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Das Vermächtnis des 20. Juli 1944 | APuZ 41/1954 | bpb.de

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APuZ 41/1954 Das Deutschlandbild der Franzosen Getarnte Sowjetpropaganda Das Vermächtnis des 20. Juli 1944

Das Vermächtnis des 20. Juli 1944

Graf Yorck von Wartenburg

Gedenkrede, gehalten aus Anlaß der 10jährigen Wiederkehr des 20. Juli 1944 in der Aula der Universität Heidelberg am 20. Juli 1954.

Euer Magnifizenz, Meine Damen und Herren!

Es ist mir die große Auszeichnung zuteil geworden, vor Ihnen zu sprechen aus Anlaß des 10. Jahrestages des 20. Juli 1944.

Messe ich an dieser Aufgabe meine Fähigkeiten, so überkommt mich — ich gestehe es — ein Zagen. Denn man müßte ein Sänger der Vorzeit sein, um aus dem Wissen von den Mächten der Finsternis und des Lichtes den Erzfeind allen Menschentumes und dawider den Helden beschwören zu können, so daß das Herz des Hörers erbebt, wenn vor seinem Ohr und Auge der ungleiche Kampf anhebt, der um seine Sache, der um sein Menschenantlitz geführt wird.

Das Gezänk und Gegeifere um die erhabene Tat des 20. Juli 1944 es würde vor dem mündigen Munde verstummen, der gültig auszusagen vermöchte, was eigentlich unter uns sich ereignete.

Meiner Rede ermangelt diese Gewalt und so mag sie leicht als das Wort eines Parteigängers gehört werden, mag sie kränken, wo sie die Dinge beim Namen nennt, mag sie Herzen verschließen, wo sie sie öffnen möchte.

Und dennoch! Es muß der Hintergrund sichtbar werden, der Hintergrund heute und hier, vor dem sich die Tat der Verschworenen abhebt, jene Tat, die uns selbst jeden Augenblick neu vor eine Entscheidung stellt.

Meine Damen und Herren!

Was soll diese Feierstunde? Ist sie eine Totenehrung, ist sie ein kurzes Verweilen bei einer schon Geschichte gewordenen Vergangenheit? Oder sind wir gekommen ein Bekenntnis abzulegen, uns laut und vernehmbar zu den Gehenkten zu bekennen, uns neben ihre entehrten, geschändeten Leiber zu stellen? Sind wir gekommen, an dem lebendigen Geiste dieser Toten unsere schwehlende Fackel neu zu entzünden, ihr Vermächtnis anzunehmen, um es weiter zu tragen?

Ist es dies, was uns zusammenführt — und das allein entspräche dem Sinn einer solchen Feierstunde — so müssen wir wissen: An der Tat des Grafen Stauffenberg werden sich für lange Zeit die Geister in unserem Volke scheiden. Sie wird, sie muß — sie soll als ein Stein des Anstoßes dem selbstgerechten Moralisten und dem blinden Nationalisten im Wege liegen und sie soll dem Menschen, dem es um seine Seele, dem es um die Seele seines Volkes zu tun ist, sie soll ihm zeigen, welch'furchtbare Gestalt das Opfer annehmen kann, zu dem er bereit sein muß.

Schuld und Erbärmlichkeit erheben sich unter uns und wollen unter Berufung auf Eid und Ehre anrüchig machen, was aus sich selber leuchtet.

, Lauscht man diesen Stimmen, so gebührte dem Oberkommandierenden in Stalingrad der Preis echten Soldatentums, weil er seinen toten Gehorsam wider bessere Einsicht über die richtige militärische Entscheidung, über das Wohl einer Viertelmillion junger Menschen stellte, die ihm sein Volk, die ihm Mütter und Frauen anvertrauten.

Welch'Knechtessinn brüstet sich hier unbelacht mit Eid und Ehre! Welch aberwitzige Absurdität stolziert hier im Gewände des Soldatentums? Als wenn es überhaupt eine Tugend geben könnte, die außerhalb einer allgemeinen gültigen Wertordnung ihren Platz hätte, eine Tugend, die nicht zugleich hingeordnet wäre auf einen metaphysischen Seins-verhalt.

Und da sind noch andere Stimmen, dümmere und weniger gefährliche; sie wagen es angesichts unserer zerbombten Städte, angesichts der Kapitulation-in Stalingrad und Afrika, angesichts der Landung in der Normandie und Italien, der zehnfachen Uebermacht unserer Feinde vom schmählich vereitelten Endsieg zu faseln. Ihr Geschrei ist nicht ernst zu nehmen — aber haben wir den Mut, ihnen zu sagen, daß i h r Endsieg unter allen Umständen hätte vereitelt werden müssen?

