Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Probleme der Zuwanderung am Beispiel Bremens | APuZ 44-45/1996 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 44-45/1996 Flucht, Vertreibung, Migration 1945-1995. Zur Problematik von Zuwanderung und Integration Internationale Migration Herausforderung für eine Antidiskriminierungspolitik Probleme der Zuwanderung am Beispiel Bremens Zwischen Integration und Dissoziation: Türkische Medienkultur in Deutschland Artikel 1

Probleme der Zuwanderung am Beispiel Bremens

Ralf H. Borttscheller

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die dominierenden politischen Kräfte im Bremen der achtziger bis Mitte der neunziger Jahre haben sich stets viel darauf zugute gehalten, daß in der Bremer Ausländerpolitik Sonderwege beschritten wurden, die sich von der Praxis der allermeisten anderen Bundesländer unterschieden haben. Die Besserstellung von Asylbewerbern sowie die Weigerung, sie in „unmenschliche“ Sammellager anderer Bundesländer weiterzuleiten, führten dazu, daß Bremen mehr Asylbewerber aufnahm, als es nach dem Verteilungsschlüssel der Bundesländer notwendig gewesen wäre. Mit der drastisch ansteigenden Zahl an Asylbewerbern, Aus-und Übersiedlern Ende der achtziger Jahre nahm die Bereitschaft der Bevölkerung, die Menschen aufzunehmen, deutlich ab. Weite Kreise der politischen Klasse nahmen die Vorbehalte und Ängste allerdings nicht ernst. Kurz vor der Bürgerschaftswahl 1991 versuchte der Bremer Senat mit einem radikalen Kurswechsel der Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Den Niedergang der Bremer SPD konnte dies allerdings nicht aufhalten. Die rechtsextreme „Deutsche Volksunion“ übersprang die Fünf-Prozent-Hürde. Die Ausländerkriminalität ist ein Symptom einer in weitentBereichen nicht vollzogenen Ausländerintegration. Besondere Problemgruppen stellen Asylbewerber und Jugendliche der „ 3. Generation“ dar, deren Kriminalitätsbelastung weit über dem Durchschnitt liegt. Ein besonders besorgniserregendes Feld ist dabei der Drogenhandel. Die Probleme, die mit einer hohen und weiter zunehmenden Zahl von Ausländern in Deutschland einhergehen, dürfen weder geleugnet noch bagatellisiert werden. Verantwortliche Politik muß diese Probleme thematisieren, will sie nicht dem Rechtsradikalismus Vorschub leisten. „Multikulturalität“ ist. das zeigen die Erfahrungen aus den USA, kein erstrebenswertes Ideal, sondern ein Eingeständnis, daß das Konzept der Integration gescheitert ist. Angesichts wachsender wirtschaftlicher und sozialer Probleme in Deutschland werden die Integrationsmöglichkeiten eher abnehmen, so daß vor starker Zuwanderung eindeutig gewarnt werden muß.

Vorbemerkung

Tabelle 1: Ausländer in der Stadtgemeinde Bremen. Quelle: Statistisches Landesamt Bremen, Ausländerzentralregister

Im folgenden soll ein Rückblick auf die Ausländerpolitik in der Stadt Bremen der achtziger Jahre bis zur Mitte der neunziger Jahre gegeben werden. Es sollen dann einzelne Problemfelder dargestellt und schließlich einige Bemerkungen zur aktuellen Debatte um die Zuwanderung gemacht werden. Die politische Landschaft der achtziger Jahre in Bremen war durch die absolut dominierende Rolle der SPD geprägt. Bei den Bürgerschaftswahlen 1983 erhielten die Sozialdemokraten in der Stadt Bremen 51, 17 Prozent der Stimmen, 1987 51 Prozent. Der enorme Einbruch bei den Wahlen des Jahres 1991 mit einem Ergebnis von 38, 3 Prozent (einem Minus von 12, 7 Prozent) setzte sich bei der Bürgerschaftswahl des vergangenen Jahres fort, hier erreichte die SPD ein Ergebnis von 32, 96 Prozent, die CDU hatte mit 32, 29 Prozent nahezu gleichgezogen. Kennzeichnend für Bremen ist außerdem der relativ hohe und kontinuierlich steigende Stimmenanteil der Grünen (1987: 10, 26 Prozent; 1991: 11, 9 Prozent; 1995: 13, 4 Prozent). 1987 zog die rechtsextreme Deutsche Volks-union das erste Mal seit den sechziger Jahren in ein Landesparlament ein (der Stimmenanteil betrug 2, 99 Prozent, in Bremerhaven allerdings 5, 4 Prozent). 1991 errang die DVU in der Stadt Bremen 5, 38 Prozent.

Bremer Sonderwege: Rückblick auf die Ausländerpolitik in Bremen

Tabelle 4: Gesamtkriminalität in der Stadtgemeinde Bremen

Die Sozialdemokraten haben für Bremen in den achtziger Jahren stets eine Sonderrolle in der deutschen Ausländer-und Asylpolitik beansprucht. Bremen verfolge, so hieß es immer wieder, im Gegensatz zum „Rest der Republik“ eine liberalere, progressive Ausländerpolitik. Wer aus den Reihen der Unionsparteien auf die daraus entstehenden Probleme aufmerksam machte und auf eine Angleichung der bremischen Praxis an die anderer Bundesländer drängte, der mußte sich den Vorwurf gefallen lassen, er begünstige ein ausländerfeindliches Klima -eine argumentative Keule, mit der jede rationale Debatte unmöglich gemacht werden sollte. So forderte die CDU zu Beginn des Jahres 1982, wie in anderen Bundesländern auch, in Bremen Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber einzurichten und in der überschuldeten Stadt nicht mehr ausschließlich auf die sehr kostenintensive Unterbringung in Wohnungen, Hotels oder Pensionen zu setzen. Der Vorschlag wurde von der SPD ebenso kategorisch abgelehnt wie die Forderung nach einer weitgehenden Umstellung von Bargeldleistungen auf Sachleistungen. Mit diesen Forderungen unterstütze die CDU nur die „latent vorhandene Ausländerfeindlichkeit“

Zu den Besonderheiten der Bremer Ausländerpolitik zählte, -daß, im Widerspruch zu den Empfehlungen der Bundesregierung und der Verwaltungspraxis der übrigen Bundesländer (außer Hessen), die als Altersgrenze das 16. Lebensjahr ansahen, die Nachzugsberechtigung von Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt wurde. Diese Politik des Senats lief einer weitgehend bundeseinheitlichen Praxis zuwider, die mit gutem Grund eingeführt worden war: Die Praxis, Kinder in der Heimat zurückzulassen und sie erst an der Schwelle des Berufslebens einreisen zu lassen, führt überwiegend dazu, daß diese Jugendlichen ohne deutschen Schulabschluß und ohne zureichende Sprachkenntnisse in der Regel keine Chance haben, einen Ausbildungs-oder einen Arbeitsplatz zu erhalten. Diese Nachteile können von der deutschen Gesellschaft nicht abgewendet und sie können ihr auch auf Dauer nicht zugemutet werden. Diese Bremer Praxis lief also dem Anliegen der Integration klar zuwider. Es ist sinnvoll, daß Ausländer ihre Kinder im integrationsfähigsten Alter nachziehen lassen;

-daß straffällig gewordene Heranwachsende (18— 21 Jahre) grundsätzlich nicht ausgewiesen wurden;

-daß eine Aufenthaitsverlängerung auch bei Bezug von Sozialhilfe gewährt wurde. 1 Im Herbst 1982 beschloß der Senat eine Kürzung der Sozialhilfe um zehn Prozent sowie eine teilweise Umstellung von Bargeldauszahlung auf die Ausgabe von Gutscheinen (Essensmarken). Der damalige Sozialsenator Scherf verteidigte diese Maßnahme zunächst gegen Kritik aus Reihen der Grünen und der Ausländerorganisationen. Er warnte davor, „das Thema Asylrecht in der zugespitzten Lage ständig hochzuziehen, weil die Geduld der Bevölkerung angesichts der Arbeitslosigkeit begrenzt ist“. Wenn man „die Betroffenen als Märtyrer durch die Stadt treibt, erweist man ihnen einen Bärendienst“ Der politische Druck auf den Senat wurde aber offensichtlich so groß, daß er den Beschluß, teilweise die Leistungen in Form von Gutscheinen auszuzahlen, bereits im April 1983 wieder zurückzog. Der Sozialsenator übte für den Senat öffentlich Selbstkritik: Der Senat habe einen „Fehler“ gemacht, der jetzt korrigiert werde; die damalige Entscheidung sei ein „Kotau vor der öffentlichen Meinungu gewesen .

