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Manager des Parlaments zwischen Effizienz und Offenheit. Parlamentarische Geschäftsführer im Deutschen Bundestag | APuZ 36-37/1997 | bpb.de

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APuZ 36-37/1997 Die politische Krise als Kommunikations-Krise. Eine kommunikationswissenschaftliche Makroanalyse Manager des Parlaments zwischen Effizienz und Offenheit. Parlamentarische Geschäftsführer im Deutschen Bundestag Bundesgesetzgebung als Prozeß Verbände und Demokratie: Funktionen bundesdeutscher Interessengruppen in Theorie und Praxis

Manager des Parlaments zwischen Effizienz und Offenheit. Parlamentarische Geschäftsführer im Deutschen Bundestag

Suzanne S. Schüttemeyer

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Entwicklung des Amtes der Parlamentarischen Geschäftsführer ist in vieler Hinsicht ein Spiegelbild der Entwicklung des Parlaments. Die Ausweitung von dessen Aufgaben, deren zunehmende Komplexität, die Ausdifferenzierung der Binnenstrukturen des Bundestages, die Professionalisierung des Abgeordnetenmandats und insbesondere der Fraktionen -diese Tendenzen prägten auch die Wandlungen in Aufgabenprofil und Bedeutung der Parlamentarischen Geschäftsführer. Nach vorsichtigem organisatorischen Beginn wurde das Amt in allen Fraktionen quantitativ und qualitativ ausgebaut. Inzwischen steuern Parlamentarische Geschäftsführer das Verfahren im Bundestag sowohl durch interfraktionelle Zusammenarbeit als auch durch ihre innerfraktionellen Aufgaben bei der Arbeitsorganisation und Reglementierung von Abgeordnetenrechten. Darüber hinaus wirken sie als Mitglieder im engeren Fraktionsvorstand an der Selektion und Koordination von Politikinhalten mit. Ihr vorrangiges Ziel ist administrative Effizienz und größtmögliche Geschlossenheit ihrer Fraktion. Dabei ist Parlamentarischen Geschäftsführern normativ ein ständiger Balanceakt aufgegeben: Sie müssen einerseits Offenheit ermöglichen bis zur Grenze gefährdeter Handlungsfähigkeit der Regierung bzw. Alternativfähigkeit der Opposition; sie dürfen andererseits Geschlossenheit nicht zu mangelnder Innovationskraft erstarren lassen.

Um das öffentliche Ansehen von Parlamenten, Parteien und Abgeordneten ist es in der Bundesrepublik nicht mehr gut bestellt. Insbesondere unter den Jugendlichen ist der Anteil derer, die kein Vertrauen in die klassischen Institutionen und Akteure der Politik haben, ständig gestiegen. Viele Bürger hegen tiefsitzende Vorurteile gegen die repräsentative Form der Demokratie und Mißverständnisse über die Funktionsbedingungen des Parlamentarismus. Realitätsgerechte oder auch nur konsistente Maßstäbe zur Bewertung von Politikern und Politik fehlen weitgehend. Nun liegt dies aber nicht nur an Bürgern, die sich nicht hinreichend um Informationen und Kenntnisse sowie adäquate Einstellungen zur Politik bemühen, sondern auch an der Präsentation von Politik durch Medien sowie an der Selbstdarstellung von Institutionen und Akteuren.

Gängig ist das -von Vermittlungsinstanzen wie Parlamentariern immer wieder gezeichnete -Bild vom Bundestagsabgeordneten, der eingezwängt ist in Parlaments-und vor allem fraktionsinterne Hierarchien, unter der Knute der Parlamentarischen Geschäftsführer (in England nicht umsonst „Whips“ genannt), die über Sanktionsmittel gegenüber den „einfachen“ Abgeordneten verfügen und -zusammen mit den Fraktionsvorsitzenden -als Anordner und Vollstrecker des unwidersprochen so genannten „Fraktionszwanges“ gelten. Entspricht dieses Bild der Wirklichkeit von Funktionen und Rolle der Parlamentarischen Geschäftsführer im Bundestag?

Die Entwicklung des Amtes der Parlamentarischen Geschäftsführer ist in vieler Hinsicht ein Spiegelbild der Entwicklung des Parlaments. Die Ausweitung von dessen Aufgaben, deren zunehmende Komplexität, die Ausdifferenzierung der Binnenstrukturen des Bundestages, die Professionalisierung des Abgeordnetenmandats und insbesondere der Fraktionen als Organisation der parlamentarischen Willensbildung und (Vor-) Entscheidung -diese Tendenzen prägten auch die

Wandlungen von Aufgabenprofil und Bedeutung der Parlamentarischen Geschäftsführer.

I. Die quantitative Entwicklung des Amtes im Bundestag

Gleich zu Anfang der . Wahlperiode 1 setzten SPD und FDP je zwei Parlamentarische Geschäftsführer ein Bei den Sozialdemokraten wurden diese zunächst -anknüpfend an die Bezeichnungen der SPD-Reichstagsfraktion vor 1933 -Politischer und Juristischer Sekretär genannt, bis sich Mitte der fünfziger Jahre wie in den anderen Fraktionen der Begriff des Parlamentarischen Geschäftsführers einbürgerte. Die Unionsfraktion bestellte zu Beginn der 1. Wahlperiode offiziell keinen Geschäftsführer. Die notwendige technische Abwicklung und organisatorische Betreuung der Fraktionsangelegenheiten schuf jedoch schnell eine faktische Geschäftsführung, die 1951 mit der Einsetzung eines Parlamentarischen Geschäftsführers auch formalisiert wurde. Dieser vorsichtige organisatorische Beginn hatte vor allem zwei Ursachen: Zum einen waren die Fraktionen im Ersten Bundestag -auch jene der beiden großen Parteien -noch vergleichsweise kleine Einheiten; und zweitens, noch wichtiger für die eher bescheidenen Ansätze der Organisation, erwartete man zunächst keineswegs die Entwicklung zum Vollzeitparlament und Berufsabgeordneten. Auch wenn die Bewältigung der Kriegsfolgen durch wirtschafts-und sozialpolitische Gesetzgebung den Parlamentariern eine große Last aufbürdete, so wurde doch damit gerechnet, daß dies nur eine Übergangserscheinung sei und sich bald „die Arbeit wohl in einem halben Jahr schaffen lassen und die andere Jahreshälfte dem Beruf gewidmet werden“ könne.

