Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die polnische „Preußenkrankheit“ und ihre politische Instrumentalisierung | APuZ 53/1997 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 53/1997 Bilanz deutscher Politik gegenüber Polen 1949 bis 1997 Polen und Deutschland seit 1945 Die polnische „Preußenkrankheit“ und ihre politische Instrumentalisierung Die Wahrnehmung von Flucht und Vertreibung in der deutschen Nachkriegsgeschichte bis heute

Die polnische „Preußenkrankheit“ und ihre politische Instrumentalisierung

Georg W. Strobel

/ 36 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Für die Gewinnung von Legitimation und nationaler Identifikation für das sonst abgelehnte kommunistische Regime nach 1945 wurde das mentalitätshistorisch bedeutsame Deutschensyndrom -die „Preußenkrankheit“, wie dies Wladystaw Studnicki 1907 nannte -von den polnischen Kommunisten auf direkte Weisung Stalins erfolgreich instrumentalisiert. Die politische Einschätzung der „Preußenkrankheit“ erfordert die Kenntnis ihrer Entstehung und der historischen Entwicklung der mentalen Prädispositionen gegenüber den Deutschen im 19. Jahrhundert. Bisher fehlt eine kritische Betrachtung dazu sowohl in der deutschen wie in der polnischen Geschichtsschreibung. Ebenso wichtig ist die psychopolitische, gesellschaftliche Bedeutung des Deutschensyndroms wie dessen reale politische Handlungsmotivation im wiedererstandenen Polen nach 1918. Vor diesem Hintergrund werden seine legitimative und identifikatorische Funktion nach 1945 im kommunistischen sowie seine Folgewirkungen im postkommunistischen Polen verständlicher. Nach der kommunistischen, die Gesellschaft manipulierenden antideutschen Propaganda und der „Erziehung zur Feindschaft“ -wie es Anna Wolff-Pow^ska vom Posener „West-Institut“ nannte -die auch nach dem Vertrag über die Grundlagen der Normalisierung vom Dezember 1970 andauerte, wird das bisher kaum reflektierte Deutschensyndrom als einer der Herrschaftspfeiler des kommunistischen Regimes in der postkommunistischen Gesellschaft zwar schrittweise mühselig abgebaut, aber bedeutend langsamer, als es in den mittlerweile partnerschaftlich guten Staats-und Wirtschaftsbeziehungen geschehen konnte. Mit der jahrzehntelangen Betonung und Pflege des Phänomens der „Preußenkrankheit“, die über die historisch-politische Tradition hinaus tief sozialisiert und internalisiert wurde, ist den sonst abgelehnten Kommunisten ein politischer Erfolg weit über ihre eigene Herrschaftszeit hinaus gelungen. Er belastet nunmehr das postkommunistische Polen und dürfte auch hier noch lange wirksam bleiben -es sei denn, ihm wird gezielt begegnet. Mittlerweile gibt es denn auch auf polnischer wie auf deutscher Seite zahlreiche -auch gemeinsame -Initiativen, die mit dieser Verständigungsarbeit begonnen haben.

In den letzten Jahrhunderten war das deutsch-polnische Verhältnis immer wieder belastet, fast immer schwierig und in der jüngeren Vergangenheit von Grausamkeiten, Leiden und Schrecken geprägt, was jedoch allein den Deutschen angelastet wird, ohne den polnischen Beitrag dabei wahrnehmen zu wollen. Dieser wurde und wird von den schrecklichen Verbrechen der deutschen Besatzungspolitik während des Zweiten Weltkrieges überdeckt. Abgesehen davon, daß dadurch wiederum problematische politische Folgewirkungen entstehen, wird durch erfahrenes Unrecht verursachtes neues Unrecht weder zu Recht, noch kann es damit entschuldigt werden. Als Ausdruck des Zeitgeistes führt dies nur in Deutschland zu einer Selbstverleugnung, die -noch so gut gemeint -weder der historischen Wahrheit noch einer einsichts-und verständigungsbereiten Kenntnis voneinander dient. Aber noch mehr trifft dies zu auf die negativen Mythenbildungen der polnischen Publizistik zum deutsch-polnischen Verhältnis, das ein Jahrtausend lang nur eine gewalttätige Feind-beziehung gewesen sein soll. Daher sollte das Verhältnis Polens zu Deutschland und den Deutschen kritischer reflektiert werden -bei aller Aufgeschlossenheit und Zuneigung zu Polen sowie dem Wunsch nach Zusammenarbeit auf möglichst vielen Gebieten.

I. Herausbildung und Besonderheiten der polnischen „Preußen-krankheit“ bis 1918

Das gegenseitige Verhältnis wurde einerseits von der deutschen Geringschätzung und Minderachtung Polens und der Polen, andererseits von einem tiefverwurzelten polnischen Deutschensyndrom belastet, das Wladyslaw Studnicki 1907 zutreffend als eine für Polen verderbliche, von eigenen „politischen Scharlatanen“ aufgebrachte „Preußen-krankheit“ definierte Jerzy Giedroyc, wegen sei­ ner antikommunistischen Verlegertätigkeit im Pariser Exil eine nationale Institution, bemängelte 1993 in ähnlicher Weise, daß die dafür verantwortliche Tradition „in großem Maße aus Mythomanie und patriotischer Verlogenheit besteht“ Beides ist zu analysieren. Wenn die deutsche Geringschätzung vor allem in Vorstellungen von einer desolaten „polnischen Wirtschaft“ Ausdruck fand, dann ging das zu einem guten Teil auf das allgemeine materiell-kulturelle West-Ost-Gefälle in Europa zurück. Sie war daher keineswegs eine Unart allein der Deutschen, denn sie äußerte sich gleichermaßen bei Polen gegenüber Russen, Ukrainern und Weißrussen.

Nach einhelliger Meinung soll das Deutschensyndrom der Polen durch die Rolle Preußens bei den Teilungen Polens ausgelöst und durch die „entnationalisierende Germanisierungspolitik“ Bismarcks ausgeformt und gefestigt worden sein. Doch der das Syndrom kennzeichnende populäre Spruch, wonach „solange die Welt besteht, der Deutsche dem Polen nie Bruder sein wird“, wurde von Waclaw Potocki in seinen „Moralia“ bereits 1688 wiedergegeben. Da er eine schon vorhandene Ansicht wiederholte, ist er noch älter, jedenfalls älter als die deutsche Vorstellung von der „polnischen Wirtschaft“, die um 1785 aufkam Notabene wurde Potockis populärer Spruch im Frühjahr 1990 bei einer Repräsentativumfrage von 70 Prozent der befragten Polen als immer noch gültig bezeichnet.

Trotzdem wäre das Aufkommen des auch mentalitätshistorisch interessanten Deutschensyndroms durch die Polenpolitik Preußens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachvollziehbar. Noch vor den Teilungen Polens trug Preußen zur Schwächung des in Anarchie versinkenden Staates durch die mit den in Sachsen erbeuteten Prägestöcken durchgeführte Münzverschlechterung des Zloty („Der Goldene“) bei, wodurch es einen Großteil seiner Kriegskosten zum Schaden Polens deckte, ihm aber eine Inflation bescherte. Die hundertjährige Auslöschung Polens von der Landkarte Europas erfolgte jedoch nicht durch die vernehmliche Schuld Preußens, des „Beelzebub Europas“ in polnischer Sicht, und schon gar nicht durch Mithilfe von Juden bereits 1795, wie es polnischerseits gesehen wird, sondern erst auf dem Wiener Kongreß 1815. Von Napoleons Gnaden war 1807 das Großherzogtum Warschau entstanden, das als Keim-zelle eines durch Reformen gesundeten und zu altem Glanz zurückkehrenden Polen verstanden wurde. Mit Zustimmung der gesamten europäischen Staatengemeinschaft wurde das Großherzogtum jedoch auf dem Wiener Kongreß ausgelöscht und aufgeteilt. Bei dieser vierten Teilung Polens wurde Preußens Gebietserwerb aus den vorhergehenden Teilungen so kräftig reduziert, daß es 1815 den ohnehin weitaus geringsten Gebietsanteil aus dem Untergang Polens behielt, wenngleich die ökonomisch wertvollsten Landesteile. Rußland rückte hingegen weit nach Mitteleuropa bis an die Prosna vor, einen westlichen Zufluß der Warthe am Rande Schlesiens.

Preußische Polenpolitik im Widerstreit

Im Streben nach einer Wiedererlangung der 1815 verlorenen Unabhängigkeit stellten Polens Eliten -weniger die niederen Schichten -über Generationen Preußen, dem sie nach geltendem Rechts-verständnis als dessen Bürger zur Verfassungsund Gesetzestreue verpflichtet gewesen wären, in Frage, schürten national verstandene konfessionelle Gegensätze („Mischehenstreit“ 1837), planten oder führten gegen Preußen gerichtete Aufstände durch (1846, 1848) oder unterstützten sie in Kongreßpolen (1830, 1863) Damit versuchten sie, Preußens Territorialbestand zu beeinträchtigen, was nach damaliger Auffassung -nicht nur Preußens -Staatsverrat war. Aus nationalen Gründen waren sie nie bereit, sich in den preußischen Staat einzuordnen. Preußen hatte politisch wie staatsrechtlich jedoch eigene Interessen wahrzunehmen. Da die opponierenden polnischen Bürger Preußens gerade das in Frage stellten, empfanden sie diese Interessenwahrnehmung Preußens als eine gezielt gegen sie gerichtete Unterdrückung. Dieser Gegensatz unterschiedlicher Interessen bestimmte das Deutschensyndrom.

