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Technologiepolitik aus ökonomischer Sicht Theoretische Anforderungen und politische Realität | APuZ 49/1995 | bpb.de

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APuZ 49/1995 Weltwirtschaftlicher Strukturwandel und die Folgen Technologiepolitik aus ökonomischer Sicht Theoretische Anforderungen und politische Realität Sektorale und regionale Spezialisierungsmuster in Europa Regionale Strukturpolitik in den neuen Bundesländern unter Berücksichtigung des EU-Engagements

Technologiepolitik aus ökonomischer Sicht Theoretische Anforderungen und politische Realität

Henning Klodt

/ 15 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung kommt die Aufgabe sowohl der Entwicklung als auch der Umsetzung neuen Wissens in erster Linie privatwirtschaftlichen Unternehmen zu. Es gibt allerdings wohlbegründete Zweifel, daß eine rein marktwirtschaftliche Steuerung von Forschung und technologischer Entwicklung zu gesamtwirtschaftlich optimalen Resultaten führen würde. Die grundsätzliche Notwendigkeit einer staatlichen Forschungs-und Technologiepolitik ist deshalb weitgehend unstrittig. Die staatliche Forschungsförderung sollte vorrangig auf marktfeme Forschungsaktivitäten konzentriert sein, d. h. auf die Grundlagenforschung. Die Finanzierung der angewandten Forschung ist dagegen im ordnungspolitischen Rahmen einer Marktwirtschaft zuallererst Aufgabe der Unternehmen. Darüber hinaus sollte die Förderung nicht auf bestimmte Forschungsprojekte bezogen sein, sondern alle Forschungsaktivitäten gleichermaßen begünstigen. Das nötige Wissen zur Beurteilung der Erfolgsaussichten konkreter Projekte ist eher in den im Marktwettbewerb stehenden Unternehmen als am grünen Tisch der Forschungsförderer zu vermuten. Der Vergleich der theoretischen Anforderungen an eine marktkonforme Technologiepolitik mit der wirtschaftspolitischen Realität macht deutlich, daß vor allem die marktnahe Projektförderung reduziert werden sollte, um die branchen-und unternehmensgrößenspezifische Diskriminierungseffekte zu minimieren und den Einfluß von Interessengruppen zurückzudrängen. Statt dessen sollte die Forschungsförderung möglichst auf indirektem Wege erfolgen, etwa durch eine allgemeine Forschungszulage, deren Fördersätze nach Grundlagen-und angewandter Forschung differenziert sind, aber nicht nach Branchen oder Projekten. Auch zwischen verschiedenen Arten von Forschungsausgaben, etwa für Personal oder für Sachinvestitionen, sollte nicht unterschieden werden, um die unternehmensinterne Organisation der Forschungsarbeiten nicht durch künstliche Preissignale zu verzerren.

I. Die staatliche Förderung industrieller Forschung und Entwicklung*

Quelle: BMBF, Statistische Informationen. Wissenschaft, Forschung und Entwicklung, Ausgaben des Bun-des, Bonn 1995. Tabelle 1: Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung nach Ressorts

Wissenschaft und Technik stellen ohne Zweifel die entscheidende Basis des wirtschaftlichen Wohlstandes in hochentwickelten Ländern dar. Um diesen Wohlstand zu mehren oder -bei knapper werdenden natürlichen Ressourcen -auch nur zu bewahren, bedarf es eines fortwährenden Stroms neuen technischen Wissens. Im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung kommt sowohl die Aufgabe der Entwicklung als auch der Umsetzung neuen Wissens in allererster Linie privatwirtschaftlichen Unternehmen zu. Es gibt allerdings wohlbegründete Zweifel, daß eine rein marktwirtschaftliche Steuerung von Forschung und technologischer Entwicklung zu gesamtwirtschaftlich optimalen Resultaten führen würde. Die grundsätzliche Notwendigkeit einer staatlichen Forschungs-und Technologiepolitik ist deshalb weitgehend unstrittig.