Mit dem Anwachsen der Unionsfraktion um 100 Mandate im Zweiten Bundestag erhöhte sie die Zahl ihrer Geschäftsführer auf drei, worin ihr die SPD nach ihrer deutlichen Vergrößerung 1957 folgte. Die FDP mit selten mehr als 50 Abgeordneten beließ es vierzig Jahre lang bei zwei Parlamentarischen Geschäftsführern. In den beiden großen Fraktionen schwankte die Zahl seit Ende der sechziger Jahre zwischen vier und fünf. Vor der deutschen Vereinigung im Oktober 1990 betrug sie in SPD-wie Unionsfraktion vier. Mit dem Eintritt ostdeutscher Abgeordneter in den Bundestag und schließlich dessen Aufstockung um 118 Sitze in der ersten gesamtdeutschen Wahl, um die ostdeutsche Bevölkerung parlamentarisch angemessen zu repräsentieren, entschlossen sich Union, SPD und FDP, je einen weiteren Geschäftsführer einzusetzen. Daß der Gedanke der gleichsam proportionalen Repräsentation von Gruppen oder Regionen ein Grund für den quantitativen Ausbau dieses Amtes war, wird an folgendem beispielhaft deutlich: Die neugeschaffenen Geschäftsführungspositionen wurden in Unions-, SPD-und FDP-Fraktion jeweils mit einem Abgeordneten aus Ostdeutschland besetzt. Insofern folgte man hier einem der drei Prinzipien, die für die Erweiterung der Fraktionsvorstände generell herausgearbeitet worden waren

Daß es nicht nur zu einer Vermehrung der Geschäftsführerpositionen kam, sondern auch zu einem Zugewinn an Aufgaben und Bedeutung, ist vor allem darauf zurückzuführen, daß die ursprüngliche Erwartung an die parlamentarische Entwicklung sich nicht erfüllte: Nach der Bewältigung der Kriegsfolgen nahm der Regelungsbedarf nicht ab; neue Gebiete erforderten gesetzgeberische Maßnahmen; die Komplexität der Gegenstände wuchs, und immer mehr spezialisierter Sachverstand wurde erforderlich. Das früh entstandene ausdifferenzierte System von Spezialausschüssen zog fraktionsintern arbeitsteilige Strukturen nach sich. Erstens konnte nur noch so die Entscheidungsfähigkeit des einzelnen Abgeordneten gewährleistet werden; zweitens benötigten die Ausschüsse in ihren Reihen Vertreter bereits selektierter Positionen für schnelles effizientes Entscheiden, das auf diese Weise zudem vorhersehbar hinsichtlich der Zustimmung beziehungsweise Ablehnung im Bundestagsplenum wurde.

Hinzu kam die Reduzierung der Fraktionen von acht in der ersten auf fünf in der zweiten und drei in der dritten Wahlperiode. Als Folge vergrößerte sich zwangsläufig die Bandbreite der innerhalb einer Fraktion parlamentarisch zu vertretenden Interessen. Außerdem wurde es immer wichtiger, „die Abgeordneten systematisch einzusetzen, da die Aussichten auf Mehrheitsbildungen und somit auf die Mitwirkung bei Entscheidungen des Hauses... gestiegen“ waren. Damit wuchs der Druck, die Kohäsion der Fraktionen und folglich die Kalkulierbarkeit parlamentarischen Verhaltens der Abgeordneten zu sichern.

Diese Gewährleistung politischen Zusammenhalts und die schon in den fünfziger Jahren einsetzende Vorverlagerung der Selektion und Aggregation von Interessen vom Gesamtparlament und seinen Binnenstrukturen auf die Fraktionen und ihre sachpolitisch gegliederten Ebenen in Form von Arbeitskreisen beziehungsweise -gruppen machten Koordination zu einer immer wichtigeren Aufgabe innerhalb der Fraktionen. Gleiches galt für die interfraktionell zu leistende Organisation der parlamentarischen Arbeitsabläufe. Vor allem diese Zusammenhänge waren es, aus denen die wachsende Zahl und Bedeutung der Parlamentarischen Geschäftsführer resultierten.

Diese Entwicklung wurde praktisch unterstützt durch -und beförderte ihrerseits -den Ausbau der Fraktionshilfsdienste im Bundestag. Aus „ursprünglichen Sekretariatshilfen“ wurden „re-gelrechte Fraktionsverwaltungen“ Inzwischen umfassen diese Dienste in den großen Fraktionen fast sechshundert Mitarbeiter, in den kleinen zwischen ein-und zweihundert. Förmlich unterstehen diese dem (Geschäftsführenden) Fraktionsvorstand, in der parlamentarischen Alltagspraxis zu einem großen Teil den Geschäftsführern, denen dabei ein angestellter Fraktionsgeschäftsführer oder ein Büroleiter zur Seite steht. Auch aus dieser operativen Ausstattung folgt ein deutlicher Vorsprung dieser Personengruppe bei der politischen Gestaltung, der Koordination und Führung der Fraktion

II. Stellung und Aufgaben der Parlamentarischen Geschäftsführer

Die Geschäftsordnungen (GO) aller Bundestagsfraktionen ordnen die Parlamentarischen Geschäftsführer dem Fraktionsvorstand zu; in den beiden großen Fraktionen, in denen ein engerer Geschäftsführender Vorstand gebildet wird, gehören sie auch diesem an (§ 5 GO Unionsfraktion, § 11, 4 GO SPD-Fraktion). Union und SPD haben inzwischen die faktisch schon zuvor bestehende hervorgehobene Stellung eines Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers zwar nicht in ihren Geschäftsordnungen institutionalisiert, aber doch insofern festgeschrieben, als diese Bezeichnung innerfraktionell wie innerparlamentarisch (etwa im Amtlichen Handbuch des Bundestages) geführt wird. Die Grünen sehen in ihrer Geschäftsordnung einen Geschäftsführer und zwei (gleichberechtigte) Stellvertreter vor. Die Liberalen verzichten -jedenfalls formal wie auch in der nominellen Außendarstellung -auf eine Hierarchie innerhalb ihrer drei Parlamentarischen Geschäftsführer.

Ist in den Fraktionsgeschäftsordnungen also einiges zu Anzahl und Stellung der Geschäftsführer zu finden, so enthalten diese kaum Einzelheiten über deren Aufgaben. CDU/CSU-und FDP-Fraktion weisen ihnen bei den Erläuterungen zum Geschäftsgang beziehungsweise bei den Meldepflichten der Abgeordneten implizit Kompetenzen zu. In der Geschäftsordnung der SPD-Fraktion heißt es, sie „erledigen die parlamentarischen, juristischen und organisatorischen Aufgaben der Fraktion“ (§ 11, 3 GO). Nur die Grünen präzisieren die genannte Erledigung der „parlamentarisch-organisatorischen Aufgaben“ in acht Zuständigkeitsbereiche: 1. Plenartagesordnung und Verteilung der Fraktionsredezeiten, 2. Präsenz der Abgeordneten, 3. Unterkommissionen des Ältestenrates, 4. Fragestunden, 5. Organisation der Fraktionsversammlungen, 6. Kleine und Große Anfragen der Fraktion, 7. Anträge und Gesetzentwürfe der Fraktion und Schriftführung im Plenum (§ 7 GO).

