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Artikel 21 | APuZ 8/1964 | bpb.de

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Artikel 21

des Weltreich sah So mußte der Entschluß der britischen Regierung, Teil eines wirtschaftlich und später auch politisch geeinigten Europas zu werden, sorgfältig vorbereitet werden. In Presse (z. B.den berühmten Briefen in der Times), Rundfunk, Fernsehen, Reden und Veranstaltungen wurde die Frage Großbritannien — Commonwealth und Europa viele Monate vor dem Antrag auf Beitritt zur EWG diskutiert. Die überwiegende Mehrheit derer, die sich äußerten, war für einen Beitritt, jedoch unter Wahrung der Interessen des Commonwealth, d. h., man wollte das, was Smuts 1948 für möglich gehalten hatte, obwohl die ehrlichsten und klarsten Denker es sich nicht verhehlten, daß eine enge Bindung Großbritanniens an Europa diejenige zum Commonwealth auf lange Sicht zerstören würde. Dies wurde nicht als bedauernswert angesehen, weil das Commonwealth sowieso schon die Tendenz hätte, sich aufzulösen und eine Reihe von regionalen Gruppen zu bilden.

Die ausgesprochenen Gegner eines Beitritts Großbritanniens zur EWG waren entweder anachronistische Überbleibsel imperialistischer Denkart, die das glorreiche Empire, sei es auch nur in eines Gestalt blassen Commonwealth, Mission erhalten wollen, die noch eine Großbritanniens in der Führung dieses Commonwealth sehen, oder es waren linksradikale Gruppen der Labour Party, der Gewerkschaften, die unter dem Vorwand, für das Commonwealth zu sprechen, in Wirklichkeit Angst davor hatten, daß in Großbritannien, wenn es dem „katholischen Kapitalistenklub" beitritt, die Stellung der mächtigen englischen Gewerkschaften erschüttert und die Möglichkeit einer sozialistischen Regierung und Gesellschaftsordnung unterbunden werden würde Die Absicht der Regierung war, sich Europa entschieden aber vorsichtig zu nähern, das Commonwealth zu beruhigen — dadurch daß man bestmögliche Bedingungen für es erlangte — und weiterhin mit den Vereinigten Staaten enge Verbindungen aufrecht zu erhalten, also im Prinzip die drei Linien britischer Außenpolitik, wie sie Smuts 1948 vor Augen hatte, zu verfolgen.

Die öffentliche Meinung war vorbereitet (Crossman behauptet, eine Meinungsbefragung im Sommer 1961 habe gezeigt, daß die meisten Briten glaubten, Großbritannien sei schon Mitglied der EWG). Das Commonwealth war ebenfalls bearbeitet worden: MacMillan hatte im frühen Sommer 1961 drei Minister, darunter den Commonwealth-Minister Sandys, in die verschiedenen Commonwealth-Länder geschickt, um sie von der Notwendigkeit eines britischen Eintritts in die EWG zu überzeugen und wenn möglich, ihr Verständnis, wenn nicht Einverständnis zu erlangen. In die Vereinigten Staaten war MacMillan im April 1961 selbst gereist, um von Kennedy zu erfahren, ob die „besondere Beziehung" zu Großbritannien auch Großbritanniens nach einem Eintritt in die EWG erhalten bleiben werde, und er soll eine positive Antwort erhalten haben Die verbreitete Anschauung, daß Vereinigten Staaten Großbritannien gedrängt haben sollen, in die EWG einzutreten, dürfte kaum in dieser Form begründet sein. Sie wird auch in zu polemischer Art geäußert. So sagt Hughes Großbritannien sei ein bloßer Satellit Amerikas und Kennedy hätte MacMillan so behandelt wie Chruschtschow Ulbricht. Sicher ist, daß die Vereinigten Staaten den Wunsch hatten und noch haben, Großbritannien in der EWG zu sehen, und das war mit ein Grund, warum de Gaulle dagegen war und Großbritannien als eine Art trojanisches Pferd der Amerikaner betrachtete. Großbritannien schien und scheint eben den Vereinigten Staaten eine Garantie dafür, daß die EWG weltoffen bleiben und nicht Inzucht treiben würde, was ebenso aus wirtschaftlichen wie aus politischen Gründen den Vereinigten Staaten nicht erwünscht wäre. So war es keine Überraschung, als MacMillan am 31. Juli 1961 in einer Regierungserklärung vor dem Unterhaus bekannt gab, daß Groß-britannien nunmehr einen Antrag auf Voll-mitgliedschaft in der EWG unter Artikel 237 des Vertrages von Rom stellen werde. Es ist bemerkenswert, daß kein Regierungssprecher es hätte wagen dürfen zu sagen, daß Europa etwa Großbritannien näher stünde als das Commonwealth. Im Gegenteil, MacMillan betonte, wenn eine engere Beziehung zwischen den EWG-Ländern und Großbritannien die lang bestehenden und historischen Bande zwischen Großbritannien und den anderen Nationen zerreißen würde, dann wäre der Verlust größer als der Gewinn. Das Commonwealth sei eine Quelle der Stabilität für Westeuropa und für die ganze Welt, und er sei sicher, daß die EWG-Länder dies anerkennen würden.

