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Internet -neue Chancen für die politische Kommunikation? | APuZ 40/1998 | bpb.de

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APuZ 40/1998 Massenkommunikation und individuelle Selbstbestimmung. Zur Entregelung staatlich-technischer Informationsprozesse Internet -neue Chancen für die politische Kommunikation? Die Herausforderungen des Staates in der Informationsgesellschaft Europa und die Informationsgesellschaft: wirtschaftspolitische Herausforderungen und regionalpolitische Chancen

Internet -neue Chancen für die politische Kommunikation?

Otfried Jarren

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob und in welchen Bereichen das Internet Bedeutung für die politische Kommunikation in der modernen Gesellschaft erlangen kann. Im Unterschied zur vielfach verbreiteten Annahme, die Netzkommunikation würde zu einer Form der „Cyber-Demokratie“ führen, wird dies hier bestritten. Eine kommunikationstheoretische Analyse führt u. a. zu den folgenden Erkenntnissen: Die Informationsvermehrung verbessert nicht automatisch politisches Wissen und erst recht nicht das politische Verhalten der Bürger; Netzkommunikation stellt nur eine bestimmte Form von (gruppen-bzw. themenzentrierter) Teil-Öffentlichkeit dar; sie dient vor allem der Binnenkommunikation von politischen Organisationen; der Grad an Interaktivität ist in der Netzkommunikation höher als in der Massenkommunikation, sie setzt jedoch ein aktives Nutzerverhalten voraus, für das es bisher nur wenig empirische Evidenz gibt; „virtuelle Gemeinschaften“ sind aufgrund ihrer sozialen Struktur nur partiell zur Einwirkung auf politische Prozesse in der Lage. Abschließend werden Optionen für einen Einsatz des Internet in der politischen Kommunikation benannt. Dabei wird deutlich, daß Netzkommunikation ohne die Veränderung von Formen der Binnen- bzw. Außenkommunikation politischer Organisationen oder von Verfahrensänderungen kaum sinnvoll eingesetzt werden kann. Allerdings ist das Potential auf der Angebotsseite nicht gering zu schätzen; dies betrifft vor allem eine vielfältigere und prozeßnähere Bereitstellung von Informationen im Zusammenhang mit spezifischen Themen.

Nichts regt die Phantasie der Menschen mehr an als technische Innovationen. Die Debatte um das Internet ist ein aktuelles Lehrstück auch mit Blick auf die politische Kommunikation. So wird behauptet, jetzt könnten die Bürger am politischen Geschehen umfassend(er) teilhaben -das Zeitalter der „Cyber-Demokratie“ sei gekommen. Die Gründe für die hohen Erwartungen an das Internet sind vielfältig: Zum einen gehört es zu den Werbe-und PR-Maßnahmen der Industrie und der Anbieter, die neue Endgeräte und Dienstleistungen verkaufen wollen, Neues zu versprechen. Und die Botschaften sind wohl auch deshalb erfolgreich, weil die Gruppe der Kenner -und der Nutzer -noch recht klein ist.

Zum anderen kommt diese neue Technik wie gerufen: Sie scheint Lösungen für reale gesellschaftliche Probleme zu bieten und auch eine Antwort auf den Modernisierungsbedarf zu sein. Und noch ein dritter Faktor ist für die Internet-Euphorie relevant: Wir können die sozial bekannten und vertrauten Formen der unvermittelten Kommunikation auf diese neue Technik scheinbar übertragen. Neue technische Möglichkeiten sollen uns eben sozial-kommunikativ dienlich sein, und da kommt nun eine Technik, die das alles verspricht. Doch was vermag die Netzkommunikation in der politischen Kommunikation zu leisten?

I. Neue Technologien -und (immer wieder) neue Hoffnungen

Wer die aktuelle Diskussion über das Internet verstehen will, muß andere, frühere Debatten im Zusammenhang mit technischen Neuerungen betrachten. Sie machen deutlich: Derartige Diskussionen sind keineswegs neu, finden gleichsam immer mit dem Aufkommen von neuen Technologien statt, haben ihre eigenen Propheten, wenngleich sich die Gruppen der Beteiligten ändern. 1. „Computer“ -und „Kabel-Demokratie“?

Mit dem Aufkommen der Computer setzte eine heute nur noch schwer nachvollziehbare Euphorie ein: Dank des Computers könne man besser, zuverlässiger und ressourcenschonender planen; politische Prozesse würden optimiert und Entscheidungen gerechter, weil sie jetzt auf solider Datenbasis getroffen werden könnten. Dank des Computers werde sich das Verhältnis zwischen Bürger und Staat grundlegend wandeln, weil der Bürger dann Zugriff auf weit mehr Informationen habe. Er sei besser informiert und könne sich qualifizierter beteiligen

In den achtziger Jahren wurde dann über die „Kabeldemokratie“ diskutiert. Es hieß, die Kabelkommunikation würde auch die politische Kommunikation verändern: Zwei-Weg-Kabelfernsehsysteme mit Rückkanälen würden mehr Auswahlmöglichkeiten, eine Individualisierung in der Informationsbeschaffung, ein mehr an Interaktion und Dialog sowie mehr lokale Informationsangebote, die partizipationsrelevant seien, ermöglichen Heute wird darüber nicht mehr ernsthaft reflektiert. Einmal abgesehen von Programmen und Programmqualitäten in der neu entstandenen „dualen Rundfunkordnung“: Die Medienforschung zeigt, daß schon bei 30 empfangbaren Fernsehkanälen nicht einmal die Hälfte davon in einer Durchschnittswoche genutzt wird. Es ist bisher vor allem wenig empirisch festzustellen hinsichtlich ausgeprägter Auswahl-und Aktivitätsinteressen auf Seiten des Publikums. Gleiches gilt für den Hörfunk, denn trotz erheblicher Auswahlmöglichkeiten und mehr Komfort (wie Stationstasten) werden täglich nur sehr wenige Sender gehört Welche Wirkungen und Auswirkungen dieses Mehrange-bot für die politische Kommunikation hat, darüber wird wissenschaftlich anhaltend -und strittig -debattiert Unstrittig hingegen ist, daß ein Mehr an Informationsanbietern und -angeboten nicht gleichsam automatisch die Informationsbasis und das Wissen auf Seiten der Bürger verbessert 2. „Cyber-Demokratie“?

