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Das chinesische Bildungssystem | China | bpb.de

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Das chinesische Bildungssystem

Barbara Schulte

/ 9 Minuten zu lesen

Angesichts von Lernstress, ungleichen Chancen und Streben nach Exzellenz - welche Möglichkeiten bietet das chinesische Bildungssystem? Und was bedeutet die erneute Ideologisierung für Bildung und Wissenschaft?

Bildung ist ein hohes Gut in China, und wer das Glück hat, auf eine gute Schule zu gehen, gerät unvermeidlich unter Leistungsdruck. (© picture-alliance, Xinhua News Agency)

Außerhalb Chinas erreichen uns zum chinesischen Bildungswesen vor allem zweierlei Nachrichten: Erfolgsmeldungen zu hervorragenden Leistungen und internationalen Bestplatzierungen auf der einen Seite, und Berichte über Lernstress und enorme Belastungen chinesischer Familien auf der anderen.

Bildung in China: Erfolgs- oder Leidensgeschichte?

In der Tat kann das chinesische Bildungswesen in den letzten Jahren mit einigen Erfolgen aufwarten: In der jüngsten internationalen Schulleistungsstudie PISA schnitten die chinesischen Jugendlichen weltweit am besten ab. Auch im Hochschulbereich holt China auf: In den World University Rankings 2022 haben es nunmehr sechs chinesische Hochschulen unter die ersten hundert Top-Universitäten geschafft (Deutschland: 7). Die Peking- und die Tsinghua-Universität, die sich Rang 16 teilen, sind nach der ETH Zürich (Platz 15) sogar die höchstplatzierten Universitäten, die nicht in Großbritannien oder in den USA liegen. Auf der Kehrseite gehören chinesische Jugendliche auch in Bezug auf die Zeit, die sie für das Lernen zusätzlich zum Schulunterricht aufbringen müssen, zur Weltspitze. "Wenn es Wochenende ist und du sitzt nicht in einem Nachhilfekurs, dann bist du auf dem Weg zu einem Nachhilfekurs", lautet ein oft gehörter Spruch in China.

Das Problem von Leistungsdruck und prüfungsorientiertem Lernen, das nicht nur eine psychische, sondern aufgrund der zum Lernerfolg nötigen Nachhilfe auch eine finanzielle Belastung für Familien darstellt, ist nichts Neues. Bereits zu Beginn dieses Jahrtausends wurde ein neues Curriculum auf den Weg gebracht, welches schulisches Lernen ganzheitlicher gestalten und vom reinen Prüfungs- und Auswendiglernen wegführen sollte. Im August 2021 sorgte eine Verlautbarung des chinesischen Bildungsministeriums auch in der internationalen Presse für Aufmerksamkeit, nach der in den ersten beiden Schuljahren nun überhaupt keine Prüfungen mehr stattfinden sollen. Die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte haben jedoch gezeigt, dass solche Reformversuche bislang lediglich zu besser verstecktem Leistungsdruck, nicht aber zu dessen Abschaffung geführt haben. Dies nicht etwa aufgrund der anderen Lernkultur, wie in westlichen Medien häufig undifferenziert spekuliert wird, sondern weil der Flaschenhals, durch den man in gute weiterführende Schulen und Hochschulen gelangt, einfach zu eng ist. Die Konkurrenz um die wenigen guten Plätze ist zu groß, als dass man es sich als Familie leisten könnte, auf Büffeln und Nachhilfe zu verzichten.

Mehr Bildung, bleibende Ungleichheiten

Die chinesische Gesetzgebung sieht eine Schulpflicht von neun Jahren vor, die weitgehend umgesetzt ist. Das Schulsystem besteht aus sechs Jahren Grundschule, drei Jahren Unterer Mittelschule und drei Jahren Oberer Mittelschule, wobei letztere derzeit zu 40 Prozent durch Berufsschulen abgedeckt wird. Blickt man auf die Zahlen allein, so ist die Expansion im chinesischen Bildungswesen in den letzten drei Jahrzehnten beeindruckend (siehe Abbildung 1): Nahezu alle Schülerinnen und Schüler schaffen es jeweils in die nächsthöhere Schulstufe, und der Anteil derjenigen, die ein Hochschulstudium aufnehmen, ist von 3,5 Prozent Anfang der 90er Jahre auf 51,3 Prozent 2019 in die Höhe geschnellt.

