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Artikel 7 | APuZ 24/1976 | bpb.de

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Artikel 7

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um Wunschträume — oder Alpträume —, je nach der Perspektive. Korruptionsaffären und Moralkrisen haben mit der Auflösung eines Volkes nichts gemeinsam, auch, oder gerade, nicht unter Druck von außen. — Der Palästina-Konflikt kann gelöst werden, indem die arabischen Staaten, oder wenigstens die „Konfrontationsstaaten" unter ihnen, den verhängnisvollen Zusammenhang brechen, demzufolge sie moralisch jede Forderung decken, die „die Palästinenser" stellen, auch die extremste, und ihrerseits eine Konzeption der Koexistenz erzwingen. Solch radikaler Bruch mit einer zum Ritual gewordenen Vergangenheit setzt allerdings ein seltenes Maß von politischem Mut, Engagement und intellektueller Unabhängigkeit voraus. — Das Palästina-Problem kann gelöst werden, wenn sich innerhalb der palästinensischen Öffentlichkeit das politische Schwergewicht verlagert. Eine Führerschicht der seit 1967 von Israel besetzten West-Bank könnte zum politischen Träger des palästinensischen Volkstums werden. Es sind Anzeichen vorhanden, daß sich hier, dem Kernland des palästinensischen Volkes, in den acht Jahren menschlicher Verquickung die Erkenntnis verbreitet hat, daß der israelische Nationalstaat nicht nur eine politische Tatsache ist, sondern sein Daseinsrecht hat. Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Führerschicht der West-Bank lokal und nicht national gruppiert ist: die erweiterte Familie, das Dorf, die Stadt, der Stamm. (Auch der kürzlich verstorbene Exmufti von Jerusalem, Hajj Amin alHusseini, blieb zeit seines Wirkens in Palästina nur der Chef eines Clans; seine quasi-nationale Position verdankt er britischer Initiative, und sein Image als Führer des palästinensischenVolkes war außerpalästinensisch). Diese Tradition ist tief in der Vergangenheit verwurzelt und es sind keine eindeutigen Zeichen vorhanden, daß sie durch neue Strukturen abgelöst wird. Der oft verlautende Vorwurf, daß die israelische Verwaltung das Entstehen einer neuen Führung verhindert, oder zumindest nicht fördert, übersieht, daß solch eine Entwicklung nicht durch direktes Einwirken von außen veranlaßt werden kann; außerdem wäre unter den bestehenden Umständen jede derartige beinflußte Führung als Quislingsystem gebrandmarkt. — König Hussein könnte sein nie aufgegebenes Ziel erreichen und wieder als legitimer Vertreter der Palästinenser anerkannt werden, oder zumindest als einer ihrer, legitimen Vertreter. Sein Ansehen auf der West-Bant steigt uhd fällt mit jedem Wechsel des pois sehen Windes. Aber bis heute hat sich die gesellschaftspolitische Ordnung, die er zwangs läufig vertritt, nicht annehmbar machen können. Außerdem darf nicht als sicher vorausge.setzt werden, daß Hussein fähig ist, eine friedliche „Lösung" durchzusetzen. Er und sein Haus haben eine über fünfzig Jahre alte Tradition von Fühlungnahmen mit dem Jischuw. Israel hinter sich. Es ist nie zu einem faßbaren Abschluß gekommen. Ein letztes Zögern der Haschemiten, die Schwelle zu überschreiten ist wahrscheinlich für diese Sterilität nicht weniger verantwortlich als Uneinigkeit über definierte Paragraphen.

Beide zuletzt genannten Möglichkeiten setzen voraus, daß die anderen arabischen Staaten sie zumindest schweigend dulden werden, und daß Israel dem Prinzip der Teilung des ehemaligen Mandatspalästina treu bleibt -alles keine Selbstverständlichkeiten. — Schließlich: die PLO selbst könnte ein „agonizing reappraisal" erleben, eine zutiefst schmerzhafte Umwertung, die einer ideologischen Wiedergeburt gleichkäme. Sie könnte die historisch-ideelle Daseinsberechtigung eines jüdisch-israelischen Staatsvolkes neben der eines arabisch-palästinensischen Staats-volkes anerkennen — nicht als Sprachregelung oder double-thinking, sondern aus Verständnis und Empathie. Aus dem schroffen und haßerfüllten Chor totaler Ablehnung klingt ein einzelner abweichender Ton. Naif Hawatmeh, der Chef der „Demokratischen Volksfront zur Befreiung Palästinas“ innerhalb der PLO hat seiner Meinung in Interviews Ausdruck gegeben, daß eine Lösung des Palästinaproblems auch „die nationalen Rechte der Israelis" berücksichtigen muß. Aber bei allem Interesse, das diese Abweichung verdient, ist es unrealistisch, außer acht zu lassen, daß „Israelis" nicht „Israel ist; daß die PDFLP doktrinär marxistisch-leninistisch ist — daher das Eingehen auf . nationale Rechte" innerhalb eines palästinensischen Staates — und eine Konfliktlösung in ihrem Sinne schon deshalb nicht im Bereich des Realen liegt; daß ferner der PDFLP kaum mehr als marginale Bedeutung in der PLO zukommt; und letzten Endes, daß Hawatmeh selbst sich bis jetzt nicht unumwunden z seiner vor Fremden geäußerten Meinung 6 kannt hat, wenn er im eigenen Lager heraus gefordert wurde. Das klingt alles recht hoffnungslos. Dem Historiker gibt seine Erfahrung einen schwachen Lichtblick. Die Geschichte kennt Haßkomplexe wie den, der dem Palästina-Konflikt zugrunde liegt. Eines Tages waren sie aufgelöst, ohne daß der Historiker im Rückblick befriedigende Aufschlüsse darüber geben kann, warum sie sich auflösten. Es ist mehr als bloßes Wunschdenken, daß auch die emotionelle Basis des Palästina-Konfliktes einen soldien Umbruch erleben kann. Wieweit Grenzregulierungen und Entschädigungsabkommen diesen Umbruch vorbereiten können oder ihm zwangsläufig folgen, ist nicht vorauszusagen. So wie ich die Geschichte des Konfliktes lese, glaube ich nicht, daß vernunftmäßig fundierte und vertretbare Konzessionen eine Mauer durchbrechen können, in die abgründige Emotionen so unentflechtbar eingebaut sind. Dem Politiker obliegt es jedenfalls, in unablässiger Tagesarbeit ein neues Blutvergießen hinauszuschieben; uns anderen, ihm dabei den Rükken zu stärken.

Fussnoten

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