Diese Kompetenzen, deren Auflistung ausdrücklich als nicht abschließend bezeichnet wird, teilen die Parlamentarischen Geschäftsführer eigenständig und verbindlich unter sich auf. In der SPD-Fraktion verteilt der Fraktionsvorstand die Aufgabengebiete. Besser und zuverlässiger als aus den Geschäftsordnungen erschließt sich die Bandbreite der Tätigkeiten aus den konkreten Geschäftsverteilungsplänen. Exemplarisch sei hier für eine große Fraktion jener der SPD aus der ll. 8, für eine kleine Fraktion der Geschäftsverteilungsplan der FDP aus der laufenden 13. Wahlperiode wiedergegeben (s. S. 11).

Zum Zwecke der besseren Übersicht und Erschließung der Funktionen der Parlamentarischen Geschäftsführer ist vorgeschlagen worden, diese in innerfraktionelle, innerparlamentarische und fraktionsexterne einzuteilen oder die wichtigsten Geschäftsbereiche zu gliedern in: a) Vertretung der Fraktion im Ältestenrat, Gestaltung der fraktionsinternen Arbeit, b) Pflege der Kontakte mit den Landtagsfraktionen und Geschäftsverteilungsplan der Parlamentarischen Geschäftsführer SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag (11. Wahlperiode)

Erster Parlamentarischer Geschäftsführer: Plenarsitzungen; Fragestunde, Aktuelle Stunde; Sitzungen der Fraktion, des Fraktionsvorstandes, des Geschäftsführenden Fraktionsvorstandes; EG-Vorlagen; Obmann im Ältestenrat, Obleute-Besprechung; Rechts-und Geschäftsordnungsfragen; Obmann im Vermittlungsausschuß, Obmann im Gemeinsamen Ausschuß; Sicherheitsbeauftragter der Fraktion; mittel-und langfristige Aufgabenplanung; verantwortlich für die Presse; Bund-Länder-Koordinierung.

Zweiter Parlamentarischer Geschäftsführer: Ausschußbesetzung; Besetzung der parlamentarischen Gremien der Fraktion; Wahrnehmung von Vorschlags-und Entsendungsrechten der Fraktion; Landesgruppen in der Fraktion; Schülerzeitungsredakteure; Wochenendtexte; Delegationen der Fraktion; besondere Verbindungen zu Polen, Israel und der DDR; Verbindung zu den Gewerkschaften, einschließlich Referentenvermittlung von Fraktionsmitgliedern, Kongresse, Tagungen; Kuratorium unteilbares Deutschland.

Dritter Parlamentarischer Geschäftsführer: Finanzen der Fraktion, Personal; Organisation und Verwaltung; Briefbeantwortungsstelle; EDV; Verbindung zur Partei; Verbindung zur Friedrich-Ebert-Stiftung; Verbindung zu Organen und Behörden des Bundes; Verbindung zur Bundeswehr, einschließlich Referentenvermittlung von Fraktionsmitgliedern, Kongresse, Tagungen; Koordinierungsstelle für Kommunalpolitik.

Vierter Parlamentarischer Geschäftsführer: Präsenz im Plenum und in den Ausschüssen; Betreuung von Mitgliedern der Fraktion; Raumfragen; Protokoll; Reisen im Auftrag der Fraktion und sonstige Auslandsreisen von Mitgliedern der Fraktion; Jugend und Parlament; Verbindung zu gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden (Außenkontakte) außer Gewerkschaften und Bundeswehr, einschließlich Referentenvermittlung von Fraktionsmitgliedern, Kongresse, Tagungen; Verbindung zu Kirchen und kirchlichen Organisationen; Verbindung zu den Organisationen der Zivildienstleistenden; Verbindung zu ehemaligen Mitgliedern der Fraktion; Verbindung zur Gruppe der Abgeordnetenmitarbeiter; Angelegenheiten der Inter-Parliamentary Union.

Geschäftsverteilungsplan der Parlamentarischen Geschäftsführer FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag (13. Wahlperiode)

Parlamentarischer Geschäftsführer Jörg van Essern Ältestenrat (f) mit Rechtsstellungskommission und Mitarbeiterangelegenheiten (f); Gemeinsamer Ausschuß (f); Geschäftsordnung (f); Koalitionsgespräch Bundeskanzler; Koalitionsgespräch Fraktionen; interfraktionelle Runde (f); Fraktionsvorsitzendenkonferenz (f); Datenschutzbeauftragter der Fraktion; interparlamentarische Zusammenarbeit; Bundesrat (stv); F-Länder-Runde (stv).

Parlamentarische Geschäftsführerin Ina Albowitz: Ältestenrat mit Haushaltskommission und Kommission für soziale, dienst-und tarifrechtliche Belange (f); Gemeinsamer Ausschuß (stv); Ausschußbesetzungen, Benennungen; Personal und Finanzen einschließlich Administration/Organisation der Fraktion; F-Länder-Runde (f); Bundesrat (f); Betreuung der ehemaligen Abgeordneten; Verbindung zur Friedrich-Naumann-Stiftung; Verbindung zu Betriebsgruppen; Verbändebetreuung; interfraktionelle Runde (stv); Fraktionsvorsitzendenkonferenz.

Parlamentarischer Geschäftsführer Ulrich Heinrich: Ältestenrat (stv) mit Bibliothekskommission und Informations-und Kommunikationsangelegenheiten (f), Raumverteilungskommission (f), Obmann für Besucherdienst/Jugend im Parlament/Besucherbetreuung, Obmann für internationale Austauschprogramme, Obmann für Restaurantfragen; Plenardienst, Präsenz, Pairing, Fragestunde, Aktuelle Stunde, Kabinettsberichterstattung; Abgeordnetenreisen; Ordensangelegenheiten; Fraktionsveranstaltungen; Koordination neue Länder; Bundesrat (stv); Fraktionsvorsitzendenkonferenz.

