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Brasilien auf dem Weg zu einer partizipativen Haushaltsplanung

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Brasilien gilt als Geburtsland der Bürgerhaushalte. Nach einer erheblichen Einschränkung der Beteiligungsmöglichkeiten unter Ex-Präsident Bolsonaro will der nun amtierende Regierungschef Lula da Silva, Bürger*innen wieder stärker in Haushaltsentscheidungen einbeziehen – und das auf nationaler Ebene.

(© Marcos Luiz on Unsplash)

Der Ursprung des brasilianischen Bürgerhaushalts liegt in Porto Alegre, der hier erstmalig eingesetzt wurde. Seitdem hat sich das Beteiligungsmodell global verbreitet und wird in zahlreichen Ländern erfolgreich genutzt. Auch in Brasilien selbst wurden Bürgerhaushalte, vor allem auf Betreiben der Arbeiterpartei, in mehr und mehr Kommunen des Landes eingesetzt. Sie sollten der Bevölkerung nicht nur mehr Mitspracherechte ermöglichen, sondern vor allem der Korruption entgegenwirken. Als Jair Bolsonaro mit seiner konservativen Partei 2019 das Amt antrat, erlebten die brasilianischen Bürgerhaushalte sowie die gesamte Bürgerbeteiligung einen starken Einbruch. Im ganzen Land wurden partizipative Räte per Dekret aufgelöst. Da nur wenige Initiativen zu diesem Zeitpunkt gesetzlich oder in der Verfassung verankert waren, konnte das Oberste Gericht dies kaum verhindern.

Als Reaktion auf diesen Kurswechsel entwickelten sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Demokratieprojekte ohne Beteiligung des Staates. An staatlichen Haushaltsentscheidungen konnte die Öffentlichkeit so aber nicht teilhaben. In diesem Zusammenhang formulierte der seit 2023 erneut regierende Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva im Wahlkampf sogar den Vorwurf vom „Geheimhaushalt“, um auf den Mangel an Transparenz in Haushaltsentscheidungen aufmerksam zu machen.

Comeback der Bürgerbeteiligung unter Präsident Lula da Silva: der partizipative Mehrjahresplan

In seinem Wahlkampf versprach Lula da Silva daher mehr Bürgerbeteiligung in Haushaltsentscheidungen, wenn auch nicht mehr unter dem Begriff Bürgerhaushalt. Stattdessen ist die Rede von einem partizipativen Mehrjahresplan. In Brasilien legt ein Mehrjahresplan, der sogenannte Plano Plurianual (PPA), alle vier Jahre Leitlinien, Ziele und Vorgaben für den öffentlichen Bundeshaushalt fest. Lula da Silvas Regierung will diesen Prozess nun partizipativ gestalten und die Öffentlichkeit stärker an der Erstellung dieses Plans beteiligen.

In dem neu entwickelten Verfahren erfolgt die Beteiligung über mehrere Wege: Einerseits finden landesweit öffentliche Versammlungen für den PPA Participativo statt. In diesen Versammlungen können Bürger*innen, soziale Bewegungen und Organisationen der Zivilgesellschaft Vorschläge der Regierung beraten und diskutieren sowie weitere Vorhaben vorschlagen.

Andererseits können Bürger*innen Externer Link: über die digitale Plattform Decidim Vorschläge einreichen, die Anträge anderer Bürger*innen bewerten und bestimmte Staatsvorhaben priorisieren. Bis Mitte Juli 2023 wurden über 8.000 Vorschläge eingereicht und mehr als 1.520.000 Stimmen abgegeben. Die Vorschläge mit den meisten Stimmen werden von der Regierung näher in Betracht gezogen.

„Forum Interconselhos“

Ergänzend wurde das Interconselhos Forum eingerichtet, in dem Vertreter*innen aus Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam die Vorbereitung und Umsetzung des PPA überwachen. Dieses Forum wurde erstmals in den 1990er Jahren gegründet, 2017 allerdings mit der Präsidentschaft Michel Temers wieder aufgelöst.

Regierungschef Lula da Silva brachte das Forum nun zurück. Die erste Sitzung fand bereits im April 2023 statt, in der Visionen, Themen und Werte des Forums diskutiert wurden. In einem weiteren Treffen im Mai wurden dann erste Prioritäten und Ziele für den PPA 2024-2027 formuliert, die zuvor in den öffentlichen Versammlungen debattiert worden waren.

Chancen und Hürden des partizipativen Mehrjahresplans

Der Ansatz der neuen Regierung ist vielversprechend; vor allem die Möglichkeit der digitalen Partizipation ist eine zukunftsweisende Neuerung. Jedoch gibt es auch einige Schwachstellen und Herausforderungen. Die endgültige Fassung des PPA für 2024-2027 muss bereits bis Ende August 2023 vorgelegt werden. Dieser begrenzte Zeitrahmen erschwert aber eine effektive, umfassende Bürgerbeteiligung – trotz der bereits zahlreichen Einreichungen und Debattenbeiträge. Außerdem finden die Bürgerversammlungen überwiegend in Großstädten oder eben online statt, was bestimmte Bevölkerungsgruppen ausschließt.

Wie partizipativ und erfolgreich der Beteiligungsprozess zum PPA letztlich verläuft, werden weitere Erfahrungen und Untersuchungen zeigen müssen. Aber Brasilien hat sich auf den Weg gemacht, eine partizipative Haushaltspolitik zu ermöglichen.

Weiterführende Informationen finden Sie im Externer Link: englischsprachigen Beitrag vom Beteiligungsnetzwerk „People Powered“.

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