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Die Autonomen Portrait einer linksextremistischen Subkultur | APuZ 9-10/1998 | bpb.de

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Die Autonomen Portrait einer linksextremistischen Subkultur

Armin Pfahl-Traughber

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Autonomen werden über die Medienberichterstattung meist nur als vermummt agierende Demonstranten und Gewalttäter wahrgenommen. Demgegenüber will der vorliegende Aufsatz eine komprimierte Darstellung zu Entstehung, Entwicklung, Einstellungen, Handlungsweisen, Motiven und Vertretern dieser linksextremistischen Subkultur liefern. Vorläufer bestanden in Italien („Autonomia Operaia“) und Deutschland (Sponti-Bewegung), woraus sich dann in den achtziger Jahren die Autonomen als relativ eigenständige politische Subkultur entwickelten. Die Untersuchung der Motive des Engagements und der politischen Positionen der Autonomen veranschaulicht, daß Ideologie und Theorie bei ihnen keine große Rolle spielen. Handlungsleitendes Motiv ist vielmehr das Ausleben subjektiver Gefühle, verbunden mit einer diffusen Ablehnung der bestehenden Gesellschafts-und Staatsordnung. Entsprechend ihrer Negierung von Hierarchien und Strukturen organisiert sich die Subkultur selbst über weitgehend selbständige Kleingruppen, die allerdings informell durch Gruppendruck durchaus Autor! tarismus erzeugen. Als Handlungsfelder sehen Autonome die Proteste gegen Atomkraftwerke, Rechtsextremismus, den Sozialabbau oder städtische Strukturveränderungen an, wobei sie im Unterschied zu anderen Demonstranten bewußt die Grenze zum strafrechtlich relevanten und damit auch gewalttätigen Handeln überschreiten. Überhaupt spielen Gewalt als inneres Erlebnis und Militanz als verbindendes Lebensgefühl eine wichtige Rolle für die Binnenintegration der Szene -und zwar weitgehend unabhängig von politischen Strategien und Zielen. Aufgrund ihres Selbstverständnisses als eine politische Subkultur bewegen sich die Autonomen bewußt am Rande der Gesellschaft und verfügen weder über relevante Bündnispartner noch über politische Bedeutung zur existentiellen Bedrohung des demokratischen Verfassungsstaates. Das Gefahrenpotential der Szene besteht vielmehr in ihrer Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit, die unkontrollierbar und willkürlich erscheint und sich hemmungslos -mitunter bis zur Tötung ihrer Gegner -auslebt.

I. Einführung

Die Autonomen werden über die Medienberichterstattung meist nur als aggressive Parolen verbreitende, martialisch auftretende, schwarz gekleidete und vermummt agierende Demonstranten und Gewalttäter wahrgenommen. Angesichts einer derartigen Fixierung auf oberflächliche Erscheinungsformen verwundert es nicht, daß über deren Entstehung, Entwicklung, Einstellungen, Handlungsfelder, Motive und Vertreter wenig bekannt ist. Eine wichtige Ursache für dieses Informationsdefizit muß allerdings im Agieren der Autonomen selbst gesehen werden, bewegt sich diese politische Subkultur doch ganz bewußt am Rande der Gesellschaft. Durch die selbstgewählte Isolierung entzieht sie sich sowohl der medialen als auch der wissenschaftlichen Wahrnehmung was dazu führte, daß über die Autonomen wenig bekannt und demnach auch wenig publiziert ist. Ausführlichere Darstellungen entstammen überwiegend aus der Subkultur selbst und sind von daher verständlicherweise einseitig und parteiisch Veröffentlichungen aus den Verfassungsschutzbehörden beschränken sich ihrem gesetzlichem Auftrag gemäß meist auf die Darstellung von politischen Bestrebungen und Gewalttaten

Hier wird demgegenüber der Versuch einer komprimierten Gesamtdarstellung zu den Autonomen unternommen, wobei es in kritischer Distanz darum geht, ein breiter angelegtes Bild der Subkultur zu zeichnen. Dazu sollen Entstehung und Entwicklung der Autonomen beschrieben, die Motive und Positionen dargestellt sowie ihre Handlungsweisen und Organisationsprinzipien skizziert werden. Darüber hinaus widmet der Beitrag der Einstellung der Subkultur zur Gewalt und dem Terrorismus besondere Aufmerksamkeit und untersucht ferner das Verhältnis der Autonomen zu anderen politischen Kräften

II. Entstehung und Entwicklung der Autonomen als politische Subkultur

Zunächst einige Ausführungen zur Entstehungsgeschichte: Der als Selbstbezeichnung dieser Subkultur gewählte Begriff „Autonome“ läßt sich ableiten von der 1968/69 aufkommenden politischen Organisation „Autonomia Operaia“ („Arbeiter-autonomie“), die aus dem Zusammenwirken von rebellischen Studenten und ungelernten Fabrikarbeitern im Nordwesten Italiens entstanden war. Sie entwickelte sich in erklärtem Gegensatz zu den etablierten Gewerkschaften und der Kommunistischen Partei, warf beiden Anpassung und Verbürgerlichung vor und führte militante Demonstrationen, Sabotageaktionen und Streiks durch. Im Laufe der ersten Hälfte der siebziger Jahre ging der Einfluß dieser zunächst durchaus erfolgreich Rechte in den Betrieben erkämpfenden „Autonomia Operaia“ zurück. Eine nebenher bestehende Bewegung „Autonom!“, die sich aus Randgruppen außerhalb des Produktionsbereichs wie Arbeitslosen, Obdachlosen und , Stadtindianern zusammensetzte, existierte aber weiter und löste 1977/78 mit sympathisierenden Kräften in den Fabriken erneut kurzzeitig durch bewaffnete Demonstrationen geprägte soziale Unruhen aus. Als Reaktion auf derartige Entwicklungen bildeten sich in der Bundesrepublik zahlreiche Subkulturen einer Protestbewegung, woraus auch die deutschen Autonomen entstanden Indessen handelte es sich dabei keineswegs um eine bloße Nachahmung dieses italienischen Namensgebers, was sich allein schon daran zeigt, daß die Autonomen eben nicht Arbeiter in den Fabriken waren und sich eben auch nicht für Verbesserungen von deren Arbeits-und Lebenssituation einsetzten. Darüber hinaus bildeten die in der politischen Kultur der italienischen Linken verankerten anarcho-syndikalistischen und rate-kommunistischen Prägungen allenfalls formal bekundete, aber kaum theoretisch durchdrungene ideologische Bezugsgrößen der theoriefeindlich eingestellten deutschen Autonomen. Trotz gewisser formaler Anlehnungen an die „Autonomia Operaia“ bzw. an die „Autonom!" sind deren Wurzeln viel stärker in bestimmten Folgeerscheinungen der zerfallenden Protestbewegung der soge-nannten „Neuen Linken“ von 1968 zu sehen Aus ihr entstanden zahlreiche, ganz unterschiedliche politische Kräfte, wozu ebenso die dogmatischen marxistisch-leninistischen K-Gruppen der siebziger Jahre und die linksterroristischen Gruppen „Rote Armee Fraktion“ und „Bewegung 2. Juni“ gehörten wie die Alternativ-, Friedens-und Ökologiebewegung als Neue Soziale Bewegungen und die sich im Laufe der neunziger Jahre fest im Parteienspektrum etablierende Partei der Grünen.

