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Europa und China in den neunziger Jahren Verlust. der neugewonnenen politischen Bedeutung der EU? | APuZ 27/1998 | bpb.de

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APuZ 27/1998 Artikel 1 Artikel 2 Die politische Lage in der Volksrepublik China Herausforderungen des wirtschaftlichen und sozialen Wandels in der VR China: Wohin führt der chinesische Weg? Feindliche Übernahme oder friedliche Wiedervereinigung? Hongkongs Autonomie auf dem Prüfstand. Eine erste Bilanz Europa und China in den neunziger Jahren Verlust. der neugewonnenen politischen Bedeutung der EU?

Europa und China in den neunziger Jahren Verlust. der neugewonnenen politischen Bedeutung der EU?

Stefan Friedrich

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der ersten Hälfte der neunziger Jahre hat die Europäische Union eine zunehmend stärkere Rolle in den politischen Beziehungen zwischen Europa und China übernommen. Dies zeigte sich sowohl in der konfliktbereiten Menschenrechtspolitik der EU (u. a. auf der jährlichen UN-Menschenrechts-konferenz in Genf) als auch in mittlerweile zwei Strategiepapieren der Europäischen Kommission zur EU-Chinapolitik (1995 und 1998) sowie in den Vereinbarungen über die Vertiefung des politischen Dialogs zwischen beiden Seiten von 1994. Darüber hinaus fand im April 1998 das erste Gipfeltreffen zwischen der EU und der VR China statt. Signalisieren diese Entwicklungen ein kontinuierliches Ansteigen der Rolle der EU in den sino-europäischen Beziehungen? Im vorliegenden Artikel wird argumentiert, daß dies so nicht zu erwarten ist. Die EU verfolgt zwar mit zahlreichen Kooperationsmaßnahmen und Projekten einen sehr breiten und vielversprechenden Ansatz in der Chinapolitik, die Stärkung der EU-Position in der ersten Hälfte der neunziger Jahre war jedoch in erster Linie eine Folge der europäischen Menschenrechtspolitik. Die Bemühungen der einzelnen Mitgliedsstaaten, die nationale Chinapolitik von der Menschenrechtsfrage zu entlasten und sie auf EU-Ebene zu delegieren, führten zu einer Stärkung der Rolle der EU und machten die Gemeinschaft zu einem von China ernst genommenen Gegenspieler auf internationaler Ebene. Seit 1995 erschwerten die Durchsetzung nationaler Interessen auf Kosten der Gemeinschaftspolitik, insbesondere durch Frankreich, und eine geschickte Europapolitik der VR China zunehmend die Aufrechterhaltung des EU-Konsenses in dieser Frage. Ohne eine wirkliche Stärkung der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik der EU wird diese Entwicklung langfristig zum Verlust der neu gewonnenen politischen Bedeutung der EU in den sino-europäischen Beziehungen führen.

Am 2. April 1998 fand in London das erste Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und der VR China statt. Am Rande des zweiten Asien-Europa-Treffens (ASEM 2 April 1998 fand in London das erste Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und der VR China statt. Am Rande des zweiten Asien-Europa-Treffens (ASEM 2) in London trafen dabei der amtierende’ Vorsitzende des Europäischen Rates, Großbritanniens Premierminister Tony Blair, und der Präsident der EU-Kommission Jacques Santer mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Zhu Rongji zusammen. Nur eine Woche zuvor hatte die Europäische Kommission ein neues Strategiepapier zur EU-Chinapolitik verabschiedet, das zum Aufbau einer umfassenden Partnerschaft mit der Volksrepublik aufruft. Kernstück dieser neuen Partnerschaft soll die Etablierung jährlich stattfindender Gipfeltreffen zwischen der EU und China sein 1.

Bedeutet diese Entwicklung in den bilateralen Beziehungen, daß die VR China in der EU nun einen gleichberechtigten Partner sieht? Und ist dies Ausdruck einer erfolgreichen Chinapolitik der Union? In der Öffentlichkeit wird der Erfolg der europäischen Chinapolitik heute vor allem daran gemessen, welche Haltung die Union in der Frage der Menschenrechte einnimmt. Dabei gilt seit einigen Jahren die europäische Position bei der jährlichen Tagung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf als Lackmustest. Dort hat die EU seit 1990 regelmäßig Resolutionsanträge unterstützt, in denen die Situation der Menschenrechte in China kritisiert wurde. Das Aufbrechen des EU-Konsenses in dieser Frage 1997 und der frühzeitige Verzicht auf das Einbringen einer gemeinsamen Resolution 1998 hat sich eher negativ auf das öffentliche Erscheinungsbild der EU-Chinapolitik ausgewirkt. Von „Das gute Geschäft geht vor“ bis hin zu „EU schenkt China weiße Weste“ reichten die Schlagzeilen in der deutschen Presse 2.

Aber kann man aufgrund dieser Entwicklungen in Genf wirklich von einem Scheitern der EU-China-politik sprechen? Der Ansatz, den die EU in ihrer Chinapolitik verfolgt, ist sehr viel breiter. Deshalb soll es bei der Beantwortung der Frage nach Erfolg oder Mißerfolg der EU-Politik auch nicht um die Kontroverse gehen, ob Verbesserungen in den Menschenrechten besser durch offene Kritik oder einen nichtöffentlichen Dialog, auf dem Wege der sogenannten „stillen Diplomatie“, erreicht werden. Zentral soll hier der Frage nachgegangen werden, welche Rolle die EU -und nicht primär ihre Mitgliedsstaaten -eingenommen hat und im Rahmen ihrer objektiven Möglichkeiten überhaupt hat einnehmen können. Es soll im folgenden argumentiert werden, daß die EU in der ersten Hälfte der neunziger Jahre zwar an politischer Bedeutung in den Beziehungen zu China gewonnen hat, dies aber weniger auf die Integrationserfolge der Gemeinschaft zurückzuführen war. Entscheidend waren vielmehr zwei miteinander verbundene Entwicklungen: Zum einen war nach der blutigen Niederschlagung der Protestbewegung auf dem Tiananmen Platz am 4. Juni 1989 die Menschenrechtsfrage ins Zentrum der westlichen Chinapolitik gerückt; und zum anderen gaben die einzelnen EU-Staaten die problembeladene Menschenrechtsfrage sukzessive an die EU-Ebene ab, um ihre nationalen Interessen gegenüber China besser verfolgen zu können. Mit ihrer jüngsten Entscheidung, in diesem Jahr auf eine Resolution in Genf zu verzichten, hat die EU einen Teil ihrer zuvor gewonnenen politischen Bedeutung verloren.

I. Die EU und das Dilemma der westlichen Chinapolitik (1989-1995)

Zwischen der Europäischen Union und der VR China entwickelte sich schon sehr früh ein besonderes Verhältnis. Spätestens seit Anfang der siebziger Jahre trat die VR China als einer der aktivsten Fürsprecher für den europäischen Einigungsprozeß in Erscheinung Bereits zu dieser Zeit bekundete die chinesische Führung ihr Interesse, mit der Gemeinschaft diplomatische Beziehungen aufzunehmen Gleich nachdem dieser Schritt im September 1975 vollzogen war, akkreditierte Beijing einen Botschafter bei der Europäischen Gemeinschaft. Auch in Europa ließ sich eine positive Grundeinstellung feststellen. So sprach sich das Europäische Parlament bereits Anfang 1973 für eine Stärkung der bilateralen Beziehungen aus. Vor allem aber die bevorzugte Behandlung der Volksrepublik im Zusammenhang mit dem soge-nannten „Schema für Handelsabkommen“ für sozialistische Staaten demonstrierte den guten Willen auf Seiten der EG 1978 wurde ein erstes Handels-, 1979 ein Textilabkommen und 1985 ein umfassenderes Handelsabkommen unterzeichnet. Darüber hinaus vereinbarten beide Seiten 1983 die Aufnahme eines politischen Dialoges; 1988 eröffnete die Europäische Kommission ihrerseits eine offizielle Vertretung in Beijing.

Mit dem Ausbau der diplomatischen Beziehungen wuchs auch das Handelsvolumen. Dieses hat sich zwischen 1978 und 1996 mehr als vervierzehnfacht und erreichte 1996 ein Gesamtvolumen von 44, 7 Milliarden ECU (1 ECU = 1, 94 DM). Dabei genießt die Volksrepublik sei Milliarden ECU (1 ECU = 1, 94 DM). Dabei genießt die Volksrepublik seit 1980 Zollvorteile im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystem (APS) der Gemeinschaft 6. Die Beziehungen entwickelten sich weitgehend konfliktfrei, so daß auftretende Probleme lange Zeit auf die Anti-Dumping-Maßnahmen der Gemeinschaft begrenzt waren.