Zweifellos stehen mit dem Netz neue technische Möglichkeiten zur Verfügung, die die herkömmliche Massenkommunikation zumindest partiell ergänzen. Wesentliche Merkmale des Internets und der Netzkommunikation sind -ein im Vergleich zur herkömmlichen Massen-kommunikation höherer Grad an Auswahlmöglichkeiten („Interaktivität“); -die Möglichkeiten zur Verknüpfung von Text, Bild und Ton („Multimedialität“);

-ein hoher Grad an Individualisierung und Adressierbarkeit in der Kommunikation durch Möglichkeiten der asynchronen Kommunikation und durch ein höheres Maß an Selektivität sowie -ein geringerer Grad an Organisation auf Seiten der Anbieter („Kommunikatoren“).

Netzkommunikation unterscheidet sich vor allem in technischer Hinsicht, aber weniger in der sozialen Perspektive von der Massenkommunikation. Das Potential der Netzkommunikation kann nicht isoliert vom gesamten Medienensemble betrachtet werden. Es sind vier soziale Faktoren, die der Netzkommunikation Grenzen setzen:

Zeitbudget: Das tagtäglich für Mediennutzung zur Verfügung stehende Zeitbudget ist begrenzt. In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr Medien-angebote hinzugekommen, ohne daß sich jedoch die Zuwendungszeit stark verändert hätte. Eine erhebliche Steigerung ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist: Die Rezipienten werden die gleiche -oder leicht angestiegene Zeit -auf verschiedene Medien und auf immer mehr Anbieter und Angebote verteilen müssen. Wieviel Zeit wird für das Netz erübrigt

Finanzierung: Alles, was angeboten wird, kostet Geld und muß bezahlt werden -entweder durch Anbieter, die Werbung oder die Rezipienten. Alle drei Finanziers haben bekanntlich Grenzen, selbst dann, wenn die Budgets noch gesteigert werden können. Bei immer mehr Anbietern und Angeboten im gesamten Medienbereich wird es also zu Umverteilungen kommen. Vor dem Hintergrund stagnierender Budgets der Privathaushalte wird es für die -doch recht teure -Netzkommunikation nicht einfach werden. Sie wird so schnell nicht zur „Jedermann-Kommunikation“.

Inhalte: Eines ist und bleibt knapp: die Inhalte. Qualitativ hinreichende Angebote, für die die Nutzer bereit sind zu zahlen, sind und bleiben ein knappes Gut. Selbst professionelle Anbieter können sich derzeit nicht refinanzieren. Und: Wer kann und wird im Netz, neben einzelnen Organisationen, eigentlich politische Angebote machen -und wer wird für diese bezahlen?

Nutzeraktivitäten: Daß die Rezipienten ständig selbst aktiv auf die Suche nach den besten Informationen gehen, das ist eher unwahrscheinlich, zumindest bislang nicht durchgängig soziale Praxis. Die knappen Ressourcen zwingen in Alltagssituationen zu aktivitätsmindernden Routinen. Es bedarf also der Anbieter, erkennbarer Angebots-strukturen sowie technischer und sozialer Unterstützungen, wenn unter Alltagsbedingungen die Möglichkeiten der Netzkommunikation kontinuierlich genutzt werden sollen.

Die Erwartungen hinsichtlich der Entstehung einer „Cyber-Demokratie“ mit besser informierten und politisch aktiven Bürgern müssen vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen eher skeptisch beurteilt werden Das Potential der Netzkommunikation wird zu eindimensional technisch betrachtet, soziale Faktoren werden zu wenig berücksichtigt Und das Potential nimmt auch dann nicht zu, wenn es mehr Angebote gibt oder wenn mehr Menschen das Netz nutzen. Im Gegenteil: Damit wird die Notwendigkeit zur Schaffung von Organisationen zur Selektion und Aufbereitung, ähnlich wie in der Massenkommunikation, an Bedeutung gewinnen.

II. Öffentlichkeit und politische Kommunikation -virtuell?

„Cyber-Demokratie“, die ein virtuelles politisches System annimmt, mag denkbar sein, ist aber sozial unwahrscheinlich. Politik ist in der demokratischen Gesellschaft kein beliebiges System, sondern es ist zum einen fester Bestandteil der sozialen Ordnung Zur gesellschaftlich-staatlichen Ordnung in einem demokratischen System gehört, daß diese gewisse Formen von Sichtbarkeit aufweist: Es gibt Kanzler und Kanzlerkandidaten, es existieren politische Gebäude, es gibt Staatsempfänge, es gibt Föderalismus, es gibt parlamentarischen Streit -und es gibt Wahlsonntage. Das alles ist nicht beliebig, nicht zufällig, und eben auch nicht einfach abzuschaffen, ja nicht einmal ganz einfach zu optimieren. Der materielle Preis für den Föderalismus, der sich in jeder Hinsicht unwirtschaftliche kleine Bundesländer wie Bremen oder das Saarland erlaubt, ist zweifellos hoch -doch was bringen größere politische Einheiten für die deutsche Demokratie? Ist es vorstellbar, daß allein aufgrund der hohen Reisekosten, die der Föderalismus Jahr für Jahr verschlingt, alle Aktivitäten per Telefonkonferenzschaltungen und per Netzkommunikation erledigt werden? Die Antwort wäre gewiß: Das machen wir alles auch, zusätzlich eben. Politisches Handeln kann man nicht gleichsam auf Telekommunikation reduzieren, weil politisches Agieren an realen Orten stattfindet und weil dieses Handeln an Akteure sowie an Regeln gebunden ist -sei es im Parlament, sei es im Vermittlungsausschuß oder sei es bei einer Ministerpräsidentenkonferenz am Kamin.

