Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Probleme des Brigadealltags Arbeitsverhältnisse und Arbeitsklima in volkseigenen Betrieben 1950-1989 | APuZ 38/1997 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 38/1997 Probleme des Brigadealltags Arbeitsverhältnisse und Arbeitsklima in volkseigenen Betrieben 1950-1989 Hochtechnologien in der Zentralplanwirtschaft der DDR. Zum Dilemma der Mikroelektronik der DDR in den achtziger Jahren Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Eine Bilanz der Jahre 1945-1965 Alltagsleben und Agrarpolitik im „sozialistischen Dorf“. Eine Regionalstudie zum Wandel eines thüringischen Dorfes während der Jahre 1945-1990 Kommentar und Replik. Widerstandsforschung und DDR-Kontakte. Zum Beitrag von Klaus Schroeder/Jochen Staadt: Zeitgeschichte in Deutschland vor und nach 1989 (B 26/97) Widerstandsforschung und vorauseilende Kompromißbereitschaft

Probleme des Brigadealltags Arbeitsverhältnisse und Arbeitsklima in volkseigenen Betrieben 1950-1989

Jörg Roesler

/ 40 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Als die mit der DDR-Vergangenheit befaßten Historiker sich Mitte der neunziger Jahre der Geschichte des DDR-Alltags zuwendeten, fanden sie für den Betriebsalltag bereits die Auffassung vor, die Arbeiter in den volkseigenen Betrieben hätten sich vor allem durch Arbeitszurückhaltung, Schlendrian und bestenfalls „Chaosqualifikation“ ausgezeichnet. Diese Meinung geht auf Untersuchungen von Industriesoziologen in den 1990 bzw. 1991 noch existierenden DDR-Betrieben zurück. Obwohl damals nicht unwidersprochen und auch nur als Zustandsbeschreibung der Situation der achtziger Jahre angeboten, wurde diese Meinung zur Auffassung über die Leistungen der Belegschaften der volkseigenen Betriebe in der DDR Zeit schlechthin und teilweise auch von Historikern akzeptiert. Der Beitrag untersucht am Beispiel der für die volkseigene Industrie typischen Brigaden Probleme des Arbeitsalltags: die Beziehungen der Brigademitglieder untereinander und zum Brigadier; ihre Haltung zur Arbeitsleistung; die Auseinandersetzungen zwischen dem Brigadier und dem Meister, dem für die Arbeiter alltäglich erfahrbaren Vertreter der Betriebsleitung. Bei der Analyse dieser Beziehungen über vier Jahrzehnte ergibt sich ein differenziertes Bild: Weder waren alle Brigaden gleich „engagiert“ oder verhielten sich gleich „opportunistisch“, noch gab es die von den Industriesoziologen für die achtziger Jahre geschilderten Zustände von Anfang an oder eine ungebrochene Entwicklung dahin. Situationen, in denen die Meister über Sanktionen und Belobigungen sich gegenüber den Brigaden Respekt verschafften, wechselten mit solchen, in denen der Meister bestenfalls der Kumpel des Brigadiers war. Schließlich war die Möglichkeit der Leistungsmanipulation durch „weiche“ Normen sehr unterschiedlich ausgeprägt in den verschiedenen Industriezweigen, je nach der Fertigungsstruktur. Der Beitrag schließt mit einem Plädoyer für die konkret-historische Erfassung des Betriebsalltages und dessen Analyse, unbeeinflußt von vorgeprägten Erklärungsmustern.

I. Die Darstellung des Arbeitsalltags als Manko der DDR-Geschichtsaufarbeitung

Es waren Industriesoziologen, die sich nach 1989 zuerst für den Arbeitsalltag in der DDR interessierten. Sie gingen in die Betriebe, interviewten Arbeiter, Meister und Werkleiter. In der Regel kamen sie aus den alten Bundesländern. Oft waren auch ostdeutsche Industriesoziologen als ortskundige Führer an diesen Untersuchungen beteiligt bzw. gaben Meinungen bekannt, mit deren Verkündung sie sich bis 1989 zurückgehalten hatten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen und Feststellungen waren im einzelnen durchaus unterschiedlich, ergaben in ihrer Mehrheit jedoch ein einheitliches Bild, das auch von den Medien aufgegriffen und rasch zum Allgemeingut der Öffentlichkeit wurde.

Danach waren die Arbeitsverhältnisse in der DDR durch „Abwehr von Verantwortung“ sowie „weit-verbreiteten Schlendrian hinsichtlich Arbeitszeit, Materialeinsatz, Termintreue, Verarbeitungsqualität“ gekennzeichnet: „Man orientierte sich auf Schonung der eigenen Kräfte, günstige Arbeitsbedingungen.“ Letztliche Ursache für dieses Verhalten der Betriebsangehörigen sei die Planwirtschaft gewesen, denn die Beschäftigten hätten erfahren, „daß jede Mühe irgendwann durch den Plan zunichte gemacht wurde“. Materialmangel und Maschinenstillstand seien aber nicht nur Ausgangspunkt von Arbeitszurückhaltung und Schlendrian gewesen, sondern „sie legitimierten häufige Arbeitsunterbrechungen und ließen das geruhsame Tempo als von außen auferzwungen erscheinen“ Zwar verfügten die Facharbeiter in der Regel über „Chaosqualifikation“, die ihnen er-laubt hätte, einen flüssigeren Produktionsablauf zu erreichen, „Aber wer hätte sie ihm abpressen können?“ „Die Verfügung der Arbeiter über die Punkte bzw. Zonen der Produktion konnte man weder mit Disziplinarmaßnahmen brechen noch mit dem Eröffnen individueller Lohnerwartungen aufweichen.“ Der Vorgesetzte, der Meister, ohnehin durch „geringe formale Autorität und Anweisungsbefugnis“ gehandikapt sei gegenüber dem mit der Chaosqualifikation ausgestatteten „Engpaßkommandeur“ machtlos gewesen Wie wenig oder wie schlecht man auch arbeitete -es war so, „daß niemand ohne Leistungslohn nach Hause ging“ „Vieles deutet darauf hin“, schrieb Ulrich Voskamp, „daß für die Beschäftigten in der DDR vielleicht der Betrieb als sozialer Ort und Verteilungsinstanz von Sozialleistungen, wohl kaum aber der betriebliche Arbeitsprozeß selber eine zentrale Sphäre zur Realisierung subjektiver Interessen war“ Etwas anders drückte es Martin Kohli aus, als er zu dem Schluß kam: „Die DDR war ... eine Arbeitsgesellschaft ..., aber sie war keine Leistungsgesellschaft.“

Eher als derartige in der Wissenschaftssprache formulierte Einschätzungen fanden griffige Formulierungen über den DDR-Arbeitsalltag Verbreitung, wie die bereits 1990 vom Schriftsteller Heiner Müller geprägte Formel: „Der bisherige Burgfrie­ den in der DDR beruhte doch darauf, daß zwei Stunden gearbeitet, aber acht bezahlt wurden.“ Es gab zum Arbeitsklima in volkseigenen Betrieben und zur Arbeitseinstellung der Bürger der DDR aber auch andere Stimmen und Einschätzungen, wie etwa die von Ingrid Stratemann. Sie faßte die Untersuchungsergebnisse des Instituts für Wirtschaftspsychologie in Dortmund über das Verhalten der Ostdeutschen dahingehend zusammen, „daß sich die wirtschaftsrelevanten Nachteile in der Leistungs-und Persönlichkeitsstruktur bei Mitarbeitern in den neuen Bundesländern . . . auf sehr wenige Teilbereiche beziehen“. Ingrid Stratemann schlußfolgerte bereits Mitte 1992: „Jedenfalls ist nach diesen Resultaten das negative Vorurteil gegenüber Mitarbeitern aus den npuen Bundesländern in entscheidenden Punkten zu revidieren.“ Das geschah jedoch nicht. Warum sie und einige andere Soziologen und Psychologen mit ihrer abweichenden Auffassung von der Arbeitshaltung der Ostdeutschen wenig Resonanz in der Öffentlichkeit fanden, hat die Wirtschaftspsychologin selbst bereits thematisiert: „Dadurch, daß die , armen Ossis alles schlechter machen, nichts produzieren, zu keiner Anstrengung bereit sind, wie dies in den Massenmedien verbreitet wird, erfahren die Bürger der alten Bundesrepublik ohne jedes Zutun eine soziale Aufwertung.“

Für die Historiker war der DDR (Betriebs-) Alltag in den ersten Jahren nach der Wende kein Thema. Sie hatten sich zunächst überwiegend auf die nunmehr frei zugänglichen Archive gestürzt und waren in ihrer Mehrheit damit beschäftigt, brisante politische Themen aufzugreifen -oft in der „Manie, aus Archivalien überraschende und , neue‘ Thesen zu konstruieren“ Als sie sich seit Mitte der neunziger Jahre stärker der Wirtschafts-, Sozial-und Alltagsgeschichte zuwandten, fanden sie bereits eine gefestigte Meinung über den Arbeitsalltag in der DDR vor, die sie entweder zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen machen oder aber auch kritisch hinterfragen konnten.

Sie entschieden sich unterschiedlich. Der Kulturhistoriker Dietrich Mühlberg war z. B. bezüglich der in den ersten Jahren nach der Wende veröffentlichten soziologischen Meinungsumfragen und Stu­ dien der Auffassung, „daß die von den Medien .. . schnell vermarkteten Ergebnisse fast immer den kulturhistorischen Kommentar herausfordern“ Andere Historiker haben fast kritiklos die medien-wirksamen Kernsätze zum DDR-Betriebsalltag übernommen. So heißt es bei Stefan Wolle in seinem Aufsatz „Herrschaft und Alltag“: „Der Arbeitsalltag der DDR war durch eine Art heimlichen Gesellschaftsvertrag bestimmt: , Wir tun so, als ob wir arbeiten. Und ihr tut so, als ob ihr uns bezahlt.“

Sofern die mit der Aufarbeitung der DDR-Geschichte befaßten Historiker kritiklos die von den Medien verbreiteten und von ihnen teilweise vulgarisierten Ergebnisse der Forschungen der Industriesoziologen übernommen haben, setzen sie sich zwei Vorwürfen aus: Erstens ignorieren sie die abweichende bzw. auf gegenteiligen Aussagen beruhende Minderheitsmeinung. Zweitens werden Aussagen über die Arbeitsverhältnisse in den DDR-Betrieben, wie sie von den Indstriesoziologen für die letzten Jahre der DDR oder für den gesamten Zeitraum der achtziger Jahre festgestellt wurden, durch die unreflektierte Identifikation des Historikers mit ihnen zu Aussagen erhoben, die für 40 Jahre DDR gelten sollen.

In diesem Beitrag wird davon ausgegangen, daß vier Jahrzehnte DDR keine Periode aus „einem Guß“ waren. Das bedeutet auch, daran zu zweifeln, daß das, was die Industriesoziologen 1990 und 1991 in den damals noch existierenden ehemaligen VEB an Zuständen beschrieben und an Verhaltensweisen der Belegschaften herausfanden, von Anfang an, d. h. beginnend mit dem Eigentümer-wechsel in den Betrieben, schon so gegeben war. Es wird versucht, nachzuweisen, daß es Entwick-'lungen -keineswegs nur gradlinige -und wechselnde Probleme oder auch eine wechselnde Gewichtung von Problemen des Betriebsalltags gab.