Viel hielt man sich darauf zugute, daß das Land Bremen seine Aufnahmequote von 1, 3 Prozent aller bundesdeutschen Asylbewerber übererfüllte und diejenigen, die sich in Bremen meldeten, weitgehend nicht zur Verteilung in andere Bundesländer zum Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nach Zirndorf schickte. Obwohl im Ausländergesetz eine rechtliche Anhörung nicht vorgesehen war, vereinbarte man, daß jedem Asylbewerber „rechtliches Gehör“ gewährt werden sollte, bevor er einem anderen Bundesland zugewiesen werden sollte. Angenommene „psychosoziale Notlagen“, die die „begonnene Integration unterbrechen“ würden, sorgten dann dafür, daß eine entsprechend große Zahl über der festgelegten Länderquote in Bremen verbleiben konnte. Man wollte verhindern, daß Asylbewerber in andere undesländer -gar in „die menschenunwürdiger süddeutschen Sammellager“ -verlegt würden, \ ie ein Mitglied des 1986 gegründeten Bremer Flüchtlingsrates öffentlich erklärte Die Asylbewerber sowie Flüchtlingsinitiativen taten alles, um entsprechende Zuweisungen an andere Bundesländer zu verhindern. „Daß der Widerstand gegen eine Verlegung aus Bremen so groß sei, wertet man in den betroffenen Ressorts als indirektes Lob für die hiesige Praxis und verweist darauf, daß Bremen eigentlich ungesetzlich handele, wenn es trotz der Bundesvorschrift dazu keine Sammellager berichtete der Weser-Kurier am 23. 10. 1985.

Die Probleme wurden von Jahr zu Jahr drängender: Stellten 1987 noch 725 Personen Asylanträge, so waren es im darauffolgenden Jahr bereits 1 569 Anträge, 1989 belief sich die Zahl auf 2 724 Die Stadt bekam die damit verbundenen Belastungen immer stärker zu spüren.

„Durch Personalmangel im Ausländeramt und eine recht liberale Praxis bei der , Umverteilung 4 leben in Bremen viel mehr Asylbewerber, als das Land nach dem bundesweiten Quotenschlüssel eigentlich beherbergen müßte. Allein unerledigte , Fälle 4 bei der Umverteilung kosten die Sozialbehörde monatlich 500 000 Mark“, hieß es im Weser-Kurier vom 16. 10. 1989. Bremen habe zwar nur 1, 3 Prozent der gesamten Asylbewerber aufzunehmen, jedoch: „Nach Einschätzung der Arbeiterwohlfahrt leben in Bremen aber mittlerweile dreimal so viel Asylbewerber, wie eigentlich da sein dürften. Die Tatsache, daß es in Bremen im Gegensatz zu anderen Bundesländern keine Sammellager gibt und niemand abgeschoben wird, wenn in der Heimat ein ungewisses Schicksal droht, hat viele hierher gezogen. Nun ist ein deutlicher , Überhang 4 zur 1, 3-Prozent-Quote aufgelaufen." Weil 500 Abschiebungen nicht vorgenommen werden konnten, fielen nach Schätzungen von Insidern jährlich rund 3, Millionen Mark Sozialhilfekosten an 7. „Die Umverteilung von Bremen in die anderen Bundesländer gemäß dem Länderschlüssel läuft noch zu schleppend. Die Hälfte aller Bremer Asylbewerber dürfte gar nicht mehr hier sein“, meinte ein leitender Mitarbeiter des Amtes für Soziale Dienste „Warum überhaupt so viele kommen, ist auch kein Geheimnis: Nur in Bremen wird die , Stütze 4 lOOprozentig bar ausgezahlt. In allen anderen Bundesländern gibt es nur 40 Prozent auf die Hand, den Rest in Naturalien mit Gemeinschaftsverpflegung.“

Diese „Bremer Linie“ bestätigte Sozialsenator Scherf im Februar 1989 noch einmal ausdrücklich: „, Wir konnten bislang Zustände, wie sie aus anderen Städten gemeldet werden, vermeiden. Statt in Wohncontainern und Zelten leben bei uns die Neuankömmlinge in Hotels; zur Zeit über 650 Menschen. Sammellager mit Gemeinschaftsverpflegung, die man zur Abschreckung eingerichtet-hat, wird es in Bremen auch nicht geben . . . Bei uns gibt es und wird es nicht geben eine Ausgabe von Wertgutscheinen, statt dessen erhalten Asylbewerber die Sozialhilfe ohne Abzüge in bar; -Sammelunterkünfte mit Gemeinschaftsverpflegung; statt dessen auch in größeren Unterkünften eigene Haushaltsführung. 1 Darüber hinaus schiebe Bremen im Gegensatz zu anderen Bundesländern weder Libanesen und Iraner in ihre Heimat noch Kurden in die Türkei ab. Und schließlich dürften die Asylbewerber in Bremen ohne besondere Genehmigung in einem Umkreis von 100 km frei reisen.“

Das Ausländeramt stand mit den steigenden Asylbewerberzahlen entsprechend unter Druck. Der Senat sah sich genötigt, im April 1989 acht zusätzliche Stellen zu schaffen. Die neuen Mitarbeiter sollten eingesetzt werden zur Bearbeitung von Asyl-und Asylfolgeanträgen, von Entscheidungen über Aufenthaltserlaubnisse und über Zuweisungen in andere Bundesländer Auch dieses zusätzliche Personal konnte das Problem allerdings nicht lösen. Der ungebremste Andrang -1990 wurden 3 649 Asylanträge gestellt -sowie akute Raum-knappheit und die sich daraus ergebende drangvolle Enge führten zu unhaltbaren Zuständen -bis hin zu tätlichen Auseinandersetzungen Trotz der unzureichenden Personalbesetzung im Ausländer-amt war im Oktober 1989 eine „Zentralstelle für die Integration zugewanderter Bürgerinnen und Bürger“ eingerichtet und mit 9. 5 Planstellen üppig ausgestattet worden.

Der „Bremer Flüchtlingsrat“ trat bei seiner Gründung dafür ein, Bremen zur „Freien Flüchtlings-stadt“ zu erklären, „in der kein Ausländer aufgegriffen, verhaftet und abgeschoben wird“. Der Landesvorstandssprecher der Grünen sprach sich bei dieser Gelegenheit dafür aus, „aktive Flucht-hilfe“ zu leisten. Er halte es für legitim, Menschen, die unter Krieg und Hunger, Folter und Gefangenschaft, politischer Verfolgung und Todesangst leiden, in die reiche, sichere Bundesrepublik zu holen Wenn man auch dem Konzept der „Freien Flüchtlingsstadt“ von offizieller Seite skeptisch gegenüberstand so wuchs doch der Druck in der SPD auf ihren Innensenator, neue Bremer Sonder-wege in der Asylpolitik zu beschreiten.

Der Kurdenerlaß

Tabelle 5: Straftaten mit besonders hoher Ausländerbeteiligung (ohne Illegale, Stationierungsstreitkräfte, Touristen/Durchreisende) im Jahr 1995 in Prozent

So kündigte Innensenator Bernd Meyer im März 1988 an, Bremen werde als Vorreiter abgelehnte Asylbewerber aus dem türkischen Kurdistan nicht ausweisen. Diese als „Kurdenerlaß“ in die Bremer Geschichte eingegangene Regelung vom 23. 2. 1988 sah vor, daß vor jeder einzelnen Abschiebung in die Türkei durch die zuständige Ausländerbehörde die Zustimmung des Senators für Inneres einzuholen sei. Im Juni 1988 wurde die Regelung auf kurdische Volkszugehörige aus Syrien und dem Irak ausgedehnt. Dabei wurden über die Frage der individuellen Prüfung eines Abschiebungshindernisses hinaus die Kurden als solche als duldungsberechtigt angesehen. Innensenator Meyer erklärte öffentlich, es müßten allerdings weiter Einzelfallprüfungen erfolgen, in denen der Betroffene glaubhaft machen müsse, daß ihm im Herkunftsland Verfolgung drohe. Diese Regelung ging dem SPD-Unterbezirksvorsitzenden Armin Stolle noch nicht weit genug: „Der Senator befürchtet wohl, bei einer bedingungslos erklärten Duldung könnten alle in der Bundesrepublik auf ihre Aufenthaltserlaubnis wartenden Kurden nach Bremen strömen.“ Dem könne aber begegnet werden, indem zumindest die SPD-regierten Bundesländer für ähnliche Regelungen gewonnen würden

Die Anzahl der ausgesprochenen Duldungen für Asylbewerber türkischer Staatszugehörigkeit stieg denn auch von 1988 auf 1989 um mehr als das Doppelte. Der Kurdenerlaß traf nicht nur in der CDU auf scharfe Kritik, da gleichzeitig der Heroinhandel sich fest in kurdisch-türkischer Hand befand. Kritische Stimmen kamen auch vom Senator für Justiz; dessen Sprecher beklagte: „Der Erlaß hat zum Beispiel fatale Folgen für den Strafvollzug, da festgenommene Drogenhändler nicht abgeschoben, sondern zu Drogenabhängigen in die Untersuchungshaft gesteckt werden.“

Der Kurdenerlaß wurde am 12. 1990 aufgehoben, da das 1991 in Kraft tretende neue Ausländergesetz derartige Regelungen nur im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern vorsah. Damit ergebe sich auch, so hieß es, die Möglichkeit, schneller und konsequenter gegen Drogenhändler vorzugehen. Der im Februar 1991 begonnene Golfkrieg ließ allerdings auch hier keine grundsätzliche Änderung zu. So beschloß die Innenministerkonferenz (IMK) im Mai 1991, bis zum 1. 10. 1991 einen Abschiebestop zu erlassen. Am 8. 4. 1992 erließ Bremen erneut einen Abschiebestop für Kurden -ohne Beschluß der IMK -, der auf sechs Monate beschränkt war. Im Juli 1994 beschloß der Senat erneut einen bis zum 31. 10. 1994 befristeten Abschiebestop für Kurden aus den zehn Notstandsprovinzen der Südosttürkei.

