Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Artikel 24 | APuZ 8/1964 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 8/1964 Artikel 1 Artikel 2 Artikel 3 Artikel 4 Artikel 5 Artikel 6 Artikel 7 Artikel 8 Artikel 9 Artikel 10 Artikel 11 Artikel 12 Artikel 13 Artikel 14 Artikel 15 Artikel 16 Artikel 17 Artikel 18 Artikel 19 Artikel 20 Artikel 21 Artikel 22 Artikel 23 Artikel 24 Artikel 25 Artikel 26 Artikel 27 Artikel 28

Artikel 24

Die Reaktion der Commonwealth-Länder beschäftigte sich hauptsächlich mit wirtschaftlichen Bedenken und Befürchtungen. Die günstigen Bedingungen für eine Einfuhr nach Großbritannien würden, das war klar, in Wegfall kommen, wenn Großbritannien Mitglied der EWG würde. Aber auch politisch sahen die Sprecher des Commonwealth eine Bedrohung. Sir Robert Menzies, Australiens Premierminister, eine der imposantesten Persönlichkeiten des Commonwealth, meinte daß ein Beitritt Großbritanniens zur EWG nicht ohne Wirkung auf die engen politischen Beziehungen bleiben werde, die für das Commonwealth charakteristisch sind. Die EWG habe eben auch eine große politische Idee. Für Europa wäre die Verwirklichung dieser Idee (Föderation) eine ungeheure Entwicklung, aber wenn sich diese gemeinsame europäische Politik mit Großbritanniens Teilnahme vollzöge, dann könne das Commonwealth nicht das bleiben, was es bislang war.

Der neuseeländische Premierminister P. M. Holyoake sagte, Neuseeland werde wirtschaftlich und politisch isoliert. Nehru war überzeugt daß das Commonwealth in mancher Hinsicht geschwächt werde; der Premierminister Ghanas, Nkrumah, glaubte sogar, das Commonwealth würde zerfallen.

Ähnlich waren die Stimmen aus Kanada und Rhodesien.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß zu dem Zeitpunkt, da die britische Regierung sich entschloß, Verhandlungen mit der EWG über einen Eintritt aufzunehmen, die Stimmung derjenigen Schichten im Volke, die sich ein Urteil zumuteten, überwiegend positiv war und daß auch die konservative Partei größtenteils einen Beitritt befürwortete. Die Mehrheit der Labour Party war auch eher für als gegen einen Beitritt, behielt sich aber ein endgültiges Urteil vor; die große Masse des Volkes aber hatte keine Meinung, sondern überließ die Diskussion den Experten.

Als ein Jahr später die Verhandlungen mit der EWG weit genug gediehen schienen, lud Mac-

Millan die Commonwealth-Premiers zu einer Konferenz nach London, damit sie sich über den beabsichtigten Beitritt Großbritanniens und dessen Folgen für die Zukunft des Commonwealth aussprechen könnten. Es war in der Zwischenzeit klar geworden, daß die EWG-Länder den Interessen der Commonwealth-Länder nicht so weit entgegenkommen würden, wie man vielleicht gehofft hatte. Aus diesem Grunde hatte sich die Stellungnahme der meisten Commonwealth-Mitglieder eher etwas verhärtet. Jedermann war sich klar, daß man nicht erwarten konnte, daß Großbritannien dem Commonwealth zuliebe — das stets seine eigenen Interessen rücksichtslos wahrgenommen hatte, selbst wenn es Großbritannien nicht genehm war — auf einen Beitritt zur EWG verzichten würde; man beschränkte sich darauf, die Lockerung oder gar den Zerfall des Commonwealth in düsteren Farben zu malen. Die öffentlichen Äußerungen der Commonwealth-Premiers waren, als sie sich in London versammelten, im allgemeinen recht gemäßigt, resigniert vielleicht, aber durchaus nicht verärgert. Man hatte sich im Verlauf des letzten Jahres damit vertraut gemacht, daß für Großbritannien das Commonwealth nicht mehr das dringlichste Anliegen war, ja man hatte überall Verständnis dafür, daß Europa sich enger zusammenschließen wolle und daß Großbritannien ein Teil Europas ist. Nehru sprach von dem fast sicheren Auseinanderbrechen des Commonwealth. Bustamente, der Premierminister von Jamaika, meinte, das Commonwealth müsse sterben, während Makarios von Zypern etwas optimistischer und energischer forderte, man dürfe nicht zugeben, daß das Commonwealth zugrunde gehe. Die Premiers der alten weißen Commonwealth-Länder Kanada, Australien und Neuseeland waren vorsichtig in ihren Äußerungen; sie hatten ja vorher schon oft genug ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Die jüngeren, voran die afrikanischen Mitglieder des Commonwealth, hatten vornehmlich wirtschaftliche Bedenken, politisch waren sie noch zu wenig gefestigt, um sich klar zu werden, ob das Commonwealth für sie in der Zukunft interessant genug sein würde. Zu wissen, was während der Konferenz gesagt wurde, wäre natürlich sehr interessant;