Quelle: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Forschung und Entwicklung in der deutschen Wirtschaft 1991. Mit ersten Daten bis 1993, Essen 1994. Tabelle 4: FuE-Aufwendungen der Unternehmen nach Wirtschaftsbereichen in Deutsch-land 1991

Bei der Frage, auf welche Weise und in welchem Umfang der Staat die Forschung fördern sollte, ge-hen die politischen Meinungen weit auseinander. Auf der einen Seite wird betont, daß die entscheidenden Anstöße für viele Schlüsseltechnologien, die das heutige Wirtschaftsleben prägen, immer wieder von staatlichen Forschungsinitiativen ausgegangen seien. Eine Gesellschaft, die im globalen Wettbewerb nicht zurückfallen wolle, müsse ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen und dürfe die grundlegenden Weichenstellungen der technologischen Entwicklung nicht allein den Steuerungskräften des Marktes überlassen. Auf der anderen Seite wird darauf verwiesen, daß Kreativität und Flexibilität als wesentliche Ingredienzien eines erfolgreichen Innovationsprozesses bei allzu starker Einflußnahme des Staates auf die Wirtschaft eher verschüttet als animiert würden. Stellvertretend für diese Sichtweise meinte schon Lord Kelvin: „Had government funding of Science existed in the stone age, mankind would now have splendid stone machines -and no metal.“

Quelle: Europäische Kommission, Forschung und Entwicklung: Das vierte Rahmenprogramm, Luxemburg 1994 Tabelle 5: Viertes Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und technologische Entwicklung 1994-1998

Nicht nur unter Politikern, sondern auch unter Wirtschaftswissenschaftlern wird die Frage, welche Aufgabe dem Staat» im Innovationsprozeß zukommt, unterschiedlich beurteilt. Eine eindeutige, politisch unmittelbar umsetzbare Antwort der Wirtschaftstheorie auf die Frage, ob und inwieweit der Staat steuernd in den Prozeß von Forschung und technologischer Entwicklung eingreifen sollte, gibt es nicht und kann es nie geben. Dafür sind die Theorien zu abstrakt und die Realitäten zu komplex. Die Argumente, die in der technologiepolitischen Diskussion Verwendung finden, können aber auf ihre ökonomische Stichhaltigkeit geprüft werden; und es können Wege aufgezeigt werden, auf denen sich politisch angestrebte Ziele ökonomisch effizient erreichen lassen.

Der zentrale Ausgangspunkt einer theoretisch fundierten forschungs-und technologiepolitischen Konzeption liegt darin, daß Forschung und Entwicklung positive Externalitäten verursachen; d. h., neues technisches Wissen kommt in aller Regel nicht nur dem forschenden Unternehmen selbst zugute, sondern fördert und erleichtert auch bei anderen Unternehmen die technologische Entwicklung, ohne daß diese dafür zahlen müssen. Eine rein marktwirtschaftliche Steuerung der Forschung wird deshalb aller Voraussicht nach nicht zu gesamtwirtschaftlich optimalen Ergebnissen führen, da die Unternehmen aus eigenem Antrieb zu wenig in die Entwicklung neuer Technologien investieren würden. Es ist also mit „Marktversagen“ zu rechnen, das kompensierende Staatseingriffe angezeigt erscheinen läßt.

Für eine ausführliche Darstellung der hier dargestellten Argumente vgl. Henning Klodt, Grundlagen der Forschungsund Technologiepolitik, WiSo-Kurzlehrbücher, München 1995.

In welchem Umfang der Staat die industrielle Forschung finanziell fördern sollte, läßt sich allerdings kaum allgemeingültig beantworten. Es gibt jedoch gute Gründe dafür, die Förderintensität nach den verschiedenen Arten der Forschungsarbeiten zu differenzieren: -Die Argumente für die staatliche Forschungsförderung sind um so gewichtiger, je marktferner die betreffenden Forschungsprojekte sind. Prinzipiell kann zwar jede Art von technischem Wissen positive Externalitäten verursachen. Aber das Ausmaß dieser Externalitäten dürfte um so höher sein, je mehr sich dieses Wissen auf allgemeine technologische Grundlagen und je weniger es sich auf spezielle Anwendungen in der industriellen Praxis bezieht. -Wesentlich geringer ist der Förderungsbedarf bei marktnahen Projekten, denn im technologischen Wettbewerb lassen sich unmittelbare Vorsprünge gegenüber anderen Unternehmen vor allem durch solche Forschungsergebnisse erzielen, die direkt in der Produktion des betreffenden Unternehmens einsetzbar sind.