Trotz der Verschärfung der preußischen Haltung nach den Aufständen von 1830 in Kongreßpolen und 1848 in Preußen konnten Polen im Rahmen der „inneren Kolonisation“ Preußens unter Bismarck ein politisch effizientes Eigenleben aufbauen, was die Urteile über Preußen differenzierter ausfallen lassen sollte. Es reichte von einer Banken-und Sparkassenorganisation über ein aufgefächertes Genossenschaftswesen, die beide nach 1918 zu Vorbildern in Polen wurden, nationalistisch orientierten politischen Parteien, wissenschaftlichen und Volksbildungsvereinen bis zum selbst nach polnischer Einschätzung aktivistischnationalistischen Verband „Soköl“ („Der Falke“) 1884 sowie der extrem nationalistischen „Straz“ („Die Wacht“) der Nationaldemokratischen Partei 1905. Das nationale Eigenleben war so organisiert, daß es dem Staat wiederholt Paroli bot. Das Deutschensyndrom betonte besonders, daß 1876 das Deutsche als Amts-und Geschäftssprache und 1873 als Schulsprache eingeführt wurde, obwohl beides modernisierend für viele Menschen galt, die teilweise seit mehr als einem Jahrhundert in Preußen lebten. Dabei durften die Fächer Religion und Polnisch weiter in polnischer Sprache erteilt werden. Nach derem politischen Mißbrauch wurde das 1901 geändert. Daraufhin kam es zu publizistisch ausgeschlachteten Schulstreiks. Zusammen mit dem preußischen Kulturkampf gegen die Katholische Kirche wurde alles undifferenziert nur als polenfeindlich verstanden. Gerade während dieser „Germanisierungsperiode“ unter Bismarck entstanden jedoch bezeichnenderweise die meisten der polnischen Zeitungen in Preußen; gegen Ende seiner Kanzlerschaft gab es über 30 in allen Teilen des Landes, sogar in Bochum und Berlin.

Im Zuge der „inneren Kolonisation“ Preußens entstand in den polnischen Landesteilen eine moderne, hochproduktive Industrie-und Agrarwirtschaft mit einer beispielhaft gesunden Betriebsstruktur. Der Anteil des polnischen Grundbesitzes stieg bis 1914 erheblich. Trotz seiner peripheren und dadurch ökonomisch benachteiligten Lage gedieh der polnische Landesteil Preußens gerade während seiner „Germanisierungsperiode“ zur bestentwickelten, modernsten Wirtschaftsregion des ehemaligen und künftigen Polen, die nach 1918 mit ihrer Wirtschaftskraft und der in Preußen sozialisierten, sich von der sarmatisch-polnischen der anderen Teilungsgebiete positiv abhebenden Leistungsbereitschaft und -fähigkeit Polen nach 1918 über verschiedene Krisen hinweghalf. Die Geschichte ist eben vielschichtiger, und auch widersprüchlicher, als vorgefaßte Meinungen.

Polnische Territorialvisionen

Die syndrombeladene Atmosphäre wurde im 19. Jahrhundert durch eine Reihe von Prädispositionen bestimmt, so auch durch die Nationallitera­ tur, die mit vorwiegend historischen Romanen, Gedichten, Epen und Novellen ein eigenes antideutsches Genre schuf, das auch das Geschichtsbild verzerrte. Mit großem Erfolg präsentierte sie polenfeindliche, brutale Deutsche aller Zeiten voller Durchtriebenheit und Heimtücke, zusammen mit antideutschen Mythen. Daran beteiligten sich neben vielen namhaften Schriftstellern auch die polnischen Nobelpreisträger dieser Zeit, Sienkiewicz und Reymont. Nach 1918 ebenso wie seit 1945 wurden diese historisierenden Romane zur begleitenden schulischen Pflichtlektüre, wobei sich nach 1945 mit offizieller Förderung sogar eine eigene Literatur-und Reportagengattung entwikkelte, die die Bundesrepublik Deutschland und ihre Politiker in die Nähe des NS-Regimes rückte.

In der Nationalliteratur wie in der Publizistik spielten besonders Vorstellungen zur historischen Ausbreitung Polens, die ein unabhängig gewordenes Polen einzulösen habe, eine Rolle. Sie gingen mythengestützt davon aus, daß die westslawischen Stämme bis zum westelbischen Wendland und der Kieler Förde Polen gewesen seien, womit deren Siedlungsgebiet einem großen und mächtigen Polen zugehören müsse. Anvisiert wurde ein „Groß-Polen“, das zu einem beliebten Sujet in der Nationalliteratur wurde. Juliusz Tomaszewicz wünschte ein mächtiges Polen „vom Dnjepr bis zur Elbemündung“, Konstanty Gaszyhski begnügte sich mit polnischen „eisernen Grenzpfählen in Dnjepr und Saale“, Wincenty Pol erträumte ein Polen, das von dem für Slawen heiligen Rügen entlang der Oder und Neiße im Westen und bis zur Düna und Dnjepr im Osten reichen solle Bezeichnend für die angebliche Repressivität Preußens ist, daß die ersten drei Auflagen des den Territorialbestand Preußens in Frage stellenden Poems Pols „Das Lied von unserem Lande“ seit 1843 im preußischen Posen erschienen. In der Zeit der nationalen Not verband sich das Deutschen-syndrom, die „Preußenkrankheit“ Studnickis, mit den herzstärkenden, stolzen Territorialvisionen. Sie wurden dann von nationalistischen Wissenschaftlern legitimiert, auch im bürgerlichen Polen nach 1918. Dies antizipierte so die Potsdamer Territoriallösung von 1945, was von polnischen wie deutschen Publizisten und Historikern entweder nicht wahrgenommen oder gar geleugnet wird

II. Das wiedererstandene Polen und das Deutschensyndrom

1918 bis 1939

Mit der polnischen staatlichen Unabhängigkeit 1918 gewann das mentale Deutschensyndrom praktische politische Bedeutung. In seinem Zeichen wurde nun gegenüber den Deutschen das früher verurteilte „antipolnische“ preußische Verhalten ethisch bedenkenlos nachgeahmt. In den früher preußischen Gebieten wurden Deutsche zum Verlassen des Landes gedrängt. Wegen der krisenhaften Wirtschaftslage und der Notwendigkeit, die aus Elsaß, Lothringen und dem besetzten Rheinland ausgewiesenen Menschen aufzunehmen, wurde dem mit deutschen Aufrufen begegnet, selbst auf die Gefahr einer staatsbürgerlichen Option für Polen in der Heimat zu bleiben. Das wurde wiederum mit der polnischen Beschuldigung beantwortet, Deutschland beabsichtige in Polen eine den Staat in Frage stellende deutsche Irredenta aufzubauen. Übergangslos wurde Polnisch als Amts-und Unterrichtssprache eingeführt. Anfang der dreißiger Jahre wurde dann das Minderheitenschulwesen Polens in einer Form reformiert, die den Sprachen-und Schulgesetzen in Preußen weitgehend glich. Schließlich wurden noch die Aneignung des Reichseigentums sowie eine von Polen festzusetzende Entschädigung für zurückzulassendes Eigentum verdrängter Deutscher verfügt. Sie lag in der Regel weit unter dem Marktwert. Zu den Bodenreformen von 1919 und 1925 wurde deutscher Bodenbesitz weit überproportional herangezogen. Alle diese Maßnahmen wurden vom polnischen Außenministerium als „Entgermanisierung“ bezeichnet

Die in der polnischen politischen Kultur tradierten Territorialvorstellungen kulminierten im Wunsch nach einem mächtigen, glanzvollen Groß-Polen „zwischen den Meeren“ („Intermarium“, zwischen Ostsee und Schwarzem Meer), das in der Region eine Vormachtstellung einnehmen und als Gegengewicht zum übrigen ein „Drittes Europa“ errichten sollte. Da nach Meinung des Staatsgründers Jözef Pilsudski „seriöse Politik“ nur gewaltsam zu realisieren sei, ging er daran, die Grenzen „mit dem Säbel herauszuhauen“ Die Provinz Posen wurde mit militärischer Regierungsunterstützung in einem „Aufstand“ von Ende Dezember 1918 Polen Anfang 1919 einverleibt. Die gewünschte weitere Ausdehnung des Staates zeigte die Festlegung der Wahlkreise für die erste Parlamentswahl von Ende Januar 1919. Zu ihnen wurden die Reichsgebiete Masuren, Danzig, Teile Niederschlesiens sowie Oberschlesien gezählt. Diese Gebietsansprüche wurden dann auf der Versailler Friedenskonferenz Ende Februar 1919 geltend gemacht, wenngleich weitgehend erfolglos. In Oberschlesien kam es unter Bruch internationaler Abmachungen bis 1922 zu drei weiteren „Aufständen“, die unter Teilnahme deutscher Freikorps niedergerungen werden konnten. Die endgültigen, international bestimmten Grenzen in Oberschlesien brachten Polen allerdings die wichtigsten Bodenschätze der Region, darunter 85 Prozent aller Kohlevorräte. Wirtschaftliche Schwierigkeiten Polens aus seiner willkürlichen Grenzziehung führten angesichts der früheren Verflechtung des nunmehr von der Grenze zerteilten Gebietes zu De-Industrialisierungserscheinungen, die jenseits aller politischen und ökonomischen Logik einseitig Deutschland angelastet wurden. Vor diesem Hintergrund und infolge der im Versailler Vertrag festgelegten Wirtschaftsverpflichtungen Deutschlands gegenüber Polen, aber auch wegen der einseitig gegen Deutschland gerichteten polnischen Zolltarifpolitik kam es gegen Mitte der zwanziger Jahre zu wirtschaftlichen Kampfmaßnahmen, die als „Zollkrieg“ bekannt wurden und ein Jahrzehnt dauerten; Deutschland, das seine Wirtschaftsmacht gegenüber Polen nötigend auszuspielen hoffte, zog dabei letztlich den kürzeren.

Das zugespitzte Verhältnis wurde durch Deutschland noch weiter verschärft. Kanzler Joseph Wirth forderte Mitte 1922, daß der „Versailler Bastard Polen“ erledigt werden müsse, wobei er betonte, daß „auf dieses Ziel meine Politik eingestellt ist“. General von Seeckt, Chef der Heeresleitung der Reichswehr, stimmte ihm wenig später mit der Feststellung zu, daß „Polens Existenz unerträglich ist. Es muß verschwinden und wird verschwinden durch eigene Schwäche oder durch Rußland -mit unserer Hilfe“ Solche Vorstellungen in Deutsch­ land, die von fast allen Parteien geteilt wurden, zementierten nicht nur die tradierte polnische Haltung gegenüber Deutschland und den Deutschen, sondern bestätigten zudem alle polnischen Befürchtungen. Gleichzeitig verhinderten sie Entgegenkommen für die deutsche Minderheit. Wegen ihrer wirtschaftlichen Stärke wurde diese ohnehin verdächtigt, zum Schaden Polens nur den Interessen Berlins zu gehorchen. Bei aller Verbundenheit mit dem „Reich“ stimmte das vor 1933 nur bedingt. Infolge des gestiegenen internationalen Ansehens Deutschlands nach Hitlers Machtübernahme wurde es dann mit Hilfe der NS-nahen „Jungdeutschen Partei“ sehr viel eindeutiger, wobei die Minderheit illoyaler wurde.