Für die Entstehung der Autonomen war von diesen politischen Strömungen insbesondere die Sponti-Bewegung als eine Art Vorläufer von Bedeutung, bestehen doch -wie noch zu zeigen sein wird -in Aktion, Einstellung, Motivation und Organisation im Unterschied zu den anderen Bewegungen oder Gruppen die stärksten Gemeinsamkeiten. Die gegen Mitte der siebziger Jahre aktiven Spontis verstanden sich als undogmatische linke Gruppen, die sowohl von der Ideologie als auch von den Organisationsprinzipien her in erklärtem Gegensatz zu den K-Gruppen standen. Feste zentralistisch geleitete Strukturen lehnte man ebenso ab wie die dogmatische marxistischleninistische Theorie. Statt dessen traten die Spontis für organisatorische Autonomie ein und legitimierten ihre politischen Aktionen nicht durch Theorien, sondern mit Gefühlsäußerungen. Die fehlende Ideologie wurde in der Motivation durch einen subjektiven Voluntarismus ersetzt. Insbesondere an den Universitäten entstanden zahlreiche studentische Hochschulgruppen, die von Emotionalität und Lustprinzip geprägt mit humorvollen und unkonventionellen, spontanen Aktionen auf sich aufmerksam machten. Innerhalb der Studentenschaft erfreuten sich derartige Aktivitäten einer gewissen Beliebtheit, was sich auch in entsprechenden Voten bei den Wahlen zu den Studentenparlamenten artikulierte:

In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre konnten derartige „Basisgruppen“ steigende Zustimmung verbuchen und waren zeitweise gleich stark mit etablierten Studentenorganisationen wie etwa den Juso-Hochschulgruppen. Die Bedeutung der Sponti-Bewegung veranschaulicht auch ein vom 27. bis 29. Januar 1978 in Berlin durchgeführter „Nationaler Widerstandskongreß: Reise nach TUNIX“, an dem etwa 6000 Aktivisten teilnahmen. Die Einstellung zur Gewalt innerhalb der Sponti-Szene blieb ambivalent; teilweise wurde Militanz abgelehnt, meist aber mit dem Verweis auf den Unterschied von Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen akzeptiert. Von daher lehnte man auch Terrorismus im Sinne der RAF ab. Prägende Merkmale der Sponti-Bewegung waren ihre Verweigerung gegenüber dem soge-nannten „herrschenden System“, was als nahezu selbstverständlich das Überschreiten der strafrechtlichen Grenzen bei politischen Aktionen einschloß, und der Versuch des Aufbaus einer Gegen-kultur, die sich in verschiedenen eigenen Projekten wie etwa autonomen Jugendzentren in öffentlichen Gebäuden oder selbstverwalteten Freizeiteinrichtungen in besetzten Häusern ausdrückte. Überhaupt bestand und besteht ein enger Zusammenhang zwischen Spontis und der seit Beginn der siebziger Jahre verstärkt aufkommenden, ebenfalls in der Achtundsechziger-Bewegung wurzelnden Hausbesetzer-Szene. Als Reaktion auf die Folgen von Kahlschlagsanierungen und Wohnraumspekulationen einerseits sowie aufgrund des Besitzverhältnisse nicht akzeptierenden Wunsches nach selbstbestimmtem Wohnen andererseits besetzten Jugendliche Häuser und konnten dort zeitweise sogar straßenweit Dominanz erlangen, wofür die Hamburger Hafenstraße nur das bekannteste Beispiel ist. Eine ähnlich große Nähe mit personellen Überschneidungen mit den Spontis bestand darüber hinaus auch zu den militanten Atomkraftwerk-Gegnern der siebziger Jahre, die mit Bauplatzbesetzungen und gewalttätigen Aktionen auf sich aufmerksam machten. Aus diesen Protestbewegungen und anderen ähnlichen Gruppen und Initiativen entstanden dann auch die Autonomen, die in der Anfangsphase daraus jeweils meist die radikalsten und militantesten Vertreter anzogen.

Seit Beginn der achtziger Jahre kann von dem Bestehen der Autonomen als einer eigenständigen politischen Subkultur gesprochen werden. Hin­ sichtlich Angaben zu ihrer quantitativen Entwicklung bestehen methodische Probleme: Aufgrund des Fehlens fester Organisationsstrukturen können auch keine genauen Angaben zu Mitglieder-zahlen vorgenommen werden; die Autonomen bewegen sich bewußt am Rande der Gesellschaft und gestatten nur selten Zugänge von außen, und schließlich überschneiden sie sich teilweise auch personell mit anderen Gruppen und Subkulturen. Von daher dürfen Zahlenangaben sicherlich auch nicht als exakte Größen, sondern mehr als Trend-angaben angesehen werden. Laut Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz zählten 1987 mehr als 2000, 1990 2300, 1993 mehr als 5 000 und 1996 6000 Personen zu den Autonomen, wobei diese Subkultur zwischen 1991 und 1992, bedingt durch die Zugänge aus den neuen Bundesländern, einen Anstieg von 2700 auf etwa 5000 Personen zu verzeichnen hatte Die letztgenannten Zahlen veranschaulichen, daß die Autonomen im Gegensatz zu anderen Organisationen des Linksextremismus nach dem Zusammenbruch der DDR und des Systems des sogenannten „real existierenden Sozialismus“ nicht nur keinen Einbruch zu verzeichnen hatten, sondern ganz im Gegenteil sogar noch Aktivisten dazugewann -und das zu einer Zeit, in der die eigentlichen Themen ihres Agierens nicht mehr so stark im thematischen Vordergrund des allgemeinen linken Diskurses standen wie in den achtziger Jahren.

Die politischen Betätigungsfelder der Autonomen sind für jene Zeit auf folgenden Gebieten zu sehen: Mit der Forderung nach eigenen Freiräumen kam es zu massenhaften Hausbesetzungen in größeren Städten, begleitet von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Großdemonstrationen gegen Atomkraftwerke nutzten Autonome, um aus der überwiegend friedlichen Gruppe der Teilnehmer heraus Angriffe gegen Polizeiangehörige und Beschädigungen von Einrichtungen durchzuführen. Darüber hinaus kam es zu Angriffen auf Banken, Baufirmen und Militär-einrichtungen, was letztendlich auch die durch Differenzen zur Militanzfrage ausgelöste Abspaltung der Autonomen von der Friedensbewegung bedingte. Andere friedliche Proteste gegen regionale Vorhaben wie die Startbahn West in Frankfurt oder die bundesweit durchgeführte Volkszählung nutzen Aktivisten der Szene ebenfalls für ihr gewalttätiges Vorgehen. In den neunziger Jahren sahen die Autonomen dann in weiteren, nun aktuellen Themen die Möglichkeit, friedliche Demonstrationen als Basis für ihr militantes Vorgehen zu nutzen, sei es bei Protesten gegen den Golfkrieg oder gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. In ihrer Hochburg Berlin bildete der „Kampf gegen Umstrukturierung“ einen Schwerpunkt der Aktivitäten, wobei es um militante Protestaktionen gegen den Ausbau der Stadt zur Regierungs-und Dienstleistungsmetropole ging

III. Motive des Engagements und politische Positionen der Autonomen

Über einige Aspekte des politischen Selbstverständnisses informiert exemplarisch ein kontrovers diskutiertes Thesenpapier von 1981, worin es u. a. heißt: „ 1. wir kämpfen für uns und führen keine stellvertreterkriege, alles läuft über eigene teilnahme, politik der ersten person, wir kämpfen nicht für Ideologien, nicht fürs Proletariat, nicht fürs volk, sondern für ein selbstbestimmtes leben in allen bereichen ... 2. keinen dialog mit der macht! wenn die macht an uns herantritt, um mit uns zu reden, lässt sich ihr Interesse dabei letztendlich auf die Stabilisierung ihrer herrschaft reduzieren, wir stellen nur forderungen, die die macht nicht erfüllen kann oder die ganz 'irrational sind, diese forderungen haben lediglich propagandistischen Charakter ... 4. durch den relativen gesellschaftlichen reichtum, und die möglichkeit, uns teile davon anzueignen, können wir uns der arbeit weitgehend entziehen; somit stellt die arbeit für uns keinen Zusammenhang dar, wo wir uns kennengelernt haben oder der zum Inhalt unseres kampfes wird. ... 5. wir haben alle einen 'diffusen anarchismus im köpf, sind aber keine traditionellen anarchisten. die begriffe marxismus, Sozialismus und kommunismus beinhalten für uns nach allen ihren theorien und praktiken den Staat und können somit von uns auch als Zwischenstufe nicht akzeptiert werden.“

In diesem Zitat werden eine Reihe von typischen Merkmalen der Absichten, Identität, Ideologie und Motivation der Autonomen deutlich. Dabei fällt auf, daß bei der positiven Beschreibung des eigenen Wollens kaum politische Inhalte oder Positionen formuliert werden. Identitätsstiftend wirkt primär eine die Emotionalität und Subjektivität zum zentralen Maßstaß für Denken und Handlungen erhebende Einstellung, die sich weder offen für rationale Argumente zeigt noch objektive Tatbestände zur Kenntnis nimmt. Die Erkenntnisform und Handlungsweise von Autonomen unterliegt daher in deren eigenem Selbstverständnis auch keinen außerindividuellen Notwendigkeiten zur Rechtfertigung, sondern leitet sich aus dem subjektiven und willkürlichen Empfinden ab. Hierbei handelt es sich um jenes Prinzip von „Betroffenheitsgefühlen“ und einer „Politik der ersten Person“, das sich ebenso bei den Spontis wie bei den Neuen Sozialen Bewegungen findet. Derlei Zugänge zu Gesellschaft und Politik offenbaren eine tiefe lebensphilosophische Prägung, die, wie noch zu zeigen sein wird, auch andere Auffassungen und Einstellungen der Autonomen kennzeichnet. Damit ging und geht eine grundlegende Ablehnung von Prinzipien der Aufklärung und Moderne sowie ein unbewußtes Anknüpfen an das Gedankengut der Romantik einher.