aber es ist die Tradition dieser Premierminister-Konferenzen, daß man lediglich ein recht farbloses Kommunique nach Beendigung der Konferenz veröffentlicht, das sich in Gemeinplätzen ergeht und nur das sagt, was allen schon lange bekannt war.

Einen gewissen Einblick in die Verhandlungen gibt indirekt MacMillans Fernsehrede. Die Konferenz hatte vom 10. — 19. September getagt, am 20. September sprach MacMillan zu seinen Mitbürgern. Er bezeichnete die gerade beendete Konferenz als die wichtigste, die je im Commonwealth abgehalten wurde, da sie das ungeheure Problem Europa -Großbritannien -Commonwealth zum Gegenstand gehabt habe. Er wies die Ansicht, daß Großbritannien zwischen Commonwealth und Europa wählen müsse, zurück, da EWG und Commonwealth ganz verschiedenartige Organisationen seien.

„Wir in Großbritannien", sagte er, „haben das Commonwealth vollkommen verändert. Vor 16 Jahren bestand das Commonwealth aus Großbritannien und vier unabhängigen Ländern, ursprünglich britische Kolonien mit hauptsächlich britischem Volkstum (?), alle Untertanen der Königin. Obwohl wir über verschiedene Dinge nicht einig waren, waren wir doch eine einheitliche kleine Gruppe. Wir betrieben eine große, gemeinsame Linie in der Außenpolitik. Wir waren in der Tat ein Militärbündnis, erprobt in zwei Kriegen. Aber jetzt ist alles anders geworden, und was einmal das britische Reich war, ist ein neues Ding geworden, das Commonwealth. Jetzt sind wir 15 Länder (September 1962), verstreut in Asien, in Afrika, in den Westindischen Inseln sowohl wie in den alten Ländern, von denen ich eben gesprochen habe. Einige Premierminister haben die Befürchtung geäußert, daß, wenn Großbritannien der EWG beitritt, dann das Commonwealth nicht mehr das gleiche sein werde. Aber es blieb nie das gleiche, es hat sich fortdauernd verändert, und es wird sich weiter ändern. Was ist denn das Commonwealth noch wert? Äußerste Verschiedenheit ist sein Wert; daß es sich über alle Teile der Welt erstreckt und dennoch diese Verbindung besteht. Wir hören unsere gegenseitigen Ansichten und sprechen miteinander. Wir blicken nach außen und nicht nach innen; wir sind nicht eng oder egoistisch.

