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Herausforderungen des wirtschaftlichen und sozialen Wandels in der VR China: Wohin führt der chinesische Weg? | APuZ 27/1998 | bpb.de

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APuZ 27/1998 Artikel 1 Artikel 2 Die politische Lage in der Volksrepublik China Herausforderungen des wirtschaftlichen und sozialen Wandels in der VR China: Wohin führt der chinesische Weg? Feindliche Übernahme oder friedliche Wiedervereinigung? Hongkongs Autonomie auf dem Prüfstand. Eine erste Bilanz Europa und China in den neunziger Jahren Verlust. der neugewonnenen politischen Bedeutung der EU?

Herausforderungen des wirtschaftlichen und sozialen Wandels in der VR China: Wohin führt der chinesische Weg?

Carsten Herrmann-Pillath

/ 38 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die „Asien-Krise“ ist eine Krise des „asiatischen Modells“ und seiner Institutionen, aber auch seiner Theoretiker. Welche Schlußfolgerungen ergeben sich daraus für das vielgerühmte „chinesische Wunder“? Eine entscheidende Differenz besteht in der institutionellen Fragmentierung der chinesischen Wirtschaft und dem Dualismus zwischen Stadt und Land, der in der Vergangenheit zwei wesentliche Wachstumskräfte freigesetzt hat: die Entstehung der ländlichen Unternehmen und die Migration. In der aktuellen Situation muß sich die Wirtschaftspolitik jedoch der Krise der Städte und des staatlichen Sektors stellen, die mit weitreichenden sozialen Umbrüchen einhergeht: Mit Konzepten wie den „Unternehmensgruppen“ scheint China freilich in die Fußstapfen des desavouierten „asiatischen Modells“ zu treten. Soll die Fähigkeit der Politik beurteilt werden, diesen Herausforderungen zu begegnen, so sind Aspekte wie die Quasi-Föderalisierung, die Verbreitung korporatistischer Institutionen sowie die Verflechtung zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft durch Netzwerke zu beachten. Das „chinesische Modell“ läßt sich dann nur innerhalb eines theoretischen Paradigmas des „Regionalismus" fassen und wird zum „Modell ohne Modell“: Gerade strukturelle Schwächen des Gesamtsystems erlauben flexible Antworten der Regionen auf die globalen Herausforderungen.

I. Globale Verflechtung: Schicksal des asiatischen Modells?

Die Verfasser der meisten Betrachtungen über den tiefen Fall des „asiatischen Wunders“ stimmen darin überein, daß es vor allem Defizite der Institutionen und der Wirtschaftspolitik waren, die letzten Endes das Fundament weiter anhaltenden Hochwachstums in Asien untergraben haben. Jene, die den internationalen Kapitalmärkten die Hauptschuld zuschreiben, gehen sicherlich an der Realität vorbei: Deren Defekte müßten eher -wie schon in vergangenen Schulden-und Währungskrisen -in der offensichtlich lange Zeit zu optimistischen Einschätzung der Verhältnisse in den Ländern zu suchen sein, deren Banken und Unternehmen sich in privatwirtschaftlich nicht vertretbarer Weise verschuldet hatten und damit zu den eigentlich Verantwortlichen der Währungskrise von 1997 gehören.

Aus dieser Perspektive ist die asiatische Krise vor allem eine Krise der politischen Ökonomie des asiatischen „Modells“ -positiv gewendet scheinen daher die „Fundamentals" des Wirtschaftswachstums langfristig nicht gefährdet zu sein, falls das Modell grundlegend reformiert werden kann Aus eben diesem Grund ist die Frage berechtigt, inwieweit auch die Entwicklung in China in eine Krise führen wird.

Seit jeher treffen beim China-Watching die ewigen Pessimisten und die ewigen Optimisten aufeinander: Seit dem großen Erfolg der Reformen insbesondere nach dem Tief des Massakers am Tian’anmen 1989 scheinen die Optimisten schon seit längerem die Oberhand zu besitzen. Pessimisten verweisen auf die Unzuverlässigkeit der statistischen Daten, die zeitlich nur begrenzte Wirkung von Faktoren wie dem Zustrom auslandschinesischer Direktinvestitionen oder die äußerst instabile Verfassung des chinesischen Bankensektors: Sie warten auf den „crash“, während die Optimisten die „List der Vernunft“ des graduellen Über-gangs zur Marktwirtschaft betonen, die regionale Vielfalt des Landes oder die Triebkräfte des Konfuzianismus als Wirtschaftsmoral.

Aufgrund eines grundlegenden Theoriedefizits der Wirtschafts-und Sozialwissenschaften gleichen die Beobachter jenen vielzitierten Blinden, die unterschiedliche Teile des „Riesen“ China betasten und anschließend notwendigerweise zu sehr unterschiedlichen Beschreibungen gelangen Der Rede vom „ostasiatischen Wunder“ war in der ersten Hälfte der achtziger Jahre selbst von Institutionen wie der Weltbank eine theoretische Legitimation verliehen worden; die vielfältigen Vorteile des asiatischen „developmental state“ wurden analytisch wohlbegründet herausgearbeitet Heute gewinnen wieder die Vertreter einer im weitesten Sinne klassisch-westlichen liberalen Vorstellung von der Begrenzung und vor allem strikten gesetzlichen Bindung der Staatstätigkeit Oberwasser -organisatorisch manifestiert in der Programmatik des IMF (International Monetary Fund)

Im Folgenden soll versucht werden, einige institutioneile Aspekte der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung Chinas herauszuarbeiten und dabei vor allem die Interdependenz zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu betonen. Auf diese Weise lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem „ostasiatischen“ und dem „chinesischen“ Modell identifizieren und damit Kriterien erarbeiten, die einer Prognose weiterer Entwicklungen dienlich sein könnten. Abschließend wird zu fragen sein, ob für China letzten Endes auch der Zusammenstoß mit den Notwendigkeiten globaler Verflechtung zum Schicksalsschlag werden wird.

II. „Systemarbitrage“: Institutionelle Fragmentierung und Dualismus zwischen Stadt und Land

1. „Systemarbitrage“ als Wachstumsfaktor Die Hauptschwierigkeit bei der Einschätzung der chinesischen Entwicklung besteht ohne Zweifel in den großen institutionellen und strukturellen Differenzen zwischen den Regionen Chinas, aber auch den verschiedenen Sektoren und Zweigen seiner Wirtschaft. Diese Differenzen haben in der Vergangenheit bestimmte Muster der Allokation von Produktionsfaktoren verursacht, die dem Wachstumsprozeß Richtung gegeben und Dynamik verliehen haben. Mit Abstand der wichtigste Einflußfaktor ist der Dualismus zwischen Stadt und Land, der aufgrund der bis in die neunziger Jahre hinein gegebenen Beschränkungen der Mobilität der Landbevölkerung keinesfalls mit dem Dualismus zwischen Industrie und Landwirtschaft gleichzusetzen ist. Im traditionellen sozialistischen Entwicklungsmodell Chinas diente die Diskriminierung der Landwirtschaft direkt der Akkumulation von Kapital für die Industrialisierung -durch die Reformpolitik wurden dann zwei bis heute zentrale Wachstumskräfte freigesetzt: -Es bestehen starke Anreize für die lokalen Gebietskörperschaften im ländlichen Raum und für die Landbevölkerung, Einkommen durch den Aufbau von Unternehmen im zweiten und dritten Sektor zu erzielen. Zum Teil aus der ehemals kollektiven Industrie der Volkskommunen entstehen die sogenannten „Township and Village Enterprises“ (TVEs), die aufgrund beträchtlicher Wettbewerbsvorteile etwa wegen ihrer flexiblen Beschäftigungsverhältnisse rasch vor allem in konsum-nahen Branchen große Marktanteile erringen konnten -Wo der Aufbau von TVEs aufgrund infrastruktureller Probleme oder mangelnder Absatzmärkte nicht möglich ist, bestehen starke Anreize zur Migration, die seit Beginn der neunziger Jahre in Gestalt der stetig zunehmenden „flottierenden Bevölkerung“ zum Tragen kommen. Durch die Migration können dann wiederum die städtische Wirtschaft und vor allem die Direktinvestoren aus Hongkong, Taiwan und dem asiatisch-pazifischen Raum erhebliche Lohnkostenvorteile realisieren.

In beiden Fällen ist es also die wirtschaftspolitische Diskriminierung der Landwirtschaft, die -auch heute noch -indirekt zum Strukturwandel beiträgt Dies hat zur Folge, daß -zumeist auf lokaler Ebene -Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz der Landwirtschaft ergriffen werden müssen. Der Interventionismus zu Lasten der Landwirtschaft erzeugt einen Interventionismus zu ihren Gunsten, so daß in diesem Bereich letzten Endes ein schwer durchschaubares System der Umverteilung entsteht. Beide genannten Wachstumsfaktoren schöpfen ihre Kraft letztlich aus der institutioneilen Ausdifferenzierung zwischen einem öffentlichen, einem öffentlich regulierten, quasi privaten und einem unregulierten „grauen“ Bereich der chinesischen Wirtschaft. Beispiels-weise ist die Migration in China keinesfalls ein unreguliertes System, wie lange Zeit durch den mit politischen Konnotationen versehenen Begriff des „blinden Stromes“ („mang liu“) suggeriert wurde: Die Abwanderung ländlicher Arbeitskräfte wird zum Teil systematisch von lokalen Behörden unterstützt -etwa durch Vermittlung an staatliche Unternehmen in den Städten Obgleich diese verpflichtet sind, die Migranten anderen Arbeitnehmern gleichzustellen, können sie dennoch aufgrund geringerer Lasten im Bereich der sozialen Absicherung ihre Lohnkosten reduzieren. In ähnlicher Weise haben in der Vergangenheit städtische Behörden auch den Strom der Migranten oft indirekt gesteuert, indem sie bestimmte städtische Siedlungsgebiete frei gaben und Geschäftslizenzen erteilten. In beiden Fällen steht die öffentliche Regulierung der Migration direkt oder indirekt im Dienste einer wirtschaftlichen Stabilisierung der angeschlagenen städtischen Wirtschaft, denn beispielsweise konnte Pekings Bevölkerung aufgrund der geringen Lohnkosten von „Migranten-Unternehmern“ aus Zhejiang (ansässig im sogenannten „Zhejiang-Dorf“) erhebliche Preisvorteile bei der Versorgung mit Textilien genießen Bei der öffentlichen Regulierung der Migration werden sogar die Augen vor Verletzungen staatlicher Gesetze und Verordnungen verschlossen.