Die Darstellung konzentriert sich auf zwei Probleme aus dem Arbeitsalltag in den Betrieben: auf das Verhältnis der Arbeiter untereinander und zu dem Vertreter der Betriebsleitung, der für den Arbeiter alltäglich erfahrbar war, dem Meister. Die Art und Weise der Regelung dieser Arbeitsverhältnisse war einerseits Ausdruck des Arbeitsklimas in den Betrieben und hat andererseits wie-derum wesentlichen Einfluß auf das Arbeitsklima im Betrieb gehabt. Betrachtet werden sollen diese betrieblichen Alltagsprobleme „von unten“, aus der Sicht der „kleinsten Produktionseinheiten“ im Betrieb, aus der Perspektive der Arbeitsgruppen. In der DDR organisierten sich diese Arbeitsgruppen von Anfang an und in wachsendem Maße als Brigaden.

II. Die Brigade als charakteristische Form der Arbeitsgruppe in den volkseigenen Betrieben

Die ersten Produktionsbrigaden waren bereits im Herbst 1947 entstanden. Ihre eigentliche Geschichte begann im März 1950 mit der vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) organisierten massenhaften Bildung von Arbeitsbrigaden. Die Brigaden vermehrten sich viel rascher, als im Kampagneplan des FDGB vorgesehen Anfang der fünfziger Jahre war etwa ein Drittel, Mitte der fünfziger Jahre bereits die Hälfte der Industriearbeiter in Arbeitsbrigaden organisiert Die -ebenfalls vom FDGB initiierten -„Brigaden der sozialistischen Arbeit“ gab es seit Anfang 1959. Anders als im Falle der Arbeitsbrigaden verpflichteten sich ihre Mitglieder, nicht nur „sozialistisch zu arbeiten“, sondern auch „sozialistisch zu lernen und zu leben“. Verglichen mit den schon bestehenden Arbeitsbrigaden sollte sich in den sozialistischen Brigaden die „progressive Elite“ der Industriearbeiter zusammenfinden. Ab 1960 waren 45 Prozent der Arbeiter in den Betrieben in „Kollektiven der sozialistischen Arbeit“ organisiert, wie die offizielle Bezeichnung der Brigaden seit März 1962 lautete Nach vorübergehendem Rückgang des Organisationsgrades auf 37 Prozent arbeitete im Jahre 1969 erstmals die Mehrheit der Beschäftigten der volkseigenen Industriebetriebe in Brigaden. Bereits zwei Jahre später waren es zwei Drittel, 1988 sogar 84 Prozent. In anderen Wirtschaftszweigen fand das Brigadesystem nicht im gleichen Maße Anwendung. In der Wirtschaft insgesamt überschritt 1970 der Anteil der in sozialistischen Brigaden organisierten Beschäftigten erstmals die 40 Prozent-Marke. Im Jahre 1988 wurde eine Beteiligung von 67 Prozent erreicht. Seit der Verstaatlichungsmaßnahme von 1972 waren alle in der DDR existierenden Industriebetriebe volkseigen. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre dürfte es kaum einen größeren VEB gegeben haben, in dem nicht die Mehrzahl der betrieblichen Arbeitsgruppen Brigaden waren.

Die Brigaden unterschieden sich von den übrigen im VEB existierenden Arbeitsgruppen mindestens in drei Merkmalen: Sie waren erstens das Resultat einer Entscheidung der Arbeitsgruppe selbst, d. h. die Bildung von Brigaden war Sache der Beteiligten. Sie konnte nicht von oben angeordnet werden. Zweitens schlossen die Brigaden jährlich einen Brigadevertrag mit der Werksleitung und der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) ab bzw. stellten sich in einem von beiden Institutionen gebilligtem „Kampfprogramm“ zur „Erringung des Titels , Kollektiv der sozialistischen Arbeit “ zusätzlich Produktionsaufgaben, mit denen (meistens) die Menge der herzustellenden Produkte überboten oder (seltener) die Qualität der produzierten Erzeugnisse gesteigert werden sollte. Als sozialistische Brigaden übernahmen sie auch Verpflichtungen, die über den Produktionsprozeß hinausreichten. Diese Verpflichtungen bezogen sich einerseits auf Qualifizierungsaufgaben („sozialistisch lernen“). Andererseits umfaßten sie unter der Rubrik „sozialistisch leben“ kulturelle oder gesellige Aktivitäten der Brigademitglieder nach Feierabend und an den Wochenenden bzw. Unterstützungsmaßnahmen für Schulen („Patenschaften“) oder Kommunen („Aufbaueinsätze“). Werk-leitung und BGL verpflichteten sich ihrerseits, die für die Erfüllung und Übererfüllung der Produktionspläne durch die Brigade benötigten Materialien und Zulieferungen „kontinuierlich bereitzustellen“ und die über den Produktionsprozeß hinausgehenden Aktivitäten der Brigade durch Freistellungen (vor allem für Qualifizierungslehrgänge) und mit Geld (z. B. für Theaterbesuche und Brigadefahrten) zu unterstützen. Drittens hatten die Brigaden direkten Einfluß auf die Bestimmung des Arbeitsgruppenleiters. Wurden die „gewöhnlichen“ Arbeitsgruppen unmittelbar durch den Leiter bzw. mittelbar über eine vom Meister eingesetzte Person (Kolonnenführer, Vorarbeiter, Ein-richter) geleitet, so stand an der Spitze der Brigade der Brigadier. Obwohl 1950 vom Bundesvorstand des FDGB keineswegs vorgegeben, setzte sich in den Arbeitsbrigaden rasch die Wahl des Brigadiers aus den Mitgliedern des Kollektivs heraus durch

In der betrieblichen Realität waren allerdings oft die hier anhand der konstitutiven Momente der Brigade erläuterten Unterschiede der „sozialistischen Kollektive“ zu den gewöhnlichen Arbeitsgruppen weniger deutlich: An Stelle der Wahl der Brigadiere trat vielfach deren Einsetzung durch den Meister, allerdings in Abstimmung mit den Brigademitgliedern. Freiwilligkeit schloß Nötigung nicht aus. Brigadeverträge hatte die Betriebsleitung teilweise so weit vorbereitet, daß die Vordrucke nur noch ausgefüllt werden mußten.

Wie hoch der auf diese Art zustande gekommene Anteil formal gebildeter Brigaden war, ist schwer zu bestimmen. Auch eine Aussage des Bundesvorstandes des FDGB vom Juli 1959, „daß kaum die Hälfte (der gemeldeten sozialistischen Brigaden, J. R.) echt sich dieser Bewegung angeschlossen haben“ beruhte letztlich auf Schätzungen. Somit läßt sich auch die Zahl derjenigen Brigaden, in denen engagiert um eine Verbesserung der Produktionsmethoden gekämpft wurde, nicht mit Sicherheit bestimmen. Es kann aber angenommen werden, daß der Anteil der „unechten“ Brigaden, die sich kaum von den bisherigen Arbeitsgruppen unterschieden, um so größer war, je mehr von seiten der SED-Führung Druck gemacht wurde, alle Beschäftigten (zumindest in den Industriebetrieben) in Brigaden zu organisieren. Das war mit Sicherheit in den achtziger Jahren der Fall.

III. Arbeitsverhältnisse und Arbeitsklima in den Brigaden zu Beginn der fünfziger Jahre

Als der Bundesvorstand des FDGB im März 1950 die Bewegung der Arbeitsbrigaden in der volks-eigenen Industrie startete, war er davon überzeugt, daß dies einen positiven Einfluß auf die Arbeitsleistung in den Werkstätten und den Fertigungslinien der Betriebe haben würde. Denn ent-sprechend dem marxistisch-leninistischen Verständnis von den Triebkräften der Entwicklung der Wirtschaft im Sozialismus mußten nach der Ersetzung des privaten durch staatliches Eigentum „gesetzmäßig“ an Stelle der privaten Unternehmer die Arbeiter als Träger der Initiative in der Wirtschaft treten. Im Sozialismus, davon war man in der Gewerkschaftsführung überzeugt, werde an Stelle der Leistungssteigerung durch kapitalistische Ausbeutung der freiwillige und massenhafte Wettbewerb „von Mann zu Mann, von Brigade zu Brigade, von Betrieb zu Betrieb“ mit dem Ziel der Erreichung höchster Produktionsergebnisse treten

Konnten die hochgesteckten Erwartungen des FDGB von den Arbeitsbrigaden realisiert werden? Für deren erhöhte Leistungsbereitschaft gibt es für die Jahre 1950/51 ausreichend Zeugnisse. Nach der Auffassung der Instrukteure des FDGB, die an den Bundesvorstand über die sich ausbreitende Bewegung der Arbeitsbrigaden zu berichten hatten, lassen sich dafür mindestens drei Ursachen erkennen.