Aber wenn man dieses Commonwealth mit der EWG vergleicht, so sieht man, das ist etwas ganz anderes. Sechs Länder, die eine Zollunion beschlossen haben und 1970 eine wirtschaftliche Einheit sein werden. Sie sind bisher sehr erfolgreich gewesen. Sie wollen — und werden auch — politisch aneinander wachsen. Wir haben mit dem Commonwealth besprochen, wie man die starken historischen Bindungen des Commonwealth mit der neuen Entwicklungsstruktur Europas in Einklang bringen könne. Wir sind immer ein Teil von Europa gewesen, obwohl wir es nicht immer wahrhaben wollten. Einige wollen zurück zu den guten alten Zeiten, aber wir müssen vorwärts. Vor einem Jahr entschlossen wir uns, uns mit der EWG zu vereinigen. Dies geschah aus zwei Gründen, wirtschaftlichen und politischen. Wir wollen die europäischen Streitigkeiten ein für allemal beenden, und wenn wir nicht mit in Europa dabei sind, dann wird unser Einfluß in Europa und auch in der Welt schwinden.

Mit Großbritannien und den EFTA-Ländern wird Europa 220 bis 230 Millionen Menschen zählen und wirtschaftlich sowohl wie in allen anderen Dingen ebenso stark sein wie die USA und die Sowjetunion. Wenn wir nicht mit dabei sind, dann werden wir immer schwächer und können unsere wirkliche Kraft nicht in der Welt dieser Riesen entfalten.

Warum, hat man gefragt, bilden wir keinen gemeinsamen Markt mit dem Commonwealth? Nun, keine der Bedingungen und Voraussetzungen, wie wir sie in Europa haben, sind vorhanden, die einen gemeinsamen Markt möglich machen würden, denn das Commonwealth besteht aus Ländern, die ganz verschiedene Hintergründe, verschiedene Rassen, verschiedene Abstammung, verschiedene Entwicklungsstufen aufweisen und über die ganze Welt verstreut sind. Die Länder des Commonwealth bilden einfach keine kompakte Gruppe. Wenn wir die langen Verhandlungen, die noch notwendig sind, beendet haben, dann müssen wir hier in Großbritannien uns entscheiden, was wir tun wollen. Alle Commonwealth-Länder haben das eingesehen. Schließlich sind auch wir unabhängig (die Mutter hat ein Recht, ihr eigenes Leben zu leben). In ganz Westeuropa warten die Menschen darauf, daß Großbritannien sich mit ihnen verbindet, um für Frieden und Fortschritt zu arbeiten.“

Einen Tag später, am 21. September 1962, hielt der damalige Führer der Opposition, Gaitskell, eine Fernsehrede, die das seltsame Schauspiel bot, daß ein Sprecher der Labour Party konservativ reagierte, während MacMillan fortschrittlich, ja vom Standpunkt Großbritanniens aus revolutionär gedacht hatte. Gaitskell meinte, wirtschaftlich wäre der Beitritt Großbritanniens zur EWG weder vorteilhaft noch nachteilig, aber politisch würde Großbritannien ein gewisses Maß an Freiheit verlieren. Er könne dem Verlust der Unabhängigkeit Großbritanniens in der Außenpolitik nicht zustimmen. Denn die EWG steure ganz deutlich auf eine politische Föderation hin, was bedeute, daß Großbritannien in den Vereinigten Staaten von Europa nicht mehr Macht haben werde als Texas oder Kalifornien in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das wäre das Ende einer tausendjährigen Geschichte. Eine solche Föderaiton bedeute das Ende des Commonwealth, denn das Zentrum des Commonwealth könne nicht eine bloße Provinz Europas sein. Gegen eine lose, nach außen schauende Verbindung mit Europa habe er nichts einzuwenden und er fordere die EWG-Länder auf, präzise Vorschläge zu machen, wie man das Commonwealth erhalten könne. Wenn das britische Volk wählen müßte zwischen Europa und dem Commonwealth, so habe er keinen Zweifel, wie die Wahl ausfallen würde, nämlich zugunsten Kanadas, Australiens und Neuseeland.