Die blutige Niederschlagung der chinesischen Protestbewegung 1989 führte zu einer drastischen Verschlechterung der Beziehungen. Die Menschenrechtsfrage, die im bilateralen Verhältnis zuvor nur selten eine Rolle spielte, rückte nun ins Zentrum nicht nur der europäischen Chinapolitik. 1. Menschenrechtspolitik und die Interessen Westeuropas Die Europäische Gemeinschaft reagierte auf allen Ebenen -Kommission, Europäischer Rat und Parlament -auf die blutigen Ereignisse in Beijing. Die Kommission sagte ein für den 5. Juni 1989 geplantes Treffen auf Ministerebene ab. Eine Woche später beschlossen die EG-Außenminister eine Reihe von Sanktionen, die der Europäische Rat (die Staats-und Regierungschefs der EG) in einer gemeinsamen Erklärung am 27. Juni 1989 in Madrid bestätigte. Zu den Sanktionsbeschlüssen gehörte das Aussetzen hochrangiger Kontakte auf Ministerebene, die Aufschiebung neuer Kooperationsprojekte sowie die Unterbrechung der militärischen Zusammenarbeit, inklusive Waffenlieferungen. Nach dem Ende der Sommerpause verabschiedete auch das Europäische Parlament eine Entschließung, in der es das Vorgehen der chinesischen Führung scharf verurteilte 7. Bereits am 20. Juli unternahm die EG einen international einzigartigen Vorstoß, indem sie die chinesische Regierung aufforderte, bei den Prozessen gegen Demonstrationsteilnehmer ausländische Beobachter zuzulassen

Während das Europäische Parlament schon 1987 die Lage der Menschenrechte in Tibet öffentlich kritisierte, bevorzugten Kommission und Rat bis dahin die nichtöffentliche Kritik in bilateralen Gesprächen Dies änderte sich nun. Allerdings entwickelte sich die neue Haltung der Gemeinschaft in der Menschenrechtspolitik gegenüber China erst langsam. Sie war eine Folge des seit 1989 bestehenden Dilemmas, mit einer die Men-schenrechte verletzenden Welthandelsmacht umgehen zu müssen.

Obwohl in den ersten zwölf Monaten nach Tiananmen keine Veränderung der europäischen Sanktionspolitik erfolgte, schimmerte bereits in dieser Phase die ambivalente Haltung der europäischen Staaten durch Diese Ambivalenz erklärte sich damit, daß bestehende Interessen am Kontakt mit China einen dauerhaften Boykott erschwerten.

2. Interesse der EU an China Ein zentraler Aspekt in diesem Zusammenhang betraf die laufenden Verhandlungen über die Rückgabe Hongkongs und Macaos. Großbritannien und Portugal waren deshalb auch von Beginn an von den Sanktionsbestimmungen über hochrangige Regierungskontakte ausgenommen. Die Verhandlungen bezüglich der zahlreichen Details, die bis zur Übergabe (Hongkong: 1. Juli 1997; Macao: 20. Dezember 1999) zu regeln waren, machten es für die beide Regierungen unerläßlich, den Kontakt mit Beijing beizubehalten.

Wirtschaftlich war für die Gemeinschaft darüber hinaus vor allem das stark ansteigende Handelsdefizit mit der VR China Grund zur Sorge. Erreichte die EG noch 1987 einen Überschuß von knapp drei Milliarden ECU, so schloß die Gemeinschaft 1988 mit einem Defizit von 1, 2 Milliarden ECU ab. Dieses Defizit stieg in den darauffolgenden drei Jahren um 91 Prozent, 120 Prozent bzw. 87 Prozent an (in Milliarden ECU 1989: 2, 2; 1990: 5, 3; 1991: 9, 3) Damit war China genau in dieser schwierigen Phase der bilateralen Beziehungen zur Quelle eines bedeutenden Handelsdefizits der Gemeinschaft geworden.

In einem indirekten Zusammenhang mit dieser Frage standen (und stehen nach wie vor) die seit 1986 laufenden Verhandlungen über die Aufnahme der VR China in das GATT bzw. die WTO (GATT: General Agreement on Tariffs and Trade; WTO: World Trade Organization). In diesem Rahmen ist die EU neben den USA (und Japan) der wichtigste Verhandlungspartner für die Volksrepublik. Waren die Verhandlungen aufgrund unterschiedlicher Auffassungen hinsichtlich der Bedingungen für Chinas Beitritt bereits zuvor nicht einfach, wurden sie durch die Menschenrechtsproblematik zusätzlich belastet. Dennoch stimmen alle Vertragsparteien grundsätzlich darin überein, daß die Aufnahme einer so großen Volkswirtschaft notwendig und wünschenswert sei. Konkret versprechen sich die EU wie auch die USA von Chinas Beitritt zum GATT/WTO u. a. eine Liberalisierung des Marktes, eine Senkung der Zölle und langfristig die Senkung ihrer Handelsdefizite

Neben dem wirtschaftlichen Potential ist die globalpolitische Bedeutung Chinas unbestritten. Die Volksrepublik ist nicht nur das bevölkerungsreichste Land der Welt, sie ist auch eines der fünf Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Und diese Funktion hatte wesentlichen Anteil daran, daß China bereits ein Jahr nach Tiananmen den Weg zurück in die internationale Gemeinschaft antreten konnte. Durch den Ausbruch der Kuweit-Krise im Sommer 1990 und die Überlegungen der USA und anderer Staaten, eine UN-Militäraktion gegen den Irak durchzuführen, fiel der VR China als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat eine entscheidende Rolle zu. Die anderen Ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat (darunter Frankreich und Großbritannien) waren in der Kuweit-Frage zumindest auf eine Stimmenthaltung der VR China angewiesen Vor diesem Hintergrund fand im September 1990 das erste Treffen der EG mit China im Rahmen des wiederaufgenommenen politischen Dialogs statt Diese Kombination politischer und wirtschaftlicher Interessen der EG-Mitgliedsstaaten hat schließlich zu einer langsamen Wiederannäherung geführt. Argumentierten Frankreich und Großbritannien als Ständige Mitglieder des Sicherheitsrates eher politisch, so trat beispielsweise Italien 1990 immer stärker auf Grund von wirtschaftlichen Überlegungen für eine Verbesserung der Beziehungen zur Volksrepublik ein Nicht zuletzt, um einem allmählichen Aufbrechen der gemeinsamen Haltung zuvorzukommen, faßten die EG-Außenminister am 23. Oktober 1990 den Entschluß, die Sanktionen gegen China schrittweise aufzuheben. Dieser Prozeß war Ende 1992 weitgehend abgeschlossen. Von Beginn an flankierte die Gemeinschaft diese Entwicklung mit einer Stärkung ihrer Menschenrechtspolitik. 3. Stärkung der politischen Rolle der EU durch die Menschenrechtspolitik Bereits im Dezember 1990 erklärte der Europäische Rat, daß bei der Vergabe von Wirtschaftshilfe an asiatische Staaten bestimmte politische Kriterien, insbesondere aus dem Bereich der Menschenrechte, berücksichtigt werden sollten. Dabei ließ er keine Zweifel daran, daß ein solches Vorgehen in seinen Augen auch mit dem Völkerrecht in Einklang stehe und keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates darstelle. Im darauffolgenden Jahr verabschiedete der Rat eine Entschließung über „Menschenrechte, Demokratie und Entwicklung“ Mit diesen Maßnahmen entfernte sich die EU von ihrer früheren Praxis der ausschließlich „stillen Diplomatie“ in Fragen der Menschenrechte Konkret zeigte sich der neue Ansatz auf den Jahreskonferenzen der UN-Menschenrechtskommission in Genf. Seit 1990 brachte die EU dort chinakritische Resolutionen ein.