Gerade aufgrund der gegebenen Form der Diskriminierung tragen Migranten zur Dynamik der Küstenprovinzen ebenso bei, wie sie ihre relative Einkommensposition verbessern und die Arbeitsmarktsituation in der Heimat entlasten können. So läßt sich von einer „Systemarbitrage“ zwischen unterschiedlichen regulierten Bereichen der chinesischen Wirtschaft sprechen, wie sie beispielsweise auch im Zuge der Preisreform der achtziger Jahre eine große Rolle spielte, als Ressourcen zwischen Bereichen mit verschiedenen Preisregulierungen transferiert wurden, was gleichzeitig zu Effizienzgewinnen wie zu grassierender Korruption führte insgesamt aber Wachstumskräfte freisetzte. Für die Analyse des chinesischen „Modells“ ist von wesentlicher Bedeutung, daß diese institutioneile Fragmentierung direkt auf das dualistische Entwicklungsmodell des Maoismus zurückgeht und damit nur schwer vergleichbar mit dem idealtypischen „ostasiatischen Modell“ des „asiatischen Wunders“ ist. Wachstumsimpulse entstehen durch schrittweise Liberalisierungsmaßnahmen, wie beispielsweise durch die Expansion der TVEs, deren Potentiale inzwischen erschöpft scheinen, so daß nun die Migration die Rolle eines Wachstumsmotors übernimmt, indem sie beispielsweise auch zum Faktor der Attraktion von ausländischem Kapital wurde

Positiv betrachtet, sind die institutionelle Fragmentierung und die damit ermöglichte Systemarbitrage die entscheidenden Bedingungen für den chinesischen „Gradualismus“, also den schrittweisen Übergang zur Marktwirtschaft Die Entwicklung im ländlichen Raum trägt entscheidend dazu bei, daß die zögerliche Reform des staatlichen Sektors überhaupt finanzierbar ist. Seit jeher besteht zum Beispiel auch eine Diskrepanz zwischen dem Anteil des ländlichen Raumes an den Depositen des öffentlichen Bankensektors und seinem Anteil an den Krediten. Gleichzeitig ist der ländliche Raum seit 1978 der eigentliche Ort lokaler Vielfalt und Experimente. Die Entwicklung der TVEs ist beispielsweise eine der treibenden Kräfte institutioneller Ausdifferenzierung bei gleichzeitigem sektoralem Strukturwandel. Seit langem wird in China über die unterschiedlichen „Modelle“ der Regulierung in diesem Bereich diskutiert, wobei nicht die zentralstaatlichen Instanzen die wichtigste Rolle spielen, sondern die lokalen Behörden bis hin zur Provinzregierung. Beim vieldiskutierten Modell von „Wenzhou“ wird zum Beispiel versucht, die inzwischen etablierte Struktur einer Vielzahl kleiner, privater Familienunternehmen durch „industriepolitische“ Maßnahmen zu korrigieren und Zusammenschlüsse zu fördern In den besonders weit entwickelten Regionen sind hingegen längst dörfliche „Konglomerate“ entstanden, die unter Überwachung der Gemeinde als „Holding“ stehen, aber im Prinzip nach privatwirtschaftlichen Kriterien ihre Märkte suchen. In solchen Fällen ist es gerade die Dynamik der TVEs, die auch erlaubt, daß sich öffentliche Instanzen weiter organisieren und Funktionen übernehmen können, weil sie überhaupt finanzierbar sind: Die TVE-Holding wird in der Gemeinde zum Träger von Dorfentwicklung bis hin zur kleinstädtischen Transformation und vor allem auch der Ausweitung sozialpolitischer Funktionen Das andere Extrem bilden jedoch die Dörfer der inneren Peripherie Chinas, die keinen Take-off zur ländlichen Industrialisierung schaffen, und in denen selbst die öffentlichen Instanzen verfallen, da ihnen die Finanzierungsgrundlage fehlt. Der Erfolgsfaktor „ländliche Industrialisierung“ wird damit auch zur entscheidenden Ursache wachsender sozioökonomischer Diskrepanzen in den chinesischen Regionen 2. Gradualismus und institutionelle Fragmentierung Genau in diesem Kontext lokaler Vielfalt greift nun der chinesischen Gradualismus. Beispielsweise hat sich gerade in den entwickelten Gebieten der ländlichen Industrie gezeigt, daß die Eigentums-verfassung und Leitungsstrukturen der TVEs ein ernst zu nehmendes Gestaltungsproblem sind. Der chinesische Zentralstaat wählt zur Lösung eine Art strategisches „trial and error“ -Verfahren: Es werden zunächst die unterschiedlichen „Modelle“ identifiziert und öffentlich diskutiert, und es wird die allgemeine Parole formuliert, daß das Ziel der institutioneilen Umgestaltung in irgendeiner Weise die Einrichtung einer effizienten Regulierungsform unter Wahrung „kollektiver“ Charakteristika des Sozialismus in den ländlichen Räumen sei. In diesem Kontext kommt es zu unterschiedlichen lokalen Lösungen, die dann zum Konzept des sogenannten „Aktien-Genossenschaftssystems“ zusammengefaßt und auch gegen eventuelle Widerstände auf lokaler Ebene propagiert werden (es handelt sich um eine Verquickung der Merkmale der AG und der Genossenschaft und damit um eine Form der Beteiligung von Arbeitnehmern am Betriebsvermögen)

Viele Beobachter verweisen in diesem Zusammenhang aber auf einige elementare wirtschaftliche Zwänge vor allem in Gestalt einer „harten Budget-beschränkung“ für die lokalen Behörden. Denn die staatlichen Banken konzentrieren ihre Kredite weiterhin auf die Staatsunternehmen, so daß -abgesehen von regional zum Teil beachtlichen Krediten der Agrarbank -die Gemeinden und TVEs im wesentlichen auf eigene Mittel angewiesen sind, um die lokale wirtschaftliche Entwicklung weiter voranzutreiben. Daher sind ineffiziente Leitungsstrukturen nur zeitlich begrenzt finanzierbar, und es entstehen sehr bald Zwänge zur lokalen Reform

Ein weiterer Aspekt der institutionellen Fragmentierung im chinesischen Entwicklungsmodell besteht in der zunehmenden sozioökonomischen Ausdifferenzierung. Um erneut das Beispiel der Migration aufzugreifen -es ist gerade die Migration, die zur Zeit auch eine Stabilisierung traditionellen Familienverhaltens fördert, denn die Migration trägt in der Regel zur Diversifikation von Einkommensquellen in der Familie bei Dabei wirkt gerade der unvollendete Zustand der chinesischen Landreformen seit 1978 positiv verstärkend, denn die Bauern betrachten die Ansprüche auf Anteile am öffentlichen Land als Substitut sozialer Sicherung, so daß auch Migranten mehrheitlich ihre Bindung an den Heimatort und damit die Familie bewahren. Durch die Förderung des familiären Zusammenhaltes werden traditionelle Werte konserviert; durch die Familienstrategien wird andererseits die bestehende Bodenverfassung politisch stabilisiert Dieser Zusammenhang ist langfristig entscheidend für den gesellschaftlichen Wandel im ländlichen Raum und vor allem für die Beherrschung möglicher sozialer Konflikte: Die wirtschaftlichen Veränderungen haben inzwischen zu sehr unterschiedliche Formen sozialer Differenzierung und Schichtung geführt, je nach Standort und Entwicklungsniveau eines ländlichen Gebiets Damit birgt gerade der ländliche Raum Krisen-und Entwicklungspotentiale in komplexer Vermengung in sich Gleichzeitig öffnet sich eine tiefe Kluft zwischen dem sozioökonomischen Wandel in den Städten und auf dem Lande.

III. Die Krise der Städte und die Transformation der Staatswirtschaft

Viel beachtet wird seit langem der Niedergang der staatlichen Industrie Chinas. Natürlich ist es auch hier schwer, ein einheitliches Bild zu zeichnen, denn ihr Zustand ebenso wie die Rahmenbedingungen des Wandels sind -je nachdem ob ein kleines Staatsunternehmen in einer Kreisstadt betrachtet wird oder ein großes Stahlwerk in einer Millionenstadt -höchst unterschiedlich. Während im ersten Fall etwa die sozialpolitischen Lasten eher gering ausfallen und damit etwa Reformmodelle wie das der Verpachtung relativ problemlos umzusetzen sind, muß im zweiten die sogenannte „danwei“ -die „Einheit“ -überwunden werden, die sich durch die typischen Strukturen sozialistischer Kombinate (starke vertikale und horizontale Integration) und durch die chinesische Besonderheit einer engen Anbindung nahezu öffentlicher sozialer Leistungen an die Betriebe auszeichnet. Hier liegt die eigentliche Herausforderung für die gegenwärtige chinesische Führung

Bei der Reform der großen Staatsunternehmen besonders in der Schwerindustrie gibt es nur geringe Möglichkeiten, „außerhalb des Systems“ Abhilfe zu schaffen. Vielmehr muß der Staat sich den Reformzwängen stellen. Hier ist inzwischen eine komplizierte Gemengelage entstanden. Seit langem spielen betriebliche Anpassungsstrategien und unternehmensübergreifende Umstrukturierungen die wichtigste Rolle bei den Lösungsversuchen.