Nach dem Ausländergesetz gilt, daß ausreisepflichtig ist, wer das Asylverfahren durchlaufen hat und rechtskräftig abgelehnt wurde. Er hat die Pflicht, an seiner Ausreise mitzuwirken. Wer nicht freiwillig das Land verläßt, wird nach einer Abschiebungsandrohung in Abschiebehaft genommen. Die Konsequenzen aus dieser Rechtslage sind in Bremen nur halbherzig gezogen worden. Eine Abschiebegruppe wurde im Frühjahr des Wahljahres 1991 auf Anweisung des damaligen Senators für Inneres gebildet, ohne daß zunächst dafür Planstellen oder zusätzliche Mitarbeiter zur Verfügung gestellt worden waren. Diese Gruppe hatte die Aufgabe, vollstreckbare ausländer-und asyl-rechtliche Abschiebungsverfügungen zwangsweise durchzusetzen. Nachdem das Phänomen der betrügerischen „Mehrfachidentität“ (Asylantragstellung unter verschiedenen Namen) immer größere Ausmaße angenommen hatte, wurde die Abschiebe-gruppe auch beauftragt, die sich daraus ergebenden asyl-und ausländerrechtlichen Aufgaben in enger Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei und dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wahrzunehmen.

Wende: Wahlkampf ‘ 91

Tabelle 6: Anteil von Ausländern und Asylbewerbern an der Kriminalität in der Stadtgemeinde Bremen 1995

Diese Ausländerpolitik war dem Wähler nur schwer zu vermitteln. Plötzlich galten all die früheren wohlmeinenden Worte nicht mehr, und Bürgermeister Wedemeier trat die Flucht nach vorne an: Die große Zahl der Asylbewerber, Aus-und Übersiedler mache eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften nun doch nötig, auch Bunker müßten genutzt werden. Am 15. 6. 1991, drei Monate vor der Bürgerschaftswahl, trat Wedemeier mit einem Paukenschlag an die Öffentlichkeit: Asylbewerber sollten nur noch in Sammelunterkünften untergebracht werden, nur noch Gemeinschaftsverpflegung und einen geringen Bargeldanteil erhalten. Außerdem solle die „halborganisierte Kriminalität vor allem der Roma“ entschlossen bekämpft werden 17.

Am 16. 7. 1991 beschloß der Senat eine Reihe von Sofortmaßnahmen: Danach sollte die Erstaufnahme von Antragstellern, die von Bremen aus 28das Verfahren mit anschließender Umverteilung durchlaufen, auf künftig 300 pro Monat beschränkt werden. Alle darüber hinaus Ankommenden sollten direkt an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf verwiesen werden. Von polnischen und rumänischen Staatsbürgern sollten überhaupt keine Asylanträge mehr angenommen werden. Für die Erstunterbringung sollten nur noch Gemeinschaftsunterkünfte mit Gemeinschaftsverpflegung bereitgestellt werden. Ferner hieß es in dem Beschluß, daß die Polizei verstärkt tätig werden solle „in den Gebieten, in denen aufgrund der Unterbringung von Asylbewerbern die Kriminalität zugenommen hat“.

Dieses geradezu panikartige Verhalten ignorierte nicht nur alle bisher in der Bremer SPD gehegten Grundsätze, sondern nahm auch bewußt einen Verstoß gegen geltendes Recht in Kauf, denn alle beim Bremer Ausländeramt gestellten Anträge mußten dort auch entgegengenommen werden. Darauf verwies nicht nur das Bundesinnenministerium, sondern auch das Bremer Verwaltungsgericht, das lediglich auf den eindeutigen Gesetzes-text verwies Wedemeier zeigte sich allerdings ungerührt von den Vorhaltungen: „Wir sind im Augenblick nicht in der Lage, das Asylverfahrensgesetz zu erfüllen -Gesetze muß man auch einhalten können.“

Eine Woche vor der Wahl erklärte er, die Bereitschaft und Fähigkeit der Bevölkerung zur Integration von Asylbewerbern dürfe nicht überstrapaziert werden Woher die Anziehungskraft'Bremens rührte -darauf wurde nicht eingegangen, auch nicht darauf, daß die „Bremer Linie“ gescheitert war.

Von Nutzen war diese Art des Wahlkampfes für die Bremer SPD nicht. Bei den Bürgerschaftswahlen am 29. 9. 1991 erlebte sie ein Debakel: Ihr Stimmenanteil sank von 51 Prozent auf 38, 3 Prozent. Die DVU kam mit 5, 38 Prozent in die Bürgerschaft. Die Einbrüche zumal in den Hochburgen der SPD . waren signifikant Wahlanalysen ließen deutlich werden, daß die Wahlentscheidung für die DVU nicht unwesentlich mit dem Ausländeranteil in den jeweiligen Wohnbezirken zusammenhing

Die Auseinandersetzungen gingen in den Jahren nach der Bürgerschaftswahl weiter. Auch die Schaffung von Sammelunterkünften sorgte für Konflikte. Die Entscheidung des Senats vom März 1993, ein Wohnschiff für 400 Asylbewerber im Kohlehafen im Stadtteil Gröpelingen vor Anker gehen zu lassen, führte zu schweren Auseinandersetzungen in der SPD. Da die Mitglieder des Orts-beirates zunächst damit gedroht hatten, ihre Arbeit in dem Gremium ruhen zu lassen, versuchte die Bremer SPD-Spitze verzweifelt, einen neuen Standort zu finden. In der Debatte hatte der frühere Bürgermeister Koschnik darauf aufmerksam gemacht, „daß einstige SPD-Hochburgen in der Vergangenheit die Hauptlast der Zuwanderung tragen mußten. Damit habe man das eigene Klientel verprellt und dem politischen Gegner geholfen.“

Nachdem sich der neue , Ampel-Senat', gebildet aus SPD, Bündnis ’ 90/Die Grünen und FDP, doch auf den ursprünglichen Liegeplatz des Wohnschiffes festgelegt hatte, traten neun von zehn Beirats-mitgliedern aus der SPD aus. Der SPD-Landesvorstand sprach von einer „tiefen politischen Vertrauenskrise“, die diese Entscheidung herbeigeführt habe „Die Folge ist eine schwerste Schädigung der SPD in einer ihrer Hochburgen“, erklärte der SPD-Landesvorsitzende Kunick Gewalttätige Proteste aus der „autonomen’ Szene und die Weigerung vieler Flüchtlinge, auf das Wohnschiff zu ziehen, steigerten den Unmut der Bevölkerung. Schließlich wurde nur die Hälfte der insgesamt 400 Plätze auf dem Schiff belegt.

Die Diskussion um die Änderung des Asylrechts

Tabelle 7: Anteil von Asylbewerbern an der Kriminalität nach Deliktsfeldem in der Stadtgemeinde Bremen Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik des Landes Bremen 1995.

Die Konflikte innerhalb der Bremer Sozialdemokraten zum Asylrecht ließen die Spannungen zwisehen machtbewußten Pragmatikern, die sich noch ein Gespür für die Realität und die Sorgen der Mehrheit der Bevölkerung bewahrt hatten, und jenen Ideologen und Illusionisten, die Deutschland zum Einwanderungsland machen wollen, mehr als deutlich werden. In einer Fragebogen-Aktion im Bremer Stadtteil „Neue Vahr“ ließen die zahlreich zurückgeschickten Bögen nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: „Die Mehrheit der Einsendenden will nicht, daß Deutschland ein Einwanderungsland wird, und ist der Meinung, daß nur deshalb so viele in unser Land kommen, weil sie hier zu gut versorgt werden. Außerdem erwartet man, daß die, die hier sind, sich anpassen, und daß die politisch Verantwortlichen mehr gegen die Kriminalität tun“, hieß es in einem Bericht zu den Ergebnissen der Umfrage Der Landesvorstand der Bremer SPD sprach sich zwar dafür aus, sozial Schwache von zusätzlichen Belastungen zu verschonen, lehnte eine Änderung des Artikels 16 GG aber ab und sprach sich für ein „Einwanderungsgesetz“ neben dem Asylrecht aus.

