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Berufliche Chancen Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 26/1999 | bpb.de

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APuZ 26/1999 Zur Struktur und Entwicklung der Jugendgewalt in Deutschland Ein Thesenpapier auf Basis aktueller Forschungsbefunde Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen und soziologisch-pädagogische Defizite Berufliche Chancen Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland

Berufliche Chancen Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland

Lothar Lappe

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In diesem Beitrag werden die Auswirkungen einer veränderten Ökonomie auf die berufliche Einmündungsphase von Jugendlichen diskutiert. Vorgetragen werden drei Argumente: Erstens wird die Ausbildungs-und Arbeitssituation für eine schrumpfende Mehrheit von Jugendlichen immer qualifizierter und differenzierter. Die modernisierten und höherqualifizierten Bereiche unserer Erwerbs-gesellschaft verlangen von den neu in das Erwerbsleben eintretenden Jugendlichen neue und höhere Qualifikations-und Persönlichkeitsvoraussetzungen. Diesen gestiegenen Anforderungen in den qualifizierten Ausbildungs-und Arbeitsbereichen werden die benachteiligten Jugendlichen immer weniger gerecht. Zweitens verzeichnen wir einen hohen Sockel an Jugendlichen ohne Berufsausbildung, die zunehmend in Arbeitslosigkeit münden, da die Referenzarbeitsplätze für diese gering qualifizierten Arbeitskräfte (Einfacharbeitsplätze) wegrationalisiert werden. Hier kann das Sofortprogramm der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit zumindest im Vorbereich des Arbeitsmarktes Abhilfe schaffen. Die von vielen Politikern und Wissenschaftlern vorgeschlagene „Schaffung“ eines Arbeitsmarktes mit Einfachtätigkeiten im Dienstleistungsbereich dürfte dagegen einigermaßen problematisch sein. Drittens haben die neuen Formen der Wirtschaft, die eine Antwort auf die gerade überwundene Strukturkrise darstellen, nicht nur zu einem spürbaren Abbau der Ausbildungskapazitäten geführt. Die Betriebe sind auch von der bisherigen Praxis der faktischen Übernahmegarantie abgegangen, so daß die Arbeitslosenquote auch gut ausgebildeter Jugendlicher in den letzten Jahren gestiegen ist. Angesichts dieser Probleme auf dem Ausbildungsstellen-und Arbeitsmarkt für Jugendliche ist es offensichtlich, daß wir auch in Zukunft nicht ohne Förderprogramme auskommen werden.

I. Einleitung

In diesem Beitrag sollen die Auswirkungen einer veränderten Ökonomie auf die berufliche Einmündungsphase von Jugendlichen, auf die beruflichen und/oder betrieblichen Ausbildungsprozesse und auf die sich daran anschließenden Arbeitsverhältnissel-prozesse diskutiert werden: Erstens wird die Ausbildungs-und Arbeitssituation für eine schrumpfende Mehrheit von Jugendlichen immer qualifizierter und differenzierter. Die modernisierten und höherqualifizierten Bereiche unserer Erwerbsgesellschaft verlangen von den neu in das Erwerbsleben eintretenden Jugendlichen neue und höhere Qualifikations-und Persönlichkeitsvoraussetzungen. Diesen gestiegenen Anforderungen in den qualifizierten Ausbildungs-und Arbeitsbereichen werden die benachteiligten Jugendlichen immer weniger gerecht. Zweitens verzeichnen wir einen hohen Sockel an Jugendlichen ohne Berufsausbildung, die zunehmend in Arbeitslosigkeit münden, da die Referenzarbeitsplätze für gering qualifizierte Arbeitskräfte (Einfacharbeitsplätze) wegrationalisiert werden. Hier wird das Sofortprogramm der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit zumindest im Vorbereich des Arbeitsmarktes Abhilfe schaffen. Die von vielen Politikern und Wissenschaftlern vorgeschlagene „Schaffung“ eines Arbeitsmarktes mit Einfachtätigkeiten im tertiären Sektor dürfte dagegen einigermaßen problematisch sein. Drittens führten gerade die neuen Formen der Restrukturierung der Wirtschaft, die eine Antwort auf die gerade überwundene Strukturkrise darstellen, aufgrund ihrer Tendenz zu Konzentration und Ausgliederung von Produktionsteilen zu hoher Arbeitslosigkeit und einem spürbaren Abbau der Ausbildungskapazitäten auch in den Kernbereichen der Industrie (Automobilbau, Werkzeugmaschinenbau und Chemische Industrie). Die Betriebe haben ihre Rekrutierung über die Erstausbildung massiv eingeschränkt und sind von der bisherigen Praxis der faktischen Übernahmegarantie abgegangen, so daß die Arbeitslosenquote auch gut ausgebildeter Jugendlicher in den letzten Jahren gestiegen ist.

II. Die Tätigkeitsanforderungen der Zukunft

1. Erweiterung der Aufgabenfelder -Integration von Service-und Produktionsfunktionen, Dienstleistungsorientierung der produktiven Arbeitsaufgaben In den anspruchsvollen Tätigkeitsbereichen von Industrie und Dienstleistung ist eine Verbreiterung der Aufgabenfelder zu beobachten. Vor allem die Integration von Servicefunktionen in den Produktionsbereich wird in zunehmendem Maße den Erwerb von Mehrfachqualifikationen notwendig machen, die den Beschäftigten sowohl umfangreiche Material-, Maschinen-, Verfahrens-und Produktkenntnisse als auch Informatikwissen, kaufmännisches Wissen und nicht selten auch Mehrsprachlichkeit abverlangen können. Dies gilt mit Sicherheit für die neugeordneten Berufsbilder in den umstrukturierten Sektoren der Wirtschaft, für produktive Tätigkeiten mit hohen Dienstleistungsanteilen sowie für die neuen Informationsund Kommunikationsberufe im Kontext der neuen Informationsökohomien.