Diese Verlagerung auf die multilaterale Ebene war eine direkte Folge der Bemühungen der Einzelstaaten, ihre bilateralen Beziehungen von den Belastungen durch die Menschenrechtsfrage zu befreien. Der Ende 1993 in Kraft tretende Vertrag über die Europäische Union mit seinen Bestrebungen, eine Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik (GASP) aufzubauen, diente dabei als zusätzliches Argument, Verantwortlichkeiten in diesem Bereich auf die Union zu übertragen. So hieß es auch aus Kreisen der EU-Kommission, daß der Vorteil der GASP im chinesischen Falle darin bestehe, daß sie die Möglichkeit bietet, Menschenrechte und andere Prinzipienfragen in Straßburg und Brüssel abzuladen, während man auf nationaler Ebene um wirtschaftliche Vorteile konkurriert

Man mag dieses Verhalten der Nationalstaaten kritisieren, letztlich war es aber das Einfallstor für eine stärkere politische Rolle der EU in den Beziehungen mit China. Die EU selbst schöpfte daraus neues Selbstbewußtsein, das sich 1994 in der Asienstrategie der Gemeinschaft niederschlug: „Die Förderung und Festigung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten bilden zusammen eines der wichtigsten außenpolitischen Ziele der Europäischen Union.... Unter anderem verfolgt die Europäische Union dieses Ziel u. a. im Rahmen des Dialogs, der aufgrund der Wiener Erklärung und des Aktionsprogramms der VN-Weltkonferenz über Menschenrechte von 1993 geführt wird, ... In erster Linie wird der Dialog über Menschenrechte in den entsprechenden bilateralen und multilateralen Gremien, wie der VN-Kommission für Menschenrechte, geführt, wo die Regierungen der Länder, um die es geht, am ehesten zur Verantwortung gezogen werden können.“

Die Effizienz dieses Ansatzes schien sich im darauffolgenden Jahr während der Tagung der UN-Menschenrechtskommission in Genf zu bestätigen. War es der chinesischen Führung in den Jahren zuvor jeweils mit einem Antrag auf Nichtbehandlung gelungen, selbst die Diskussion eines china-kritischen Resolutionsentwurfes zu verhindern, führten 1995 die Zusammensetzung der Kommission, die Entschlossenheit der USA und nicht zuletzt die Geschlossenheit der EU-Position dazu, daß über den Entwurf zumindest diskutiert werden konnte. Die Volksrepublik entging einer Verurteilung nur durch den kurzfristigen Meinungsumschwung Rußlands 4. Chinas neues Interesse an der EU Im Zuge dieser Auseinandersetzung um die Menschenrechte nahm das Interesse Chinas an der EU zuvor nicht gekannte Formen an denn hier hatte sich die Union erstmals zu einem ernstzunehmenden politischen Gegenspieler der Volksrepublik entwickelt. Dies wurde dadurch unterstrichen, daß die chinesische Seite genau in dieser Phase zwei Initiativen vorbrachte, mit denen die politischen Beziehungen zur EU vertieft werden sollten. So beschlossen die EU und China im Juni 1994, ihren politischen Dialog aufzuwerten und nur wenige Monate später bekundete China sein großes Interesse, mit der Union in einen speziellen Dialog über Menschenrechte einzutreten. Damit wurde die EU das erste Land bzw. die erste Organisation, mit der China eine solche Vereinbarung eingegangen war. Das erste Treffen dieses Dialogs fand bereits im Januar 1995 statt. Dabei war den EU-Vertretern durchaus bewußt, daß das zentrale Anliegen der chinesischen Seite darin bestand, die EU-Position auf der kommenden Konferenz in Genf zu beeinflussen und weitere chinakritische Resolutionen zu verhindern Im Jahre 1995 waren diese Versuche der chinesischen Führung, wie geschildert, nicht erfolgreich.

II. Theorie und Praxis der EU-Chinapolitik

Im Juli 1995 verabschiedete die Europäische Kommission ein Strategiepapier zur „langfristigen Politik der Europäischen Union gegenüber China“. Dieses Papier steht in einer Linie mit dem deutschen „Asienkonzept der Bundesregierung“ von 1993 und einem anderen Papier der Europäischen Kommission von 1994 „Auf dem Weg zu einer neuen Asienstrategie“ Ihnen allen lag die Überlegung zugrunde, daß die dynamische Wirtschaftsentwicklung in Asien und der VR China neue Strategien von Seiten Westeuropas erforderte. Im Falle Chinas bestand dabei jedoch die zusätzliche Notwendigkeit, gegenüber der Öffentlichkeit die ökonomischen Ziele mit Standfestigkeit in der Frage der Menschenrechte zu verbinden. 1. Die Theorie -das EU-Strategiepapier von 1995

Insgesamt werden in dem Strategiepapier von 1995 vier Blöcke behandelt: 1. die politischen Beziehungen, 2. die Wirtschafts-und Handelsbeziehungen, 3. Zusammenarbeit und 4. Koordinierung und Information. Was den Bereich der politischen Beziehungen angeht, so ist aus heutiger Sicht erkennbar, daß die Annahme dieses Strategiepapiers zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die Europäische Union auf dem Höhepunkt einer konfliktbereiten Menschenrechtspolitik gegenüber der VR China angelangt war und über diesen Bereich erheblich an politischer Bedeutung in den Beziehungen zu China gewonnen hatte. Dieses Selbstbewußtsein der Union tritt im Strategiepapier deutlich zutage: „Der hohe Stellenwert der Menschenrechte ist von jeher eine Konstante in der China-Politik der EU. ... Die EU muß zu jeder Gelegenheit den detaillierten Dialog über alle Aspekte der Wahrung der Menschenrechte fortsetzen. Die neuen, systematischer organisierten Vorkehrungen für einen politischen Dialog erlauben einen regelmäßigen Gedankenaustausch und die Vertiefung des Verständnisses für Fragen der Menschenrechte. Vorbedingung für den Erfolg dieser Politik ist die Konvertierung der Menschenrechtsdebatte auf internationale Ebene. Die EU legt besonderen Wert auf die Einbeziehung der internationalen Gemeinschaft, vertreten durch die UN-Menschenrechts-kommission. Die starke internationale Unterstützung, die die Resolution vom Februar 1995 gefunden hat, in der Kritik an der Situation in China geübt wurde, läßt die Vermutung zu, daß dieses Vorgehen Aussicht auf Erfolg hat.“

Hier schrieb die EU ein Vorgehen fest, das u. a. ihre Bereitschaft einschließt, in dieser Frage Konflikte mit der chinesischen Führung auszutragen. Jedoch will man Verbesserungen nicht ausschließlich über offene Kritik erreichen. Gleichzeitig schlug die Kommission vor, die Lage der Menschenrechte durch die Einleitung von Kooperationsprojekten zu verbessern, die langfristig eine Öffnung und Liberalisierung aller Lebensbereiche versprechen. Im politischen Bereich werden daneben zwei weitere zentrale Bereiche der EU-China-politik genannt: zum einen das Hinwirken auf ein „konstruktives Engagement“ der Volksrepublik in der Welt und in Asien (zum Beispiel über die Ausweitung des gemeinsamen politischen Dialogs auf Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle) und zum anderen die genaue Verfolgung der Entwicklungen in Hongkong und Macao im Zuge der Rückgabevorbereitung

Auch im Abschnitt zu den Wirtschafts-und Handelsbeziehungen wurden eine Reihe von Kooperationsprojekten vorgeschlagen, die sowohl den Reformprozeß in China unterstützen, als auch die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen stärken sollen. Mit der Auflistung konkreter Forderungen für die Aufnahme Chinas in die WTO enthielt dieser Abschnitt auch einen zentralen Aspekt, in dem die Interessen der Gemeinschaft und Chinas auseinandergehen. 2. Die Praxis Die Initiative der Kommission hat sowohl zur Vertiefung bereits bestehender als auch zur Einleitung neuer Kooperationsprojekte geführt. Zu den wichtigsten Projekten gehören die Unterstützung der chinesischen Bemühungen bei der Durchführung von Wahlen auf der Dorfebene, die Kooperation und Hilfe beim Aufbau des Rechtssystems durch Ausbildung und Schulung von Richtern und Anwälten sowie den Austausch von anderem juristischen Personal zwischen Europa und China die bereits 1994 gegründete „China-Europe International Business School“ (CEIBS) in Shanghai sowie die Einrichtung des Zentrums für Agrartechnologie China/EG (CECAT) in Beijing

Sind bei diesen Aktivitäten der Union keine großen Konflikte zu erwarten, sieht dies in den zwei zuvor bereits genannten Bereichen, WTO-Mitgliedschaft und Menschenrechtsfrage, anders aus. Dabei hat sich in den vergangenen Jahren an der Haltung der EU in der WTO-Frage wenig im Umgang mit der Menschenrechtsfrage aber sehr viel geändert.