Das war eine wirre Haltung und gegenüber Gaitskells Äußerungen vor einem Jahr mehr gefühlsbetont als vernünftig, ja nationalistisch und eng. Die Labour Party hat ebenso wie die konservative und selbst die liberale Partei keine einheitliche Politik Europa gegenüber. Wir erinnern uns an Reynauds Wort, daß in Großbritannien die Opposition stets für, die Regierung gegen Europa, d. h. die Einheit Europas mit Großbritannien ist. Aber seit dem Umschwenken MacMillans und der Mehrheit seiner Partei hat sich die Opposition allmählich immer schärfer gegen eine Vereinigung Großbritanniens mit Europa ausgesprochen und eine fast nationalistisch anmutende Commonwealth-Politik befürwortet. Es ist aber anzunehmen, daß die Labour Party — sollte sie an die Regierung kommen — sich Europa gegenüber wieder positiver einstellen wird.

1948 z. B. hatte die Jahreskonferenz der Labour Party in einer Resolution beschlossen, mit den europäischen sozialistischen Parteien auf eine Vereinigung Europas hinzuarbeiten. Die Regierungspolitik versuchte zwar, die bestmöglichen Bedingungen für den Beitritt zur EWG auch für das Commonwealth und die EFTA-Länder zu erlangen, aber selbst wenn die hauptsächlich wirtschaftlichen Interessen des Commonwealth nicht ganz hätten befriedigt werden können, so wäre Großbritannien dennoch beigetreten. Es hätte also das Commonwealth, wenn man so will, fallen lassen oder, wie die rechtskonservative Beaverbrook-Presse es ausdrückte, es verraten. Hier ist vielleicht wieder an die amerikanische Politik zu erinnern, die zwar ein Vereintes Europa wünscht, aber eines, das nach außen schaut, d. h. eine liberale Handelspolitik auch gegenüber Amerika und dem Commonwealth verfolgt. Australien und Neuseeland hatten auf der 11. Ratssitzung des ANZUS-Paktes vom 10. Mai 1962 dem amerikanischen Außenminister Rusk gegenüber ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht, daß sie im Falle eines britischen Beitritts zur EWG auf ihre Präferenzzölle verzichten müßten. Rusk hatte geantwortet, es sei das Interesse des Commonwealth und der USA, daß die EWG auch nach dem Beitritt Großbritanniens keine Diskriminierung gegenüber Nichtmitgliedern zeige. Aber ein dauerndes Weitergewähren der bestehenden Commonwealth-Präferenzen würde lebenswichtige Interessen der USA beeinträchtigen, die an einer Liberalisierung des Welthandels interessiert seien. Die USA hätten Großbritannien nicht gedrängt, der EWG beizutreten, sondern sich lediglich zustimmend geäußert. Australien und Neuseeland sollten lieber für freien Welthandel mit den Vereinigten Staaten kämpfen, statt auf Präferenzen zu pochen.

Der australische Handelsminister Mc Ewen hatte darauf am 13. Mai 1962 geantwortet, das Verhalten der USA gegenüber Australien sei nicht das eines Landes, welches seine Märkte anderen gegenüber offen hält. In der Tat sind die Vereinigten Staaten ebenso wie die Commonwealth-Länder weit davon entfernt, einer westlichen Weltfreihandelszone zuzustimmen.