Und schließlich die Millionen derer, die nicht mehr wahrhaben wollen, was an himmelschreienden Verbrechen im Namen des deutschen Vo’kes, von deutschen Händen verübt wurde, und die nun schlechten Gewissens und scheelen Auges die Erinnerung an die unbequemen Mahner tilgen möchten.

Stellen wir uns neben die Toten, denen diese Stunde gilt, so stehen wir gegen ein Heer von Menschen, für die 5 Millionen hingemordeter Juden, für die ein grausiges Erlebnis von Terror, Ruchlosigkeit und Verbrechen nicht zählen, weil sie persönlich Recht behalten wollen; so stehen wir gegen die Menschen, welche die Schurken von Nürnberg und Landsberg, die Henker von Oradour und Struthof am liebsten zu National-'helden machten, nur weil sie mit ihnen den deutschen Namen teilen. Stellen wir uns neben die Toten, denen diese Stunde gilt, so stehen wir gegen alle die Deutschen, die die Vergehen der Sieger mit Genugtuung registrieren, um an ihnen Genossen ihrer Schmach zu haben. Stellen wir uns neben die Toten, denen diese Stunde gilt, so stehen wir gegen eine Welt, die nur eines anbetet: den sinnfälligen Erfolg; stehen wir gegen eine Welt, für die der Gescheiterte peinlich ist, und das Außerordentliche zweifelhaft; gegen eine Welt, deren Mitgefühl haltmacht vor der Schmach.

Freilich, Galgen und Strang sind keine Orden und Ehrenzeichen, die den patentierten Helden ausweisen, und das Bild des Gehenkten beflügelt nicht die Phantasie; es erregt Abscheu.

Angesichts des Galgens müssen wir uns schon darauf besinnen, daß Gott selbst die Wertordnung der Welt verkehrte, wenn er das Symbol der Schmach in das Zeichen des Heiles wandelte. Aber das Ärgernis des Kreuzes ist darum nicht aus der Welt und nur eine fromme Zeit hat es gewagt, es dem Beter im Realismus des Kultbildes vor Augen zu stellen — die Nachfahren haben es schon ins Dekorative oder Sentimentale ver-kehrt.

Darum, stellen wir uns neben die Gehenkten des deutschen Widerstandes — so stehen wir selbst im Schatten des Galgens und werden der Nation zum Ärgernis.

Die mannhafte Erhebung des ostdeutschen Arbeiters gegen seinen Unterdrücker festlich zu begehen, den 17. Juni zu einem nationalen Feiertag zu erklären — das tut man mit Fug, aber man kann es auch wagen, weil die Nation in dieser Tat sich selbst wiederfindet. Der 20. Juli 1944 hingegen, unpopulär wie er ist, wird nicht durch die Beflaggung der Amtsgebäude als nationales Ereignis von Rang dem Volk in Erinnerung gebracht.

Wie lange hat es nicht gedauert bis die bitterste Not der Witwen und Waisen dieser Männer gestillt wurde; wie lange bis ein Gesetz ihre Ansprüche regelte! Es erschien vordringlicher die Rechte der eliminierten nationalsozialistischen Beamtenschaft wahrzunehmen.

In welcher Schule hängt ein Bild des Grafen Stauffenberg der Jugend zur Mahnung?

Aber das ist nur ein Teil unserer nationalen Wirklichkeit; er ist beschämend genug. Doch wie vieles gibt es in der politischen Entwicklung seit 1945, das der Forderung nicht standhält, die das geistige Erbe der Männer des 20. Juli 1944 für uns bedeuten sollte. Von ihren Konzeptionen ist in unserer staatlichen und sozialen Neuordnung so gut wie nichts verwirklicht worden; aber weit schwerer wiegt, daß die große Besinnung ausgeblieben ist, deren Wegbereiter sie sein wollten.

Abhold dem Nationalismus, abhold der seelenmordenden Übermacht des Staates, abhold der Anonymität politischer und wirtschaftlicher Machtgruppen, abhold der Suprematie der Wirtschaft, abhold allen KlassenVorurteilen und — Ansprüchen hatten, sie den Gefahren unseres Zeitalters für den Menschen in einer Reform begegnen wollen, die dem vom Massenwahne bedrohten Einzelwesen wieder übersichtliche Lebens-bezirke und Verantwortungsbereiche zuwies, der Selbstverwaltung Raum gab, die Integration des Arbeiters in den abendländischen Geschichtsraum, in die bürgerliche Gesellschaft und in den Betrieb vollziehen sollte.