Aufgrund dieser Erwägungen sollte die staatliche Forschungsförderung vorrangig auf marktferne Forschungsaktivitäten konzentriert sein, d. h. auf die Grundlagenforschung. Oftmals wird der Staat dabei nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Durchführung der Forschungsarbeiten übernehmen -etwa in universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Soweit jedoch Unternehmen bereit sind, eigene Grundlagenforschung durchzuführen, sollten sie dabei durch staatliche Forschungsgelder unterstützt werden. Die Finanzierung der angewandten Forschung ist dagegen im ordnungspolitischen Rahmen einer Marktwirtschaft zuallererst Aufgabe der Unternehmen. Da positive Extemalitäten hier eine erheblich geringere Rolle spielen, sollte die staatliche Förderung zwar nicht ganz entfallen, aber deutlich niedriger angesetzt werden als im Bereich der industriellen Grundlagenforschung.

Für eine eher moderate staatliche Förderung der angewandten Forschung spricht auch, daß die Forschungsergebnisse in diesem Bereich oftmals patentrechtlich geschützt werden können. Damit wird dem Innovator eine temporäre Monopolstellung verliehen, die das Abschöpfen von Innovationsgewinnen erlaubt. Diese Gewinne wirken als marktwirtschaftliche Anreize zur Durchführung industrieller Forschungsarbeit, so daß die staatlichen Anreize entsprechend geringer ausfallen können.

Prinzipiell ließe sich bei der gesamten Forschungsförderung darüber hinaus eine Differenzierung zwischen verschiedenen Branchen rechtfertigen, wenn beispielsweise nachgewiesen würde, daß die technologischen Aktivitäten einiger Branchen höhere externe Erträge erwarten lassen als die anderer. Der Staat ist hier allerdings mit einem Informationsproblem konfrontiert, das in der Praxis kaum zu lösen ist; denn die sektoralen Unterschiede beim Ausmaß der Externalitäten lassen sich statistisch praktisch nicht erfassen. Aus dem „Prinzip des mangelnden Grundes“ sollte die staatliche Forschungsförderung daher allen Branchen gleichermaßen offenstehen.

Das Informationsproblem ist auch der wesentliche Grund dafür, daß die Förderung nicht auf bestimmte Forschungsprojekte bezogen sein, sondern alle Forschungsaktivitäten gleichermaßen begünstigen sollte. Das nötige Wissen zur Beurteilung der Erfolgsaussichten konkreter Projekte ist eher in den im Marktwettbewerb stehenden Unternehmen als am grünen Tisch der Forschungsförderer zu vermuten. Wenn in einem Land Tausende von Unternehmen in der Forschung aktiv sind und viele dieser Unternehmen gleichzeitig eine größere Zahl von Projekten verfolgen, dürfte es kaum möglich sein, bei einer selektiven Förderung genau die richtigen Projekte zu identifizieren. Es kann deshalb kaum verwundern, daß in der Praxis der selektiven Projektförderung vor allem Großunternehmen begünstigt werden, da sie weit bessere Möglichkeiten als Kleinunternehmen haben, die Ministerialbürokratie vom gesamtwirtschaftlichen Nutzen gerade ihrer Projekte zu überzeugen.

II. Grundzüge der deutschen und europäischen Technologiepolitik

Quelle: BMBF (s. Tab. 1). Tabelle 2: Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung nach Empfängergruppen

Der gesamte Bereich der Technologiepolitik umfaßt eine Vielzahl von Maßnahmen, bei denen recht unterschiedliche Instrumente eingesetzt und zahlreiche Institutionen beteiligt sind. Das Schwergewicht liegt jedoch bei der finanziellen Förderung von Forschung und Entwicklung in privaten Unternehmen und staatlichen Forschungseinrichtungen, über die im folgenden ein kurzer Überblick gegeben wird.

1. Forschungsförderung in der Bundesrepublik Deutschland

Die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) in der Bundesrepublik Deutschland betragen zur Mitte der neunziger Jahre rund 85 Mrd. DM; das entspricht etwa 2, 5 Prozent des Bruttosozialprodukts. Diese Ausgaben werden zu 40 Prozent vom Staat und zu 60 Prozent von der Privatwirtschaft geleistet.