In den drei Jahren nach dem knappen Scheitern der chinakritischen Resolution in Genf wandelte sich die Haltung der Union bezüglich der noch im Strategiepapier als notwendig erachteten „Konvertierung der Menschenrechtsdebatte auf internationale Ebene“ grundlegend. Dies geschah allerdings nicht aufgrund einer veränderten Beurteilung der Menschenrechtssituation in der Volksrepublik. Vielmehr waren die nationalen Wirtschaftsinteressen gegenüber einer sich dynamisch entwickelnden Volksrepublik und ein vorauseilendes Zurückweichen einzelner Mitgliedsstaaten vor möglichen „Sanktionen“ der chinesischen Führung für die schrittweise Schwächung der EU-Position in dieser Frage verantwortlich. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Haltung der neuen französischen Führung unter Staatspräsident Jacques Chirac, die ihre Interessen gegenüber China immer deutlicher über die gemeinsame Chinapolitik der EU stellte.

So mußte die EU 1996 die Entscheidung darüber, ob sie überhaupt eine Resolution in Genf einbringen werde, auf französischen Druck lange aufschieben. Denn Frankreich wollte den gleichzeitig stattfindenden Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng in Paris und den erwarteten Großauftrag für das Airbus-Konsortium nicht gefährden. Ähnliches ereignete sich 1997. Nur kurze Zeit nachdem das Europäische Parlament den Rat aufgefordert hatte, China zu einer Priorität auf der nächsten Genfer Konferenz zu machen, entzog die französische Seite einseitig ihre Unterstützung für eine EU-Resolution Diesmal war es der im Mai 1997 stattfindende Besuch des französischen Staatspräsidenten in China, der nicht belastet werden sollte. Dabei ging es erneut um Aufträge für das europäische Airbus-Konsortium sowie um die Unterzeichnung einer Gemeinsamen Erklärung, in der eine „langfristige, umfassende Partnerschaft“ zwischen beiden Staaten beschlossen wurde Das französische Vorgehen rief die Kritik anderer EU-Staaten hervor. Der niederländische Ratsvorsitzende Hans van Mierlo forderte die Union sogar dazu auf, wenigstens konsequent zu sein und unter diesen Umständen auch keine Resolution gegen Birma einzubringen. Dieser Vorschlag wurde jedoch u. a. von Frankreich zurückgewiesen

Schließlich brachte Dänemark, unterstützt von den Niederlanden und anderen EU-Staaten, eine chinakritische Resolution ein. Weit bedeutender als das sichere Scheitern der Resolution waren die negativen Auswirkungen dieser Vorgänge auf die GASP. Ohne daß sich die Gemeinschaft lautstark und entschieden dagegen verwahrte, setzte Beijing seine bereits im Vorfeld geäußerten Drohungen in die Tat um. Die Volksrepublik sagte hochrangige Besuche in Dänemark und auch in den Niederlanden ab und reduzierte die diplomatischen Beziehungen zu Dänemark auf ein Minimum. Erst im Oktober 1997 erklärte der chinesische Außenminister Qian Qichen, daß China bereit sei, die Beziehungen zu Dänemark wieder zu normalisieren

Trotz der Aufforderung des Europäischen Parlaments vom Herbst 1997, einen zweiten Dänemark-Fall auszuschließen und 1998 erneut eine chinakritische Resolution einzubringen konnten sich die EU-Staaten nicht zu einer gemeinsamen Haltung durchringen. Bereits drei Wochen vor Beginn der Genfer Tagung gaben die EU-Außenminister am 23. Februar 1998 ihre Entscheidung bekannt, auf eine Resolution zu verzichten. Die weiterhin existierenden Menschenrechtsprobleme wurden nicht bestritten; allerdings wies die EU auf positive Ansätze auf Seiten Beijings hin Das Thema solle deshalb weiterhin angesprochen werden, jedoch nicht mehr öffentlich im Rahmen der UN-Menschenrechtskonferenz, sondern hinter verschlossenen Türen im Rahmen des gemeinsamen Menschenrechtsdialoges

Damit ist die EU in dem Bereich, in dem sie von Beijing als ernsthafte politische Kraft wahrgenommen wurde, von ihrer noch im Strategiepapier von 1995 so selbstbewußt vertretenen Position abg•erückt. Sie ist, zumindest im Falle Chinas, zu ihrer Politik von vor 1989 zurückgekehrt, Menschenrechtsfragen im Rahmen des „stillen Dialogs“ zu behandeln. 3. Anpassung der Theorie -das EU-Strategie-papier von 1998

Nur drei Jahre nach dem ersten Strategiepapier, das „den Weg für die langfristigen Beziehungen der EU zu China bis ins 21. Jahrhundert zu markieren“ suchte, verabschiedete die Kommission am 25. März 1998 ein weiteres Dokument zur Chinapolitik der EU: „Für eine umfassende Partnerschaft mit China“ Darin heißt es, daß sich das Strategiepapier von 1995 bewährt habe und nach wie vor die Basis der EU-Chinapolitik bilde. Dennoch müsse die Union auf einige bedeutende Entwicklungen, die sich seit 1995 ereignet haben, durch eine Aufwertung und Intensivierung dieser Politik reagieren Fünf zentrale Bereiche werden in dem Papier behandelt: „A. Stärkere Einbindung Chinas in die internationale Gemeinschaft; B. Unterstützung Chinas auf seinem Weg in eine offene und auf Rechtsstaatlichkeit gegründete Gesellschaft; C. Stärkere Integrierung Chinas in die Weltwirtschaft; D. Verstärkung des finanziellen Engagements Europas; E. Verbesserung der Sichtbarkeit der Europäischen Union in China.“

In vielen Bereichen sind die Ansätze im neuen Strategiepapier konkreter und weiter gefaßt als 1995. Dies gilt insbesondere für die Vorschläge zur Ausdehnung des politischen Dialoges mit der Volksrepublik. Dieser soll sowohl formell -u. a. durch jährlich stattfindende EU-China-Gipfeltreffen -als auch inhaltlich -u. a. durch Dialoge über regionale Probleme in Asien (zum Beispiel auf der Koreanischen Halbinsel) oder über andere Staaten in der Region (zum Beispiel Kambodscha, Vietnam, Birma) -angehoben werden. Auch im Kapitel über die Integration Chinas in die Weltwirtschaft machen insbesondere die zehn Punkte zur Unterstützung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen den umfassenderen Ansatz der EU deutlich

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Mitteilungen tritt allerdings im Kapitel über die Menschenrechte hervor. Obwohl gleich zu Anfang festgestellt wird, daß die Volksrepublik „von der Erfüllung international anerkannter Menschen-rechtsnormen noch weit entfernt (ist)“, wird eine Konvertierung der Debatte in internationale Gremien nicht mehr angesprochen. Im Gegensatz zur Forderung von 1995, den Dialog nur als Ergänzung zum UN-Forum zu begreifen, steht er nun gemeinsam mit den Kooperationsmaßnahmen im Zentrum der EU-Politik Damit hat die Praxis von 1998, das heißt der Verzicht auf die Resolution, auch unmittelbaren Eingang in die Strategie-empfehlung der Europäischen Kommission gefunden.

III. Die Chinapolitik der EU 19951998. Vermeidbarer Rückzug oder erfolgreiche Politik des Machbaren?

Es wäre im folgenden zu leicht, in eine pauschale Kritik der EU-Politik aufgrund ihrer Haltung in der Menschenrechtsfrage zu verfallen. Die EU ist zunächst eine Wirtschaftsgemeinschaft. Deshalb muß die Politik der EU und insbesondere der Europäischen Kommission in erster Linie an den ökonomischen Interessen der Gemeinschaft ausgerichtet sein. Darüber hinaus besteht aber der Anspruch, eine Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik durchführen zu wollen. Auch hier wäre es sicherlich ein verengter Blickwinkel, wenn sich die GASP ausschließlich auf die Menschenrechtspolitik begrenzen würde. Der Ansatz, den die EU in ihren politischen Beziehungen zu China verfolgt, muß deshalb sehr viel breiter sein. Und so muß auch die Beurteilung der EU-Chinapolitik dieses breitere Verständnis umfassen. Darüber hinaus müssen auch die EU-internen Schwierigkeiten, wie Entwicklungsstand der GASP u. a., adäquat berücksichtigt werden. Damit sollen die Mängel dieser Politik keineswegs entschuldigt werden. Vielmehr geht es darum, auch von der Union selbst geschürte zu hohe Erwartungen hinsichtlich der realistischen Möglichkeiten ihrer Chinapolitik zu dämpfen.