Trotz aller Versicherungen MacMillans, daß das Commonwealth nach wie vor ein Anliegen Großbritanniens sei, hätte ein Eintritt Großbritanniens in die EWG das Commonwealth wirtschaftlich ausgebootet. Man hätte, wenn alles gut gegangen wäre, ein nach außen geschlossenes Wirtschaftssystem Kleineuropas (mit sieben Staaten einschließlich Großbritannien) bekommen, was wirtschaftlich auch den Vereinigten Staaten zu schaffen gemacht hätte. Die Commonwealth-Länder hätten sich neu orientieren müssen, und der politische Vorteil, den die Vereinigten Staaten in einem solchen Wirtschaftssystem der Reichen und Leistungsfähigen gesehen hätten, wäre den Commonwealth-Ländern nicht zugute gekommen. Politisch wären sie fast alle isoliert gewesen und hätten sich ihre eigenen regionalen Sicherheitssysteme schaffen müssen. Für Kanada ist das Bestehen des Commonwealth ein notwendiges Gegengewicht gegen den Sog, den die Vereinigten Staaten immer ausgeübt haben. Australien und Neuseeland würden den Weg weiter gehen, der durch den ANZUS-Pakt vorgezeichnet ist; aber sie wären fortan nur zwei der vielen „Protektorate" der Vereinigten Staaten geworden. Die afrikanischen, asiatischen und westindischen Commonwealth-Länder hätten das Wohlwollen der Vereinigten Staaten gebraucht, um sich gegenüber kommunistischen Angriffen zu schützen.

Atempause für das Commonwealth

Das Commonwealth hat sich seit 1945 rapide verändert, und es besteht keine „Gefahr", daß es, wie Smuts 1949 meinte, jahrhundertelang als Schemen ohne wirkliche Macht dahinvegetieren wird. Es ist viel wahrscheinlicher, daß es in 50 Jahren verschwunden ist. De Gaulles Veto Großbritannien gegenüber auf der Pressekonferenz am 14. Januar 1963 hat noch einmal die Aussicht auf ein längeres Bestehen verbessert.

Die Reaktion auf das Scheitern der Verhandlungen über den Beitritt Großbritanniens zur EWG war, wie man es von den Briten gewohnt ist, maßvoll. MacMillan sagte in einer Fernsehrede am 30. Januar 1963, wenn es möglich gewesen wäre, einen gemeinsamen Markt mit dem Commonwealth zu schaffen, so hätte man dies vor Jahren getan. Aber es sei aus technischen Gründen nicht möglich. Großbritannien werde natürlich mit dem Commonwealth und den Vereinigten Staaten in einer ehrenvollen Partnerschaft weiterarbeiten. Und darum sei Großbritannien entschlossen, der NATO treu zu bleiben. Die Regierung habe gehofft, in Europa eine große Gemeinschaft zu bilden, die den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ebenbürtig gewesen wäre. Der damalige Außenminister Lord Home (heute Premierminister Sir Alec Douglas-Home) sagte in einer Debatte im Unterhaus im Februar 1963: „Wir wollen in Fühlung bleiben mit unseren europäischen Freunden, damit Europa sich in der Zukunft in einer Weise entwickelt, die nach außen schaut, politisch, wirtschaftlich und militärisch; ein Europa, wie es auch die Welt draußen gerne sehen möchte."

Die Reaktion der denkenden und sich äußernden Minderheit, die Briefe an die " Times" schreibt, war nicht sehr einheitlich. Einige forderten Maßnahmen der Regierung, andere meinten, Großbritannien müsse sich jetzt selbst zusammenreißen und einige gaben de Gaulle recht: Großbritannien wäre ein trojanisches Pferd für die Amerikaner gewesen. Industrie, Finanz und Mehrheit der konservativen Partei, die vordem den Eintritt Großbritanniens in die EWG als die einzige Rettung für die stagnierende britische Wirtschaft gesehen hatten, meinten, nun müsse man weiter sehen, es müsse auch so gehen.

Im Commonwealth atmete man erleichtert auf, weil nun die bisherigen Handelsbeziehungen und Vorteile bis auf weiteres erhalten bleiben würden. In New Delhi wurde die Befürchtung geäußert, daß jetzt Europa unter französischer Hegenomie zu kommen drohe und Großbritannien nicht die enge kontinentale Politik abzumildern vermöge. In Kanada forderte Diefen-baker Lagebesprechung, in Australien war nirgends Jubel. Alle Meinungsäußerungen sagten aus, daß ein Beitritt Großbritanniens zur EWG schlecht für das Commonwealth gewesen wäre; trotzdem bedauerte man, daß Großbritanniens Versuch, „europäisch" zu werden und gleichzeitig die Interessen des Commonwealth zu wahren, durch das Veto de Gaulles gescheitert sei.