In einigen Bereichen der industriellen Fertigung werden zunehmend alle relevanten Arbeitsoperationen eines Tätigkeitsfeldes zusammengefaßt und in mehr oder weniger ganzheitlicher Form den Beschäftigten übertragen. In der Chemischen Industrie, der Automobilindustrie und der Elektroindustrie kommt es deshalb bereits zu einer betriebsorganisatorischen Verschmelzung verschiedener Berufsbilder. Aufgrund der Zunahme von kontinuierlicher Fertigung und des Gewichtes von „Gewährleistungsarbeit“, also jener Tätigkeiten, die gewährleisten, daß der Produktionsprozeß ohne Havarien und Störungen abläuft, wachsen die Servicefunktionen immer mehr in die Produktion hinein, kommt es zu einer anderen Zusammensetzung der Fachkräfteteams. Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, daß die Dienstleistungsorientierung auch der produktiven Arbeitsaufgaben stark zugenommen hat. „Schon heute sind 67 Prozent aller Arbeitskräfte mitDienstleistungstätigkeiten betraut. Auch im Produzierenden Gewerbe (Industrie und Handwerk) haben inzwischen mehr als 40 Prozent aller Arbeitsplätze Dienstleistungscharakter -seien es direkt der Produktion vor-oder nachgelagerte Aufgaben (Beschaffung, Verwaltung, Vertrieb, Transport) oder mehr indirekt mit der Produktion verbundene Tätigkeiten (Planung, Koordination, Forschung und Entwicklung, Information).“

2. Koordination mehrerer Handlungsbereiche/Ausdehnung der Handlungsräume Zu gesteigerten Anforderungen an intellektuelle Leistungspotentiale und zu veränderten Sozialisationsvoraussetzungen führt vor allem die Koordination von unterschiedlichen Handlungsbereichen und die Schaffung neuer Handlungsbereiche, die nicht nur die Beachtung unterschiedlicher Handlungsziele, sondern auch die Entstehung von Ziel-konflikten impliziert.

Beispiele sind die neuartigen Qualifikationsprofile der „Problemloser“ oder „Integratoren“ an der Schnittstelle zwischen Automobilherstellern und -Zulieferern, die sich daraus ergeben, daß die systemischen und unternehmensübergreifenden Rationalisierungsprozesse spezifische Leistungen der Integration und Verknüpfung der Teilprozesse der Produktionskette erforderlich machen Programmplanung, Beschaffung und Disposition, Wareneingang, Fertigungssteuerung, innerbetrieblicher Transport sowie Lager-und Versandabwicklung liegen organisatorisch in einer Hand, so daß ein schneller Material-und Informationsfluß sichergestellt ist. 3. Zunehmende Wissensförmigkeit der Arbeitsobjekte Die Autoren der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen stellen „Wissen“ als „dritten Produktionsfaktor“ in den Vordergrund -ohne jedoch in irgendeiner Weise zu verdeutlichen, wie dadurch die Arbeitsstrukturen verändert wurden bzw. werden. Sie suggerieren, daß durch die Zunahme des Wissens die menschliche Arbeitskraft in ihrem Stellenwert reduziert, marginal wird. Wissen (und natürlich auch Kapital) statt Arbeit -so lautet ihre -aus meiner Sicht -falsche Botschaft. In allen einschlägigen Analysen zur Qualifikationsentwicklung wird gerade nicht von der Annahme ausgegangen, daß Wissen in erster Linie als abstrakter „Produktionsfaktor“ eine Rolle spielt, sondern daß es an die menschliche Arbeitskraft gebunden ist, die dadurch einen anderen Stellenwert erhält. Durch die fortschreitende Durchdringung aller Arbeitsprozesse mit den Informations-und Kommunikationstechniken, durch die Prozesse der Verrechtlichung und Ökonomisierung kommt es vor allem im kaufmännischen Bereich -aber nicht nur dort -zu einer fortschreitenden Wissensförmigkeit der Berufspraxis, die in dreifacher Hinsicht deutlich wird. Zum einem basiert die kaufmännische Berufspraxis auf umfangreichem und spezifischem Fachwissen, das sich „durch wachsende Abstraktheit und Vernetztheit auszeichnet“. Die kaufmännische Berufspraxis ist außerdem in dem Sinne wissensförmig, als „viele ihrer Arbeitsobjekte selbst den Charakter von Wissen haben“ Schließlich ist die kaufmännische Berufspraxis in dem Sinne wissensförmig, als „nicht nur einzelne Objekte, sondern ganze Arbeitsbereiche in ihrem systemischen Zusammenhang auf der Basis abstrakten und komplexen Wissens konstruiert werden“

III. Veränderte qualifikatorische und persönlichkeitsspezifische Voraussetzungen bei den Jugendlichen

Bei der Knappheit der Ausbildungs-und Arbeitsplätze -die vermutlich nicht nur vorübergehend sein wird, sondern die Umstrukturierung der Arbeitsgesellschaft begleitet -werden sich die Einstellungs-und Beurteilungskriterien für die Besetzung betrieblicher Ausbildungsplätze wesentlich verschärfen. Dies gilt auch für die Fach-hochschul-und Universitätsabsolventen, von denen immer mehr nicht „adäquat“ beschäftigt werden und längere Phasen von Such-Arbeitslosigkeit und befristeter Erwerbstätigkeit durchlaufen.

Hauptschüler sind diesem Trend schon lange ausgesetzt; sie sind überfordert, weil sie immer weniger in den klassischen Berufsbereichen (II: Produktionsgütererzeugung, Konsumgüterfertigung) unterkommen und sich um Ausbildungsplätze in anderen Bereichen (III: Montage, Wartung) bemühen müssen, wo die Einstellungsmodi restriktiver und die Anforderungen höher sind.

Nicht nur die Qualifikationsvoraussetzungen, sondern auch die persönlichkeitsspezifischen Voraussetzungen (soziale Kompetenz, Motivation, kommunikative Fähigkeiten, reife Formen des moralischen Urteils) für die qualifizierten Berufe werden steigen Nur sozialisatorisch gut vorbereitete Jugendliche werden die skizzierten qualifizierten Arbeitsplätze besetzen und die entsprechenden Ausbildungsgänge absolvieren können. Als Voraussetzung können gelungene familiale und schulische Sozialisationsprozesse gelten, die -zu einer stärkeren kognitiven Orientierung führen,

-eine intrinsische Motivation hervorrufen, -die Kommunikations-und Teamfähigkeit fördern und -nicht zuletzt Persönlichkeitsstrukturen ausbilden, die mit den Begriffen Selbstwertgefühl, internale/interaktionistische Kontrollorientierung, moralisches Bewußtsein umschrieben werden können. Diese Aspekte sollen im Zusammenhang mit den skizzierten Tätigkeitsstrukturen kurz erläutert werden. 1. Stärkere kognitive Orientierungen mit ausgeprägtem Handlungsbezug Die Erweiterung der Tätigkeitsfelder, die Integration von Dienstleistungsaufgaben in produktive Funktionen, die Notwendigkeit der Koordination von verschiedenen Handlungsbereichen und die zunehmende Wissensförmigkeit der Arbeitswelt haben insgesamt zu einer Verminderung der sensumotorischen und einer Erhöhung der kognitiven Anteile der Arbeit (z. B. Diagnose, Planung, Koordination) geführt -so kann man die zunehmende Wissensförmigkeit der Arbeitsprozesse auch umschreiben.