Die betrieblichen Anpassungsstrategien haben vor allem zur Folge, daß sich das sozioökonomische Fundament der chinesischen (Groß) Stadt als Sozialsystem auflöst und erneuern muß. Lange Zeit bestand die Reaktion der Staatsindustrie auf die Reformzwänge vor allem im Bestreben, die betrieblichen Leistungen zu verbessern. Mit den langsamen, aber allmählich durchgreifenden Veränderungen der internen Leitungsstrukturen wurde auf diese Weise in vielen Staatsbetrieben der Grundstein für neue soziale Differenzierungen zwischen Belegschaft und Leitung gelegt: Die Zunahme des Leistungsdruckes und der gleichzeitig wachsende Rückstand des Lebensstandards vor allem der Arbeiterschaft haben den Nährboden für die Bildung eines neuen „Klassenbewußtseins“ geschaffen, das gerade an der subjektiven Benachteiligung der ursprünglich privilegierten Schicht ansetzt Viele Arbeiter werden im Zuge betrieblicher Umstrukturierungen in separate Dienstleistungsunternehmen abgeschoben, wodurch sie bestimmte Vergünstigungen wie die Beteiligung an Bonus-Schemata des Mutterunternehmens verlieren. Vollends problematisch aber wird die Lage, wenn die Arbeiter unter Fortzahlung ihres Basislohnes nach Hause geschickt werden („xia gang“), denn in der Vergangenheit hatte sich ein System etabliert, bei dem sich die Löhne zu einem beachtlichen Teil aus Prämien und Naturalleistungen (Verpflegung, Kleidung etc.) zusammensetzten. Auch ohne eine formelle Entlassung führt die Kürzung des Einkommens auf den Grundlohn zu einer sozialen Notlage. Die Bedeutung dieser Veränderungen kann zwar noch nicht recht eingeschätzt, darf aber keinesfalls unterschätzt werden. Es bilden sich gegenwärtig Trennlinien zwischen sozialen Schichten, die vor allem an der unterschiedlichen Ausstattung mit Humankapital, also Ausbildung, und Sozialkapital, also „Beziehungen“, ansetzen und damit eigentlich herkömmliche Klassenunterschiede reproduzieren bzw. wieder erstehen lassen Den Gewinnern des Wandels, die gleichzeitig von den Chancen der Marktwirtschaft wie von den Vorteilen des staatlichen Systems profitieren steht eine stetig steigende Zahl von Verlierern vor allem in schwer-industriell geprägten Städten des Landesinnern gegenüber.

Es darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, daß durch diesen Wandel ganze Lebens-welten brüchig werden. Zu den Folgen der dualistischen Entwicklungsstrategie der Vergangenheit gehört nämlich auch eine Verzerrung soziokultureller Entwicklungslinien in China: Es sind gerade die Städte, die in empirischen Untersuchungen Modernisierungsdefizite aufweisen, während vor allem die stadtnahe Landbevölkerung inzwischen die Speerspitze des Wandels darstellt Wenngleich es sicherlich gewagt ist, erste Forschungsergebnisse zu verallgemeinern, so entspricht dieses Bild durchaus den „mit bloßem Auge“ wahrnehmbaren Verhältnissen. Gerade die stadtnahen Gebiete eröffnen der dortigen Landbevölkerung vielfältige Möglichkeiten, wirtschaftlich aktiv und innovativ zu werden. Die Einkommenschancen ebenso wie die Konsumkultur der Städte fördern eine aktive und flexible Einstellung zur Gestaltung des eigenen Lebens. Hingegen hat der „kommunistische Neotraditionalismus“ (Andrew Walder) der chinesischen Staatsbetriebe mit der Abgeschlossenheit und den semifeudalen Leitungsstrukturen der „danwei“ eine Mentalität der Passivität und Autoritätsgläubigkeit hinterlassen, die kaum zu den Herausforderungen des Wandels paßt. Was bleibt, sind Enttäuschung und Verbitterung, die sich letzten Endes auch in Protesten und Wut äußern

Insofern ist es verständlich, daß das entscheidende Hindernis für eine durchgreifende Reform der Staatsunternehmen im Problem der Entlassungen zu sehen ist: Die städtische Arbeitslosenrate liegt tatsächlich bei mindestens 15 Prozent, wahrscheinlich eher 30 Prozent, gleichzeitig gibt es nur in einer geringen Zahl chine Prozent, gleichzeitig gibt es nur in einer geringen Zahl chinesischer Städte wirklich funktionsfähige Regelungen einer sozialen Mindestabsicherung 29. Der chinesische Gradualismus hat sich in diesem Bereich selbst übertroffen, als nach mehr als einem Jahrzehnt der Experimente mit der Reform schließlich das Gesellschaftsrecht von 1994 erlassen wurde, bloß um dann in eine neue Phase der „Experimente“ mit diesem Recht einzutreten, bei denen die Anwendung eines soge-nannten „modernen Unternehmenssystems“ auf eine Zahl von 100 Staatsbetrieben beschränkt wurde 30. Pikanterweise setzte dann der neue Premier Zhu Rongji seit längerem die Hoffnung auf die Entwicklung von Konglomeraten nach japanischem und koreanischem Vorbild, um auf diese Weise dem Konzept eines besonderen chinesischen Mischsystems Legitimation zu verschaffen Nachdem dieses Modell nun vom Podest gestürzt ist, wird die bisher verfolgte Reformstrategie skeptischer beurteilt. Die Politik der Bildung von Unternehmensgruppen hat sicherlich auch das Ziel, Widerstände gegen eine Reform zu brechen, die von zuständigen Behörden ausgehen: Denn sobald Unternehmen quer zu ministeriellen oder gebietskörperschaftlichen Strukturen gebildet werden, nimmt die Distanz zu einzelnen Behörden automatisch zu. Andererseits entstehen komplizierte Systeme der „checks and balances" und des Vorteilstausches zwischen den betroffenen Behörden, die ohne Zweifel keine günstigen Voraussetzungen für mehr unternehmerische Autonomie und Flexibilität der Konglomerate schaffen. Die asiatische Krise wirft auch erhebliche Zweifel auf, ob mit der Bildung von „Gemischtwarenläden“ mit noch dazu eigener Hausbank tatsächlich die Lenkungsprobleme gelöst werden können, die aus der Sicht der meisten Ökonomen aus dem einfachen Tatbestand der unklaren Verteilung von Verfügungs-und Nutzungsrechten sowie einem defekten System der Unternehmenskontrolle resultieren. Nicht umsonst tritt der neue Ministerpräsident Zhu Rongji mit dem Programm an, die chinesischen Ministerien und Behörden radikal umzustrukturieren und zu reduzieren, weil nur dadurch auch Fortschritte bei der Unternehmens-reform zu erhoffen sind

Gerade für die regionale Ebene gilt daher sicherlich, daß eines der wichtigsten Motive für die Bildung von Konglomeraten darin besteht, notleidende Betriebe aufzufangen und Arbeitsplätze zu retten. Doch ist diese Strategie aufgrund der skizzierten Bedenken nicht erfolgversprechend. Daher muß sich die chinesische Politik der Herausforderung radikalen Wandels der städtischen Gesellschaft und zugleich der Frage der sozialen Sicherung stellen

IV. Wirtschaftlicher Wandel, Korporatismus und die Handlungsfähigkeit der Politik

Wenn gegenwärtig von der Krise des asiatischen Modells gesprochen wird, dann besteht erneut die Neigung, die Unterschiede innerhalb der Region zu verwischen. Ganz offensichtlich sind die Faktoren der indonesischen Krise („crony capitalism" und Vetternwirtschaft der „First Family“) nicht die gleichen wie die der koreanischen, in der eigentlich die Strukturen des „asiatischen Modells“ idealtypisch zum Tragen kommen. Nicht umsonst sind wiederum Taiwan und Hong Kong weniger betroffen: Gerade im Falle Taiwans wird deutlich, daß die ebenfalls dualistischen Strukturen der Vergangenheit heute die Voraussetzung für Stabilität schaffen. Denn tragende Kraft des Wirtschaftswachstums waren exportorientierte Familienunternehmen, die gerade keine engen Beziehungen zu staatlichen Stellen unterhielten, sondern zum Teil (auf dem chinesischen Festland heute wieder) im „grauen“ Bereich der Wirtschaft operierten. Daher waren sie -ähnlich wie heute die TVEs des Festlandes -vornehmlich auf eigene Finanzierungsquellen angewiesen und wurden durch das staatliche Bankensystem diskriminiert. Obgleich also die taiwanesische Wirtschaft auch im Immobilienbereich weite Bereiche der Verfilzung und sogar Kriminalisierung kennt, ist sie gegenüber den Krisenfaktoren von 1997 systembedingt längst nicht so anfällig.

Nun wäre es vorschnell, vor diesem Hintergrund tatsächlicher Modellvielfalt Asiens Taiwan als Modell der künftigen Entwicklung des Festlandes zu betrachten, denn weder die Exportorientierung (im gesamtwirtschaftlich ähnlichen Umfang) noch die infrastrukturellen Voraussetzungen (im weiten Sinne insbesondere unter Einschluß des Bildungssystems) sind vergleichbar. Andererseits gibt es wichtige Aspekte, die Familienähnlichkeiten zwischen Taiwans Vergangenheit und Chinas Gegenwart erkennen lassen: Hierzu gehört etwa der oben skizzierte Zusammenhang zwischen Migration, Familienstrategien, sozialer Stabilität und betrieblichen Lohnkostenvorteilen oder zumindestens für bestimmte Regionen Chinas die Bedeutung des öffentlichen Sektors als Technologiegeber für die kleineren Unternehmen. Ein Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion viel beachtet ist, betrifft die Beziehung zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und politischem Autoritarismus.

In dieser Hinsicht findet seit längerem eine intensive wissenschaftliche Diskussion über die Frage statt, über welche Handlungs-und Steuerungskapazitäten der festlandchinesische Staat heute tatsächlich verfügt, welchen Stellenwert die gesellschaftliche Selbstorganisation bereits besitzt, und wie die wirtschaftliche Entwicklung im Spannungsfeld von staatlicher Intervention und zunehmender Autonomie der Wirtschaft erfolgt Im Sinne der oben angesprochenen Parabel von den Blinden und dem Elefanten ist dies ein Thema, das von expliziten oder impliziten Werturteilen durchwoben ist und bei dem sich für nahezu jede Position geeignete Belege und Argumente finden lassen. Dies ist im chinesischen Fall noch zusätzlich kompliziert, weil oft schon der Status quo nicht klar zu beurteilen ist. Zwei wichtige Beispiele sind der Quasi-Föderalismus Chinas und die Selbstorganisation wirtschaftlicher Interessengruppen.