Allerdings gibt es weiterhin erhebliche Unterschiede in Bildungszugang und -qualität zwischen unterschiedlichen Regionen und vor allem zwischen Stadt und Land. Schon bei der chinesischen PISA-Teilnahme wurde kritisiert, dass die für die Datenerhebung ausgewählten Regionen nicht repräsentativ für das ganze Land seien. Hinzu kommt, dass ca. 14 Millionen Kinder, die mit ihren Eltern – sogenannten Wanderarbeiterinnen und -arbeitern – vom Land in die Stadt mitgezogen sind, dort nur unvollständig in die Statistik eingehen und trotz ihres gesetzlichen Anspruchs auf Bildung häufig vom regulären Schulbesuch ausgeschlossen werden. Die Tabelle zeigt die Bildungsunterschiede zwischen der Hauptstadt Peking und den Provinzen Guizhou und Interner Link: Tibet auf; die letzteren beiden sind ländlich geprägte Regionen, in denen die Bevölkerung zu einem großen Teil ethnischen Minderheiten angehört.

Bildungsunterschiede zwischen Peking und den Provinzen Guizhou und Tibet

PekingGuizhouTibet
Ohne Lesefähigkeit (m/w)1,73% (1,19%/2,26%)10,19% (4,77%/15,83%)33,11% (23,41%/42,56%)
Ohne Schulbesuch2%10,2%32,8%
Nur Grundschulabschluss8,5%35,2%33,1%
Universitätsabschluss15,2%4,5%4,1%

Quelle: China Statistical Yearbook, 2020

Der nationale Bildungsplan für das Jahr 2021 hat sich das Ziel gesetzt, die Bildungssituation auf dem Land an die der Städte anzugleichen. Auch der Situation von ethnischen Minderheiten widmet der Bildungsplan seine Aufmerksamkeit, allerdings weniger aus einer Perspektive der sozialen Gerechtigkeit, sondern mit dem Anspruch, die "moralische Erziehung" ethnischer Gruppen sowie ihre Durchmischung voranzutreiben: Ethnische Minderheiten sollen durch diese Bildungsoffensive patriotische Gefühle entwickeln und sich an die Mehrheitsgesellschaft anpassen.

Bildung für ethnische Minderheiten

Die Volksrepublik China ist ein multi-ethnischer Staat mit 55 offiziell registrierten ethnischen Minderheiten; die Han-Majorität macht über 90 Prozent der Bevölkerung aus. Regionale autonome Verwaltungseinheiten in Gebieten mit einem hohen Anteil an ethnischen Minderheiten markieren formal eine gewisse Eigenständigkeit von der Zentralregierung, setzen de facto aber die zentral vorgegebene Linie durch. Im Bildungsbereich sollen zusätzlich zum regulären Curriculum "ethnische Bildung" (minzu jiaoyu) sowie Mehrsprachenunterricht für den Fortbestand kultureller Traditionen Sorge tragen, allerdings gelingt dies nur unzureichend (siehe Exkurs Schule und Bildung in Südwestchina). Für den Übergang von Oberer Mittelschule zu Hochschule wird ein System praktiziert, nach dem Angehörige von ethnischen Minderheiten eine geringere Punktzahl benötigen, um an einer Hochschule aufgenommen zu werden. Dennoch sind ethnische Minderheiten an den Hochschulen auch im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl unterdurchschnittlich vertreten, und nur ein geringer Teil verfügt über einen Hochschulabschluss (vgl. Tabelle 1). In den letzten Jahren wurde zudem die Möglichkeit von Bonuspunkten für ethnische Minderheiten in vielen Provinzen stark eingeschränkt, u.a. aufgrund des wachsenden Drucks seitens der Mehrheitsgesellschaft, die ihre Kinder durch die Regelung benachteiligt sah.

