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Antisemitismus in den USA Von den Kolonien zum Age of Trump

Sina Arnold

/ 12 Minuten zu lesen

Lange Zeit hatte es geschienen, als ob Antisemitismus in den USA der Vergangenheit angehörte. Zwei Ereignisse jedoch brachten dieses Narrativ seit Beginn des 21. Jahrhunderts ins Wanken.

Trauernde beim Gedenkgottesdienst für die elf Opfer des Massakers an der Tree of Life-Synagoge in Pittsburgh, Pennsylvania, Vereinigte Staaten (29. Oktober 2018). (© picture-alliance, Matthew Hatcher)

Elf Menschen wurden im Oktober 2018 in einer Synagoge in Pittsburgh, Pennsylvania, während eines Gottesdienstes erschossen. Es war der tödlichste Angriff auf Juden und Jüdinnen in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Attentäter hatte zuvor in sozialen Medien seine antisemitischen und rassistischen Haltungen, wie auch seine Nähe zur White Supremacy – dem Glauben an die Vorherrschaft einer weißen „Rasse“ – ausgedrückt. Weitere Angriffe sollten folgen: 2019 der Überfall auf einen koscheren Supermarkt in Jersey City, New Jersey, bei dem drei Menschen ermordet wurden; 2022 eine Geiselnahme in einer Synagoge in Colleyville, Texas sowie die Erschießung eines Professors an der University of Arizona, den der Attentäter für jüdisch hielt; oder die Molotovcocktail-Attacke auf eine Synagoge in Bloomfield, New Jersey in 2023. In ihrer Brutalität sind sie nur die Spitze des Eisbergs: 2022 war die Anzahl der antisemitischen Vorfälle laut der Zählungen der jüdischen Bürgerrechtsorganisation Anti-Defamation League (ADL) mit 3.679 so hoch wie in keinem Jahr seit Beginn der Erhebungen 1979. Dies gilt für alle zentralen Kategorien: Beleidigungen, Vandalismus, Angriffe. Seit fünf Jahren ist ein stetiger Anstieg zu verzeichnen. Auch über 80 Prozent aller US-amerikanischen Juden und Jüdinnen - gegenwärtig sind es rund 7,5 Millionen - nehmen für diesen Zeitraum einen Anstieg des Antisemitismus wahr.

Ein American Exceptionalism?

Lange Zeit hatte es geschienen, als ob Antisemitismus in den USA der Vergangenheit angehörte. Nach dem Interner Link: Zweiten Weltkrieg waren Juden und Jüdinnen im amerikanischen melting pot zu einer etablierten Minderheit geworden, die kaum von struktureller Diskriminierung betroffen war. Das Leben der jüdischen Einwohner*innen wirkte verhältnismäßig sicher, was nicht zuletzt in der Geschichte des Landes begründet zu liegen schien.