In einigen Beiträgen haben beispielsweise Qian Yingyi und Barry Weingast argumentiert, daß die faktische Föderalisierung Chinas die entscheidende Voraussetzung dafür ist, daß sich letzten Endes die Kräfte des Wandels in Richtung Marktwirtschaft durchgesetzt haben Das Argument für eine „Föderalisierung“ stützt sich im wesentlichen auf die Beobachtung, daß Provinzen und ihre Sub-Regionen beachtliche Spielräume bei der Verfolgung eigener Strategien institutionellen Wandels besitzen und daß die fiskalische Position der Zentralregierung sich in der Vergangenheit systematisch zugunsten der Regionen verschlechtert hat. Da sich dieser Trend nur begrenzt durch die Steuerreform von 1994 hat aufhalten lassen, entsteht der Eindruck einer faktischen Verteilung von Ansprüchen und Rechten zwischen den Gebietskörperschaften, die föderale Züge besitzt Mit dem Argument des Föderalismus kann auch in überzeugender Weise eine Verbindung zwischen politischem Autoritarismus und Liberalisierung hergestellt werden, womit dem Standardargument von der „Entwicklungsdiktatur“ begegnet wird: Denn die Liberalisierung wird auf den Wettbewerb zwischen den verschiedenenen Instanzen innerhalb des autoritären Systems zurückgeführt. Dies bedeutet, daß eine wichtige Anwendungsbedingung des idealtypischen „ostasiatischen Modells“ nicht gegeben ist, nämlich hochintegrierte administrative Organe des Zentralstaates. Im Gegenteil können sogar desintegrative Tendenzen auftreten, die sich dann etwa in negativen Effekten des steuerlichen Wettbewerbes um Investoren auf die Bereitstellung öffentlicher Güter (Infra-Struktur) äußern Positiv wird dann wiederum von manchen Betrachtern gewertet, daß gerade solche Finanzierungsprobleme Anlaß etwa für die Entwicklung von BOT-Projekten (BOT = Build, Operate, Transfer) und damit marktwirtschaftlicher Konzepte der Infrastruktur-Entwicklung geben.

Gegen die These vom „market creating/preserving federalism“ in China spricht die Tatsache, daß je nach den Kräfteverhältnissen in der Zentralregierung sich häufig gerade ein Widerstand der Regionen gegen stärker marktwirtschaftlich ausgerichtete Politikmaßnahmen der Zentrale formierte. Nicht übersehen werden darf nämlich, daß in der Regel programmatische Orientierungen in der chinesischen Wirtschaftspolitik eine untergeordnete Rolle spielen. Statt dessen stehen einzelne Politikfelder bzw. -ziele im Vordergrund, die gegebenenfalls im Sinne programmatischer Konsequenzen gedeutet werden könnten. So ist es gerade durch die Regionen mehrheitlich zu einer Blockade der Reformen gekommen -wie etwa Mitte der achtziger Jahre bei der Unternehmensreform, in der ersten Hälfte der neunziger Jahre beim regionalen Protektionismus und seit langem bei der Banken-reform. In allen diesen Feldern hat die Zentralregierung -wenn auch manchmal nolens volens -Ziele gesetzt, die auf eine stärker marktwirtschaftliche Ausrichtung hinauslaufen, weil sie letzten Endes die Kosten der Politik der Regionen trägt (etwa im Falle einer gesamtwirtschaftlichen Destabilisierung durch Inflation oder steigende Subventionen an Staatsunternehmen) und daher vor allem an einer finanziellen Disziplinierung der Regionen interessiert ist, die in Gestalt härterer Budgetbeschränkungen dann zumindestens indirekt Liberalisierungsdruck auf den nachgeordneten gebietskörperschaftlichen Ebenen ausübt.

Insofern könnte argumentiert werden, daß der Übergang zur Marktwirtschaft zum Teil eine unbeabsichtigte Nebenwirkung einzelner, in komplexer Weise ineinandergreifender Politikmaßnahmen gewesen ist, der erst in den neunziger Jahren mit Konzepten wie der „sozialistischen Marktwirtschaft“ auch eine programmatische Ausrichtung erhalten hat. Es ist methodisch fragwürdig, dies ex post mit dem Begriff des „Föderalismus“ zu heiligen und damit den Übergang zur Marktwirtschaft grundsätzlich als förderlich für Wachstum und Entwicklung anzusehen. Dies ist natürlich verfehlt, denn entscheidend ist die konkrete institutionelle und ordnungspolitische Ausgestaltung der jeweiligen Form der Marktwirtschaft, die realisiert wird.

Genau in diesem Zusammenhang wird das Thema der gesellschaftlichen Selbstorganisation relevant, das seit längerem im Kontext von Konzepten wie „Korporatismus“ und „Zivilgesellschaft“ diskutiert wird. Die skizzierte Quasi-Föderalisierung Chinas geht nämlich auf verschiedenen gebietskörperschaftlichen Ebenen mit der Entstehung von Organisationen und Institutionen zwischen Staat und Gesellschaft einher, deren Status häufig schwer einzuschätzen ist, insofern sie einerseits der Formation von autonomen Interessen gegenüber dem Staat dienen können, andererseits aber auch vom Staat instrumentalisiert werden, um dessen Ziele zu erreichen Eine solche Ambiguität entsteht gerade auch dadurch, daß im Kontext der Quasi-Föderalisierung der Staat als Akteur keine klare Position besitzt. Dies wird besonders auf der lokalen Ebene augenfällig, wo Vertreter des Staates direkt mit Akteuren in Wirtschaft und Gesellschaft in Kontakt treten

So ist beispielsweise schwer einzuschätzen, wo die Grenzlinie zwischen Staat und Gesellschaft verläuft. Die oben erwähnte Dorf-Holding kann etwa eine integrierte lokale Interessengemeinschaft sein, bei der Verwandtschaftsstrukturen die formalen Positionen der dörflichen Selbstverwaltung überlagern. Mit der Umwandlung von sich rasch entwickelnden Dörfern Südchinas zu Kleinstädten wandelt sich diese Verwaltung aber mancherorts gleichzeitig in eine parastaatliche Behörde: Der Staat dringt zudem durch die Einrichtung von Steuerbüros von der Kreisebene aus in die lokalen Strukturen ein. Im Rahmen von lokalen Entwicklungsprojekten kann dann ein Bruch zwischen Bauern und staatlich legitimierter lokaler Elite entstehen, bis hin zu gewaltsamen Konflikten, vor allem wenn Land durch lokale Behörden umgewidmet wird. Die Grenzlinie zwischen Staat und Gesellschaft oszilliert also, je nachdem ob das Innen-oder Außenverhältnis einer lokalen Siedlungsgemeinschaft („shequ“) betrachtet wird, und entsprechend schwierig wird es auch, die oben aufgeworfene Frage nach der staatlichen Kapazität zu beantworten. Ähnliche Fragen stellen sich auch, wenn etwa die städtischen Verbände der Privatunternehmer oder die Beziehungen zwischen Behörden auf der Ebene von Stadtteilen zur Regierung chinesischer Großstädte betrachtet werden Auf der einen Seite etablieren etwa die Stadtteilbehörden mit dem offiziellen Unternehmerverband kooperative Beziehungen beispielsweise bei der Regulierung und Überwachung privatwirtschaftlicher Tätigkeiten: Somit wird der Verband eigentlich als Instrument staatlicher Kontrolle eingesetzt, eine Form der parastaatlichen Transformation durch Delegation öffentlicher Funktionen, die oft bis auf die Ebene einzelner Unternehmen hinabreicht, die etwa für die Geburtenkontrolle verantwortlich gemacht werden. Auf der anderen Seite kann es aber sein, daß beispielsweise bei der Frage der Errichtung eines neuen Handelszentrums die Stadtteilverwaltung mit dem Unternehmerverband lokale Interessen gegen die Stadtregierung vertritt und somit eigentlich für die privatwirtschaftlichen Belange kooptiert wird. Auch in diesem Beispiel oszilliert die Grenzlinie zwischen Staat und Gesellschaft kontextabhängig.

Insofern fällt es letztendlich auch schwer, Paradigmata wie den „Korporatismus“ auf den chinesischen Fall anzuwenden, denn die organisatorischen Strukturen sind äußerst flexibel und zum Teil sogar weniger relevant als die darunterliegenden Interaktionsmuster zwischen Personen als Inhabern bestimmter Positionen im System. Im Falle der oben erwähnten Politik der Bildung von Konglomeraten verbirgt sich hinter der formalen Einführung von Kapitalgesellschaften mit bestimmten Verteilungen von Kapitalanteilen und Stimmrechten eine äußerst undurchsichtige Struktur von interessierten und betroffenen Behörden, staatlichen Büros, anderen staatlichen Unternehmen in unterschiedlichem Zustand der Transformation bis möglicherweise hin zu privaten Investoren aus Hongkong. Dementsprechend gibt es Fälle, in denen eigentlich nur der Name geändert wurde und die faktischen Autoritätsverhältnisse zwischen Behörde und Unternehmen fortbestehen, ebenso wie echte Fälle einer zunehmenden Selbständigkeit des Unternehmens bis zu seiner Konstitution als leistungsfähiger multinationaler Konzern, der im wesentlichen dem Staat als Kapitaleigner gegenüber verpflichtet ist. In beiden Fällen des Föderalismus und des Korporatismus ergibt sich also eigentlich, daß die institutionellen Strukturen in konkreten Kontexten fortlaufend verhandelt werden und daß es wenig Sinn hat, den Versuch einer einfachen Charakterisierung des gesamten Systems zu unternehmen. Gesellschaft, Wirtschaft und Staat sind nicht klar voneinander getrennte Sphären, sondern weisen umfangreiche Schnittmengen auf. Insofern ist es nicht sinnvoll, nach den Kapazitäten einer bestehenden institutioneilen Struktur zu suchen, sondern es gilt, ihre Wandlungs-und Reaktionsfähigkeit zu beurteilen, was natürlich wesentlich schwieriger ist. Es stellt sich außerdem die Frage, ob dieser Zustand lediglich für eine Übergangsphase typisch ist oder ob es eventuell Faktoren gibt, die ihn selbst zu einem Systemmerkmal werden lassen.