Er glaube aber nicht, daß Großbritanniens Beitrag zum Commonwealth (er hätte auch „Führung" sagen können) sich verringern werde, wenn Europa sich vereinige. Man werde alles tun, um die wirtschaftlichen Interessen des Commonwealth zu wahren. Freilich sagte er ein paar Tage später während der Diskussion, im Commonwealth würden keine bindenden Entscheidungen getroffen, es gäbe keine einheitlich beschlossene Außenpolitik noch Verteidigungspolitik, einige der Mitglieder seien in verschiedenen Verteidigungspakten verbunden, andere hätten keinerlei Bindungen, aber trotz all dieser Verschiedenheiten habe das Commonwealth, obwohl es nicht politisch einheitlich sei, doch wirklich Kraft und Einheit. Es sei etwas Wertvolles und Einzigartiges. Aber Großbritannien allein sei heute ohne Wert für das Commonwealth, denn es habe weder die erforderliche Macht mehr noch auch genügend Kapital. Doch wenn Großbritannien als Mitglied der EWG in einem riesigen Markt von 230 Millionen Menschen neue Kraft gewonnen haben würde, dann könne es auch dem Commonwealth wieder ein wertvolles Mitglied sein Ein Verlust britischer Souveränität sei nicht zu befürchten, weil man nicht daran denke, Europa in einen Bundesstaat nach Art der Vereinigten Staaten zu verwandeln, obwohl dies einige Politiker wollten.

Der damalige Führer der offiziellen Opposition, Hugh Gaitskell, ließ in seiner Rede im Parlament eine abwartende Haltung der Labour Party erkennen. Die Probleme seien so kompliziert, daß man sich weder für noch gegen einen Beitritt Großbritanniens entscheiden könne, ehe die Verhandlungen mit den EWG-Partnern Klarheit über die Bedingungen geschaffen hätten, unter denen Großbritannien in die Gemeinschaft eintreten könne. Eines sei aber klar: ein Beitritt zur EWG sei nicht der erste Schritt zu den Vereinigten Staaten von Europa. Dazu sei das britische Volk noch nicht bereit. Vielleicht in 25, 50 oder 100 Jahren, aber keinesfalls im Augenblick. Er sähe in der EWG mehr eine Art eines europäischen Commonwealth oder wie de Gaulle ein „Europe des Patries".

Auf alle Fälle müsse Großbritannien die Zustimmung des Commonwealth haben. Die Ansicht der Commonwealth-Länder müsse in einer Konferenz der Premiers gehört werden. Denn die Commonwealth-Länder würden Präferenzzölle und die Zollfreiheit für gewisse Güter verlieren. Zwar könne das Commonwealth kein Vetorecht haben, aber der Beitritt Großbritanniens müsse den Commonwealth-Ländern angenehm sein, sonst würde der Premierminister nicht in der Lage sein, Großbritannien in die EWG zu bringen. Man dürfe nicht den Niedergang und Verfall des Commonwealth begünstigen. Die Einheit Europas könne nicht auf festen Füßen stehen, wenn Furcht und Mißtrauen in Großbritannien, Bitterkeit und Desillusionierung im Commonwealth herrsche.

Harold Wilson, der nach dem Tode Gaitskells im Januar 1963 der Führer der Labour Party wurde, schloß sich Gaitskells abwartender Haltung an und meinte, nur ein Scharlatan oder Einfaltspinsel könne den geplanten Beitritt zur EWG in Schwarz oder Weiß sehen, bis man wisse, welche Bedingungen die EWG-Länder stellten. Die kleine liberale Partei erklärte sich am rückhaltlosesten für einen Beitritt, ohne sich zu viele Gedanken über den möglichen Verlust von Souveränität oder die Bedenken der Commonwealth-Länder zu machen. Die meisten Mitglieder der beiden großen Par-teien im Unter-und Oberhaus schlossen sich ihren Führern an und waren auf einen Beitritt Großbritanniens unter günstigen Bedingungen. Aber in beiden Parteien gab es eine kleine Zahl von Rebellen. Am schärfsten griff der konservative Unterhausabgeordnete Fell, der der Beaverbrook-Presse nahesteht, die Regierung an. Er nannte MacMillan ein nationales Unglück, weil er die britische Souveränität in Europa aufs Spiel setze, während 650 Millionen Menschen im Commonwealth von seiner Treue und Führung abhingen. Das sei das katastrophalste, was ein Premierminister seit Generationen getan habe.