Aus dem bedrückenden Erlebnis der Ideologie des totalen Staates, aus dem Erlebhis des Massenmenschen heraus waren sie neu und ganz ergriffen worden von der Vorstellung vom Wesen des Menschen, welche die Grundlage der abendländischen Kultur ausmacht. Die Einmaligkeit, die Verantwortlichkeit, die Jenseitsbezogenheit der Person war ihnen neu bewußt geworden, und die Freiheit des Menschen, sie erschien ihnen ganz auf das personale Gewissen bezogen und nur als Kehrseite einer letzten Bindung. Diese Entdeckung ist zugleich das Geheimnis ihrer sittlichen Kraft, der Antrieb für ihre Tat.

Aus welchen Lagern sic auch immer sich zusammenfanden die Beck, Gördeler und Popitz; die Leuschner, Haubach, Miehrcndorf; die Delp, Bonhoeffer und Perels; die vielen Träger alter, geschichtsträchtiger Namen —sie alle einte das Wissen um ihre Verantwortlichkeit für das grausige Geschehen um sie herum. Sie wußten um die Schicksals-und Schuldverpflechtung der Menschen, wußten darum, daß der einzelne sich nicht einen Fleck aussparen kann, auf dem er rein und unberührt von dem Weltgeschehen schuldlos bleibt. Sie wußten, daß ihr Kampf um die Freiheit, um die Würde des Menschen, um die sittlichen Grundlagen staatlichen Handelns in der eigenen Verantwortlichkeit allein seine Rechtfertigung fand. Die Abschiedsbriefe, die auf uns gekommen sind, legen für solche Haltung ein ergreifendes Zeugnis ab.

Diese Männer wuschen nicht ihre Hände in Unschuld, sie traten nicht als Richter auf den Plan, — sondern es war ihr Aufstand gegen die Obrigkeit zugleich ein Prozeß der Selbstreinigung, der das Angebot des eigenen Opfers gleichberechtigt neben den Erfolg stellte. Ja, je mehr die Aussiebt auf eine Verwirklichung des Umsturzes schwand, desto drängender er-wuchs in ihnen das Bedürfnis mit dem eigenen Leben Sühne zu leisten.

Einer der Edelsten unter den Verschworenen, der General von Treskow, er wurde nicht müde zu wiederholen, daß die Tat gewagt werden müsse, auch ohne Aussicht auf Erfolg, weil sie ein Gebot der Ehre sei.

Lind dabei waren sich die Verschworenen der Komplexität des Problemes stets bewußt. Alle die Argumente, die ihnen über das Grab hinaus von den unentwegt Korrekten vorgehalten werden, sie hatten ihre Seelen hundertmal durchzogen; und mochten sie mit ihren Kritikern die personelle Bindung an das Staatsoberhaupt auch nicht teilen, so wußten sie um vieles tiefer, weil leidvoll durchlitten, um die Gültigkeit der Rechtsnorm wie um Gottes Gebot.

Darin bestand ja gerade der Konflikt, den jeder einzelne in sich auszufechten hatte, daß allein der Mord, allein die verabscheute Gewalt den Verbrechen der Staatsführung, den Leiden von Millionen Einhalt gebieten konnte.

Im Namen des Rechtes, der Sittlichkeit, der Ehre, ja des Gehorsames vor Gott fühlten sich diese Männer immer dringlicher zu einer Tat gemahnt, die in sich selbst den Normen von Recht, Sittlichkeit und Ehre, dem Gebote zuwider war. Ihre Glaubwürdigkeit, die Lauterkeit ihrer Absicht stand damit in Zweifel und, die Unverletzlichkeit des ordo, um den es ihnen ging.

Die. führenden Soldaten unter ihnen, die Herren von Witzleben, Höppner und andere, sie hatten sich darum im Bewußtsein der Ausweglosigkeit solchen Konfliktes durch Ehrenwort untereinander gebunden nach gelungenem Staatsstreich ihren Abschied zu nehmen und kein Amt mehr zu bekleiden.

Ermessen wir die Tragik solch inneren Kampfes, aber auch die Größe des Sieges? Keine Ambition, ja nicht einmal die Wahrscheinlichkeit des Gelingens forderte den Verschworenen die Entscheidung ab. Sie mußten verleugnen, was sie waren, mit ihren Urteilen brechen, ihre Ehre außerhalb der Normen ihres Standes suchen, in eine letzte Einsamkeit vordringen, ehe sie durchgeglüht und von allen Affekten gereinigt zur Tat schritten.