V. Staat, Wirtschaft und Netzwerke: Auf den Spuren des „chinesischen Modells“

Eine Folge der Oszillation der Grenzlinien zwischen Staat und Gesellschaft ist die Korruption. Bezeichnenderweise treten hier Probleme auf, die zum Teil erstaunliche Ähnlichkeiten mit den Verhältnissen im China des 18. und 19. Jahrhunderts aufweisen. Die damalige Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung führte dazu, daß immer mehr Aufgaben und Funktionen des Staates durch private Akteure wahrgenommen wurden Gleichzeitig gab es eine politisch privilegierte Schicht, deren Familien häufig zwischen Staat und Wirtschaft operierten, also etwa wohlhabende Händler ebenso zu ihren Mitgliedern zählten wie hohe Beamte. Der Staat geriet unter immer stärkeren fiskalischen Druck, so daß sich besonders die unterste Ebene der Verwaltung in großem Umfang durch zusätzliche Einnahmen finanzieren mußte, mit fließenden Grenzen zwischen ad hoc erhobenen Gebühren und der Bestechung. Die Dynamik der Gesellschaft des späten Qing-Reiches war Ursache dafür, daß sich die soziale Schichtung allmählich verschob und der private Wohlstand zu einem zentralen Statusmerkmal wurde. Diese komplexe Gemengelage gibt bezeichnenderweise in der wissenschaftlichen Diskussion -durchaus vergleichbar mit den gegenwärtigen analytischen Kontroversen -Anlaß zur Frage, wo eigentlich die Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft zu ziehen seien und in welchem Umfang sich Strukturen einer „Zivilgesellschaft“ im Sinne wachsender Autonomie der Gesellschaft vom Staat und von politischer Macht ausgebildet haben

Ließen sich solche -zugegebenermaßen hier noch sehr oberflächlich formulierten -Analogien auf greifbare gemeinsame Ursachen zurückführen? Es gibt durchaus Anhaltspunkte dafür.

Zum einen sind natürlich strukturelle Ähnlichkeiten der Entwicklungsdynamik zu beachten. Zwar ist der heutige Staat infrastrukturell ungleich mächtiger als der spätqingzeitliche, aber die moderne Wirtschaft und Gesellschaft sind auch komplexer. Insofern kommt es zu einem ähnlichen Spannungsverhältniss zwischen staatlicher Kapazität und sozioökonomischer Dynamik, das zur Stärkung von Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation führt, die dann vom Staat kooptiert und kontrolliert werden. Dabei spielt die Verleihung politischer Legitimität eine zentrale Rolle, die gleichzeitig mit scharfen Sanktionsmöglichkeiten über den staatlichen Zwangsapparat verbunden ist. Illegitime Selbstorganisation -etwa heutzutage von Gewerkschaften -war und ist der Gefahr durchgreifender staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Gerade diese Instrumentalisierung der Selbstorganisation durch den Staat ist es aber, die erhebliche Zweifel an der These aufkommen läßt, daß in der Vergangenheit ebenso wie heute aus der sozioökonomischen Dynamik zivilgesellschaftliche Strukturen entstanden bzw. entstehen. Vielmehr wird deutlich, daß die Problematik der Einschätzung staatlicher Kapazität gerade im Punktualismus des staatlichen Eingreifens zu sehen ist: Die Konzentration staatlicher Macht auf bestimmte sensible Punkte gesellschaftlicher Steuerung ist ein klassisches Merkmal chinesischer Herrschaftstechnik und besitzt bis heute Bedeutung. Selbstorganisation ist dann aber gleichzeitig nicht gleichbedeutend mit Autonomie der Gesellschaft.

Zum anderen ist als ein endogener Faktor bei der Entstehung historischer Kontinuitäten die Allgegenwart des „Netzwerkes“ als Muster chinesischer Sozialorganisation zu sehen. Ohne hier auf die erheblichen methodischen Probleme dieses Mode-begriffs eingehen zu können erscheint doch wichtig zu betonen, daß eine Ursache für die schwierige Grenzziehung zwischen Staat und Gesellschaft darin zu sehen ist, daß Netzwerke zwischen Personen häufig andere formale Abgrenzungen von Organisationen, Ämtern oder gesellschaftlichen Sphären überlagern. Chinesische Netzwerke sind durch langfristige Beziehungen von Reziprozität und Loyalität gekennzeichnet und besitzen darüber hinaus ausgeprägt instrumentellen Charakter Sie werden von den Beteiligten als Netzwerke objektiviert und damit zu einem ähnlich festen Bestandteil sozialer Wirklichkeit wie Organisationen und Institutionen. In der traditionellen, in chinesischen Dörfern bis heute in Blüte befindlichen Kultur sozialer Beziehungen sind sie außerdem mit der expliziten Pflege von Sozialkapital bis hin zu seiner „kalkulatorischen“ Bestimmung und Akkumulation verbunden Netzwerke sind dann gleichzeitig ein geordneter Strom von Geschenken und gegenseitigen Leistungen -vor allem aber auch von Geld, das schon in der Qing-Zeit und beispielsweise auch im lebens-weltlichen Kontext chinesischer Emigranten weltweit nicht zuletzt auch einen volksreligiösen Stellenwert erhalten hat.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich leicht, warum gerade die im Westen so scheinbar eindeutige Abgrenzung zwischen dem Bereich der Politik und demjenigen der Wirtschaft in China so schwierig ist. Denn im Kontext von Netzwerken werden politisches und ökonomisches Kapital verhandelund tauschbar, und für die Verfolgung unternehmerischer Strategien ist es entscheidend, in geeignet gestalteten Netzwerk-Kontexten zu operieren. Gerade die geringe institutionelle Separation verschiedener statusrelevanter gesellschaftlicher Sphären ist konstitutiv für die Funktionsweise von Netzwerken. Der Tatbestand der „Korruption“ wird dann auch diffus, denn prinzipiell sind Austausch-beziehungen in Netzwerken durchaus moralisch legitim. Seine Ausmerzung setzt daher einen moralischen Rigorismus voraus, der bezeichnenderweise -wie im Falle Singapurs -in westlichen Augen ähnlich übertrieben erscheint wie das Ausmaß der Korruption im heutigen China, wo nicht nur alles käuflich ist, sondern auch gekauft werden muß.

Solche kursorischen Betrachtungen dürfen natürlich nicht zur Behauptung eines kulturellen Determinismus und Wertrelativismus führen

Beispielsweise sind junge, gut ausgebildete Arbeitskräfte in China (das gleiche läßt sich schon seit längerem für Taiwan nachweisen) eher daran interessiert, den Patronage-Netzwerken in chinesischen Unternehmen und dem „Neo-Traditionalismus“ der „danwei“ zu entkommen, und präferieren die Arbeitsverhältnisse in westlich-chinesischen Joint-ventures In ähnlicher Weise läßt sich aus dem Tatbestand der engen Verflechtung zwischen Staat und Gesellschaft nicht ableiten, daß die Mehrheit der Chinesen keine klare Regel-bindung und Beschränkung staatlichen Handelns wünscht Diese normative Frage ist jedoch eindeutig eine andere als jene nach den augenblicklich wirksamen Determinanten der Entwicklungsrichtung des Systems. Hier ist festzustellen, daß Netzwerke in die vielen Lücken, Risse und Löcher des zerfallenden Systems hineinwachsen und ihrerseits Anknüpfungspunkte für die Entstehung neuer Institutionen bieten. Sie sind beispielsweise in gleicher Weise Medium der Kollusion von Interessen neuer Geschäftseliten und alter politischer Kräfte wie auch ein funktionales Substitut mangelnden formalen Schutzes von Eigentumsrechten im ländlichen Raum. Sie bieten den informalen Rahmen für die Verhandlung neuer formaler Institutionen. Da sie freilich notwendigerweise an konkrete Kontexte und konkrete Orte gebunden sind, wird es schwer, Aussagen über „China“ als Gesamtheit zu formulieren. Insofern sind sie das Gegenstück zum „Regionalismus" als analytischem Paradigma des „chinesischen Modells“.

VI. Schlußfolgerungen: Regionalismus -ein Modell ohne Modell

Versuchen wir nun, eine Antwort auf die eingangs aufgeworfene Frage zu finden, ob Chinas Wirtschaftswunder wie seine Vorläufer an der Wirklichkeit scheitern wird. Hier ist natürlich zunächst zu beachten, daß die unmittelbaren Ursachen des asiatischen Absturzes in China nicht zum Tragen kommen können Da China weiterhin dichte Kapitalverkehrskontrollen aufrechterhält und aufgrund seiner gewaltigen Währungsreserven auch zu einer indirekten Steuerung des Wechselkurses in der Lage ist, kann keine extern verursachte Währungskrise auftreten. Denkbar ist nur eine interne Krise des Bankensystems, wobei hier erneut nicht die Problematik privatwirtschaftlicher Fehlinvestitionen im Vordergrund steht, sondern die erheblich komplexere der Transformation der Staatsunternehmen als wichtigsten Schuldnern des Bankensystems Angesichts der Tatsache, daß der neue Ministerpräsident Zhu Rongji seit Jahren gegen alle Widerstände teilweise mit beachtlichem Erfolg bemüht ist, diese zentrale Problematik der chinesischen Entwicklung einer Lösung zuzuführen, ist gedämpfter Optimismus angebracht, was die Vermeidung eines akuten Kollapses der Wirtschaft angeht. Die chinesische Regierung zeigt inzwischen auch beachtlichen Realismus, Analyse-fähigkeit und Geschick im Umgang mit wirtschaftspolitischen Programmen und Instrumenten, wie etwa die jüngste Ankündigung zeigte, durch ein großangelegtes Infrastrukturprogramm die derzeitige Wachstumsschwäche abzufangen, die durch die Asien-Krise noch verstärkt wird, weil die Direktinvestitionen aus der Region zurückgehen und sich die Konkurrenzsituation für chinesische Exporte verschärft

Wie läßt sich aber die Frage nach den längerfristigen institutioneilen Bedingungen der chinesischen Entwicklung beantworten? Alle hier betrachteten Themen lassen sich unter dem Konzept des „Regionalismus" als analytischem Paradigma fassen, das vor allem in der Standorttheorie und bei der empirischen Operationalisierung von modernen Konzepten einer „systemischen Wettbewerbsfähigkeit“ seit längerem Anwendung findet Das komplexe Zusammenwirken zwischen Akteuren der Wirtschaft, Interessengruppen, Behörden und zentralen Instanzen der Regulation und Intervention läßt sich nur im Kontext einer Region sinnvoll analysieren, wobei gerade hier auch normative Differenzen zwischen Regionen zum Tragen kommen. Das bedeutet, gerade der Ansatz des Regionalismus bietet auch Schutz vor unzulässigen Verallgemeinerungen „kulturspezifischer“ Phänomene auf nationaler Ebene. Vielmehr geraten kontingente Faktoren wie regionale politische Kulturen, Normen des administrativen Selbstverständnisses oder etwa auch unterschiedliche religiöse Prägungen ins Blickfeld In diesem Zusammenhang verlieren daher auch die oben thematisierten Netzwerke als ein Typus informaler Institutionen den Nimbus kultureller Einzigartigkeit. Sie werden vielmehr auch im chinesischen Kontext zu regional durchaus divergierenden Phänomenen (die etwa auf Unterschiede subethnischer Diversität zurückgehen können).