Abkürzungen: f: federführend; stv: stellvertretend; F-Länder: Bundesländer, in denen die FDP an der Regierung beteiligt ist. c) Prüfung der verfassungsrechtlichen Fragen aller anfallenden Entwürfe und Anträge

Welche Systematisierung man auch wählt, am besten wird aus der Auflistung der Aufgaben, wie in den Geschäftsverteilungsplänen geschehen, deutlich, was inzwischen alles den Parlamentarischen Geschäftsführungen obliegt. Schon hieraus ist zu entnehmen, welche Bedeutung dem Amt für die Arbeit des Bundestages und seiner Fraktionen zukommt und welches Potential es für die parlamentarischen Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten -sowohl im Sinne ihrer Eröffnung als auch ihrer Beschneidung -birgt.

Zur weiteren Dokumentation dieser Zusammenhänge und ihrer Analyse werden im folgenden drei Arbeitsgebiete der Parlamentarischen Geschäftsführer näher behandelt.

III. Parlamentarische Geschäftsführer im Ältestenrat

Seit 1976 hat es nur zwei Parlamentarische Geschäftsführer der beiden großen Fraktionen gegeben, die nicht Mitglied im Ältestenrat waren: In der 10. Wahlperiode gehörte ein SPD-Amtsinhaber, in der 12. ein Unionsgeschäftsführer diesem wichtigsten parlamentarischen Lenkungsgremium nicht an. Die kleinen Fraktionen und Gruppen besetzten di ein Unionsgeschäftsführer diesem wichtigsten parlamentarischen Lenkungsgremium nicht an. Die kleinen Fraktionen und Gruppen besetzten die ihnen zustehenden Sitze immer mit Parlamentarischen Geschäftsführern.

Diese Dominanz in der Mitgliedschaft des Ältestenrates spiegelt die fortschreitende Professionalisierung des Bundestagsalltages wider: In der Anfangsphase vertraten die Fraktionsvorsitzenden dort selbst ihre Fraktionen. Die zunehmende Komplexität der im Parlament zu bearbeitenden Probleme zog Spezialisierung, Ausdifferenzierung und Arbeitsteilung nach sich; damit wurden die Parlamentarischen Geschäftsführer, deren Position in den Fraktionen ja gerade für die Organisation und Koordination des parlamentarischen Geschäftsganges geschaffen worden war, auch die Wortführer im Ältestenrat. Auch die weiteren Mitglieder des Ältestenrates, dem zusätzlich zum Bundestagspräsidenten und seinen Stellvertretern 25 MdBs (seit 1990, zuvor 23) angehören, sind häufig „mit der Organisation des Parlaments und der Fraktionsarbeit vornehmlich befaßte Personen“, so daß tatsächlich insgesamt von einer „gewissen Zugehörigkeit kraft Amtes“ 11 gesprochen werden kann.

Der Ältestenrat als „gleichsam allzuständiges Gremium für die Vorbereitung und Begleitung aller Aufgaben des Bundestages“ 12 nimmt sich inzwischen als Ganzes vor allem der inneren Angelegenheiten des Bundestages an, ist zum „kollektiven Selbstverwaltungsorgan“ geworden. Die traditionellen Funktionen, besonders die Planung der Plenarsitzungen einschließlich der Festlegung von Tagesordnung, Debattendauer und Redezeiten, die Einigung über die Einsetzung der Ausschüsse und die Verteilung der Ausschußvorsitze, sind „weitgehend in Vorbesprechungen der Parlamentarischen Geschäftsführer abgewandert“

Ob förmlich im Ältestenrat oder informell in Gesprächsrunden, mit der Erfüllung dieser Funktionen prägen die Parlamentarischen Geschäftsführer das Parlamentsgeschehen. Welches Thema wann behandelt wird, wer wie lange wozu reden darf, in welchen Strukturen das Parlament seine Arbeit erledigt, welcher Ausschuß in der Hand welcher Fraktion liegt, wird von ihnen entschieden. Selbstverständlich sind sie in diesen Entscheidungen nicht frei. Sie agieren als Repräsentanten ihrer Fraktion, und das heißt, sie müssen den Interessen und Bedürfnissen ihrer Fraktion ebenso folgen, wie sie in der Sache diese führen, ihr vorangehen müssen. Mit den Worten eines langjährigen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Unionsfraktion, der zusammen mit seinem SPD-Kollegen in den fünfziger und sechziger Jahren Standards und Konventionen für die parlamentarische (Zusammen-) Arbeit setzte, die bis heute Gültigkeit haben: „Die Parlamentarischen Geschäftsführer gehen selten mit vorgefaßten Beschlüssen irgendeines Gremiums, aber gelegentlich doch mit Beschlüssen des Vorstands oder der Fraktion in den Ältestenrat. Sie müssen fast immer , wissen oder , fühlen, was ihre Fraktion will. Sie werden sehr selten von ihren Fraktionen nachträglich desavouiert, und sie werden sehr selten vom Plenum in dem, was sie im Ältestenrat vereinbaren, korrigiert.“ Dreißig Jahre später hat dieses Urteil in einem größer und komplizierter gewordenen Bundestag mit gestiegenen gesellschaftlichen Anforderungen und erheblich diversifizierten unübersichtlicheren Interessenlagen nichts von seinem Inhalt eingebüßt.

Was zu Recht als Verfahrenshoheit der Parlamentarischen Geschäftsführer bezeichnet wird, darf also nicht als einsame Entscheidungsmacht interpretiert werden. Vielmehr stehen sie in einem Beziehungsgeflecht, in dem sie die Interessen einzelner Abgeordneter, ihrer jeweiligen Fraktion als Ganzes, ihres Fraktionsvorstandes und des Bundestages als Gesamtparlament austarieren müssen. Hinzu kommt ein traditionell gewachsenes, die Fraktionszugehörigkeit übergreifendes Selbstverständnis der Geschäftsführer. Die Äußerung „Wir sind ja eine Gewerkschaft, wir Parlamentarischen Geschäftsführer“ verweist auf einen Bestand an gemeinsamen Orientierungen der Amtsinhaber ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit. Diese Orientierungen liegen vor allem im Bereich organisatorischer Effizienz und Reibungslosigkeit in den technischen Abläufen parlamentarischer Verfahren. Dies findet auch seinen Niederschlag in dem -zumeist erfolgreichen -Bemühen, im Ältestenrat konsensuale Entscheidungen zur Organisation des Parlamentsbetriebes zu treffen.