Als Bürger aus dem Parlament leidenschaftlichen Streit zu erfahren, Kanzler und Kandidaten im Disput zu erleben, sich auf den Wahlakt frühmorgens gemeinsam mit dem Partner oder am späten Nachmittag nach der letzten Debatte mit den Kindern vorzubereiten -auch das ist sozial, sachlich und zeitlich an die soziale Ordnung gebunden. Derartige Prozesse sind -wenn auch nicht immer und auch nicht immer für alle -von emotionaler Bedeutung für eine demokratische Gesellschaft. Und unabhängig von einzelnen und ihrem Verhalten sind derartige Vorgänge für das politische System schlechthin konstitutiv: Die politische Ordnung wird durch öffentliches Handeln sichtbar und erfährt u. a. darin ihre Legitimation.

Zum anderen ist Politik die anerkannte gesellschaftliche Problemlösungsinstanz, die verbindliche Entscheidungen für alle fällt. Politik wirkt in zentraler Weise auf die Gestaltung der sozialen Ordnung ein, und sie tut dies, weil sie normativ und faktisch von den Gesellschaftsmitgliedern dazu den Auftrag hat. Die Herstellung allgemein verbindlicher Entscheidungen als Kernaufgabe von Politik vollzieht sich öffentlich, muß sich öffentlich vollziehen, weil nur so die nötige Zustimmung erzielt werden kann. Insoweit kennt Politik durchaus Gruppen, für die sie Entscheidungen trifft oder gegen deren Interessen sie handelt, aber sie hat keine eigentliche Zielgruppe, weil sie niemanden aus der Politik -gleichsam wie vom Konsum eines Produktes -ausschließen kann. Deshalb sind die allgemein zugänglichen Massenmedien für die Politik wie für die Bürger gleichermaßen von zentraler Bedeutung. Das, was in informatorischer Hinsicht nicht allen potentiell verfügbar ist, hat in der politischen Kommunikation eben eine andere Qualität

In der modernen Massengesellschaft ist die Politik vor allem auf die Erreichung des allgemeinen Mediensystems angewiesen, weil nur die Massenmedien für kontinuierliche politische Kommunikationszusammenhänge sorgen. Und nur kontinuierliche und für alle Bürger nachvollziehbare Kommunikationszusammenhänge auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, wie sie die Massenmedien durch spezifische Selektionsentscheidungen realisieren und durch ihren normativen Anspruch als Vermittler und Faktor in der politischen Kommunikation eben auch repräsentieren, bilden die Voraussetzungen für politische Öffentlichkeit. Auf die allgemeine politische Öffentlichkeit sind politische Akteure und Institutionen angewiesen, weil ihre Informationsangebote erst in dieser -gleichsam neutralisierten Angebotsform -für den Bür-ger Relevanz erlangen. Das ist der Grund, weshalb Parteizeitungen, politische Veranstaltungen oder Zielgruppenmedien -und auch die Netzkommunikation -allenfalls als Teilbereiche in der politischen Kommunikation angesehen werden können: In allgemein öffentlicher Hinsicht sind sie nur partiell von Bedeutung. Es geht dabei nicht allein darum, daß man mit bestimmten Medien immer nur Teile der Gesellschaft zu erreichen vermag, sondern wesentlicher darum, daß die genannten Vermittlungsebenen nicht mit den Strukturen ausgestattet sind, die wir mit der Vorstellung von allgemeiner Öffentlichkeit verbinden.

Das politische System ist darauf angewiesen und bestrebt, die bindende Wirkung von Entscheidungen mit Hilfe kommunikativer Aktivitäten, mittels politischer Kommunikation, zu sichern beziehungsweise zu steigern. Dies erfordert, ein Maximum an Öffentlichkeit -und somit ein Maximum des Stimmbürgerpotentials -zu erreichen. Politische Akteure versuchen deshalb Aufmerksamkeit in der Massenkommunikation zu erzielen und so Anschlußkommunikation zu ermöglichen. Politische Kommunikation kann nicht allein bezogen auf Problemlösungen betrachtet werden: Auch jene, die einer konkreten Problemlösung dient, knüpft zugleich an die politische Ordnung an. Politische Kommunikation ist eben nicht nur ein Teil von Politik, sondern sie ist Politik. Sie ist ist der zentrale Mechanismus bei der Herstellung. Durchsetzung und Begründung von Politik Und für die Politik gilt generell die Orientierung an der allgemeinen Öffentlichkeit, auch wenn einzelne politische Maßnahmen oder einzelne politische Informations-und Kommunikationsprozesse gleichsam auf Zielgruppen hin ausgelegt sind.

Es sind also sehr unterschiedliche Faktoren die sowohl in normativer wie auch in faktischer Hinsicht politische Kommunikation prägen und die zu bestimmten Formen führen: Allein eine Veränderung im Bereich der Medien -also im Bereich der Vermittlungsmöglichkeiten -setzt nicht die genannten Bedingungen im Bereich des politischen Systems außer Kraft.

III. Grenzen der politischen Kommunikation im Netz

1. Das Internet und die politischen Informationen Den meisten Vorstellungen vom Internet liegt -bezogen auf Informationen -eine naive, technische Transport-Metapher zugrunde, wie sie in den ersten Modellen der Massenkommunikation vorherrschte: Mittels technischer Möglichkeiten (Medien) werden Informationen von einem Sender zu einem Empfänger transportiert. Die mit dem Internet verbundenen Vorstellungen von Information ignorieren vielfach theoretische Erkenntnisse und soziale Prämissen. Informationsund Kommunikationsprozesse sind keine Transportvorgänge im Sinne einer Datenübertragung, die sich wesentlich durch mehr und bessere Kanäle oder durch ein größeres Angebot optimieren lassen, sondern sie sind aus der Perspektive der Menschen höchst eigenständige Aneignungsprozesse. Informationen bestehen nicht nur aus Daten, sondern sie gewichten diese, machen Unterschiede deutlich. Was einen Unterschied macht, wird zwar individuell, aber zugleich in sozialen Kontexten bestimmt. Daten mag es immer mehr geben -Informationen aber, die für das soziale Leben einen Unterschied machen und damit bedeutsam werden könnten, sind relevant.