Regionalismus ist nun eindeutig der wichtigste Trend der chinesischen Entwicklung seit Beginn der Reformen im Jahre 1978 Auch in dieser Hinsicht knüpft China am Ende des „kurzen 20. Jahrhunderts“ an die säkularen Trends der Qing-Zeit an Insofern läßt sich die Frage nach der möglichen Krisenanfälligkeit seiner Entwicklung nur in einer zweifachen, zusammengehörigen Form beantworten. Zunächst ist nach den Bedingungen in den verschiedenen Regionen zu fragen und sehr deutlich zwischen gesamtwirtschaftlichen bzw. nationalen Determinanten der Entwicklung und regionalen Faktoren zu unterscheiden. Dann ist zu fragen, wie weit gegebenenfalls divergierende Entwicklungen in den verschiedenen Regionen Herausforderungen für die zentralstaatliche Regulierung darstellten, die im Falle eines Versagens auch die Entwicklung in allen Regionen gleichermaßen negativ beeinträchtigen würden. Zum Beispiel sind die Problemlage der Staatsunternehmen ebenso wie die Strategien ihrer Lösung regional sehr unterschiedlich; auch weltwirtschaftliche Prozesse wie die Asien-Krise beeinflussen nicht China in flächendeckend gleicher Weise, sondern bestimmte Regionen in besonderem Maße Außerdem wird seit langem die bedeutende Rolle des grenzüberschreitenden Regionalismus diskutiert, mit offensichtlichen Fällen wie dem Wirtschaftsraum Hongkong/Guangdong, aber inzwischen auch Entwicklungen wie der ansetzenden Integration zwischen der armen Provinz Yunnan und Südostasien (Laos, Burma) Insofern ist Regionalismus auch nicht als statischer Zustand zu begreifen, sondern vor allem als dynamisches System des Standortwettbewerbes -genau so wird er auch in China wahrgenommen

Regionalismus ist dann aber tatsächlich ein „Modell ohne Modell“. Eindeutige Aussagen über die institutioneilen Merkmale des Systems lassen sich weder als solches treffen noch über seine Entwicklungsrichtung -jenseits pauschaler und nichts-sagender Verallgemeinerungen. Die Frage kann daher nur lauten, welche dynamische Stabilität regional komplexe Entwicklung besitzt und mit welchen Potentialen der Lernfähigkeit und der Konfliktlösung sie einhergeht Rückblickend muß konstatiert werden, daß der chinesische Weg in dieser Hinsicht positiv verlaufen ist. Was die Herausforderung der wachsenden globalen Verflechtung angeht, so ist die Vermutung angebracht, daß gerade Regionalismus ein stabiles „Fließgleichgewicht“ zwischen staatlicher Steuerung und regionaler Initiative realisiert, das schädliche Wirkungen politisch-ökonomischer Verflechtungen auf nationaler Ebene ebenso begrenzt wie die möglicherweise nachteiligen Folgen eines staatlichen Interventionismus. Auf der anderen Seite können sich auf regionaler Ebene effektive Muster der Kooperation zwischen öffentlichen Stellen und entstehender privater Wirtschaft ausbilden, weil sie gleichzeitig dem interregionalen Wettbewerb innerhalb Chinas wie auch dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind.

Die wissenschaftliche Analyse bleibt letzten Endes oft unbefriedigend, wenn sich Komplexität nicht auf einfache Formeln reduzieren läßt, die dann ebenso simple Werturteile erlauben. Allerdings bietet sie Schutz vor irreführenden Verallgemeinerungen: Aufstieg und Niedergang des „ostasiatischen Wunders“ sind Bilder in einem Film, der von westlichen Betrachtern und asiatischen Interessenten gedreht wurde und wird -wie auch „Chinas Weg zur Marktwirtschaft“.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Steven Radelet/Jeffrey Sachs, Asia’s Reemergence (in: Foreign Affairs, [Nov. /Dez. 1997], S. 44-59) äußern sich entsprechend optimistisch über die eigentlich heilsamen Wirkungen der Krise. Allerdings werden hier die äußerst schwierigen Herausforderungen der Selbsttransformation von Systemen verschwiegen, die gerade im Zusammenhang der postsozialistischen Entwicklungen deutlich wurden. Für den koreanischen Fall „vor der Krise“ vgl. Yeon-ho Lee, The Limits of Economic Globalization in East Asian Developmental States, in: Pacific Affairs, 10 (1997) 3, S. 366-390. Zum Ende des „asiatischen Modells“ aus der Sicht eines exilchinesischen Kommentators vgl. Su Shaozhi, Zhong gong ying gaobie dongya moshi (Die KP Chinas muß sich vom „ostasiatischen Modell“ verabschieden), in: Cheng Ming, (März 1998), S. 64-67.

  2. Die oft paradox gegensätzliche Wahrnehmung der chinesischen Entwicklung ließe sich auch so zusammenfassen, daß eigentlich das chinesische Wunder darin besteht, großen Erfolg trotz aller negativen, oft von der Wirtschaftspolitik selbst verursachten Faktoren erzielt zu haben -in den Worten von Cyril Z. Lin, The Assessment: Chinese Economic Reforms in Restrospect and Prospect, in: Oxford Review of Economic Policy, 11 (1995) 4, S. 2: „The Chinese Economy displays a neurotic mixture of high growth and underlying structural and systemic weaknesses. In principle, it is extraordinary that it grew as fast as it did.“

  3. Diese Neubewertung der Rolle des Staates in der Entwicklungspolitik kulminierte in der vielbeachteten Publikation: World Bank, The East Asian Miracle. Economic Growth and Public Policy, Oxford 1993. Vgl. auch die Ausführungen des prominenten amerikanischen Ökonomen Joseph Stiglitz, Some Lessons From the East Asian Miracle, in: World Bank Research Observer, (1996) 11, S. 151-177.

  4. Wobei diese allerdings auch Zielscheibe wirtschaftswissenschaftlicher Kritik geworden ist, weil grundsätzliche Zweifel angemeldet werden, ob der IMF sich selbst die Aufgabe geben solle, eine im wesentlichen privatwirtschaftliche Krise mit öffentlichen Mitteln zu überbrücken: so zum Beispiel von Milton Friedman, Far Eastern Economic Review vom 26. März 1998, S. 78.

  5. Eine prägnante Bilanz der chinesischen Industrialisierung von den Anfängen bis in die neunziger Jahre zieht Thomas Scharping, Die Industrialisierung des modernen China, 1843-1993, in: Peter Feldbauer u. a. (Hrsg.), Industrialisierung. Entwicklungsprozesse in Afrika, Asien und Lateinamerika, Frankfurt am Main 1995, S. 117-140.

  6. Eine kurze Analyse dieses Sektors findet sich im World Development Report der World Bank, From Plan to Market, Oxford 1996. Nach den 1997 veröffentlichten Ergebnissen des Dritten Industriezensus ist inzwischen rund die Hälfte aller in der Industrie Beschäftigten in TVEs beschäftigt, rund 20 Prozent des Anlagekapitals sind in diesem Bereich investiert, und rund die Hälfte der industriellen Wertschöpfung wird von TVEs erwirtschaftet. Wird das Wachstum solcher Kennziffern in den letzten Jahren betrachtet, so liegen die Anteile der TVEs noch deutlich höher. Dabei liegt die Durchschnittszahl der Beschäftigten bei rund elf Personen, und es gibt nur 6 376 sog. „große und mittlere Unternehmen“. Vgl. Zhongguo xiangzhen qiye, (1997) 8, S. 28 f., und Jingji ribao vom 8. März 1998.

  7. Vgl. Huang Ping/Elizabeth Croll, Migration For and Against Agriculture in Eight Chinese Villages, in: The China Quarteriy, (1997) 149, S. 128-146.

  8. Vgl. China aktuell, (Dezember 1997), S. 1194 f. Zu beachten ist auch, daß Migration nicht einfach mit weiträumiger Wanderung gleichzusetzen ist. Nach dem jüngst publizierten National Agricultural Survey arbeiten rund 73 Millionen Bauern außerhalb ihrer Gemeinden, davon aber nur rund 24 Millionen Personen außerhalb ihrer Provinz. Siehe China aktuell, (Februar 1998), S. 149.

  9. Zum „Zhejiang-Dorf“ siehe detaillierter Barbara Müller, Migrantengruppen und städtische Nischenwirtschaft: Das „Zhejiang-Dorf“ in Beijing, in: China aktuell, (Juli 1996), S. 678-690.

  10. Einer der eklatantesten Fälle sind sicherlich die früh-kapitalistischen Arbeitsbedingungen in den meisten Unternehmen Hongkonger und taiwanesischer Investoren in Südchina: Während sich die Stadtbevölkerung Arbeitszeit-verkürzungen mit dem Ziel der Schaffung von mehr Arbeitsplätzen erfreuen konnte, arbeiten Migranten hier oft 16 Stunden täglich, mit wenigen Pausen und unter schlechtesten Bedingungen am Arbeitsplatz. Die Arbeitsbedingungen für Migranten in der Staatsindustrie und in auslandschinesischen Joint-Ventures vergleicht Dorothy J. Solinger, The Chinese Work Unit and Transient Labor in the Transition from Socialism, in: Modern China, 21 (1995) 2, S. 155-183.

  11. Vgl. ausführlicher Carsten Herrmann-Pillath, Institutioneller Wandel, Macht und Inflation in China. Ordnungstheoretische Analysen zur politischen Ökonomie eines Transformationsprozesses, Baden-Baden 1991, S. 461 ff.