Die in Versailles großenteils befriedigten, aber noch nicht vollends erfüllten Territorialwünsche Polens wurden im offiziösen, von den Führungsorganisationen und Persönlichkeiten der Posener und oberschlesischen Aufstände von Ende 1918 gegründeten und Mitte der dreißiger Jahre zum „Polnischen Westverband“ mutierten nationalistischen „Verband zur Verteidigung der westlichen Grenzgebiete“ weiter gepflegt. In dessen Einwirkungsbereich befand sich eine Reihe von Organisationen, wissenschaftlichen Spezialinstituten und Wissenschaftlern. Seit seiner Gründung 1921 verlangte er nach einer weiteren Ausdehnung Polens auf Kosten Deutschlands. Auf einer Kundgebung Ende Juli 1930 forderte der Verband eine nördliche Ausdehnung Polens vor allem in Richtung Ostpreußen, wobei die Süderweiterung in Richtung Schlesien das Vorbild abgab, mit den Worten: „Wir werden so lange danach rufen und es verlangen, bis die polnische Fahne wieder in Danzig, über Ermland und Masuren sowie fern an der Elbe, mindestens aber in Stolp wehen wird.“ Solche Vorstellungen wiederholten sich von nun ab immer regelmäßiger und erhielten eine breite publizistische Resonanz. Besonders laut wurden sie im Zusammenhang mit den polnischen Präventivkriegsdrohungen von 1932/33, die von einer Vertragsbrüchigen Erhöhung der polnischen Garnison auf der Westerplatte Danzigs -eines souveränen Völkerrechtssubjekts unter Völkerbundmandat -und gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber der deutschen Minderheit begleitet waren. Den antideutschen Aktivitäten, die von der Kündigung des Minderheitenschutzvertrages durch Polen Mitte September 1934 begleitet waren, schloß sich sogar die Polnische Akademie der Wissenschaften (PAU) mit Bildpostkarten an, auf denen als Grenzanspruch Polens die „Eisernen Grenzpfähle“ des Königs Boleslaw Chrobry in kriegerischer Form von in die Odermündung eingerammten Schwertern mit plastischen Adlern am Knauf visualisiert wurden. Historische Motivbriefmarken waren so übertrieben, daß sie nach deutschem Protest aus dem Verkehr gezogen wurden. All dies war von zunehmenden Einschränkungen für Deutsche begleitet. Hitlers anmaßende Forderungen und Drohungen gegenüber Polen seit dem Herbst 1938 verschärften die Situation. Die aufgeheizte, von Territorialforderungen und Selbstsicherheit getragene Stimmung, die von zunehmender Illoyalität der deutschen Minderheit begleitet war und sogar einen bewaffneten, auf Gütern stationierten „Selbstschutz“ mit Hilfe Berlins organisiert hatte, spiegelte in Polen ein populärer Vers: „Dem, der sagt, daß Germanen unsere, der Sarmaten Brüder sind, dem werde ich vor der Kirche der Reformierten alle Knochen brechen.“

Ein Bericht des Leiters der Ostabteilung des britischen Foreign Office und seines Begleiters nach einer ausgedehnten Reise durch Polen im Juni 1939 verdeutlicht die herrschende Stimmung, ohne der Parteilichkeit bezichtigt werden zu können. Die hochgestellten polnischen Gesprächspartner aus Politik und Militär gingen von einer unabwendbaren kriegerischen Auseinandersetzung mit Deutschland aus, die sie jedoch nicht vom Zaune brechen wollten, die dann aber trotz der eigenen -polnischen -militärischen Überlegenheit zu einem europäischen Krieg eskalieren müsse. Bei dem erwarteten schnellen Sieg werde Polen erhebliche weitere Gebietsgewinne verzeichnen, die mindestens Ostpreußen und Breslau, aber wahrscheinlich noch einiges mehr erbringen und ein Groß-Polen etablieren würden. Bei Kriegsausbruch wurde ein „furchtbares Massaker unter den Volksdeutschen“ erwartet. Die Menschen in Polen verlange es nämlich nach einem „Gang gegen die Deutschen“, was ein Abteilungsleiter des Außenministeriums dahingehend ergänzte, daß es „Kriegsgeist in der Bevöl-kerung“, eine „antideutsche Einstellung“ sowie „Appetit auf deutsches Bauernland“ gebe

1939 bis 1945

Angesichts der brutalen, menschenverachtenden deutschen Besatzungspolitik in den Jahren 1939 bis 1945 mit ihrem unermeßlichen Leid und Millionen von Todesopfern wurde für die neue Gegnerschaft nicht erst das tradierte Deutschensyndrom benötigt. Durch die schreckliche Realität dieser Jahre wurde es auf eine früher für unmöglich gehaltene Weise noch weit überholt. Tradierte Gebietsforderungen wurden erstmals in einem Memorandum der Exilregierung vom November 1939 formuliert. Sie beanspruchte Ostpreußen und die Freie Stadt Danzig, darüber hinaus aber noch Gebiete bis mindestens Kolberg und Breslau, um die Grenze zu begradigen. Ansprüche auf Oberschlesien ergaben sich aus den Aufständen von 1919 bis 1921 Anfang Dezember 1939 wurde der sich in der Heimat formierende Offizierswiderstand von der Exilregierung angewiesen, sich im Falle einer von Dänemark ausgehenden Landung der Alliierten Ostpreußens und der Weichselmündung zu bemächtigen sowie Aufstände unter Ober-schlesiern, Masuren und Kaschuben anzuzetteln, weil sie „ethnische Polen“ seien Seit 1940 wurden Vorstellungen von einer Westausdehnung im besetzten Land, wo der Glaube an den Sieg nie unterging, sehr populär. Ende 1940 veröffentlichten nationalkonservative Untergrund-organisationen in ihrem Organ „Szaniec“ („Die Schanze“) ein Programm für Nachkriegspolen, das eine Grenze an Oder und Lausitzer Neiße bei Vertreibung der Deutschen postulierte. Mitte 1941 schlossen sich den „Szaniec“ -Vorstellungen Sozialisten und Bauernparteiler in ihrem „Programm Volkspolens“ und 1944 die einflußreiche „Arbeitspartei“ des politischen Katholizismus in ihrem neuen, von Kirchenkreisen um den Krakauer Erzbischof gestützten Programm an, so daß sich die nichtkommunistische Untergrundöffent­ lichkeit und die Kirche in ihrer Haltung gegenüber Vertreibung und Annektion grundsätzlich einig waren. In der Untergrundadministration entstand daraufhin ein eigenes koordinierendes „Westbüro“, das 1944 ein „West-Institut“ zur Begründung seiner Deutschlandpolitik schuf. Obwohl politisch rechts orientiert, blieb es im kommunistischen Polen bestehen, um konservative Kreise als Legitimations-und Identifikationsmittel an sich zu binden.

Angesichts der heimatlichen Haltung schlug die Exilregierung nach langen Diskussionen den Westalliierten im Dezember 1942 eine Grenze bis an die Oder und Lausitzer Neiße vor, wobei die dort lebenden Deutschen zu vertreiben seien. Tradierte Vorstellungen bezüglich der frühgeschichtlichen Polaben wurden insofern berücksichtigt, als im besiegten Rest-Deutschland polnische Militär-stützpunkte auf Rügen, Fehmarn, entlang des Nord-Ostseekanals zwischen Kiel und Brunsbüttel, an der Elbemündung sowie unter Mißachtung der Souveränität Dänemarks auf Bornholm gefordert wurden Im aufständischen Warschau wurde am 2. August 1944 von der heimatlichen Untergrund-führung angeordnet, daß „alle Deutschen das Staatsgebiet Polens zu verlassen haben“, was auch für die neu hinzuzugewinnenden Gebiete galt

Die Sowjetunion war sich bis zur Teheraner Konferenz Anfang Dezember 1943 offenbar bis auf die Wiedereingliederung deijenigen Gebiete, die sie im Rigaer Vertrag von 1921 an Polen abgetreten hatte, bezüglich der polnischen Grenzen nicht endgültig klar. Erst Anfang Januar 1944 wurde Vertretern der sich in der Sowjetunion formierenden polnisch-kommunistischen Gegenregierung von Stalin die sowjetische Konzeption einer Grenze zu Deutschland eröffnet, die entlang der Oder und Lausitzer Neiße einschließlich Ostpreußens und des ganzen Samlands verlaufen sollte. Die Grenze, die die Vorstellungen des nationalen Untergrundes und der Londoner Exilregierung aufgriff, sicherte Stalin Ende Juli 1944 seinen polnischen Statthaltern in einem Geheimabkommen zu, allerdings mit Änderungen in Ostpreußen zugunsten der Sowjetunion. In diesem endgültigen Verlauf wurde sie im Beschluß des Staatskomitees für Verteidigung der UdSSR vom Ende Februar 1945 lange vor Potsdam bestätigt, was zu ersten Überstellungen deutscher Gebiete an Polen ab Ende Februar 1945 führte.