IV. Parlamentarische Geschäftsführer in den Verfahren zur Verteilung der Ausschußsitze

Bei ganz unterschiedlichen Regelungen in den Fraktionsgeschäftsordnungen gestaltet sich die Praxis der Zuteilung von Ausschußsitzen nach Zusammentritt eines neuen Bundestages in den Fraktionen von SPD und FDP sowie in der CSU-Landesgruppe sehr ähnlich. Jeweils sind Parlamentarische Geschäftsführer damit betraut, die Ausschußpräferenzen der Abgeordneten mittels Fragebögen und in persönlichen Gesprächen festzustellen und zum Ausgleich zu bringen Die CDU im Bundestag hat dafür einen „Ausschuß zur Besetzung der Ausschüsse“ eingesetzt. Obwohl dieser inzwischen zur festen Praxis geworden ist, hat die Fraktion ihn nicht in ihrer Geschäftsordnung verankert. Sinnfällig „Teppichhändlergremium“ genannt gehören ihm die Parlamentarischen Geschäftsführer, die Vorsitzenden der Landesgruppen und „Sonstigen Gruppen“ der CDU an. Entschieden wird nicht durch Abstimmen, sondern durch Verhandeln, wobei vor allem die Landesgruppenvorsitzenden als Interessenvertreter „ihrer“ Abgeordneten auftreten. Diese Konstellation läßt den Geschäftsführern der CDU weniger Spielraum, das „Gesamtinteresse der Fraktion an einer ausgewogenen Ausschußbesetzung“ gegenüber Wünschen einzelner Abgeordneter oder Gruppen durchzusetzen. Dieses „Gesamtinteresse“ ist keineswegs nur ein vager, der Verschleierung von autoritären Führungsentscheidungen dienender Begriff. Vielmehr ist eine Fülle von Kriterien und Zielen zu beachten, zum Beispiel: Sachverstand, jedoch keine expertokratische Verengung; personelle Kontinuität, jedoch keine Erstarrung; außenwirksame Verbandsnähe, jedoch keine Abhängigkeit; programmatische Akzentuierung, jedoch auch die Abbildung innerfraktioneller politischer Unterschiede, um sicherzustellen, daß die arbeitsteilig in den Ausschüssen meist als Kompromiß erreichten Entscheidungen später von der Gesamtfraktion akzeptiert werden können

Bei SPD, FDP und CSU dürfte es den Parlamentarischen Geschäftsführern leichter fallen, die Ausschußbesetzung vorzunehmen, da sie es jeweils allein sind, die mit den Abgeordneten deren Wünsche verhandeln. Eher als bei der CDU kann man hier also von hierarchischen Entscheidungen sprechen, deren Herren die Parlamentarischen Geschäftsführer sind. Dies darf aber nicht mit Willkür „von oben“ oder Unterworfensein „von unten“ gleichgesetzt werden. Vielmehr müssen die Fraktionsführungen in Gestalt ihrer Geschäftsführer versuchen, die Interessen der einzelnen Abgeordneten mit jenen der Gesamtfraktion und des (engeren) Vorstands in Einklang zu bringen oder jedenfalls für alle Seiten erträglich auszubalancieren. Gelingt dies nicht, droht Erfolglosigkeit oder mindestens nicht optimal gestaltete parlamentarische Arbeit, mit allen politischen Konsequenzen.

V. Parlamentarische Geschäftsführer bei der Reglementierung von Abgeordnetenrechten

Rede-, Frage-, Antrags-und Stimmrechte des einzelnen Abgeordneten unterliegen Beschränkungen im notwendigerweise arbeitsteilig organisierten Parlament der Fraktionen, die -als Regierungsmehrheit -Bestand und Handlungsfähigkeit der Regierung zu sichern und -als Opposition -Alternativen politisch-inhaltlicher wie personeller Art aufzuzeigen haben. Im Bundestag sind es vor allem die Parlamentarischen Geschäftsführer, die diese Beschränkungen aktualisieren.

Das Rederecht im Parlament ist selbstverständliches Statusrecht des Abgeordneten, das vom Parlament geregelt, nicht aber grundsätzlich entzogen werden darf Wie gezeigt treffen die Geschäftsführer im Rahmen des Ältestenrats interfraktionell Vereinbarungen über die Dauer der Plenardebatten und die Aufteilung der Redezeiten auf die Fraktionen. Darüber hinaus üben sie innerhalb ihrer Fraktionen erheblichen Einfluß auf die Gestaltung der Debatte aus. Als Mitglieder ihres jeweiligen Geschäftsführenden Fraktionsvorstandes sind sie an der Auswahl der Redner beteiligt. Insbesondere bei öffentlichkeitswirksamen und polarisierten Themen trifft die Führung die faktische Entscheidung, während es für die in ihrer großen Mehrzahl fachlich geprägten Bundestagssitzungen die Arbeitsgruppen sind, die Spezialisten aus ihren Reihen im Benehmen mit dem Vorstand für die Plenarrede bestimmen. In allen Fraktionen wird erwartet, was die SPD als förmlichen Beschluß gefaßt hat: Fraktionsmitglieder sollen die Meinung der Fraktion, das heißt also bei strittig gebliebenen Fragen jene der Fraktionsmehrheit darstellen, darüber hinausgehende Redebeiträge „auf begründete Ausnahmen“ beschränken, diese der Fraktion rechtzeitig mitteilen und mit dem Fraktionsvorstand besprechen Wünscht ein Abgeordneter, ungeplant mit einer Kurzintervention in eine Plenardebatte einzugreifen, so hat er sich mit dem den Plenardienst versehenden Geschäftsführer oder Sprecher zu verständigen,

In bezug auf diese interfraktionell wie innerfraktionell vor allem von den Geschäftsführern straff durchorganisierte Debatte gibt es immer wieder Reformbemühungen. Deren Ziel ist es, die Auseinandersetzungen im Bundestag spontaner und lebendiger zu machen. Auch bei Reformbefürwortern, die ansonsten eher rückwärtsgewandte und insofern fragwürdige Normvorstellungen von Parlamentarismus ihren Konzepten zugrunde legen, wird die grundsätzliche Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit von Organisationsmechanismen anerkannt, die innerparlamentarisch wie innerfraktionell Ordnung herstellen Kritik wird aber übereinstimmend daran geübt, daß die prinzipiell unverzichtbare Organisation des Parlamentsgeschehens aktuell zu einem Korsett geworden sei, das vor allem das Regiment der Parlamentarischen Geschäftsführer viel zu eng schnüre es herrsche „ängstliche Kleinkariertheit, alle Mini-Details vorab festlegen zu wollen . .. Nur keine Eigenständigkeit, nur nichts Unvorhergesehenes im parlamentarischen Räderwerk“

Daß die seltenen freien Bundestagsdebatten regelmäßig in der Öffentlichkeit als „Sternstunden des Parlaments“ gefeiert werden, legt in der Tat nahe, daß die Repräsentationsleistung des Bundestages und damit sein Ansehen verbessert werden könnten, wenn es mehr Raum für lebendige Rede und Gegenrede gäbe. In diesem Bereich scheint das Gleichgewicht zwischen notwendiger Organisation und hinreichender Offenheit des parlamentarischen Prozesses erheblich gestört, droht die -Handlungsfähigkeit intendierende -Reibungslosigkeit umzuschlagen in -diese Handlungsfähigkeit letztlich behindernde -Erstarrung.