Vertreter des handlungsorientierten Unterrichts fordern -im Gegensatz zur Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen -eine systematische Verbindung des schulischen mit dem betrieblich vermittelten Fachwissen sowie die kontextuelle Eingebundenheit solcher Lernprozesse (z. B. in unternehmerische Plan-spiele, Übungsfirmen), um die Ausbildung von „trägem Wissen“ zu vermeiden Gerade angesichts der Wissensförmigkeit der Arbeitswelt führe ein handlungsorientierter Unterricht zur Ausbildung einer adäquaten Handlungs-und Entscheidungskompetenz, die die Bewältigung variierender, komplexer und wenig strukturierter Entscheidungssituationen in modernisierten Arbeitsprozessen ermögliche Für die qualifizierten Ausbildungsund Arbeitsbereiche bedeutet die Wissensförmigkeit der Arbeit im übrigen eine stärkere Integration von beruflicher Bildung, Weiterbildung und flexibler Arbeit. Im Zuge des „life-long-learning" werden viele Lernprozesse immer stärker über die Schule und berufliche Erstausbildung hinaus verlängert und als „lernbezogenes Arbeiten“ und „arbeitsbezogenes Lernen“ organisiert. 2. Intrinsische Motivation als Voraussetzung und Folge der Bewältigung komplexer Tätigkeiten Die skizzierten Tätigkeitsstrukturen setzen bei den in das Arbeitsleben eintretenden Jugendlichen allerdings auch ein stärkeres Arbeitsinteresse und eine stark ausgebildete intrinsische Motivation voraus, die mit den herkömmlichen Lernmethoden kaum zu erreichen ist. Viele motivationspsychologische Untersuchungen weisen nach, daß die traditionellen Unterrichtsformen (in der Schule und besonders in der Hochschule) insofern einen eher negativen Einfluß auf die Entwicklung von Lernund Arbeitsmotivation ausüben, als die Lernfreude ab-und die Lernunlust zunimmt Lernen im betrieblichen Handlungskontext vermeidet dies. So zeigen vergleichende Längsschnittstudien zur Lernmotivation, daß „die betriebliche Ausbildung den inhaltlichen Interessen der Auszubildenden offensichtlich sehr viel stärker entspricht alsdie Ausbildung in der Schule“ und „die emotionalen Empfindungen fallen ... beim Lernen und Arbeiten im Betrieb deutlich positiver aus (als in der Schule). Im Betrieb sind höhere Werte insbesondere für intrinsisch motiviertes, aber auch für identifiziertes und interessiertes Lernen zu beobachten“ Dieses Ergebnis ist besonders im Hinblick auf die Selbstlernfähigkeit oder das selbstgesteuerte Lernen jugendlicher Fachangestellter und Facharbeiter interessant. Demnach kann das Lernen im betrieblichen Kontext als wesentlich selbst-bestimmter (identifiziert, intrinsisch motiviert, interessiert) bezeichnet werden als schulisches oder berufsschulisches Lernen. Darüber hinaus werden Kompetenz-und Autonomieunterstützung im Betrieb signifikant höher eingeschätzt als in der Berufsschule 3. Zunehmende Delegation von Verantwortung verlangt spezifische Persönlichkeitsmerkmale Die Modernisierung der Produktionsanlagen und Arbeitsvollzüge hat erhöhte Anforderungen an die Verantwortung der meisten Beschäftigten hinsichtlich der Einhaltung von Qualitäts-und technischen Normen zur Folge. Wegen des großen Wirkungskreises der technischen Anlagen und der organisatorischen Interdependenz relativ vieler Arbeitsvollzüge haben Arbeitsfehler oft weitreichende Folgen. Die Gefährdung von Material, Maschinen und Menschen ist durch abweichende Verhaltensweisen im Betrieb, speziell in der Produktion, durchschnittlich höher als in anderen Lebensbereichen. Auch im Dienstleistungsbereich spielen bestimmte normative Anforderungen eine immer größere Rolle. Mit wachsendem Integrationsgrad der Datenverarbeitung in die Arbeits-und Verwaltungsprozesse, mit zunehmendem Ersatz von direkten personalen Kontakten durch „systembedingte Kooperationsformen, durch die Tendenz zur Einmalerfassung der Daten nimmt die Bedeutung von fehlerfreiem Arbeiten, der Einhaltung von Organisationsnormen, Verfahrensregeln und Terminen eher zu. Beim Umgang mit Kunden und Lieferanten sind ebenso betrieblich vorgegebene Verhaltensregeln zu beachten und betriebliche Interessen durchzusetzen. Dies bedingt letztlich . . . eine möglichst große Identifikation mit der Aufgabe und den Zielen der Unternehmung. Der ständige Wandel der Arbeitsbedingungen erfordert zudem nicht nur die Bereitschaft und die Fähigkeit zur passiven Anpassung an vorgegebene Veränderungen, sondern auch jene zur aktiven Gestaltung, zur Durchsetzung gemeinsamer und eigener Interessen.“

Das Erfordernis selbstgesteuerten, „autonomen“ Handelns und die zunehmende Delegation von Verantwortung an Beschäftigte in qualifizierten Sektoren von Industrie und Dienstleistung führt also neben der intellektuellen Leistungsfähigkeit zu immer stärkerer Beachtung spezifischer Persönlichkeitsmerkmale wie Selbstbewußtsein, Konfliktlösungsfähigkeit, Kontrollkompetenz und reifer Formen moralischer Urteilsfähigkeit. 4. Hohe Qualifikationsanforderungen ja -aber nicht ohne Gefährdungen durch Dauerbelastungen, Streß, Konfliktpotential und Arbeitsplatzunsicherheit Die zunehmende Delegation von Verantwortung, die Bewältigung erhöhter intellektueller Anforderungen und die grundsätzliche Bereitschaft zur Flexibilität auf dem qualifizierten Pol modernisierter Arbeitstätigkeiten werden in Zukunft zwar weniger mit physischen (z. B. schwerdynamischen) Beanspruchungen, dafür aber eher mit höheren Beanspruchungen im psychischen Bereich gepaart sein, die Streß, Innovationsangst, psychosomatische Beschwerden, Gereiztheit und Depressivität hervorrufen können. Nicht genug damit: Die zukünftig ins Ausbildungs-und Berufsleben eintretenden Jugendlichen müssen wohl auch in den qualifizierten betrieblichen Einsatzbereichen von Beginn an vom überkommenen Biid der Vollzeitbeschäftigung Abschied nehmen. „Arbeit für alle, acht Stunden am Tag, fünf Tage in der Woche, 46 bis 48 Wochen im Jahr, 40 bis 50 Jahre im Leben, ist weder zeitgemäß noch realisierbar.“ Auch die qualifizierten Jugendlichen werden Opfer der generellen Deregulierungstendenzen auf dem Arbeitsmarkt sein. Die schleichende Abkehr von Flächentarifsystemen und die allmähliche Flexibilisierung und Individualisierung von Arbeitsverhältnissen führt dann schon zu Beginn des Berufslebens zu einer starken Verunsicherung der in das Arbeitsleben eintretenden Jugendlichen.