Unmittelbar aus dieser subjektiven Prägung folgt das durch gewollte Abgrenzung und selbstgewählte Isolation bestimmte Verhältnis zur Welt außerhalb der Subkultur. Offenbar befürchten Autonome mit dem Dialog mit oder dem Einwirken der Gesellschaft oder des Staates den Verlust von eigener Identität oder das Wegbrechen von Anhängern. Daher sieht man sich auch zu einer dualistischen Sichtweise genötigt, wobei im Sinne eines stereotypen Freund-Feind-Denkens nicht nur das diffus mit „Macht“ Gemeinte abgelehnt, sondern auch jegliche Form von Kommunikation negiert wird. Ängstlich darauf bedacht, Einwirkungsmöglichkeiten von außen und dadurch möglicherweise ausgelöste Veränderungen innerhalb der Subkultur zu unterbinden, baut man bewußt unüberwindbare Barrieren auf, und zwar durch Forderungen, die nicht erfüllbar oder „irrational“ sind. Besondere Ablehnung erfahren von daher auch Forderungen, die innerhalb des politischen Systems erfüllbar wären, würden diese doch eben die verabscheute „Macht“ stabilisieren. Von daher geht es den Autonomen primär auch gar nicht um gesamtgesellschaftliche Veränderungen, sondern um die Aufrechterhaltung der Frontstellung zum politischen System als wichtigsten Faktor der Binnenintegration der eigenen Subkultur.

Dies erklärt auch die unter den Autonomen immer wieder beschworene Notwendigkeit, sich nicht in das normale Arbeitsleben durch Berufstätigkeit integrieren zu lassen. Dadurch fände eine Konfrontation mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit statt, die zu einer Erosion des Zusammenhalts der eigenen Gruppe führen könnte. Daß man selbst gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und Zustände über eine pauschale Ablehnung des verhaßten Systems hinaus nicht als Bezugsgrößen des eigenen Politikverständnisses ansieht, zeigt auch, daß die Autonomen sich die Exklusivität, sich der Arbeit zu entziehen, als Ausdruck individueller Freiheit anmaßen, derartige Freiheit de facto aber nur sich zugestehen, ohne sich über die Erarbeitung des von ihnen egoistisch angeeigneten Teils von gesellschaftlichem Reichtum Gedanken zu machen. Insofern kämpfen Autonome in der Tat nicht für Ideologien, nicht für das Proletariat und auch nicht für das Volk, sondern für das Ausleben der eigenen hedonistischen und selbstsüchtigen Bedürfnisbefriedigungen. Aus dieser Einstellung erklärt sich auch das Fehlen von ideologischen und programmatischen Positionen sowie gesellschaftlichen Alternativ-Modellen, worauf anschließend noch etwas ausführlicher eingegangen werden soll.

Zunächst aber noch ein Hinweis auf eine besondere Komponente der bejahenden Inhalte bei Artikulationen der Autonomen: die beabsichtigte Eroberung und Verteidigung von Freiräumen, die häufig in Form von besetzten Häusern oder dominierten Einrichtungen (wie Jugendclubs) gesehen werden. In ihnen sieht man propagandistisch ein Gegenbild zum politischen System, wobei allerdings Überlegungen, inwieweit dort bestehende Formen des Miteinanders und der materiellen Reproduktion gesamtgesellschaftlich übertragbar sind, nicht angestellt werden. Die damit angesprochenen bestehenden Freiräume haben für die Autonomen denn auch eine ganz andere Funktion: Sie bilden einen ähnlich dualistischen Kontrast wie bei der Ablehnung der „Macht“ und bei der Abgrenzung von der Gesellschaft. Gegenüber ihr erlaubt die Gemeinschaft der autonomen Freiräume die Idylle des Zusammenlebens Gleichgesinnter. So bemerkt denn auch ein anonymer Autonomer: „Ein Teil meiner Utopie ist es, gemeinsames Denken und Handeln, das voneinander und miteinander Lernen auf die Alltäglichkeit auszugehen (bzw. von dort auszugehen). Der Rahmen für so etwas wäre z. B. eine große WG mit vielen Leuten, große helle Räume, viel Grün drumrum, in der Metropole, keine Maloche und Miete, und viele von solchen WGs.“

Positive Benennungen politischer Inhalte und Ziele sucht man bei den Autonomen indessen vergebens. Zwar wird ein diffuser Anarchismus bejaht, allerdings mit der Einschränkung, es gehe nicht um den klassischen Anarchismus. Insofern gibt es denn auch kaum eine Aufarbeitung oder Weiterentwicklung der Ideen von Klassikern dieser politischen Theorierichtung wie Michail Bakunin, Petr Kropotikin oder Gustav Landauer, wie etwa noch bei einigen Randgruppen der antiautoritären Strömung der Protestbewegung von 1968 oder den anarchistischen Kleingruppen im gegenwärtigen Linksextremismus. Unter Anarchismus wird offenbar die grundlegende Ablehnung nicht nur bestimmter staatlicher Institutionen, sondern des Staates als politisches Gebilde in Gänze verstanden. Mit dieser Einstellung verbinden sich auch andere ablehnende Haltungen, etwa gegenüber dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, jeglicher Form von Herrschaft und Hierarchie sowie kultureller, politischer und ökonomischer Fremdbestimmung. Aspekte eines positiven Selbstverständnisses beziehen sich demgegenüber lediglich auf Handlungsweisen wie die Akzeptanz aller -die Gewaltanwendung einschließender -Aktionsformen oder diffuse Wunschvorstellungen wie die nach einer völlig herrschaftsfreien und selbstbestimmten Gesellschaft. Aber auch für diese positiv definierten Aspekte vermögen die Autonomen weder eine nähere Begründung noch systematischere Vorstellungen zu benennen.

Für die gesamtgesellschaftliche Umsetzung ihrer Auffassungen können sie ebensowenig Mittel, Strategien und Wege angeben. Vielmehr erschöpft sich die Haltung der Autonomen in der Verweigerung, die im politischen Engagement per se eine verwerfliche Handlungsweise sieht. Denn, so heißt es in einem Autonomen-Papier: „Allgemein gesagt, ist Politik machen heute immer bürgerlich, konterrevolutionär, systemimmanent, reformistisch.“ Politik führe dazu, daß die Massen ihre eigenen Interessen nicht autonom und selbständig vertreten, sondern sie ihren Repräsentanten überließen. Demgegenüber sollten die Individuen wieder ihre Subjektivität erringen und sich antipolitisch betätigen. Politik versuche nämlich immer, widerstreitende Interessen miteinander zu versöhnen und gesellschaftliche Widersprüche zu verschleiern. „Entsprechend bedarf“, so heißt es dann weiter in dem Autonomen-Papier, „eine sich selbst organisierende Masse weder der Politik zur Durchsetzung ihrer Interessen noch des Rechts zur Legitimation ihres Vorgehens; sie hat ihren Sinn und Zweck in sich selbst und kennt keine außerhalb ihrer inneren Logik aufgebaute Organisation mit entsprechender eigener Logik.“ Von daher distanzieren sich die Autonomen denn auch von linken Parteien und Organisationen, die über Gesetze oder Parlamente als Bestandteile des verabscheuten Systems politische Veränderungen herbeiführen wollen.

Unmittelbare Konsequenz einer derartigen politischen Verweigerungshaltung ist die bewußte Selbstghettoisierung der Autonomen, die in Verkennung ihrer eigentlichen, selbstverursachten Gründe intern Gegenstand der Diskussion ist.