  12. Seit 1978 hat die Fähigkeit der TVEs zur Absorption von Arbeitskräften stetig abgenommen, und in Gebieten wie Shanghai liegt inzwischen die Elastizität der Beschäftigung bezogen auf das Outputwachstum bei negativen Werten; siehe Kato Hiroyuki, Chuugoku keizai hatten to shijooka, Nagoya 1997, S. 65 f. Vgl. auch Far Eastern Economic Review vom 15. Januar 1998, S. 44 f.

  13. Eine chinesische Analyse zu diesem Punkt ist zum Beispiel: Xu Qing, Lun Zhongguo jinji de si yuan jiegou (Über die viergliedrige Struktur der chinesischen Wirtschaft), in: Jingji yanjiu, (1996) 11, S. 60-65.

  14. Vgl. Carsten Herrmann-Pillath/Kato Hiroyuki, Ein „Dritter Weg“ in Chinas Dörfern? Das „Aktien-Genossenschaftssystem" und die Transformation der ländlichen Unternehmen, Duisburger Arbeitspapiere zur Ostasienwirtschaft Nr. 31, Duisburg 1996.

  15. Konkrete Beispiele stellt dar: Chen Weixing, The Political Economy of Rural Industrialization in China: Village Conglomerates in Shandong Province, in: Modern China, 24 (1998) 1, S. 73-96.

  16. Vgl. Scott Rozelle, Stagnation Without Equity: Patterns of Growth and Inequality in China’s Rural Economy, in: The China Journal, (1996) 35, S. 63-96.

  17. Diese Wechselwirkung zwischen zentraler und lokaler Ebene gibt es bis heute außerhalb des zentralstaatlich gesetzten rechtlichen Rahmens, da „Aktien-Genossenschaften“ als Rechtsform nicht im Gesellschaftsrecht von 1994 existieren. Damit bestehen weiterhin große Gestaltungsspielräume auf lokaler Ebene. Seit dem 15. Parteitag im Herbst letzten Jahres wird das Konzept nun auch als Rezept zur Reform kleiner und mittlerer Staatsunternehmen verbreitet. Vgl. C. Herrmann-Pillath/K. Hiroyuki (Anm. 14), S. 18; China News Analysis vom 1. Dezember 1997, S. 7, und Jean-Franois Huchet, The 15th Congress and the Reform of Ownership, in: China Perspectives, (1997) 14, S. 14-25.

  18. Beispiele für den derzeit zunehmenden Privatisierungsdruck werden geschildert in: Far Eastern Economic Review vom 5. Februar 1998, S. 52 f. Es gibt übrigens bereits auch Fälle der Übernahme von Staatsunternehmen durch TVEs, vgl. Far Eastern Economic Review vom 1. Mai 1997, S. 50 ff.

  19. Vgl. Hein Mallee, Rural Household Dynamics and Spatial Mobility in China, in: Thomas Scharping (Hrsg.), Floating Population and Migration in China. The Impact of Economic Reforms, Hamburg 1997, S. 278-296.

  20. Eine der wichtigsten Barrieren gegen eine weitergehende Privatisierung der Landwirtschaft besteht gerade im Widerstand der Bauernschaft. Vgl. James Kai-sing Kung/Liu Shouying, Farmer’s Preferences Regarding Ownership and Land Tenure in Post-Mao China: Unexpected Evidence from Eight Counties, in: The China Journal, (1997) 38, S. 33-64.

  21. Vgl. Zhu Xinshan/Cheng Limin, Lüe lun dangdai Zhongguo nongcun de shehui fazhan (Zur gesellschaftlichen Entwicklung heutiger chinesischer Dörfer), in: Shehui kexue yaniju, (1997) 1, S. 89-95.

  22. Eine Zusammenstellung solcher Faktoren bietet Thomas Heberer, Zwischen Krise und Chance: Neue soziale Herausforderungen des ländlichen China, in: Carsten Herrmann-Pillath/Michael Lackner (Hrsg.), Länderbericht China. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im chinesischen Kulturraum, Bonn 1998, S. 379-406.

  23. Doch sollte auch die Bedeutung des ersten Falles nicht unterschätzt werden: Denn wegen der weiterhin geltenden Aufteilung der Steuereinnahmen aus Staatsbetrieben an die Gebietskörperschaften je nach Zuständigkeit bestanden bislang Anreize, auch den lokalen Staatssektor durch gezielte Kredite zu alimentieren. Dies ist eine der wichtigsten Ursachen der Blockaden bei der Reform der staatlichen Banken, die trotz des neuen Bankgesetzes von 1994 weiterhin stagniert. Gleichwohl findet gerade auf der lokalen Ebene der Wettbewerb zwischen Staatssektor und TVEs statt, so daß sich auch vielfältige Möglichkeiten struktureller Anpassungen ergeben. Vgl. China aktuell, (Dezember 1997), S. 1187 f. Nach rund einem Jahrzehnt der innerchinesischen Kritik am Einfluß lokaler Behörden insbesondere auf die weiterhin stark dezentralisierte Zentralbank wird erst in den nächsten Jahren der Versuch einer radikalen organisatorischen Reform unternommen, die das Bankgesetz eigentlich erst mit Leben erfüllen kann.

  24. Vgl. Lee Ching-Kwan, The Labor Politics of Market Socialism: Collective Inaction and Class Experiences Among State Workers in Guangzhou, in: Modern China, 24 (1998) 1, S. 3-34; Zhao Minghua/Theo Nichols, Management Control of Labour in State-Owened Enterprises: Cases from the Textile Industry, in: Ilie China Journal, 36 (1996), S. 1 -24.

  25. Vgl. Deborah S. Davis, Inequality and Stratification in the Nineties, in: China Review 1995, Hong Kong 1995; zu einer Analyse der Bedeutung dieser Faktoren für die private Wirtschaft siehe etwa Li Lulu, Siying qiye zhu de geren beijing yu qiye „chenggong“ (Individueller Hintergrund der Eigentümer privater Unternehmen und der „Erfolg“ des Unternehmens), in: Zhongguo shehui kexue, (1997) 2, S. 134-146. Dabei ist zu beachten, daß das System der Staatsunternehmen sogar weiterhin eine Abschwächung der klaren Tendenz zur stärkeren Polarisierung der Einkommensverteilung zur Folge hat: Die Ungleichheit hat auf dem Lande und außerhalb der staatlichen Wirtschaft in den Städten weitaus stärker zugenommen, so daß aber im Schnitt die Städte noch eine egalitärere Verteilung aufweisen als das Land; vgl. Zhao Renwei/Li Shi, Zhongguo jumin shouru chaju de kuoda ji qi yuanyin (Die Ausweitung der Einkommensunterschiede in China und ihre Ursachen), in: Jingji yanjiu, (1997) 9, S. 19-28.

  26. Vgl. Antoine Kernen, State Enterprises in Shenyang -Actors and Victims in the Transition, in: China Perspectives, (1997) 14, S. 26-32.

  27. Vgl. Alex Inkeies u. a., Causes and Consequences of Individual Modernity in China, in: The China Journal, (1997) 37, S. 31-62.

  28. Seit der Beschleunigung der Reformbemühungen im Staatssektor haben Protestaktionen, Krawalle und Aufruhr in binnenländischen Zentren der Staatsindustrie rapide zugenommen, wie etwa in Sichuan und Shanxi; vgl. Far Eastern Economic Review vom 26. Juni 1997, S. 14 ff. und vom 5. Februar 1998, S. 26. Aus Heilongjiang wurden Parolen der Arbeiter berichtet, die sich gegen „politische und wirtschaftliche Ausbeutung und Unterdrückung“ richten; vgl. Cheng Ming, (Januar 1998), S. 18 f.; Andrew Walder, Does China Face an Unstable Future? On the Political Impact of Rapid Growth, in: China Review 1997, S. 328-348, meint freilich: „Without coordination and organization, strikes and riots will remain just that, strikes and riots.“

  29. Vgl. Joseph C. H. Chai/George Docwra, Reform of Large and Medium State Industrial Enterprises: Corporatization and Restructure of State Ownership, in: China Review 1997, S. 167-180.

  30. Vgl. Doris Fischer, Chinesische Unternehmensgruppen: Genese und Status quo eines Reformkonzeptes, Teil I und II, Duisburger Arbeitspapiere zur Ostasienwirtschaft, Nr. 40, Duisburg 1998. Im Jahre 1997 hat auch die Zahl der Unternehmensfusionen rapide zugenommen, vgl. China aktuell, (Oktober 1997), S. 969.

  31. Die Beobachter sind bislang verhalten, was die Erfolgschancen dieser Reform angeht, weil in der Vergangenheit sehr häufig ministerielle Umstrukturierungen nicht die eigentlich operativ relevante Ebene der „Büros“ erreicht haben; vgl. die Analysen in der Far Eastern Economic Review vom 19. März 1998, S. 46, und vom 9. April 1998, S. 54.

  32. Der Fortschritt ist in diesem Bereich freilich weiterhin sektoral und regional begrenzt und zudem eher „experimentell“; vgl. die Einschätzung bei Doris Fischer u. a., Reformen und Entwicklung der sozialen Sicherung in der VR China, in: Eberhard Schinke/Hong Zhong (Hrsg.), Ordnungsreform und Entwicklung der chinesischen Wirtschaft in den 90er Jahren, Berlin 1996, S. 325-370. Zu aktuellen Entwicklungen vgl. Far Eastern Economic Review vom 16. Oktober 1997, S. 62 ff. und 23. Oktober 1997, S. 82 ff.

  33. Ein vielbeachteter Beitrag dazu ist der von Jonathan Unger/Anita Chan, China, Corporatism, and the East Asian Model, in: The Australian Journal of Chinese Affairs, (1995) 33, S. 29-54.

  34. Vgl. zum Beispiel Qian Yingyi/Barry Weingast, China’s Transition to Markets: Market-Preserving Federalism, Chinese Style, in: Policy Reform, 1 (1996), S. 149-185.