Eine deutliche Betonung von Ordnung und Planung ist auch hinsichtlich der Handhabung von Antrags-und Fragerechten festzustellen. Ohnehin sind dem einzelnen Abgeordneten zugunsten der Fraktionen nur noch marginale Rechte verblieben, durch Anträge in den Gesetzgebungsprozeß einzugreifen beziehungsweise sich durch Anfragen an parlamentarischer Kontrolle zu beteiligen An Restbestand sind vor allem Änderungsanträge in der zweiten Lesung sowie Einzelfragen zur mündlichen und schriftlichen Beantwortung zu nennen. Mit leichten Abweichungen im Detail von Fraktion zu Fraktion ist die jeweilige Parlamentarische Geschäftsführung als Instanz der „Vorprüfung“ solcher Anträge und Anfragen eingeschaltet. Parlamentarische Geschäftsführer koordinieren die Anfragen untereinander und sollen diese mit anderen Vorhaben der Fraktion in Einklang bringen. Gegebenenfalls obliegt es ihnen, den Frage-oder Antragsteller um Änderung oder Zurückziehung zu bitten

Auch bei der Kanalisierung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionsmitglieder spielen die Parlamentarischen Geschäftsführer eine wichtige Rolle. Die Geschäftsordnungen sehen (außer in der Fraktion der Grünen) vor, daß die Absicht, abweichend von der Fraktionslinie abzustimmen, dem Fraktionsvorsitzenden, dem zuständigen Geschäftsführer, dem Vorstand oder der Fraktionsversammlung vorher zur Kenntnis zu bringen ist. Die konkrete Sicherung fraktioneller Geschlossenheit bei Abstimmungen im Plenum liegt in der Verantwortung der Geschäftsführer. Sie haben für die Anwesenheit der Abgeordneten zu sorgen und deren Präsenz zu kontrollieren. Schon im Vorfeld verhandeln sie mit Fraktionsmitgliedern, von denen abweichende Stimmabgabe befürchtet wird, um gegebenenfalls solche Abweichungen -etwa wegen spezifischer Wahlkreis-oder Gruppeninteressen -kalkuliert zu dulden oder rechtzeitig das Fernbleiben dieser „Dissidenten“ von der Plenarabstimmung zu erreichen

Bei der Bewertung dieser Funktion der Parlamentarischen Geschäftsführer, die Geschlossenheit der Fraktion -wenigstens als Letztinstanz -zu sichern, ist wiederum nicht nur die Dominanz dieses Amtes zu konstatieren oder zu kritisieren, sondern es sind folgende Zusammenhänge abzuwägen: Für Regierungsfraktionen ist es eine unabweisbare Notwendigkeit, ja geradezu ihr Wählerauftrag, den Ausgang von Plenarabstimmungen vorausberechnen zu können. Dies trifft besonders bei knappen Mehrheitsverhältnissen zu. Hinzu kommt das von Mehrheit wie Opposition gleichermaßen angestrebte Ziel, der Öffentlichkeit und den politischen Konkurrenten nahezu um jeden Preis ein geschlossenes Auftreten zu präsentieren. Mangelnde Geschlossenheit behindert nämlich nicht nur objektiv die eigene politische Verhandlungsposition und gefährdet in bestimmten Situationen die Aufrechterhaltung einer handlungsfähigen Regierung beziehungsweise alternativfähigen Opposition; sie gilt zudem noch in der politischen Kultur der Bundesrepublik überwiegend als Zeichen der Schwäche.

Folglich ist auch hier den Parlamentarischen Geschäftsführern normativ ein Balanceakt aufgegeben: einerseits Offenheit bis zur Grenze gefährdeter Handlungsfähigkeit ermöglichen, andererseits Geschlossenheit nicht zu mangelnder Innovationskraft erstarren lassen. Auch wenn so manche Klage über das „Geschäftsführer-Parlament“ 29 die hier knapp skizzierten Spannungsfelder gar nicht zur Kenntnis nimmt, scheint ihre Tendenz dennoch berechtigt. Das Pendel im Bundestag schlägt eher in Richtung reibungsloser Geschäftsmäßigkeit aus -ohne Zweifel eine wichtige Eigenschaft parlamentarischer Aufgabenerfüllung, die aber auch ihren eigenen Erfolg zerstören kann: „Das einheitliche Auftreten einer Fraktion ist durchaus zu einem Merkmal ihrer Zuverlässigkeit geworden -obwohl gerade das ständige geschlossene Abstimmen bei vielen Wählern zu der Ansicht geführt hat, der einzelne Abgeordnete sei völlig schutzlos der hemmungslosen Macht und Willkür der allmächtigen Partei-bosse ausgeliefert.“ Die eingangs zitierten Ansehensverluste von Parlament und Parlamentariern machen deutlich, daß diese Mahnung von vor 25 Jahren an Aktualität noch gewonnen hat.

In diesen Kontext gehören auch die immer wieder aufgestellten Behauptungen, die Parlamentarischen Geschäftsführer würden ihre Organisationsfunktionen als Disziplinierungs-oder gar Sanktionsinstrumente gegen unangepaßte Abgeordnete einsetzen. Tatsächlich ist zu beobachten, daß besonders bei der Planung von Fragen und Debatten im Bundestag die Geschäftsführung die Interessen „einfacher“ Abgeordneter häufig hintanstellt. Offenbar handelt es sich dabei aber nur sehr selten um „Abstrafungen“ oder Druck gegen „Abweichler“. In aller Regel stehen Koordinationserfordernisse der Fraktion im Vordergrund und eine (durchaus auch egoistische) Abwägung zugunsten der Darstellungschancen von Funktionsträgern. Auch bei der Zuteilung von Ausschußsitzen, die landläufig als Sanktionsmittel eingeschätzt wird, kann nicht nachgewiesen werden, daß dies zu Benachteiligungen wegen vorangegangenen „Fehlverhaltens“ einzelner Abgeordneter genutzt worden ist. Ganz im Gegenteil: Beobachter wie Fraktionsangehörige dokumentieren immer wieder das Bemühen, die Ausschußsitze gemäß den Präferenzen der Abgeordneten zu vergeben. Auch statistisch konnte ein Zusammenhang zwischen Ämtervergabe bzw. Ämterverlust und von der Fraktion abweichendem Stimmverhalten nicht bestätigt werden Ebenso widerlegt ist die Wirksamkeit des angeblich drastischsten Disziplinierungsinstruments, der Drohung mit Nichtaufstellung bei der nächsten Wahl