Indessen haben wohl die meisten Anhänger dieser Subkultur eine solche Situation akzeptiert, bekunden ab und an durch militante Aktionen ihre revolutionäre Gesinnung und richten sich ansonsten abwartend in der Idylle ihres Zusammenlebens Gleichgesinnter ein. In einer Erklärung heißt es denn auch: „Im Ghetto gibt es keine Vorbereitung auf die Revolution; am Tag des Aufstandes sind alle frei, in der Zeit des Ghettos haben sie wenigstens dienstfrei, auch die Berufsrevolutionäre. Das Ghetto selbst ist die keimende Revolte, deren Zeit man nur wittern kann und dann ergreifen muß -die sich vielleicht aber durch nichts herbeiführen läßt, weil sie an die Spontanität der Massen geknüpft ist.“ Wo ein derartiger Attentismus vorherrscht, bedarf es verständlicherweise auch keiner Strategie oder Theorie für politische Veränderungen. Insofern verwundert auch nicht, daß bei den Autonomen hinsichtlich der Einstellung zu ihren Handlungen nicht die inhaltlich begründete Ideologie, sondern die Bekundung von Gesinnung im Vordergrund steht. Zutreffend bemerken zwei ehemalige Aktivisten der Autonomen, Thomas Schultze und Almut Gross: „Die Autonomen sind als Bewegung ohne soziale Kategorie und Ideologie besonders auf die Vergewisserung von Gemeinschaft über gleiche Motivation, Lebens-stile und Befindlichkeiten, die auch in den privaten Bereich hineinspielen, angewiesen.“

IV. Aktionsfelder, Handlungsweisen und Organisationsprinzipien der politischen Subkultur

Die Ablehnung von gesellschaftlicher und politischer Herrschaft und Hierarchie bedingt, mit anderen Vorzeichen, spiegelbildlich auch die eigenen Organisationsprinzipien der Autonomen. Sie verfügen über keine festen diesbezüglichen Strukturen mit Ämtern und Verantwortlichkeiten. Autonome organisieren sich allenfalls über Klein-gruppen, die durch persönliche Kontakte miteinander verbunden sind. Darüber hinaus kam und kommt es auch zu spontanen und kurzlebigeren Gruppenbildungen über gemeinsame Aktionen wie Demonstrationen, gemeinsame Projekte wie besetzte Häuser oder gemeinsame Themen wie den Antirassismus. Hierbei entstandene persönli-che Kontakte bilden ein informelles Bindeglied zwischen den jeweiligen Aktivisten. Darüber hinaus bestehen verschiedene Kommunikationsformen, die nicht nur den gegenseitigen Informationsaustausch gewähren, sondern auch den Zusammenhalt der Aktivisten fördern. Hierzu gehören insbesondere die regelmäßig stattfindenden Plenen mit Diskussionen und den Möglichkeiten zum persönlichen Treffen sowie szeneeigene oder ihr nahestehende Einrichtungen wie Buch-und Infoläden oder Kneipen. Zum regionalen, überregionalen und internationalen Informationsaustausch dienen aber auch moderne Kommunikationstechnologien wie das Internet, Mailbox-Verbundsysteme oder Info-und Notruftelefone. Damit können über das „Schneeballprinzip“ binnen kurzer Zeit Szene-Angehörige zu spontanen Aktionen mobilisiert werden.

Darüber hinaus dienen Publikationsorgane dem informellen Zusammenhalt der Autonomen, wozu sowohl bundesweit wie auch nur regional erscheinende Magazine unterschiedlicher Auflagenzahl und Verbreitung gehören. Mitte der neunziger Jahre existierten etwa mehr als 50 derartige Szene-Publikationen. Sie veröffentlichen Berichte und Kommentare, Diskussions-und Thesenpapiere, aber auch Aufrufe zu (militanten) Demonstrationen oder Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen. Von den regionalen Blättern seien hier exemplarisch „RAZZ“ für Hannover und „SWING“ für das Rhein-Main-Gebiet genannt. Bundesweit erscheinen die Magazine „INTERIM“ und „radikal“, die teilweise konspirativ hergestellt und verbreitet werden. Kurzum, statt einer organisatorischen Anbindung besteht der formale Zusammenhalt bei den Autonomen stärker in der kommunikativen Vernetzung. Insofern bilden auch die Kleingruppen kaum tatsächliche Strukturen aus, sie sollen auch von ihrem Selbstverständnis her unberechenbar und unkontrollierbar sein. Für die Mitarbeit in ihnen wird auch nicht offen geworben. Interessierte müssen sich selbst um Akzeptanz und Kontakte bemühen und finden nur über persönliche Bekanntschaften zu Szene-Angehörigen Zugänge zu den Gruppen. Hochburgen der autonomen Szene liegen in städtischen Ballungszentren wie Berlin, dem Rhein-Main-Gebiet und dem Ruhr-Gebiet, aber auch aufgrund regionaler Besonderheiten in kleineren Universitätsstädten wie Freiburg und Göttingen.

Trotz der durch das antiautoritäre Selbstverständnis der Autonomen bedingten formalen Ablehnung von Führungspersönlichkeiten und Organisationsstrukturen bildeten sich innerhalb der Subkultur informell solche Prinzipien in der Praxis doch heraus. Da der Gemeinschaftsgedanke überaus große Bedeutung für die Identität der Aktivisten hat und die Szene-Zugehörigkeit eben auch stark ins Privatleben hinein wirkt, besteht ein großer Gruppenzwang. Die behauptete Eigenverantwortlichkeit des Agierens innerhalb der Subkultur ignoriert darüber hinaus die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Akteure, wodurch sich erfahrenere und etabliertere Szene-Angehörige von vornherein eine dominierende Stellung sichern. Auf diesem informellen Weg entstehen dabei nahezu automatisch die eigentlich von den Autonomen abgelehnten, autoritär geprägten Verhältnisse innerhalb der Subkultur. Da für deren Zustandekommen aber keine Regelungsmechanismen und Verfahrensweisen bestehen, können Führungsrollen auf diesem Weg weder kontrolliert noch verändert werden. Somit bilden sich in vielen Bereichen dieser Subkultur im Rahmen von gruppensoziologischen Prozessen autoritäre Verhältnisse heraus, welche aufgrund der mangelnden Kontrollmöglichkeiten mitunter weitaus stärker als in der verhaßten bürgerlichen Gesellschaft ausgeprägt sind. Insofern bestehen auch bei den Autonomen stark ausgeprägte Hierarchien zwischen den führenden Aktivisten und bloßen Mitläufern.

Seit Beginn der neunziger Jahre übt eine Minderheit innerhalb der Subkultur zunehmend Kritik an den bislang geltenden Vorstellungen von Organisation. Insbesondere wird eingewandt, daß mit einem Mangel an Verbindlichkeit in der Struktur auch die Entwicklung von Kontinuität in der politischen Arbeit nicht gewährleistet sei. Die Szene erschöpfe sich in aktionistischen Kampagnen und wirkungslosem Ghettodasein. In „radikal“ wurde dies so formuliert: „Unsere Strukturen sind verhärtet, vereinzelt, unverbindlich und vor allem aktionsmäßig ausgerichtet. Wir treffen uns, wenn was angesagt ist, und handeln nach breitester Diskussion. Wo bei Diskussionen zu lesen ist, die die am meisten von sich überzeugt sind, tauschen sich ab (was meist Typen sind) und bügeln grundsätzliche Fragestellungen (die oft von Frauen kommen) ab, um schnell auf ein greifbares Ergebnis zu kommen. Eine schweigende Mehrheit konsumiert und beurteilt für sich, ob sie an der Aktion teilnimmt oder nicht. Die Größe der Treffen und deren Zielsetzung verhindern es, die Strukturen (Profilierungen, Schüchternheit, Mackertum, Konsumentenhaltung) zu durchbrechen und revolutionäres Klima zu schaffen.“ Ähnliche Kritik übten auch andere Gruppen der Subkultur; dies führte allerdings zu keiner grundlegenden Änderung der beklagten Zustände.