  35. Die Steuerreform von 1994 sollte eine starke Zentralisierung fiskalischer Ressourcen bewirken, hat dies jedoch nur auf der Ebene der Erstverteilung erreicht, nicht aber nach Durchführung des vertikalen „Finanzausgleichs“, der eindeutig bestehende Besitzstände wahren muß; vgl. die Einschätzung bei Carsten Herrmann-Pillath, Fiscal Federalism: The German Experience -Challenges to China, Duisburger Arbeitspapiere zur Ostasienwirtschaft Nr. 34/1996, Duisburg 1996 und Barry Naugthon, Fiscal and Banking Reform: The 1994 Fiscal Reform Revisited, in: China Review 1997, S. 251-276.

  36. Shaun Breslin, China in East Asia: The Process and Implications of Regionalization, in: Tie Pacific Review, 9 (1996) 4, S. 478 f., sieht die Gefahr von „downwardly mobile state strategies" einer Vielfalt von „local competition States".

  37. Shi Shiwei, Staat, Pfadabhängigkeit, Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Politik im Transformationsprozeß. Politische Ökonomie der Weltmarktöffnung der VR China 1978-1995, Frankfurt a. M. 1998, S. 298, argumentiert, daß die regionale Dezentralisierung im Sinne der Fragmentierung und der „korporative Autoritarismus“ eng zusammengehören, insofern der letztere eine geeignete staatliche Steuerungsstrategie unter den Bedingungen des ersteren ist. Dies wäre eine wichtige Korrektur an der einseitigen Interpretation von Qian und Weingast.

  38. Eine systematische Analyse der im 'folgenden angesprochenen Phänomene findet sich bei Sebastian Heilmann, Verbände und Interessenvermittlung in der VR China: Die marktinduzierte Transformation eines leninistischen Staates, in: Wolfgang Merkel/Eberhard Sandschneider (Hrsg.), Systemwechsel, IV: Verbände, Opladen 1998 (i. E.).

  39. Vgl. Jonathan Unger, , Bridges 4: Private Business, the Chinese Government and the Rise of New Associations, in: The China Quarterly, (1996) 147, S. 795-819.

  40. Eine aufschlußreiche Darstellung dieser säkularen Veränderungen bieten Mary B. Rankin/John K. Fairbank/Albert Feuerwerker, Introduction: Perspectives on Modern China’s History, in: John K. Fairbank/Albert Feuerwerker (Hrsg.), The Cambridge History of China. Volume 13, Republican China 1912-1949, part 2, Cambridge u. a. 1986, S. 1-73.

  41. Vgl. etwa Philip C. C. Huang (Hrsg.), Symposium: „Public Sphere“ /„Civil Society“ in China. Paradigmatic Issues in Chinese Studies, III, in: Modern China, 19 (1993) 2.

  42. Vgl. die ausführliche Diskussion in Carsten Herrmann-Pillath, Netzwerke: Paradigmatische Grundlage chinabezogener Wirtschaftsforschung? Eine kritische Betrachtung ausgewählter Literatur, in: Internationales Asienforum, 28 (1997) 1, S. 53-90.

  43. Eine klassische Arbeit zu diesem Phänomen ist inzwischen Mayfair Mei-hui Yang, Gift, Favours, and Banquets. The Art of Social Relationships in China, Ithaca -London 1994.

  44. In der jüngsten Zeit liegt hier einer der Schwerpunkte ethnologischer Feldforschung, vgl. etwa Scott Wilson, The Cash Nexus and Social Networks: Mutual Aid and Gifts in Contemporary Shanghai Villages, in: The China Journal, (1997) 37, S. 91-116.

  45. Eine umfassende Kritik an der unzureichenden Differenzierung zwischen „kulturellen“ und „strukturellen“ Faktoren bei der Entstehung von Netzwerken sowie an den offen politischen Motiven, hier eine besondere „Chineseness“ zu konstruieren, bietet Arif Dirlik, Critical Reflections on „Chinese Capitalism" as a Paradigm, in: R Ampalavanar Brown (Hrsg.), Chinese Business Enterprise, Vol. I, London 1996, S. 17-38. Eine positivere Sicht zu dieser Frage entwikkelt Carsten Herrmann-Pillath, Chinesische Identität und langfristiger sozioökonomischer Wandel, in: ders. /M. Lackner (Anm. 22), S. 58-76.

  46. Vgl. R. I. Westwood/S. M. Leung, Working Under the Reforms: The Experience and Meaning of Work in a Time of Transition, in: China Review 1996, S. 367-424.

  47. Gerade im Frühjahr 1998 formieren sich wieder die Stimmen, die eine durchgreifende politische Reform fordern, vgl. Far Eastern Economic Review vom 2. April 1998, S. 20 ff.

  48. Vgl. die überzeugende Analyse von Markus Taube, Der Renminbi: der nächste Abwertungskandidat in Asien?, in: Wirtschaftswelt China, (1998) 2, S. 8 ff.

  49. Seit Jahren werden Zahlen zum katastrophalen Zustand des chinesischen Bankensystems gehandelt, das hauptsächlich aufgrund der raschen Zunahme der privaten Spareinlagen stabil bleibt. Einer der besten Kenner der chinesischen Wirtschaft, Nicholas Lardy, wurde jüngst mit der Bemerkung zitiert, daß „the fundamentals are probably worse than in any country in Asia“, in: Far Eastern Economic Review vom 12. März 1998, S. 20. Tatsache ist, daß die wichtigsten Staats-banken eigentlich Konkurs anmelden müßten, was rund 70 % des Finanzvermögens in China betreffen würde. Abzuschreibende Kredite machen schätzungsweise 20 % des Sozialproduktes aus und spiegeln die Tatsache wider, daß der chinesische Staatshaushalt eigentlich nur deshalb halbwegs solide ist, weil die öffentliche Schuld im Bankensystem „versteckt“ wird. Siehe auch Far Eastern Economic Review vom 11. Dezember 1997, S. 56 ff. Hinzu kommt, daß die Verschuldung zwischen den Staatsunternehmen aufgrund der restriktiven Kreditpolitik neben den Bankenkrediten stetig wächst und 1996 ebenfalls fast 20 % des Sozialproduktes erreichte (um 1 000 Mrd. Yuan), siehe Jean-Franois Huchet, The State Enterprises’ Deficit, in: China Perspectives, (1997) 14, S. 78 f.

  50. Vgl. Far Eastern Economic Review vom 26. Februar 1998, S. 55, und 19. März 1998, S. 59; China aktuell, (Februar 1998), S. 148 f. Allerdings besteht die Gefahr, daß wegen des Primates der wirtschaftlichen Stabilisierung die unbedingt notwendigen Reformen letzten Endes doch nicht umgesetzt werden, vgl. Cheng Ming, (Januar 1998), S. 12 f.

  51. Vgl. etwa Dirk Messner, Die Netzwerkgesellschaft. Wirtschaftliche Entwicklung und internationale Wettbewerbsfähigkeit als Probleme gesellschaftlicher Steuerung, Köln 1995, der vom „Mesoraum“ und der „Mesoebene“ als relevanter Politikebene spricht, wobei interessanterweise ebenso die territoriale Dimension angesprochen ist wie die intermediären Institutionen zwischen Staat und Wirtschaft. Eine erste Anwendung eines solchen Paradigmas auf China findet sich bei Russell Smyth, The Township and Village Enterprise Sector As a Specific Example of Regionalism -Some General Lessons for Socialist Transformation, in: Economic Systems, 21 (1997) 3, S. 235-264.

  52. Ash Amin/Nigel Thrift, Living in the Global, in: dies. (Hrsg.), Globalization, Institutions, and Regional Development in Europe, Oxford u. a. 1994, S. 14 ff., entwickeln beispielsweise ein Konzept der „institutional thickness“, um solche Faktoren zusammenfassend analysieren zu können, die letzten Endes die Grundlage für den Erfolg im Standort-wettbewerb schaffen.

  53. Vgl. als eine aktuelle Stellungnahme James Feinerman, The Give and Take of Central-Local Relations, in: The China Business Review, (Januar -Februar 1998), S. 16-23.

  54. Vgl. Susan Naquin/Evelyn S. Rawski, Chinese Society in the Eighteenth Century, New Haven -London 1987.

  55. Zur Pionierrolle der Provinz Guangdong bei der Privatisierung vgl. Far Eastern Economic Review vom 9. Oktober 1997, S. 73, zu Dalian ebd. vom 5. Februar 1998, S. 42 f. Ein Überblick zu den unterschiedlichen Strukturen der chinesischen Industrie in den verschiedenen Provinzen findet sich etwa bei Nakajima Seiichi, A Study of China’s Economic Growth -The Regions and Industries Led the Chinese Economy, in: JETRO China Newsletter, (1998) 132, S. 14-24.

  56. Zu Yunnan vgl. Far Eastern Economic Review vom 11. September 1997, S. 54 ff.

  57. Zum Standortwettbewerb zwischen Hongkong/Guangdong, Yiamen/Taiwan und Shanghai vgl. Far Eastern Economic Review vom 7. Juli 1997, S. 54 ff. Eine Fallstudie ist Zhang Yunqiu, Interregional Competition and Local Economic Initiatives in China: Shandong in the Reform Years, in: Issues & Studies, 33 (1997) 10, S. 44-67.

  58. Zur theoretischen Komplexität einer solchen Fragestellung siehe nur Eberhard Sandschneider, Stabilität und Transformation politischer Systeme. Stand und Perspektiven politikwissenschaftlicher Transformationsforschung, Opladen 1995, Teil 2.

Weitere Inhalte

Carsten Herrmann-Pillath, Dr. rer. pol., geb. 1959; 1978-1988 Studium der Volkswirtschaftslehre, Sinologie und Romanistik in Köln; 1988-1992 China-Referent am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien; 1992-1998 Professor für Ostasienwirtschaft/China an der Gerhard-Mercator-Universität GH Duisburg; seit 1996 Inhaber des Lehrstuhls für gesamtwirtschaftliche und institutionelle Entwicklung an der Privaten Universität Witten/Herdecke und Direktor des dortigen Institutes für kulturvergleichende Wirtschaftsforschung. Veröffentlichungen u. a.: Wirtschaftsintegration durch Netzwerke: Die Beziehungen zwischen Taiwan und der Volksrepublik China, Baden-Baden 1994; Marktwirtschaft in China. Geschichte -Strukturen -Transformation, Opladen 1995; (Hrsg. zus. mit Michael Lackner) Länderbericht China. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im chinesischen Kulturraum, Bonn 1998.