Etwas gemäßigter und realistischer äußerte sich die kleine Gruppe der Rechts-Konservativen, die eine dynamische, wirtschaftspolitische Belebung des Commonwealth forderten als Alternative für den Beitritt Großbritanniens in die EWG Der konservative Politiker Lord Salisbury meinte, die wirtschaftliche Seite des geplanten Beitritts sei nicht das wichtigste. Jean Monnet hätte immer die Föderation Europas als Ziel gesetzt. Der Vertrag von Rom sei der erste Schritt dorthin. Er lege den Mitgliedern weit mehr Beschränkungen der individuellen Freiheit der einzelnen Länder in den Weg als die „Verfassung" des Commonwealth. Es sei bezeichnend, daß die Mitglieder des Commonwealth sich immer weiter voneinander entfernten, während die Gruppe Europa sich immer enger zusammenschlösse. Die alten Mitglieder des Commonwealth seien die besten Freunde, die Großbritannien in der Welt habe, weit bessere Freunde, als Großbritannien sie je in Europa finden würde. Ein anderer Konservativer, Lord Hinchingbrooke, sagte, man habe alles versucht, um mit Europa, aber nicht um mit dem wirtschaftlich Commonwealth zusammenzuarbeiten. Kennedy hätte den Briten die Pistole auf die Brust gesetzt, um sie zu zwingen, in die EWG einzutreten, und MacMillan hätte diesen Befehl ausgeführt. Außerdem, meinte er, gäbe es Konservative, die es vorzögen, durch eine europäische Bürokratie regiert zu werden anstatt durch britischen Sozialismus. Auf der Seite der Labour Party äußerte sich Lord Attlee, ehemaliger Premierminister, dahin, daß die heutigen Finanzleute Deutschlands einstmals Hitler gedient hätten, daß es in Europa keine echte Demokratie gäbe und daß das Commonwealth hauptsächlich demokratisch sei. Er könnte die Einigung Europas nicht als einen Schritt zur Einheit der Welt sehen. Es wäre für Großbritannien besser, die Entwicklung des Commonwealth zu fördern und sich nicht auf Europa zu konzentrieren.

In der Tat schienen Links-und Rechtsradikale in ihrem Antagonismus gegen Europa sich aus entgegengesetzten Gründen zu treffen. Der alte Imperialist Lord Selborne wies in einem Brief in der " Times" darauf hin, daß der linksradikale Abgeordnete Shinwell und er zum erstenmal gleicher Meinung seien: Das Commonwealth dürfe nicht geopfert werden Das linksgerichtete Wochenblatt New Statesman hatte schon am 21. Juni 1961 einen kurzen Artikel mit der Überschrift „Das Commonwealth wird niedergerissen" gebracht. Das Commonwealth — sagt der " Statesman" — kann nicht halb in der EWG und halb außerhalb der EWG weiterbestehen. Seine Stärke bestand darin, daß es in seiner politischen und wirtschaftlichen Struktur biegsam und doch unteilbar war. Wenn das aufhört, wahr zu sein — und das ist die Aussicht, die vor uns liegt —, dann wird nicht nur das Commonwealth rasch zerfallen, sondern das Zerfallen bedeutet, daß Großbritannien nicht mehr denselben Einfluß in der Welt haben wird wie zuvor. Trotz aller Schwächen war das Commonwealth ein Sammelpunkt all der Nationen gewesen, die den Kommunismus ablehnen, aber auch fürchten, in die wirtschaftliche und politische Bahn Washingtons gerissen zu werden.

Als ob die Mitgliedschaft und das Bestehen des Commonwealth es bisher hätten verhindern können, daß die einzelnen Länder in die politische Bahn Washingtons hineingezogen wurden. Die Reaktion der Commonwealth-Länder beschäftigte sich hauptsächlich mit wirtschaftlichen Bedenken und Befürchtungen. Die günstigen Bedingungen für eine Einfuhr nach Großbritannien würden, das war klar, in Wegfall kommen, wenn Großbritannien Mitglied der EWG würde. Aber auch politisch sahen die Sprecher des Commonwealth eine Bedrohung. Sir Robert Menzies, Australiens Premierminister, eine der imposantesten Persönlichkeiten des Commonwealth, meinte daß ein Beitritt Großbritanniens zur EWG nicht ohne Wirkung auf die engen politischen Beziehungen bleiben werde, die für das Commonwealth charakteristisch sind. Die EWG habe eben auch eine große politische Idee. Für Europa wäre die Verwirklichung dieser Idee (Föderation) eine ungeheure Entwicklung, aber wenn sich diese gemeinsame europäische Politik mit Großbritanniens Teilnahme vollzöge, dann könne das Commonwealth nicht das bleiben, was es bislang war.