Lediglich im Bereich der Kampagnen von Autonomen unter dem Schlagwort der „Antifaschistischen Aktion“ kam es zur Umsetzung neuer Organisationsmodelle, die über die bisher übliche Kleingruppenstruktur hinausging. Die 1992 gegründete „Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation“ (AA/BO) bemühte sich, bundesweit Gruppen der Autonomen im Sinne einer Art Dachorganisation zu bündeln. Über eine für die Subkultur außergewöhnlich intensive Medien-und Schulungsarbeit sowie die Durchführung regelmäßiger Delegiertentreffen band die AA/BO seitdem mit schwankender Beteiligung zwischen zehn und 20 Mitgliedergruppen an sich. Ähnliches versucht die 1993 gegründete “ Antifaschistische Jugend/Bundesweiter Zusammenschluß“ (AJ/BZ) für den Bereich der Jugendlichen durchzusetzen. Als Reaktion auf den relativen Erfolg derartiger Bemühungen entstanden noch weitere Bemühungen zum Aufbau von Strukturen zugunsten eines kontinuierlichen und überregionalen Informationsaustauschs und der Planung gemeinsamer Aktionen und eines organisierten Vorgehens. Die seit 1993 als weniger verbindliche Struktur bestehenden „Bundesweiten Antifa Treffen“ (B. A. T) sind ein Beispiel für derartige Versuche

Wer aber gehört zu den Autonomen? Über die soziale Zusammensetzung und konkrete Motivation von Angehörigen dieser Subkultur existieren keine wissenschaftlichen Untersuchungen in Form von empirischen Studien. Lediglich aus der Beobachtungstätigkeit der Verfassungsschutzbehörden ergeben sich einige diesbezügliche Daten, die folgendes Bild zeichnen: „Angehörige der autonomen Szene sind überwiegend zwischen 18 und 28 Jahre alt; sie sind Schüler, Studenten, Auszubildende oder haben eine gescheiterte Ausbildung hinter sich; viele Autonome sind arbeitslos, jobben gelegentlich oder beziehen , staatsknete'(Sozialhilfe). Die Verweildauer innerhalb der Szene beträgt oftmals nur wenige Jahre.“ Die langjährige quantitative Kontinuität mit sogar steigender Tendenz erklärt sich dadurch, daß nach Ausstiegen ins Privatleben die Autonomen aus dem genannten Personenkreis relativ schnell wieder neue Anhänger gewinnen können. Diese Fluktuation von Szene-Aktivisten und deren generationsspezifischer Hintergrund bestätigt erneut, daß Engagement innerhalb dieser Subkultur weniger mit generationübergreifend attraktiv wirkender Ideologie, sondern mehr mit psychologischen Aspekten biographischer Reifungsprozesse zu tun hat. Die Autonomen ziehen offenbar in einer bestimmten Phase befindliche junge Leute an, welche antistaatliche Orientierungen und emotionalen Subjektivismus, ausgeprägte Militanzbereitschaft und diffuse Systemablehnung als zeitweilige Bestandteile ihres individuellen Selbstverständnisses begreifen.

Spontanität prägt nicht nur die Einstellung, sondern auch die Handlungsweise der Autonomen.

Anlaßbezogen führen sie eigene Demonstrationen durch oder treten bei Demonstrationen als sogenannter „schwarzer Block“ mit Sturmhauben („Haßkappen“) auf. In beiden Fällen führt die Militanzbereitschaft der Subkultur zwar nicht immer, aber häufig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und regelrechten Straßenkrawallen mit Sachbeschädigungen. Politische Erfolge von Demonstrationen werden nicht selten daran festgemacht, inwieweit es zum Überschreiten der Militanz-Schwelle kam. Andere Handlungsweisen erstrecken sich vom propagandistischen Vertrieb von Broschüren, Flugblättern und Magazinen über die Durchführung von Diskussionsveranstaltungen und Plenen bis zu spontanen Farbsprühaktionen und geplanten Brandanschlägen. Die Formen autonomen Agierens beschrieb ein Autonomer mit folgenden Worten: „Die erste Ebene bezieht sich darauf, mit vielen anderen auf Demos zu gehen, politische Kampagnen zu organisieren, d. h. völlig legal politische Arbeit zu machen. Als zweite Ebene verstehe ich mit vielen anderen nachts loszuziehen, Schlösser zukleben, sprühen, halt eine Art Massenmilitanz. Und ein dritter Teil sind dann die klandestinen militanten Aktionen, wie Brandsätze deponieren etc.“

Primäres Aktionsfeld der Autonomen war durch die ganzen achtziger Jahre hindurch die Besetzung von Häusern und die Verhinderung von deren Räumung, also jene Auseinandersetzungen, die in der Medienberichterstattung insbesondere durch die Hamburger Hafenstraße allgemein bekannt wurden. Seit Beginn der neunziger Jahre breitete sich das Themenspektrum autonomer Aktivitäten aber immer mehr aus: Dazu gehört etwa der „Kampf gegen die Großmachtrolle der Bundesrepublik Deutschland“, der sich insbesondere in Aktionen gegen Feiern zum Tag der Deutschen Einheit oder öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr artikuliert. Autonome nutzen auch friedliche Demonstrationen und Kampagnen gegen Atomkraftwerke und Atommülltransporte als Ausgangspunkte für Blokkaden und Sabotage-Aktionen, die etwa zu Sachbeschädigungen an Eisenbahn-Schienen oder Hochspannungsmasten in Höhe von Millionen DM führten. Ähnlich agierten Autonome auch bei meist gewerkschaftlich organisierten Demonstrationen gegen die sozial-und wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung unter dem Motto „Kampf gegen Sozialabbau“. In Berlin bildete der bereits erwähnte „Kampf gegen Umstrukturierung“ einen Schwerpunkt der autonomen Aktivitäten, wobei sich dieser gegen Maßnahmen zur Stadtsanierung und Strukturveränderung innerstädtischer Wohnviertel richtete. Dabei wurde vom Umbau der Hauptstadt zu einer „Yuppie-und Beamtenmetropole“ und der „Verdrängung von gesellschaftlichen Randgruppen“ gesprochen -ebenfalls eine Kritik, die über das Lager der Subkultur hinausreichte. Die Autonomen bedienten sich aber bei ihren Aktivitäten besonderer Methoden, die von anderen Kritikern nicht akzeptiert werden. Dazu gehörten etwa Brandanschläge auf hochwertige Kraftfahrzeuge. Ähnlich verhält es sich mit der „Antirassismus“ -Agitation der Autonomen, die sich gegen die als rassistisch geltende Asylpolitik richtet. Auch hier unterscheidet sich das militante Vorgehen der Autonomen von den Protesten anderer Initiativen, führten Angehörige dieser Subkultur doch etwa Brandanschläge auf Fahrzeuge von Angehörigen der Justizbehörden oder von Sicherheitsdienst-Firmen durch. Und schließlich sei noch der „Antifaschismus“ als eines der wichtigsten Handlungsfelder der Autonomen genannt: Dabei richteten sie sich gegen aus ihrer Sicht faschistische Einrichtungen und Personen, wozu gewalttätige Übergriffe auf Rechtsextremisten oder Anschläge auf deren Privatwohnungen gehören. Da das Faschismus-Verständnis der Autonomen sehr weit gefaßt ist, schließt es häufig auch demokratisch-konservative Personen ein, die ebenfalls Objekt autonomer Agitation wurden

V. Das Verhältnis zur Gewalt und zum Terrorismus

Die Gewaltbereitschaft bildet ein zentrales, nicht nur handlungs-, sondern auch identitätsbezogens Merkmal des Agierens der Autonomen. Dabei muß hervorgehoben werden, daß Gewalt -wie bei vielen anderen militanten Gruppierungen -nicht nur als Mittel zum Zweck verstanden wird. Vielmehr artikuliert sich in der Bereitschaft zu und der Anwendung von Gewalt auch ein für das Selbstverständnis der Autonomen wichtiges Lebensgefühl -und zwar unabhängig von konkreten Zielsetzungen als Akt der individuellen Selbstbefreiung von verinnerlichten Herrschaftsstrukturen. Dementsprechend äußert sich ein unter dem Pseudonym „Geronimo“ schreibender, der autonomen Szene zuordenbarer Autor: „Gerade diese wichtige psychische Dimension der Gewaltanwendung wird durch scheinbare Klarheit verheißende Bemerkungen, wie z. B. unsere Militanz hat sich unseren politischen Vorstellungen unterzuordnen, zumeist schlichtweg negiert. Damit wird unterschlagen, daß Autonome Gewalt oftmals auch als den Ausdruck eines schwer faßbaren Lebensgefühles anwenden, das sich manchmal der Bemessung an politisch zweckrationalen Kriterien verweigert. Es wäre fatal, diese Seite von Individualität und Subjektivität in der Gewalt-und Militanzdebatte auszublenden.“ Auch in diesem Zitat wird noch einmal der Aspekt von starker individuell-psychischer statt ideologisch-politischer Motivation nicht nur hinsichtlich des Engagements bei den Autonomen, sondern auch bezüglich der Einstellung zur Gewalt deutlich.