Von Regierungsseite liegt in den letzten zwanzig Jahren ein besonderer Fokus auf der Provinz Xinjiang, der Heimat der muslimisch-uigurischen Minderheit Chinas. In den westlichen Medien hat die Unterdrückung dieser Minderheit erst in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit erfahren, nicht zuletzt auch durch offizielle Boykotte z. B. seitens der Modefirma H&M gegen die in Xinjiang unter Zwangsarbeit hergestellte Baumwolle. Jedoch verfolgt die chinesische Regierung bereits seit 2001 eine systematische Beschränkung politischer, kultureller und religiöser Freiheiten, was als Kampf gegen Separatismus und Terror legitimiert wird. Im Bildungsbereich äußerte sich dies zunächst durch eine weitgehende Einschränkung von Uigurisch als Unterrichtssprache sowie die Errichtung von sogenannten "Xinjiang-Klassen". Letztere bilden an Internatsschulen eine neue "ethnische" Elite heran, die anschließend an prestigeträchtige chinesische Universitäten geschleust wird und nach erfolgreichem Hochschulabschluss massiv die Interessen der chinesischen Zentralregierung vertritt. In der Forschung wird diese Praxis daher auch als ein in die ethnische Gemeinschaft getriebener Keil bewertet.

Seit 2014 wird "Bildung" in Xinjiang in den internationalen Medien wie auch in der Forschung mehr und mehr mit Gehirnwäsche und kulturellem Genozid in Verbindung gebracht. Im Zusammenspiel mit einem System digitaler Überwachung und der Einrichtung biometrischer Datenbanken ist die Bevölkerung in Xinjiang gegenwärtig einer umfassenden Umerziehungskampagne unterworfen, im Zuge derer kulturelle und religiöse Einstellungen und Praktiken ausgelöscht werden sollen. Unter der offiziellen Bezeichnung "Zentren für Ausbildung und Training von beruflichen Fähigkeiten" wurden mehrere hundert "Erziehungslager" unterschiedlicher Sicherheitsstufen eingerichtet, in denen mittlerweile geschätzt ein bis anderthalb Millionen Personen interniert sind, was mehr als zehn Prozent der uigurischen Bevölkerung in Xinjiang entspricht.

Exkurs: Schule und Bildung in Südwestchina

Für viele Schulkinder in den südwestchinesischen ethnischen Minderheitengebieten hat Schulbildung nur einen abstrakten Wert, weil sie für das spätere Arbeitsleben keine Bedeutung hat. Viele ethnische Gruppen haben ihre eigene Sprache. Dies heißt beispielsweise, dass ein tibetisches Schulkind laut offiziellem Lehrplan erstens (die Fremdsprache) Chinesisch und chinesische Zeichen, zweitens Englisch samt lateinischem Alphabet und drittens Tibetisch (welches sich oft von dem zuhause gesprochenen Tibetisch unterscheidet) und das tibetische Schriftsystem erlernen muss. Schließlich sollen auch noch weitere ethnische Traditionen gelernt werden. Diese Anforderungen – neben all den anderen Schulfächern – sind von den meisten Kindern kaum zu meistern, zumal ihre Eltern oft selbst kaum lesen oder schreiben können.

Im Prinzip wirft jeder zusätzliche "ethnische" Unterrichtsinhalt ein Dilemma auf: Sollen die Kinder in ihrer ethnischen Identität bestärkt werden, allerdings auf Kosten einer chinesischen Bildung, die ihnen einen besseren Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft ermöglicht? Oder soll weitestgehend auf eine chinesische Bildung fokussiert werden, jedoch auf Kosten der ethnischen Identität? Eine echte Zweigleisigkeit lässt das lernintensive chinesische Schulsystem nicht zu.