Nur mit Rücksicht auf die Koalitionsvereinbarung der Ampel-Regierung verzichtete der Senat auf eine Zustimmung zur Asylrechtsänderung im Bundesrat und enthielt sich der Stimme. Wedemeier selbst hatte sich für eine Änderung des Grundgesetz-Artikels 16 ausgesprochen und eine Harmonisierung des europäischen Asylrechts gefordert Er betonte auch, „daß viele Parteimitglieder und Wähler das Thema , Zuwanderung von Armutsflüchtlingen 1 teilweise völlig anders bewerteten als Funktionäre der SPD“ Kritik mußte er dafür vom SPD-Landesvorsitzenden Isola einstecken, der ihm vorwarf, er „belaste die Arbeit der Ampelkoalition durch die von ihm unnötigerweise losgetretene Debatte über das Asylrecht. Dieses Verhalten ist der Koalition gegenüber geradezu fahrlässig.“

Unterstützung fand der Bürgermeister bei Helmut Kauther, dem der SPD angehörenden damaligen Staatsrat beim Senator für Inneres. Die Politik habe versagt, sie habe Ängste der Bevölkerung vor zu vielen Ausländern nicht ernst genommen. „Wir haben nicht die richtigen Konsequenzen daraus gezogen, daß nach wie vor eine große Mehrheit der Deutschen will, daß politisch Verfolgte Asyl erhalten, daß sie es aber nicht akzeptiert, daß viele -zu viele -ohne politisch verfolgt zu sein, -ins Asylverfahren drängen.“ Der Landesparteitag der SPD stimmte gleichwohl mit mehr als 90 Prozent gegen jede Änderung des Asylrechts, wie sie inzwischen selbst von der Bonner Parteispitze befürwortet wurde. Das desolate Bild wird vervollständigt durch die Tatsache, daß der SPD-Landes-vorsitzende Isola beim Bundesparteitag dann für die Änderung des Grundgesetzartikels stimmte

Berechenbare Ausländerpolitik

Die Zeiten haben sich gewandelt. Mit der gemeinsam von Union, FDP und SPD getragenen Änderung des Asylrechts im Bundestag haben die Auseinandersetzungen zwischen den großen Parteien nachgelassen. Realistische Politiker aus allen Parteien wissen, daß die Frage der Akzeptanz politischer Entscheidungen bei der Mehrheit der Bevölkerung auch in der Ausländer-und Asylpolitik nicht ausgeblendet werden darf. Ausländer eignen sich nicht als „Ersatzproletariat der deutschen Linken“ Die Bevölkerung ist bereit, Lasten zu tragen -Bremen wendete allein 1995 an Leistungen für Asylbewerber (nach dem Asylbewerberleistungsgesetz) und für Bürgerkriegsflüchtlinge 95, 18 Millionen Mark auf -, will aber nicht überlastet werden. Dies ist im übrigen kein spezifisch deutsches Phänomen, wie ein Blick über die Grenzen lehrt. Verantwortlich handelnde Politiker wissen auch, daß Ausländerpolitik berechenbar sein muß und nicht nach politischen Opportunitätserwägungen die Gesetzeslage -oder die gesellschaftlichen Realitäten -ignorieren darf. Nichtsdestoweniger hat sich das politische Klima in der Ausländerpolitik nur sehr wenig entspannt. Die Demonstrationen und die Gewalttätigkeiten, die die Änderung der Asylgesetze im Sommer 1993 begleiteten, vermittelten ein Bild von dem Spektrum der Grüppchen und Großorganisationen, die das geltende Asylrecht als unmenschlich’ ablehnen: Sie reichen von Repräsentanten der beiden großen christlichen Kirchen bis zu linksradikalen und linksextremen Gruppen. Für die Wirkung ist nicht die Anzahl der jeweiligen Anhänger entscheidend, sondern die Resonanz in den Medien.Dies schafft politischen Druck und Spannungen, die den politischen Konsens über die prinzipielle Legitimität staatlichen Verwaltungshandelns und der Rechtsprechung zunehmend in Frage stellen.

In der Bevölkerungsmehrheit ist es unstrittig, daß Deutschland kein Einwanderungsland sein kann und deshalb der unbegrenzte Zustrom von Asylbewerbern steuerbar werden mußte. Von dieser Erkenntnis waren auch die Parlamentarier geleitet, die der Asylrechtsänderung im Bundestag zustimmten. Die Legislative hatte den politischen Druck zu spüren bekommen. Ständig mit ihm fertig werden muß aber die Exekutive, die die Asyl-gesetzgebung umzusetzen hat. Allein beim Verwaltungsgericht Bremen waren zum 31. 12. 1995 nicht weniger als 2 174 Asylklagen anhängig. 80 bis 90 Prozent der Fälle werden erfahrungsgemäß abschlägig beschieden. Die Ausländerämter sind dann gehalten, vollstreckbare ausländerrechtliche Abschiebungsverfügungen durchzusetzen.

Die Mitarbeiter des Ausländeramtes arbeiten dabei unter erschwerten Bedingungen, weil zahlreiche Verwaltungsakte im Brennpunkt tagespolitischer und grundsätzlicher politischer sowie ideologischer Auseinandersetzungen stehen. Der normale Gesetzesvollzug wird den Mitarbeitern dadurch sehr häufig in erheblicher Weise erschwert. Die Beachtung und Einhaltung von geltenden Gesetzen -an sich sollte das etwas Selbstverständliches sein -wird für den einzelnen in der Entscheidungsverantwortung stehenden Mitarbeiter des Ausländeramtes häufig zu einer wahren Mutprobe, weil er oftmals vor der Öffentlichkeit von interessierter Seite verantwortlich gemacht wird für etwaige Härten für die Betroffenen. Das ist aber ein Zustand, den es in einem Rechtsstaat nicht geben sollte. Dies gilt insbesondere bei notwendigen Abschiebemaßnahmen für erfolglos gebliebene Asylbewerber, wenn Mitarbeiter der Ausländerfeindlichkeit'und , Menschenverachtung'bezichtigt werden. Hier ist die besondere Unterstützung der Politiker gefordert.

Jeder Politiker, der Verantwortung für die Innenpolitik eines Bundeslandes trägt, weiß -unabhängig von der Parteizugehörigkeit was es heißt, medienwirksamen Kampagnen gegen die Abschiebung einzelner ausgesetzt zu sein: Da helfen keine Hinweise auf Verwaltungs-und Oberverwaltungsgerichte, die einen Asylantrag abgelehnt haben, keine Hinweise darauf, daß eine Behörde ihr Handeln am Gesetz auszurichten habe, daß das Ausländer-und Asylrecht Bundesrecht ist, an das die Länderinnenbehörden gebunden sind. Schließlich ergibt ein Asylrecht nur dann Sinn, wenn diejenigen, die sich nach ausgiebiger rechtlicher Prüfung im Gastland zu Unrecht darauf berufen, auch veranlaßt werden, das Land wieder zu verlassen. Gegen die Behauptung, da werde jemand , in den Tod'abgeschoben, ist in der Öffentlichkeit kaum zu argumentieren. Diesem Druck von Seiten der Politik und der Medien standzuhalten ist die Aufgabe der politisch Verantwortlichen. Gefährlich für die politische Stabilität eines Gemeinwesens wird es aber dann, wenn dem Handeln von Justiz und Verwaltung öffentlich zunehmend die Legitimität abgesprochen wird und es nur noch darum geht, angeblich unmenschliches oder gar , faschistisches'Handeln von Behörden zu , entlarven'.

„Kirchenasyl“

Ein augenfälliges Beispiel für die Verkennung der Bedeutung von Gesetzen ist das „Kirchenasyl“. In einem Rechtsstaat ist die Gewährung von Asyl allein die Sache des Staates und nicht der Kirchen. Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß die Gewährung von „Kirchenasyl“ Rechtsbruch ist, denn wer zur Ausreise verpflichtet ist und dieser Verpflichtung nicht nachkommt, der macht sich nach § 92, Absatz 1 des Ausländergesetzes strafbar. Wer diese Ausländer zum Verbleiben anstiftet oder ihnen dazu Hilfe leistet, macht sich beispielsweise dann strafbar, wenn er dies wiederholt oder zugunsten von mindestens sechs Personen unternimmt. Außerdem kann er sich noch wegen Strafvereitelung strafbar machen. In Deutschland werden humanitäre Fragen im Asylverfahren in einer weltweit einmaligen und äußerst sorgfältigen Weise geprüft. In keinem anderen Land der Welt werden Asylverfahren derart präzise, kostenaufwendig und rechtsstaatlich betrieben. Niemand kann also der Justiz in Fragen der Asylrechtspraxis leichtfertiges Urteilen unterstellen. Auch die Ausländerbehörden prüfen in jedem Einzelfall das Vorliegen von Abschiebungshindernissen.