Von daher kann auch nicht verwundern, daß militantes Vorgehen szeneintern keiner gesonderten Legitimation bedarf, sondern als normale und selbstverständliche Handlungsoption gilt. Das Überschreiten der Schwelle der Strafbarkeit wird nicht nur nicht näher problematisiert, sondern als Ausdruck besonders konsequenten Agierens angesehen und geschätzt. Demgemäß lehnen die Autonomen auch offen den Gewaltverzicht ab, was exemplarisch in einer Erklärung der Göttinger „Autonomen Antifa (M)“ wie folgt formuliert wurde: „Gewaltfrei ist ein ideologischer Begriff, der in totalem Gegensatz zu autonomer Politik steht. Niemals würde sich die Autonome Antifa (M) auf eine Politik der , Gewaltfreiheit'einlassen, denn das käme einem politischen Selbstmord gleich.“ Ideologisch gerechtfertigt wird Gewaltanwendung -wenn sie überhaupt gesondert vorgetragen wird -als Reaktion auf bestehende strukturelle Gewalt. Stellvertretend für eine solche Argumentation sei hier ein anonymer Berliner Autonomer zitiert: „Gewalt geht vom Staat aus, der ein einziger Gewaltapparat ist. Egal ob es direkte Gewalt ist durch Bullen oder Militär . . ., Gewalt durch die Ämter, durch die Schule, durch den Arbeitsplatz, den Chef, durch die Familie. Gewalt ist in diesem Staat erst mal da, zum anderen brauchst du sie, um dich dagegen zu wehren, um etwas ändern zu können. Gewalt ist das einzige Mittel mit dem du etwas erreichen kannst.“

Bei einer solchen Auffassung von Gewalt, die bereits soziale Abhängigkeitsformen wie im Ver­ hältnis Lehrer/Schüler, Eltern/Kind oder Vorgesetzter/Untergebener als eine Form von Gewalt interpretiert, rechtfertigt sich im Selbstverständnis des Eintretens für Gegen-Gewalt nahezu jede militante Tat von selbst. Auch von daher kann nicht verwundern, daß Militanz nicht nur als selbstverständliches Handlungsmoment, sondern auch als Nachweis besonderer Resonanz angesehen wird. Aber auch hier muß immer wieder die psychische Komponente der Gewaltanwendung gesehen werden, erscheint der militante Kampf doch als inneres Erlebnis Dabei schimmern erneut lebensphilosophische Prägungen durch, welche Gefühl und Leben gegen Rationalität und Vernunft stellen. Deutlich artikuliert sich eine solche Einstellung auch bei folgender Bekundung eines Autonomen: „Die direkte Aktionsphase erzeugt einen sonst kaum gekannten Fiebrigkeitszustand, und wir haben spannungsgeladenen Spaß dabei, wenn die Brandsätze abgelegt werden.“ Der Gewaltanwendung kommt darüber hinaus die Funktion eines verbindenden Lebensgefühls und damit auch eines konstitutiven Prinzips dieser Subkultur zu

Bei entsprechenden Aktivitäten richtet sich die Militanz primär gegen Sachen, weniger gegen Personen. Allerdings kommt es zunehmend zu einer Erosion dieser Abgrenzung, die mitunter auch die Tötung von Menschen für legitim hält Ein anonymer Autonomer erklärte etwa unter dem Pseudonym „Scatman“: „Ich bin nicht grundsätzlich gegen das Töten von Menschen aus politischen

Motiven. ... Wenn sie dazu dient, eine Gesellschaft herbeizuführen, in der ALLE die Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben haben, kann die Tötung von Einzelnen, die dieses Ziel zu verhindern suchen, ein legitimes Mittel sein. Nicht aus Rache oder einer Haltung, die das Leben dieser Funkionärlnnen des herrschenden Systems für minderwertig definiert, sondern aus , Notwehr, im Interesse aller.“ Derartige Auffassungen stellen keine Minderheitenpositionen innerhalb der Autonomen dar. Vorbehalte gegenüber der Tötung von anderen Menschen scheinen keineswegs grundsätzlicher Natur zu sein. Es kommt den Autonomen offenbar mehr darauf an, nicht zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen, sondern zwischen Beteiligten und Unbeteiligten zu unterscheiden. Darüber hinaus stellt sich für viele Aktivisten der Subkultur auch das Problem der Vermittlung, womit die geringe Akzeptanz für Gewalttaten gegen Personen außerhalb der Subkultur angesprochen ist.

Vor dem Hintergrund der manifesten Gewaltbereitschaft der Autonomen verdient die gesonderte Frage nach deren Verhältnis zu den bestehenden terroristischen Gruppen bzw. nach Tendenzen zum Aufbau terroristischer Strukturen aus der Subkultur selbst heraus besonderes Interesse. Zum erstgenannten Aspekt ist zunächst anzumerken, daß es hinsichtlich der geistigen Vorstellungen von Autonomen und der RAF sowie anderer terroristischer Gruppen zahlreiche formale wie inhaltliche Gemeinsamkeiten gibt. Bezüglich der Gewaltanwendung bestehen indessen gravierende Unterschiede hinsichtlich des Ausmaßes und der Planung: Während die Autonomen militante Aktionen meist spontan und gegen Sachen durchführen, operierten terroristische Gruppen geplant und primär auf Personen bezogen. Darüber hinaus wurde die elitäre Avantgarde-Haltung der RAF abgelehnt, während man den „Roten Zellen“ aufgrund des Fehlens dieser Einstellung relativ wohlwollend gegenüberstand. Kritik gab es an beiden Gruppen darüber hinaus nicht wegen ihrer Gewalttaten an sich, sondern weil sie sich dem Problem der Vermittlung nicht stellten. Die Autonomen sahen in entsprechenden Anschlägen und Attentaten primär militärische und weniger politische Aktionen, abgehoben von Protestbewegungen, welche ohne mobilisierende Wirkung durchgeführt wurden.

Da derartige Differenzen mehr formal strategischer Natur waren, verwundert nicht, daß sich im Laufe der neunziger Jahre aus der Subkultur selbst terroristische Ansätze bei regional agierenden Gruppen entwickelten. Hierzu zählt insbesondere die Berliner Gruppe „Klasse gegen Klasse“, die im Rahmen des bereits erwähnten „Kampfs gegen Umstrukturierung“ seit 1992 um die 50 Brand-und Sprengstoffanschläge durchführte. Dazu gehörte auch der Anschlag auf die Privatwohnung des Dekans der Juristischen Fakultät der FU Berlin, dem aufgrund eines von ihm erstellten Gutachtens vorgeworfen wurde, er trete als Klassenfeind für die Zerschlagung des Arbeitsrechts und des bisherigen Tarifvertragssystems ein. Ebenfalls Ansätze von terroristischen Strukturen wies eine zeitweilig unter den Namen „K OM ITEE.“ agierende Gruppe auf, welche durch einen Brand-anschlag auf ein Kreiswehrersatzamt und einen geplanten Sprengstoffanschlag auf eine Justizvollzugsanstalt auf sich aufmerksam machte. Darüber hinaus entwickelten sich weitere, lediglich regional agierende Kleingruppen, die Anschläge mit zum Teil großen Sachschäden durchführten. Zur Herausbildung einer einheitlichen terroristischen Struktur mit kontinuierlich fortgesetzter Aktivität kam es indessen bislang noch nicht. Gleichwohl nehmen ihre Gewalttaten immer mehr geplanten Charakter an und überschreiten dabei zunehmend die Schwelle von spontanen Handlungen zur ausgefeilten Guerilla-Taktik.