Schließlich birgt auch der Einsatz von Lehrkräften ein Dilemma. Vielerorts mangelt es an qualifizierten Lehrkräften, und der Staat setzt Anreize für Lehrkräfte der Han-Majorität, an Schulen in ethnischen Minderheitenregionen zu unterrichten. Jedoch führt diese Politik unweigerlich zu Konfliktsituationen, weil viele der zugezogenen Lehrkräfte ethnische Minderheiten lediglich als rückständig betrachten und ihr reiches kulturelles Erbe nicht anerkennen.

Problematischerweise richtet sich "ethnische Bildung" nur an die Minderheiten und nicht an die Han-Majorität, weshalb Minderheitenperspektiven kaum Eingang in die öffentliche Wahrnehmung finden. Die Deutungshoheit jedoch über das, was an ethnischer Kultur vermittelt werden soll, liegt bei der Han-Majorität. Kulturelles Erbe verkommt daher schnell zur reinen Folklore.

Wissenschaft und Hochschulen

Für die Aufnahme an eine Hochschule reicht nicht der Abschluss der Oberen Mittelschule, sondern es muss der sogenannte Gaokao abgelegt werden, eine auf Provinzebene verwaltete Hochschuleingangsprüfung, deren erreichte Punktzahl darüber entscheidet, ob und an welcher Universität das Studium aufgenommen werden kann. Die Reputation der Hochschule ist viel stärker als z. B. in Deutschland entscheidend für die weitere berufliche Karriere. Der im Vergleich zur Vergangenheit leichtere Zugang zu einer universitären Ausbildung (vgl. Abbildung 1) darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass angesichts der hohen Zahl von fast 4.000 Hochschulen das Abschlusszeugnis von einer prestigearmen Hochschule oft nicht viel wert ist. So verdienen die Abgängerinnen und Abgänger von gewöhnlichen Hochschulen deutlich weniger als diejenigen, die an einer Elite-Universität studiert haben, und ein Großteil findet nach dem Abschluss nur Jobs, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. In der Forschung und in den Medien nennt man diese Gruppe daher auch "Ameisenvölker": Intelligent, aber schwach, und oft dazu gezwungen, in engen und improvisierten Unterkünften zu wohnen.

Die große Bedeutung des Gaokao wird nicht nur in der Öffentlichkeit und Bildungsforschung kritisiert, sondern ist seit 2014 auch Anlass für eine politische Reform, die u.a. einen Ausgleich zwischen verschiedenen Regionen bewirken, Universitäten mehr Autonomie bei der Rekrutierung künftiger Studierender zugestehen, Privilegien für besser gestellte Familien abschaffen und grundsätzlich den Charakter der Prüfung verändern soll. Nach Pilotversuchen in Shanghai und der Provinz Zhejiang sollte die Reform 2020 im ganzen Land abgeschlossen sein, allerdings gibt es nach wie vor Widerstände gegen ihre Umsetzung sowie unerwünschte Nebeneffekte (wie z.B. zusätzlicher Lerndruck aufgrund einer neu eingeführten "zweiten Chance"). Zudem befürchtet man, dass weniger Standardisierung in den Aufnahmeverfahren zu noch stärkeren Ungleichheiten führen könnte.

Die chinesische Hochschulpolitik hat seit den 1990er Jahren vor allem auf die Errichtung und Konsolidierung von Elite-Hochschulen gesetzt, was der gegenwärtige 14. Fünf-Jahres-Plan (2021-2025) auch weiterhin bestätigt. Wie die eingangs erwähnten Rankings nahelegen, konnten sich einige chinesische Hochschulen auch in der internationalen Spitze etablieren. Zudem wächst der Anteil derjenigen, die nach einem Studium im Ausland zurückkehren, so dass die lange gefürchtete Gefahr eines Brain Drain – einer Abwanderung von Talenten ins Ausland – zunächst als gebannt gelten kann (siehe Abbildung 2).