Informationen sind gebunden an Menschen und an soziale Kontexte. Gewohnheit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind in diesem Zusammenhang zentrale Begriffe. Die Bereitschaft, sich überhaupt mit einem Angebot auseinanderzusetzen, basiert in der Regel auf bestimmten sozialen (Vor-) Erfahrungen und auf Erwartungen; diese stehen im Zusammenhang mit sozialen Bedingungen. So ist es nicht verwunderlich, daß z. B. Onlineangebote von anerkannten Qualitätszeitungen Berücksichtigung finden, Angebote von Neuanbietern hingegen selten.

Im Zusammenhang mit dem Internet wird des öfteren darauf hingewiesen, daß jeder zum Informationsanbieter werden könne. Jeder könne Informationen bereitstellen und an einzelne oder sogar an unbegrenzte viele verbreiten. Je mehr Transportkanäle, Anbieter und Nutzungsmöglichkeiten, so die Annahme, desto spezifischer könne man Informationen anbieten und desto besser sei das auch für den Empfänger: Er hat mehr Angebote zur Verfügung, kann besser auswählen, sich weitergehender informieren. Dank Internet, so heißt es, verbessern sich die Informationsmöglichkeiten für alle. Damit wird zugleich unterstellt, daß ein Mehr an Information zu einem besseren politischen Informationsstand und sodann auch zu einem Mehr an politischer Aktivität beiträgt. Ein größeres Angebot führt jedoch, wie die Forschung zeigt, nicht zu einem kollektiv besseren Wissensstand ob dies für das politische Verhalten relevant ist, bleibt abzuwarten Von einer Informationsvervielfältigung allein geht jedenfalls keine demokratisierende Wirkung aus. Zunächst einmal hat das größere Angebot zu einem massiven Ausbau an PR-Angeboten geführt.

Aufgrund der Angebotsstruktur wird nicht unbegründet von „Informationsbelastung 4'und von der großen Beliebigkeit im Netz gesprochen. Es existieren nicht umsonst Suchmaschinen und vermehrt organisierende Anbieter im Netz. Suchmaschinen sollen nach dem Ausschau halten, was Nutzer suchen. Sind solche Stellen einmal gefunden, kann man diese Angebote zum „Favoriten“ machen, um nicht immer wieder selber im Netz danach suchen zu müssen. Besser wird das Ganze aber erst, wenn „Kommunikatoren“ konkrete Angebote machen: An sie werden Vor-Auswahl-Aufgaben delegiert, d. h., sie machen ein Angebot, aus dem dann selektiv gewählt wird. So suchen Nutzer ein Angebot, bei dem z. B. politische Positionen miteinander verglichen werden können. Das leistet in der Regel aber nicht der einzelne Anbieter, sondern eher ein allgemeiner Anbieter. Doch: Wer könnte das im Bereich der politischen Kommunikation sein? Politische Konkurrenz und normative Verpflichtungen setzen den politischen Akteuren hier Grenzen.

Dennoch: Mit dem Netz besteht die Möglichkeit, Originaldokumente von politischen Organisationen zu beschaffen, also gleichsam zu den Quellen zu gehen Diese Möglichkeit zur erweiterten Bereitstellung wie zur gezielten Beschaffung von Informationen stellt eine neue Qualität dar, die wohl aber vor allem von Organisationsmitgliedern -das Netz dient damit vor allem der Verbesserung der organisationsinternen Information und Kommunikation -und Angehörigen anderer Organisationen genutzt werden dürfte.

Damit bietet das Netz die Möglichkeit, gleichsam in sozial-räumlicher Hinsicht kleinteiligere und -bezogen auf einzelne politische Prozesse -differenziertere Informationen bereitzustellen und damit Planungs-und Entscheidungsprozesse zu organisieren. Hier liegen durchaus Chancen für Kommunal-oder Landesverwaltungen, aber auch für politische Parteien und andere intermediäre Organisationen, doch bedarf es dazu neuer Formen der politischen Partizipation generell. So müßten sich Verwaltungen mit einzelnen Personen und deren Argumenten befassen sowie politische Parteiorganisationen sich zur Mitwirkung von einzelnen oder Gruppen öffnen. Neue Formen, die dann technisch gestützt betrieben werden, sind also vorstellbar. Doch hat dies soziale Veränderungen innerhalb von Organisationen zur Voraussetzung: Wie sollen beispielsweise Mitwirkungs-und Mitbestimmungsregeln gefaßt werden? Wer bearbeitet Bürgeranfragen, und wie werden sie in die politische bzw.organisatorische Arbeit nachvollziehbar eingespeist? 2. Das Internet und die politische Kommunikation Information und Kommunikation sind keine trivialen Datenübertragungsprozesse. Menschen operieren -im Unterschied zu Computern -nicht mit bloßen Daten, sondern mit Informationen. Menschen machen Erfahrungen, haben eine eigene Geschichte, sie lernen und können damit ihre Verhaltensweisen und auch ihre Rollen ändern. Der Eindruck von der Ähnlichkeit bei der Rezeption wird erst erklärlich, wenn wir unsere ähnliche anthropologische Grundausstattung und unser soziales Zusammenleben -soziales Lernen, gemeinsame Geschichte, interpersonale Kommunikation -berücksichtigen. Wir sind damit aber keineswegs gleich, und wir suchen auch nicht alle (immer) die gleichen Fakten, doch bewegen wir uns immer wieder in ähnlichen sozialen Bahnen -zumindest mit den anderen, die in sozialer Hinsicht uns ähnlich sind. Wir suchen Spezielles, aber im Rahmen uns bekannter sozialer Umfelder.

Der Prozeß der Informationsrezeption ist also zugleich immer ein individueller und -durch Rollenübernahme -ein sozialer. Im Vordergrund des Kommunikationsprozesses stehen damit nicht irgendwelche (externen) Daten, sondern es wird intentional, bezogen auf Bedürfnisse und soziale Vorstellungen, gehandelt. Kommunikation ist soziales Handeln, indem auf sozialen Erfahrungen aufgebaut wird. Menschen wollen, wenn sie kommunizieren, real oder symbolisch Gemeinschaft herstellen und streben nach Verständigung. Aus diesem Grund setzen wir unseren eigenen Individualisierungsbestrebungen Grenzen: Wir müssen wissen, was andere denken und meinen, um uns darauf einstellen zu können. Wir verhalten uns dazu nicht beliebig, sondern orientieren uns zunächst an jenen Organisationen, von denen wir zuverlässig relevante Mitteilungen erwarten können -den Massenmedien.