Sehr sorgfältig, sehr exakt in der Vorplanung gingen sie zu Werke. Aber sieht man von dem Elan des Grafen Stauffenberg ab, jenes mutigen Offiziers, der ein Auge einen Arm und zwei Finger der anderen Hand im Afrikafeldzug eingebüßt hatte und sich dennoch zum Attentate erbot; sieht man ab von dem geglückten Putsch in Paris unter dem Kommando des Generals von Stülpnagel — so mag man den Eindruck davon tragen, daß die Verschworenen fast wie medial ihren Auftrag vollstreckten, daß der große Verzicht, der ihnen abgefordert war, ihrer Tat den Schwung nahm, daß vor ihren Seelen nur noch die Notwendigkeit des Opfers stand.

Von dem Erbe der Ahnen, dem inneren Auftrage, von der erstrittenen Gewißheit mag nicht alles standgehalten haben als ihre zuckenden Leiber sich zu Füßen ihrer Foltersknechte wanden, als sie durch tausendfache Qualen gebrochen vor ihrem Richter standen. Sie aber, die durch alle Torturen schritten, ehe sie unter dem Galgen halt machten — dort standen sie als Überwinder. Was sie zu geben hatten, hatten sie dargebracht: ihr Leben, das Glück der Ihren, ihre Ehre. Und nun konnten sie in der Freiheit derer, die nichts mehr ihr eigen nennen, keinen Wunsch und keine Sehnsucht, auf die Jahre zurückblicken, da der Eidbruch und die Meintat vor ihren Seelen war, tausendmal verworfen und tausendmal sich darstellend als der einzige Weg zur Rettung von Millionen, zur Rettung des geschändeten Vaterlandes.

Der Verantwortung ledig und ledig einer Bürde, die sie als Erben solcher Hinterlassenschaft mehr und mehr in Konflikte hätten bringen müssen mit der Wertordnung um die es ihnen ging, strebten sic mit allen Fibern nur noch DEM entgegen, dessen Gemeinschaft im Sakramente des Altares ihnen schnöde Niedertracht vorenthielt. Und dennoch kann von ihrem einsamen, verlassenen Sterben gesagt werden, was der Graf Matuschka auf seinem letzten Gange aussprach: „Es ist Gnade am Feste der Kreuzerhöhung für sein Vaterland sterben zu dürfen."

Denn ihr Tod ist ein Fanal, leuchtend über alle Zeiten, ist ein letzt-gültiges Siegel unter menschlicher Vollendung — und er ist noch sehr viel mehr.

Für den der Augen hat zu sehen wird hier etwas sichtbar von dem Geheimnis der Stellvertretung, von dem die Religionen in schwer zugänglichen Gleichnissen reden. Wenn wir als Nation den Zusammenbruch überstanden, wenn wir heute leben anstatt in den Gaskammern zu verröcheln, die wir für unsere Opfer bauten;

wenn Deutschland in der Welt wieder Fuß faßt;

wenn wir unser Haupt in Schmach nicht verhüllen müssen — so doch nur, weil es Männer und Frauen gab, die mit ihrem Leben für die unvergängliche Ordnung zeugten, die sich unter das Joch eines blutrünstigen Tyrannen nicht beugten, die sich zum Opfer darbrachten;

so doch nur, weil — wir dürfen es hoffen — Gott dieses Opfer angenommen hat.

Um ihretwillen, allein um ihretwillen mögen wir mit dem sterbenden Stauffenberg zuversichtlich ausrufen: „Es lebe das ewige Deutschland".

Anmerkung:

Joseph Folliet gehört, heute fünfzigjährig, zu den führenden Köpfen des sozialen Katholizismus in Frankreich. Als Wissenschaftler und Publizist gleichermaßen vielseitig, scheint seine Produktivität unerschöpflich zu sein. Doktor der Philosophie, der politischen und sozialen Wissenschaften, Ehrendoktor der Cohimbia-Universität (USA) und der Universität von Montreal (Kanada), Professor der Soziologie und — als Laie — Lektor der Theologie in Lyon, betreut er Jahr für Jahr die Sozialen Wochen Frankreichs als deren Generalsekretär.

Er verfaßte zahlreiche Werke der Moral und Soziologie, u. a. „L’Avnement de Promethee“ (Versuch einer Soziologie unserer Zeit), „Les Chrtiens au Carrefour“ (deutsch . Der Christ am Scheideweg" im Dokumente-Verlag: vier Essays über die Beziehungen der Kirche zu den Strukturen und Ideologien der modernen Welt), „Presence de Eglise“, „Morale Sociale* (zwei Bände), „Morale Internationale“, „Le Droit de Colonisation" — und daneben einige Bänder Lieder und Gedichte. Zwischen den Kriegen arbeitete er an den Zeitschriften „Sept“ und „Temps Present" mit; beute leitet er die „Chronique Sociale", gibt mit Georges Hourdin die Illustrierte „La Vie Catholique" heraus und gehört zum Redaktionskomitee der Pariser Wochenzeitung „Temoignage Chretien“.

Fussnoten

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