Es muß daher auch von den Kirchenleitungen erwartet werden können, daß sie nach rechtsstaatlichcn Maßstäben getroffene Asylentscheidungen respektieren. Im demokratischen Rechtsstaat gelten Gesetze für alle Individuen und Gruppen gleichermaßen. Wer sich gegen die Regeln des Rechts wendet und dies mit dem höheren Recht der eigenen, vermeintlich moralisch besseren Sache begründet, der stellt den Rechtsstaat in Frage. Eine moralische Selbstermächtigung, darüber zu entscheiden, welche Gesetze in einem Rechtsstaat zu akzeptieren sind und welche nicht, kann und darf es nicht geben -egal um welche gesellschaftliche Gruppe cs sich handelt. Niemand darf sich anmaßen, von Fall zu Fall den Rechtsstaat mißachten zuwollen. Wem das geltende Recht nicht paßt, der muß sich Mehrheiten für eine Änderung suchen. Das ist die Grundlage jeder rechtsstaatlichen Demokratie. Nur wenn diese Grundlagen allgemein akzeptiert werden, kann auf Dauer der gesellschaftliche Frieden gewahrt werden. Der Konsens darüber sollte nicht in Frage gestellt werden.

Kriminalität von Ausländern und Asylbewerbern

Zur Darstellung der Kriminalität und der Kriminalitätsbelastung einzelner Bevölkerungsgruppen wird im allgemeinen die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) herangezogen, weil sie die wohl umfangreichste und differenzierteste einschlägige Informationssammlung darstellt. Ausländerkriminalität wird darin stets zur Kriminalität der Gesamtbevölkerung in Beziehung gesetzt, um Einschätzungen zu ermöglichen. Bei einem Vergleich der ausländischen Wohnbevölkerung mit der deutschen sind schon wegen des Dunkelfeldes der nicht ermittelten Täter in der PKS bestimmte Verzerrungsmomente zu berücksichtigen. Zudem enthält die Bevölkerungsstatistik bestimmte Ausländergruppen nicht, die aber in der Kriminalstatistik als Tatverdächtige gezählt werden. Dazu gehören ausländische Touristen, Angehörige von Stationierungsstreitkräften und illegal sich in Deutschland aufhaltende Personen.

Zu berücksichtigen ist weiterhin der Anteil ausländerspezifischer Delikte wie Straftaten gegen das Ausländer-und Asylverfahrensgesetz, die in der Regel von Deutschen nicht begangen werden.

Insgesamt ist festzustellen, daß ausländische Tat-verdächtige statistisch sowohl in der Gesamtkriminalität als auch in wichtigen Deliktsfeldern im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung überrepräsentiert sind und daß sie in einzelnen Delikten sogar den überwiegenden Teil der Tatverdächtigen stellen (Tabellen 4 und 5).

Bei insgesamt 562 Tatverdächtigen gegen das Ausländer-und Asylverfahrensgesetz werden 270 Verstöße Asylbewerbern zugerechnet (48, 0 Prozent). Die Gruppe der Asylbewerber stellt somit 9, 0 Prozent aller in Bremen ermittelten und 31, 8 Prozent aller ermittelten ausländischen Tatverdächtigen. Läßt man die Verstöße gegen das Ausländer-und Asylverfahrensgesetz außer acht, so ergeben sich Anteile von 7, 9 Prozent bzw. 29, 9 Prozent. Bei diesen Zahlen ist zu berücksichtigen, daß der Anteil der Asylbewerber und geduldeten Flüchtlinge (ohne Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien) mit 5 835 Personen an der Bremer Wohnbevölkerung etwa 1, 06 Prozent beträgt.

Die Tabellen 6 und 7 zeigen, daß die Tatverdächtigenbelastung der Gruppe der Asylbewerber sehr hoch ist. Sie unterscheidet sich damit frappierend von der Belastung solcher Ausländergruppen, die in geklärten und sicheren aufenthaltsrechtlichen Verhältnissen leben. Angemerkt werden muß, daß es unter den Asylbewerbern kleinere Gruppen gibt, bei denen das Begehen von Straftaten vorrangiges Ziel der Einreise in die Bundesrepublik ist (dazu gehören u. a. Drogenhändler). Sie belasten die Gesamtgruppe der Asylbewerber stark. Erfahrungen der Ausländerbehörden besagen auch, daß dagegen die Kriminalitätsbelastung bei anerkannten Asylbewerbern in der Regel sehr niedrig ist.

„Mehrfachidentitäten“

Mißtrauen gegenüber Ausländern oder gar Ausländerfeindlichkeit wird auch dadurch geschürt, daß politisch Verantwortliche Zustände dulden oder zulassen, die dazu führen, daß Mißbrauch getrieben wird und daß bei der Bevölkerung der Eindruck entsteht, daß hier ganz gezielt von einer Minderheit das Sozialsystem mißbraucht wird. Ein Beispiel dafür ist das Problem der sogenannten Mehrfachidentitäten -also Fälle, in denen Täter unter mehreren Identitäten Asylanträge stellen und eventuell mehrfach Sozialleistungen beziehen.

Als die CDU-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft im März 1992 dieses offenkundige Problem auf die Tagesordnung setzte und die Einleitung von Gegenmaßnahmen forderte, wurde von SPD-Abgeordneten der 'Vorwurf erhoben, „durch Anträge zur Asylpraxis die Unruhe in der Bevölkerung über reale und vermeintliche Probleme mit den Zuwanderern, komme was da wolle, am Leben zu erhalten“ Der SPD-Staatsrat beim Senator für Soziales, Hoppensack, stellte den CDU-Antrag in einen „geistigen Zusammenhang“ mit der in der Bürgerschaft vertretenen rechtsextremen DVU

Nicht nur die Existenz dieses Problems wurde damit geleugnet -es gebe vielmehr auch keine Möglichkeit, einen Mehrfachbezug von Sozialhilfe zu verhindern. Die Grünen sprachen von einer „hysterischen Überreaktion“ der CDU Trotzdieser realitätsfremden Abwehrhaltung setzt die Polizei in Bremen seit Oktober 1992 spezielle Ermittlungsgruppen gegen diese strafrechtlichen Mißbräuche ein. Allein in der Stadt Bremen wurden seit November 1992 bis August dieses Jahres 2 455 Tatverdächtige mit insgesamt 5 388 genutzten Identitäten festgestellt. Vom 1. 11. 1994 bis April 1996 belief sich die Schadenssumme, verursacht durch die ermittelten und verhafteten Personen, auf mehr als 2, 1 Millionen Mark.

Organisierte Rauschgiftkriminalität kurdischer Asylbewerber

Seit Jahren wird der Heroinhandel in Bremen von türkischen Staatsbürgern kurdischer Volkszugehörigkeit beherrscht, die vorwiegend aus den ostanatolischen Provinzen Elazig und Bingöl stammen. Sie verfügen über enge Verbindungen im gesamten Bundesgebiet -von Bremen aus insbesondere nach Hamburg, ins Ruhrgebiet und nach Baden-Württemberg. Die Hintermänner sitzen größtenteils in der Türkei und sind deshalb für die deutsche Justiz schwer faßbar. Teilweise ist bei den Kurden auch der Handel mit Kokain feststellbar.

Die kurdischen Rauschgiftorganisationen planen sehr präzise die Transporte über verschiedene Routen aus der Türkei nach Europa, insbesondere über die Balkanroute, die sich durch die politischen Veränderungen im ehemaligen Jugoslawien weiter nach Nordosten verlagert hat. Auf veränderte Taktiken der Polizei und des Zolls an den Grenzen reagieren sie schnell und flexibel. Die Trägheit eines Behördenapparats über Grenzen hinweg -auch in das westeuropäische Ausland -macht es den international agierenden Gruppierungen leicht, die Transporte relativ ungefährdet durchzuführen. Erste positive Ansätze zur Behebung dieses Mißstandes wurden durch die Schaffung der Europäischen Drogenstelle (EDU) und durch das Schengener Informationssystem (SIS) erreicht.

Bei Festnahmen werden Mitglieder dieser Organisationen unterstützt und die Familien betreut, während aussagewillige Mitarbeiter mit erheblichen Sanktionen gegen sich und ihre Familie zu rechnen haben. Ein Eindringen in höhere Ebenen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ist für Ermittler fast nicht mehr möglich. Der Nachwuchs wird bereits in den entsprechenden Provinzen rekrutiert und dort mit dem nötigen Wissensstand bezüglich der „Arbeit“ hier und dem Ablauf des zu stellenden Asylantrags sowie der rechtlichen und personellen Unterstützung durch hiesige deutsche Gruppen vertraut gemacht.