III. Das Deutschensyndrom als kommunistische Herrschaftslegitimation

Stalins Absicht war es, durch Nutzbarmachung des tradierten Deutschensyndroms und die Grenzziehung nicht nur Polen für den Verlust seiner Ostgebiete zu entschädigen, sondern über die Erfüllung tradierter nationalistischer Forderungen die Bevölkerung für sich zu gewinnen und so eine nationale Legitimation für die polnischen Kommunisten zu erreichen. Die mit einem antisemitischen Nebenklang als „Zydokomuna“ („Judenkommune“) beschimpften polnischen Kommunisten befanden sich nämlich in einem Dilemma: 1918 hatten sie die Entstehung eines unabhängigen Polen verworfen und in ihrem Programmentwurf vom Juli 1930 -der von der Kommunistischen Internationale sowie allen ihren Parteien ausdrücklich unterstützt wurde -proklamiert, daß erhebliche, früher preußische Teile Westpolens ethnisch deutsch und nicht polnisch und daher Deutschland wieder anzugliedern seien Dieses seinerzeitige Verhalten stempelte die Kommunisten zu Volks-und Staatsverrätem Polens, die im Untergrund der Kriegszeit bekämpft worden waren, nunmehr aber Polen regieren sollten. Über eine besonders mitleidlose Nutzung des tradierten Gegensatzes zu Deutschland und den Deutschen wollten sie sich nun als (über-) nationalistische Polen erweisen. Schon 1944 legten sie als erste jene Werke der populären Nationalliteratur wieder auf, die besonders nationalistisch und antideutsch waren. Auch suchten sie Zugang zu konservativen, extrem nationalistischen Kreisen Polens, so daß es auf antideutscher Grundlage zu einer politischen Rechts-links-Allianz kam.

Stalins geschicktes Taktieren führte auf der Potsdamer Konferenz Mitte 1945 zur Bestätigung seiner schon Anfang 1944 bestimmten und Mitte 1944 den kommunistischen Polen geheimvertraglich zugesicherten Grenze an Oder und Lausitzer Neiße. Dabei kamen die Konferenzteilnehmer überein -obwohl die ostdeutschen Gebiete Polen nur zur Verwaltung überstellt wurden -, die deutsche Bevölkerung zu vertreiben und damit irrever-sible Verhältnisse zu schaffen Auch das Gebiet der Freien Stadt Danzig wurde Polen einverleibt. Damit wurde Polen erstmals in seiner neueren Geschichte ein national und konfessionell geschlossener Staat, wie er lange erträumt worden war -allerdings fatalerweise durch das aufgezwungene kommunistische Regime zudem auch noch wunschgemäß nach* Westen ausgedehnt. Das alles besaß auch eine enorme psychopolitische Bedeutung. Allerdings hätte „unter Berufung auf die Geschichte Polens“ schließlich auch die „Revindizierung slawischer Siedlungsgebiete an der Elbe verlangt werden“ können worauf man aber verzichtete. Statt dessen war die kommunistische Regierung bemüht, die Westgrenze mit einem kilometerbreiten Uferstreifen über die Oder westwärts zu verlagern und damit weiter zu gehen als die nationale Exilregierung, zu der man in politischer Einflußkonkurrenz stand, oder wahlweise das in der sowjetischen Besatzungszone gelegene Gebiet der Sorben entweder als autonomes Gebilde zu errichten oder sich das Sorbengebiet einzuverleiben. Diese polnischen Bemühungen, die Deutschland noch weiter schwächen sollten, zerschlugen sich erst Ende 1946 nach Verhandlungen mit sowjetischen Kontrollratsvertretern

Den somit vielfältig aktivierten, auf Traditionen zurückgehenden Vorgehensweisen gegen Deutschland entlehnten die polnischen kommunistischen Statthalter Stalins die ihnen noch fehlende nationale Identifikation und Legitimation. Zugleich erwarteten sie, daß die Grenzfrage das zerstrittene Volk „instinktiv zur nationalen Einigung“ führen werde Damit wurde die deutsche Frage zum wichtigsten machterhaltenden und politisch konsolidierenden Instrument kommunistischer Politik in Polen sowie zu einem Pfeiler seiner Sowjetisierung. Das es stützende Deutschensyndrom wurde aus psychopolitischen Gründen in allen Bereichen gepflegt, wobei große Teile der Geschichtsschreibung es zu untermauern suchten, andere verweigerten sich ihm. Die Instrumentalisierung fand in allen kritischen Situationen statt, besonders bei den Arbeiterrebellionen 1952 in B^dzin, 1956 in Posen sowie 1970 und 1980/1981 in den Ostseeküstenstädten, die sämtlich „revanchistischen Kräften“, also Westdeutschen, zugeschrieben wurden.

Die katholische „polnische Kirche“, wie sie sich selbst versteht, stellte sich ebenfalls hinter die Grenzregelung und die Vertreibung. Als gesellschaftlich meinungsbildende Kraft rechtfertigte sie damit die kommunistische Politik. Folgerichtig gehörte sie von Anfang an zu jenen Kräften, die die ehedem deutschen Gebiete als polnisch zu identifizieren und zu konsolidieren suchten, lange bevor eine vergleichsweise effiziente Verwaltung von Staat und Partei vorhanden war. Anfangs wandten sich sogar sowjetische Funktionäre mit ihren Anliegen an Kirchenvertreter. So ging die „polnische Kirche“ aus ihrer nationalen Verpflichtung heraus der Sowjetisierung Polens zur Hand. Kirchliche Würdenträger und Priester trugen nicht nur zur Ablösung der deutschen Kirchenhierarchie unter Verwendung wahrheitswidriger Behauptungen bei -wie Fürstprimas Kardinal Blond -, sondern auch zur Vertreibung deutscher Geistlicher und der Bevölkerung -was sie teilweise sogar selber veranlaßten -, ohne jemals ein Unrechtsbewußtsein erkennen zu lassen. In ihrer Vorstellung nahmen sie die „einmalige“ missionarische Aufgabe wahr, die „germanische Häresie“ zu beseitigen und die Gebiete dem Katholizismus „zurückzugewinnen“, wie sich Kardinal Blond vor dem Papst angesichts seiner Handlungsweise rechtfertigte Ein Mitte Dezember 1951 in Breslau von 1 500 Geistlichen abgehaltener Kongreß betonte die Richtigkeit des Vorgehens bei der Polonisierung und Katholisierung der früheren deutschen Gebiete. Sogar der vergebende und um Vergebung bittende Brief der polnischen an die deutschen Bischöfe von Mitte November 1965, der eine Beziehungswende einleiten sollte, wurde nach Protesten auch von Gläubigen durch den -in Deutschland kaum bekannten oder erwähnten -Fastenhirten­ brief vom Anfang Februar 1966 revidiert. Die 1965 geleistete Abbitte sei keineswegs historisch und für die Nation gemeint gewesen, sondern nur symbolisch im Sinne des verzeihenden Christus, denn die polnische Nation habe Deutschen in der Geschichte nie irgendein Unrecht zugefügt, für das sie sich entschuldigen müßte

Gomulka erklärte die „deutsche Frage“ zur „Vorbedingung für dauerhaften Frieden in Europa“ denn „die Deutschen werden noch lange ein gefährlicher Feind Polens bleiben“ Zusammen mit der Gleichung Kommunismus = Patriotismus = Deutschfeindlichkeit wurde sie als Herrschaftsinstrument und Erziehungsmittel zur Feindschaft gegen Deutschland und die Deutschen für Generationen benutzt was angesichts des tradierten, durch die Besatzungsjahre noch potenzierten Deutschensyndroms leicht fiel. Alles verdichtete sich zu der instrumentativ verwendeten Herrschaftsformel, daß der kommunistische Staat die höchste Ausprägung des polnischen Patriotismus und die reinste Verwirklichung nationaler polnischer Staatlichkeit in der gesamten Geschichte der Nation sei. Mit diesem Instrumentarium wurde auch die Opposition ausgeschaltet. Jegliche Kritik gegenüber dem kommunistischen Regime wurde zugleich als „Deutschfreundlichkeit“ stigmatisiert. Die auf Druck der Sowjetunion erfolgte Ablehnung des bereits in den Drei-Jahres-Wirtschaftsplan eingebauten Marshallplans erfolgte nach außen hin wegen seiner „Deutschfreundlichkeit“, weil durch ihn die Westzonen Deutschlands gegen­ über Polen bevorzugt würden. Das ließ auch die Westmächte insgesamt als „polenfeindlich“ bezeichnen, denn „wer den Deutschen hilft, ist ein Gegner Polens“, wie eine der Losungen zum 1. Mai 1946 verkündete. Im Umkehrschluß konnte die Sowjetunion als der überhaupt einzige ehrliche und verläßliche Freund Polens und Garant seiner Westgrenzen dargestellt werden, an den man sich existentiell binden müsse. Auf diese Weise gewann die „deutsche Frage“ eine weitere Dimension: die Rechtfertigung des Ost-West-Gegensatzes und des Kalten Krieges

Dies alles war mit Hilfe der „Preußenkrankheit“

eine außerordentlich geschickte, politisch effiziente, von Teilen der Historiker sowie von Publizisten vor allem in populären Darstellungen zweckvoll verfälschende Manipulation von Generationen, deren Wirkung verständlicherweise noch heute anhält. Mit regelmäßigen deutschkritischen Film-und Fernsehproduktionen sowie mit Berichten über Greueltaten der Deutschen und über eigene Heldentaten nährte sie das tradierte Deutschensyndrom, pflegte alte Feindbilder und errichtete neue; sie belastete das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte, woran sich auch die katholische Publizistik lange beteiligte. So bildete sich eine „zoologische Sicht und Haltung gegenüber Deutschen“ heraus, wie es der Dramatiker Leon Kruczkowski definierte Die Aufhebung des Kriegszustandes mit Deutschland Mitte Februar 1955, die eine kurzzeitige Ausgleichsmöglichkeit zu eröffnen schien, änderte daran nichts, möglicherweise wegen der die Regierung diskriminierenden Reaktion Konrad Adenauers, nur mit einem „freien Polen“ verhandeln zu wollen. Deutsche Politiker unterschiedslos aller Parteien wurden als „Erben Hitlers und Ribbentrops“, „Epigonen des Faschismus“ und „Kriegstreiber“ diffamiert, die einen „völkermordenden Weltkrieg“ vom Zaune zu brechen suchten, bei dem ihnen die von „Hitlers Generälen“ geführte „eroberungssüchtige Bundeswehr“ helfen solle Die „kriegerische“ Bundesrepublik werde von „revanchistischen und revisionistischen Politikern“ regiert, wie es Gomutka bereits Ende Februar 1945 sprachregelnd formuliert hatte, obwohl in der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ schon 1950 ein Verzicht auf Gewalt erklärt worden war und trotz mancher unkluger und schädlicher Politikerreden davon nie abgegangen wurde. Das Aufkommen des „Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) im Jahre 1950 und dessen Einzug in das zweite Adenauer-Kabinett war da für Polen schon bedenklicher. Die Haltung Polens gegenüber der DDR und ihren Bürgern war während der meisten Zeit ebenfalls von Mißtrauen, partieller Ablehnung und wirtschaftlichem Neid geprägt, obwohl nach außen hin Eintracht, Freundschaft und gegenseitige Unterstützung betont wurden Man sah in ihnen mit Widerwillen Nachfolger Preußens, die alle preußischen Untugenden verkörperten.