Der neuseeländische Premierminister P. M. Holyoake sagte, Neuseeland werde wirtschaftlich und politisch isoliert. Nehru war überzeugt daß das Commonwealth in mancher Hinsicht geschwächt werde; der Premierminister Ghanas, Nkrumah, glaubte sogar, das Commonwealth würde zerfallen.

Ähnlich waren die Stimmen aus Kanada und Rhodesien.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß zu dem Zeitpunkt, da die britische Regierung sich entschloß, Verhandlungen mit der EWG über einen Eintritt aufzunehmen, die Stimmung derjenigen Schichten im Volke, die sich ein Urteil zumuteten, überwiegend positiv war und daß auch die konservative Partei größtenteils einen Beitritt befürwortete. Die Mehrheit der Labour Party war auch eher für als gegen einen Beitritt, behielt sich aber ein endgültiges Urteil vor; die große Masse des Volkes aber hatte keine Meinung, sondern überließ die Diskussion den Experten.

Als ein Jahr später die Verhandlungen mit der EWG weit genug gediehen schienen, lud Mac-

Millan die Commonwealth-Premiers zu einer Konferenz nach London, damit sie sich über den beabsichtigten Beitritt Großbritanniens und dessen Folgen für die Zukunft des Commonwealth aussprechen könnten. Es war in der Zwischenzeit klar geworden, daß die EWG-Länder den Interessen der Commonwealth-Länder nicht so weit entgegenkommen würden, wie man vielleicht gehofft hatte. Aus diesem Grunde hatte sich die Stellungnahme der meisten Commonwealth-Mitglieder eher etwas verhärtet. Jedermann war sich klar, daß man nicht erwarten konnte, daß Großbritannien dem Commonwealth zuliebe — das stets seine eigenen Interessen rücksichtslos wahrgenommen hatte, selbst wenn es Großbritannien nicht genehm war — auf einen Beitritt zur EWG verzichten würde; man beschränkte sich darauf, die Lockerung oder gar den Zerfall des Commonwealth in düsteren Farben zu malen. Die öffentlichen Äußerungen der Commonwealth-Premiers waren, als sie sich in London versammelten, im allgemeinen recht gemäßigt, resigniert vielleicht, aber durchaus nicht verärgert. Man hatte sich im Verlauf des letzten Jahres damit vertraut gemacht, daß für Großbritannien das Commonwealth nicht mehr das dringlichste Anliegen war, ja man hatte überall Verständnis dafür, daß Europa sich enger zusammenschließen wolle und daß Großbritannien ein Teil Europas ist. Nehru sprach von dem fast sicheren Auseinanderbrechen des Commonwealth. Bustamente, der Premierminister von Jamaika, meinte, das Commonwealth müsse sterben, während Makarios von Zypern etwas optimistischer und energischer forderte, man dürfe nicht zugeben, daß das Commonwealth zugrunde gehe. Die Premiers der alten weißen Commonwealth-Länder Kanada, Australien und Neuseeland waren vorsichtig in ihren Äußerungen; sie hatten ja vorher schon oft genug ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Die jüngeren, voran die afrikanischen Mitglieder des Commonwealth, hatten vornehmlich wirtschaftliche Bedenken, politisch waren sie noch zu wenig gefestigt, um sich klar zu werden, ob das Commonwealth für sie in der Zukunft interessant genug sein würde. Zu wissen, was während der Konferenz gesagt wurde, wäre natürlich sehr interessant;

aber es ist die Tradition dieser Premierminister-Konferenzen, daß man lediglich ein recht farbloses Kommunique nach Beendigung der Konferenz veröffentlicht, das sich in Gemeinplätzen ergeht und nur das sagt, was allen schon lange bekannt war.

Einen gewissen Einblick in die Verhandlungen gibt indirekt MacMillans Fernsehrede. Die Konferenz hatte vom 10. — 19. September getagt, am 20. September sprach MacMillan zu seinen Mitbürgern. Er bezeichnete die gerade beendete Konferenz als die wichtigste, die je im Commonwealth abgehalten wurde, da sie das ungeheure Problem Europa -Großbritannien -Commonwealth zum Gegenstand gehabt habe. Er wies die Ansicht, daß Großbritannien zwischen Commonwealth und Europa wählen müsse, zurück, da EWG und Commonwealth ganz verschiedenartige Organisationen seien.