Erstens: Die Brigadebildung, die in der Regel mit der Wahl eines Brigadiers aus den eigenen Reihen und der Ablösung des bisherigen Vorarbeiters verbunden war, „führte zu einem viel engeren Zusammenschluß der Arbeitskollegen“. Dieser wiederum brachte es mit sich, daß die Brigademitglieder „mit einem ganz neuen Elan an die Aufgaben herangingen“. Zweitens brachte dieses Erlebnis größerer Zusammengehörigkeit ein stärkeres Verantwortungsgefühl der Brigademitglieder „nicht nur für ihre eigene Leistung, sondern auch für die Leistung der gesamten Brigade“ hervor. Das führte dazu, „daß die Kollegen sich untereinander jetzt bedeutend mehr helfen, . .. fortschrittliche Arbeitsmethoden zu übertragen, weil die Brigade hinter den Leistungen der anderen (Brigaden) nicht zurückstehen will“. Eine besondere Rolle spielten in diesem Zusammenhang die Brigadiere selbst. Wie aus den FDGB-Akten hervorgeht, handelte es sich bei ihnen in der Regel um „jeweils die besten Arbeiter, die dann die anderen Kollegen mitreißen und zur Qualitätsarbeit anspornen . ..“. Drittens führte die teilweise Übernahme der Verteilung des Leistungszuschlages durch die Gruppe selbst zu einer größeren Transparenz des Zusammenhangs zwischen eigener Leistung und Entlohnung Eine wesentliche Ursache für das verbesserte Arbeitsklima und die gestiegene Arbeitsleistung bestand in der Kompetenzerweiterung der Arbeitsbrigaden gegenüber den Arbeitsgruppen. Das veränderte die Arbeitsverhältnisse im Betrieb. Die Aufteilung der Arbeit unter den Brigademitgliedern auf von ihnen selbst geleiteten Produktionsberatungen, aber auch die Verteilung der Prämien, die Normung, die Qualitätsprüfung hatten vorher vollständig in der Hand der Meister gelegen. Jetzt übernahm sie im Auftrag der Brigade der Brigadier. Allerdings war diese Kompetenzausweitung in den seltensten Fällen durch die jeweilige Betriebsleitung genehmigt und in einer Neufassung der entsprechenden Bestimmungen der Betriebs-ordnung fixiert worden. Die größeren Möglichkeiten für die Gestaltung des Arbeitsprozesses durch die Brigaden, der Kompetenzgewinn für den Brigadier, waren gewissermaßen illegal erstritten worden. Die Ausweitung des Handlungspielraumes der nunmehr als Brigaden organisierten Arbeitsgruppen vollzog sich auf Kosten der Meister. Sie mußten durch das Aufkommen der Brigaden einen beträchtlichen Statusverlust hinnehmen. In einigen Betrieben, z. B. im Chemiewerk Premnitz, war sogar der Versuch unternommen worden, den Meister durch den Brigadier ganz zu ersetzen Die Reaktion der Meister auf die Arbeitsbrigaden war daher von Beginn an indifferent, abwartend und skeptisch. Im Laufe der Zeit erwiesen sich die Meister dann sogar immer mehr als Bremser. Auf den eingetretenen Statusverlust folgte im zweiten Halbjahr 1951 und im ersten Halbjahr 1952 die Rückeroberung verlorener Positionen, nachdem die SED und bald darauf auch die Gewerkschaftsführung im Sommer 1951 von der bedingungslosen Unterstützung der von ihnen selbst ins Leben gerufenen Brigadebewegung abgegangen waren Mit der „Verordnung über die Rechte und Pflichten der Meister in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben und über die Erhöhung ihrer Gehälter“ sollte der zwei Jahre zuvor eingetretene Statusverlust des Meisters, auch auf dem Gebiet der Entlohnung, wettgemacht werden. „Der Meister“, hieß es in der Verordnung, „bildet in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaftsorganisatoren entsprechend dem technologischen Prozeß Arbeitsbrigaden und schlägt dem Abteilungsleiter oder Werkleiter die Brigadiers zur Bestätigung vor.“ Mit der Meisterverordnung wurden den Brigaden nicht nur „angemaßte“ Kompetenzen wieder abgenommen und Entscheidungsspielräume für die Selbstgestaltung des Arbeitsprozesses eingeengt, sondern es wurde auch der Versuch unternommen, den Brigadier auf den Status eines Vorarbeiters herunterzustufen.

Welche Auswirkungen diese Umgestaltung der Arbeitsverhältnisse auf das Arbeitsklima in den „engagierten“ Brigaden gehabt hat, läßt sich heute nicht mehr feststellen, da „brigadebezogene“ Archivalien im Zentralen Gewerkschaftsarchiv über die Zeit nach der Meisterverordnung kaum existieren und mit einer diesbezüglichen Durchsicht der Akten repräsentativer Betriebe in den nächsten Jahren wohl kaum zu rechnen ist. Es darf jedoch angenommen werden, daß die Einschränkung des Selbstgestaltungsraumes für die Brigaden genau so kontraproduktiv wirkte, wie ihre „illegale“ Erweiterung zwei Jahre zuvor produktive Ergebnisse gezeitigt hatte.

IV. Umfang und Auswirkungen des „Lohnaushandelns“ seit der Mitte der fünfziger Jahre

Nur kurzfristig -1950 und im ersten Halbjahr 1951 -schien sich ein neues Verhältnis von Norm, Leistung und Lohn anzubahnen. Viele „engagierte“ Brigaden waren zur Selbstnormung übergegangen. Normenerhöhungen erfolgten freiwillig, bei Sicherung des Verdienstes Doch mit der Einschränkung des Handlungsspielraumes für die Brigaden fiel die Arbeitsnormung wieder voll in die Verantwortung des Meisters bzw. Abteilungsleiters. Die Möglichkeit, unter Beteiligung der Arbeiter selbst zu „harten“ Normen zu kommen, war nicht ernsthaft erprobt worden. Nach 1951 sollten Leistung und Lohn auf der Grundlage von durch Arbeitsnormer ermittelten „technisch begründeten Arbeitsnormen“ in Übereinstimmung gebracht werden. Der gewünschte Erfolg blieb allerdings aus. Die Mehrzahl der Normen blieb „weich“, d. h. es kam zu beträchtlichen Übererfüllungen. Lohn-entwicklung und Leistung klafften auseinander. Die SED und die zentrale Wirtschaftsleitung verfügten daraufhin pauschale Normerhöhungen. Diese berücksichtigten nicht die tatsächliche Situation in den Branchen und Betrieben. In ihrer Wirkung kamen sie Lohnkürzungen gleich. Eine allgemeine zehnprozentige Normenerhöhung löste bekanntlich den Arbeiteraufstand vom 17. Juni aus. Die SED-Führung lernte aus diesem Debakel, aus dem sie nur sowjetisches militärisches Eingreifen rettete, die Normenproblematik dezentral zu behandeln, d. h. sie den Betriebsleitungen und Betriebsbelegschaften zu überlassen und sich auf moralische Appelle für eine „neue Einstellung zur Arbeit“ zu beschränken, wie sie sich u. a. in den von Ulbricht auf dem V. Parteitag der SED 1958 verkündeten „zehn Geboten der sozialistischen Moral“ niederschlugen.

Die Betriebsleitungen wußten um die relativ starke Position der Arbeiter nach dem Scheitern einer zentralen Regelung der Normfrage. Sie setzten Normerhöhungen nur in dem Maße durch, wie das auf dem Wege des Kompromisses mit der Belegschaft -eben im „Lohnaushandeln“ -möglich war. Im Interesse des gesamten Kollektivs übte sich der Brigadier mit stillschweigender Duldung des Meisters im „Schreiben von Normerfüllung“. Sein „spitzer Bleistift“ verschaftte den Brigademitgliedern Einkommenszuwachs auch ohne Leistungssteigerung. Im Jahre 1956 lag die durchschnittliche Normerfüllung in der volkseigenen Industrie bei 136 Prozent. Knapp drei Prozent der Stücklöhner schafften 200 Prozent der Norm. Im Jahre 1961 lauteten die entsprechenden Werte 160 Prozent bzw. 15 Prozent Es läßt sich kaum feststellen, ob die von der Einengung ihrer Kompetenz enttäuschten „engagierten“ Brigaden sich auch bzw. in vollem Maße an der Manipulation von Lohn und Leistung beteiligten, oder ob die Jahre 1952 bis 1958 nicht eher die Zeit der „Opportunisten“ waren -der Brigadiere, die im Interesse der Brigademitglieder die entstandene Situation zu durch den Produktivitätsfortschritt nicht gerechtfertigten Lohnsteigerungen nutzten.

Die historischen Zusammenhänge jener eingangs zitierten Beobachtungen der Industriesoziologen, daß der „Leistungslohn mehr und mehr zum selbstverständlichen Bestandteil des Einkommens wurde, auf den man ein verbrieftes Anrecht zu haben meinte“ liegen also bereits in den fünfziger Jahren. Und sicher hat hier auch die Formel: „Wir tun so, als ob wir arbeiten. Und ihr tut so, als ob ihr uns bezahlt“, ihren Ursprung. Um „eine Art heimlichen Gesellschaftsvertrag“ (Stefan Wolle) handelte es sich aber aus zwei Gründen nicht: Erstens gab es eine Minderheit, die derartige Manipulationen auch dann ablehnte, wenn sie zum eigenen Vorteil gereichten. Daß diese Minderheit relativ groß war, zeigte sich bereits 1959, als der Aufruf zur Bildung von sozialistischen Brigaden ein lebhaftes Echo unter den Arbeitern hervorrief. Zweitens fehlte dem „Lohnaushandeln“ in großen Teilen der Industrie einfach die Basis. Zwar erreichte der Anteil der Leistungslöhne und damit der über Manipulation der Normen beeinflußbaren Löhne bereits Anfang der fünfziger Jahre 60 Prozent und 1957 78 Prozent Aber nicht in allen Bereichen konnten Normen manipuliert werden, was die Voraussetzung für das Funktionieren des „Lohnaushandelns“ war. Nur dort, wo angesichts einer Vielfalt von kleinen Stückzahlen und zahllosen Einzelfertigungen die Normung sehr unübersichtlich war, stieß das „Normenschreiben“ auf fast keine Grenzen.

Eine Tabelle der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik aus dem Jahre 1957 zum Verhältnis von Tarif-und Effektivlohn in 60 Industriezweigen gibt ziemlich gut darüber Auskunft, in welchen Zweigen der „spitze Bleistift“ in großem Maßstabe Anwendung fand und in welchen nicht. Bei einem generell -auch in der Bundesrepublik und anderen westeuropäischen Ländern -zu beobachtenden Auseinanderdriften von Tarif-und Effektivlöhnen vergrößerten „weiche“ Normen diese Differenz stärker, als wenn „harte“ Normen in Anwendung kamen. Vergleicht man jene Zweige, in denen (1957) der Anteil des tariflichen Stundenlohnes auf 50-55 Prozent des Effektivlohnes gesunken war, mit jenen Zweigen, in denen er 70-75 Prozent betrug, dann läßt sich recht genau eingrenzen, in welchen Bereichen „Lohn-aushandeln“ üblich geworden war, und in welchen Industriezweigen Lohn-und Leistungssteigerung miteinander gekoppelt waren. Zur Gruppe der Industriezweige mit dem niedrigsten Anteil des Tariflohnes am Effektivlohn gehörten die Gießereien, der Bau von Ausrüstungen für Metallurgie und Schwermaschinenbau, der Leichtmaschinenbau und der Automobilbau. „Normen schreiben“ spielte also vor allem in der metallverarbeitenden Industrie eine Rolle. Branchen, in denen der Effektivlohn nur 25-30 Prozent über dem Tariflohn lag, waren der Bergbau sowie die meisten Zweige der Leicht-und Lebensmittelindustrie. Gemessen an den Beschäftigten der zentralgeleiteten volkseigenen Industrie entfielen im Jahre 1957 auf die metallverarbeitende Industrie 41, 2 Prozent aller Arbeiter und Angestellten, d. h. von fünf Beschäftigten in der Industrie der DDR waren -grob gerechnet -zwei in das „Lohnaushandeln“ verstrickt

Wenn auch eine Mehrheit der Beschäftigten davon nicht betroffen war: Die Auswirkungen des „Lohnaushandelns“ auf das Arbeitsklima und die Arbeitsverhältnisse dürften beachtlich gewesen sein. Die Position des Brigadiers wurde gestärkt, die des Meisters geschwächt. Der materielle Anreiz zur Steigerung der Arbeitsleistung war zurückgegangen.

V. Arbeitsklima und Arbeitsverhältnisse in den Anfangsjahren der „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ (1959/60)

Der Aufruf der Brigade „Nikolai Mamai“ vom Januar 1959, dessen in der Gewerkschaftszeitung „Tribüne“ veröffentlichter Text im wesentlichen dem entsprach, was der Bundesvorstand des FDGB als „Inhalt und Ziel der Bewegung“ der sozialistischen Brigaden zuvor festgelegt hatte enthielt unter „sozialistisch Arbeiten“ die Selbst-verpflichtung: „Wir wollen Verlust-und Wartezeiten ausschalten ... und das sozialistische Leistungsprinzip noch besser verwirklichen ...

