Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Artikel 3 | APuZ 4/1977 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 4/1977 Artikel 1 Vorbemerkung Artikel 3 Stalinismus Die Auswirkungen eines Parteitages. Vom XX. zum XXII. Parteitag der KPdSU

Artikel 3

/ 2 Minuten zu lesen

eine geschichtsträchtige Kraft ist, die fähig sei, die menschliche Gesellschaft humaner zu machen, oder ob seine Verwirklichung zwangsläufig in einem „bürokratischen Gehäuse der Hörigkeit“ (Max Weber) endet. Sollte das letztere der Fall sein, so muß der Sozialismus als Bewegung zur Beförderung der menschlichen Freiheit, als Traum des 19. Jahrhunderts, zu den Akten gelegt werden.

Diese Fragen werden in der bundesdeutschen Öffentlichkeit oft verschleiert, besonders augenfällig z. B. durch den Slogan „Freiheit statt Sozialismus". Damit wird schlicht die Tatsache vom Tisch gewischt, daß dieselbe „Rote Fahne", die bei Revolten und Streiks in Osteuropa und der Sowjetunion als Zeichen der Unterdrückung verbrannt und zertreten wurde, in Spanien, Italien, Frankreich und Chile den Kampf der Unterdrückten und Ausgebeuteten um mehr soziale Gerechtigkeit, um politische Rechte symbolisiert. Dieser Widerspruch, daß Begriffe wie „Sozialismus", „Kommunismus" und Symbole wie „Hammer und Sichel" oder die „Rote Fahne" sowohl Unterdrückung als auch den Kampf gegen Unterdrückung kennzeichnen, ist nun einmal das Ergebnis der bisherigen Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung.

Der XX. Parteitag ist ein Datum, das sowohl die Verbindung wie auch den Bruch zwischen dem „realen Sozialismus" und der sozialistischen Bewegung dokumentiert, mit dem sich ferner im Westen Hoffnungen auf eine Veränderung im sozialistischen Lager verbanden. Realpolitisch wurden zwar diese Erwartungen 1956/57 und danach mannigfaltig enttäuscht, doch blieben sie trotzdem nicht ohne Wirkung: Sowohl der Reformkommunismus nach dem Muster des Prager Frühlings 1968 im sozialistischen Lager wie auch der Eurokommunismus außerhalb des „Lagers" sind von diesem Parteitag der sowjetischen Kommunisten herzuleiten. Das Entstehen dieser — sieht man von den Chinesen einmal ab — gefährlichsten Abweichungen von der Moskauer Generallinie innerhalb der kommunistischen Weltbewegung war wohl für Moskau der Hauptgrund, den Jahrestag dieses Partei-tages ungefeiert vorübergehen zu lassen, ja ihn fast auf den Tag genau zwanzig Jahre danach durch den XXV. Parteitag zuzudecken.

Manfred Wilke

Fussnoten

Weitere Inhalte