Für die in Polen trotz der Vertreibung zurückgebliebenen Deutschen -was vornehmlich in Oberschlesien und Masuren der Fall war, wo sie als „Autochthone“ bzw. als „germanisierte Polen“ ausgegeben wurden, die zahlenmäßig den historischen Anspruch Polens auf diese Gebiete untermauern sollten -gab es üble Auswirkungen der antideutschen Haltung. Die meisten „Autochthonen“ lebten in Oberschlesien. Hier wurde Anfang 1947 verfügt, daß sie bei den geringsten Anzeichen von Deutschsein, wozu schon deutsch beschriftete Küchengerätschaften gehörten, den Sicherheitsbehörden anzuzeigen seien, was Pflicht eines jeden guten Polen sei. Der Gebrauch der deutschen Sprache war strafbar, ihr Unterricht wurde in Oberschlesien für Jahrzehnte eingestellt, so daß ihr Gebrauch in der jüngeren Generation verkümmerte. Bei Stellenbesetzungen und Weiterbildung wurden „Autochthone“ zurückgesetzt, wodurch sozialer Aufstieg nahezu ausgeschlossen war. Vor lauter Mißachtung wurden anfangs die Bezeichnungen „Deutsche“ und „Deutschland“ entgegen den Rechtschreibregeln klein geschrieben. Noch Anfang der sechziger Jahre wurden in der Wojewodschaft Oppeln Personen verhaftet und verurteilt, weil sie gegen die Auflagen verstoßen hatten

Seit Beginn der sechziger Jahre wurden jedoch immer häufiger Stimmen laut, die diese deutschfeindliche Haltung zu kritisieren begannen, wobei sich Stanislaw Stomma besonders exponierte. Auch die Kirche schaltete sich ein, wobei sie allerdings, um nicht mißverstanden zu werden, während der Feiern zum 20. Jahrestag der Übernahme der ostdeutschen Gebiete ihren von Gomulka aus-drücklich gelobten Patriotismus durch die Erklärung des Kardinals Stefan Wyszyriski unterstrich, daß „die Steine (Breslaus) polnischen Geist atmeten“ und „lange warten mußten, bis sie in den Schoß Polens zurückkehren konnten“ -was zum 50. Jahrestag 1995 in Stettin ähnlich wiederholt wurde Auch Papst Johannes Paul II. äußerte sich dazu wie seinerzeit Kardinal Wyszyhski.

Angesichts der von Gomulka erkannten Gefahr, daß durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland Ende Januar 1967 Polen im eigenen Lager bei Fortdauer seiner sich verweigernden, antideutschen Politik isoliert werden könnte, begann in Polen eine vorsichtige Umorientierung, die innenpolitisch vorerst noch kaschiert wurde, aber im Angebot Gomulkas vom 17. Mai 1969 an die Bundesrepublik zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen, bei Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, gipfelte. Dieser Nebensatz wurde in der Bundesrepublik allerdings nicht thematisiert angesichts der offiziellen Überzeugung, letztlich werde ein bloßes Gewaltverzichtsabkommen reichen Das mit keinem der Warschauer-Pakt-Staaten abgestimmte, von der DDR ablehnend und von der Sowjetunion abwartend aufgenommene polnische Angebot war noch in der Angebotsrede mit Diffamierungen unterlegt, die wenig früher in einer Rede Gomulkas in der Unterstellung kulminierten, es gebe deutliche Anzeichen für „die Gefahr eines bewaffneten Überfalls des Feindes auf Polen, um unsere Staatsgrenzen zu verändern“. Damit war eindeutig die Bundesrepublik gemeint Nach einjährigen Verhandlungen wurde ein den polnischen und nicht den deutschen Erwartungen nach nur einem Gewaltverzichtsabkommen entsprechender Vertrag „über die Grundlagen der Normalisierung ihrer Beziehungen“ am 7. Dezember 1970 in Warschau abgeschlossen Die Vorstellungen über die Normalisierung gingen weit auseinander. Während man in der Bundesrepublik glaubte, daß mit dem in der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze verbundenen Territorial-verzicht ein so hoher Preis gezahlt worden sei, daß damit die „Normalisierung“ verbunden sei, sah Polen darin nur eine Voraussetzung für die Absicht, „Grundlagen“ der Normalisierung zu schaffen. Eine Normalisierung könne nur durch die Erfüllung wirtschaftlicher Wünsche erreicht werden. Die polnischen Vorstellungen gingen trotz des Wertes der 1945 annektierten Oder-Neiße-Gebiete von Ansprüchen in Höhe von zehn Milliarden DM aus Obwohl die deutschen Leistungen finanziell hinter den polnischen Erwartungen zurückblieben, schrieb „Die Zeit“ von einem deutschen „Marshall-Plan im Kleinformat“ für Polen Die gewährten Kredite wurden entgegen den Vereinbarungen jedoch zum großen Teil konsumtiv verwendet, was zu einer Wirtschafts-und nachfolgend zu einer allgemeinen Staatskrise führte. Deutsche Mahnungen wurden zurückgewiesen. Trotzdem wurde später von direkter Schuld der Bundesrepublik an der Wirtschaftskrise gesprochen, weil Polen in politischer Absicht Kredite aufgedrängt worden seien, um es in Abhängigkeit zu bringen und sich damit Vorteile zu erkaufen. Öffentlich wurde auch von einem versuchten Rückkauf der Oder-Neiße-Gebiete gesprochen.

Die Grundeinstellungen der polnischen Deutschlandpolitik änderten sich nach 1970 nur sehr zögerlich. Noch Anfang der achtziger Jahre wurden zwei antideutsche Organisationen gegründet, die die Konzeptionen des „Polnischen Westverbandes“ aufgriffen: innerhalb der staatstragenden Partei die „Grunwald“ -Gruppe, die mit ihrem Namen an den Sieg über den Deutschen Orden 1410 anschloß, der tradiert für die Überlegenheit Polens steht, und eine von dem gleichen Personenkreis geführte, allgemeingesellschaftliche „Oder-Weichsel-Vereinigung“, die beide sehr aktiv wurden. Über die Verweigerung der Einreise für mit Polen befaßte deutsche Wissenschaftler wurde über Jahre versucht, die westdeutsche Wissenschaft im polnischen Sinne zu disziplinieren Mitte Mai 1987 sprach der Parteivorsitzende und Ministerpräsident General Jaruzelski von „zunehmenden pangermanischen Aspirationen“ in der Bundesrepublik, wo ein „immer stärker werdender herrischer Ton“ sowie „Forderungen und Ansprüche gegenüber Polen“ aufkämen Die „hauptsächliche Aufgabe“ der kommunistischen polnischen Politik war nämlich auch nach 1970 geblieben: seine Bevölkerung vor Deutschland zu ängstigen sowie „der Bundesrepublik möglichst große DM-Beträge aus der Tasche zu ziehen“ Dazu trug auch das vom ehemaligen polnischen Botschafter in Bonn Pigtkowski eingestandene Junktim zwischen Ausreisebewilligungen für Angehörige der deutschen Minderheit und den fortwährenden finanziellen Forderungen -ein ethisch fragwürdiger Menschenhandel -bei.

Obwohl die Bundesrepublik von Polen wiederholt ermahnt wurde, den Geist des Vertrages vom Dezember 1970 zu erfüllen, wurde polnischerseits bereits zwei Wochen nach Vertragsunterzeichnung zum ersten Mal dagegen verstoßen, indem die Bundesrepublik in Rundfunksendungen indirekt bezichtigt wurde, hinter den Arbeiterunruhen vom Dezember 1970 in der Küstenregion zu stehen. Ein gleicher Versuch im August 1980 wurde von den streikenden Danziger Arbeitern empört zurückgewiesen.

Entgegen öffentlichen Bekundungen wurde die „Erziehung zur Feindschaft“ in Polen auch nach 1970 fortgeführt Die Lehrbücher und Lehrpro­ gramme zeigten sich trotz der Arbeit der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkonferenz „außerordentlich immun gegen jegliche Korrekturversuche“, wobei sich bis 1990 im Verzeichnis der deutschkritischen Pflichtlektüre „trotz mehrerer Tauwetterperioden“ nichts änderte Von der Parteiführung wurde sogar ein zeitlich unbestimmtes Verbot für die Einführung der Ergebnisse der Schulbuchkonferenz erlassen. Ebenso gab es über Jahre nahezu prohibitive Beschränkungen für die wegen gesellschaftlicher Kontakte ideologisch „gefährlichen“ Städtepartnerschaften, die auf einige wenige Vorzeigepartnerschaften beschränkt bleiben sollten, sowie für den deutscherseits angemahnten, aber gleicherweise beurteilten Jugend-austausch. Alles widersprach gröblich dem bei der Bundesrepublik bemängelten, selber aber mißachteten Geist der Normalisierung Trotzdem wurden sowohl in Polen wie auch in der Bundesrepublik in ihren Beziehungen nach außen weitgehende Normalität und zunehmende Harmonie betont, was in der Wissenschaft und in der Publizistik in Deutschland zusammen mit dem polnischen Disziplinierungsdruck zu Urteilen führte, die in Schönmalerei mündeten. Davon abweichende, weniger zeitgeistverpflichtete Urteile und Darstellungen wurden in der Bundesrepublik „wohlmeinend“ nicht zur Kenntnis genommen, deren Vertreter einer der Verständigung abgünstigen Manipulation verdächtigt

