie künftig auch in den neuen Zuständigkeitsbereichen.

Die nationalen Polizei-und Zollbehörden benötigen aber verstärkt auch operative Analysen. Diesem Wunsch kommt die Europol-Drogeneinheit unter Wahrung der Regelungen der Ministervereinbarung dadurch nach, daß die Europol-Analytiker in internationalen Großverfahren durch Intelligence-Arbeit, basierend auf Sachdaten und anonymisierten Personendaten, unterstützen.

Schließlich ist die Europol-Drogeneinheit mehr und mehr mit ihren Verbindungsbeamten auch an operativen Einsätzen nationaler Polizei-und Zolldienststellen beteiligt, ohne dabei selbst und eigenverantwortlich aktiv zu werden. So haben die „Europol-Beamten“ mehrere kontrollierte Lieferungen von Rauschgift quer durch Europa koordiniert oder bei schwierigen Ermittlungen beraten.

IV.

Das bisherige Geschilderte zeigt Struktur, Aufgaben und Bedeutung von Europol in den voraussichtlich nächsten zwei Jahren. Wenn in den Staaten der Europäischen Union jedoch der entsprechende politische Wille vorhanden ist, dann könnte Europol mit seinen Verbindungsbeamten und Analytikern durch eine zusätzliche Erweiterung des Ministerial Agreements nach den beschriebenen Arbeitsweisen auch in der Bekämpfung weiterer Formen international Organisierter Kriminalität tätig werden.

Der eigentliche, entscheidende Schritt vorwärts beim Auf-und Ausbau von Europol wird mit der Ratifizierung der in Vorbereitung befindlichen Europol-Konvention gemacht. Dann soll Europol für einen Großteil der schwerwiegenden Formen des internationalen Verbrechens -einschließlich übrigens auch des internationalen Terrorismus -zuständig sein, wie schon in dem Kapitel VI, Art Kl des Maastrichter Vertrages vorgesehen ist. Darüber, was schwerwiegende Formen des internationalen Verbrechens sind, besteht jedoch noch keine volle Übereinstimmung. Gegenwärtig wird eine Liste von Kriminalitätsbereichen diskutiert, zu denen u. a. gehören:

-Terrorismus -Geldwäsche -Fälschung von Geld, Schecks, Kreditkarten und anderen Wertpapieren sowie die damit zusammenhängende Kriminalität -Umwelt-und Nuklearkriminalität -Schutzgelderpressungen und Raub -Tötungsdelikte und schwerste Fälle von Körperverletzung

-Entführung und Geiselnahme -illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen -illegaler Handel mit Kunstgegenständen und Antiquitäten, internationale Hehlerei -Kapital-Investmentbetrug und andere Formen des Betrugs gemäß Artikel K 1 Nr. 5 des Maastrichter Vertrages -Computerkriminalität -Produktpiraterie -illegaler Transfer von Technologie -unerlaubter Organhandel.

In der dem Maastrichter Vertrag als Anhang beigefügten Erklärung über polizeiliche Zusammenarbeit werden Europol in diesem weiten Kriminalitätsrahmen folgende Aufgaben zugewiesen:

-Unterstützung nationaler Kriminalpolizeien und Sicherheitsbehörden, z. B. durch Technik oder durch spezialisierte Beamte, Wissenschaftler und Techniker; -Aufbau von Dateien, zentrale Analyse und Zurverfügungstellung neuer Informationen;

-Sammlung und Analyse von nationalen Präventionsprogrammen;

-Aufgaben im Bereich Ausbildung, Fortbildung, Forschung und Kriminaltechnik.

Ob Europol tatsächlich noch in diesem Jahrhundert eigenständig Ermittlungen führen wird und eigene Exekutivbefugnisse in der Art eines europäischen FBI erhält, wie von Bundeskanzler Kohl 1991 gefordert, ist gegenwärtig allerdings politisch und rechtlich völlig ungeklärt. Nach Vorstellung des Europäischen Parlaments sollten für Europol eigene Ermittlungsbefugnisse bei Straftaten vorgesehen werden. Auch einzelne Justiz-oder Innenminister von anderen Mitglieds-staaten stehen neuerdings gewissen eigenen Ermittlungsbefugnissen von Europol -mit allerdings sehr begrenzten Eingriffsrechten -nicht völlig ablehnend gegenüber.

