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Defizite der Reichtumsforschung | Verteilung von Armut + Reichtum | bpb.de

Verteilung von Armut + Reichtum Verteilung - ein kontroverses Thema Bedeutung und Aktualität der Verteilungsfrage Verteilungsdimensionen - Verteilung von was? Ebenen der Einkommensverteilung Sozialstaat und Einkommensumverteilung Begriffe und Indikatoren Funktionelle Einkommensverteilung Arbeitseinkommen Verfügbare Haushaltseinkommen Vermögensverteilung Armutsrisikoquoten und Grundsicherungsquoten Reichtumsquoten Datengrundlagen Datenprobleme Gesamtwirtschaftliche Einkommensverteilung Arbeitnehmereinkommen Verdienststruktur Alte und neue Bundesländer Tarifentgelte und Tarifbindung Niedriglöhne Mindestlöhne 450 Euro Beschäftigung/Minijobs Gender Pay-Gap Nettoverdienste Einkommensverläufe Lohnhöhe und Lohnersatzleistungen Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit Selbstständigkeit - ein komplexes Feld Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit Haushaltseinkommen Auf die Haushaltseinkommen kommt es an Brutto- und Nettoeinkommen der privaten Haushalte Verteilung der Haushaltsnettoeinkommen Verteilung der Nettoäquivalenzeinkommen Anhaltende Zunahme der Ungleichheit Einkommensarmut Relative Einkommensarmut Armutsrisikoquoten im Zeitverlauf Armutsrisikoquoten im regionalen Vergleich Armutsrisiken besonders betroffener Personengruppen Armutsrisiken von Kindern und Familien Armutsrisiken älterer Menschen Armutsrisiken von Ausländer*innen Grundsicherung als Einkommensminimum Prinzipien und Berechnung der Grundsicherung Empfängerzahlen und Dunkelziffer der Nicht-Inanspruchnahme Grundsicherung und Armutsrisiko Hartz IV: Grundsicherung für Arbeitsuchende Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Leistungen an Asylbewerber Einkommensreichtum Defizite der Reichtumsforschung Messverfahren Zeitliche Entwicklung und regionale Unterschiede Spitzeneinkommen Vermögensverteilung Methodische Fragen Verteilungskennziffern im Vergleich Gruppenspezifische Befunde Vermögensarmut Vermögensreichtum, Superreiche Entstehung und Nachhaltigkeit Überschuldung Steuern und Beiträge Steuern, Beiträge und Sozialleistungen Steuerarten und Steuerbelastung Verteilungswirkungen von Steuern Verteilungswirkungen von Sozialversicherungsbeiträgen Verbindungen von Beiträgen und Leistungen der Sozialversicherung Zusammenwirken von Steuern und Beiträgen Steuern und Beiträge im internationalen Vergleich Folgen einer wachsenden Ungleichheit Erosion der Mittelschicht Ökonomische Instabilität Gefährdung des Zusammenhalts Verringerung von Einkommensungleichheit und Armutsrisiken Grundlagen der Verteilungspolitik Erwerbsbeteiligung und prekäre Beschäftigung Lohnersatzleistungen Grundsicherung und Armutsbekämpfung Steuerpolitik als Verteilungspolitik Einkommensumverteilung Bedingungsloses Grundeinkommen Privatisierung der Sozialversicherung Internationaler Vergleich Mittlere Position Deutschlands Vergleich von Industrieländern Vergleich von Schwellenländern Vergleich von Entwicklungsländern Der Welthunger-Index Infografiken Glossar Literatur und Daten Redaktion

Defizite der Reichtumsforschung

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

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Im Vergleich zur Armut ist Reichtum ein weniger erforschtes Thema. Reichtum markiert jedoch genauso die soziale Ungleichheit, die in der Bevölkerung als eines der größten Probleme der Gegenwart angesehen wird. Mehr Informationen über die Einkommenskonzentration am oberen Ende der Pyramide könnten die Diskussion versachlichen.