Seit 2020 lässt sich in der chinesischen Hochschulpolitik allerdings eine Kehrtwende in Bezug darauf verfolgen, was unter "Spitzenforschung" verstanden wird: Orientierten sich Leistungskriterien lange Zeit daran, inwieweit chinesische Forschung international publiziert und zitiert wurde, hat das Bildungsministerium nun festgelegt, dass solche internationalen, quantitativen Indikatoren in Zukunft keine Rolle mehr spielen und stattdessen der Wert der Forschung für die Entwicklung der chinesischen Gesellschaft im Vordergrund stehen soll. Diese Umorientierung geht auf eine Rede von Präsident Interner Link: Xi Jinping auf einer Konferenz im Jahr 2018 zurück, welche die Abhängigkeit Chinas von westlichen Ideen und Standards kritisiert und für ein eigenes, nationales System der Qualitätskontrolle plädiert. Inwieweit diese Veränderungen die internationale Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Universitäten schmälern werden, ist derzeit noch schwer abzuschätzen.

Re-Ideologisierung der Bildung unter Präsident Xi Jinping

Im Juli 2021 erregte eine neue Verlautbarung des Bildungsministeriums Aufmerksamkeit, nach der auf allen Bildungsebenen die Xi-Jinping-Ideologie Eingang in die Lehrpläne finden sollte. Bereits in der Schwerpunktsetzung für die Bildungsarbeit 2021 wurde festgelegt, dass das Lernen, die Verbreitung und das Erforschen der Xi-Jinping-Ideologie an erster Stelle stehen sowie die die "moralisch-ideologische" Bildung auf allen Bildungsebenen gefestigt werden sollten. Verschiedene internationale Berichte stellen eine Ideologisierung von Bildung in allen Bereichen und damit einhergehend eine wachsende Beschneidung akademischer Freiheit fest. Die Grenzen, ab denen man gegen die "nationale Sicherheit" verstößt, werden zunehmend enger gezogen; vor allem an die Top-Universitäten werden immer öfter Spitzel entsandt, und in den Sozialwissenschaften werden Forschungsgelder nun vor allem für Ideologie-Projekte vergeben, die sich beispielsweise mit Marxismus oder der Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas beschäftigen.

Bereits im Jahr 2013, also kurz nach Xi Jinpings Machtübernahme, kursierte auf dem Dritten Plenum des 18. Parteikongresses ein unveröffentlichtes "Dokument Nr. 9", das u. a. die Diskussion von universellen Werten, Zivilgesellschaft und Pressefreiheit mit einem Tabu belegte. Sogar im Ausland studierende Chinesinnen und Chinesen sind einem Kontrollsystem unterworfen, was für manche westlichen Universitätssysteme wie z. B. in Großbritannien und Australien, die in hohem Maße von chinesischen Gebührenzahlungen abhängig sind, mittlerweile ein Problem darstellt. Parallel zu diesen Entwicklungen sind im Jahr 2021 chinesische Sanktionen gegen die internationale China-Forschung verhängt worden, von der sowohl Institutionen wie z.B. das Berliner Mercator Institute for China Studies (MERICS) als auch Individuen betroffen sind, und die vor allem durch kritische Xinjiang-Forschung ausgelöst wurden. Dies wirft die Frage auf, inwieweit dadurch in Zukunft Möglichkeiten der Feldforschung in China und damit der Informationsbeschaffung und des Wissensaustausches beeinträchtigt werden. Die jüngsten Entwicklungen lassen vermuten, dass Chinas eigener Weg in Bildung und Wissenschaft zunehmend mit europäischen und anglo-amerikanischen Vorstellungen in Konflikt gerät.

Weitere Inhalte

ist Professorin für Schul- und Bildungsforschung im internationalen Vergleich an der Universität Wien. Ihre Forschung beschäftigt sich mit politischer Steuerung im Bildungswesen, Bildung und Privatisierung, Informations- und Kommunikationstechnologien im Bildungsbereich (ICT4E) sowie Bildung als Entwicklungshilfe in ländlichen Regionen, mit dem regionalen Schwerpunkt China. Ein aktuelles Feldforschungsprojekt befasst sich mit Schule und Bildung für ethnische Minderheiten in Südwestchina.