Das macht deutlich, daß gerade auch in der politischen Kommunikation, in der es ja um die Herstellung allgemeinverbindlicher Entscheidungen bezüglich der gemeinsamen sozialen Ordnung geht, hohe Anforderungen an diese Prozesse und an die beteiligten Akteure gestellt werden -von allen Beteiligten. Politik greift in die soziale Ordnung ein, sie reduziert soziale Beliebigkeit oder gewährt soziale Möglichkeiten, und sie ist dafür auf die Unterstützung zumindest von Teilen der Gesellschaft angewiesen. Generell bedarf Politik für jegliches Handeln der Legitimität. Sie kann sich nicht auf beliebige Prozesse mit unbekannten Beteiligten einlassen; es würde von den Beteiligten auch nicht hingenommen, wenn sie es täte. 3. Das Internet und die politische Interaktion Der Begriff Interaktivität ist -nicht zuletzt aufgrund der Marketingaktivitäten rund um das Netz -zu einem problematischen Schlüsselbegriff geworden. Ihm droht die Banalisierung, zumal dann, wenn erfahren wird, was denn wirklich technisch interaktiv möglich ist: Es ist weniger als vielfach erwartet Das Kernproblem beim Interaktivitätsverständnis ist, daß sowohl der Mensch wie auch die Maschine oftmals in den gleichen Aktivitäts-bzw. Akteursstatus versetzt werden. Dieser Vorstellung liegt ein elementares Mißverständnis zugrunde: Soziale Wesen interagieren, Maschinen tun dies nicht. Interaktion gehört zu den Kern-begriffen unserer sozialen Welt und damit zum menschlichen Verhalten. Interaktion unterscheidet sich vom bloßen Verhalten dadurch, daß eine Handlung sich aus subjektiv gemeintem Sinn, Handlungsmotiv und Handlungserwartung zusam-mensetzt. Interaktionen sind nicht technisch induziert, sondern sozial motiviert; Interaktion zielt auf Sinnerfüllung.

Nicht Daten, sondern signifikante Symbole bestimmen den Interaktions-und somit auch den Kommunikationsprozeß. Kommunikation mit dem Ziel der Verständigung ist nur möglich, wenn sich die Kommunikationspartner wechselseitig die Unterschiedlichkeit ihrer Perspektiven verdeutlichen Zu diesem Zweck interagieren sie. Erst durch dieses Bemühen kann die nötige Intersubjektivität erreicht werden.

Politische Kommunikation -ob sie nun auf die Formulierung von Interessen, deren Aggregation oder auf die Durchsetzung politischer Programme zielt -ist elementar auf reale soziale Interaktionen angewiesen. Wir finden diese Formen sowohl in der Kommunalpolitik wie auch in der internationalen Politik, zweifellos in unterschiedlicher Weise und durch unterschiedliche technische Mittel gestützt. Da politisches Handeln dem Anspruch nach immer öffentliches Handeln ist, kann sich auch politische Kommunikation immer nur in bestimmten Prozeßelementen nichtöffentlich oder in Teilöffentlichkeiten vollziehen. Sie vollzieht sich aber immer in Form von realen sozialen Interaktionen in bestimmten -bezogen auf Entscheidungen zumeist in vorab bestimmten -Räumen. 4. Das Internet und die „virtuellen Gemeinschaften“

Das Internet ermögliche „virtuelle“ oder „elektronische Gemeinschaften“, ist in vielen Beiträgen über die Netzkommunikation zu lesen. Das hört sich gut an, denn das ist es ja, was vielfach in der modernen Gesellschaft vermißt wird, nämlich Gemeinschaft und Zusammenhalt. Das, was aufgrund von Globalisierungs-und Modernisierungstendenzen als bedroht angesehen wird, das soll fortan die Netzkommunikation leisten oder gar kompensieren? Virtuelle Integration statt realer sozial-räumlicher Integration?

Zweifellos kann durch einen anhaltenden Austausch ein soziales Geflecht entstehen, können sich virtuell Gemeinschaften herausbilden. Aber eine virtuelle Gemeinschaft entsteht nur dann, wenn die Beteiligten über einen gemeinsam geteilten kulturellen Code verfügen und wenn sie sich themenzentriert zusammenfinden. Auch virtuelle Gemein-schäften bedürfen also einiger Gemeinsamkeiten, um zueinander zu finden und beieinander zu bleiben: Sie müssen über einen gemeinsamen kulturellen Code verfügen, sie müssen ein Thema haben und für ihre Diskussion gemeinsame Regeln (prozedurale Regeln) entwickeln. Das sind durchaus hohe soziale Voraussetzungen, die diesen Gemeinschaften -lokal wie auch global -Grenzen setzen (interkulturelle Formen, Zahl der Beteiligten).

Für die politische Kommunikation sind zwei Dinge bedeutsam: zum einen die Tatsache, daß sich in der Netzkommunikation Gruppen aufgrund einer themenzentrierten Kommunikation bilden; zum anderen ist relevant, daß diese Gruppen sozial-räumlich nicht mit den politischen Gliederungsprinzipien übereinstimmen. -Zur Themenzentrierung'. Wenn innerhalb von Netzgruppen vor allem eine themenzentrierte Kommunikation möglich ist, so wird sich dort bestenfalls eine Art von Fachöffentlichkeit unterhalb der allgemeinen Medienöffentlichkeit ausbilden. Damit könnten themenzentriert agierende politische Organisationen, also beispielsweise Bürgerinitiativen oder Verbände, entstehen. Da virtuellen Gemeinschaften in aller Regel ein gemeinsamer biographischer und/oder sozial-räumlicher Zusammenhang fehlt -von affektiven Komponenten einmal ganz abgesehen sind diese sozialen Gebilde höchst fragil Ob sich dauerhaft auf diese Weise politische Organisationen -als rein virtuelle Organisationen -herauszubilden vermögen und welchen Stellenwert sie in der politischen Kommunikation erlangen können, das bleibt abzuwarten. -Zum sozial-räumlichen Faktor: Die Internet-oder Online-Kommunikationsformen decken sich nur zum Teil mit den (territorialen) Handlungsund Entscheidungsräumen von Politik, so daß die virtuellen Einheiten auch nur partiell auf die institutionelle Politik einzuwirken vermögen.