Ein Anliegen in beiden Strategiepapieren ist es, sowohl das Profil der EU in China zu stärken als auch in Europa die Rolle der Union in den Beziehungen zu China deutlich werden zu lassen Mitte der neunziger Jahre entstand der Eindruck, daß die EU auch politisch eine zunehmend wichtige Rolle in den Beziehungen mit der Volksrepublik werde einnehmen können. Dazu trugen die voranschreitende Integration der EU und ihre dritte Erweiterung ebenso bei wie die Vertiefung des Dialogs mit China sowie das aktive Eintreten der EU für die Menschenrechte auf den UN-Konferenzen in Genf. Die Hoffnung darauf, daß sich diese Entwicklung kontinuierlich fortsetzen werde, schlug sich auch in den Strategiepapieren nieder. So umfaßten die Vorschläge der Kommission 1998 -wie erwähnt -auch die Vertiefung des Dialogs über regionale Aspekte in Asien. Dabei stellt sich allerdings die Frage, warum China ein Interesse daran haben sollte, mit der Union über die Situation auf der Koreanischen Halbinsel, über andere Länder in der Region wie Kambodscha, Vietnam und Birma oder auch über Zentralasien zu reden Die Union hat keine militärischen oder sonstigen vitalen sicherheitspolitischen Interessen oder gar Eingreifpotentiale in der Region Sollte die Volksrepublik in der jetzigen Situation auf diese Vorschläge eingehen, dann besteht die in ähnlichem Zusammenhang geäußerte Gefahr, daß China versucht . eine „pragmatische’ EU auch gegen die USA auszuspielen“ Oder aber die Volksrepublik kommt damit dem Selbstwertgefühl der EU entgegen und kann dafür im Gegenzug Zugeständnisse anderer Art von Seiten der EU erwarten.

Das chinesische Vorgehen, die EU-Politik durch an Bedingungen geknüpftes Entgegenkommen zu untergraben, wird mit Blick auf die Entwicklung des Menschenrechtsdialogs deutlich. Der Anfang 1995 aufgenommene Dialog wurde von der chinesischen Seite nach nur eineinhalb Jahren, Mitte 1996, wieder aufgekündigt. Die EU wollte zu jenem Zeitpunkt die chinesische Bedingung für seine Fortsetzung nicht erfüllen. Diese bestand explizit darin, in Zukunft auf chinakritische Resolutionen in Genf zu verzichten. Erst nach einer Unterbrechung von über einem Jahr nahmen beide Seiten den Dialog wieder auf. EU-Vertreter beeilten sich zu versichern, daß die Union auf keine Bedingungen der chinesischen Seite eingegangen war Gleichwohl entschied die EU 1998 frühzeitig -u. a. mit Verweis auf die „ermutigenden Ergebnisse“ dieses Dialoges auf eine Resolution zu verzichten.

Die Art und Weise, wie die Entscheidung gegen die Resolution 1998 zustande kam, hat die Schwächen und Probleme der Union, eine gemeinsame Chinapolitik durchzuführen, sehr deutlich hervortreten lassen.

An erster Stelle ist hier die noch unterentwickelte Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik der Union zu nennen. So basiert die GASP trotz aller neugeschaffenen Optionen nach wie vor primär auf dem Einstimmigkeitsprinzip. Dabei liegt das Problem nicht allein darin, daß die Union in bestimmten Fällen nicht zu einer gemeinsamen Politik findet. Problematischer erscheint die Tatsache, daß Drittstaaten wie China durch gezielte außenpolitische Initiativen gegenüber einzelnen EU-Staaten die Politik der Gemeinschaft systematisch unterlaufen können.

Dies wird durch eine Besonderheit der EU verschärft. Während der Außenhandel auf der Importseite bereits vollständig auf EU-Ebene geregelt wird, konkurrieren die EU-Mitgliedsstaaten im Exportbereich um die Märkte in Drittländern. Dies ist der Ansatzpunkt für die nationale Außenhandelspolitik der EU-Länder in Form von Exportförderung Insbesondere seit 1993 hat diese Form der Konkurrenz zwischen den Mitgliedsstaaten zugenommen. Immer mehr Staats-und Regierungschefs der Gemeinschaft sahen die primäre Aufgabe ihrer Chinapolitik darin, als Handelsreisende die einheimische Wirtschaft zu unterstützen. Dabei profitierten sie nicht selten auch von den belasteten Beziehungen ihrer EU-Partner mit der Volksrepublik Diese „Erfolge“ gingen aber letztlich auf Kosten einer gemeinsamen Haltung der EU in politischen Fragen.

Schließlich treten noch Schwierigkeiten hinzu, die außereuropäischen Ursprungs sind. Gerade im wirtschaftlichen Bereich steht die EU mit den USA und Japan in direkter Konkurrenz um den chinesischen Markt. Die Position, die diese beiden Länder, insbesondere die USA, in ihrer Chinapolitik einnehmen, kann nicht ohne Auswirkungen auf die Politik der EU bleiben. Darüber hinaus hat es die chinesische Führung ihrerseits verstanden, die angesprochenen Schwächen der europäischen Position umfassend auszunutzen. Die Ausschöpfung des chinesischen Marktpotentials ist eine Komponente hierbei, genauso wie eine geschickte Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“ gegenüber der EU (Menschenrechtsdialog) und einzelnen Mitglieds-staaten (Wirtschaftsaufträge und Androhung von Sanktionen) Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten fällt die Beurteilung der Frage, ob man für die vergangenen drei Jahre eher von einem vermeidbaren Rückzug oder von einem Erfolg des Machbaren sprechen kann, ambivalent aus. Mit der Entscheidung, chinesische Menschenrechtsverletzungen nicht mehr vor die UN-Kommission in Genf zu bringen, hat die EU einen zentralen Baustein preisgegeben, der für das politische Interesse der Volksrepublik an der EU Mitte der neunziger Jahre von entscheidender Bedeutung war. Dabei ist nicht die Entscheidung an sich, sondern die Tatsache zu kritisieren, daß es sich dabei nicht um einen aktiven, wohlbegründeten Entschluß der EU handelte, sondern daß dieser eine Folge der Dominanz nationaler Einzelinteressen über die Gemeinschaftspolitik war. Auf der anderen Seite hat die Kommission im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Aktivitäten ihrer Chinapolitik auf eine breitere Basis gestellt. Dabei kommt naturgemäß den Wirtschaftsbeziehungen die herausragende Bedeutung zu. Daneben sind aber insbesondere die vielschichtigen Maßnahmen zur Unterstützung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Chinas positiv zu bewerten.

IV. Fazit und Perspektiven

Die politische Bedeutung der EU in den Beziehungen zu China hat in den neunziger Jahren als Folge der europäischen Menschenrechtspolitik gegenüber der Volksrepublik ein Auf und Ab erlebt. Dabei war sowohl für die Stärkung der politischen Rolle der EU als auch für die erneute Schwächung in den letzten Jahren die Dominanz von Einzelinteressen der EU-Mitgliedsstaaten über eine gemeinsame EU-Politik verantwortlich.

Die EU versucht heute im Fahrwasser ihrer Bedeutung als Wirtschaftsblock, zunehmend auch international eine politische Rolle zu übernehmen. Dies entspricht in etwa dem Vorgehen im Integrationsprozeß selbst. Dort soll die von der wirtschaftlichen Integration ausgehende Dynamik auch auf den politischen Bereich ausstrahlen. Diese Dynamik fehlt jedoch in den internationalen Beziehungen. Die Politik der VR China zeigt, daß kein Widerspruch darin besteht, die Wirtschaftsbeziehungen zur EU zu vertiefen, sich politisch jedoch vor allem mit den Einzelstaaten, wie beispielsweise mit Frankreich, zu arrangieren.