VI. Parlamentarische Geschäftsführer in Fraktionsvorstand und Koalitionsrunden

Die klassischen Aufgaben der Geschäftsführer liegen im Bereich der Organisation und technisch-prozeduralen Abwicklung des Parlamentsbetriebes. Vor allem durch ihre hervorgehobene Stellung als Mitglieder im Geschäftsführenden Vorstand der großen Fraktionen und in den dieselben Leitungsfunktionen ausübenden kleinen Vorständen der Liberalen und Grünen kommt ihnen mittlerweile aber auch beachtlicher Einfluß auf die Selektion und Koordination politischer Ziele zu, die ihre Fraktion parlamentarisch verfolgen will. Sie nehmen teil an zentralen Entscheidungen, sitzen mit an jener Schnittstelle, an der die weitgehend eigenständig bearbeiteten Spezialgebiete der Abgeordneten und ihrer Arbeitsgruppen am politischen Gesamtinteresse der Fraktion gemessen, aufeinander abgestimmt und nötigenfalls korrigiert werden.

Weitere Bedeutung auch hinsichtlich der Beteiligung an inhaltlicher Politikformulierung wuchs den (Ersten) Parlamentarischen Geschäftsführern in den Fraktionen der christlich-liberalen Regierungsmehrheit seit 1982 zu. Unter Kanzler Kohl wurde das Kabinett als Ort der Entscheidungsfindung immer mehr zugunsten von (informellen) Koalitionsrunden zurückgedrängt. An den sogenannten „kleinen“ Runden, die in nahezu jeder Sitzungswoche des Bundestages zusammentreten, nehmen neben den Fraktionsvorsitzenden und den für die jeweiligen Besprechungsgegenstände zuständigen Bundesministem auch die Parlamentarischen Geschäftsführer teil; diese Gruppe wird bei zentralen Themen um die Parteivorsitzenden und Generalsekretäre erweitert Die Einbeziehung der Geschäftsführer dient in erster Linie natürlich dazu, die Akzeptanz der in diesen Runden getroffenen Entscheidungen in den Fraktionen sicherzustellen. Sie müssen die Folgebereitschaft der Abgeordneten im täglichen Parlamentsbetrieb und damit die Handlungsfähigkeit der Regierung konkret bewerkstelligen. Dies darf aber keineswegs nur im Sinne einer Transmissionsfunktion von „oben“ nach „unten“ verstanden werden. Vielmehr agieren die Geschäftsführer -neben den Fraktionsvorsitzenden -als Vermittler, indem sie nur das ihren Fraktionen politisch Zumutbare in den Entscheidungsprozeß der Regierung hineintragen. Damit sind sie wesentlich an der Aushandlung politisch-inhaltlicher Kompromisse zwischen den Koalitionspartnern wie zwischen der Regierung und ihren Fraktionen beteiligt.

Parlamentarische Geschäftsführer wirken also an der Selektion und Koordination von Politik mit. Sie organisieren die Fraktionen und steuern das Verfahren im Bundestag. Ihr vorrangiges Ziel ist die administrative Effizienz bei der Erledigung der parlamentarischen Aufgaben und der Umsetzung der -von ihnen teilweise mitgeprägten -politischen Entscheidungen. Die inzwischen erreichte quantitative und qualitative Ausgestaltung des Amtes hat die Parlamentarischen Geschäftsführer zu einem zentralen Faktor in der hierarchischen Struktur der arbeitsteiligen Organisation Parlament gemacht. Und da die thematische Spezialisierung, die Professionalisierung und Karrierisierung des Bundestagsmandats ohnehin das äußere Erscheinungsbild der Fraktionen und ihr Selbstverständnis im Inneren als Unternehmen oder Verwaltung prägen, wird die Rolle der Parlamentarischen Geschäftsführer als Organisatoren und Koordinatoren, als Manager des Parlamentsbe-triebs gleichsam legitimiert und weiter verstärkt. Das Resultat darf dennoch nicht der Abgeordnete als „abhängig Beschäftigter des arbeitsteiligen Parlamentsbetriebs“ (Ulrich Sarcinelli) sein, ebenso-wenig wie der (vermeintlich) völlig unabhängige, von der Komplexität der Inhalte und Verfahren heutiger Politik ständig überforderte Abgeordnete das Ideal darstellen kann. Es bleibt den Parlamen-tarischen Geschäftsführern aufgegeben, der starken Tendenz zur „ordnungsgemäßen Abwicklung“ der politischen Geschäfte zu widerstehen. Ihre (notwendige) Effizienz gefährdet nur dann nicht die Offenheit und Akzeptanz des parlamentarischen Repräsentationsprozesses, wenn sie genügend Raum für unkonventionelles Verhalten und geistige Innovationen im Bundestag läßt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur historischen Entwicklung der Fraktionsorganisation in deutschen Parlamenten liegt wissenschaftlich bearbeitetes Material besonders für die SPD vor. Vgl. Erich Matthias/Eberhard Pikart (Bearb.), Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokratie 1898 bis 1918, 2 Bde., Düsseldorf 1966; Heinrich Potthoff/Hermann Weber (Bearb.), Die SPD-Fraktion in der Weimarer Nationalversammlung 1919/20, Düsseldorf 1986; siehe auch Jürgen Jekewitz, Politische Bedeutung, Rechtsstellung und Verfahren der Bundestagsfraktionen, in: Hans-Peter Schneider/Wolfgang Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Berlin-New York 1989, S. 1021-1053, mit weiteren Literaturnachweisen zur historischen Entwicklung.

  2. Zu zahlenmäßigen Veränderungen in den Parlamentarischen Geschäftsführungen und zu den Amtsinhabem in den Fraktionen des Deutschen Bundestages von der ersten bis zur zwölften Legislaturperiode vgl. Peter Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages, Bd. I, Baden-Baden 1983, S. 256 ff., und Bd. IV, Baden-Baden 1994, S. 379 ff.