Natürlich hatten die ersten christlichen Siedler*innen auch antijudaistische Stereotype in die Kolonien Nordamerikas importiert. Doch die Diskriminierung gegenüber Juden und Jüdinnen – von denen wenige Hundert im 17. Jahrhundert erstmals einwanderten – war eher gegen sie als Nicht-Protestant*innen gerichtet, so wie auch Katholik*innen benachteiligt wurden. Trotz rechtlicher Einschränkungen gestaltete sich das Zusammenleben zwischen Juden*Jüdinnen und Christ*innen im Alltag relativ konfliktfrei. Nach Interner Link: Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika 1776 erhielten Juden*Jüdinnen nach und nach Zugang zu politischen Ämtern, wiewohl eine Alltagsdiskriminierung fortlebte. Im 19. Jahrhundert dann wurde der religiös begründete Interner Link: Antijudaismus zunehmend durch einen modernen Rassenantisemitismus ergänzt. So wurden Juden*Jüdinnen nach dem Interner Link: amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) etwa als unloyale unpatriotische Kriegsprofiteure beschrieben. Das Stereotyp des rachsüchtigen, verräterischen Wucherers fand in dieser Zeit ebenso Verbreitung wie das neuere Bild ‚des Juden‘ als schamlosem, aggressivem Neureichen und frechem Emporkömmling. Dennoch erfuhren viele Juden und Jüdinnen im „Gilded Age“, der von wirtschaftlichem Aufschwung gekennzeichneten Nachkriegszeit, einen ökonomischen Aufstieg. Um die Wende zum 20. Jahrhundert mobilisierten dann nativistische Bewegungen u.a. gegen die Einwanderung von mehr als zwei Millionen osteuropäischer Juden*Jüdinnen in die USA. Judenhass verband sich dabei mit Rassismus gegen süd- und osteuropäische Migrant*innen. Der Ausschluss jüdischer Menschen aus zahlreichen Vereinigungen, Sommerresorts, Universitäten und Privatschulen war ab den 1910er Jahren die Folge. Die Diskriminierung zeigte neben den sozialen auch stärkere ökonomische Effekte: Juden*Jüdinnen wurden etwa aus Arbeitsbereichen ausgeschlossen, darunter dem Druckerei-, Bau-, Transport- und Kommunikationswesen. Schätzungen zufolge waren Ende der 1920er Jahre jüdischen Bewerber*innen 90 Prozent aller Bürojobs in New York City verwehrt. Sowohl in Folge des Interner Link: Ersten Weltkrieges (1914-1918) als auch der Interner Link: Russischen Revolution 1917 wurde Juden*Jüdinnen Illoyalität vorgeworfen, das antikommunistische Stereotyp des „jüdischen Bolschewisten“ verbreitete sich – und sollte bis weit in die McCarthy-Ära der 1950er Jahre, in der tatsächliche oder vermeintliche Kommunist*innen und ihre Sympathisant*innen in den USA gesetzlich verfolgt wurden, Bestand haben. Antijüdische Verschwörungsideologien verbreiteten sich zusehends, unterstützt durch Akteure wie den Autofabrikanten Henry Ford – der seinen Antisemitismus nie verbarg – und seine Zeitung The Dearborn Independent, in der unverblümt antisemitische Texte veröffentlicht wurden, oder den katholischen Priester Charles E. Coughlin, dessen antisemitischen Positionen in den 1930er Jahren landesweite Bekanntheit durch seine beliebten Radiosendungen erlangten. Auch die ersten empirischen Meinungsumfragen der 1930er Jahre zeigten hohe Zustimmungswerte zu antisemitischen Stereotypen. Zahlreiche judenfeindliche Gruppen waren aktiv, auch körperliche Gewalt gegen Juden*Jüdinnen fand an vielen Orten statt.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann eine schleichende Veränderung. Unter anderem das Wissen über den Interner Link: Holocaust trug nach und nach zu einer Diskreditierung von offenem Antisemitismus bei. Diskriminierungen nahmen ab, viele Juden und Jüdinnen erlebten einen sozioökonomischen Aufstieg und „Jüdischsein“ wurde ein akzeptierter, ja beinahe selbstverständlicher Aspekt amerikanischer Identität. Als Community wurden sie zudem gesamtgesellschaftlich zunehmend als „weiß“ erachtet. Sicherlich waren auch die darauffolgenden Jahrzehnte von einzelnen antisemitischen Vorfällen und Alltagsdiskriminierung geprägt, ebenso gab es eine Sorge unter Juden*Jüdinnen um den Interner Link: Antizionismus, der sich nach dem Interner Link: Sechs-Tage-Krieg 1967 in der Linken verbreitete oder im militanten Schwarzen Nationalismus Fuß fasste; und 1991 kam es im New Yorker Stadtteil Crown Heights gar zu drei Tage andauernden Krawallen, die sich gegen die jüdische Gemeinde richteten.