Es soll hier nicht argumentiert werden, daß die EU auf politische Initiativen verzichten sollte. Im Gegenteil, der von der Europäischen Kommission in den Strategiepapieren von 1995 und 1998 verfolgte Ansatz, auch die politische Dimension der Beziehungen zu China zu stärken, wird ausdrücklich begrüßt. Jedoch dürfen dabei die Hoffnungen auf größeren Einfluß der EU kein Eigenleben annehmen und sich zu weit von den durch den Stand des Integrationsprozesses vorgegebenen Realitäten entfernen. Die EU liefe dann Gefahr, der „Symbolik“ (die pure Existenz von Gipfeltreffen oder einem Menschenrechtsdialog) in den Beziehungen zu China unverhältnismäßig hohes Gewicht zu verleihen. Dieses Problem war neben den genannten -mehr auf der Ebene der Nationalstaaten angesiedelten -Gründen möglicherweise bereits für die diesjährige Entscheidung, keine chinakritische Resolution in Genf einzubringen, mitverantwortlich. So ist seit Mitte letzten Jahres das Bestreben der EU bekannt, mit der Volksrepublik jährliche Gipfeltreffen zu vereinbaren. Der Zusammenhang mit der chinesischen Gipfeldiplomatie mit Rußland, Japan und insbesondere den USA wird auch von der Kommission selbst hervorgehoben China nahm das europäische Ansinnen allerdings nicht mit großem Enthusiasmus auf. Bis Anfang Februar 1998 hatte die EU nur die chinesische Zusage für ein einziges Treffen erhalten das am 2. April in London am Rande von ASEM 2 stattfand. Auch dort ist China der EU jedoch -trotz der neuen europäischen Haltung in Genf -nicht weiter entgegengekommen. In der Gemeinsamen Presseerklärung wurde lediglich festgehalten, daß beide Seiten darin übereinkamen, „.. . to consider holding such Summits on an annual basis“

Chinas Haltung gegenüber dem Euro ist ein weiterer Punkt, der die Position der EU in Genf beeinflußt haben könnte. Die Volksrepublik verfügt mittlerweile nach den USA über die weltweit größten Währungsreserven Im Strategiepapier von 1998 wird deshalb auch die Aufnahme eines Dialogs über „makroökonomische Fragen“ mit China vorgeschlagen. Im Rahmen dieses Dialogs solle China „über die WWU (Wirtschafts-und Währungsunion, S. F.) und das Potential des Euro als stabiler Reservewährung informiert werden“ Bislang hält sich die chinesische Führung mit Äußerungen zum Euro, die über allgemeine Unterstützungserklärungen hinausgehen, jedoch zurück

In keinem der beiden Fälle sollte erwartet werden, daß ein europäischer Verzicht auf politischen Druck zu einem weitgehenden Entgegenkommen Chinas führen wird. Die EU-China-Gipfeltreffen werden in dem Maße an Gewicht gewinnen, wie die EU selbst an politischem Gewicht zunimmt. Und wenn man international renommierten Fachleuten Glauben schenken darf, wird sich der Euro aufgrund der Wirtschaftskraft seiner Mitglieds-länder (unabhängig von der Haltung Chinas) langfristig zu einer dem US-Dollar gleichrangigen Währung entwickeln Das generelle chinesische Bemühen, sich von einseitigen Abhängigkeiten, insbesondere von den USA, freizumachen, dürfte sich langfristig dann auch in der chinesischen Haltung zum Euro niederschlagen.

Die chinesische Position wird sich auch weiterhin an „Realpolitik“ orientieren Die im vorangehenden beschriebene Haltung Chinas gegenüber der EU in der Frage der Menschenrechte Mitte der neunziger Jahre kann hierfür sogar als Beleg dienen. Die Europäische Union ist bereits heute mehr als die Summe ihrer Mitgliedsstaaten, aber sie ist in allen Fällen auf die Unterstützung durch ihre Mitgliedsstaaten angewiesen. Die EU wird dauerhaft nur dann eine stärkere politische Rolle in den Beziehungen zu China spielen, wenn sie eine gemeinsame Politik verfolgt, die nicht durch Einzelinteressen unterlaufen wird. Dies entspricht einer Forderung, die die chinesische Seite bezeichnenderweise vor allem in den siebziger und achtziger, jedoch weniger in den neunziger Jahren erhoben hatte: Die EU muß mit einer Stimme sprechen!

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 27. 2. 1998 und die tageszeitung vom 24. 2. 1998.

  2. Es entwickelte sich sogar das Bonmot, wonach die besten Europäer nicht in Brüssel, sondern in Beijing säßen. Vgl. Oskar Weggel, Weltgeltung der VR China, Hamburg 1986, S. 188.

  3. Dies geschah, noch bevor die Volksrepublik 1971 in die UNO aufgenommen wurde und mit der Mehrzahl der damaligen EG-Staaten diplomatische Beziehungen etabliert hatte. So haben chinesische Diplomaten bereits im März 1971 diskrete Andeutungen gemacht, Beziehungen mit der EG aufbauen und auch ein Handelsabkommen abschließen zu wollen. Im Mai 1972 war es dann der langjährige chinesische Ministerpräsident Zhou Enlai, der gegenüber französischen Journalisten davon sprach, daß China eine diplomatische Mission bei der EG akkreditieren könne. Vgl. M. J.de Saint-Blanquat, La republique populaire de Chine face ä l’Europe, in: Revue du Marche Commun, (1972) 6, S. 526, und Harish Kapur, China and the European Economic Community: The New Connection, Dordrecht 1986, S. 27. Das frühe Interesse der chinesischen Führung an der EG erklärt sich aus dem antisowjetischen Antrieb der damaligen chinesischen Außenpolitik, die davon ausging, daß allein ein geeintes Europa stark genug sein werde, gegen die sowjetische Bedrohung zu bestehen. Ein eher innenpolitisches Motiv stellte die Annäherung zwischen der Gemeinschaft und Taiwan dar, die 1970 ein Textilabkommen abgeschlossen hatten. Dieses Abkommen hatte eine Laufzeit von drei Jahren. 1964 scheiterte eine Initiative Taiwans, mit der EG diplomatische Beziehungen einzugehen, am Veto Frankreichs, das kurz zuvor am 21. Januar 1964 diplomatische Beziehungen zur VR China aufgenommen hatte. Vgl. H. Kapur, ebd., S. 35-36.

  4. Wurde dieser Vorschlag der EG-Kommission den anderen sozialistischen Staaten über die normalen diplomatischen Kanäle übermittelt, so wurde dem chinesischen Botschafter in Belgien der Abkommensentwurf persönlich überreicht. Insofern verwundert es nicht, daß die VR China auch das erste Staatshandelsland war, das auf das europäische Angebot positiv reagierte. Daß hier der EG eine zentrale Rolle zukam, war eine Folge der Aufwertung der Gemeinschaft, die ab 1975 das Mandat erhalten hatte, im Namen aller Mitgliedsstaaten die Verhandlungen über Handelsverträge mit Drittstaaten zu führen. Vgl. H. Kapur, ebd., S. 33-34.

  5. Vgl. Bulletin der EG, 6-1989, Ziff. 1. 1. 24 und 9-1989, Ziff. 2. 4. 3. Für eine detaillierte Auflistung der Reaktionen der Gemeinschaft bis Ende 1990 siehe die entsprechenden Abschnitte in: Anja Feege, Internationale Reaktionen auf den 4. Juni 1989 in der VR China. Zwischen Solidarisierung, Schweigen und Sanktionen, Hamburg 1992.

  6. Konkret waren es die Botschafter der EG-Troika-Staaten (Frankreich, Spanien und Irland), die den Antrag im chinesischen Außenministerium einreichten. Der Antrag wurde allerdings von chinesischer Seite erwartungsgemäß noch am selben Tage abgelehnt. Vgl. A. Feege (Anm. 7), S. 129.

  7. Vgl. A. Feege (Anm. 7), S. 202.

  8. Diese demonstrierte sich beispielsweise in einem halben Boykott der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Gründung der VR China. Die Botschafter der EG-Staaten nahmen nur an der offiziellen Feier teil, verließen den Empfang allerdings vor Beginn des kulturellen Teils. Vgl. A. Feege (Anm. 7), S. 129.

  9. Vgl. Europäische Kommission, Die langfristige Politik der Europäischen Union gegenüber China, Brüssel, KOM (95) 279 endg., 5. 7. 1995, S. 34 (im folgenden: EU 95). Im Gegensatz zu den europäischen Zahlen war der Saldo der EU nach chinesischen Angaben stets im positiven Bereich. Erstmals wird von chinesischer Seite 1997 ein Defizit der EU im Chinahandel in Höhe von 4, 62 Milliarden US-Dollar ausgewiesen. Vgl. China Economic News vom 23. 2. 1998, S. 6f.