  3. Wolfgang F. Dexheimer/Max Hartmann, Zur Geschichte und Struktur der Arbeitskreise und -gruppen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in: Zeitschrift für Parlaments-fragen (ZParl), 1 (1970) 2, S. 232-236, hier S. 232.

  4. Vgl. Suzanne S. Schüttemeyer, Fraktionen im Deutschen Bundestag 1949 bis 1994, Opladen 1997 (i. E.), Teil II.

  5. Gerhard Loewenberg, Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1971, S. 195.

  6. J. Jekewitz (Anm. 1), S. 1051.

  7. Vgl. zu Einzelheiten im Zusammenhang mit der Entwicklung der Fraktionen zu professionellen und professionalisierten Einheiten der politischen Entscheidung S. S. Schüttemeyer (Anm. 4), Teil II, 1. 2.

  8. Der aktuelle Geschäftsverteilungsplan (13. Wahlperiode) listet nur noch die Organisationseinheiten auf, für die der jeweilige Geschäftsführer zuständig ist, mit Ausnahme des Ersten. Da dies die Aufgabenart und -Vielfalt weniger plastisch verdeutlicht, wurde ein älterer Plan ausgewählt.

  9. Vgl. Sylvia Kürschner, Das Binnenrecht der Bundestagsfraktionen, Berlin 1995, S. 118.

  10. Vgl. Friedrich Schäfer, Der Bundestag. Eine Darstellung seiner Aufgaben und seiner Arbeitsweise, Opladen 19824, S. 144.

  11. Wolfgang Zeh, Gliederung und Organe des Bundestages, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 391-424, hier S. 410.

  12. Hans-Achim Roll, Der Ältestenrat, in: H. -P. Schneider/W. Zeh (Anm. 1), S. 809-828, hier S. 822.

  13. Ebd.

  14. Will Rasner, Herrschaft im Dunkel? Aufgabe und Bedeutung des Ältestenrates, in: Emil Hübner u. a. (Hrsg.), Der Bundestag von innen gesehen, München 1969, hier S. 99-113, hier S. 107.

  15. Ebd., S. 108.

  16. Für Einzelheiten vgl. Wolfgang F. Dexheimer, Die Mitwirkung der Bundestagsfraktionen bei der Besetzung der Ausschüsse, in: Hans-Achim Roll (Hrsg.), Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages. Festgabe für Werner Blischke, Berlin 1982, S. 259-278, hier S. 271 ff.

  17. So lautet der Fraktionsjargon, nach Wolfgang Ismayr, Der Deutsche Bundestag. Funktionen -Willensbildung -Reformansätze, Opladen 1992, S. 192.

  18. W. F. Dexheimer (Anm. 17), S. 270.

  19. Vgl. zu diesen Zusammenhängen S. S. Schüttemeyer (Anm. 4), Teil II, 3. 2.

  20. Vgl. zur Rechtslage die umfassende Dokumentation von Hans-Josef Vonderbeck, Die Rechte eines Mitglieds des Deutschen Bundestages, in: ZParl, 14 (1983) 3, S. 311 -356.

  21. Vgl. im Anhang der Fraktionsgeschäftsordnung der SPD den „Beschluß zum Selbstverständnis der Fraktion vom 23. 6. 1981“.

  22. Vgl. Hildegard Hamm-Brücher, Der freie Volksvertreter -eine Legende?, München 1990, S. 21.

  23. Vgl. z. B. die Abgeordneten Annemarie Renger und Rudolf Schöfberger in der Selbstverständnisdebatte des Bundestages am 30. Januar 1986.

  24. H. Hamm-Brücher (Anm. 23), S. 74.

  25. Vgl. H. -J. Vonderbeck (Anm. 21); Wolfgang Demmler, Der Abgeordnete im Parlament der Fraktionen, Berlin 1994; Hermann-Josef Schreiner, Geschäftsordnungsrechtliche Befugnisse des Abgeordneten, in: H. -P. Schneider/W. Zeh (Anm. 1), S. 593-606.

  26. Vgl. W. Ismayr (Anm. 18), S. 383.

  27. Vgl. Armin Tschermak von Seysenegg, Die Fraktionen im Deutschen Bundestag und ihre verfassungsrechtliche Stellung, Diss., Freiburg 1971, S. 40; Hans Apel, Die deformierte Demokratie, Stuttgart 1991, S. 191 f.

  28. A. Tschermak von Seysenegg (Anm. 28), S. 41.

  29. Vgl. Thomas Saalfeld, Parteisoldaten und Rebellen, Opladen 1995, S. 298 ff., der den Zusammenhang von abweichendem Stimmverhalten in namentlichen Abstimmungen und parlamentarischen Karrierechancen untersucht.

  30. Dennoch hält sich das Ammenmärchen hartnäckig, die Fraktionsführungen hätten die Kandidatennominierung in der Hand. Für weitere Details und eine Erörterung von Disziplinierungsmitteln und -praktiken innerhalb der Bundestagsfraktionen vgl. S. S. Schüttemeyer (Anm. 4), Teil II, 3. 2.

  31. Vgl. zu dieser Praxis z. B.den ehemaligen Staatssekretär im Bundeskanzleramt Waldemar Schreckenberger, Informelle Verfahren der Entscheidungsvorbereitung zwischen der Bundesregierung und den Mehrheitsfraktionen: Koalitionsgespräche und Koalitionsrunden, in: ZParl, 25 (1994) 3, S. 329-346; vgl. auch Wolfgang Rudzio, Informelle Entscheidungsmuster in Bonner Koalitionsregierungen, in: Hans-Hermann Hartwich/Göttrik Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik 2, Opladen 1991, S. 125-141.

Weitere Inhalte

Suzanne S. Schüttemeyer, Dipl. -Pol., Dr. rer. pol., geb. 1953; Studium am United World College of the Atlantic in Großbritannien; Studium der Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft an der Universität Hamburg; 1997 Habilitation an der Universität Lüneburg; seit 1992 Akademische Oberrätin am Fachbereich Wirtschafts-und Sozialwissenschaften der Universität Lüneburg; Redakteurin der Zeitschrift für Parlaments-fragen. Veröffentlichungen von Aufsätzen und Büchern zur Regierungslehre und Vergleichenden Politikwissenschaft, u. a.: Bundestag und Bürger im Spiegel der Demoskopie, Opladen 1986; Vergleichende Parlamentarismusforschung, Opladen 1987; Die Hearings des Deutschen Bundestages, Berlin -New York 1989; Der Bundestag als Fraktionenparlament, Opladen 1992; Fraktionen im Deutschen Bundestag 1949 bis 1994, Opladen 1997.