Virtuelle Gemeinschaften mögen sich vielleicht selbst beschreiben können, sie können aber von Außenstehenden zumeist nicht erkannt und beschrieben werden. Soziale Gemeinschaften müssen aber, wenn sie politisch relevant sein wollen, erkennbar sein. Sie müssen aus der Anonymität heraustreten und in gewisser Weise Kontinuität und Verbindlichkeit garantieren So entstehen im besten Fall durch die Themenzentrierung Teilöffentlichkeiten, die jedoch zumeist mit anderen Teilöffentlichkeiten nicht in Verbindung stehen und von der allgemeinen Medienöffentlichkeit nicht beachtet werden müssen.

Das alles macht auf eine Besonderheit von elektronischen Gemeinschaften aufmerksam: Nicht Mitglieder konstituieren eine elektronische Gemeinschaft, sondern die anhaltende, regelbasierte Kommunikation. Virtuelle politische Gemeinschaften entsprechen im wesentlichen Gruppen der Neuen Sozialen Bewegung Unter bestimmten Voraussetzungen können sie politische Interessen formulieren und in den politischen Prozeß einbringen. Sie agieren aber eben nicht dauerhaft wie andere politische Organisationen, und sie sind auf anhaltende Kommunikation -allein zur Selbstverständigung -angewiesen.

Organisationen, die vor allem aus und durch Kommunikation „existieren“, sind sehr empfindlich, leicht zu stören oder zu zerstören -zumal dann, wenn diese Kommunikation fortlaufend unter Nichtanwesenden geführt wird. Und für Netzgruppen kommt als besonderes Erschwernis hinzu, daß sie den „Sprung aus dem Netz“ in die soziale Realität schaffen müssen, wenn sie auf politische Prozesse Einfluß nehmen wollen. Das Netz wird jenen dienlich sein, die sich bereits sozial zusammengefunden haben, um politische Interessen zu formulieren und durchzusetzen. Das Netz bietet vor allem Organisationen der Neuen Sozialen Bewegungen vielfältige neue und verbesserte Informations-und Organisationsmöglichkeiten, vor allem zur Binnenkommunikation.

Virtuelle Gemeinschaften als rein virtuelle Veranstaltung sind also keine sozialen Gemeinschaften: Sie können es bestenfalls auf Zeit sein und bleiben vielfach wohl nur eine Illusion von Gemeinschaft. Andererseits kann durch netzbezogene Kommunikation die interpersonale wie auch die Gruppen-und Organisationskommunikation verbessert werden. Das bedeutet jedoch, daß bestehende sozialeStrukturen die Basis für die Entwicklung technisch gestützter Formen bilden. So sind in der Tat virtuelle Orts-oder Kreisverbände oder virtuell organisierte Fachgruppen innerhalb politischer Parteien denkbar. Gerade dort, wo es um die Bearbeitung von konkreten Problemen und um die themenzentrierte Kommunikation geht, bietet die Netzkommunikation erhebliches Potential.

IV. Zum Potential des Netzes in der politischen Kommunikation

Die Möglichkeit zur Ausbildung einer allgemein anerkannten politischen Öffentlichkeit sowie die Formen der politischen Kommunikation im Netz sind, wie dargestellt, eher beschränkt Durch Netzkommunikation besteht allerdings die Möglichkeit, daß politische Informationen vielfältiger bereitgestellt und problem-bzw. prozeßnäher angeboten werden, ferner, daß themenzentrierte sowie binnenkommunikative Prozesse innerhalb wie auch zwischen politischen Organisationen verbessert werden können

Die Möglichkeiten des Netzes für die politische Kommunikation sind damit im hohen Maße von Veränderungen bei politischen Organisationen sowie der Entwicklung von Modellen für unterschiedliche politische Prozesse abhängig

Zusammenfassend seien hier die wichtigsten Ergebnisse genannt: -Netzkommunikation erlaubt -auch kleineren Gruppen -vielfältige Formen der Selbstdarstellung und der Bereitstellung von Dokumenten im Kontext von Kommunikationsprozessen -Netzkommunikation stellt grundsätzlich keine neue Form innerhalb der politischen Kommunikation dar: Sie realisiert Individual-, Gruppen-und themenzentrierte Kommunikation. Sie ermöglicht allerdings auf den beiden Öffentlichkeitsebenen unterhalb der Massenmedien („Straßen“ -und Themenöffentlichkeit) neue Formen der zeitlich-räumlichen Verknüpfung. Für die politische Öffentlichkeit bleiben die allgemeinen Massenmedien von zentraler Bedeutung. -Die Netzkommunikation dient vor allem der Herausbildung und der nötigen Selbstverständigung von politischen Gruppen (Binnenkommunikation). Sie kann damit einen Beitrag dazu leisten, daß in unterschiedlichen Foren darüber kommuniziert wird, was man unter Politik verstehen will. Diese Kommunikation kann die themenzentrierte politische Kommunikation jenseits der herkömmlichen politischen Organisationen befördern, zumal dann, wenn zwischen den Kommunikationskreisen Verbindungen -im Sinne von links -geschaffen werden. -Das Netz dürfte vor allem und zuerst von den bestehenden politischen Organisationen, so von Parteien in Wahlkämpfen und Kampagnen, genutzt werden. Das Netz dient insbesondere der Binnenkommunikation; es kann die Organisationskommunikation verbessern und nachhaltig erweitern, etwa durch die Beteiligung von Nicht-Mitgliedern oder die Einbeziehung von Sachverständigen. -Das Netz kann jedoch auch für politische Prozesse genutzt werden: Zum einen können durch die gezielte Bereitstellung von Informationen Willensbildungs-und Entscheidungsprozesse transparenter gestaltet werden; zum anderen können in den verschiedenen Prozeßelementen unterschiedliche Formen der Beteiligung (direktdemokratische Verfahren) ermöglicht werden. Ersteres setzt die Bereitschaft politischer Organisationen zu derartigen Verfahren voraus. Und letzteres erfordert neue rechtliche Regeln vor allem für das Verwaltungshandeln. So könnte im Sinne von „Vernehmlassungsverfahren“, wie sie in der Schweiz üblich sind, für mehr Mitwirkung und mehr Transparenz gesorgt werden.