  10. 1997 erreichte die Volksrepublik China einen Anteil von 4, 4 Prozent am globalen Warenhandel (ohne Hongkong). Sie steht damit hinter der EU (19, 7 Prozent, ohne Intra-EU-Handel), USA (16, 5), Japan (10. 1), Kanada (5, 1), Hongkong (4, 5, inkl. Transithandelj und noch vor Südkorea, Singapur und Taiwan. Vgl. WTO-Statistik, zit. nach Neue Zürcher Zeitung vom 25. 3. 1998. Ein zentraler Streitpunkt bei den Aufnahmeverhandlungen war bis vor kurzem die Forderung der VR China, als Entwicklungsland in das GATT/WTO aufgenommen zu werden. Aufgrund der Größe und Bedeutung des chinesischen Marktes und der chinesischen Volkswirtschaft wird dies von den USA und der EU mit etwas unterschiedlichen Akzenten über die Jahre hinweg abgelehnt. Vgl. u. a. Michaela Eglin, China’s entry into the WTO with a little help from the EU, in: International Affairs, 73 (July 1997) 3, S. 489-508; Rohini Acharya, The case for China’s accession to the WTO: Options for the EU, in: Richard Grant (Hrsg.), The European Union and China. A European Strategy for the Twenty-First Century, London 1995, S. 54-74.

  11. In der entscheidenden Abstimmung enthielt sich der Vertreter Chinas der Stimme. Vgl. Ca, (Nov. 1990), Ül, S. 809-810.

  12. Dabei trafen die Außenminister der EG-Troika (amtierender Ratsvorsitzender mit seinem Vorgänger und seinem Nachfolger) am Rande der UN-VollVersammlung mit Chinas Außenminister Qian Qichen zusammen. Die EG hatte allerdings bereits im Juli 1990 angekündigt, hohe Regierungskontakte mit China wieder aufnehmen zu wollen.

  13. Vgl. A. Feege (Anm. 7), S. 130 u. 199 f.

  14. Vgl. Europäische Kommission, Auf dem Weg zu einer neuen Asien-Strategie, Brüssel, KOM(94) 314 endg., 13. 7. 1994 (im folgenden: EU 94), S. 5, und A. Feege (Anm. 7), S. 202. Für eine Übersicht über die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und China Anfang der neunziger Jahre vgl. Peter Ferdinand, Economic and diplomatic interactions between the EU and China, in: R. Grant (Anm. 12), S. 26-40.

  15. Anja Feege spricht in diesem Zusammenhang von einem „neugewonnenen Selbstverständnis der EG“. Vgl. A. Feege (Anm. 7), S. 202.

  16. Wiedergegeben nach Kay Möller, European Strategies vis-ä-vis China: Myth and Reality, in: Ost-West-Kolleg/Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), China’s International Role: Key Issues, Common Interests, Different Approaches (Conference in Brühl, 6. -9. März 1997), Bonn 1997, S. 76.

  17. EU 94 (Anm. 16), S. 10.

  18. Vgl. Ca, (April 1995), Ü 1, S. 263.

  19. Das politische. Interesse Chinas an der EU reduzierte sich lange Zeit darauf, daß der Gemeinschaft eine bestimmte Rolle in der chinesischen Auseinandersetzung mit den Supermächten zugewiesen wurde. So spielte die EU in chinesischen Theorien und Konzepten zur Internationalen Politik eine zentrale Rolle, sei es als Teil der sogenannten „Zweiten Welt“ in der Drei-Welten-Theorie oder als ein zentraler Pol in einer sich herausbildenden multipolaren Welt. Vgl. Stefan Friedrich, China’s Policy vis-ä-vis the European Union. Interests, Context, and Implications for Europe, in: Ca, (Nov. 1997) S. 1092-1096.

  20. Hierbei werden die bisherigen durch Ad-hoc-Treffen der Außenminister sowie halbjährlich stattfindende regelmäßige Begegnungen ergänzt. Dabei handelt es sich um Treffen zum einen zwischen dem chinesischen Außenminister und den EU-Botschaftern in Beijing und zum anderen zwischen dem jeweils den Ratsvorsitz führenden Außenminister und dem chinesischen Botschafter in dem betreffenden Mitgliedsstaat. Vgl. EU 95 (Anm. 11), S. 7.

  21. Information des Autors.

  22. Asienkonzept der Bundesregierung, abgedruckt in: Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts-und Finanzpolitik vom 24. /20. 10. 1993, S. 1-21; EU 94 (Anm. 16).

  23. . EU 95 (Anm. 11), S. 8f. (Hervorhebungen durch S. E).

  24. Vgl. EU 95 (Anm. 11), S. 6-10; die EU eröffnete noch im Jahre 1993 ein Büro für die Beziehungen mit Hongkong und Macao, das auch nach der Rückgabe Hongkongs weiter besteht. Kurz vor der Rückgabe Hongkongs veröffentlichte die Kommission auch eine Mitteilung zu Hongkong, in der eine sehr normative Aufzählung der europäischen Interessen in Hongkong erfolgt. Vgl. European Commission, The European Union and Hongkong: Beyond 1997, Brüssel, COM(97) 171 final, 23. 4. 1997.

  25. Zu den wichtigsten im Strategiepapier genannten Forderungen gehören: Senkung der Einfuhrzölle; Liberalisierung des Außenhandelsmonopols; Beseitigung aller nicht WTOkonformen Höchstmengen und Kontingente und nichttariflichen Hemmnisse; Angleichung der Industriepolitik an WTO-Standards u. a., vgl. EU 1995, S. 14. Allerdings sah sich die EU beständig dem Vorwurf ausgesetzt, daß sie in dieser Frage eine weniger strikte Haltung als die USA einnehme und daraus zwei Vorteile zu ziehen suche: Zum einen wolle sie gegenüber China ihr Entgegenkommen demonstrieren, zum anderen könne sie sich darauf verlassen, daß die harte Haltung der USA auch ihren Interessen entgegenkomme. Für eine kritische Betrachtung der europäischen Haltung vgl. Kay Möller, China in die Welthandelsorganisation?, SWP-AP 3011, April 1997.

  26. So fand beispielsweise im November 1997 ein „ChinaEU Recht-Symposium“ statt, in dem knapp 100 Rechtsexperten aus 11 europäischen Ländern und China über die

  27. Vgl. EU 95 (Anm. 11), S. 44-48, sowie European Commission, EU/China Relations. In the Light of Visit to Beijing by Sir Leon Brittan accompanied by European Businessmen, 13. -19. November 1996, Brüssel, o. D.

  28. Die EU-Position hat sich nach Aussagen von David Wall vom Royal Institute of International Affairs in London sogar verschärft. Er reagierte damit auf die Rede Sir Leon Brittans auf der ECAN-Konferenz in London am 2. 2. 1998. Für den Text der Rede Sir Leon Brittans vgl. http://europa. eu. int/en/comm/dg 01/0202chin.htm.

  29. Die Aufforderung des Europäischen Parlamentes erfolgte am 20. Februar 1997, die Absage Frankreichs nur vier Tage darauf. Der französischen Entscheidung schlossen sich in der Folge Deutschland, Italien, Spanien und Griechenland an. Vgl. Bulletin der EU, 1-2/1997, Ziff. 1. 1. 11; AFP vom 25. 2. 1997.

  30. Darin erklären beide Seiten auch ihr Bemühen, gemeinsam für die Etablierung einer „multipolaren Welt“ einzutreten. Dabei ist interessant, daß die chinesische Seite Frankreich bereits im Januar den Vorschlag gemacht hatte, bei dem Besuch im Mai eine „besondere Erklärung“ zu verabschieden und die bilateralen Beziehungen dadurch aufzuwerten. Vgl. S. Friedrich (Anm. 21), S. 1093 ff.

  31. Vgl. European Institute for Asian Studies-Bulletin, April 1997 (Externer Link: http://www.exmachina. net/eias/bullet 4.htm).

  32. Vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission, IP/97/879, 15. 10. 1997.

  33. Das Europäische Parlament nimmt in Menschenrechtsfragen traditionell eine entschiedenere Rolle ein. U. a. verlieh es Ende 1996 den Sacharow-Preis für Menschenrechte an den chinesischen Dissidenten Wei Jingsheng. Nach der Bekanntgabe des Verzichts auf eine chinakritische Resolution 1998 verband der Vorsitzende der China-Delegation des EP, Per Gahrton, seine generelle Unterstützung für den Dialog mit China, mit der Frage, ob man aber zugleich mit der Kritik gegenüber China aufhören müsse. Vgl. Europäisches Parlament, Tagungswoche: 16. 2. 1998(s), Menschenrechtsverletzungen in Nigeria und Birma sowie 54. Tagung der UN-Menschenrechtskommission (Externer Link: http://www.europarl. eu. int/).

  34. Konkret genannt werden: „erste ermutigende Resultate“ im bilateralen Dialog zu den Menschenrechten; Chinas Entscheidung, die UN-Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu unterzeichnen; sowie die chinesische Einladung an die UN-Menschenrechtsbeauftragte Mary Robinson. Vgl. Reuter vom 23. 2. 1998.