Richtschnur unseres Handelns sollen die vom V. Parteitag beschlossenen 10 Gebote der sozialistischen Ethik und Moral sein. Deshalb werden wir gegen alle Überreste der Arbeitsbummelei und Trinkerei entschieden kämpfen.“ Der Appell an Ehrlichkeit und Gemeinschaftsgeist wurde durchaus ernst genommen. Bis zum Ende des Jahres waren 60 000 Brigaden, die 700 000 Mitglieder zählten, entstanden. Wenn man mit dem FDGB-Bundesvorstand annimmt, daß es sich bei der Hälfte der „sozialistischen Kollektive“ um formale Gründungen handelte, ging die Zahl derjenigen, die von dem im Aufruf der „Mamais“ zum Ausdruck kommenden Mut zur Aufrichtigkeit, zur Verantwortlichkeit und für eine leistungsgerechte Entlohnung angetan waren sowie der geforderten „Erziehung und Selbsterziehung“ zustimmten, in die Hunderttausende. Wie ernst es den „engagierten“ Brigaden mit der Verringerung der Warte-und Stillstandszeiten und einer leistungsrechten Entlohnung war, sollten die Betriebsleitungen rasch zu spüren bekommen: Wenn man keine „Normen schrieb“, also'auf den finanziellen Puffer eines manipulierten Leistungslohnes verzichtete, dann schlugen die Warte-und Stillstandszeiten im Arbeitsprozeß, die nur entsprechend dem Durchschnittslohn bezahlt wurden, in der Lohntüte der Arbeiter unmittelbar negativ zu Buche. „Mängel in der Arbeitsorganisation, schlechte Leitungstätigkeit, unrhythmischer Produktionsablauf und in diesem Zusammenhang auch eine Vielzahl Überstunden“, das merkten gerade die engagierten Brigaden, wurden zu „Hemmnissen und Schwierigkeiten, mit denen die Kollektive ... nicht allein fertig werden und die sich sehr nachteilig auf die Entwicklung des Kollektivs, auf die Arbeitsfreude . . . auswirken.“ Die Brigademitglieder vermuteten die Ursache für die Mängel allerdings nicht so sehr im Planungssystem selbst, sondern bei der Betriebsleitung. Aus der Überzeugung, daß das Materialproblem vor allem ein betriebliches Leitungsproblem sei, resultierte die Zuversicht dieser Brigaden, die betriebsinternen Produktionsprobleme schon lösen zu können und auch bei ehrlicher Arbeit auf einen angemessenen Verdienst zu kommen, wenn sie der Betriebsleitung nur auf die Finger sehen und mitentscheiden würden. Von dieser Erkenntnis bis zur Forderung, an den Werkleitungssitzungen teilzunehmen, sowie der Forderung nach von den Belegschaften bzw. Brigaden zu wählenden Brigaderäten, die auf die Betriebsleitung unmittelbar Einfluß nehmen sollten, war es kein weiter Schritt

Eine erneute Konfrontation der Brigadebewegung mit den „staatlichen Leitern“ in den Betrieben -vom Werkleiter bis zum Meister -hatte der Bundesvorstand des FDGB von vornherein vermeiden wollen, als er die Bildung sozialistischer Brigaden initiierte. Nicht ohne Grund trug der Brigadeaufruf der „Mamais“ auch die Unterschrift des zuständigen Obermeisters und eines Ingenieurs als Pate der Brigade mit Beratungsfunktion. Unter dem Schlagwort der Bekämpfung des „Syndikalismus“ wandten sich SED-und FDGB-Führung im Frühsommer 1960 gegen die Untergrabung der betrieblichen Flierarchie durch die sozialistischen Brigaden. In verbindlicher Form forderte ein Beschluß der 9. Tagung des ZK der SED vom Juli 1960 von den SED-Mitgliedern, in den Betrieben „auf alle Werktätigen dahingehend einzuwirken, daß die Autorität der Direktoren, Abteilungsleiter und Meister gehoben wird... Ihre Anweisungen sind diszipliniert durchzuführen.“ Von nun ab wurde den „engagierten“ Brigaden jener Handlungsspielraum, den sie ihrer Meinung nach brauchten, um „ehrliches Arbeiten“ entsprechend dem Leistungsprinzip durchzusetzen, genommen. Die Enttäuschung und der Rückzug vom Engagement dürften seit 1960 ähnlich groß gewesen sein wie nach der Verkündung des Meistergesetzes im Jahre 1952.

VI. Arbeitsverhältnisse und Arbeitsklima nach dem Bau der Mauer und in den Anfangsjahren des „Neuen Ökonomischen Systems“

Seit dem Sommer 1960 gaben die „Opportunisten“ mit dem „spitzen Bleistift“ in den Brigaden vielfach wieder den Ton an. Ihre Position gegenüber dem Meister war Ende der fünfziger Jahre noch stärker geworden. Allein die Drohung, man könne sich -wenn man nur wolle -in „den Westen absetzen“, reichte oft, um die um ihre Stammarbeiter bangende Betriebsleitung nachgiebig zu stimmen. Selbstverständlich trug diese Situation nicht zu einer Verbesserung des Klimas zwischen Arbei-fern und Meistern bei. Die beim Leitungspersonal stets latent vorhandene Auffassung, daß die Arbeiter auf der „Hängematte“ lägen, wurde zwar nicht geäußert, war aber in den Köpfen der Meister, Abteilungsleiter und der Werkleitung allgegenwärtig- Der Bau der Mauer im August 1961 beseitigte nicht die Grundlagen für das „Normen schreiben“, verschlechterte jedoch die Position der „Opportunisten“. Im Gefühl, nicht mehr durch Fluchtdrohungen der Arbeiter erpreßbar zu sein, wurde von der SED-Führung das „Produktionsaufgebot“ inszeniert. Die ausgegebene Losung: „Für das gleiche Geld in der gleichen Zeit mehr produzieren“ führte 1962 zu einer Absenkung des durchschnittlichen monatlichen Arbeitseinkommens um 0, 5 Prozent. Von seiten der vergleichsweise schlecht bezahlten Meister dürfte diese Entwicklung nur als gerecht empfunden und mit Genugtuung aufgenommen worden sein. Doch auch unter dem Schock des Mauerbaus ließ sich auf die Dauer keine offene Lohnstoppolitik durchsetzen. Im Dezember 1962 wurde das „Produktionsaufgebot“ faktisch abgeblasen 1963 entstand das „Neue Ökonomische System“ (NÖS), die wirtschaftspolitische Reformkonzeption zur Modernisierung der DDR-Wirtschaft. Nicht nur in den Beziehungen zwischen Betrieb und zentraler Leitung, auch hinsichtlich des Verhältnisses von Werkleitung und Belegschaft -besonders zwischen Brigadier und Meister -brachte das NÖS im Vergleich zur Wirtschaftsverfassung der DDR am Ende der fünfziger Jahre einen Paradigmenwechsel mit sich Die Wirtschaftsreformen führten zu einer gezielten Verlagerung der Aufmerksamkeit der Medien von den Arbeitern, den Brigaden und der Wettbewerbsbewegung auf die Aufgaben der Werkleiter und die Leistungen der Ingenieure. Ihr Prestige stieg in der Gesellschaft. Auch ihre Position in den Betrieben verbesserte sich. Erstens erhielten die Betriebe gegenüber den übergeordneten staatlichen und Parteiinstitutionen größere Autonomie. Sie konnten einen Teil des von ihnen erwirtschafteten Gewinns selbst behalten, ihn für Prämien und Investitionen verwenden. Zweitens bekamen die Leiter der Vereinigungen der volkseigenen Betriebe, der „sozialistischen Konzerne“, und die ihnen unterstellten Betriebe freie Hand bei der Durchsetzung der Grundsätze von Rentabilität und Effektivität in den Betrieben. Mehr denn jemals zuvor oder nachher wurde der Lohn von der Betriebsleitung auch als Kostenfaktor betrachtet. Lohnsteigerungen schmälerten den Betriebs-gewinn

Die Betriebsleitungen nutzten ihren größeren Handlungsspielraum gegenüber der Zentrale und den Arbeitern, um strengere Maßstäbe an die Einführung neuer Normen zu legen. Im Industrie-zweig Chemieanlagenbau wurde ein Wettbewerb unter den Arbeitsnormern „zur Erarbeitung eines zusätzlichen ökonomischen Nutzens durch Normenarbeit“ organisiert. Der Generaldirektor der Vereinigung Volkseigener Betriebe (WB) Chemieanlagenbau war der Meinung: „Der Arbeitsnormer muß so viel Stunden bringen (d. h. einsparen, J. R.), wie er Gehalt bekommt.“ Die Betriebsleitung vom Werkleiter bis zum Meister vertrat im Industriezweig Trikotagen und Strümpfe die Auffassung: „Technisch begründete Arbeitsnormen kann man nicht unter aktiver Teilnahme der betreffenden Arbeiter ausarbeiten.“ „Mit uns wird höchstens über die Norm diskutiert, wenn sie schon ausgearbeitet ist. Wir werden vor vollendete Tatsachen gestellt,“ beklagten sich die Arbeiter bei der Gewerkschaft

Der FDGB mußte 1964 und 1965 „alarmierende“ Normenuntererfüllungen feststellen. Noch bestürzender fanden die Gewerkschafter die Auffassungen einiger Wirtschaftsfunktionäre: „Die einen meinen, die Normen müssen so festgelegt werden, daß sie erst wieder in 2 bis 3 Jahren von den Arbeitern erfüllbar sind . .. und andere sagen, bei straffen Normen ist es normal, daß 50 Prozent der Werktätigen unter 100 Prozent (Normerfüllung) liegen.“ Wenn man schon den Betrieben mehr Verantwortung gebe, so der Kommentar der Gewerkschafter, erfordere „das zugleich, daß durch ... zentrale Staatsorgane eine gewissenhafte Kontrolle und Koordinierung erfolgt. Bisher ist sie nicht im erforderlichen Maße gewährleistet.“

Im Durchschnitt gelang es nach Gewerkschaftsangaben im Februar 1965 mehr als einem Viertel der Industriearbeiter in der volkseigenen Industrie nicht, die Arbeitsnorm zu erfüllen. Wie zu erwarten war, waren besonders diejenigen Industriear­ beiter der Normenschraube ausgesetzt, die sich aufgrund der besseren Normierbarkeit der Produktionsverfahren weniger wehren konnten. Im Maschinenbau oder in der Elektrotechnik war dies nicht der Fall. Überdurchschnittlich hoch war die Zahl derjenigen Arbeiter, die ihre Norm nicht schafften, im Bereich der Industriegewerkschaft Textil -Bekleidung -Leder sowie in der Lebensmittelindustrie. In der bereits erwähnten WB Trikotagen und Strümpfe erreichten zwei Drittel (68 Prozent) der Leistungsstücklöhner nicht die Norm, in der Tabakindustrie waren es 67, 6 Prozent, in der WB Lederwaren sogar 82, 6 Prozent

Die Situation hatte sich damit gegenüber der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre fast verkehrt. An Stelle der häufig und am Ende der fünfziger Jahre immer öfter geübten Nachgiebigkeit der Arbeitsnormer gegenüber den Forderungen der Arbeiter bei der Neufestlegung der Normen war nunmehr Druck von oben getreten. Wenn die Lohnkosten bei Einführung neuer technologischer Verfahren nicht oder nur geringfügig steigen sollten, mußten „harte“ Normen her, um Normübererfüllungen in Grenzen zu halten. Für die weniger Leistungsfähigen bedeutete diese Betriebspolitik Lohneinbußen durch Untererfüllung. Die Brigaden hatten nach dem Verlust ihrer Mitspracherechte in den Betrieben in Zusammenhang mit dem „Syndikalismus-vorwurf“ eine zweite wichtige Funktion, die ihnen nach 1953 zugewachsen war, nahezu verloren.