Allerdings ist fraglich, ob das unterschiedliche Straf-, Strafverfahrens-und Polizeirecht in den Mitgliedsstaaten eine ausreichende rechtliche Grundlage für Ermittlungstätigkeiten bietet. Sind darüber hinaus internationale oder nationale Justizbehörden vorhanden oder aufzubauen, um dann Europol zu ergänzen und zu kontrollieren? Und wie steht es mit der Akzeptanz von Europol-Ermittlungsbeamten durch die Bürger in unseren Mitgliedsstaaten? Dennoch besteht ein dringender Bedarf an internationalen Ermittlungen -wer immer diese federführend leistet -und an einer effektiven operativen Unterstützung solcher Ermittlungen.

Unter Fachleuten besteht Einigkeit darüber, daß Großverfahren gegen internationale Gruppierungen -z. B. in Geldwäscheaktivitäten, die über mehrere Staaten laufen und in denen Informationen und Unterlagen in unterschiedlichen Sprachen benötigt und ausgewertet werden -von normalen nationalen Dienststellen kaum noch umfassend erfolgreich durchgeführt werden können. Bei einem solchen Sachverhalt laufen meist nur in ein oder zwei Staaten Ermittlungsverfahren gegen einzelne Mitglieder und Tatkomplexe. Die kriminelle Organisation verliert so zwar einzelne Mitglieder -vielleicht sogar aus dem mittleren kriminellen Management -, die aber schnell ersetzt werden. Und der mögliche finanzielle Verlust durch gelegentliche Beschlagnahme von Rauschgift, Gütern oder größeren Summen ist in der Kalkulation ohnehin enthalten.

Solche internationalen Großverfahren binden darüber hinaus die ohnehin schon seltenen Spezialisten in Polizei und Staatsanwaltschaft über Jahre, wobei die Abwicklung durch Sprachprobleme, das komplizierte Rechtshilferecht und die Unkenntnis des nationalen Rechts der beteiligten Partnerstaaten weiter verlangsamt wird.

Auch hier zeichnen sich schon für die vor-konventionelle und mehr noch für die nach-konventionelle Phase durch Europol Alternativen ab. So könnten unter Vermittlung und Koordination von Europol die von den kriminellen Aktivitäten ebenfalls betroffenen Partnerstaaten eigene nationale Ermittlungsverfahren aufgrund eigenen nationalen Rechts eröffnen. Die Verbindungsbeamten und später die jeweiligen Europol-Spezialisten koordinieren dann die rechtlich voneinander unabhängigen Ermittlungsverfahren und die operativen Maßnahmen, sorgen für den reibungslosen Informationsfluß, sind die sprachliche Brücke, beraten und unterstützen, ohne daß die Souveränität der Mitgliedsstaaten verletzt wird und ohne daß Europol damit eigene Ermittlungen führt.

Ein weiterer Schritt hin zur gemeinsamen internationalen Ermittlungskompetenz im Rahmen von Europol könnte dann bald folgen. So wie national mehr und mehr in schwierigen und umfangreichen Verfahren oder bei Ermittlungen und Kontrollen, in denen die Befugnisse, Kenntnisse und technischen Möglichkeiten unterschiedlicher Strafverfolgungsbehörden genutzt werden müssen, Sonderkommissionen aufgestellt oder Task Forces eingerichtet werden, so werden sich auch künftig internationale Ermittlungen entwickeln. In einzelnen Fällen haben in Europa schon auf einen bestimmten Zweck beschränkte und zeitlich begrenzte internationale Task Forces Verfahren erfolgreich durchgeführt. So arbeiteten über mehr als ein halbes Jahr Spezialisten aus Polizei und Zoll von insgesamt acht Staaten in einem Verfahren gegen eine kriminelle internationale Organisation zusammen, die im Bereich der Wirtschaftskriminalität, des Falschgeldes und der Geldwäsche aktiv war. Die Beamten agierten von einem zentralen Ort aus, wobei die Ermittlungsmaßnahmen und exekutiven Eingriffe in den beteiligten Staaten jeweils von ihren eigenen Beamten in der Task Force initiiert oder durchgeführt wurden.

Bei der Einrichtung der damaligen Task Force mußten jedoch erhebliche politische, organisatorische, technische und finanzielle Hindernisse überwunden werden. Solche internationalen Task Forces können -wie im damaligen Fall -an neutraler Stelle durch Anmieten von Büroraum und Aufbau spezieller Kommunikationsverbindungen oder bei einer großen nationalen Stelle eingerichtet werden. Am sinnvollsten wäre es jedoch, zunächst vorübergehende und später ständige Task Forces bei Europol anzusiedeln, wo Raum, Kommunikationsverbindungen, ein gewisser internationaler Status und personelle Unterstützung gewährleistet werden können. Die Arbeit dieser Task Force wäre unter alleiniger rechtlicher und politischer Verantwortung und Kontrolle der Mitgliedsstaaten, könnte jedoch die Möglichkeiten und Vorteile von Europol voll nutzen.