IV. Jugendliche ohne Berufsausbildung und der schrumpfende Arbeitsmarkt für Un-und Angelernte

Die früher von einer positiven Angebot-Nachfrage-Relation gestützte, relativ problemlose Berufs„wahl“ an der ersten Schwelle (Übergang von der Schule zur Berufsausbildung) ist durch die Gegenläufigkeit der demographischen Entwicklung und der Reduzierung der Ausbildungskapazitäten zu einem restriktiven Prozeß der Berufs„findung" geworden. Ein immer größer werdender Teil der Jugendlichen (Hauptschüler) ist bereits hier zum Scheitern verurteilt. Dies sehen wir an den gestiegenen Arbeitslosenquoten der Jugendlichen unter 20 Jahren. Untersuchungen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zeigen, daß sich vor allem die ungelernten Jugendlichen auf dem Weg in die berufliche und soziale Marginalität -mit dem Ergebnis dauerhafter Ausgrenzung von Erwerbstätigkeit und mangelnder gesellschaftlicher Integration -befinden, weil es ihnen an Voraussetzungen und Möglichkeiten fehlt, durch Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt zu sichern und ein eigenständiges Leben zu führen 18. Nicht zuletzt liegt dies daran, daß ihnen ihre Referenz-arbeitsplätze -in den niedrigqualifizierten Arbeitsbereichen -wegbrechen.

Projektionen der Struktur der Arbeitsplätze nach Qualifikationsebenen bis in das Jahr 2010 hinein 19 zeigen, daß der Anteil der Arbeitsplätze, für die ein beruflicher Abschluß im dualen System oder der Berufsfachschule erforderlich ist, mit ca. 60 Prozent zeigen, daß der Anteil der Arbeitsplätze, für die ein beruflicher Abschluß im dualen System oder der Berufsfachschule erforderlich ist, mit ca. 60 Prozent fast gleichbleibt. Der Anteil der Hochschulabsolventen dürfte von ca. 11 Prozent im Jahr 1987 auf etwa 18 Prozent im Jahr 2010 zunehmen. Komplementär zu dieser Entwicklung wird für den gleichen Zeitraum ein drastischer Rückgang der einfachen Tätigkeiten, für die keine Berufsausbildung notwendig ist, von 23 auf vielleicht nur noch 13 Prozent prognostiziert. Im Gefolge der Globalisierung von produktiven und Dienstleistungsarbeiten hat die Segmentierung der Zulieferindustrien, die Auslagerung von reinen Montagebetrieben mit standardisierter Produktion und hohen Stückzahlen sowie die Auslagerung von Massensachbearbeitung (z. B. in den Banken und Versicherungen) zu einem Abbau von einfachen Arbeitsprozessen (Un-und Angelerntenarbeitsplätze) geführt. Da diese aber zum Teil die Referenzarbeitsplätze für die Jugendlichen ohne Berufsausbildung darstellen, ist deren Arbeitslosigkeit stark angestiegen. Ökonomen und Arbeitsmarktforscher sprechen von einer zunehmenden Lücke von bis zu 3, 2 Millionen Einfacharbeitsplätzen 20. „Personen mit niedriger oder ohne berufliche Qualifikation“ sind daher „in Zukunft fast ohne Chance auf stabile Beschäftigung“ 21. Davon sind die Jugendlichen ohne Ber Davon sind die Jugendlichen ohne Berufsausbildung, deren Zahl sich aufgrund der demographischen Entwicklung noch erhöhen wird, besonders betroffen. Zwei Anfang der neunziger Jahre erstellte Studien zu diesem Problembereich zeigten bereits zum damaligen Erhebungszeitpunkt, daß in der alten Bundesrepublik ca. 500 000 und in der gesamten Bundesrepublik 800 000 Jugendliche im Alter von 20 bis unter 24 Jahren über keinen Abschluß in einem anerkannten Ausbildungsberuf verfügten

In den alten Bundesländern mußten mindestens 14 Prozent der Jugendlichen im Alter von 20 bis unter 24 Jahren zur Gruppe der Ungelernten gerechnet werden, in den neuen Bundesländern waren 9 Prozent der Altersgruppe ohne anerkannten Berufsabschluß. Der Anteil der Ungelernten an dieser Altersgruppe war in den neuen Bundesländern deshalb noch niedriger als in den alten, weil das in der DDR verfassungsmäßig verankerte Recht und die Pflicht auf Ausbildung und Arbeit noch positiv nachwirkte In einer Untersuchung, die das EMNID-Institut im Auftrag des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft 1991 durchgeführt hat wurden drei Gruppen von Jugendlichen -Ausbildungsverzichter, erfolglose Ausbildungsplatzbewerber und ersatzlose Abbrecher -mit unterschiedlichen Gründen und Motiven unterschieden. Hinsichtlich der Sozialstruktur der Jugendlichen ohne Berufsausbildung ließ sich feststellen, daß sich Ausbildungslosigkeit zwischen jungen Männern und Frauen gleichverteilte. Deutliche Unterschiede bestanden allerdings zwischen Ausländern und Deutschen, wobei der Ausländer-anteil an der Wohnbevölkerung der neuen Bundesländer marginal war (und noch ist); in den alten Bundesländern betrug er in der Altersgruppe der 20-bis 24jährigen 10 Prozent. Von diesen 10 Prozent ausländischen Jugendlichen blieben 39 Prozent ohne Berufsabschluß gegenüber 12 Prozent bei den Deutschen.

Junge Ausländer haben aufgrund sprachlicher Defizite schlechtere Chancen auf dem Ausbildungsstellenmarkt, sie verzichten aber auch häufig aus finanziellen Gründen auf eine Ausbildung. Ein noch düstereres Bild zeigt sich bei der Betrachtung der schulischen Bildungsabschlüsse. Sonderschüler und Jugendliche ohne Hauptschulabschluß sind überproportional an Ausbildungslosigkeit beteiligt.