Dennoch existierte ein grundlegendes Gefühl von Sicherheit, und viele Historiker*innen vertraten die Vorstellung eines American Exceptionalism: Anders als in Europa waren Juden*Jüdinnen seit Gründung der Vereinigten Staaten Staatsbürger*innen, Antisemitismus war nie staatliches Programm gewesen, keine Massenorganisation konnte mit entsprechender Politik erfolgreich werden, eine grundlegende Liberalität der Gesellschaft garantierte religiöse Freiheiten. Alles in allem konnten Menschen ihr Jüdischsein – ob nun orthodox, liberal, konservativ, säkular, zionistisch oder antizionistisch – selbstverständlich und angstfrei ausleben und hatten in den USA ein Zuhause gefunden.

9/11 und ein „Neuer Antisemitismus“

Zwei Ereignisse brachten dieses Narrativ seit Beginn des 21. Jahrhunderts ins Wanken: Zum einen die Interner Link: islamistischen Terroranschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001, welche Interner Link: verschwörungstheoretisches und antisemitisches Denken angesichts einer nationalen Krise verstärkten. Zum anderen rückte unter dem Schlagwort eines „Neuen Antisemitismus“ neben dem radikalen Islamismus noch eine weitere Bewegung in den Mittelpunkt der Debatten: der Interner Link: Antisemitismus im linken Spektrum. Zwar zeigte eine repräsentative Befragung unter 3.500 US-Bürger*innen aus dem Jahr 2021, dass antisemitische Einstellungen vor allem bei jungen Menschen auf der politischen Rechten vertreten sind. Doch auch auf der Linken finden sie sich, und können auf bestimmte Traditionen zurückblicken. Bereits seit den 1960er Jahren fanden sich wiederholt Beispiele für einen virulenten Antizionismus und vereinfachten Antiimperialismus in progressiven Bewegungen, die teilweise Antisemitismus beförderten. Anfang des Jahrtausends wurde dieser nun sichtbarer: u.a. in pro-palästinensischen Solidaritätsbewegungen im Nachgang zur Interner Link: zweiten Intifada (2000-2005), in der Friedensbewegung gegen die Kriege in Interner Link: Afghanistan (Beginn 2001) und im Interner Link: Irak (Beginn 2003) sowie – unter dem Schlagwort Campus Antisemitismus – im Rahmen politischer Aktivitäten an Universitäten. Dort erstarkte die Interner Link: BDS-Kampagne, die sich für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel einsetzt. Wiederkehrend fanden und finden sich in diesen Bewegungen Argumentationsmuster, die an Antisemitismus anschlussfähig sind – wie auch etwas später in der personalisierenden Interner Link: Kapitalismuskritik der Occupy Wall Street-Bewegung Ende 2011. Und manche der politischen Praktiken linker Bewegungen hatten konkrete Ausschlüsse zur Folge, etwa als mehrere zentrale Veranstalterinnen des Women’s March – der größten feministischen Kampagne nach Donald Trumps Amtseinführung als Präsident der Vereinigten Staaten 2017 – mangelnde Sensibilität im Umgang mit Antisemitismus zeigten oder gar Sympathie für offene Antisemiten wie den Gründer der Interner Link: Nation of Islam, Louis Farrakhan, äußerten. In den letzten Jahren finden sich zwar auch vermehrt innerlinke Debatten um diese Leerstellen. Doch verdeutlichten die Reaktionen auf den Interner Link: Terrorangriff der Hamas auf israelische Zivilist*innen im Oktober 2023, wo die reflexhafte Solidarisierung lag. Mehrere Organisationen, darunter regionale Gruppen von Black Lives Matter, den Democratic Socialists of America und Students for Justice in Palestine, zeigten Verständnis für die Massaker und die von ihnen als „Befreiung“ charakterisierte Gewalt.