Es paßt in das veränderte Kräfteverhältnis in den Betrieben während des NÖS, daß die Anzahl der sozialistischen Brigaden in den ersten Jahren der Wirtschaftsreform ständig zurückging. Ihre Zahl sank von 61 000 im Jahre 1962 auf 41 000 Ende 1966 -also um ein Drittel. Aufmerksamen Beobachtern im Westen Deutschlands blieb diese Entwicklung nicht verborgen. „Das Neue Ökonomische System läßt den Betrieben nur noch wenig Raum für gesellschaftspolitische Experimente, wie sie beispielsweise 1959/60 in den , Brigaden der sozialistischen Arbeit'unternommen wurden“, schrieb der Diplomvolkswirt und Journalist Manfred Rexin im Jahre 1965 Natürlich hatte die Situation Auswirkungen auf das Arbeitsklima in den „untersten Produktionseinheiten“ der Betriebe. „Bei der Durchführung der Gewerkschaftswahlen ist offensichtlich geworden“, hieß es in einem Bericht des Bundes-vorstandes des FDGB aus dem Jahre 1965, „daß die Arbeiter mit der Praxis der Arbeitsnormung in den Betrieben sehr unzufrieden sind. . Sie beklagten sich über die Behandlung durch Meister und Arbeitsnormen Der Bundesvorstand fand diese Kritik berechtigt

VII. Erneute Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen Brigadier und Meister in der Ära Honecker

Nimmt man die zahlenmäßige Auf-und Abwärts-entwicklung der „Brigaden der sozialistischen Arbeit“ als Indikator für ihre stärkere oder schwächere Position im Betrieb, dann kündigten sich Veränderungen in der Wirtschaftsführung bereits mit dem Jahre 1967 an, als die Anzahl der Brigaden und Brigademitglieder in der Industrie wieder zu steigen begann. Im Jahr von Honeckers Machtübernahme 1970 gab es wieder fast so viele Brigaden wie im Jahre 1961 -vor der Zeit des Neuen Ökonomischen Systems und dem „Produktionsaufgebot“. Ein Jahr später waren bereits 65 Prozent, mehr Arbeiter und Angestellte als jemals zuvor, in Brigaden organisiert. In der Wirtschaftsführung der DDR hatte sich erneut ein Paradigmenwechsel vollzogen. Das „Ökonomische System des Sozialismus“ (ÖSS) wurde zielstrebig demontiert Auch das Klima in den Betrieben änderte sich. Der Wirtschaftsfunktionär stand nicht mehr im Mittelpunkt des Medieninteresses, auch nicht der Ingenieur, sondern wieder, wie in den fünfziger Jahren, der Arbeiter. Auf dem VIII. Parteitag der SED verkündete Honecker „die hohe Wertschätzung“ des Politbüros für die Arbeiter. Zur neuen Politik ihnen gegenüber gehöre „die überall gebotene Aufmerksamkeit für ihre Gedanken und Vorschläge, ihre Bedürfnisse und Interessen“ Wettbewerbsbewegung und auch Brigadearbeit wurden wieder groß geschrieben.

In Analogie zu den fünfziger Jahren hätte man eigentlich eine neue, „höhere“ Stufe der Brigade-bewegung erwarten können. Doch in der restaurativen Honecker-Ära war man auch auf gesellschaftspolitischem Gebiet nicht mehr an Innovationen interessiert. Die SED-Führung begnügte sich mit der Ausweitung der Brigadebewegung. Daß es sich nur um eine quantitative Ausweitung handelte, muß betont werden. An den Selbstgestaltungswillen, der sich zu Beginn der Bewegung der Arbeitsbrigaden und der sozialistischen Brigaden gezeigt hatte, wollte man sich -bei allem Wiederaufleben von „Arbeitertraditionen“ aus den fünfziger Jahren -nicht erinnern. Unter diesen Umständen war an Impulse „von unten“ zur Brigadebildung, wie sie 1950 und 1959 die Gewerkschaftsführung überrascht hatten, nicht zu denken. „Von der Betriebsleitung wurde gefordert, daß jeder Leiter eines Bereichs Einfluß darauf nehmen sollte, daß sich möglichst sozialistische Kollektive entwickeln. Das war seine politische Aufgabe, die er zu erfüllen hatte“, gab ein Arbeiter aus der Berliner Werkzeugmaschinenfabrik Marzahn (BWF) nach der Wende zu Protokoll. „Es gab immer wieder Kollegen, die sich überzeugen ließen.“ So oder ähnlich dürfte es auch in anderen Betrieben gewesen sein. Auch in den siebziger und achtziger Jahren blieb die Brigadebildung freiwillig, aber es wurde vermehrt „von oben“ Druck ausgeübt.

Honecker hatte auf dem VIII. Parteitag zwar versichert, daß die Wertschätzung der Arbeiter „die Stellung und Leistung der anderen werktätigen Klassen und Schichten ... in keiner Weise mindert“ Ingenieure und Meister bekamen jedoch den Positionsverlust, den sie mit dem Übergang von Ulbricht zu Honecker erlitten hatten, rasch zu spüren. Niemand von der Betriebsleitung wagte mehr offen auszusprechen, was die Vertreter des Bundesvorstandes des FDGB, wenn sie in den sechziger Jahren in die Betriebe gingen, sich wiederholt anhören mußten: „Die jungen Kollegen strengen sich nicht an... Die Arbeitsdisziplin ist nicht in Ordnung.“ Die Stellung des Meisters war nicht nur allgemein durch Prestigeverlust bedroht. So verloren die Meister erneut ihre alleinige Verfügungsgewalt über die Arbeitsnormung und damit ihre Einflußmöglichkeiten auf die Höhe des Lohnes der Arbeiter, ihr wohl wichtigstes Sanktionsund Belohnungsmittel. Im Maschinenbau blühte wieder das „Lohnaushandeln“ auf, bei der sich Brigadier und Meister als mehr oder weniger gleichberechtigte Verhandlungspartner gegenüberstanden.

Der neuerliche Verfall der Autorität des Meisters war so rapide, daß das Sekretariat des ZK der SED sich Ende 1974 genötigt sah, einen Beschluß „Zu Problemen und Schlußfolgerungen über die Stärkung der gesellschaftlichen Rolle der Meister in der sozialistischen Volkswirtschaft“ zu fassen. Der Beschluß führte auch zu einer lohnpolitischen Aufwertung des Meisters Die bessere Bezahlung und Prämiierung, lobende Erwähnungen auf Parteitagen und Tagungen der SED und das damit verbundene größere Medieninteresse haben für die Meister sicher einiges vom beim Übergang zur Honecker-Ära erlittenen Statusverlust wettgemacht. Ausreichend Genugtuung widerfahren war dem Meister damit jedoch nicht. Seine Position gegenüber den Brigaden blieb geschwächt. „Den Meister als Respektsperson gab es in der Regel in den produzierenden Bereichen der DDR nicht“, stellten 1992 rückblickend die Dresdener Arbeitswissenschaftler Kullmann und Nawroth fest. „Größtenteils waren Beziehungen der Meister in den Brigaden . .. (solche) . .. von Gleichen zu Gleichen. Zum Teil war die Anerkennung des Meisters so gering, daß er selbst in diese Gruppen nicht integriert war.“ „Der Meister war ja eigentlich nur unser Laufbursche“, war nach der Wende mancher Facharbeiter bereit, die Stellung des Meisters gegenüber den Brigaden in den Jahren zuvor zu charakterisieren Die Dresdener Arbeitswissenschaftler, die von Juli bis Oktober 1992 die soziologischen Untersuchungen in bereits privatisierten Betrieben sowie in Treuhandbetrieben durchführten, stellten nach der Wende „eine Aufwertung der Meisterstelle“ fest: „Obwohl zum Teil die gleichen Personen, verfügen sie jetzt durch geänderte Lohnformen über direkte Einflußmöglichkeiten auf den Lohn und damit zwangsläufig auch über einen sehr großen Respekt bei ihren Arbeitern.“

VIII. Das Arbeitsklima in den Brigaden während der siebziger und achtziger Jahre

Mit dem Ende der Wirtschaftsreformen verlor die Mehrzahl der Industriebetriebe das an Autonomie, was ihnen das NOS gewährt hatte. Für die „strukturbestimmenden Betriebe“ war der Handlungsspielraum bereits unter dem ÖSS beträchtlich eingeschränkt worden. Mit dem Paradigmenwechsel in der Wirtschaftsführung verschwand erneut das eigene Interesse der Werkleitungen an einer Dämpfung des Kostenfaktors Lohn. Auf „harte Normen“, wie sie das NÖS gekannt hatte, konnten die Betriebsleitungen wieder viel leichter verzichten als in den sechziger Jahren. Angesichts dieser Konstellation wäre es im Interesse der Leistungserhaltung bzw. -Steigerung der Belegschaften notwendig gewesen, wieder stärker auf Eigenintiativen der „engagierten“ Brigaden zurückzugreifen. Statt dessen kam es zu einer inflationären Auflegung von „Produktionswettbewerben“ alten Stils mit neuem Namen.