Gemäß einer Nachfolgeuntersuchung, die das EMNID-Institut unter der Leitung des Bundesinstituts für Berufsausbildung (BIBB) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung (BMBF), Wissenschaft, Forschung und Technologie durchgeführt hat „sind im Juni/Juli 1998 11, 6 % der 20-bis 29jährigen (Jugendlichen/d. Verf.) (rund 1, 25 Millionen) ohne Berufsausbildung geblieben“, und sie befanden sich zum Befragungszeitpunkt auch in keiner Ausbildung/Schule. Obwohl nicht nur -wie 1990 -die 20-bis 24jährigen Jugendlichen befragt wurden, sondern das Alter auf 29 erhöht wurde, stellt Kloas fest, daß sich der Anteil und damit das Problem der Jugendlichen ohne Ausbildung nicht reduziert habe.

Erwartungsgemäß stellen die Jugendlichen ohne Berufsausbildung die Mehrheit unter den arbeitslosen Jugendlichen. Ende September 1996 hatten von allen Arbeitslosen unter 25 Jahren 209 320 oder 58, 9 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung, bei den arbeitslosen Jugendlichen unter 20 Jahren war dieser Anteil allerdings weit höher:

Von dieser Gruppe waren 78, 5 Prozent oder 68 195 ohne Berufsausbildung

Ein Fazit aus den wenigen vorliegenden Studien besteht darin, daß Ausbildungslosigkeit nicht nur auf „lernbeeinträchtigte“ oder „sozial benachteiligte“ Jugendliche beschränkt ist; sie hat ihre Ursachen in komplizierten Lebenslagen zur Zeit des Übergangs von der Schule in den Beruf. In dieser wichtigen Phase fehlt es an Beratung, Betreuung und Unterstützung für Jugendliche, die mit der gleichzeitigen Lösung einer Vielzahl von Problemen -wozu etwa Konflikte mit Ausbildern, aber auch soziale/familiäre Probleme zählen -überfordert sind.

Im Rahmen der Diskussion um die praktisch orientierten Berufe stellt Kloas fest, daß sich in dieser großen Gruppe der jungen Menschen ohne Berufsausbildung viele befinden, an deren Leistungsfähigkeit kaum Zweifel angebracht sind. „Nicht alle sind leistungsschwach, und nicht alle Leistungsschwächeren weisen Lernprobleme im Theoriebereich auf bzw. sind praktisch begabt . . . Abbrecherinnen scheitern sogar häufiger an Problemen mit der praktischen Ausbildung als an Theorieproblemen.“ Ich möchte diesen wichtigen Aspekt kurz mit der Diskussion um die so-genannten „Einfacharbeitsplätze“ in Beziehung setzen.

Zwar hat die hierarchische Abspaltung und Auslagerung von einfachen industriellen Arbeitsplätzen einen starken Abbau von Un-und Angelerntentätigkeiten zur Folge, dennoch finden wir -trotz aller Debatten über Höherqualifizierung -auch in den produktiven und dienstleistenden Großbetrieben immer noch einen erheblichen Anteil von repetitiver Teilarbeit und Massensachbearbeitung -Tätigkeitsfelder, auf die die Jugendlichen ohne Berufsausbildung, aber auch solche mit abgeschlossener Ausbildung ohne adäquaten Anschlußarbeitsplatz in zunehmendem Maße angewiesen sind.

Große Bereiche des Industrie-und Dienstleistungssektors sind nach wie vor durch die Form der restriktiven, repetitiven Teilarbeiten gekennzeichnet. Diese unqualifizierten Einsatzbereiche unterliegen allerdings seit Jahren einem Schrumpfungsprozeß. Anders ist es bei den unqualifizierten personenbezogenen Dienstleistungen. Nicht nur die industrielle Massenfertigung und das Massengeschäft in Verwaltungsbereichen, sondern zunehmend auch weite Teile des Einzelhandels sowie des Gaststättengewerbes (speziell Fast-Food-Restaurants) sind nach tayloristischen Prinzipien organisiert, die Ritzer mit dem anschaulichen Etikett der „McDonaldisierung“ belegt hat Die Partialisierung der Tätigkeiten auch in Arbeitsbereichen, in denen die Beschäftigten mit Kunden interagieren müssen, ist hier weiter fortgeschritten, als Taylor es sich jemals erträumt hat. Das Verkaufspersonal wird mit Hilfe eines detaillierten Codeplans darauf trainiert, mit den Kunden zu kommunizieren; die Arbeitshandlungen werden nach demselben Codeplan auf Verhaltens-sicherheit hin überwacht. Die Begrüßungsszene, ein gelegentliches Lächeln, Verkaufsvorschläge, Bemerkungen usw. werden vorgeschrieben und in Probesituationen einstudiert, um beständige Geschäftsresultate zu erzeugen. Da viele der industriellen Einfacharbeitsplätze unwiederbringlich verloren sind, erhoffen sich nicht wenige Politiker und Wissenschaftler in der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage von solchen einfachen Dienstleistungstätigkeiten einen Ausweg aus der Arbeitsmarkt-misere. Das hieße aber, daß immer mehr Jugendliche schon zu Beginn ihres Arbeitslebens mit sehr geringen Anforderungsstrukturen (McDonaldisierung) und zudem mit „flüchtigen Arbeitsverhältnissen“ konfrontiert sind. Hinsichtlich des Arbeitsinhaltes und der Arbeitsbedingungen besitzen diese Tätigkeiten nur einen sehr niedrigen intellektuellen Anregungsgehalt und ein geringes Motivierungspotential. Die Frage ist, wie sich die Partialisierung der Arbeitsaufgaben, der Entzug von Verantwortung, das mangelnde Lernpotential der Tätigkeiten, die geringe soziale Transparenz der Arbeitsbereiche, der hohe Routinisierungsgrad und sehr kurze Arbeitszyklen auf die Persönlichkeitsentwicklung Jugendlicher unter jetzigen Bedingungen auswirkt.

Es ist leicht einzusehen, daß berufliche Entwicklungschancen in solchen restriktiven Bereichen nicht existieren. Hier wird man die verstärkte Deregulierung der Arbeitsverhältnisse -pervertierte Formen von Kapovaz (kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit) -nicht mit einer positiven Konnotation von Individualisierung in Verbindung bringen können.