The Age of Trump

Der zweite zentrale Wendepunkt dieses Jahrhunderts – und für den Antisemitismus von rechts der relevante – stellte die Präsidentschaft Donald Trumps im Jahr 2017 dar. Denn obwohl der Präsident sich früh als „die am wenigsten antisemitische Person, die Sie in Ihrem Leben gesehen haben“ bezeichnete, dazu gerne auf seine zum Judentum konvertierte Tochter verwies und eine dezidiert pro-israelische Politik verfolgte, bereitete seine hetzerische Rhetorik und sein anti-elitärer Populismus dem Antisemitismus einen Nährboden. So hatte er bereits in seinem Wahlkampf 2016 eine zweifelhafte Bildsprache verwendet, etwa in einem Werbespot, in dem neben Hillary Clinton auch drei prominente Juden für die aktuellen Probleme der USA beschuldigt wurden. Auch fiel es ihm schwer, Antisemitismus beim Namen zu nennen – beispielsweise in einem Statement zum Holocaust-Gedenktag 2017, welches jüdische Opfer unerwähnt ließ. Und er zeigte von Beginn an keine Berührungsängste zur Interner Link: Alt-Right („alternativen Rechten“), sondern machte den damals für die Bewegung wichtigen Steve Bannon ein Jahr lang zum Berater und Chefstrategen im Weißen Haus. Die in den 2010er Jahren neu entstandene rechtsextreme Alt-Right-Strömung steht den Ideen der Interner Link: Neuen Rechten und der Identitären Bewegung in Europa nahe. Antisemitismus ist für viele dieser von einer weißen Vorherrschaft träumenden NationalistInnen ein ideologisches Kernelement. Während Teile der Bewegung, darunter ihr Vordenker Richard Spencer, sich zumindest offiziell pro-jüdisch und vor allem pro-israelisch geben, gehörten Alt-Right-AnhängerInnen zu den zentralen Akteuren beim rechten Aufmarsch im Sommer 2017 in Charlottesville, Virginia, der von einer Koalition rechtsextremer Gruppen initiiert wurde. „Jews will not replace us“ – „Juden werden uns nicht ersetzen“ – riefen Teilnehmende, die unter dem Motto „Unite the Right!“ versammelt waren. Nicht nur wurde bei der Demonstration eine Gegendemonstrantin getötet, auch verharmloste Trump die rechte Gewalt und die menschenverachtenden Inhalte mit seinem anschließenden Ausspruch, dass es „auf beiden Seiten sehr anständige Leute“ gegeben habe. Diese Nähe zu rechten Bewegungen und ihren rassistischen und antisemitischen Inhalten fand sich wiederholt in seiner ersten Amtszeit – und auch beim Interner Link: Sturm der Trump-Anhänger*innen auf das Kapitol im Januar 2021, bei dem fünf Menschen starben, wurden antisemitische Symbole gezeigt. Dieser gesellschaftspolitische Einfluss des ehemaligen Präsidenten wirkt bis in die gegenwärtige Amtszeit Joe Bidens hinein.

Mehrere Aspekte sind für diesen Antisemitismus im Age of Trump symptomatisch: Inhaltlich findet dieser besonders Ausdruck in Verschwörungsideologien, die auch während der Covid-Pandemie weiter genährt wurden. So baute etwa Interner Link: QAnon – eine Bewegung von VerschwörungstheoretikerInnen mit rechtsextremen Inhalten – ihren Erfolg auf einer kruden Erzählung auf, nach der eine internationale Elite, darunter auch der jüdische Philanthrop George Soros oder „die Rothschilds“, Kinder entführe und ermorde, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsserum zu extrahieren. 15 Prozent aller US-Amerikaner*innen stimmten 2021 den Grundzügen dieser Erzählung zu. Mehrere republikanische Kongressabgeordnete bekundeten ihre Nähe zu QAnon. 2022 verbreitete der Rapper Ye, besser bekannt als Kanye West, antisemitische Verschwörungsideologien im großen Stil – und diese wurden laut ADL auch in mehr als 50 Fällen, bei denen sich Täter*innen auf den Musiker bezogen, direkt in antisemitische Taten umgesetzt.