Harold Wilson, der nach Gaitskells Tod (18. Januar 1963) am 17. Februar 1963 zum Führer der Labour Party gewählt wurde, meinte in einer Rede in Cardiff am 22. Februar 1963, das Vertrauen des Commonwealth müsse erst wieder langsam gewonnen werden. Aber dies scheint mir weder notwendig noch möglich. Es ist nicht notwendig, da die wirtschaftlichen Interessen des Commonwealth einstweilen gesichert sind, da ein gemeinsamer Markt im Commonwealth nach wie vor unmöglich ist und da viele Commonwealth-Länder, Neuseeland voraus, aufgeatmet haben werden. Auf der anderen Seite sind die Commonwealth-Länder gewarnt worden und wissen, daß sie mit einem möglichen Beitritt Großbritanniens immer noch zu rechnen haben. Deswegen ist ein Vertrauen unmöglich. Das beste, was die weißen Commonwealth-Länder tun können, ist sich der Unterstützung der Vereinigten Staaten für einen Beitritt Großbritanniens zu versichern, damit die EWG offener nach außen wird. Eine lose atlantische Verbindung wäre noch die beste Garantie für das Weiterbestehen des Commonwealth.

Der französische Politiker Jean Monnet hat einmal gesagt, daß die Briten nie eine Idee, sondern nur harte Tatsachen begreifen. Oft scheint es aber genau entgegengesetzt zu sein. Der englische Publizist John Mander schrieb: „Dadurch daß Großbritannien die Tatsache des Empire für die Phantasie des Commonwealth eintauschte, hat es seinen Wirklichkeitssinn ernstlich gefährdet." Aber es scheint mir, daß eine starke romantische Seite im englischen Wesen schon immer vorhanden war. Harter Wirklichkeitssinn kann Hand in Hand gehen mit starken Sentimenten, ja Sentimentalität für die entschwundene glorreiche Vergangenheit oder aber auch für die Idee einer noch glorreicheren Zukunft — wie sie Smuts vorschwebte — in Gestalt einer weltumfassenden Friedensgemeinschaft. Diese Sentimentalität kann auch die farbigen Mitgliedstaaten des Commonwealth ergreifen: Die spontane Begeisterung der Volksmenge bei dem Besuch der englischen Königin in Indien war ein Ausdruck dieser merkwürdigen Gemütsbewegung. Da aber Sentimente, Sentimentalität ebenso wie Wirklichkeitssinn politische Faktoren sein können, ist es keineswegs unmöglich, daß das Commonwealth — trotz vieler verächtlicher und sarkastischer Äußerungen selbst in der britischen Presse über dieses „Phantom“ — noch politische Wellen auf dem Meer der Weltpolitik hervorrufen wird.

Die wirklich tiefgehenden Probleme in der Welt, die Überbrückung der Kluft zwischen reichen und armen Völkern, Überwindung des Rassenhasses und der Rassenarroganz, Abrüstung und schließlich politische und wirtschaftliche Freiheit, gehen alle an: die Vereinigten Staaten, die Vereinten Nationen, das Commonwealth, Europa, ja selbst die kommunistischen Staaten. An eine Lösung dieser Probleme ist auf sehr lange Sicht nicht zu denken. Aber die ernste und ehrliche Beschäftigung mit ihnen ist die einzige Hoffnung für die Menschheit. Es ist die Überzeugung derer, die noch an den Wert des Commonwealth glauben, daß keine Weltorganisation so fruchtbringend an ihnen zu arbeiten vermag wie das Commonwealth.

Fussnoten

Fußnoten

  1. “ Times", 1. August 1961.

Weitere Inhalte