V. Arbeitslosigkeit nach Ausbildungsabschluß oder nach außerbetrieblicher ’bzw. vollzeitschulischer Berufsausbildung

Ich hatte bereits angedeutet, daß die neuen Formen der Restrukturierung der Wirtschaft aufgrund ihrer Tendenz zu Konzentration und Ausgliederung zu hoher Arbeitslosigkeit und einem spürbaren Abbau der Ausbildungskapazitäten auch in den Kernbereichen der Industrie führen. Davon sind mehr und mehr auch die jüngeren, gut qualifizierten Arbeitskräfte und Berufsanfänger aller Ausbildungsebenen betroffen. Damit stellt auch eine vollständige Berufsausbildung keine hinreichende Bedingung mehr für einen Übergang von der Ausbildung in die Beschäftigung dar. Nach Schätzung des BMBF hat sich der Anteil der erfolgreichen Ausbildungsabsolventen, die sich unmittelbar nach Beendigung der Lehre beim Arbeitsamt arbeitslos meldet, von 1996 bis 1997 um zweieinhalb Prozentpunkte auf 27 Prozent erhöht. 54 Prozent der Absolventen der Berufsausbildung in Westdeutschland und 49 Prozent in Ostdeutschland wurden von den Ausbildungsbetrieben übernommen, mit sinkender Tendenz (Entwurf des Berufsbildungsberichts 1999 der Bundesregierung).

Differenzierter sind die Ergebnisse einer Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung, bei der von November 1995 bis Januar 1996 850 ostdeutsche Fachkräfte nach ihren Erfahrungen im ersten Jahr nach Ausbildungsabschluß befragt worden sind Lediglich 43 Prozent der Absolventen gaben an, unbefristet und als Fachkraft übernommen worden zu sein, 37 Prozent erhielten keinerlei Übernahmeangebot, 17 Prozent konnten einen befristeten Arbeitsvertrag abschließen, und 3 Prozent wurde eine Angelerntentätigkeit angeboten. So meldeten sich unmittelbar nach Ausbildungsabschluß zunächst 28 Prozent der befragten Jugendlichen arbeitslos. Auffällig sind dabei Differenzierungen nach dem Beruf (z. B. Maurer 14 Prozent, Elektriker 19 Prozent, Warenkaufleute 43 Prozent und Bürokaufleute 58 Prozent), nach dem Geschlecht (Männer 19 Prozent, Frauen dagegen 43 Prozent) und nach Art der Ausbildung: So wurden Absolventen einer überbetrieblichen Ausbildung zu 69 Prozent arbeitslos, und nur 22 Prozent konnten im erlernten Beruf eine Anstellung finden. Nach zehn Monaten hatte sich die Arbeitslosigkeit zwar auf 26 Prozent reduziert, aber auch nur Prozent waren als Fachkraft tätig. Betrieblich ausgebildete Jugendliche dagegen konnten zu 71 Prozent im erlernten Beruf beschäftigt werden und mündeten nur zu 19 Prozent in die Arbeitslosigkeit, ein Anteil, der sich in den folgenden zehn Monaten auf 8 Prozent reduzierte. Die relativ günstigen Beschäftigungschancen für die betrieblich ausgebildeten Fachkräfte deuten darauf hin, daß die Betriebe ihre Auszubildenden größtenteils bedarfsorientiert eingestellt haben. Hier dürfte nun genau auch die Hauptursache für die Übergangsschwierigkeiten von Absolventen der überbetrieblichen Ausbildung liegen. Der Mangel an betrieblichen Arbeitsplätzen und die entsprechend fehlenden Ausbildungskapazitäten waren ja gerade der Grund dafür, außerbetriebliche Ausbildungsplätze einzurichten -und damit Qualifikation über den konkreten Bedarf hinaus , zu produzieren 1. Auch der Umstand, daß insbesondere junge Frauen an der zweiten Schwelle -der des Überganges von der Ausbildung in den Beruf -zunächst in die Arbeitslosigkeit münden, ist weitgehend daraus zu erklären, daß sie überproportional überbetrieblich bzw. in Berufen mit besonders geringen Beschäftigungschancen ausgebildet werden 31.

VI. Schlußfolgerungen

Angesichts der Probleme auf dem Ausbildungsstellen-und Arbeitsmarkt für Jugendliche ist es offensichtlich, daß wir auch in Zukunft nicht ohne Förderprogramme auskommen werden. Dieser Tatsache hat die Bundesregierung mit ihrem Sofortprogramm Rechnung getragen. Es muß allerdings beachtet werden, daß wir es mit sehr verschiedenen Gruppen von Jugendlichen zu tun haben, die mit unterschiedlichen Problemlagen konfrontiert sind:

Zunächst einmal sind diejenigen Jugendlichen zu nennen, die als sogenannte „ausbildungsgeeignete“ ihren Schulabschluß geschafft haben und noch nicht in eine Ausbildungsstelle vermittelt werden konnten. Hier halte ich die im Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit vorgesehenen Trainingsmaßnahmen für noch nicht vermittelte Bewerber für sinnvoll. In Regionen mit einem unterdurchschnittlichen Ausbildungsstellenangebot (im Osten der Bundesrepublik) ist unbedingt an den Formen der außerbetrieblichen Ausbildung festzuhalten. Zwar ist eine betriebliche einer Ausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen vorzuziehen. Aber außerbetriebliche Einrichtungen sind notwendige Ergänzungen des betrieblichen Ausbildungsangebots, die vor allem für die jungen Frauen in den östlichen Regionen der Bundesrepublik verstärkt angeboten werden müssen.