„Wir in Großbritannien", sagte er, „haben das Commonwealth vollkommen verändert. Vor 16 Jahren bestand das Commonwealth aus Großbritannien und vier unabhängigen Ländern, ursprünglich britische Kolonien mit hauptsächlich britischem Volkstum (?), alle Untertanen der Königin. Obwohl wir über verschiedene Dinge nicht einig waren, waren wir doch eine einheitliche kleine Gruppe. Wir betrieben eine große, gemeinsame Linie in der Außenpolitik. Wir waren in der Tat ein Militärbündnis, erprobt in zwei Kriegen. Aber jetzt ist alles anders geworden, und was einmal das britische Reich war, ist ein neues Ding geworden, das Commonwealth. Jetzt sind wir 15 Länder (September 1962), verstreut in Asien, in Afrika, in den Westindischen Inseln sowohl wie in den alten Ländern, von denen ich eben gesprochen habe. Einige Premierminister haben die Befürchtung geäußert, daß, wenn Großbritannien der EWG beitritt, dann das Commonwealth nicht mehr das gleiche sein werde. Aber es blieb nie das gleiche, es hat sich fortdauernd verändert, und es wird sich weiter ändern. Was ist denn das Commonwealth noch wert? Äußerste Verschiedenheit ist sein Wert; daß es sich über alle Teile der Welt erstreckt und dennoch diese Verbindung besteht. Wir hören unsere gegenseitigen Ansichten und sprechen miteinander. Wir blicken nach außen und nicht nach innen; wir sind nicht eng oder egoistisch.

Aber wenn man dieses Commonwealth mit der EWG vergleicht, so sieht man, das ist etwas ganz anderes. Sechs Länder, die eine Zollunion beschlossen haben und 1970 eine wirtschaftliche Einheit sein werden. Sie sind bisher sehr erfolgreich gewesen. Sie wollen — und werden auch — politisch aneinander wachsen. Wir haben mit dem Commonwealth besprochen, wie man die starken historischen Bindungen des Commonwealth mit der neuen Entwicklungsstruktur Europas in Einklang bringen könne. Wir sind immer ein Teil von Europa gewesen, obwohl wir es nicht immer wahrhaben wollten. Einige wollen zurück zu den guten alten Zeiten, aber wir müssen vorwärts. Vor einem Jahr entschlossen wir uns, uns mit der EWG zu vereinigen. Dies geschah aus zwei Gründen, wirtschaftlichen und politischen. Wir wollen die europäischen Streitigkeiten ein für allemal beenden, und wenn wir nicht mit in Europa dabei sind, dann wird unser Einfluß in Europa und auch in der Welt schwinden.

Mit Großbritannien und den EFTA-Ländern wird Europa 220 bis 230 Millionen Menschen zählen und wirtschaftlich sowohl wie in allen anderen Dingen ebenso stark sein wie die USA und die Sowjetunion. Wenn wir nicht mit dabei sind, dann werden wir immer schwächer und können unsere wirkliche Kraft nicht in der Welt dieser Riesen entfalten.

Warum, hat man gefragt, bilden wir keinen gemeinsamen Markt mit dem Commonwealth? Nun, keine der Bedingungen und Voraussetzungen, wie wir sie in Europa haben, sind vorhanden, die einen gemeinsamen Markt möglich machen würden, denn das Commonwealth besteht aus Ländern, die ganz verschiedene Hintergründe, verschiedene Rassen, verschiedene Abstammung, verschiedene Entwicklungsstufen aufweisen und über die ganze Welt verstreut sind. Die Länder des Commonwealth bilden einfach keine kompakte Gruppe. Wenn wir die langen Verhandlungen, die noch notwendig sind, beendet haben, dann müssen wir hier in Großbritannien uns entscheiden, was wir tun wollen. Alle Commonwealth-Länder haben das eingesehen. Schließlich sind auch wir unabhängig (die Mutter hat ein Recht, ihr eigenes Leben zu leben). In ganz Westeuropa warten die Menschen darauf, daß Großbritannien sich mit ihnen verbindet, um für Frieden und Fortschritt zu arbeiten.“