Die auf das tradierte Deutschensyndrom gestützte antideutsche kommunistische Politik hatte Menschen vergiftet. Bezeichnend ist, daß ihr sogar erwiesene Antikommunisten folgten. Lech Walgsa, früher „Solidarnosc“ -Vorsitzender und Staatspräsident, hielt Anfang der neunziger Jahre in einem für Belgien bestimmten Interview, dessen Inhalt er später in Abrede stellte, einen Rückfall Deutschlands in Verhaltensweisen vergangener Zeiten für möglich. Auch Fürstprimas Kardinal Glemp machte wiederholt wenig deutschfreundliche Ausführungen. Besonders beeinflußte er die katholische Bevölkerung Mitte August 1989 mit der vor Tschenstochauer Wallfahrern geäußerten Behauptung, die Bundesrepublik sei an der aktuellen Misere Polens schuld Daher überrascht es kaum, daß in den Heimatgebieten der deutschen Minderheit, insbesondere in Oberschlesien, die nationalen Gegensätze zugespitzt blieben, wobei auch die materiellen bundesdeutschen Hilfen an die Minderheit eine Rolle spielten. Bei der notwendig gewordenen Nachwahl zum Senat Anfang der neunziger Jahre war an den Wänden in Oppeln und Umgebung zu lesen, daß es „Ehre eines jeden Polen sei, einen Schlesier zu töten“ („Honor kazdego Slgzaka zabic jednego Polaka“), was gleichermaßen menschenverachtend, aber ebenso gereimt beantwortet wurde: „Für jeden Schlesier den Kopf eines Polen“ („Za kazdego Slgzaka glow§ Polaka“). Daran mag allerdings zu einem guten Teil auch die Bestrebung deutscher und polnischer „Autochthonen“ nach einer Autonomie für Oberschlesien schuld sein.

IV. Das Deutschensyndrom und das postkommunistische Polen

Seit Anfang der neunziger Jahre trat eine deutliche Entspannung ein. Die verbliebenen Deutschen, denen eigene Minderheitenorganisationen, deutschsprachige Zeitungen und Rundfunksendungen zugebilligt wurden, erhielten durch eine schrittweise entgegenkommende Gesetzgebung weitgehende Rechte bis hin zum muttersprachlichen Unterricht eingeräumt. Bei den Kommunalwahlen, bei denen sie erstmals mit eigenen Kandidaten 1991 zugelassen wurden, errangen sie rund 40 Bürgermeisterposten. Zudem erhielten sie in beiden Parlamentskammern, im Sejm und Senat, mehrere Sitze. Bei den jüngsten Sejmwahlen 1997 halbierte sich deren Anzahl allerdings auf zwei, wobei bezeichnend ist, daß im Spätherbst 1996 eine Initiative von rund zwei Dutzend Abgeordneten die Vertretungsrechte der deutschen Minderheit einzuschränken suchte. Nach Meinung des deutschen Vertreters im Senat, Gerhard Bartodziej, vom Herbst 1997 werde die deutsche Minderheit mittlerweile „toleriert, aber noch nicht akzeptiert“ Das macht ein beklagenswertes Auseinanderfallen der offiziellen Deutschlandpolitik der postkommunistischen Regierungen und der Haltung großer Bevölkerungskreise in den letzten Jahren deutlich. Es waren die Verträge über „die Bestätigung der zwischen beiden Staaten bestehenden Grenze“ vom 14. November 1990 und über „gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ vom 17. Juni 1991, die am Beginn der Wende in der Deutschlandpolitik Polens standen. Mit ihnen beschritt man das erste Mal in der Nachkriegsgeschichte beider Länder einen partnerschaftlichen Weg. Die in den postkommunistischen Verhältnissen entstandenen politischen Parteien wandten sich anfangs allerdings eher den tradierten, von den kommunistischen Sozialisationsbemühungen geförderten Vorstellungen über Deutschland zu. Erst im Laufe der Zeit setzte schrittweise eine differenziertere Sicht ein, die sich der gemeinsamen Zukunft beider Nationen und der Bedeutung Deutschlands für den gewünschten Beitritt zu EU und NATO zuwandte. Die erste der Parteien, die das einsah, war die Konföderation des Unabhängigen Polen (KPN). Sie war bereits 1990 in ihrem Programm davon abgegangen, die deutsch-polnischen Beziehungen allein als Funktion von Grenzfragen zu sehen

Die seitherigen Beziehungen müssen auf unterschiedlichen Ebenen gesehen werden: der gouvernementalen, der wirtschaftlichen und der gesellschaftlichen. Mittlerweile ergäbe sich bei einer Benotung die Note „sehr gut“ für die gouvernementale, „gut“ für die wirtschaftliche, für die gesellschaftliche jedoch -gemessen an den anderen Beziehungsebenen -bestenfalls die Note „ausreichend“. Die Wiedervereinigung Deutschlands spielte dabei auf allen Ebenen eine Schlüsselrolle, wird sie doch als ein so großer Bedeutungszuwachs gesehen, daß er Deutschland eine dominante Führungsposition in Europa einbringt. Obwohl die Wiedervereinigung ein mittelbarer Erfolg der polnischen oppositionellen Entwicklung mindestens seit dem Aufkommen der „Solidarnosc“ -Bewegung 1980 war, stand die polnische Gesellschaft der deutschen Wiedervereinigung sehr zurückhaltend gegenüber. Das war letztlich die Spätwirkung der jahrzehntelangen antideutschen kommunistischen Herrschaftsstrategie und Erziehung auf der Grundlage des Deutschensyndroms in der Gesellschaft. Im März 1990 fürchteten 70 Prozent der repräsentativ Befragten ein wiedervereinigtes Deutschland, wobei es in der jüngeren Generation sogar 72 Prozent gegenüber 68 Prozent bei der älteren waren. Folgerichtig wurden örtliche sowjetische Militärbefehlshaber selbst in Städten, wo Bürgermilizen gegründet worden waren, um sich sowjetischer Übergriffe zu erwehren, von Kommunalpolitikern gebeten, nicht abzu-ziehen. Denn nach repräsentativer polnischer Meinung bedeutete die Wiedervereinigung Deutschlands im März 1990 für 83 Prozent der Befragten eine gestiegene Bedrohung Polens. Einen Monat früher meinten nur 12 Prozent der Befragten, Deutsche zu mögen, was mit Umfragen korrespondiert, die bezüglich der Polen in Deutschland durchgeführt wurden. Folgerichtig waren auch 76 Prozent der Meinung, die DDR solle bestehenbleiben Im Februar 1995 warnte der scheidende Ministerpräsident Pawlak in seiner Abschiedsrede vor dem Sejm vor einer „Überschwemmung“ Polens durch deutsches Kapital und seiner Ausbeutung durch Deutschland. So verwundert es nicht weiter, daß im Mai 1995 Deutsche fast am Ende der Sympathieskala standen. Hinter den Deutschen rangierten nur noch Israelis, Russen, Serben und Rumänen. Andererseits wurde in neueren Umfragen durchaus betont, daß Deutschland der wichtigste Partner für Polen sei.

Daß die tradierten Bedrohungsvorstellungen in der Gesellschaft auch Einfluß auf die postkommunistische Regierung genommen hatten, zeigte der Umstand, daß die von der Sowjetunion Polen angebotenen Verhandlungen über einen Truppenabzug unter Hinweis auf Gefahren der deutschen Wiedervereinigung polnischerseits ausgesetzt wurden. Zwar wurde später beklagt, sowjetische Truppen stünden immer noch in Polen, während sie aus der Tschechoslowakei längst abgezogen seien. Doch die Schuld daran wurde undifferenziert nur Deutschland zugeschrieben. Im Vorfeld der Wiedervereinigung bemühte sich Polen intensiv, an den Zwei-plus-Vier-Gesprächen teilzunehmen. Doch es blieb ausgeschlossen, was die offiziellen Befürchtungen so sehr verstärkte, daß eine sicherheitsorientierte Zusammenarbeit mit der Tschechoslowakei und Ungarn angestrebt wurde. Das führte zur Gründung der Visegräd-Staatengruppe, die sich nach der Trennung Tschechiens und der Slowakei sowie nach dem Schwinden der sicherheitspolitischen Bedenken nunmehr wirtschaftlichen Fragen zuwandte. Aus den Visegräd-Staaten entstand die ostmitteleuropäische Freihandelszone CEFTA.

Mittlerweile ist die Regierungszusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland so eng geworden, wie es früher kaum vorstellbar gewesen war. Zu nennen wären hier die anfangs umstrittenen, jetzt erfolgversprechenden Euro-Regionen, von denen es mit „Pomerania“, „Viadrina“, „Spree-NeißeBober“ und „Neiße“, die auch Tschechien einschließt, vier gibt. Sodann eine überaus enge militärpolitische und -partnerschaftliche Zusammenarbeit, die als Vorstufe des polnischen NATO-Beitritts gewertet wird und die jetzt schon besser ist als mit manchen langjährigen NATO-Partnern. Ferner ist eine enge und sehr vielfältige kulturelle Zusammenarbeit begonnen worden, die auch zur Gründung eines Deutschen Historischen Instituts in Warschau führte -des fünften nach Rom, Paris, London und Washington, was seine kulturpolitische Bedeutung für beide Seiten unterstreicht Auch die Einrichtung eines polnischen Kulturinstituts in Düsseldorf, bei Fortbestand des im Ostteil Berlins befindlichen, sollte hier erwähnt werden.