Insgesamt dürfte in den siebziger Jahren eine Verringerung der Arbeitsleistung gegenüber den sechziger Jahren eingetreten sein. Eine solche Feststellung darf jedoch nicht zu sehr verallgemeinert werden. In jenen Bereichen, in denen für die „Aushandlung des Lohnes“ keine günstigen Voraussetzungen vorhanden waren -vor allem in Zweigen der Leicht-und Lebensmittelindustrie -setzten die Betriebsleitungen die Normenpolitik der sechziger Jahre im wesentlichen fort. Nach einer Untersuchung des Bundesvorstandes des FDGB war in diesem Industriebereich „der Anteil der Normenuntererfüller unvertretbar hoch und zum Teil jeder 5. Werktätige nicht in der Lage, seine Arbeitsnorm zu erfüllen“. In den Werkleitungen war weiterhin die Meinung anzutreffen, daß „Normen, die über 105 Prozent erfüllt werden, nicht exakt sind“. In der Leichtindustrie, in der fast ein Drittel (31, 5 Prozent) der Industriearbeiter beschäftigt waren, betrug der Anteil der Normuntererfüller insgesamt noch 10, 2 Prozent. Die Tendenz zur Verringerung dieses Anteils (und damit auch der „harten“ Normen) war allerdings erkennbar. Im Jahre 1971 hatte der Anteil der „Unterer-füller“ noch 14, 5 Prozent betragen

Für diesen Bereich und die Lebensmittelindustrie kann angenommen werden, daß die Arbeitsintensität beträchtlich höher lag als in der metallverarbeitenden Industrie. Es fällt auf, daß die relativ wenigen industriesoziologischen Untersuchungen nach der Wende, die die Grundlage für die heutige Einschätzung der Arbeitsverhältnisse in DDR Betrieben bilden und die sich teilweise auch die Historiker zu eigen machten, nicht aus dem Bereich der Leicht-und Lebensmittelindustrie, sondern vorwiegend aus dem Maschinenbau und der Elektroindustrie stammen -jenem Industrie-bereich, in dem das „Aushandeln“ des Lohnes eine größere Rolle spielte, die Meister weniger zu sagen hatten und die Arbeitsintensität zweifellos geringer war. Über das innerhalb der Arbeitsgruppen bzw. Brigaden herrschende Arbeitsklima geben die in den ersten Jahren nach der Wende durchgeführten industriesozioiogischen Untersuchungen kaum Auskunft. Die Archive des FDGB und der SED schweigen sich dazu ebenfalls aus. Inwieweit Betriebsarchive diese Informationen überhaupt bieten, ist für diese „späte“ DDR-Zeit noch nicht bekannt. Den besten Zugang sollten eigentlich die Brigadetagebücher ermöglichen, um deren Sammlung sich einige Institutionen nach 1990 verdient gemacht haben

Brigadetagebücher sind vom Ende der fünfziger bis zum Ende der achtziger Jahre jährlich zu Zehntausenden geführt worden. Demnach wäre das Brigadetagebuch die ideale Quelle zum Studium der Arbeitsverhältnisse und des Arbeitsklimas in den Brigaden. Das ist jedoch nur bedingt der Fall. Am Anfang gab es genug „engagierte“ Brigaden, nach deren Auffassung das Brigadebuch „kein Buch der guten Taten“, sondern eine Widerspiegelung des realen betrieblichen Lebens „ohne Schönfärberei“ sein sollte. Aber bereits zu Beginn der sechziger Jahre wurde bemängelt, daß der „inneren Auseinandersetzung“ der Brigade im Tagebuch nicht genügend Raum gewidmet würde. Diese Tendenz setzte sich in den siebziger und achtziger Jahren offensichtlich unvermindert fort. Im Jahre 1987 stellte die Schriftstellerin Marga Tschirner in einem Brief an den Bundesvorstand des FDGB fest, „daß sich der Inhalt der Tagebücher, im Gegensatz zu früher, verändert hat. Nicht mehr die Tagebuchform wird gehandhabt, sondern das Schreiben von Artikeln mit Überschriften über Brigadeausflüge, Besuch in der Patenklasse usw. .. . Auseinandersetzungen werden kaum geschildert. Kritische Bemerkungen fehlen, meist auch Probleme der Arbeit.“ Soweit der Verf. sich selbst überzeugen konnte, trifft diese Charakteristik voll zu.

Der Historiker ist aus Mangel an schriftlichen Quellen über das Arbeitsklima in den Brigaden bisher gezwungen, sich auf die Ergebnisse von Befragungen, die in der ersten Hälfte der neunziger Jahre durchgeführt wurden, zu stützen Natürlich hatten die befragten ehemaligen Brigademitglieder für sich bereits das neue Arbeitsregime, das sie inzwischen aus eigenem Erleben oder durch Schilderung von Familienmitgliedern kannten, analysiert, und verglichen unmittelbar oder unwillkürlich beide miteinander. Durchgehend wird von den Befragten das Abeitsklima in den Brigaden positiv eingeschätzt. Ein Satz im Aufruf der Brigade „Mamai“ vom Januar 1959 scheint bis zum Schluß die Beziehungen in der Brigade bestimmt zu haben: „Sozialistisch leben wollen wir, indem sich die ganze Brigade für jeden einzelnen und jeder einzelne für die Brigade als Kollektiv verantwortlich fühlt.“ „Es war eine Zielstellung der Brigade“, heißt es in einem von der amerikanischen Geisteswissenschaftlerin Parmalee 1992 aufgezeichneten Interview, „daß die, die eben nicht so geschickt waren, daß man die mitgerissen hat und Geduld aufgebracht hat.. . Das ist heute gar nicht mehr, daß der eine für den anderen da ist... die Hilfestellung untereinander, die war einfach wirklich gut.“ Die Kommunikation innerhalb der Brigade funktionierte offensichtlich ausgezeichnet. „Angenehm war die ganze Atmosphäre im Kollektiv. Es kam manchmal zu Gehässigkeiten, aber es war immer die Parole, was man auf dem Herzen hat, hat man laut zu sagen und wenn die Fenster wackeln.“ Für Mobbing boten die Brigaden kaum Gelegenheit

Als eine wesentliche Voraussetzung für die gute Zusammenarbeit in der Brigade benannten die in Leipziger und Berliner Betrieben von Patty Parmalee Interviewten die über die Arbeitszeit hinausreichenden persönlichen Kontakte der Brigade­ mitglieder. „Wenn man die persönlichen und privaten Interessen der anderen ein wenig kennt, dann arbeitet sichs da leichter miteinander, die Erfahrungen haben wir gemacht.“ „Der persönliche Kontakt der Arbeitskollegen untereinander wurde gepflegt und gefördert durch Gemeinsamkeiten außerhalb der Arbeitszeit. .. Daraus entwickelten bzw. festigten sich kollegiale, freundschaftliche Beziehungen bis hin zur Familie.“ Die Interviewten betonten: „Wer Hilfe und Unterstützung im persönlichen Bereich brauchte, konnte auf , sein Kollektiv'in den meisten Fällen bauen.“ Köhlis Auffassung, „daß für die Beschäftigten der DDR vielleicht der Betrieb als sozialer Ort und als Verteilungsinstanz von Sozialleistungen, wohl kaum aber der betriebliche Arbeitsprozeß selber eine zentrale Sphäre zur Realisierung subjektiver Interessen war“ würden die Interviewten jedoch widersprochen haben. Immer wieder wurde darauf beharrt: „Hilfe und Unterstützung im persönlichen Bereich .. . hatte(n) auch positive Auswirkungen wiederum auf das Arbeitsklima.“ „Wenn es Spannungen unter den Kollektivmitgliedern gab, privat oder arbeitsmäßig, hat die Gemeinsamkeit während einer Veranstaltung nach der Arbeitszeit oder einer Wochenendfahrt auf das Klima positiv gewirkt.“ Parmalee hebt „diese weitgehende Verflechtung von Persönlichem und Beruflichem (im Westen unbekannt, um nicht zu sagen: aus guten Gründen suspekt)“ in der Auswertung ihrer Interviews besonders hervor. Die vom Institut für Arbeitswissenschaften in Dresden im Aufträge der „Kommission zur Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern“ im 2. Halbjahr 1992 durchgeführte Studie bestätigt die Interviews. „Nach wie vor ist ein Verantwortungsgefühl für die anderen Gruppenmitglieder vorhanden, es wird allerdings heute stärker auf den beruflichen Bereich bezogen.“ Über die Arbeitsleistung in den Brigaden äußerten sich die Interviewten wenig. Sätze wie: „Die Arbeit war schwer, aber wir haben sie gern gemacht“, oder: „Damals haben wir viele Sonntage und Sonnabende im Betrieb verbracht, weil etwas einfach gemacht werden mußte“, lassen jedoch Zweifel an der von Rottenburg, Voskamp u. a. festgestellten durchgängigen „Schonung der eigenen Kräfte“ der Arbeitenden aufkommen. In der bereits erwähnten Studie „Die Bedeutung von Gruppenstrukturen und der sozialen Bindung in der brigadeförmig organisierten Produktionsbelegschaft der alten DDR-Industrie und ihre Verände-rungen im Transformationsprozeß“ heißt es zum Einfluß des Brigadekollektivs auf die Leistung des Einzelnen: „Der wichtigste und durch die Kollegen am besten einschätzbare Aspekt, nach dem der Einzelne in der Brigade beurteilt wurde, war ...seine erbrachte Leistung. Wußte doch jeder, daß ungenügende Leistungen nicht zur Erfüllung der Normen führen. . . Während übergeordnete Instanzen zur Kontrolle und Bewertung der Gruppenleistung exakte Indikatoren benötigten, brauchten die Brigademitglieder diese zur Einschätzung ihrer Kollegen nicht, da sie ausreichend über deren Tätigkeit informiert waren. Die Meinung der Brigade zur Leistung der Mitglieder stellte ein wichtiges Mittel der kollektiven Erziehung und Selbsterziehung dar. Sie spielte die bedeutendste Rolle bei der Umsetzung der Leistungsanforderungen in kollektives Bewußtsein.“

Diese Darstellung verträgt sich bis zu einem gewissen Grade durchaus mit einer kalkulierten kollektiven Arbeitszurückhaltung, wie sie im Interesse des „Lohnaushandelns“ im Bereich der metallverarbeitenden Industrie weit verbreitet war. Sie kontrastiert allerdings erheblich mit den eingangs zitierten pauschalisierten Auffassungen vom „Rückzug der Beschäftigten aus der Arbeit“ vom allseits in den volkseigenen Betrieben zu beobachtenden Schlendrian, der nur unterbrochen wurde, weil „das Nichtstun nach einer Weile zermürbend und häufig demütigend gewirkt habe“. Die Aussagen der Interviewten und der Arbeitswissenschaftler lassen auch erhebliche Zweifel an der z. B. von Rottenburg konstatierten „Fiktion der kameradschaftlichen'Brigaden“ aufkommen

IX. Probleme der Einordnung des betrieblichen Arbeitsalltags in die verbreiteten Erklärungsmuster der DDR-Vergangenheit

Eines der gängigsten Erklärungsmuster für die DDR-Gesellschaft nach 1990 war das Totalitarismusparadigma Neben der fehlenden Zeitdimension leidet die Totalitarismusdoktrin an ihrer Reduzierung der Gesellschaft auf die politische Dimension von Herrschaft und Unterdrückung. Gehörten die Brigaden zu den Unterdrückten oder zu den Herrschenden? Waren die „engagierten“ Brigaden willige Helfer des SED-Regimes und die „Opportunisten“ heimliche Widerstandskämpfer? Gehörten die Meister zu den Herrschenden oder Unterdrückten? War ihr Statusverlust Ausdruck wachsenden Widerstandes der Arbeiter gegen die SED-Herrschaft oder Ausdruck der Politisierung des Betriebes durch die SED? Diese Fragen zu formulieren, verdeutlicht, daß die Totalitarismusdoktrin bei der Analyse des Brigadealltags wenig hilfreich ist.