Die staatlichen Ausgaben wiederum werden zu rund zwei Dritteln vom Bund und rund einem Drittel von den Ländern finanziert. Die Ländermittel sind in starkem Maße auf die Hochschulforschung konzentriert, so daß ein Großteil dieser Ausgaben eher der Wissenschafts-als der Technologiepolitik zuzuordnen sein dürfte. Bei den Bundesausgaben liegt der Schwerpunkt beim Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF), das aus der Verschmelzung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) mit dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) hervorgegangen ist. Mit deutlichem Abstand folgen das Verteidigungsministerium (BMVg) sowie das Wirtschaftsministerium (BMWi). Die Entwicklung der Gesamtausgaben in der Zeit zeigt, daß die Finanzierungslasten der deutschen Einheit auch an der Technologiepolitik nicht spurlos vorübergegangen sind (Tab. 1).

Von den gesamten Forschungs-und Entwicklungsausgaben des Bundes fließt rund ein Viertel an die gewerbliche Wirtschaft und ist damit der Technologiepolitik im engeren Sinne zuzuordnen (Tab. 2). Der weitaus größte Anteil entfällt auf die Organisationen ohne Erwerbszweck, zu denen unter anderem die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie die staatlichen Großforschungseinrichtungen zählen. Die Zahlungen an das Ausland werden in erster Linie für internationale Organisationen geleistet, vor allem für die Europäische Union sowie die Europäische Weltraumorganisation (ESA). Die technologiepolitische Bedeutung dieser Institutionen hängt wesentlich davon ab, inwieweit die Ergebnisse ihrer Arbeiten wirtschaftlich nutzbar sind.

Die Förderung der Forschungs-und Entwicklungsarbeiten in staatlichen und halbstaatlichen Institutionen erfolgt überwiegend im Rahmen der institutioneilen Grundfinanzierung, wobei insbesondere die Großforschungseinrichtungen ins Gewicht fallen (Tab. 3). Dazu zählen unter anderem das Deutsche Elektronen-Synchroton (DESY) in Hamburg, die Deutsche Forschungsanstalt für Luft-und Raumfahrt (DLR) in Köln, das Forschungszentrum Jülich (KFA) sowie das Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK). Die Frage, wie der Technologietransfer aus diesen Institutionen in die gewerbliche Wirtschaft verbessert werden kann, gehört zu den am stärksten umstrittenen Themen in der technologiepolitischen Diskussion.

Eine ähnliche Größenordnung wie die institutionelle Förderung erreicht die Projektförderung, die zu rund zwei Dritteln der gewerblichen Wirtschaft zugute kommt. Dabei dominiert die direkte Projektförderung im Rahmen spezifischer Forschungsprogramme, deren Inhalte weitgehend vom Staat festgelegt werden. Diejenigen Unternehmen, deren Förderungsanträge zu diesen Programmen genehmigt werden, erhalten in der Regel einen Kostenzuschuß von 50 Prozent. Bei marktfemen Projekten kann dieser Fördersatz überschritten werden. Daneben gibt es Programme zur indirektspezifischen Förderung, bei denen der Staat zwar den Technologiebereich, aber nicht die Inhalte der einzelnen Projekte beeinflußt. Sie hat allerdings ein deutlich geringeres Gewicht als die direkte Projektförderung.

Schließlich werden privatwirtschaftliche Forschungsund Entwicklungsarbeiten indirekt gefördert, etwa . durch Personalkostenzuschüsse, Bürgschaften oder Kapitalbeteiligungen. Diese indirekten Maßnahmen, die in den Zahlenangaben der Tabelle 3 zusammen mit den indirekt-spezifischen Maßnahmen ausgewiesen sind, richten sich in erster Liniean mittelständische Unternehmen. Die in anderen Ländern weitverbreitete indirekte Forschungsförderung über Steuererleichterungen und Sonderabschreibungen wird derzeit in Deutschland nicht praktiziert.

Die staatlichen Fördermittel weisen eine ausgeprägte sektorale Konzentration auf. Sowohl in Absolutbeträgen als auch in Relation zu den selbstfinanzierten Forschungsaufwendungen liegt der Schwerpunkt beim Luft-und Raumfahrzeugbau. Gemessen an der Förderintensität werden auch die Energiewirtschaft und der Bergbau überdurchschnittlich begünstigt, während die Forschungsaktivitäten der Chemischen Industrie, des Maschinenbaus oder der Elektrotechnik zwar mit hohen Absolutbeträgen, aber mit einem vergleichsweise geringen Anteil an den gesamten FuE-Aufwendungen der Unternehmen gefördert werden (Tab. 4). Die Selektivität der Förderung wird in dieser Tabelle allerdings deutlich unterzeichnet, da die Verteilung innerhalb der einzelnen Branchen recht unterschiedlich ist. Einen ausgeprägten Förderschwerpunkt stellt beispielsweise die Mikroelektronik dar, der in Tabelle 4 nur deshalb nicht erkennbar ist, weil die Mikroelektronik nur einen kleinen Teil der gesamten Elektrotechnik ausmacht.