Einen Tag später, am 21. September 1962, hielt der damalige Führer der Opposition, Gaitskell, eine Fernsehrede, die das seltsame Schauspiel bot, daß ein Sprecher der Labour Party konservativ reagierte, während MacMillan fortschrittlich, ja vom Standpunkt Großbritanniens aus revolutionär gedacht hatte. Gaitskell meinte, wirtschaftlich wäre der Beitritt Großbritanniens zur EWG weder vorteilhaft noch nachteilig, aber politisch würde Großbritannien ein gewisses Maß an Freiheit verlieren. Er könne dem Verlust der Unabhängigkeit Großbritanniens in der Außenpolitik nicht zustimmen. Denn die EWG steure ganz deutlich auf eine politische Föderation hin, was bedeute, daß Großbritannien in den Vereinigten Staaten von Europa nicht mehr Macht haben werde als Texas oder Kalifornien in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das wäre das Ende einer tausendjährigen Geschichte. Eine solche Föderaiton bedeute das Ende des Commonwealth, denn das Zentrum des Commonwealth könne nicht eine bloße Provinz Europas sein. Gegen eine lose, nach außen schauende Verbindung mit Europa habe er nichts einzuwenden und er fordere die EWG-Länder auf, präzise Vorschläge zu machen, wie man das Commonwealth erhalten könne. Wenn das britische Volk wählen müßte zwischen Europa und dem Commonwealth, so habe er keinen Zweifel, wie die Wahl ausfallen würde, nämlich zugunsten Kanadas, Australiens und Neuseeland.

Das war eine wirre Haltung und gegenüber Gaitskells Äußerungen vor einem Jahr mehr gefühlsbetont als vernünftig, ja nationalistisch und eng. Die Labour Party hat ebenso wie die konservative und selbst die liberale Partei keine einheitliche Politik Europa gegenüber. Wir erinnern uns an Reynauds Wort, daß in Großbritannien die Opposition stets für, die Regierung gegen Europa, d. h. die Einheit Europas mit Großbritannien ist. Aber seit dem Umschwenken MacMillans und der Mehrheit seiner Partei hat sich die Opposition allmählich immer schärfer gegen eine Vereinigung Großbritanniens mit Europa ausgesprochen und eine fast nationalistisch anmutende Commonwealth-Politik befürwortet. Es ist aber anzunehmen, daß die Labour Party — sollte sie an die Regierung kommen — sich Europa gegenüber wieder positiver einstellen wird.

1948 z. B. hatte die Jahreskonferenz der Labour Party in einer Resolution beschlossen, mit den europäischen sozialistischen Parteien auf eine Vereinigung Europas hinzuarbeiten. Die Regierungspolitik versuchte zwar, die bestmöglichen Bedingungen für den Beitritt zur EWG auch für das Commonwealth und die EFTA-Länder zu erlangen, aber selbst wenn die hauptsächlich wirtschaftlichen Interessen des Commonwealth nicht ganz hätten befriedigt werden können, so wäre Großbritannien dennoch beigetreten. Es hätte also das Commonwealth, wenn man so will, fallen lassen oder, wie die rechtskonservative Beaverbrook-Presse es ausdrückte, es verraten. Hier ist vielleicht wieder an die amerikanische Politik zu erinnern, die zwar ein Vereintes Europa wünscht, aber eines, das nach außen schaut, d. h. eine liberale Handelspolitik auch gegenüber Amerika und dem Commonwealth verfolgt. Australien und Neuseeland hatten auf der 11. Ratssitzung des ANZUS-Paktes vom 10. Mai 1962 dem amerikanischen Außenminister Rusk gegenüber ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht, daß sie im Falle eines britischen Beitritts zur EWG auf ihre Präferenzzölle verzichten müßten. Rusk hatte geantwortet, es sei das Interesse des Commonwealth und der USA, daß die EWG auch nach dem Beitritt Großbritanniens keine Diskriminierung gegenüber Nichtmitgliedern zeige. Aber ein dauerndes Weitergewähren der bestehenden Commonwealth-Präferenzen würde lebenswichtige Interessen der USA beeinträchtigen, die an einer Liberalisierung des Welthandels interessiert seien. Die USA hätten Großbritannien nicht gedrängt, der EWG beizutreten, sondern sich lediglich zustimmend geäußert. Australien und Neuseeland sollten lieber für freien Welthandel mit den Vereinigten Staaten kämpfen, statt auf Präferenzen zu pochen.

Der australische Handelsminister Mc Ewen hatte darauf am 13. Mai 1962 geantwortet, das Verhalten der USA gegenüber Australien sei nicht das eines Landes, welches seine Märkte anderen gegenüber offen hält. In der Tat sind die Vereinigten Staaten ebenso wie die Commonwealth-Länder weit davon entfernt, einer westlichen Weltfreihandelszone zuzustimmen.