Das neue partnerschaftliche Miteinander, das eine erfolgreiche deutsche Wahrnehmung polnischer Interessen insbesondere im kredit-und finanzpolitischen Bereich mit sich brachte bewährte sich in einer für die Menschen besonders eindrucksvollen Weise im Sommer 1997 beim Oder-Hochwasser. Es ist zu hoffen, daß diese Erfahrungen zu einem schrittweisen Verschwinden sowohl des gesell-schaftlichen Deutschensyndroms wie der antideutschen Sozialisation während der kommunistischen Herrschaftszeit führen werden

Trotz vieler Vorbehalte in der Bevölkerung gab es, wie zu allen Zeiten, auch andere Meinungen. Bereits seit Jahren waren Stimmen laut geworden, die die seinerzeitige offizielle antideutsche Politik und Erziehung kritisierten und für ihre Änderung wirkten. Meist kamen sie aus Kreisen der Intellektuellen. Dabei exponierten sich immer mehr Persönlichkeiten, wie Wladyslaw Bartoszewski, Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels und späterer Außenminister Polens, oder seinerzeit schon Stanislaw Stomma, die Wissenschaftlerin und Publizistin Anna Wolff-Pow^ska, heute Direktorin des früher antideutschen Posener „West-Instituts“, der Dichter Andrzej Szczypiorski oder Jan Jözef Lipski, der aus innerer Notwendigkeit Polen aufzurütteln suchte, ferner Andrzej Krzeminski und Adam Michnik, die in ihren Publikationen für eine deutschfreundlichere Haltung warben. Kennzeichnend für diesen immer zahlreicher und mittlerweile meinungsbildend gewordenen Kreis, der zu einem langsamen Meinungsumschwung beiträgt, sind die Worte Stommas vom März 1994: „Während ich diese Zeilen niederschreibe, schmunzele ich im Geiste, denn ein Pole, der sich Stabilisierung aus einer engen Zusammenarbeit mit Deutschen verspricht und sie anstrebt, ist eine recht ungewöhnliche Erscheinung. Es ist diesmal aber keine der sonst üblichen Possen des Schicksals, sondern -im Gegenteil -eine der glückhaften.“ Auch entstand ein spontaner Kreis deutsch-polnischer Gesellschaften, die von der Regierung nicht wie früher gegängelt und instrumentalisiert werden, sondern eine fruchtbare Arbeit für die Aussöhnung leisten. Aber auch die zahlreichen Institutionen der Erwachsenenbildung in Deutschland sollten sich, zumal mit Hilfe polnisch sprechender Referenten, stärker an diesem politisch-historischen Dialog beteiligen. Ihr gemeinsames Engagement könnte dazu beitragen, das immer noch konfliktbeladene Bild von Deutschland und den Deutschen im besten Sinne einer Friedens-und Freundesarbeit weiter zu klären.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der 1907 erschienene Artikel ist abgedruckt im Sammelband: Wladyslaw Studnicki, Z przezyc i walk (Aus Erlebtem und Kämpfen), Warszawa 1928, S. 182.

  2. Polska zbrojna, 25. /27. 6. 1993.

  3. Vgl. Hubert Ortowski, „Polnische Wirtschaft“, in: Deutsche und Polen. 100 Schlüsselbegriffe, hrsg. von Ewa Kobylinska, Andreas Lawaty und Rüdiger Stephan, München -Zürich 1992, S. 515.

  4. Als Kongreßpolen wird das Gebiet bezeichnet, das nach dem Wiener Kongreß 1815 als Königreich Polen in Personal-union mit Rußland verbunden war.

  5. Vgl. dazu detaillierter und mit Quellen versehen Georg W. Strobel, Denken und Handeln in den polnischen Teilungsgebieten und in Polen nach 1918. Ein politisch-ethischer Vergleich, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung, (1995) 2, S. 223 ff.

  6. Vgl. zu diesem Komplex Maria Podlasek, Ein Rückblick nach 50 Jahren: In Polen war die Vertreibung lange ein Tabu-Thema, in: Das Parlament vom 28. 7. /4. 8. 1995. Zur Literatur vgl. Magdalena Podwysocka, Einer, der es abgibt, einer, der es braucht. Das (Feind-) Bild „des“ Deutschen in der polnischen Literatur, in: Polen, Verlagsbeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. 11. 1997.

  7. Vgl. Czeslaw Luczak, Od Bismarcka do Hitlera. Polskoniemieckie stosunki gospodarcze (Von Bismarck zu Hitler. Die polnisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen), Poznan 1988, S. 244.

  8. Jözef Pitsudski an Leon Wasilewski, 8. 4. 1919, in: Leon Wasilewski, Jözef Pitsudski jakim Go znalem (J. P. wie ich ihn kannte), Warszawa 1935, S. 175 f.

  9. Zit. in: Georg W. Strobel, Die Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands und Polens 1919-1932, in: Die deutsch-polnischen Beziehungen 1919-1932. XVII.deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Historiker vom 11. bis 17. Juni 1984 in Augsburg, Red. Wolfgang Jacobmeyer, Braunschweig 1985, S. 111.

  10. Zit. in: Marian Mroczko, Polska mysl zachodnia wobec rewizjonizmu niemieckiego (1918-1939) (Der polnische West-Gedanke und der deutsche Revisionismus), in: Niemcy wobec konfliktu narodowosciowego na Görnym Slgsku po I wojnie swiatowej (Deutschland angesichts des Minderheitenkonflikts in Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg), Poznan 1988, S. 111.

  11. Zit. in: Micha! Sliwa, Polska mysl polityczna w I polowie XX wieku (Der polnische politische Gedanke in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts), Wroclaw -Warszawa -Krakow 1993, S. 168.

  12. Deutsche Übersetzung in: Deutsche Ostkunde, (1983) 1, S. 8f.

  13. Vgl. Michal Kwiatkowski, Rz§d i Rada Narodowa RP w swietle faktöw i dokumentöw od wrzesnia 1939 do lutego 1942 (Die Regierung und der Volksrat der Republik Polen im Lichte von Fakten und Dokumenten zwischen September 1939 und Februar 1942), London 1942, S. 48 f.

  14. Vgl. Instrukcja dla Obywatela Rakonia (Anweisung für den Bürger Rakoh), 3. 12. 1939, in: Armia Krajowa w dokumentach 1939-1945, London 1970, Band 1, S. 12. Oberst, später General Stefan Rowecki, militärischer Oberbefehlshaber der sich der Exilregierung unterordnenden Untergrundverbände, bediente sich zweier Pseudonyme: anfänglich „Rakoh“, später „Grot“.

  15. Vgl. Sarah Meiklejohn Terry, Sikorski and Polands We­ stern borders, in: Sikorski. Soldier and Statesman. A Collection of Essays, ed. by Keith Sword, London 1990, S. 138 f.

  16. Vgl. Dziennik Ustaw RP, Czqsc III, Nr. 2, 2. 8. 1944.

  17. Zur Gesamtproblematik vgl. Georg W. Strobel, Nationalitätenprobleme in Ostmitteleuropa. Räte-Großdeutschland und Grenzfragen als Mittel kommunistischer Revolutionsstrategie, in: Hans Hecker/Silke Spieler (Hrsg.), Nationales Selbstverständnis und politische Ordnung. Abgrenzungen und Zusammenleben in Ostmitteleuropa bis zum Zweiten Weltkrieg, Bonn 1991, S. 113 ff.

  18. Vgl. Hans-Adolf Jacobsen/Mieczyslaw Tomala (Hrsg.), Bonn -Warschau 1945-1991. Die deutsch-polnischen Beziehungen. Analyse und Dokumentation, Köln 1992, S. 65 ff.

  19. Polska Zachodnia vom 26. 8. 1945.

  20. Vgl. Mieczyslaw Tomala, Patrzgc na Niemcy. Od wrogosci do porozumienia 1945-1991 (Mit Blick auf Polen. Von Feindschaft bis zur Verständigung), Warszawa 1997, S. 44 ff. Diese Arbeit verdient wegen ihrer Wahrhaftigkeit und Ausgewogenheit, des Abdrucks unbekannter Dokumente, Gesprächsnotizen sowie der Einbringung eigener Erlebnisse und Erfahrungen aus der deutschlandpolitischen Beratertätigkeit des Verf. größte Aufmerksamkeit und eine Übersetzung.

  21. Gomulkas Rede vom 25. 2. 1945, in: Ksztaltowanie si$podstaw programowych Polskiej Partii Robotniczej w latach 1942-1945 (Gestaltung der programmatischen Grundlagen der Polnischen Arbeiterpartei in den Jahren 1942-1945), Warszawa 1958, S. 330. Auszugsweise Übersetzung dieses und anderer Dokumente aus der Frühzeit des kommunistischen Polen in: Georg W. Strobel, Deutschland -Polen. Wunsch und Wirklichkeit. Eine Dokumentation zum Problem der Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen nach 1945 und zur Frage der polnischen Vorbedingungen, Bonn -Brüssel -New York 19712, S. 40.

  22. Vgl. Jan Pietrzak, Dzialalnosc Kard. Augusta Hlonda jako wystannika Papieskiego na Ziemiach Odzyskanych w 1945 r. (Die Tätigkeit des Kardinals August Hlond als päpstlicher Abgesandter in den wiedererlangten Gebieten im Jahre 1945), in: Nasza Przeszlosc, Krakow 1974, Bd. 42, S. 198 ff.; R. Marek, Kosciöl rzymskokatolicki wobec Ziem Zachodnich i Pötnocnych (Die römisch-katholische Kirche und die Westund Nordgebiete), Warszawa 1976, S. 27 ff.

  23. Im Fastenhirtenbrief vom 10. 2. 1966 ist u. a. zu lesen: „Wir richten unsere verzeihenden Worte an diejenigen, die ihre Schuld einsehen und den guten Willen zu einem friedlichen Zusammenleben mit uns besitzen; die verstehen, daß die Gebiete, die wir besitzen und unter Schwierigkeiten in Bewirtschaftung genommen haben, nicht nur die alten plastischen Gebiete unserer Väter sind, sondern auch eine Notwendigkeit für unsere Existenz darstellen. Wir vergeben denen, die uns hören, wie Christus am Kreuze durch das Geheimnis des Kreuzestodes allen Menschen vergeben hat ... Hat aber die polnische Nation einen Grund, die Nachbarn um Vergebung zu bitten? Mit Sicherheit nein! Wir sind überzeugt, daß wir als Volk durch die Jahrhunderte dem deutschen Volk keinerlei politisches, wirtschaftliches oder kulturelles Unrecht angetan haben ... Wenn sich nur ein einziger Pole als unwürdig erwiesen hätte, erst dann hätten wir Anlaß zu sagen: , Wir entschuldigen uns 1.“ Vgl. Listy pasterskie Episkopatu Polski 1945 do 1974 (Pastoralbriefe des Episkopats Polens von 1945 bis 1974), Paris 1975, S. 437.