  35. Dieses Vorgehen wird offensichtlich auch von Beamten der EU-Kommission bedauert. So sollen EU-Diplomaten darauf hingewiesen haben, daß die Außenminister nur nach einem „billigen“ Vorwand gesucht hätten, um in der Menschenrechtspolitik noch vorsichtiger zu agieren. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 27. 2. 1998.

  36. EU 95 (Anm. 11), S. 3.

  37. EU 98 (Anm. 1).

  38. Insgesamt werden hier vier Aspekte aufgezählt: 1. das klare Bekenntnis zu Marktreform und globaler Integration auf dem 15. Parteitag der KP China im Herbst 1997; 2. das größere Selbst-und Verantwortungsbewußtsein Chinas in der Außenpolitik; 3. die ersten Erfahrungen aus der Asienkrise; 4. Veränderungen in der EU selbst. Vgl. EU 98 (Anm. 1), S. 3 f.

  39. Dazu zählen Hilfestellungen bei der Bewältigung der Nebeneffekte der angestrebten Reform der Staatsbetriebe, bei der Finanzreform, bei der Reform des Rechts-und Verwaltungssystems, im Umweltbereich, zur Sicherung der Energieversorgung u. a. Vgl. EU 98 (Anm. 1), S. 21-24; vgl. hierzu auch eine umfassende EU-Studie über die Gefahren, die sich aus einem Scheitern des Reformprozesses in China auch für die EU ergeben könnten: Katja Afheldt (European Commission, Policy Plannig Unit 1-2), Economic Security: The EU’s Stake in a Sustainable Development in China. Die Studie wird im Rahmen einer Publikation des Instituts für Asienkunde zum EU-China Academic Network -First Privat Policy Workshop, Hamburg 1997, noch in diesem Jahr erscheinen.

  40. „Die EU ist von der Überlegenheit des Dialogs -vor geeigneten Foren -über die Konfrontation überzeugt. Die EU und China sollten deshalb freimütig, offen und im gegenseitigen Respekt über ihre Differenzen reden.“ Vgl. EU 98 (Anm. 1), S. 10.

  41. Vgl. EU 98 (Anm. 1), S. 28; EU 95 (Anm. 11), S. 22.

  42. Taiwan wird in dem entsprechenden Abschnitt nur kurz erwähnt, zu einem Dialog ruft die EU jedoch nicht explizit auf. Vgl. EU 98 (Anm. 1), S. 8.

  43. So konnte die EU auch auf die Taiwan-Krise lediglich mit einer knapp gehaltenen Erklärung reagieren. Vgl. Europäische Union, DN: PESC/96/23, 8. 3. 1996.

  44. Auf diesbezügliche Versuche ostasiatischer Staaten hatte Kay Möller bereits 1996 hingewiesen. Vgl. Kay Möller, Für eine neue Pazifik-Politik der Europäischen Union, SWP-KA 2972, Sept. 1996, S. 11.

  45. Der amtierende Ratspräsident, Jacques Poos, „...denied that there was any agreement between China and the European Union to impede the EU from tabling resolutions against China in the UN Human Rights Committee in Geneva. The dialogue on human rights, which was broken off in the second half of 1996 when China wanted to impose conditions to the resumption of dialogue, will resume without any preconditions.“ European Institute for Asian Studies-Bulletin, October 1997.

  46. Vgl. Margot Schüller, Perspektiven der europäisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen, in: Hans H. Bass/Karl Wohlmuth (Hrsg.), China in der Weltwirtschaft, Hamburg 1996, S. 149-174, bes. S. 166-167.

  47. So profitierte Deutschland 1993 von gespannten Beziehungen seiner europäischen Partner Großbritannien und Frankreich mit China. Vgl. K. Möller (Anm. 18), S. 61-80; zum Problem dieser Form der Außenpolitik im deutschen Fall vgl. Carsten Herrmann-Pillath, Außenpolitik statt Exportförderung. Für eine Neuorientierung der deutschen China-politik, in: Internationale Politik & Gesellschaft, 2 (1996), S. 145-159.

  48. So ließ China gegenüber Dänemark und den Niederlanden ihrer Sanktionspolitik von 1997 eine diplomatische Offensive folgen. Im Januar und Februar 1998 -also noch im Vorfeld der Genfer Konferenz -besuchte der chinesische Ministerpräsident Li Peng die Niederlande, und einer seiner Stellvertreter, Li Lanqing, stattete Dänemark einen Besuch ab. In Amsterdam unterzeichnete Li Peng dabei einen seit Ende der achtziger Jahre verhandelten Vertrag über 8, 1 Mrd. DM mit dem niederländisch-britischen Ölkonzern Shell. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 17. 2. 1998; South China Morning Post vom 14. 2. 1998. Bereits in den Jahren zuvor hat die chinesische Seite eine vehemente Lobbyarbeit im Vorfeld der Genfer Konferenz betrieben, die u. a. Drohungen gegenüber einzelnen Regierungen beinhaltete, so beispielsweise in einem Brief von Li Peng an Helmut Kohl im März 1995. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 12. 3. 1995. Vgl. hierzu ebenfalls die Ausführungen von Sebastian Heilmann, Reform statt Protest, in: Die Erben des gelben Kaisers 1. China: Weltmacht im 21. Jahrhundert. Partner oder Gegner?, Zeit-Punkte, Nr. 3/1997, S. 90-92.

  49. Vgl. EU 98 (Anm. 1), S. 5.

  50. Vgl. die Rede des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Sir Leon Brittan auf der ECAN-Konferenz in London am 2. 2. 1998 (Anm. 30).

  51. Joint Press Statement, EU-China Summit, London, 2. 4. 1998 (Hervorheb. S. E). Ein weiteres Entgegenkommen von Seiten der EU besteht darin, daß die Kommission u. a. auf Druck der chinesischen Außenhandelsministerin Wu Yi dem Rat den Vorschlag gemacht hat, China von der Liste der Nicht-Marktwirtschaften zu streichen. Vgl. Ca, (Feb. 1998), Ü 21, S. 148.

  52. Diese beliefen sich Ende 1997 auf 142, 8 Mrd. US-Dollar (1996: 107 Mrd. US-Dollar). Hinzu kommen die Währungsreserven Hongkongs mit 75, 3 bzw. 63, 8 Mrd. US-Dollar. Vgl. The Economist vom 21. 3. 1998, S. 136.

  53. EU 98 (Anm. 1), S. 20.

  54. Im Oktober 1997 wurden Meldungen bekannt, wonach China erwarte, daß der Euro in seinen Anfangsjahren eine „weiche und instabile Währung“ sein werde. China werde deshalb den Großteil seiner Währungsreserven weiterhin in US-Dollar anlegen. Vgl. James Harding, Foreign Exchange Reserves: Beijing will not convert to , soft euro‘, in: Financial Times vom 13. 10. 1997.

  55. Beispielhaft sei hier auf die Prognose von Fred Bergsten (Direktor des Instituts für Internationale Wirtschaft in Washington) verwiesen. Bergsten geht davon aus, daß sich langfristig ein bipolares Währungssystem entwickeln wird, in dem US-Dollar und Euro global jeweils einen Anteil von 40 % einnehmen werden. Gegenwärtig liegt der Anteil des US-Dollars bei 60 % und der Anteil der DM als zweitwichtigster Währung bei etwa 15 %. Vgl. Fred Bergsten, The Dollar and the EURO, in: Foreign Affairs, 76 (July/Aug. 1997) 4, S. 83-95.

  56. Für frühere Beispiele eines solchen Verhaltens der VR China gegenüber der EG vgl. S. Friedrich (Anm. 21).

Weitere Inhalte

Stefan Friedrich, M. A., geb. 1965; Studium der Sinologie und Politikwissenschaft in Freiburg, Heidelberg, Shanghai und Paris. Promotion an der Universität Heidelberg über die chinesische Perzeption der Europäischen Union; seit Oktober 1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Asienkunde, Redaktion China-Handbuch. Veröffentlichungen u. a.: Neue Konstellationen im Nordwesten. Die VR China und die zentralasiatischen GUS-Republiken, in: China aktuell, (Oktober 1992); China’s Policy vis-ä-vis the European Union. Interests, Context, and Implications for Europe, in: China aktuell, (November 1997); Die Beziehungen Deutschlands zur VR China sowie zu Taiwan, Hongkong und Singapur, in: Carsten Herrmann-Pillath/Michael Lackner, Länderbericht China. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im chinesischen Kulturraum, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998.