Trotz aller Versicherungen MacMillans, daß das Commonwealth nach wie vor ein Anliegen Großbritanniens sei, hätte ein Eintritt Großbritanniens in die EWG das Commonwealth wirtschaftlich ausgebootet. Man hätte, wenn alles gut gegangen wäre, ein nach außen geschlossenes Wirtschaftssystem Kleineuropas (mit sieben Staaten einschließlich Großbritannien) bekommen, was wirtschaftlich auch den Vereinigten Staaten zu schaffen gemacht hätte. Die Commonwealth-Länder hätten sich neu orientieren müssen, und der politische Vorteil, den die Vereinigten Staaten in einem solchen Wirtschaftssystem der Reichen und Leistungsfähigen gesehen hätten, wäre den Commonwealth-Ländern nicht zugute gekommen. Politisch wären sie fast alle isoliert gewesen und hätten sich ihre eigenen regionalen Sicherheitssysteme schaffen müssen. Für Kanada ist das Bestehen des Commonwealth ein notwendiges Gegengewicht gegen den Sog, den die Vereinigten Staaten immer ausgeübt haben. Australien und Neuseeland würden den Weg weiter gehen, der durch den ANZUS-Pakt vorgezeichnet ist; aber sie wären fortan nur zwei der vielen „Protektorate" der Vereinigten Staaten geworden. Die afrikanischen, asiatischen und westindischen Commonwealth-Länder hätten das Wohlwollen der Vereinigten Staaten gebraucht, um sich gegenüber kommunistischen Angriffen zu schützen.

Atempause für das Commonwealth

Das Commonwealth hat sich seit 1945 rapide verändert, und es besteht keine „Gefahr", daß es, wie Smuts 1949 meinte, jahrhundertelang als Schemen ohne wirkliche Macht dahinvegetieren wird. Es ist viel wahrscheinlicher, daß es in 50 Jahren verschwunden ist. De Gaulles Veto Großbritannien gegenüber auf der Pressekonferenz am 14. Januar 1963 hat noch einmal die Aussicht auf ein längeres Bestehen verbessert.

Die Reaktion auf das Scheitern der Verhandlungen über den Beitritt Großbritanniens zur EWG war, wie man es von den Briten gewohnt ist, maßvoll. MacMillan sagte in einer Fernsehrede am 30. Januar 1963, wenn es möglich gewesen wäre, einen gemeinsamen Markt mit dem Commonwealth zu schaffen, so hätte man dies vor Jahren getan. Aber es sei aus technischen Gründen nicht möglich. Großbritannien werde natürlich mit dem Commonwealth und den Vereinigten Staaten in einer ehrenvollen Partnerschaft weiterarbeiten. Und darum sei Großbritannien entschlossen, der NATO treu zu bleiben. Die Regierung habe gehofft, in Europa eine große Gemeinschaft zu bilden, die den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ebenbürtig gewesen wäre. Der damalige Außenminister Lord Home (heute Premierminister Sir Alec Douglas-Home) sagte in einer Debatte im Unterhaus im Februar 1963: „Wir wollen in Fühlung bleiben mit unseren europäischen Freunden, damit Europa sich in der Zukunft in einer Weise entwickelt, die nach außen schaut, politisch, wirtschaftlich und militärisch; ein Europa, wie es auch die Welt draußen gerne sehen möchte."

Die Reaktion der denkenden und sich äußernden Minderheit, die Briefe an die " Times" schreibt, war nicht sehr einheitlich. Einige forderten Maßnahmen der Regierung, andere meinten, Großbritannien müsse sich jetzt selbst zusammenreißen und einige gaben de Gaulle recht: Großbritannien wäre ein trojanisches Pferd für die Amerikaner gewesen. Industrie, Finanz und Mehrheit der konservativen Partei, die vordem den Eintritt Großbritanniens in die EWG als die einzige Rettung für die stagnierende britische Wirtschaft gesehen hatten, meinten, nun müsse man weiter sehen, es müsse auch so gehen.

Im Commonwealth atmete man erleichtert auf, weil nun die bisherigen Handelsbeziehungen und Vorteile bis auf weiteres erhalten bleiben würden. In New Delhi wurde die Befürchtung geäußert, daß jetzt Europa unter französischer Hegenomie zu kommen drohe und Großbritannien nicht die enge kontinentale Politik abzumildern vermöge. In Kanada forderte Diefen-baker Lagebesprechung, in Australien war nirgends Jubel. Alle Meinungsäußerungen sagten aus, daß ein Beitritt Großbritanniens zur EWG schlecht für das Commonwealth gewesen wäre; trotzdem bedauerte man, daß Großbritanniens Versuch, „europäisch" zu werden und gleichzeitig die Interessen des Commonwealth zu wahren, durch das Veto de Gaulles gescheitert sei.