Der Straßenhandel mit Kokain dagegen wird von Asylbewerbern aus afrikanischen Ländern beherrscht. Sie haben im vergangenen Jahr nach Erkenntnissen der Bremer Polizei erstmals auch deutsche Konsumenten als Kundenbeschaffer und Zwischenhändler eingesetzt. Eine gewisse Organisationsstruktur scheint auch bei den im Kokain-handel tätigen Schwarzafrikanern vorzuliegen. Indikatoren hierfür sind die mit falschen Personalien versehenen echten Pässe der Tater. Teilweise wird mit diesen Pässen auch die richtige Nationalität verschleiert. Ein Teil der Asylbewerber gibt bei der Ausländerbehörde an, keinen Paß zu besitzen. Die Dokumente werden bei der Einreise vernichtet oder versteckt. Eine Identifizierung -und Rückführung -wird dadurch wesentlich erschwert oder gar unmöglich gemacht. '

Bei den Rauschgiftdelikten -ohne Berücksichtigung der direkten Beschaffung -betrug der Anteil ausländischer Tatverdächtiger im vergangenen Jahr 31, 0 Prozent (675 von insgesamt 2 186 Tatverdächtigen); er ist damit seit 1993 zum ersten Mal wieder zurückgegangen (1993: 36, 5 Prozent; 1994: 37, 2 Prozent). Der Anteil der türkischen Staatsbürger an den ausländischen Tatverdächtigen beim Rauschgifthandel und -schmuggel betrug 1995 46, 8 Prozent; die zweitgrößte Gruppierung stellen Angehörige schwarzafrikanischer Staaten dar (Ghana, Gambia, Nigeria, Liberia, Senegal) mit einem Anteil von 15, 5 Prozent. Der Anteil der Asylbewerber an den ausländischen Tatverdächtigen beim Rauschgifthandel und -schmuggel betrug im zurückliegenden Jahr 66 Prozent. Bei Konsum und Besitz lag er bei 47 Prozent. Dies sind besorgniserregende Zahlen.

In einem internen Bericht der Polizei werden deren wachsende Probleme auf diesem Gebiet dargestellt: „Das arbeitsteilige Vorgehen bei den ausländischen Tätergruppierungen hat sich weiter verfeinert. Konspirative Arbeitsweisen sind bis in den Kleinhandel zu beobachten und erschweren die polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten sowie die Beweisführung erheblich. Aussagen werden auf allen Ebenen verweigert. Der Anreiz für umfassende Aussagen ist im Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe gering. Ein weiterer Grund für die Aussageverweigerung ist neben der ethnischen Verbundenheit bei den Tätern auch die Furcht vor Repressalien gegen die eigene Person und die Familie im Heimatland. Ein Zeugenschutz wirft hier erhebliche Probleme auf, da dieser im Normalfall an der Grenze der Bundesrepublik endet. . . Zudem ist erkennbar, daß sich insbesondere die kurdischen Tätergruppierungen in Verkaufsver handlungen gezielt auf Polizeitaktiken eingestellt haben ... Hinzu kommt, daß die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte sehr kurzfristig geändert und flexibel angepaßt wird.“

Hohe Straftatenanteile in sicherheitsrelevanten Bereichen, die den Bürger sehr stark belasten, sind deutliche Alarmzeichen, die ernst genommen werden müssen. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, daß die in unserer Gesellschaft integrierten Ausländer nur ähnlich hoch mit Kriminalität belastet sind, wie die deutsche Bevölkerung. Die hohe Gesamtbelastung der Ausländer geht auf die Problem-gruppen zurück. Das sind neben den Jugendlichen aus der „ 3. Generation" insbesondere die Asylbewerber.

Lösungsansätze

Es gibt durchaus konkrete Möglichkeiten, der zunehmenden Gefährdung von Staat und Gesellschaft zu begegnen:

Wir müssen die Integrationsbemühungen, insbesondere aut jugendliche Ausländer bezogen, fortsetzen und verstärken.

Die Einstellung von Ausländern bzw. Bewerbern ausländischer Herkunft in die Polizei muß gefördert werden. Spezielle Vorbereitungskurse für junge Ausländer, die auf die Einstellungsprüfungen bei der Polizei vorbereiten, sollten angeboten werden

Möglichkeiten zur Beschleunigung von Asyl-verfahren müssen genutzt werden, damit über den aufenthaltsrechtlichen Status so rasch wie möglich entschieden werden kann. Hier ist in erster L inie an eine bessere personelle Ausstattung der Asylkammern der Verwaltungsgerichte zu denken.

Gegen ausländische Mehrfach-oder sogar Intensivtäter muß konsequent strafrechtlich und mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorgegangen werden. Das wird nicht nur von der deutschen, sondern gerade auch von der ausländischen Bevölkerung erwartet, die sich zum überwiegenden Teil rechtstreu verhält.

Wir müssen die Polizei finanziell besser ausstatten sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen, z. B. hinsichtlich der akustischen Raumüberwachung, erweitern, damit die Polizei in die Lage versetzt wird, den Herausforderungen wirkungsvoller zu begegnen. Wir werden Abschied nehmen müssen von der Vorstellung, daß in Fragen der Inneren Sicherheit wie in den zurückliegenden Jahrzehnten stets zugunsten der Liberalität entschieden werden kann. Eine umfassende polizeiliche Zusammenarbeit ist in einem Europa ohne Binnengrenzen und in einer Zeit weltweit operierender Drogenkaiteile und Menschenhändlerringe unverzichtbar. Die Internationalisierung des Verbrechens ist eine Herausforderung, die die Staaten der Europäischen Union durch eine Harmonisierung ihrer Innen-und Rechtspolitik beantworten müssen. Die nationalen Vorbehalte sind hier teilweise allerdings noch sehr groß. Der Problemdruck wird jedoch ständig wachsen. Die Widerstände gegen eine weitgehende Vergemeinschaftung der Innen und Rechtspolitik werden sich auf Dauer aber sicher nicht aufrechterhalten lassen.

Keine Illusionen in der Ausländerpolitik

In kaum einem anderen Feld der Politik wie der Ausländer und Asylpolilik existiert eine derartig große Kluft zwischen der veröffentlichten Meinung in den allermeisten Medien einerseits und der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung andererseits. Die SPD hatte das in den zurückliegenden Jahren über die Wahlentscheidungen am deutlich sten zu spüren bekommen erhielten doch die rechtsradikalen und rechtsextremen Parteien und Gruppen, die ausländerfeindliche Parolen auf ihre Fahnen geschrieben hatten, nicht nur in Bremen wesentlichen Zuspruch aus der Arbeiterschaft, aus Kernzonen des SPD-Wählerreservoirs. Wer sich weigert, die offenkundigen Probleme, die eine hohe Zahl an Ausländern mit sich bringt, wahrzunehmen, erweist sich letztendlich als politikunfähig und wird die Quittung an den Wahlurnen bekommen. Geradezu fatal ist es. wenn jede offene Debatte zu diesem Komplex durch Setzung von Tabus unterbunden werden soll

Wer ein Tabu berührt, begibt sich in Gefahr ent weder setzt er sich dem Verdacht aus. die schein bar vorhandene „latente Ausländerfeindlichkeit" der Deutschen zu fördern, oder er wird unmittelbar als „Ausländerfeind“, als „geistiger Brandstifter“ gebrandmarkt und auf diese Weise aus der öffentlichen Debatte ausgegrenzt. Wenn sich etwa Anwohner aus Furcht vor nachweislichem Drogenhandel im Umfeld eines Heimes für Asylbewerber ohne aggressive Untertöne an die Öffentlichkeit wenden und auf ihre Sorgen aufmerksam machen und solcher Protest von Alt-68ern und anderen als „Rückendeckung für Brandstifter“ bezeichnet wird, werden Bedrohtheitsgefühle schlicht ignoriert und Menschen verunglimpft. Wird solches Verhalten üblich, so liegt es auf der Hand, daß das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit von Politik -und der demokratischen Parteien insgesamt -nicht gestärkt wird.