Wie die eingangs geschilderten Vorfälle und Zahlen veranschaulichen, radikalisiert sich die extreme Rechte zusehends. In den vergangenen zehn Jahren haben nach Schätzungen der ADL Rechtsextreme 335 Menschen getötet. Die Zahl der durchgeführten und vereitelten Anschläge hat dabei in den letzten Jahren zugenommen. Allein 2017 wurden 17 Menschen durch männliche Attentäter, die der Alt-Right nahestanden, ermordet. Organisierte Rechtsextreme finden seit 2017 Zulauf, die Bürgerrechtsorganisation „Southern Poverty Law Center“ (SPLC) registrierte 2022 mehr als 1.200 Gruppen. Neben der Alt-Right finden sich darunter weiterhin zahlreiche klassisch Interner Link: rechtsextreme Gruppierungen, für die der Antisemitismus ein Kernelement ist, und zu welchem sie sich offen bekennen. Zu ihnen gehören bekanntere wie der 1865 gegründete Ku-Klux-Klan, das 1974 gegründete National Socialist Movement oder die international vernetzte Atomwaffen Division, aber auch neuere wie die vor wenigen Jahren gegründete Goyim Defense League (GDL). Judenfeindschaft ist die Grundlage ihres verschwörungsideologischen Weltbildes, unter dem Motto „Name the Nose“ haben regionale Kleingruppen der GDL an zahlreichen Orten mehrtägige antisemitische Aktionen, etwa vor jüdischen Einrichtungen, organisiert.

Rechtsextreme fühlten sich während Trumps Amtszeit in ihren Ansichten bestärkt und legitimiert. Etwa, als er dem rechtsradikalen Netzwerk der Proud Boys, deren Mitglieder auch an der Erstürmung des Kapitols beteiligt waren, 2020 im ersten TV-Duell vor den Präsidentschaftswahlen die Anweisung „Haltet Euch zurück, und haltet Euch bereit“ („Stand back, and stand by“) zukommen ließ – die Mitgliederzahlen einiger Ortsgruppen schossen danach in die Höhe. Umgekehrt radikalisierten rechtsextreme Akteure auch einen breiteren gesellschaftlichen Diskurs.

Und schließlich ist für die verstärkte Interner Link: Verbreitung des Antisemitismus die Kommunikation im Internet zentral, einschließlich eigener digitaler Infrastruktur in Form eines Alt-tech. Imageboards wie 4chan oder 8kun, Videoportale wie BitChute, Messengerdienste wie Telegram und Kurznachrichtendienste wie Gab nehmen nicht nur wichtige Vernetzungsfunktionen (auch international) ein und fallen regelmäßig durch offen antisemitische Inhalte auf – darüber hinaus tragen sie auch dazu bei, dass sich rechtsradikale Gruppen dort erfolgreicher organisieren.

Der zu Beginn genannte Anschlag auf die Synagoge von Pittsburgh ist insofern symptomatisch für den Antisemitismus der jüngsten Zeit: Der Schütze war aktiv im rechten Online-Netzwerk Gab und kündigte dort seine Tat an – das SPLC sieht es als „wahrscheinlich an, dass Bowers ausschließlich online radikalisiert wurde.“ Er legitimierte seine Taten mit dem Hass auf eine jüdische Flüchtlingshilfeorganisation – die Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS) – und der Vorstellung, diese würde (muslimische) Geflüchtete ins Land bringen, welche weiße Amerikaner*innen „abschlachten“ wollten. Diese Verschwörungsideologie eines Bevölkerungsaustausches bzw. Great Replacement ist eine Kernideologie der Neuen Rechten weltweit und motivierte auch die Interner Link: Attentäter im neuseeländischen Christchurch oder in Interner Link: Halle. Aber sie ist nicht auf einen extrem rechten Rand beschränkt: Ein Viertel aller US-Amerikaner*innen stimmten 2023 der Aussage „Es gibt Leute, die insgeheim daran arbeiten, dass Einwanderer schließlich echte Amerikaner ersetzen werden“ bis zu einem gewissen Grad zu. Unabhängig vom Ausgang der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2024: Das Trumpsche Zeitalter scheint anzuhalten.

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Dr. Sina Arnold ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin und Projektleiterin am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt. Sie forscht zu Antisemitismus in Deutschland und den USA, institutionellem Rassismus und Erinnerungspolitik.