Harold Wilson, der nach Gaitskells Tod (18. Januar 1963) am 17. Februar 1963 zum Führer der Labour Party gewählt wurde, meinte in einer Rede in Cardiff am 22. Februar 1963, das Vertrauen des Commonwealth müsse erst wieder langsam gewonnen werden. Aber dies scheint mir weder notwendig noch möglich. Es ist nicht notwendig, da die wirtschaftlichen Interessen des Commonwealth einstweilen gesichert sind, da ein gemeinsamer Markt im Commonwealth nach wie vor unmöglich ist und da viele Commonwealth-Länder, Neuseeland voraus, aufgeatmet haben werden. Auf der anderen Seite sind die Commonwealth-Länder gewarnt worden und wissen, daß sie mit einem möglichen Beitritt Großbritanniens immer noch zu rechnen haben. Deswegen ist ein Vertrauen unmöglich. Das beste, was die weißen Commonwealth-Länder tun können, ist sich der Unterstützung der Vereinigten Staaten für einen Beitritt Großbritanniens zu versichern, damit die EWG offener nach außen wird. Eine lose atlantische Verbindung wäre noch die beste Garantie für das Weiterbestehen des Commonwealth.

Der französische Politiker Jean Monnet hat einmal gesagt, daß die Briten nie eine Idee, sondern nur harte Tatsachen begreifen. Oft scheint es aber genau entgegengesetzt zu sein. Der englische Publizist John Mander schrieb: „Dadurch daß Großbritannien die Tatsache des Empire für die Phantasie des Commonwealth eintauschte, hat es seinen Wirklichkeitssinn ernstlich gefährdet." Aber es scheint mir, daß eine starke romantische Seite im englischen Wesen schon immer vorhanden war. Harter Wirklichkeitssinn kann Hand in Hand gehen mit starken Sentimenten, ja Sentimentalität für die entschwundene glorreiche Vergangenheit oder aber auch für die Idee einer noch glorreicheren Zukunft — wie sie Smuts vorschwebte — in Gestalt einer weltumfassenden Friedensgemeinschaft. Diese Sentimentalität kann auch die farbigen Mitgliedstaaten des Commonwealth ergreifen: Die spontane Begeisterung der Volksmenge bei dem Besuch der englischen Königin in Indien war ein Ausdruck dieser merkwürdigen Gemütsbewegung. Da aber Sentimente, Sentimentalität ebenso wie Wirklichkeitssinn politische Faktoren sein können, ist es keineswegs unmöglich, daß das Commonwealth — trotz vieler verächtlicher und sarkastischer Äußerungen selbst in der britischen Presse über dieses „Phantom“ — noch politische Wellen auf dem Meer der Weltpolitik hervorrufen wird.

Die wirklich tiefgehenden Probleme in der Welt, die Überbrückung der Kluft zwischen reichen und armen Völkern, Überwindung des Rassenhasses und der Rassenarroganz, Abrüstung und schließlich politische und wirtschaftliche Freiheit, gehen alle an: die Vereinigten Staaten, die Vereinten Nationen, das Commonwealth, Europa, ja selbst die kommunistischen Staaten. An eine Lösung dieser Probleme ist auf sehr lange Sicht nicht zu denken. Aber die ernste und ehrliche Beschäftigung mit ihnen ist die einzige Hoffnung für die Menschheit. Es ist die Überzeugung derer, die noch an den Wert des Commonwealth glauben, daß keine Weltorganisation so fruchtbringend an ihnen zu arbeiten vermag wie das Commonwealth.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Meinung waren die Mitglieder einer Konferenz über die Zukunft des Commonwealth, die von einer Reihe bedeutender Verwaltungsbeamter, Universitätsprofessoren, Journalisten, Industriellen, Kolonialbeamten etc. vom 25. — 27. April 1963 gehalten wurde. Vgl. " The Future of the Commonwealth, a British View“ HM Stationary Office, 1963, London S. 3.

  2. Vgl. zu B. Emry Hughes in der Biographie Mac-Millan, Allen & Unwin 1962 und Crossmann: " British Labour looks at Europe", Foreign Affairs, Juli 1963.

  3. so Beloff, op. cit. S. 101, aber anderer Anschauung ist Uwe Kitzinger in " The Challenge of the Common Market", Oxford 1962, S. 114.

  4. Hughes, op. cit. S. 234.

  5. Vgl. zu dieser ganzen Diskussion die ausführlichen Berichte in der 'Times'vom 1. — 4. August 1961.

  6. Vgl. die im Juni 1962 erschienene Broschüre von Sir Derek Walker-Smith und Peter Walker, " A Call to the Commonwealth".

  7. " Times", 27. Juli — 2. August 1961.

  8. “ Times", 1. August 1961.

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