Im Zeitverlauf weist die sektorale Struktur der staatlichen Forschungsförderung eine recht hohe Konstanz auf. Dies mag überraschen, da die Laufzeit der einzelnen Förderprogramme oftmals nur wenige Jahre beträgt und die politischen Prioritäten durchaus einem Wechsel unterliegen. Zur Umsetzung der Fördermaßnahmen sind jedoch umfangreiche bürokratische Strukturen aufgebaut worden, die stark auf bestimmte Technologiefelder und Branchen zugeschnitten sind. Dies gilt nicht nur für manche Fachabteilungen innerhalb des BMBF, sondern auch für die sogenannten Trägerorganisationen, die vom Ministerium mit der Umsetzung von Förderprogrammen beauftragt sind. Im politischen Tagesgeschäft mag es oftmals leichter sein, neue Förderprogramme in vorhandene Verwaltungsstrukturen einzupassen, als inhaltlich neue Förderschwerpunkte festzusetzen, die entsprechende Strukturanpassungen bei den Förderinstitutionen erfordern würden. Auch die Existenz informeller Kommunikationsbeziehungen zwischen den staatlichen Institutionen und jenen Unternehmen, die in der Vergangenheit gefördert wurden, mag zur Persistenz der sektoralen Strukturen in der Forschungsförderung beitragen.

Insgesamt gesehen ist das deutsche Förderungssystem im Vergleich zu anderen Ländern vor allem durch das hohe Gewicht der direkten Projektförderung sowie das Fehlen indirekter steuerlicher Förderinstrumente geprägt. In den Vereinigten Staaten erfolgt die Forschungsförderung in starkem Maße auf dem Wege staatlicher Beschaffungsaufträge, insbesondere im Militärbereich, wobei dieVerträge oftmals so gestaltet sind, daß die derart finanzierten Forschungsergebnisse auch zivil genutzt werden können. In Japan dagegen werden nur in geringem Umfang staatliche Gelder direkt in die Forschungsförderung gelenkt; statt dessen fördert der Staat die Forschungskooperation von Unternehmen sowie von Unternehmen und Universitäten und vergibt zinsgünstige Kredite für private Forschungsprojekte. Sehr vielfältig ist das Förderinstrumentarium in Frankreich-, ein besonderes Gewicht haben dabei staatliche Unternehmensbeteiligungen. In Großbritannien schließlich wird über die Militärforschung hinaus kaum Einfluß auf die Forschungs-und Entwicklungsarbeiten von Unternehmen genommen.

2. Forschungsförderung in der Europäischen Union

Zunehmenden Einfluß auf die Technologiepolitik gewinnt die Europäische Union (EU), die derzeit zwei Mrd. ECU pro Jahr für die Förderung von Forschung und Entwicklung aufwendet. Im Vergleich zu den rund 30 Mrd. ECU, die von den nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten aufgewendet werden, ist dieser Betrag zwar immer noch recht gering, aber die Zuwachsraten sind deutlich höher als bei den nationalen Aufwendungen. Zudem sind die Förderprogramme der EU stark auf einzelne Bereiche konzentriert, so daß sie in Teilbereichen einen deutlich spürbaren Einfluß auf die Technologiepolitik in Europa nehmen.

Nach den Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union stellt die Kommission ein mehrjähriges Rahmenprogramm mit der Festlegung von Prioritäten und Haushaltsmitteln auf, das dem Ministerrat zur Beschlußfassung vorgelegt wird. Das derzeit gültige Rahmenprogramm hat eine Laufzeit von fünf Jahren und ist mit rund zehn Mrd. ECU ausgestattet (Tab. 5). Die konkrete Ausgestaltung der Programme sowie die Entscheidung zur Förderung von Projekten liegen in der Verantwortung der Kommission. Sie hat dafür allgemeine Richtlinien erlassen, die bei Projekten von Unternehmen eine Regelförderung von 50 Prozent vorsehen. Die Förderintensität entspricht damit dem Niveau in der deutschen Projektförderung.