Wichtig für die Akzeptanz, aber auch die Effektivität der Europol-Drogeneinheit und später für Europol insgesamt ist die demokratische und rechtliche Kontrolle. Die politische Kontrolle so-B wie die Rechts-und Fachaufsicht der Europol-Drogeneinheit und später von Europol obliegt dem Rat der Innen-und Justizminister, der sich dazu eines Verwaltungsrates, eines „Aufsichtsrates“ von hohen Beamten der Ministerien oder Leitern der nationalen Polizeien bedient. Die parlamentarische Kontrolle haben gegenwärtig und wohl auch mittelfristig die nationalen Parlamente, allenfalls langfristig das Europäische Parlament.

Die nationalen Datenschutzbeauftragten üben im Augenblick noch die Datenschutzkontrolle hinsichtlich der Tätigkeiten ihrer jeweiligen Verbindungsbeamten aus. Nach Inkrafttreten der Konvention wird damit eine gemeinsame Europol-Datenschutzkommission beauftragt.

Nach Inkrafttreten der Konvention wird der Europäische Rechnungshof Europol kontrollieren, was jetzt noch durch eine unabhängige niederländische Institution erfolgt. Die justitielle Kontrolle hingegen ist noch ungeklärt. Wie weit hierbei der Europäische Gerichtshof Aufgaben erhält, ist gerade Gegenstand von Verhandlungen.

V

Bisher wurde nur über die zentrale Behörde Euro-pol berichtet. Europol kann aber nicht alleine gesehen werden, vielmehr baut die Europol-Arbeit auf der Zusammenarbeit mit den nationalen Zentralstellen für Kriminalitätsbekämpfung, den nationalen Europol-Behörden auf; in Deutschland ist es das Bundeskriminalamt.

Der gegenwärtige Aufbau oder Ausbau solcher Zentralstellen, der nicht zuletzt auf der Gründung von Europol beruht, fördert in besonderer Weise eine gemeinsame europäische Sicherheitsstrategie. In zentralen nationalen Einheiten werden inzwischen die internationalen Interessen und Aktivitäten von Polizei, Gendarmerie und Zoll der jeweiligen Mitgliedsstaaten zusammengeführt -also von Behörden, die bisher miteinander konkurriert haben. Europaweit werden gleiche moderne Bekämpfungsstrategien und Methoden eingeführt; Computer-, Fernmelde-und sonstige Technik wird international schrittweise kompatibel gemacht.

Vielleicht besteht sogar die Chance, daß zumindest gleichlautende nationale Strafgesetze für neue, akute Kriminalitätsformen geschaffen werden, um im Rahmen von Europol besser zusammenzuarbeiten.

Teilweise bisher nicht erkannte Probleme und die nur beispielhaft aufgezählten offenen Fragen überwiegen in Anzahl und Schwere immer noch das, was bisher geschaffen oder geregelt ist. Und bei der künftigen Gestaltung von Europol sind nicht nur sein Personal sowie die Regierungen und Ministerien der Mitgliedsstaaten gefordert, sondern auch Parlamente, gesellschaftliche Gruppen und selbst die Bürger in allen Mitgliedsstaaten sind aufgerufen, Europol so zu formen, daß diese neue Behörde nach rechtsstaatlichen, demokratischen Prinzipien arbeitet, aber auch schnellstmöglich effektiv und effizient internationale Kriminalität bekämpfen kann.

Dabei sollte bewußt sein, daß Europol kein Allheilmittel zur Bekämpfung der internationalen Organisierten Kriminalität sein kann und sollte. Es bedarf dazu auch umfassender gesellschaftlicher Anstrengungen in Prävention und Repression in Europa. Bedeutungsvoll erscheint aber, daß erstmals eine multilaterale polizeiliche Zusammenarbeit unter Mitarbeit und Zustimmung von Regierungen, Parlamenten sowie von Polizei-, Zoll-und anderen Sicherheitsbehörden gestaltet wird. Insofern ist Europol auch ein Symbol für die zunehmende Einigung von Europa.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Jürgen Storbeck, geb. 1946; deutscher Beamter im Generalsekretariat der IKPO-Interpol; Stellvertretender Leiter der Abteilung Rauschgift-Bekämpfung im Bundeskriminalamt; Leiter des Nationalen Zentralbüros von Interpol in Wiesbaden; Leiter des Aufbaustabes EUROPOL in Straßburg; seit Juni 1994 Koordinator der Europol-Drogeneinheit in Den Haag.