VI. Einstellungen und Verhältnisse der Autonomen zu anderen politischen Kräften

Für die Einschätzung der politischen Bedeutung der Autonomen und des von der Subkultur ausgehenden Gefahrenpotentials bedarf es über die Darstellung der Aktivitäten und Entwicklungen hinaus noch der Beurteilung des Verhältnisses zu anderen politischen Kräften, aber auch zu Gesellschaft und Staat der Bundesrepublik Deutschland. Hierbei muß zunächst noch einmal der Charakter der Autonomen als einer Subkultur besonders hervorgehoben werden. Mit diesem soziologischen Begriff wird eine „Unterkultur“ bezeichnet, also eine gesellschaftliche Gruppe, die sich in Abgrenzung von der Mehrheitskultur bzw.der allgemein akzeptierten Kultur definiert. Bei einer Subkultur handelt es sich um ein System von Normen, Symbolen, Verhaltensweisen und Werten, das sich von der Gesamtkultur unterscheidet und ein relatives Eigenleben führt. Abweichendes Verhalten, Desintegration und Konflikt bestimmen das Verhältnis zur Mehrheitskultur. Bei den Autonomen nehmen diese Eigenschaften einer Subkultur besondere Merkmale an, und zwar auf der Ebene politischer Einstellungen im Sinne einer offenen Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates zugunsten von linksextremistischen Ideologieelementen und militanten Handlungsweisen. Darüber hinaus grenzen sich die Autonomen aber auch durch nicht direkt als politisch zu bezeichnende Besonderheiten von der Mehrheitskultur ab, wozu neben dem äußeren Erscheinungsbild von der Bekleidung bis zur Wohnsituation auch die mangelnde Akzeptanz der geltenden Gesetze gehört, was sich nicht nur bei militanten politischen Aktionen, sondern auch im ab und an kriminelle Formen annehmenden Alltagsverhalten zeigt. Von ihrem Selbstverständnis her wollen Autonome nicht nach den gesellschaftlich akzeptierten, sondern nach den von ihnen selbst bestimmten Gesetzen leben. Als unmittelbare Konsequenz daraus ergibt sich die bereits schon mehrfach angeklungene Ablehnung nicht nur des Rechtsstaates, sondern des Staates als gesellschaftliche Einrichtung und Institution in Gänze. Dabei wird der Staat als monolithisches System der Unterdrückung von Individuen angesehen, wobei grundlegende Unterschiede politischer Systeme autoritärer, demokratischer oder totalitärer Art weitgehend ignoriert werden. Staaten nehmen Autonome häufig nur als Repressionsinstrumente im Sinne eines Polizeistaates wahr. Von daher erklärt sich auch die bereits bei der Beschreibung der Einstellungen und Ideologie-elemente dieser Subkultur deutlich werdende grundlegende Ablehnung von allem, was den Autonomen als staatstragend erscheint. Hierdurch bedingt ist auch die Ablehnung der in diesem Sinne eingeschätzten politischen Parteien. Dies gilt auch für die Grünen, deren zwischenzeitlich aus der Partei weitgehend ausgetretenem fundamentalistischem Flügel die Autonomen Anfang der achtziger Jahre positiv gegenüberstanden. Hintergrund und Ursache hierfür war die teilweise gemeinsame politische Herkunft aus den Verfalls-produkten der Protestbewegung von 1968, insbesondere den bereits erwähnten Spontis, aber auch zahlreiche gemeinsame Aktionsformen und Themen, wie sie exemplarisch etwa bei Demonstrationen gegen Atomkraftwerke deutlich wurden. Die Militanz der Autonomen einerseits und die zunehmende Akzeptanz des Parlamentarismus bei den Grünen andererseits führte allerdings im Laufe der Zeit zur Distanz. Innerhalb der Autonomen wurde die Partei in erster Linie nur noch als Bestandteil des . bürgerlichen Herrschaftssystems wahrgenommen. Innerhalb der Grünen gab es eine Art automatische und stille Distanzierung, ohne daß allerdings eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Subkultur stattgefunden hätte. Über einzelne Parteiangehörige bestehen noch Kontakte in diesen Bereich hinein, oder sie ergeben sich anlaßbezogen bei Demonstrationen. Allgemein kann hier jedoch von einer unterschied­lieh abgelaufenen, aber erfolgten Trennung gesprochen werden

Demgegenüber bestand und besteht ein engerer Zusammenhang von Autonomen und Teilen der „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS), der sich allerdings erst um das Jahr 1992 stärker entwickelte. Aktionsbezogene und thematische Ansätze dazu boten insbesondere Demonstrationen und Proteste gegen die Bundeswehr oder gegen den Rechtsextremismus. Es kam sogar zur Gründung einer AG „Autonome Jugend in und bei der PDS“, die sich zum Ziel setzte, die Autonomen in die tagespolitischen Auseinandersetzungen der Partei stärker einzubeziehen und Berührungsängste auf beiden Seiten abzubauen. Als Publikationsorgan dieser Strömung diente zunächst die Zeitschrift „Widerstand“, danach die Zeitschrift „Barrikade“. Wenngleich diesbezügliche -auch militantes Agieren einschließende -Kontakte zwischen Autonomen und Partei hinsichtlich letzterer meist über die AG „Junge Genossinnen in und bei der PDS“ liefen und die Parteiführung nicht offen erkennbar in diesem Sinne eine Zusammenarbeit bejahte oder förderte, so waren und sind ihr diese Kontakte doch weitgehend bekannt. Eine eindeutige und klare Distanzierung davon gab es allerdings nicht. Die PDS scheint solchen Personen und Positionen auch innerparteilich Raum geben zu wollen, hält sie doch programmatisch die verschiedensten Widerstandsformen für legitim

Hinsichtlich des Verhältnisses von Autonomen und Neuen Sozialen Bewegungen kann eine Ambivalenz festgestellt werden: Innerhalb der Anfang der achtziger Jahre ihren Höhepunkt erreichenden Friedensbewegung stießen nicht nur die Auffassungen der Autonomen, sondern auch deren Militanz auf Ablehnung, so daß sich die Subkultur innerhalb dieser weitgehend isolierte. Demgegenüber konnten die Autonomen innerhalb der Bewegungen gegen Atomkraftwerke oder gegen die Startbahn West phasenweise eine relative Akzeptanz erlangen, was damit zusammenhängt, daß diesen seit Mitte der siebziger Jahre aufkommenden Bewegungen von Anfang an stärker eine auch illegale Protestformen einschließende Handlungsweise eigen war. Den Autonomen gelang es im Rahmen der spannungsgeladenen Auseinandersetzungen mit der Polizei auch, für Akzeptanz ihres militanten Vorgehens unter den mehrheitlich gewaltfreien Demonstranten zu werben. Gleichzeitig nutzten die Autonomen letztere als Rückzugsfeld für militante Übergriffe, was jeweils zur Eskalation entsprechender Auseinandersetzungen beitrug. Innerhalb der friedlichen Mehrheitsströmungen innerhalb der Neuen Sozialen Bewegungen kam es nur selten zu offenen Auseinandersetzungen über das Wirken der militanten Subkultur in ihr

Bilanziert man die bisherigen Ausführungen über die Auffassungen und Handlungen der Autonomen sowie über ihr Verhältnis zu Gesellschaft und Staat, so läßt sich folgendes komprimiert sagen: Da sich die Subkultur der Autonomen bewußt in nicht nur politischer, sondern auch persönlicher Abgrenzung zur demokratischen Mehrheitskultur versteht, ist ihr gesellschaftliches Ansehen und ihre diesbezügliche Akzeptanz relativ gering. Politische Gefahren im engeren Sinne -was die Über-windung des politischen Systems angeht -dürften von ihr aufgrund dieser Isolation kaum ausgehen, zumal sie auch noch nicht einmal in Ansätzen diesbezügliche Strategien oder Zielsetzungen entwikkelt haben. Auch fehlt es ihnen auf einem solchen möglichen Weg an relevanten Bündnispartnern. Derartige politische Absichten liegen auch nicht im Interesse einer Subkultur mit einem Selbstverständnis, das das individuelle Subjekt mit seinen emotionalen Einstellungen zur entscheidenden Instanz des eigenen Gesellschafts-und Politikverständnisses erhebt.