Ursprünglich war die gemeinschaftliche Technologiepolitik vorrangig auf die Förderung der „vorwettbewerblichen Forschung“ konzentriert. Die Kommission ist jedoch bestrebt, ihre Förderprogramme verstärkt auf marktnahe Projekte auszurichten, um die Position europäischer Unternehmen im technologischen Wettbewerb mit japanischen und amerikanischen Unternehmen zu stärken. Das wichtigste Einzelprogramm im Rahmen der Gemeinschaftspolitik ist ESPRIT (European Strategie Programme for Research and Development in Information Technology), mit dem Anwendungen der Mikroelektronik in verschiedenen Bereichen gefördert werden. Außerhalb der Rahmenprogramme fördert die EU die Energieforschung, insbesondere die Fusionsforschung über den Versuchsreaktor JET (Joint European Torus) sowie die Erforschung der Reaktorsicherheit über vier Zentren der Gemeinsamen Forschungsstelle.

Verstärkten Einfluß auf die Technologiepolitik in Europa nimmt die EU auch über die Beihilfenaufsicht im Rahmen der gemeinschaftlichen Wettbe-werbspolitik, nach der die auf nationaler Ebene gewährten Fördermittel von der Kommission untersagt werden können, wenn sie den innergemeinschaftlichen Wettbewerb verzerren. Zur Umsetzung der Beihilfenaufsicht im Forschungsbereich hat die Kommission einen Gemeinschaftsrahmen erlassen, der Höchstgrenzen für die Förderintensität nationaler Forschungsprogramme festlegt, und zwar bis zu 50 Prozent bei Projekten der industriellen Grundlagenforschung und bis zu 25 Prozent bei Projekten der angewandten Forschung. Die Auslegung dieser Richtlinien sorgt immer wieder für Konflikte zwischen der Kommission und den nationalen Regierungen, wovon insbesondere die deutsche Bundesregierung betroffen ist.

Seit dem Jahre 1985 wird die gemeinschaftliche Forschungs-und Technologiepolitik der EU ergänzt durch die Forschungsinitiative EUREKA (European Research Coordination Agency), an der 19 europäische Länder sowie die Kommission der EU beteiligt sind. Im Rahmen von EUREKA werden marktnahe Projekte der Hochtechnologie durchgeführt, an denen Unternehmen oder Forschungsinstitute aus mindestens zwei europäischen Ländern beteiligt sind. Eventuelle Fördermittel müssen bei den jeweiligen nationalen Regierungen beantragt werden; übergreifende Themenvorgaben oder Förderrichtlinien gibt es nicht. Die Koordinierung erfolgt durch jährliche EUREKA-Ministerkonferenzen sowie durch das EUREKA-Sekretariat in Brüssel. Das größte Einzelprogramm ist JESSI (Joint European Submicron Silicon), das mehr als 50 Projekte unter Beteiligung von sechs Ländern umfaßt und bei dem es um Fertigungsverfahren und Anwendungen von integrierten Schaltkreisen geht. Aus politischer Sicht kann EUREKA als Ausdruck des Unwillens der Mitgliedsstaaten über die bürokratische Schwerfälligkeit der gemeinschaftlichen Technologiepolitik der Europäischen Union angesehen werden.

III. Reformvorschläge

Quelle: BMBF (s. Tab. 1) Tabelle 3: Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung (FuE) nach Förderungsarten

Der Vergleich der theoretischen Anforderungen an eine marktkonforme Technologiepolitik mit der wirtschaftspolitischen Realität macht deutlich, daß vor allem die marktnahe Projektförderung reduziert werden sollte, um die branchen-und unternehmensgrößenspezifischen Diskriminierungseffekte zu minimieren und den Einfluß von Interessengruppen zurückzudrängen. Statt dessen sollte die Forschungsförderung möglichst auf indirektem Wege erfolgen, etwa durch eine allgemeine Forschungszulage, deren Fördersätze sich hinsichtlich Grundlagen-und angewandter Forschung unterscheiden, aber nicht nach Branchen oder Projekten. Auch zwischen verschiedenen Arten von Forschungsausgaben, etwa für Personal oder für Sachinvestitionen, sollte nicht diskriminiert werden, um die untemehmensinteme Organisation der Forschungsarbeiten nicht durch künstliche Preissignale zu verzerren.