-Gerade in der Ergänzung herkömmlicher politischer Verfahren, vor allem aber in Meinungs-wie Willensbildungsprozessen bei den intermediären Organisationen könnte die Netzkommunikation gezielt genutzt werden. Das bedeutet jedoch, daß die intermediären Organisationen Verbindungen zu anderen politischen Foren entwickeln müssen. Themenzentrierte politische Kommunikation kanndurchaus für die Ausgestaltung und für den Verlauf von politischen Prozessen (Planungsprozesse, Partizipationsformen etc.) Relevanz erlangen, aber im wesentlichen nur in dem Maß, wie politische Organisationen dies ermöglichen -Ob es aufgrund von themenzentrierten Kommunikationsprozessen im Netz -gleichsam als deren Folge -zur Bildung von politischen Organisationen im herkömmlichen Sinne kommt, ist zweifelhaft: Netzorganisationen müßten auch als soziale Organisationen sozial-räumlich (also in den politischen Handlungs-und Entscheidungsräumen) präsent sein. Nun erfolgt aber die Bildung von „virtuellen Gemeinschaften“ -im Unterschied zu herkömmlichen sozialen Organisationen -nicht vorrangig nach territorialen Prinzipien. Die mangelnde Übereinstimmung von politischen Entscheidungsräumen und (Internet-) Kommunikationsräumen ist nicht zuletzt auch aus demokratie-theoretischen Gründen heraus ein Problem.

Betrachten wir den Policy-Zyklus, also die einzelnen Elemente des politischen Prozesses, so ist die Netzkommunikation wie auch die allgemeine Massenkommunikation vor allem für die Phasen der Problemartikulation und -partiell -auch für die Politikformulierung relevant. An allen weiteren Prozeßelementen wirken vor allem die Akteure der Interessenaggregation mit (insbesondere die politischen Parteien). Sie haben es in der repräsentativ verfaßten Demokratie gleichsam in der Hand, ob und wann sie weitere individuelle oder kollektive Akteure kommunikativ an politischen Prozessen beteiligen.

Das Potential der Netzkommunikation ist, das dürfte deutlich geworden sein, dann beachtlich, wenn herkömmliche Organisationsweisen verändert werden. Hier, in der Organisationsreform und in der Änderung der sozialen Praxis, liegt die eigentliche Herausforderung, wenn mittels der Netzkommunikation Innovationen in der politischen Kommunikation realisiert werden sollen

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. dazu die zusammenfassende Studie von Paul Kevenhörster, Politik im elektronischen Zeitalter, Baden-Baden 1984.

  2. Vgl. dazu die Analyse bei Hans J. Kleinsteuber, Der Mythos vom Rückkanal I, in: Medium, 24 (1994) 4, S. 59-62, sowie ders.. Der Mythos vom Rückkanal II, in: Medium, 25 (1995) 1, S. 18-24.

  3. Vgl. Klaus Schönbach, Das hyperaktive Publikum -Essay über eine Illusion, in: Publizistik, 42 (1997) 3, S. 279-286.

  4. Vgl. dazu aktuell Hans Mathias Kepplinger, Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft, Freiburg -München 1998.

  5. Vgl. Winfried Schulz, Neue Medien -Chancen und Risiken, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42/97, S. 3-12, sowie mit empirischen Daten Michael Jäckel, Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft? Informationsverhalten und die Folgen der Informationskonkurrenz, in: ders. /Peter Winterhoff (Hrsg.), Politik und Medien, Berlin 1994, S. 11-33.

  6. Vgl. die empirischen Befunde und Hinweise auf weitere Studien: Birgit van Eimeren u. a., ARD-Online-Studie 1997:

  7. So auch, unter Hinweis auf die Internet-Debatte, Giaco Schiesser, Das Paradies liegt westwärts!, in: Rene Pfammatter (Hrsg.), MultiMediaMania, Konstanz 1998, S. 267-278. Vgl. dazu ferner die Beiträge in: Klaus Beck/Gerhard Vowe (Hrsg.), Computernetze -ein Medium öffentlicher Kommunikation?, Berlin 1997.

  8. Vgl. die kommunikationstheoretischen Hinweise bei Roland Burkart/Walter Homberg, Massenkommunikation und Publizistik, in: Hermann Fünfgeld/Claudia Mast (Hrsg.), Massenkommunikation, Opladen 1997, S. 71-88, sowie Friedrich Krotz, Elektronisch mediatisierte Kommunikation, in: Rundfunk und Fernsehen, 43 (1995) 4, S. 445-462. Zum Aspekt Interaktivität vgl. Lutz Goertz, Wie interaktiv sind Medien?, in: Rundfunk und Fernsehen, 43 (1995) 4, S. 477493.

  9. Unter Hinweis auf die publizistische Ordnung vgl. Manfred Rühl, Von fantastischen Medien und publizistischer Medialisierung, in: Beatrice Dernbach/Manfred Rühl/Anna Maria Theis-Berglmair (Hrsg.), Publizistik im vernetzten Zeitalter, Opladen 1998, S. 95-108.

  10. So auch Theodor Zipfel, Online-Medien und politische Kommunikation im demokratischen System, in: Lutz M. Hagen (Hrsg.), Online-Medien als Quellen politischer Informationen, Opladen 1998, S. 20-53.