Das von dieser Subkultur ausgehende Gefahrenpotential ist demnach auch mehr vor dem Hintergrund ihrer Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit zu sehen. Da es aber auch für derartige Handlungsweisen weder durch inhaltliche Absichten noch strategische Zielsetzungen bedingte szeneinterne Notwendigkeiten zur Begründung und Rechtfertigung gibt, eröffnet ein solches durch voluntaristische Militanz geprägtes Selbstverständnis der Unberechenbarkeit und Willkür je nach individuellem Gutdünken Tür und Tor. Gerade in einer damit verbundenen Eskalation von Gewalt besteht die konkrete Bedrohung durch die Subkultur. Auch zufällige Partner bei der Kampagnenpolitik und Zweckbündnissen mit hehrer Absicht -geht es etwa gegen den Rechtsextremismus -müssen sich dieser Besonderheit bewußt sein; sie schaden sich unter Umständen bei deren Ignoranz mehr, als ihnen selbst lieb ist. Bei den Autonomen handelt es sich nämlich um weitaus mehr als nur um kritische Protestler mit einem anderen Verständnis von Widerstand. Deren auch nur zeitweilige bündnispolitische Akzeptanz schließt automatisch auch die Akzeptanz ihrer Gewaltbereitschaft mit ein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Darstellung erfolgt aus Sicht der politikwissenschaftlichen Extremismusforschung.

  2. Vgl. Patrick Moreau/Jürgen Lang, Linksextremismus. Eine unterschätzte Gefahr, Bonn 1996, S. 366^ 404; Thomas Schultze/Almut Gross, Die Autonomen. Ursprünge, Entwicklung und Profil der autonomen Bewegung, Hamburg 1997 (eine stark apologetische Darstellung).

  3. Vgl. Geronimo (= Pseudonym), Feuer und Flamme. Zur Geschichte und Gegenwart der Autonomen, Amsterdam -Berlin 1990; ders. u. a., Feuer und Flamme 2. Kritiken. Reflexionen und Anmerkungen zur Lage der Autonomen, Amsterdam-Berlin 1992.

  4. Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Militante Autonome. Charakteristika, Strukturen, Aktionsfelder, Köln 1997; Bundesministerium des Inneren (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 1996, Bonn 1997, S. 39-54.

  5. Vergleichende Betrachtungen zur rechtsextremistischen Subkultur der Skinheads konnten hier aus Raumgründen nicht angestellt werden. Vgl. Uwe Backes/Eckhard Jesse, Autonome und Skinheads -ein Vergleich, in: dies. (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Jg. 6, Bonn 1994, S. 7-34.

  6. Vgl. Th. Schultze/A. Gross (Anm. 2), S. 29 f.

  7. Vgl. Gerd Langguth, Protestbewegung. Entwicklung, Niedergang, Renaissance. Die Neue Linke seit 1968, Köln 1983.

  8. Vgl. Johannes Schütte, Revolte und Verweigerung. Zur Politik und Sozialpsychologie der Spontibewegung, Gießen 1980.

  9. Vgl. Bundesministerium des Inneren (Hrsg.), Verfasssungsschutzbericht 1987, Bonn 1988 ff., jeweils die Kapitel zum Linksextremismus und dort die Rubrik zu den militanten Bestrebungen.

  10. Vgl. Hans Josef Horchern, Die Grenzen „autonomer“ Gewalt. Eine Bilanz nach der Wiedervereinigung, in: Konrad Löw (Hrsg.), Terror und Extremismus in Deutschland, Berlin 1994, S. 113-127.

  11. Anarchie als Minimalforderung, in: radikal, 6 (1981) 98, S. 4 f. (Schreibweise so im Original).

  12. Ein Autonomer..., in: Interim, Nr. 165 vom 17. Oktober 1991, S. 13.

  13. Zur Zerstörung des Politischen. Kritik der Politik gegen Rekonstruktion der Politik, in: radikal, 9 (1984) 124/125, S. 8 und 10.

  14. W. Gladow, Auf zum Tanz der Ratten, in: radikal, 7 (1982) 107, S. 7.

  15. Th. Schultze/A. Gross (Anm. 2), S. 66.

  16. Wilde Grundpfeiler -den Konflikt verschärfen, in: radikal, 10 (1985) 131, S. 19 (Formulierungen so im Original).

  17. Vgl. P. Moreau/J. Lang (Anm. 2), S. 382-393.

  18. Bundesamt für Verfassungsschutz (Anm. 4), S. 6.

  19. Interview mit der Antifa (M), in: radikal, (1991) 144, Teil 1, 5. 41-49.

  20. Vgl. als ausführliche Dokumentation derartiger Aktivitäten mit vielen Fallbeispielen: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Gewaltbereite Autonome. Ziele, Strukturen, Aktionen, Köln 1994, S. 35-140; dass. (Anm. 4), S. 14-41.

  21. Geronimo, Feuer und Flamme (Anm. 3), S. 210.

  22. Autonome Antifa (M), Einschätzung der Antifa-Demonstration in Adelebsen vom 20. 3. 1993, in: dies. (Hrsg.), Demonstration in Adelebsen/Göttingen, 20. März 1993, Göttingen 1993, S. 13.

  23. „Ich bin nicht faul, es geht ums Prinzip“ (Interview), in: Junge Welt vom 7. Januar 1992, S. 23.

  24. Diese Formulierung lehnt sich nicht zufällig an eine bekannte kriegsverherrlichende Schrift der Weimarer Zeit an, nämlich Emst Jünger, Der Kampf als inneres Erlebnis, Berlin 1920, wird doch im diesbezüglichen Verständnis der Autonomen eine zwar nicht inhaltlich, aber formal ähnliche Faszination der mythischen Wirkung von Gewalt deutlich. Theoretisch beschrieben wurde diese in seiner anarchosyndikalistischen Phase von Georges Sorel in seinen Reflexions sur la violence von 1906 (deutsche Ausgabe: Über die Gewalt, Frankfurt a. M. 1981), der sich gegen Ende seines Lebens gleichzeitig von Lenin und Mussolini begeistert zeigte und von Teilen des Links-und Rechtsextremismus positiv rezipiert wurde und wird. Mit diesbezüglichen Aspekten zusammenhängende Fragen bilden aber noch ein Desiderat der Forschung.

  25. Streifzüge zwischen Feuer und Flamme. Als militanter Kern in der autonomen Wolke, in: Interim, (1993) 226, S. 14.

  26. Vgl. Micha Brumlik, Autonome: Gewaltbereitschaft als verbindendes Lebensgefühl, in: Wilhelm Heitmeyer/Kurt Müller/Heinz Sünker (Hrsg.), Jugend -Staat -Gewalt. Politische Sozialisation von Jugendlichen, Weinheim 1989, S. 175-189.

  27. Die bekanntesten diesbezüglichen beiden Fälle waren zum einen die tödlichen Schüsse Autonomer auf zwei Polizeibeamte während einer Demonstration gegen den Bau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens 1987 und zum anderen der tödliche Überfall auf einen rechtsextremistischen Funktionär 1992 in Berlin. Beachtenswert sind auch die Begründungen für die kritischen Stimmen aus der Szene zu beiden Taten, die mehr das Problem der Vermittlung denn die Taten an sich problematisieren.

  28. Scatman, Auf einsamem Posten, in: radikal. 20 (1995) 153, S. 4L

  29. Vgl. Th. Schultze/A. Gross (Anm. 2), S. 152-154.

  30. Vgl. Bundesministerium des Inneren (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 1996, Bonn 1997, S. 58 f. und 60 f.; P. Moreau/J. Lang (Anm. 2), S. 132-135; dies., Was will die PDS?, Frankfurt a. M. -Berlin 1994, S. 118-121.

  31. Vgl. Th. Schultze/A. Gross (Anm. 2), S. 147-152.

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Armin Pfahl -Tr aughber, Dipl. -Pol., Dipl. -Soz., Dr. phil., geb. 1963; Studium der Politikwissenschaften und der Soziologie an den Universitäten Duisburg und Marburg; seit 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz, Köln, Abteilung II: Rechtsextremismus. Veröffentlichungen u. a.: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat, Wien 1993; Volkes Stimme? Rechtspopulismus in Westeuropa, Bonn 1994; Rechtsextremismus. Eine kritische Bestandsaufnahme nach der Wiedervereinigung, Bonn 1995; Konservative Revolution und Neue Rechte. Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat, Leverkusen 1998.