Alternativ zur Forschungszulage käme auch eine steuerliche Begünstigung unternehmerischer Forschungsaktivitäten in Betracht. Sie hätte allerdings den Nachteil, daß sie jungen Unternehmen wenig nützen würde, da in der Gründungsphase innovativer Unternehmen in der Regel kaum Gewinne an-fallen, auf die eine steuerliche Begünstigung angerechnet werden könnte. Die Steuervorteile werden möglicherweise erst dann wirksam, wenn das jungeUnternehmen aufgrund von Liquiditätsengpässen bereits wieder vom Markt verschwunden ist.

Wenn es darum geht, mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen ein Marktversagen im Bereich von Forschung und technologischer Entwicklung auszugleichen, dann darf dabei die Gefahr des Staatsversagens nicht außer acht gelassen werden. Es wäre naiv, staatlichen Forschungsbürokratien als alleiniges Ziel ihres Handelns die Maximierung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt zu unterstellen. Budgetmaximierung einzelner Fachressorts und andere gesamtwirtschaftlich unerwünschte Verhaltensweisen von Bürokratien werden um so wahrscheinlicher, je größer der diskretionäre Entscheidungsspielraum der staatlichen Förderinstanzen ausgestaltet ist. Auch dies spricht dafür, einer allgemeinen, indirekten Forschungsförderung den Vorzug zu geben vor der selektiven Projektförderung, bei der die Durchsetzung gesamtwirtschaftlicher Zielsetzungen sehr viel schwerer von parlamentarischen Instanzen oder der Öffentlichkeit kontrolliert werden kann.

Ein populärer Einwand gegen die allgemeine Forschungsförderung lautet, daß bei einem solchen Gießkannenprinzip die verfügbaren Mittel zu breit gestreut würden und damit bei den geförderten Unternehmen nicht die Merklichkeitsschwelle überschritten würde. Diese Kritik läßt sich jedoch mit mehreren Argumenten entkräften:

-Erstens sind die in hochentwickelten Industrieländern für die Forschungsförderung bereitgestellten Mittel keineswegs so gering, wie es das Gießkannen-Argument suggeriert. In Ländern, in denen die direkte Projektförderung zwischen zehn und zwanzig Prozent der gesamten industriellen Forschungsausgaben ausmacht, würden bei einer haushaltsneutralen Umstellung auf eine allgemeine indirekte Forschungsförderung durchaus spürbare finanzielle Anreize für privatwirtschaftliche Innovationsaktivitäten gesetzt.

-Zweitens -und das erscheint gewichtiger -sollte eine optimale Forschungszulage so bemessen sein, daß sie im Durchschnitt genau die positiven externen Erträge privater Forschungsaktivitäten ausgleicht. Wenn diese Erträge „merklich“ sind, sollte auch die Förderung „merklich“ sein; sind sie nicht „merklich“, ließe sich eine Forschungsförderung ohnehin gesamtwirtschaftlich kaum begründen.

Diesem Leitbild einer ordnungspolitisch ausgerichteten Technologiepolitik setzen die Verfechter einer strategischen Industriepolitik ein Leitbild entgegen, bei dem es vorrangig darum geht, inländischen Unternehmen eine stärkere Marktposition auf internationalen High-Tech-Märkten zu verschaffen, um Monopolgewinne aus dem Ausland ins Inland umzulenken. Bei einer solchen Zielvorgabe steht zwangsläufig die sektoral differenzierte Förderung marktnaher Forschungsprojekte im Vordergrund, denn erstens sind überdurchschnittliche Monopolgewinne nicht in allen Industrien möglich, und zweitens lassen sich Marktpositionen am ehesten mit unmittelbar produktionswirksamen Förderinstrumenten beeinflussen.

In der Theorie der strategischen Handelspolitik ist modelltheoretisch aufgezeigt worden, daß solch ein Politikansatz unter bestimmten Annahmen durchaus erfolgreich sein kann. Die Bedingungen dafür sind jedoch äußerst restriktiv. So müßte zunächst einmal geklärt werden, ob in der betreffenden Branche tatsächlich auf Dauer mit oligopolistischen Monopolgewinnen zu rechnen ist. Außerdem darf es nicht zu Abwehrreaktionen ausländischer Regierungen kommen, da dann ein internationaler Subventionswettlauf ausgelöst würde, bei dem letztlich alle beteiligten Länder Nachteile erleiden würden. Bei der Förderung multinationaler Unternehmen müßte darüber hinaus sichergestellt werden, daß die Monopolgewinne tatsächlich im Inland verbleiben.