Solche Versuche, der Probleme durch Realitätsverweigerung Herr zu werden, werden immer wieder unternommen: So hat der CDU-Politiker Heiner Geißler mehrfach vorgeschtagen, das Kriterium des Ausländers („nichtdeutschen Tatverdächtigen“) aus der Polizeilichen Kriminalstatistik zu entfernen. Amtliche Stellen, so Geißler, verbreiteten „statistische Lügen“ und förderten das „Klischee: Ausländer sind krimineller als Deutsche“ Dabei würde aber die Polizei zum ersten sich eines wichtigen Instruments der mittel-und langfristigen Kriminalitätsbekämpfung begeben, auch die Gestaltung geeigneter Maßnahmen der Prävention würde erschwert. Zum zweiten halte ich die Wählerinnen und Wähler für intelligent genug, auch mit interpretationsbedürftigen Statistiken sachgerecht umzugehen. Zum dritten schließlich ist der Versuch, eine öffentlich behauptete Wirklichkeit gegen die erlebte Wirklichkeit -die Ausländerkriminalität -zu stellen, zum Scheitern verurteilt. Das mußten in diesem Jahrhundert schon andere erleben. Solche untauglichen Versuche geistiger Manipulation und Bevormundung helfen niemandem weiter. Wer Zuwanderung kritisiert, ist nicht per se Rassist -solche ideologischen Versuche, die öffentliche Debatte zu ersticken oder zumindest einzuschränken, können wir uns angesichts des Problemdrucks nicht mehr leisten Demoskopische Untersuchungen haben längst belegt, daß der Vorwurf, die Deutschen seien besonders oder zumindest „latent“ ausländerfeindlich, falsch ist und eher aus ideologischer Voreingenommenheit herrührt, als tatsächlich begründbar ist

Zukunftsfähige Politik muß sich stets um einen unverstellten Blick auf die Realität bemühen, sie muß die Wirklichkeit nüchtern wahrnehmen. Dazu gehört, die mit der Zuwanderung einhergehenden realen Probleme weder zu leugnen noch zu unterschätzen. Die Bremer Rechtsphilosophin Sibylle Tönnies, die sich in den siebziger und achtziger Jahren als dezidierte Linke einen Namen machte, hat in einem jüngst erschienenen bemerkenswerten Aufsatz sehr prägnant die soziale Dimension auf den Punkt gebracht und darüber hinaus kritisiert, daß die in der Bundesrepublik geführte Debatte über ausländerpolitische Fragen ideologisch voreingenommen und einseitig aus der Perspektive der selbsternannten Sinnvermittler’ und Sinnproduzenten’ geführt wird: „.. . in der bisherigen Diskussion wurde zu wenig darüber gesprochen, was der Ausländerzustrom für die Schichten bedeutet, die die Integration praktisch zu leisten haben . . . Solange wir ... in einer Gesellschaft leben (und das wird, wie es scheint, noch eine Weile der Fall sein), die unten und oben, arm und reich sehr wohl kennt, in der sich die Schere sogar immer weiter öffnet, müssen wir der Tatsache ins Gesicht sehen, daß die Ausländerfrage in den oberen Schichten anders aussieht als in den unteren. Die Neigung zur Multikulturalität ist eine , kultivierte“ Haltung, die die erfreulichen Seiten der Völkermischung würdigen kann, und sie liegt den gebildeten Schichten nahe, die vom unmittelbaren Existenzkampf relativ abgehoben sind. Als Bewohner der besseren Viertel einer Stadt kann man sehr wohl einen orientalischen Nachbarn, der ebenfalls wohlhabend und gebildet ist, als kulturelle Bereicherung schätzen; man kann auch die gesteigerte Farbenpracht und Geräuschentfaltung, die mit südlichen Mitbürgern einhergeht, würdigen -solange man nicht unter einer Wohnung mit einer achtköpfigen türkischen Familie lebt, sondern nur gelegentlich die pittoresken Aspekte der fremden Kultur erlebt und von der multikulturellen Wirklichkeit weit entfernt ist. Die unteren Schichten kommen tatsächlich durch einen zu hohen Ausländeranteil in Bedrängnis. Anders als die Oberschichten konkurrieren sie mit Ausländern um Wohnungen, Arbeits-und Kindergartenplätze; es sind ihre Kinder, die in der Schule und auf den Spielplätzen mit den etwas festeren Fäusten der Ausländerkinder zurechtkommen müssen .. . Man darf die Schwierigkeiten einer Kulturvermischung nicht leichtfertig unterschätzen. Eine solche Betrachtungsweise wird von den Freunden der Multikulturalität scharf zurückgewiesen und als vorurteilsbelastet bezeichnet. Die ökonomische Bedrückung, in die die deutschen Unterschichten mit steigendem Ausländeranteil kommen, wird geleugnet; die Rivalität auf dem Wohnungs-und Arbeitsmarkt wird ignoriert, die bedeutend höhere Kriminalitätsrate bei ausländischen Jugendlichen wird vertuscht, die ernsten Probleme in den Grund-und Hauptschulen, die Überforderung von Lehrern und Schülern in bestimmten Stadtteilen wird nicht beachtet -und in dieser Haltung drückt sich eine Geringschätzung aus, die von diesen empfindlich gespürt wird . . . Die Millionen Menschen, die zu dieser im Stich gelassenen Schicht gehören, fühlen sich nicht mehr beschützt von der Linken; sie spüren, daß die Intellektuellen sie heimlich verachten .. ."

Die nicht zu übersehende hohe Kriminalitätsbelastung bestimmter Gruppen von Ausländern läßt deutlich werden, daß eine Integration großer Teile der ausländischen Bevölkerung bisher nur sehr ungenügend gelungen ist. Hier stehen große ungelöste soziale Probleme für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie im Hintergrund. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir die Integrationsfähigkeit und -bereitschaft von Ausländern nicht überschätzen dürfen. So gibt es gerade in islamischen Bevölkerungsgruppen „ausgeprägte Isolierungstendenzen mit deutlicher Ablehnung einer Assimilation“ Der Islam hat zwar keine Inquisition gekannt, aber in seinem Kulturkreis auch keine Aufklärung, mit der in den westeuropäischen Staaten u. a. die Trennung von Staat und Kirche einhergegangen ist. Nicht zuletzt türkische Intellektuelle sind es, die vor der Gefahr aggressiver islamischer Mission in Deutschland und vor einem Übermaß an staatlicher Toleranz gegenüber diesen Gruppen warnen, bei denen auch starke antisemitische Untertöne nicht zu überhören sind. So heißt es in einem gemeinsamen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes beispielsweise zum „Verband der islamischen Vereine und Gemeinden“ (ICCB): „Die vom ICCB in Deutschland ausgehenden Gefahren dürfen nicht unterschätzt werden, da der Verband über eine breite Anhängerschaft verfügt und mit seiner Agitation zunehmend auf eine nicht unerhebliche Zahl türkischer Islamisten zählt, deren Verhalten schwer zu kalkulieren ist. Eine Mobilisierung dieser Kräfte in Deutschland birgt die Gefahr zunehmender Militanz in sich und könnte zu einer erheblichen Gefährdung der inneren Sicherheit führen. Bereits jetzt beeinträchtigt der ICCB mit seiner Agitation gegen die Türkei und Israel erheblich auswärtige Belange Deutschlands.“

Es ist keinesfalls weit hergeholt, daß islamisch orientierte Gruppen auch in Konkurrenz zu den christlichen Kirchen treten und in absehbarer Zeit vergleichbare Anerkennung fordern werden. Ob dann islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen erteilt werden wird bzw. muß, ist eine spannende Frage. Daß hier die gesellschaftliche Rolle der Frau eine gänzlich andere Bewertung erfahren wird, als hiesige Feministen und Gleichstellungsbeauftragte das einfordern, sei nur am Rande zum Thema „Multikultur“ bemerkt.

Die Gefahr einer Übertragung ethnischer Konflikte von Ausländern in die Bundesrepublik ist der Öffentlichkeit am deutlichsten geworden durch die Aktivitäten der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK). Die mit einem Betätigungsverbot belegte Vereinigung hat als straff und hierarchisch organisierte Kaderpartei wiederholt durch äußerst gewalttätige Demonstrationen und sogar durch Morde an Abtrünnigen von sich reden gemacht. Ihre Anschläge richten sich in erster Linie gegen türkische Einrichtungen. Die Erpressung von Spendengeldern bei in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürgern gehört zu den bedeutenden Finanzierungsquellen. Die PKK betätigt sich auch als Organisation, die Ausländer in die Bundesrepublik einschleust. Sie profitiert auch vom Drogenhandel Durch eine Reihe von Tarnorganisationen, denen sich immer wieder deutsche Sympathisanten und Strohmänner zur Verfügung stellen, hat man versucht, das Verbot der PKK zu unterlaufen.

Vor dem Hintergrund dieser hier nur überblicksartig benannten Problemfelder kann ich vor dem Ruf nach einer „multikulturellen Gesellschaft“ nur warnen. Dies zeigt auch ein Blick auf das klassische Einwanderungsland USA. Ausgerechnet dort haben in den vergangenen Jahren die Phänomene der „political correctness“ und der „affir-mative action“ von sich reden gemacht. Im Hintergrund stand dabei die Behauptung, daß die Entstehung einer amerikanischen Identität durch Integration gescheitert sei und die Diskriminierung nichtweißer Minderheiten weiterhin das gesellschaftliche Leben in den Vereinigten Staaten kennzeichne. An die Stelle des „melting pot“ solle daher die „multikulturelle Gesellschaft“ als Ideal, als Besinnung auf die eigene ethnische Herkunft, treten, verbunden mit der Abgrenzung gegenüber der herrschenden „weißen“ Kultur. Nicht erst die Rassenunruhen von Los Angeles haben deutlich gemacht, welche Sprengkraft in der Abkehr vom -Ziel der Integration für die amerikanische Gesellschaft liegt.