  11. Vgl. dazu Otfried Jarren/Ulrich Sarcinelli/Ulrich Saxer (Hrsg.), Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil, Opladen 1998.

  12. Auch politische Systemunterschiede sind relevant: Vgl. für die USA Thomas Zittel, Über die Demokratie in der vernetzten Gesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42/97, S. 23-29, oder für die Schweiz Claude Longchamp, Internet als Medium der Bürgerlnnen-Kommunikation in Abstimmungskampagnen, Bern 1998 (Ms.).

  13. Vgl. Heinz Bonfadelli, Die Wissenskluft-Perspektive, Konstanz 1995.

  14. Vgl. dazu auch die empirischen Befunde bei Lutz M. Hagen/Markus Mayer, Der direkte Draht zur Politik? Formen und Inhalte der Online-Nutzung im Hinblick auf die Entstehung politischer Öffentlichkeit, in: L. M. Hagen (Anm. 10), S. 94-129.

  15. Die Möglichkeit, Parteiprogramme oder Regierungsbeschlüsse zu erbitten, gab es bekanntlich schon. Davon wurde aber relativ selten Gebrauch gemacht. Immerhin: Das Netz ermöglicht eine schnelle und weniger aufwendige Nachfrage. Doch der Vorteil schlägt auch wieder in Nachteile um: Weil es so einfach ist, macht man das eben mal rasch. Eine tatsächliche Nutzung ist damit aber keineswegs garantiert. Und auch die hohen „Besucherzahlen“ auf den home pages sagen noch nicht viel über die Qualität der politischen Kommunikation bzw.der tatsächlichen Nutzung aus.

  16. Zwar nehmen die Grade an Interaktivität im Netz zu, aber sie bleiben doch weit hinter dem zurück, was wir zunächst erwartet haben. Das ist der Grund, weshalb Kinder oder Jugendliche sich rasch wieder von dem einen oder anderen elektronischen Spiel oder Software-Angebot trennen, also nach ersten Netzerfahrungen deutlich an Interesse verlieren: Die Möglichkeiten sind rasch erkannt und erschöpfen sich.

  17. Vgl. dazu die kommunikationstheoretischen Überlegungen bei Wolfgang Schulz, Jenseits der „Meinungsrelevanz“, in: Zeitschrift für Urheber-und Medienrecht, (1996) 6, S. 474-497.

  18. Vgl. Waldemar Vogelgesang/Linda Steinmetz/Thomas A. Wetzstein, Öffentliche und verborgene Kommunikation in Computernetzen, in: Rundfunk und Fernsehen, 43 (1995) 4, S. 346-364.

  19. Vgl. dazu die Überlegungen bei Jan A. G. M. van Dijk, The Reality of Virtual Communities, in: Jo Groebel (Hrsg.), New Media Developments, Amsterdam 1996, S. 39-64.

  20. „Internet-Regulation innerhalb von Newsgroups ist sogar wesentlich unverbindlicher als die Satzung eines realen die Vereins, da exit jederzeit möglich ist und Teilnehmer anonym bleiben können. Die -auch erzwungene -Abwanderung aus elektronischen Gemeinschaften ist mit geringen Kosten verbunden ..." Stefan Marschall, Netzöffentlichkeit und institutioneile Politik, Hagen 1997 (Manuskript). Vgl. auch: Joachim R. Höflich, Technisch vermittelte interpersonale Kommunikation, Opladen 1996.

  21. Vgl. Rüdiger Schmitt-Beck, Kommunikation (Neuer) Sozialer Bewegungen, in: O. Jarren/U. Sarcinelli/U. Saxer (Anm. 11), S. 473-481.

  22. Hinsichtlich des Öffentlichkeitsmodells folgen wir hier Friedhelm Neidhardt und Jürgen Gerhardts, die drei Ebenen von Öffentlichkeit unterscheiden: Encounters, Themen-bzw. Versammlungsöffentlichkeit und Massenmedien. Vgl. Jürgen Gerhards/Friedhelm Neidhardt, Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit, Berlin 1990 (WZB-Paper).

  23. Vgl. dazu Stefan Marschall, Politik online -Demokratische Öffentlichkeit dank Internet?, in: Publizistik, 42 (1997) 3, S. 304-324.

  24. Vgl. dazu auch Ulrich Sarcinelli/Manfred Wissel, Internetisierung von Öffentlichkeit und Demokratie? Trends, Chancen und Probleme für Politikvermittlung und politische Bildung im Online-Zeitalter, in: Thomas Meyer (Hrsg.), Jahrbuch 1996. Medien, Politik und politische Bildung, Bonn 1996, S. 31-44.

  25. Vgl. dazu die Angaben bei Hans Geser, Auf dem Weg zur Neuerfindung der politischen Öffentlichkeit, Zürich 1998 (Manuskript), S. 11.

  26. So auch Michael Mertes, Folgen der Informationsgesellschaft für repräsentative Demokratie und Nationalstaat, in: Michael Zöllner (Hrsg.), Informationsgesellschaft. Von der organisierten Geborgenheit zur unerwarteten Selbständigkeit, Köln 1997, S. 35-45.

  27. Vgl. dazu auch John Street, Remote Control? Politics, Technology and Electronic Democracy, in: European Journal of Communication, (1997) 1, S. 27-42.

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Otfried Jarre n, Dr. phil., geb. 1953; 1979-1989 wiss. Mitarbeiter/Hochschulassistent an der FU Berlin; 19891997 Professor für Journalistik und Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg; Ordinarius für Publizistikwissenschaft des IPMZ-Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich sowie Direktor am Hans-Bredow-Institut, Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Patrick Dönges) Keine Zeit für Politik?, Berlin 1996; (Hrsg. zus. mit Bettina Knaup/Heribert Schatz) Machtkonzentration in der Multimediagesellschaft?, Opladen 1997; (Hrsg. zus. mit Ulrich Sarcinelli/Ulrich Saxer) Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikon, Opladen 1998; (Hrsg. zus. mit Friedrich Krotz) Öffentlichkeit unter „Viel-Kanal-Bedingungen“, Baden-Baden 1998.