Bei den Jugendlichen ohne Berufsausbildung handelt es sich nur z. T. um leistungsschwächere Jugendliche, die aufgrund ihrer persönlichen Entwicklung und schulischen Vorbildung nicht über die Voraussetzungen für die Erfüllung aller Anforderungen anspruchsvoller Ausbildungsberufe verfügen. Jugendliche, die die Schule ohne Schulabschluß oder nur mit einem in vielen Regionen kaum mehr verwertbaren einfachen Hauptschulabschluß verlassen, haben die geringsten Chancen, anschließend eine qualifizierte Berufsausbildung zu bekommen Ihnen muß -wie im „Sofortprogramm“ vorgesehen -die Möglichkeit geboten werden, den Hauptschulabschluß nachzuholen. Zu verweisen ist hier auf das Berufsvorbereitungsjahr, das neben der Vorbereitung auf bestimmte Berufsfelder auch immer diese Möglichkeit bieten sollte. Münden diese Jugendlichen in eine betriebliche Ausbildung, so sollte diese durch ausbildungsbegleitende Hilfen (Stützunterricht und sozialpädagogische Angebote) unterstützt werden. Für Jugendliche, die aufgrund sozialer Benachteiligungen oder individueller Beeinträchtigungen die beruflichen Eingliederungsangebote von Schule, Arbeitsverwaltung und Wirtschaft nicht nutzen können, bieten die Jugendämter in Zusammenarbeit mit den freien Trägern der Jugendhilfe besondere Unterstützungsleistungen an -in Form von Beratungs-, Ausbildungs-und Beschäftigungsprojekten oder in sogenannten Jugendhilfebetrieben. Zu verweisen ist hier auf spezifische Maßnahmen des Sofortprogramms: „Arbeit und Qualifizierung für noch nicht ausbildungsgeeignete Jugendliche“ (Artikel 6), „Beschäftigungsbegleitende Hilfen“ (Artikel 10) und „Soziale Betreuung zur Hinführung an Beschäftigungs-und Qualifizierungsmaßnahmen“ (Artikel 11) Wie gezeigt werden konnte, hat die Arbeitslosigkeit Jugendlicher an der zweiten Schwelle nach einer qualifizierten Ausbildung -der der Berufs-einmündung -vor allem in den neuen Bundesländern stark zugenommen. Diesem Problembereich sind im Sofortprogramm die Maßnahmen der „Beruflichen Nach-und Zusatzqualifizierung“ (Artikel 7), die „Lohnkostenzuschüsse für arbeitslose Jugendliche“ (Artikel 8) und die „Qualifizierungs-und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)“ (Artikel 9) gewidmet. Aus meiner Sicht handelt es sich hier um einen Schritt in die richtige Richtung, weil Beschäftigungs-und Arbeitsbeschaffungs-oder Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) nach § 273 Sozialgesetzbuch (SGB) III ihre Funktion als Beschäftigungsbrücke erst dann nachhaltig entfalten können, wenn sie mit flankierenden Qualifizierungsmaßnahmen verbunden sind So sollten beispielsweise ABM nicht wie bei erwachsenen Erwerbstätigen „reine Eingliederungsmaßnahmen“ in den (öffentlich geförderten) Arbeitsmarkt sein, sondern sie müssen bei Jugendlichen viel stärker mit Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung -z. B. „Arbeiten und Lernen“ -verbunden sein. Der Zugang jugendlicher Arbeitsloser zu AB-Maßnahmen sollte nicht über Ausnahmen, sondern systematisch geregelt werden, die Zugangsvoraussetzungen zur beruflichen Weiterbildung sollten so angeglichen werden, daß sie ihre Funktion als flankierende Qualifizierungsbrücke auch erfüllen können.

Zu empfehlen ist, den Zugang Jugendlicher zu den Strukturanpassungsmaßnahmen nach § 273 SGB III erheblich zu verbessern und den Erfolg dieser Beschäftigungsbrücke durch begleitende Qualifizierungsmaßnahmen sicherzustellen. Die Jugendhilfebetriebe sollten im Interesse sozial benachteiligter Jugendlicher verstärkt gefördert werden. Sie entsprechen am besten der Strategie von Übergangsmärkten und bilden eine Brücke zum regulären Arbeitsmarkt -was vor allem deshalb der Fall ist, weil die Beratung, Ausbildung und Beschäftigung in diesen Betrieben mit intensiven Qualifizierungsmaßnahmen verbunden sind.

Interessant ist eine Innovation aktiver Weiterbildungspolitik an der Schnittstelle zwischen Bildungs-und Beschäftigungssystem -das Konzept von „Weiterbilden und Einstellen“. „Es ist bekannt und von der Forschung hinreichend belegt, daß Weiterbildung dann am effektivsten und effizientesten ist, wenn sie aus konkretem Anlaß und bei Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt.“ Daher sollte dieses in Schweden und Dänemark erfolgreich praktizierte „Stellvertreter-oder Rotationsmodell" auch bei uns gefördert werden.

Abschließend sei betont, daß den Jugendlichen, die vor oder nach einer Ausbildung Startschwierigkeiten beim Einstieg ins Berufsleben haben, frühzeitig individuelle Hilfen zur Verfügung gestellt werden müssen. Persönliche und soziale Folgekosten können auf diese Weise minimiert werden. Direkte finanzielle Zuwendungen stellen nur die eine Möglichkeit dar, die problematischen Positionen von Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen.

Ein anderer, offensichtlich erfolgversprechender Weg liegt in einer Bündelung von Information, direkter Kommunikation und konkreter Beratung in den entscheidenden Phasen: an den Schwellen zu Ausbildung und Beruf. Die Jugendlichen müssen Ansprechpartner haben, mit denen sie ihre Schuloder sozialen Probleme, ihre Schwierigkeiten bei der Ausbildung besprechen können und wo ihnen notfalls auch schulische Betriebspraktika, Jobs und vieles andere mehr vermittelt werden können. Bei einer solchen Angebotsstruktur würde es sich um ein System handeln, das die Jugendlichen nicht lediglich in Maßnahmen (ab) schiebt, sondern ein'breites Angebot bereithält, das sie sozusagen „auffordert“, die nächsten Schritte zwar begleitet, aber dennoch selbständig zu tun. Gerade für Jugendliche, die aus allen Fördermöglichkeiten „herausgefallen sind“, sind kommunale Anlaufstellen von großer Bedeutung. Auch wenn diese Einrichtungen, gemäß ihrem im Kinder-und Jugendhilfegesetz (KJHG) geregelten Aufgabenbereich, (zuständigkeitshalber) nicht im Sinne einer von den Arbeitsämtern zu leistenden Berufsberatung tätig werden dürfen, wird doch die begleitende Unterstützung im Berufsfindungs-und Einstiegsprozeß immer wichtiger. Bei den Ratsuchenden, die sich an die Kontaktstellen wenden, geht es meist nicht nur um Fragen der fachlichen Eignung für einen bestimmten Beruf, sondern auch um familiäre oder soziale Probleme, die den Berufseinstieg überschatten. Dies erfordert nicht nur, einen intensiven Kontakt zu den Jugendlichen herzustellen, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Wichtig ist aus der Perspektive der betreuenden Experten vor allem die Kooperation mit den zuständigen Institutionen (Arbeitsämtern, Betrieben, Trägern, Kommunen) und der Aufbau von Netzwerken. Solche Kontaktmöglichkeiten stellen nicht nur einen regel-mäßigen Informationsaustausch sicher, sondern sie bilden auch die Basis für regionale Initiativen, die dann an die entscheidenden Stellen weitergeleitet werden können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. M. Tessaring, Wirtschafts-und Arbeitswelt im nächsten Jahrtausend: Perspektiven von Qualifikation und Erwerbsarbeit, Referat, gehalten auf dem 5. Europäischen Aus-und Weiterbildungskongreß des Westdeutschen Handwerkskammertages, Köln 1996.