Es kann bezweifelt werden, daß es in einer dynamischen und zunehmend international verflochtenen Weltwirtschaft überhaupt dauerhafte Monopolstellungen gibt, deren Eroberung ein lohnendes Ziel für die Technologiepolitik darstellt. Doch selbst wenn dies der Fall wäre, dürften staatliche Instanzen mit der Identifizierung der Einsatzfelder und der erforderlichen instrumenteilen Ausgestaltung einer strategischen Technologiepolitik überfordert sein. Gerade hier stellt sich das grundlegende Informationsproblem jeglicher interventionistischer Wirtschaftspolitik in aller Schärfe. Aus diesen Gründen herrscht in der Wirtschaftswissenschaft weitgehend Konsens darüber, daß sich die Regierungen eher auf die Durchsetzung eines weltweiten Freihandelsregimes konzentrieren sollten, anstatt sich gegenseitig in internationale Subventionswettläufe zu verstricken. Allen-falls zur Abwehr unerwünschter ausländischer Industriepolitiken können eigene Protektionsmaßnahmen sinnvoll sein, doch es dürfte in der Praxis nicht leicht sein, konkret zu beurteilen, welches Land das angreifende und welches das verteidigende ist. Die Risiken einer bilateralen Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“ sind ungleich größer als die einer auf multilateralen Freihandel abzielenden Politik. Insgesamt gesehen sind die Aufgaben der staatlichen Forschungs-und Technologiepolitik im Rah-men der allgemeinen Wirtschaftspolitik natürlich weiter gesteckt, als nur den Unternehmen für die positiven Externalitäten ihrer Forschung eine Kompensation zu gewähren. Die Schaffung allgemeiner innovationsfördernder Rahmenbedingungen ist möglicherweise sogar wichtiger für privatwirtschaftliche Forschungsaktivitäten als die direkte finanzielle Unterstützung. In der wirtschaftspolitischen Praxis muß deshalb stets im Blick behalten werden, daß die Technologiepolitik ihre volle Wirksamkeit nur dann entfalten kann, wenn sie eingebettet ist in ein umfassendes wirtschaftspolitisches Konzept, das sicherstellt, daß sich die gesamtwirtschaftlich erwünschte Entwicklung neuen Wissens auch einzelwirtschaftlich rentiert. Dazu zählt nicht nur die Bereitstellung einer angemessenen Infrastruktur für die Grundlagenforschung, sondern auch die Öffnung staatlich geschützter Märkte für den innovativen Wettbewerb oder die Schaffung der nötigen planungsrechtlichen Voraussetzungen zur Umsetzung neuer Technologien in der betrieblichen Praxis. Die aktive (Mit-) Gestaltung des industriellen Innovationsprozesses durch den Staat, wie sie bei der selektiven Projektförderung im Vordergrund steht, geht dagegen über diese Aufgabe weit hinaus. Sie dürfte die Fähigkeit einer Volkswirtschaft, auf den nationalen und internationalen Märkten dauerhaft hohe Einkommen zu erzielen, eher beeinträchtigen als fördern.

In einer zunehmend globalisierten Weltwirtschaft kommt es für die nationale Wirtschaftspolitik vor allem darauf an, das eigene Land als Standort für innovative Wirtschaftsaktivitäten attraktiv zu ma-chen -durch adäquate finanzielle Unterstützung gesamtwirtschaftlich erwünschter Innovationsaktivitäten, aber auch durch Öffnung der Märkte, durch Schaffung innovationsfördernder Rahmenbedingungen und nicht zuletzt durch Reformen im Bildungs-und Ausbildungssystem, mit denen die heimischen Arbeitskräfte in die Lage versetzt werden, den veränderten Qualifikationsanforderungen im weltweiten Standortwettbewerb gerecht zu werden. Diesen Herausforderungen wird sich die Technologiepolitik stellen müssen, wenn sie auch künftig relevante Antworten auf relevante Fragen geben will.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Henning Klodt, Dr. rer. pol., geb. 1952; Leiter der Forschungsgruppe „Strukturwandel und Beschäftigung“ am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen des Strukturwandels und der Strukturpolitik, zur Forschungsund Technologiepolitik, zu Außenhandel und wirtschaftlichem Wachstum, zur Arbeitsmarktentwicklung sowie zur Wettbewerbspolitik.