  24. Vgl. Gomulkas Rede vom 31. 12. 1945, in: Wladystaw Gomulka, Artykufy i przemöwienia (Artikel und Reden), Warszawa 1962, Bd. 1, S. 50 ff.

  25. Vgl. Gomulkas Rede vom 1. 5. 1946, in: Glos Ludu vom 2. 5. 1946.

  26. Vgl. Anna Wolff-Powgska, Polen -50 Jahre danach. Zwischen traumatischer Erbschaft und pragmatischer Gegenwart, in: Osteuropa, (1995) 5, S. 431 ff.

  27. Vgl. dazu in außen-und innenpolitischer Sicht Georg W. Strobel, Polen und die deutsche Frage, in: Günter Wagenlehner (Hrsg.), Die deutsche Frage und die internationale Sicherheit, Koblenz 1988, S. 174 ff.; ders., Die Potsdamer Konferenz als Mittel der Sowjetisierung Polens, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Potsdam 1945. Konzept, Taktik, Irrtum?, Berlin 1997, S. 103 ff.

  28. Eine Vielzahl von Beispielen aus Politik, Literatur, Publizistik sowie Film und Fernsehen findet sich, chronologisch geordnet, bei M. Tomala (Anm. 20).

  29. Zu den Zitaten von Gomulka, Cyrankiewicz u. a. vgl. G. W. Strobel (Anm. 21), S. 17 ff.

  30. Vgl. M. Tomala (Anm. 20), S. 157 ff.

  31. Vgl. ebd., S. 200.

  32. Erzbischof Marian Przykucki predigte in der Stettiner Kathedrale am 18. 6. 1995 zum Jahrestag des Kriegsendes, daß „die Ausdehnung der Westgrenze Polens bis zur Oder-Neiße-Linie eine Erfüllung der historischen Gerechtigkeit ist und mit der Rückkehr Polens in diese Gebiete auch die Kirche zu ihren Ursprüngen zurückgekehrt ist“. Pressemitteilung des Episkopats vom 23. 6. 1995.

  33. Zum gesamten Komplex vgl. Georg W. Strobel, Der Normalisierungsprozeß zwischen Polen und Deutschland seit 1989, in: Eichholz-Brief. Zeitschrift für politische Bildung, (1996) 2, S. 10 ff.

  34. Vgl. Wladyslaw Gomulka, O problemie niemieckim (Über das deutsche Problem), Warszawa 1984, S. 363.

  35. Bei der Erörterung der Polenpolitik im Auswärtigen Amt Ende 1969 durch Experten habe ich in meinem Einführungsreferat der Gewaltverzichtskonzeption begründet widersprochen und als einziges Verhandlungsergebnis die Grenzanerkennung genannt, die eine polnische Conditio sine qua non seit 1945 sei. Die Amtsspitze war anderer Meinung.

  36. Vgl. Georg W. Strobel, Die Bundesrepublik Deutschland und Polen, in: Die Internationale Politik 1975-1976. Jahrbücher des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, München -Wien 1981, S. 174 ff. In den polnischen Vorstellungen waren auch Entschädigungen für NS-Zwangsmaßnahmen enthalten. Zur Vorbereitung der offiziellen Verhandlungen fand Anfang Januar 1970 eine informelle Sitzung von Delegationen beider Seiten statt, während der nach Wunsch des Auswärtigen Amtes deutscherseits das Problem von Entschädigungen ausgeklammert werden sollte. Als deutscher Vortragender der beiderseits behandelten bilateralen Problematik brachte ich sie aus moralischen Beweggründen als persönliche Meinung trotzdem zur Sprache. Das bereitete mir Ungelegenheiten. Ähnliche Erfahrungen machte ich anläßlich einer Tagung des Steinbacher Kreises Anfang Januar 1957. Als Mitglied des Kieler Instituts für Weltwirtschaft regte ich angesichts der wirtschaftlich schwierigen Situation Polens an, für seinen und den Aufbau der heruntergekommenen Oder-Neiße-Gebiete langfristige Kredite zu Verzugszinsen an Polen unter Einrichtung einer diplomatischen Vertretung in Warschau zur Koordinierung des Kredit-einsatzes zu gewähren, was damals unter Ausklammerung der Grenzfragen für kurze Zeit möglich schien. Die Mißbilligung des aus hohen Ministerialbeamten und Führungspersonen der Vertriebenenverbände und Landsmannschaften bestehenden Auditoriums mündete in einem Tbmult.

  37. Vgl. Die Zeit vom 18. 6. 1976. Die deutschen Leistungen an Polen, worunter neben stark zinsbegünstigten Krediten 1, 3 Milliarden DM nicht rückzahlbarer Ausgleichszahlungen enthalten waren, beliefen sich 1975-1977 insgesamt auf mehr als 7 Milliarden DM.

  38. Vgl. M. Tomala (Anm. 20), S. 297 f.

  39. Vgl. Rada Narodowa. Wydanie Specjalne, Nr. 3 vom 3. 7. 1987.

  40. Vgl. Mierczyslaw Tomala, Wspomnienia swiadka wydarzeri (Erinnerungen eines Zeitzeugen), in: Dialog, (1995) 2-3, S. 30.

  41. Vgl. die umfangreiche Übersetzung aus einer polnischen Analyse: Maria Wagiriska-Marzec, in: Informationen und Berichte. Digest des Ostens, Nr. 6, Königstein 1996, S. 11 ff., unter dem Titel: „Zum Bild der Deutschen in polnischen Schulbüchern“.

  42. A. Wolff-Pow§ska (Anm. 26), S. 431.

  43. Vgl. M. Tomala (Anm. 20), S. 347 ff.

  44. Kennzeichnend dafür war die Diskussion im Zusammenhang mit meinem Vortrag über „Probleme und Irrwege der bundesdeutsch-polnischen Normalisierung sowie deren künftige Gestaltung“ Ende April 1988 in der Evangelischen Akademie Loccum. Vgl. Zur Zukunft des deutsch-polnischen Verhältnisses. Loccumer Journalistentagung Volksrepublik Polen -Bundesrepublik Deutschland, Loccumer Protokolle 13/1988, Rehberg-Loccum 1989, S. 16 ff.

  45. Vgl. M. Tomala (Anm. 20), S. 405.

  46. Kulturpolitische Korrespondenz vom 15. 10. 1997, S. 9.

  47. Vgl. Mieczyslaw Tomala, Polacy -Niemcy. Wzajemne postrzeganie (Polen -Deutsche. Gegenseitige Wahrnehmung), Warszawa 1994, S. 128 ff.

  48. Vgl. Opinie o zjednoczeniu Niemiec (Meinungen zur Wiedervereinigung Deutschlands), Warszawa 1990; Stanislaw Lisiecki, Polen und Deutsche. Öffentliche Meinungen und Urteile unter besonderer Berücksichtigung der Bewohner grenznaher Gebiete, in: Deutsche und Polen. Zwischen Nationalismus und Toleranz (= Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Gesprächskreis Arbeit und Soziales, Nr. 19), Bonn.

  49. Als einer der Initiatoren war ich seit den ersten Verhandlungen Ende November 1991 in Warschau an der Gründung dieses Instituts und an der Auswahl seiner Mitarbeiter ebenso beteiligt wie zusammen mit Gotthold Rhode an der Initiierung, Gründung und Durchführung des von der VW-Stiftung finanzierten Stipendienprogramms für den polnischen wissenschaftlichen Nachwuchs, obwohl ich Anfang der siebziger Jahre Objekt polnischer Disziplinierungsmaßnahmen aufgrund von Arbeiten geworden war, die seit 1949 „zuweilen kritisch, aber immer zutreffend waren“. So M. Tomala (Anm. 20), S. 101.

  50. Nach vorherigen, Polen entlastenden Umschuldungsaktionen auf Betreiben der Bundesrepublik Deutschland wurden Polen bei einem Schuldenstand von 30, 9 Milliarden US-Dollar gegenüber dem Pariser Klub der kreditgebenden Staaten durch die Verwendung Deutschlands, des größten Gläubigers Polens, im April 1991 50 Prozent der Schulden erlassen. Beim Londoner Klub privater Banken war Polen mit 10, 6 Milliarden US-Dollar verschuldet. Deutsche Banken unter der Federführung der Dresdner Bank drängten zu einem Erlaß von 70 Prozent der Schulden. Nach langwierigen Verhandlungen, ausgelöst durch die Forderung englischer Banken, höchstens 20 Prozent der Schulden zu erlassen, kam es zu einem Erlaß von 40 Prozent. Beide Schuldenerlasse von zusammen 19, 7 Milliarden US-Dollar verbesserten die wirtschaftlichen Startbedingungen des postkommunistischen Polens entscheidend, ohne daß dies allerdings infolge einer eigenwilligen Berichterstattung angemessen ins Bewußtsein der Gesellschaft gedrungen wäre, wie Umfragen zeigen.

  51. Daß sie immer noch wirksam sind, zeigte ein Interview des „Solidarnosc“ -Vorsitzenden Marian Krzakiewski, in: Ilustrowany Kurier Polski vom 6. 3. 1997, dem populärsten Boulevardblatt Polens. Er sprach hier von „Verrätern und Diversanten mit polnisch klingendem Namen im Dienste sowjetischer, deutscher und jüdischer Interessen zum Schaden Polens“.

  52. Tygodnik Powszechny, Kraköw, 14. 3. 1994.

Weitere Inhalte

Georg W. Strobel, Dr. phil., geb. 1923; em. o. Professor für Politikwissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt und Honorarprofessor für osteuropäische Geschichte an der Universität Mainz; Mitbegründer und Gutachter des Stipendienprogramms der VW-Stiftung für polnische Nachwuchswissenschaftler, jetzt auch für Osteuropa und die GUS-Staaten, sowie Mitbegründer des Deutschen Historischen Instituts, Warschau. Seit 1949 zahlreiche Veröffentlichungen zu den deutsch-polnischen Beziehungen.