Gewiß, auch die Brigaden hatten eine politische Dimension. Durch Erziehung und Selbsterziehung der Brigademitglieder sollten sie die Keimzellen des „neuen Menschen“ in der Produktion sein. Auch den Brigademitgliedern war „der ideologische Überbau“, das „Politische“ im Brigadeleben bewußt. Aber diese Dimension war für sie, wie die Interviews erkennen lassen, nicht entscheidend. „Der Grundgedanke unseres Kollektivs war das Miteinander, nicht das Politische.“ Nach der Definition einer Brigade befragt, erhielt Parmalee von den ehemaligen Kollektivmitgliedern „eine Beschreibung der Methoden, wie die gegebene Struktur der Brigaden für die eigenen Zwecke der Arbeiter umfunktioniert wurde“. Nach allgemeiner Auffassung der Interviewten hatten die Brigaden „Platz sowohl für die Überzeugten wie auch für die, die ganz privat bleiben wollten“. „Es wurde auch niemandem eine Meinung aufgezwungen.“ Angst vor gegenseitiger Bespitzelung hatten die Brigademitglieder offenbar nicht. „Aufsicht und Kontrolle“, urteilt Patty Parmalee über die von ihr geführten Interviews, „kamen nicht vor, und die Stasi scheint auch keine Rolle gespielt zu haben.“ Das dürfte stimmen, denn die in den Betrieben agierende, für den „Schutz der Volkswirtschaft“ zuständige Hauptabteilung XVIII des Ministeriums für Staatssicherheit war, wie eine nunmehr vorliegende Analyse erkennen läßt, in den siebziger und achtziger Jahren mit ganz anderen Problemen beschäftigt

Rottenburgs Bestellung: „Die Brigade ... war das zentrale Mittel zur Umsetzung der sozialistischen Personalpolitik, die sich um den ganzen Menschen bemühte“ paßt zwar gut in das Totalitarismusparadigma -aber paßt sie auch gut zur Realität des Brigadealltags in der DDR? „Für den Historiker ist die Totalitarismus-Konzeption indes nicht besonders hilfreich.“ Dieser Auffassung, jüngst von Hermann Weber in einem Aufsatz zum Stand der Aufarbeitung der DDR-Geschichte geäußert, reflektiert zunehmende Zweifel an deren Brauchbarkeit zur Analyse der DDR-Vergangenheit, insbesondere deren Sozial-und Alltagsgeschichte

Wenn die Brigaden schlecht in das Schema Unterdrücker -Unterdrückte passen, vielleicht taugt dann das Paradigma von der gesellschaftlichen Nische als Erklärungsmuster für die Brigaden? Gaus hatte diesen Begriff für die Abkehr der Menschen in der DDR von der Politik des DDR-Staates Anfang der achtziger Jahre geprägt Nach den Aussagen interviewter Brigademitglieder trifft das Nischenparadigma für diese Jahre durchaus zu. Als „politisch“ angesehene Brigadeverpflichtungen wie Teilnahme an den „Schulen der sozialistischen Arbeit“, an Demonstrationen und Solidaritätsspenden, waren überwiegend unbeliebt. „In den 80er Jahren wurden die Kollegen am Politischen desinteressiert .. . Die Bereitschaft zur Erfüllung solcher Aufgaben ... nahm . . . rapide ab.“ Auf das Nischenparadigma bezieht sich in der Auswertung ihrer Interviews auch Patty Parmalee positiv. Aber läßt es sich auf die gesamte Geschichte der Brigaden anwenden? Als die „engagierten“ Brigaden in der Startphase der Arbeitsbrigaden bzw.der sozialistischen Brigaden die betriebliche Hierarchie erschütterten und bereit waren, bis in die „Kommandohöhen“ der Werke vorzudringen, um Leistungsgerechtigkeit durchzusetzen, handelten sie -wenigstens unbewußt -politisch. Auf keinen Fall paßt zu diesen Aktionen, die viel dazu beitrugen, die Stellung der Meister in DDR-Industriebetrieben zu erschüttern, das Nischenparadigma. Auch die „Opportunisten“, die in vielen Industriebereichen die Chance zum Aushandeln des Lohnes nutzten, beschränkten sich in ihren Aktionen nicht auf die Brigade. Sie suchten die Auseinandersetzung mit der Betriebsleitung, wenn ihnen auch vor allem an einem (faulen) Kompromiß gelegen war. Dieser war insofern hochpolitisch, als er die SED-Führung und DDR-Regierung von dem „Zündstoff“ Normen, der 1953 zum Arbeiteraufstand geführt hatte, befreite. Der Handlungsspielraum für die Brigaden war offensichtlich beträchtlich. Ausgehend von der Feststellung, „daß der Spielraum und das Widerstandspotential der Beschäftigten im Betrieb hoch war“, hat Jürgen Kocka dafür plädiert, gerade in der Sozialgeschichte „faktische Grenzen der Durchherrschung im Alltag ... näher zu bestimmen“ Das Problem des Paradigmas von der Durchherrschung der Gesellschaft besteht darin, daß es die Spielräume grundsätzlich als Räume der Abkehr bzw.des Widerstands gegen die Herrschaft der SED begreift Ohne unbedingt die Auffassungen der SED vom „neuen Charakter der Arbeit“ oder „vom neuen Menschen“ zu übernehmen, haben die „engagierten“ Brigaden -einen zeitweilig vorhandenen Spielraum nutzend -geholfen, diese Vorstellungen der SED (teil-und zeitweise) Wirklichkeit werden zu lassen. Gerade dabei gerieten sie stärker an die Grenzen ihres Handlungsspielraumes als die „Opportunisten“ im Falle des Lohnaushandelns, obwohl der doch zeitweise zur „Unwirksamkeit der staatlichen Leistungspolitik“ führte.

Ein anderes Moment, das die Anwendung des Paradigmas von der Durchherrschung der Gesellschaft auf die Brigaden schwierig gestaltet, ist die in der Geschichte der Brigaden zu beobachtende Tatsache, daß der Grad der Durchherrschung der „sozialistischen Produktionskollektive“ durch den Staat und der Umfang des Handlungsspielraumes der Brigaden nicht umgekehrt proportional sind. Über den geringsten Handlungsspielraum verfügten die Brigaden zweifellos in den sechziger Jahren (und zuvor zwischen 1953 und 1957). Das waren aber Jahre, in denen „Partei und Regierung“ -nachvollziehbar ist das an der geringen Medien-präsenz der Brigaden -sich der sozialistischen Basiskollektive in der Produktion als Instrumente der Durchsetzung ihrer ideologischen Vorstellungen kaum bedienten, während die Zeit, in der SED und FDGB versuchten, über die „sozialistischen Kollektive“ die Vorstellungen vom „neuen Menschen“ durchzusetzen, den Brigaden weitaus größere Entfaltungsräume bescherten. Des Rätsels Lösung scheint zu sein, daß die Brigaden „Beherrschung“ nicht allein durch die SED erfuhren, sondern auch durch „ihre“ Werkleitung, die mehr war als der verlängerte Arm der Partei. Für die Anfangsjahre der Arbeits-und sozialistischen Brigaden sowie für die siebziger und achtziger Jahre galt, daß die „Herrschaft“ der Werkleitung über die Beschäftigten in den „untersten Produktionseinheiten“ sich dann lockerte, wenn die SED-Führung größere Anstrengungen unternahm, die „sozialistischen Kollektive“ im Sinne ihrer Gesellschaftspolitik einzusetzen. Über den generellen Nutzen der genannten Erklärungsmuster für die Beschäftigung mit der DDR-Vergangenheit soll hier nicht verhandelt werden. Für die Erforschung des Brigadealltags -wie auch anderer Bereiche des DDR-Alltags -dürfte jedoch die empirische Forschung, die sich nicht von vornherein mit theoretischen Erklärungsmustern belastet -die es dann zwangsläufig auch zu bedienen gilt -, das geeignetste Verfahren sein. Der jüngst veröffentlichte Aufruf von Hermann Weber, „wissenschaftliche Debatten wieder auf Inhalte zu konzentrieren“ kann -wenn ihm gefolgt wird -für derartige Forschungen ein günstiges Klima schaffen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ulrich Voskamp/Volker Winke, „Fordismus in einem Land“ -Das Produktionsmodell der DDR, in: Sozialwissenschaftliche Information, (1991) 2, S. 177.

  2. Richard Rottenburg, „Der Sozialismus braucht den ganzen Menschen“. Zum Verhältnis vertraglicher und nicht-vertraglicher Beziehungen in einem VEB, in: Zeitschrift für Soziologie, 20 (1991) 4, S. 311 ff.

  3. Lutz Marz, Dispositionskosten des Transformationsprozesses. Werden mentale Orientierungsnöte zum wirtschaftlichen Problem?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/92, S. 9.

  4. Alf Lüdtke, „Helden der Arbeit“ -Mühen beim Arbeiten. Zur mißmutigen Loyalität von Industriearbeitern in der DDR, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr, Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 196.

  5. Martin Heidenreich, Zur Doppelstruktur planwirtschaftlichen Handelns in der DDR, in: Zeitschrift für Soziologie, 20 (1991) 6, S. 420.

  6. L. Marz (Anm. 3), S. 10.

  7. R. Rottenburg (Anm. 2), S. 313, 315.

  8. U. Voskamp/W. Wittke (Anm. 1), S. 177.

  9. Martin Kohli, Die DDR als Arbeitsgesellschaft? Arbeit, Lebenslauf und soziale Differenzierung, in: H. Kaelble/J. Kocka/H. Zwahr (Anm. 4), S. 46.

  10. Heiner Müller, Zur Lage der Nation, Berlin 1990, S. 16.

  11. Ingrid Stratemann, Psychologische Bedingungen des wirtschaftlichen Aufschwungs in den neuen Bundesländern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/92, S. 23.

  12. Ebd„ S. 17.

  13. Hermann Weber, „Asymmetrie“ bei der Erforschung des Kommunismus und der DDR-Geschichte? Probleme mit Archivalien, dem Forschungsstand und bei den Wertungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26/97, S. 11.

  14. Dietrich Mühlberg, Überlegungen zu einer Kultur-geschichte der DDR, in: H. Kaelble/J. Kocka/H. Zwahr (Anm. 4), S. 63.

  15. Stefan Wolle, Herrschaft und Alltag. Die Zeitgeschichtsforschung auf der Suche nach der wahren DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26/97, S. 34.

  16. Bereits im Sommer war das Jahresziel erreicht und überschritten. Vgl. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMOBArch), Zentrales Gewerkschaftsarchiv (ZGA), A 40049, unp.; A 557, unp.

  17. Anteile hier und im folgenden berechnet auf der Grundlage der Angaben des Bundesvorstandes des FDGB bzw.der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik der DDR (SAPMO-BArch, ZGA 2997, unp.; Statistische Jahrbücher der Deutschen Demokratischen Republik, Jgge. 1955-1989).