  2. Vgl. P. Kupka, Lebenslang oder Übergang? Berufspläne junger und angehender Facharbeiter, in: Diskurs, (1998) 1, S. 18-27.

  3. Vgl. Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen, 3 Bde., Bonn 1997.

  4. R. Witt, Konzept eines hypermedialen Assistenzsystems für den verbundenen Erwerb von Fachwissen und Meta-Wissen für den Umgang mit Fachwissen, in: K. Beck/H. Heid (Hrsg.), Lehr-Lern-Prozesse in der kaufmännischen Erstausbildung. Wissenserwerb, Motivierungsgeschehen und Handlungskompetenzen. Beiheft 13 zur Zeitschrift für Berufs-und Wirtschaftspädagogik (ZBW), Stuttgart 1996, S. 70 und S. 68 ff.

  5. Ebd., S. 70.

  6. Vgl. W. R. Heinz/L. Lappe, Strukturwandel der Arbeit -Orientierungswandel der Jugend?, in: Diskurs, (1998) 1, S. 4-9.

  7. Vgl. R. Witt (Anm. 4); J. Bloech/G. Kauer/Ch. Orth. Unternehmensplanspiele in der kaufmännischen Ausbildung -Untersuchungen zum Wissenserwerb, in: K. Beck/H. Heid (Anm. 4), S. 37.

  8. Vgl. R. Witt (Anm. 4), S. 73.

  9. Vgl. R. Stark/H. Gruber/M. Graf/A. Renkl/H. Mandl. Komplexes Lernen in der kaufmännischen Erstausbildung: Kognitive und motivationale Aspekte, in: K. Beck/H. Heid (Anm. 4), S. 23 ff.

  10. Vgl. J. Bloech/G. Kauer/Ch. Orth (Anm. 7), S. 36.

  11. Vgl. R. Stark/H. Gruber/M. Graf/A. Renkl/H. Mandl (Anm. 9).

  12. K. -P. Wild/A. Krapp, Lernmotivation in der kaufmännischen Erstausbildung, in: K. Beck/H. Heid (Anm. 4), S. 105.

  13. M. Prenzel/A. Kristen/P. Dengler/R. Ettle/Th. Beer, Selbstbestimmt motiviertes und interessiertes Lernen in der kaufmännischen Erstausbildung, in: K. Beck/H. Heid (Anm. 4), S. 115.

  14. Vgl. ebd., S. 116.

  15. H. Seitz, Einige Gedanken zum Wandel der Anforderungen und zur Neustrukturierung der Ausbildung in kaufmännischen Berufen, in: F. Achtenhagen/E. G. John (Hrsg.), Lernprozesse und Lernorte in der beruflichen Bildung, Göttingen 1988, S. 485.

  16. G. Schmid, Beschäftigungswunder Niederlande?, in: Leviathan, (1997) 3, S. 305.

  17. Vgl. L. Lappe/E. Raab, Ratsuchende bei der Berufsberatung. Untersuchung im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit, unveröff. Manuskript, Deutsches Jugendinstitut, München 1997; A. Kleffner/L. Lappe/E. Raab/K. Schober, Fit für den Berufsstart? Berufswahl und Berufsberatung aus Schülersicht, in: Materialien aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, (1996) 3.

  18. Vgl. M. Tessaring, Langfristige Tendenzen des Arbeitskräftebedarfs nach Tätigkeiten und Qualifikationen in den alten Bundesländern bis zum Jahre 2010. Erste Aktualisierung der IAB/Prognos-Projektionen 1989/91, in: Mitteilungen der Arbeits-und Berufsforschung (MittAB), (1994) 1.

  19. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Förderung der Beschäftigung von Geringqualifizierten in Deutschland vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Frankreich, den Niederlanden und Schweden, Bonn 1997.

  20. Vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.), Daten und Fakten über Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung, Bonn 1991; S. Davids, Junge Erwachsene ohne anerkannte Berufsausbildung in den alten und neuen Bundesländern, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, (1993) 2.

  21. Vgl. S. Davids, ebd.

  22. Vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, ebd.

  23. Zit. nach P. -W. Kloas, Praktisch orientierte Berufe -ein unzureichendes Konzept, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP), (1999) 1, S. 22 ff..

  24. Vgl. ebd., S. 27.

  25. Vgl. Arbeitsmarkt in Zahlen, Jüngere Arbeitslose. Zahlenübersichten aus der Sondererhebung über Arbeitslose, Ende September 1996, Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg 1996.

  26. P. -W. Kloas (Anm. 25), S. 24 f.

  27. G. Ritzer, Die McDonaldisierung der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997.

  28. Vgl. H. Tuschke/J. G. Ulrich/G. Westhoff, Beschäftigungschancen von ostdeutschen Jugendlichen im ersten Jahr nach Ausbildungsabschluß, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, (1996) 4.

  29. Vgl. U. Berg/L. Lappe/A. Ringer/A. Bläsche, Innovative Programme gegen die Jugendarbeitslosigkeit, in: SAMF-Arbeitspapier, (1998) 2, S. 48 und S. 55 ff. (SAMF = Arbeitskreis Sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung)

  30. Vgl. H. Rademacker (Hrsg.), Hilfen zur beruflichen Integration. Beispiele und Empfehlungen zur Gestaltung kommunaler Berufsbildunsgpolitik, München 1999, S. 141.

  31. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung/Bundesministerium für Bildung und Forschung, Eckpunkte für ein Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit -Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung Jugendlicher, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP) spezial, 1 (1999) 6.

  32. Vgl. G. Schmid, Übergänge in die Vollbeschäftigung. Formen und Finanzierung einer zukunftsgerechten Arbeitsmarktpolitik, in: WZB-Discussion-Paper, Berlin 1994; ders., Reform der Arbeitsmarktpolitik. Vom fürsorgenden Wohlfahrtsstaat zum kooperativen Sozialstaat, in: WSI-Mitteilungen, (1996) 10.

  33. Ebd.', Übergänge ..., S. 45.

Weitere Inhalte

Lothar Lappe, Dr. phil. habil., geb. 1939; seit 1990 Mitarbeiter am Deutschen Jugendinstitut in München; davor Forschungstätigkeit am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und am Soziologischen Forschungsinstitut in Göttingen. Veröffentlichungen u. a.: Die Arbeitssituation erwerbstätiger Frauen. Frankfurt am Main 1981; (Koautor) Persönlichkeitsentwicklung in Facharbeiterbiographien, Bern 1991; Berufsperspektiven junger Facharbeiter, Frankfurt am Main 1993.