Eröffnung eines neuen Luxushotels in Hamburg. Im Vergleich zur Armut ist Reichtum ein weniger erforschtes Thema. (© picture-alliance/dpa)

Im 5. Armutsbericht der Bundesregierung (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2017) wird festgestellt, dass bisher ein deutlicher Unterschied in den Wissensbeständen über Armut und Reichtum besteht. Das beginnt bereits damit, dass keine Festlegungen (wie bezogen auf Armut seitens der EU) darüber bestehen, ab wann jemand als reich zu gelten habe und welche Einkommen dabei einzubeziehen sind (z. B. der Mietwert einer selbst genutzten Immobilie). Dass die gängigen Datenquellen EVS und Mikrozensus keine Angaben von Beziehern hoher Einkommen (ab 18.000 Euro Haushaltsnettoeinkommen) enthalten und andere Befragungen wie das SOEP trotz spezieller Zusatzstichproben die "wirklich" Reichen auch nicht repräsentativ erfassen können, erschwert Reichtumsanalysen zentral (vgl. "Interner Link: Reichtumsquoten" und "Interner Link: Datenprobleme").

Noch grundlegender ist aber ein weiterer Unterschied zwischen der Armuts- und Reichtumsforschung: In der Armutsforschung geht es um Fragen wie die, wie groß denn die Armutspopulation sei − Armutsrisikoquoten werden ermittelt, weil Armut mehrheitlich auch in der Politik als ein Problem angesehen wird. Das ist beim Thema Reichtum, bzw. allgemeiner beim Thema soziale Ungleichheit, nicht so eindeutig.

Das Profitstreben der Unternehmer wird seit Adam Smith als grundlegender Motor des Handelns in einer Marktordnung angesehen, das zu einer größtmöglichen "Wohlfahrt der Nationen" führe − wenn Wettbewerb herrscht. In seinem zweiten Hauptwerk, der "Theory of Moral Sentiments", legt er dar, dass die Sicherstellung des Wettbewerbs, Verbraucherschutz etc. Aufgabe des Staates sei, um die Grenzmoral der Unternehmer einzuhegen. (Das Streben nach) Reichtum ist in einer Marktordnung also nichts Unmoralisches, Ungleichheit an sich ist in diesem Sinne kein Problem, sondern sie wirke motivierend, fördere Innovationen usw. Der amerikanische Traum: "Vom Tellerwäscher zum Millionär" bringt das plastisch zum Ausdruck. Kritik an Ungleichheit und Reichtum lässt sich vor diesem Hintergrund leicht als "Sozialneid" desavouieren (vgl. Kasten).

Zweifel sind angebracht

Ob die Annahme eines funktionierenden Wettbewerbs tatsächlich realistisch ist, kann hier nicht näher diskutiert werden. Zweifel sind jedoch angebracht, insbesondere seit im Rahmen der Globalisierung die großen Mitspieler am Weltmarkt gefördert werden und nicht erwiesen ist, dass der so entstehende oligopolistische Wettbewerb auch funktioniert.

Mit Totschlag-Argumenten à la "Sozialneid", dem Kapital als "scheues Reh", der Drohung mit Investitionsabstinenz oder der Erpressung mit Arbeitsplatzverlusten lässt sich die Debatte um die Einkommens- und Vermögensverteilung bzw. um die Folgen von Reichtum und Ungleichheit jedenfalls nicht führen.

Eine solche Debatte ist aber angesichts der neueren Ergebnisse zu den Folgen einer zu großen Ungleichheit bzw. einer zu starken Einkommens- wie Vermögenskonzentration unverzichtbar. Es gibt, so die Kernbotschaft vieler neuer Untersuchungen, ein optimales Maß an Ungleichheit bzw. privaten Reichtums. Werden diese Grenzen überschritten, so treten negative Konsequenzen auf. Diese betreffen auf der subjektiven Ebene Reaktionen wie Motivationsverlust bei denen, die keine Hoffnung darauf haben (können), reich zu werden, Vertrauensverlust in das wirtschaftliche und politische System, bis hin zur Radikalisierung (vgl. "Interner Link: Folgen einer wachsenden Ungleichheit"). Auf der gesellschaftlichen Ebene können Protestbewegungen dadurch gestärkt werden etc. Schließlich gibt es eine Reihe von nicht nur theoretisch denkbaren, sondern inzwischen auch empirisch gut belegten negativen ökonomischen Folgen einer zu starken Ballung von Einkommen (und Vermögen) bei den Superreichen: Wettbewerbsverzerrungen, Wachstumsschwäche, Beschäftigungsverluste, Innovationsabstinenz, usw.

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.