  18. Die Umbenennung ergab sich durch die Zusammenfassung der ebenfalls Ende der fünfziger Jahre entstandenen, aber weit weniger zahlreichen „Gemeinschaften der sozialistischen Arbeit“, in denen Arbeiter und Ingenieure gemeinsam den technischen Fortschritt in den Betrieben beschleunigen sollten, mit den „Brigaden der sozialistischen Arbeit“. Vgl. Verordnung über die Stiftung des Ehrentitels „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“, Gesetzblatt der DDR (Gbl.) 19/1962, S. 167 f.

  19. Vgl. Jörg Roesler, Die Produktionsbrigaden in der Industrie der DDR. Zentrum der Arbeitswelt?, in: H. Kaelble/J. Kocka/H. Zwahr (Anm. 4), S. 144-170.

  20. SAPMO-BArch, ZGA 6861, unp.

  21. Vgl. Autorenkollektiv, Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR, Berlin 1969, S. 882 f.

  22. Vgl. SAPMO-BArch, ZGA, A 577, unp.; A 4043, unp.; A 18/309, unp.

  23. Vgl. Jörg Roesler, Inszenierung oder Selbstgestaltungswille? Zur Geschichte der Brigadebewegung in der DDR während der 50er Jahre (hefte zur ddr-geschichte 15), Berlin 1994, S. 27.

  24. Detaillierter dazu: ders., Gewerkschaften und Brigade-bewegung in der DDR (Ende der 40er bis Anfang der 60er Jahre), in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 38 (1996) 3, S. 3-26.

  25. Gbl.der DDR 1952, Nr. 84, S. 504 ff.

  26. Vgl. SAPMO-BArch, ZGA, A 42/970/4538, unp.

  27. In der Literatur wird auch der Begriff „Normenhandel“ verwandt. In den Betrieben wurden diese Aktivitäten oft als „Normen schreiben“ bezeichnet bzw. vom Brigadier wurde gesagt, er benutze den „spitzen Bleistift“. Es handelt sich darum, daß im Falle der Vergütung nach dem Leistungsstücklohn zwischen Brigadier und Meister eine Übereinkunft über die Sicherung bzw. eine gewisse Steigerung des Effektivlohnes erzielt wurde, die dann eine „passende“, die verbesserten technologischen Möglichkeiten der Leistungssteigerung nicht ausschöpfende Normenanhebung sanktionierte.

  28. Vgl. Rainer Deppe/Dietrich Hoss, Sozialistische Rationalisierung: Leistungspolitik und Arbeitsgestaltung in der DDR, Frankfurt/Main -New York 1980, S. 72.

  29. R. Rottenburg (Anm. 2), S. 315.

  30. Vgl. Jörg Roesler, Vom Akkordlohn zum Leistungslohn, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 32 (1985) 9, S. 794; Wolfgang Haacke/Freia Jonas, Tarifliche und effektive Entlohnung der Produktionsarbeiter in der zentralgeleiteten volkseigenen Industrie, in: Vierteljahreshefte zur Statistik der Deutschen Demokratischen Republik, 2 (1958) 1, S. 15.

  31. Die Angaben beziehen sich auf die mittlere Lohn-gruppe V.

  32. Vgl. Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1958, Berlin 1959, S. 225.

  33. Vgl. Gemeinsamer Plan des Sekretariats des Bundes-vorstandes des FDGB und des Sekretariats des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend zur Organisierung einer Bewegung zur Erringung des Titels „Brigade der sozialistischen Arbeit“ (A 201. 1317, unp.). Detaillierter dazu: Thomas Reichel, Die Brigadebewegung in der DDR unter besonderer Berücksichtigung des Stahl-und Walzwerkes Brandenburg, Historisches Institut der Universität Potsdam, Potsdam 1995 (Ms.), S. 32-49.

  34. Tribüne vom 7. Januar 1959.

  35. SAPMO BArch, ZGA, A 201. 1924, unp.

  36. Vgl. Peter Hübner, Konsens, Konflikt und Kompromiß. Soziale Arbeiterinteressen und Sozialpolitik in der SBZ/DDR 1945-1970, Berlin 1995, S. 225-228.

  37. Durch sozialistische Rekonstruktion und Erhöhung der Arbeitsproduktivität zur Erfüllung des Siebenjahresplanes, Berlin 1959, S. 39.

  38. Vgl. P. Hübner (Anm. 36), S. 79 ff.

  39. Vgl. Jörg Roesler, Das Neue Ökonomische System -Dekorations-oder Paradigmenwechsel? (hefte zur ddr-geschichte 3), Berlin 1993, S. 9 ff.

  40. Vgl. Hannsjörg Buck, Technik der Wirtschaftslenkung in kommunistischen Staaten, Coburg 1959, Bd. 1, S. 397-431; Gert Leptin/Manfred Melzer, Economic Reform in East German Industry, Oxford -London -New York 1978, S. 41.

  41. Präsidiumsvorlage. Zur Kritik der Werktätigen an der falschen Arbeit mit den Direktiven Neue Technik -neue Normen und Anwendung zweckmäßiger Lohnformen der Jahre 1964 und 1965, SAPMO-BArch, ZGA, P 54/65, unp.

  42. Ebd.

  43. Ebd.

  44. Manfred Rexin, Das „Neue Ökonomische System“ in der DDR (I), in: atomzeitalter, (1965) 5, S. 186.

  45. Präsidiumsvorlage (Anm. 41), unp.

  46. Das ÖSS war nach der ersten (1964-1965) und zweiten Etappe des NÖS (1966-1967) die dritte Etappe der Wirtschaftsreform (1968-1970). Vgl. Jörg Roesler, Zwischen Plan und Markt: Die Wirtschaftsreform in der DDR zwischen 1963-1970, Freiburg/Br. -Berlin 1990, S. 33-44.

  47. Erich Honecker, Bericht des Zentralkomitees an den VIII. Parteitag der SED, Berlin 1971, S. 58.

  48. Autorenkollektiv, Wir sind nicht mehr . . . hier. Erinnerungen und Forschungsergebnisse ehemaliger Mitarbeiter der Berliner Werkzeugmaschinenfabrik zum Lesen und Betrachten, Berlin 1993, S. 124 f.

  49. E. Honecker (Anm. 47), S. 60.

  50. Präsidiumsvorlage (Anm. 41), unp.

  51. Vgl. SAPMO-BArch, Zentrales Parteiarchiv (ZPA), 15846 unp.; IV 2/2. 101/61, unp.; Jens Reitz, Der Meister im Industriebetrieb, Berlin 1979, S. 7 ff.

  52. Kerstin Nawroth/Gerhard Kullmann, Die Bedeutung und Veränderung von sozialen Bindungen in den Gruppen-strukturen der Produktionsbelegschaften in den neuen Bundesländern, Dresden 1993, S. 46.

  53. Ebd., S. 48.

  54. Ebd.

  55. Vgl. Bericht über die gewerkschaftliche Mitwirkung bei der Einführung neuer Grundlöhne in Verbindung mit der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation unter besonderer Berücksichtigung der gewerkschaftlichen Aufgaben bei der Ausarbeitung und Einführung von technisch begründeten Arbeitsnormen, SAPMO-BArch, ZGA, S 324/77, unp.; Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1977, Berlin 1977, S. 121 f.

  56. So u. a. SchreibART e. V. Archiv schreibende Arbeiterinnen Berlin (Arch SAB), Berlin-Pankow; Museum Berliner Arbeiterleben, Berlin-Prenzlauer Berg.

  57. Arch SAB 93/987 unp.; 95/128 unp.

  58. Die folgenden Zitate stammen aus zwei Quellen: Der Veröffentlichung der amerikanischen Geisteswissenschaftlerin Patty Lee Parmalee über ihre 1992 mit Brigademitgliedern in Berlin und Leipzig geführten Interviews und der Wiedergabe von Interviews mit Brigademitgliedern, die in einem Großbetrieb des Ostberliner Maschinenbaus, in der Berliner Werkzeugmaschinenfabrik Marzahn, beschäftigt waren. Patty Lee Parfnalee, Brigadeerfahrungen und ostdeutsche Identitäten, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 44 (1996) 4, S. 70-86, und Autorenkollektiv (Anm. 48), S. 122-128.

  59. Tribüne vom 7. Januar 1959.

  60. Fast gleichlautende Äußerungen von Brigademitgliedern führt auch Rottburger an: R. Rottburger (Anm. 2), S. 320.

  61. Zu den Bedingungen, unter denen Mobbing „gedeiht“, vgl. Wolf-Dieter Kraus, Mobbing: die Zeitbombe am Arbeitsplatz, Renningen-Malmsheim 1994, S. 7 ff.

  62. M. Kohli (Anm. 9), S. 50.

  63. K. Nawroth/G. Kulimann (Anm. 52), S. 32.

  64. Ebd., S. 8.

  65. U. Voskamp/W. Wittke (Anm. 1), S. 177.

  66. R. Rottenburg (Anm. 2), S. 321.

  67. Vgl. Eckhard Jesse, War die DDR totalitär?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 40/94, S. 12-23; Christoph Kleßmann/Martin Sabrow, Zeitgeschichte in Deutschland nach 1989, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 39/96, S. 12.

  68. P. L. Parmalee (Anm. 58), S. 76.

  69. Vgl. zu den Schwerpunktaufgaben der HA XVIII Maria Haendcke-Hoppe-Arndt, Die Hauptabteilung XVIII. Volkswirtschaft, MfS-Handbuch, Teil III/10, Berlin 1997, S. 5.

  70. R. Rottenburg (Anm. 2), S. 315.

  71. Ausführlicher dazu: Ch. Kleßmann/M. Sabrow (Anm. 67), S. 10-14; H. Weber (Anm. 13).

  72. Vgl. Günter Gaus, Wo Deutschland liegt. Eine Orts-bestimmung, Hamburg 1983, S. 156 ff.

  73. P. L. Parmalee (Anm. 58), S. 81.

  74. Jürgen Kocka, Eine durchherrschte Gesellschaft, in: H. Kaelble/J. Kocka/H. Zwahr (Anm. 4), S. 552.

  75. Ähnliche Probleme bereitet auch die Anwendung von Alf Lüdtkes „Eigensinn'-Konzeption, sobald man die „engagierten“ Brigaden berücksichtigt. Vgl. A. Lüdtke (Anm. 4), S. 205.

  76. R. Deppe/D. Hoss (Anm. 28), S. 71.

  77. H. Weber (Anm. 13), S. 8.

Weitere Inhalte

Jörg Roesler, Dr. sc. oec., geh. 1940; Studium der Wirtschaftsgeschichte in Berlin; 1978-1991 Bereichsleiter am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR für die Wirtschaftsgeschichte der DDR und Osteuropas; Mitglied der Leibniz-Sozietät. Veröffentlichungen u. a.: Die Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, Berlin 1978; Zwischen Plan und Markt. Die Wirtschaftsreform 1963-1970 in der DDR, Freiburg/Br. -Berlin 1990; Inszenierung oder Selbstgestaltungswille. Zur Geschichte der Brigadebewegung in der DDR während der 50er Jahre, Berlin 1994.