Weder ein Wahlrecht für Ausländer noch die prinzipielle Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft werden in Deutschland die Integrationschancen grundlegend verbessern, wie das immer wieder behauptet worden ist. Diese werden in Zeiten, die nicht durch länger andauernde Hochkonjunkturen gekennzeichnet sind, sondern vielmehr einen allgemeinen Ausbildungs-und Arbeitsplatzabbäu erwarten lassen, beständig schlechter Bundeskanzler Kohl hat darauf hingewiesen, daß Fragen der Inneren Sicherheit und der Asylpolitik spätestens um die Jahrtausendwende zu zentralen Themen werden. In Brüssel erklärte er im Mai dieses Jahres: „Wenn die europäischen Regierungschefs das nicht begreifen, brauchen sie nicht zur Wiederwahl anzutreten.“ 48 Dem ist nichts hinzuzufügen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Weser-Kurier vom 13. 2. 1982: „SPD gegen Asylanten-Lager“.

  2. Weser-Kurier vom 11. 12. 1982: „Landtag unterstreicht Kürzungen für Asylanten“.

  3. Weser-Kurier vom 22. 4. 1983: „Scherf: Die Wertmarken werden abgeschafft“.

  4. Weser-Kurier vom 19. 2. 1988: „Tag im Zeichen des Asyls“.

  5. Angaben des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge

  6. Weser-Kurier vom 13. 1. 1990: „Ausländeramt vor dem Kollaps“.

  7. Vgl. ebd.

  8. Weser-Kurier vom 8. 8. 1990: „Komisches Gefühl im Bauch der Behörde“.

  9. Ebd.

  10. Pressemitteilung des Senats vom 20. 2. 1989.

  11. Der Senat gab angesichts des öffentlichen Interesses andiesem Thema dazu eine ausführliche Pressemitteilung (Mitteilung vom 4. 4. 1989) heraus.

  12. Vgl. Weser-Kurier vom 13. 1. 1990: „Ausländeramt vor dem Kollaps“.

  13. Vgl. Weser-Kurier vom 3. 10. 1986: „Flüchtlingsrat will wahre Offenheit“.

  14. „Als Politiker muß ich das bremische Gesamtinteresse im Auge haben. So hart Not und Elend von Millionen Menschen auf der Welt auch sind, die Stadt und das Land können nur eine bestimmte Anzahl von Schutzsuchenden aufnehmen“, erklärte Sozialsenator Henning Scherf laut Weser-Kurier vom 23. 2. 1988. Ein Mitarbeiter der Sozialbehörde erklärte: „Wir können es uns nicht leisten, unsere Liberalität für die Asylbewerber der ganzen Republik gelten zu lassen. Dann kommen alle an, und hier bricht alles zusammen.“ Weser-Kurier vom 8. 2. 1989: „Elf Kurden mußten die Hansestadt verlassen“.

  15. Vgl. Weser-Kurier vom 5. 3. 1988.

  16. Vgl. Weser-Kurier vom 10. 5. 1990.

  17. Weser-Kurier vom 16. 7. 1991: „Wedemeier kündigt harte Linie an“.

  18. Vgl. Weser-Kurier vom 23. 7. 1991: „Richter rüffelten Wedemeier“.

  19. Weser-Kurier vom 24. 7. 1991: „Können Gesetz nicht erfüllen“.

  20. Vgl. Weser-Kurier vom 14. 9. 1991: „Wedemeier wirft SchäubleGipfel der Heuchelei'vor“.

  21. „Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß die Chancen für die Rechtsaußen-Parteien in Arbeiterwohngebieten mit entsprechend geringem formalem Bildungsstand und unterdurchschnittlicher Wohnsituation bei den vergangenen Wahlen deutlich höher waren als in anderen Gebieten der Stadt Bremen. Dies sind bis auf wenige Ausnahmen durchweg die Quartiere, in denen die SPD ebenfalls ihre größten Erfolge erzielt. Bemerkenswerterweise zeigt eine wahlbezirksfeine Analyse, daß die . Rechtsparteien'bei der Wahl zur Bremi-

  22. Vgl. ebd., S. 38.

  23. Weser-Kurier vom 19. 4. 1993: „SPD: Wohnschiff vom Kohlenhafen zum Weserbahnhof“.

  24. Weser-Kurier vom 9. 5. 1993: „SPD-Vorstand kontra Ampel“.

  25. Weser-Kurier vom 7. 5. 1993: „SPD: Katerstimmung nach den Parteiaustritten“.

  26. Weser-Kurier vom 31. 5. 1992: „Per Fragebogen gegen noch mehr Fremde“.

  27. Einer Kritikerin aus den eigenen Reihen, der Ausländerbeauftragten Lill, hielt der Präsident des Senats „einen blindwütigen Amoklauf gegen eine harmonisierte europäische Asyl-und Einwanderungsgesetzgebung“ vor (Weser-Kurier vom 8. 7. 1992). Diese Äußerung nahm er vier Wochen später zurück (Presseerklärung des Senats vom 11. 8. 1982).

  28. Weser-Kurier vom 31. 7. 1992: „Wedemeier: Asylrecht muß geändert werden“.

  29. Weser-Kurier vom 1. 8. 1992: „Wedemeier belastet Arbeit der Koalition“.

  30. Weser-Kurier vom 8. 8. 1992: „Innenstaatsrat Kauther: Bürger sind überstrapaziert“.

  31. Kauther warf ihm daraufhin vor, er habe es versäumt, die Bremer SPD beizeiten auf den Kurs der Bundespartei zu bringen, statt dessen habe er weiterhin eine ideologische Politik betrieben (Weser-Kurier vom 27. II. 1992).

  32. So Bassam Tibi, in: Focus. Nr. 22/96, S. 52.

  33. So die Abgeordnete Noack, laut Protokoll der Bremischen Bürgerschaft, Landtag, 13. Wahlperiode, 9. Sitzung am 25. 3. 1992, S. 503.

  34. Protokoll der Bremischen Bürgerschaft, ebd., S. 508.

  35. So der Abgeordnete Ruffier, laut Protokoll der Bremischen Bürgerschaft, ebd.. S. 508.

  36. Ich halte allerdings nichts davon, die Einstellungs-voraussetzungen zu senken, wie das von sozialdemokraischer Seite vorgeschlagen worden ist: „Beim Bundescriminalamt bislang ohne Chance", Die Welt vom 29. 7. 1996.

  37. Vgl. u. a. Heiner Geißler, Der Irrweg des Nationalismus. Weinheim 1995. S. 53. Die Probleme entstanden eben nicht, wie Geißler behauptet, weil demokratische Parteien sich die ses Themas annahmen: sic waren vielmehr bereits vorher real vorhanden.

  38. „Die emotional geführte Auseinandersetzung um die Unterkunft habe den Brandstiftern als Rückendeckung gedient. , Das Trio hat im Grunde nur den Gedanken konsequent in die Tat umgesetzt, der auf der Demonstration Ende Juni laut geäußert worden war: Die müssen hier weg“ “, so der Bremer Erziehungswissenschaftler Krafeld im Weser-Kurier vom 9. 5. 1992: „Unsicherheit ist ein idealer Nährboden“.

  39. Zitiert nach Jochen Kummer, Ausländerkriminalität, Frankfurt a. M. -Berlin 1993, S. 16. Vgl. auch Rainer Geißler, Das gefährliche Gerücht von der hohen Ausländer-kriminalität, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 35/95, S. 30 ff.

  40. Vgl. Hans-Dieter Schwind, Sind wir ein Volk von Ausländerfeinden?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. 6. 1993.

  41. Vgl. Erwin K. Scheuch, Zur Soziologie und Ideologie einer multikulturellen Gesellschaft, in: Wolfgang Ockenfels (Hrsg.). Problemfall Völkerwanderung, Trier 1994, S. 155 ff.

  42. Vgl. Sibylle Tönnies, Multikulturalität, Partikularismus und Universalismus, in: Eduard J. M. Kroker/Bruno Dechamps (Hrsg.), Deutschland auf dem Weg zu einer multi-kulturellen Gesellschaft?, Frankfurt a. M. 1996. S. 77-88.

  43. Ebd., S. 78ff.

  44. Max Wingen, Grenzen der Zuwanderung, in: Die politische Meinung, (1992) 6, S. 42.

  45. Gemeinsamer Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes, Deutschland im Blickpunkt extremistischer und terroristischer Ausländergruppierungen, Stand: November 1995, S. 26; auf dieses Problemfeld hat jüngst der Präsident des BfV, Frisch, noch einmal hingewiesen; vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. 7. 1996: „Anschläge und Warnungen“.

  46. Zu dem Thema vgl. u. a.den vom Bundesministerium des Innern herausgegebenen Verfassungsschutzbericht 1995, Bonn 1996, S. 211-221.

  47. Darauf verweist zu Recht Josef Schmid, Problemfall Zuwanderung, in: Europäische Sicherheit, (1996) 9, S. 13 f. 48 Die Welt vom 17. 5. 1996: „Kohl schlägt Bündnis gegen Kriminalität vor“.

Weitere Inhalte