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Das Atomenergie-Programm der Britischen Regierung | APuZ 38/1955 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 38/1955 Die Kernenergie in der zukünftigen Energiebildung der Welt Das Atomenergie-Programm der Britischen Regierung Die Kontrolle und Beseitigung von radioaktiven Abfällen

Das Atomenergie-Programm der Britischen Regierung

Dem Parlament durch den Lord President of the Council und den Minister für Energie und Brennstoffversorgung auf Befehl Ihrer Majestät Februar 1955 überreicht. 1. In der Entwicklung der Atomenergie für friedliche Zwecke ist ein wichtiges Stadium erreicht worden. Bis jetzt hat die Arbeit auf diesem Gebiet in Großbritannien ein militärisches Programm, ein auf breiter Basis aufgebautes Forschungs-und Entwicklungsprogramm, sowie die Produktion und Verwendung von Radioisotopen umfaßt. Das militärische Programm bleibt zwar weiterhin sehr wichtig; jedoch erheischt heute auch die Verwendung von Atom-Energie für friedliche Zwecke äußerste Aufmerksamkeit. Atom-Energie ist die Energie-Quelle der Zukunft. Wenn wir uns auch immer noch am Rande des Wissens hinsichtlich ihrer Verwertung für friedliche Zwecke befinden, so wissen wir doch genug, um einige der sich bietenden Möglichkeiten abzuschätzen. 2. Unsere Zukunft als ein Industrieland hängt ab sowohl von der Fähigkeit unserer Wissenschaftler, die Geheimnisse der Natur zu entdecken, wie auch von dem Tempo, mit dem wir die für uns durch diese Wissenschaft in erreichbare Nähe gerückte, neue Technik anwenden. Die genaue Richtung, in der sich die Atomenergie in Zukunft entwickeln wird, ist noch unbestimmt; das darf uns jedoch nicht davon abhalten, mit Nachdruck die praktische Verwendung der Atomenergie zu betreiben, wo immer diese verheißungsvoll erscheint. Die britische Wirtschaft wird nur dann die für eine volle Ausnutzung dieser neuen Technologie notwendigen Erfahrungen sammeln, wenn sie die Probleme der Planung und des Baues von Atomanlagen in Angriff nimmt. 3. Die Verwendung, die schon heute auf einer kommerziellen Basis praktisch möglich erscheint, besteht in der Nutzbarmachung von Kernspaltung als Wärmequelle für den Antrieb von Elektrizitätswerken. Diese Entwicklung bahnt sich darüber hinaus zu einem Zeitpunkt an, in dem in England der große und anwachsende Bedarf an Energie, und besonders an elektrischem Strom zu einer immer größeren Belastung für unsere Kohlenversorgung führt und die Suche nach zusätzlichen Energiequellen zu einer Angelegenheit von äußerster Dringlichkeit macht. Die Technik auf dem Gebiete der Atomenergie entwickelt sich so rasch, daß noch kein festes Programm auf lange Sicht hin entworfen werden kann. Wenn jedoch Fortschritte erzielt werden sollen, dann müssen schon heute die wahrscheinlichen Entwicklungslinien mindestens in großen Zügen festliegen, damit die nötigen Vorbereitungen rechtzeitig getroffen werden können. Es kann fünf oder mehr Jahre dauern, bis man ein großes Kraftwerk fertiggestellt, d. h. bis man das richtige Grundstück gefunden, die Anlage entworfen und schließlich das Werk aufgebaut hat. Es kann auch mehrere Jahre dauern, bis man einige der für die Atomenergie besonders benötigten Materialien beschaffen kann. Schließlich wird die Hauptlast der Planung und des Aufbaues von kommerziellen Atomkraftwerken der Wirtschaft selber zufallen, die auch für die Ausbildung des notwendigen technischen Personals zu sorgen haben wird. Dies sind einige der Fragen, die bald in Angriff genommen werden müssen, wenn wir beim Aufbau dieses neuen, und noch wenig vertrauten Industriezweiges nicht kostbare Jahre vertun wollen. 4. Aus diesem Grunde hat die britische Regierung ein vorläufiges Programm der Atomenergie-Gewinnung aufgestellt, das sich bis ins einzelne mit den nächsten 10 Jahren befaßt, und darüber hinaus die wahrscheinliche Entwicklung in den darauffolgenden 10 Jahren andeutet. Dieses Programm wird laufend modifiziert werden. Endgültige Entscheidungen werden in jedem Stadium erst im letztmöglichen Augenblick getroffen werden-, damit die neuesten technischen Errungenschaften jeweils am vorteilhaftesten angewandt werden können.

1. Die wahrscheinliche Richtung der Entwicklung auf dem Gebiete der Atomenergie-Gewinnung

5. Verschiedene Publikationen ) * haben das Prinzip der Kernspaltung sowie die Methoden beschrieben, durch die ein Atomreaktor an Stelle einer Kohle-oder Ölfeuerung zur Herstellung von Wärme für Elektrizitätswerke verwendet werden kann.

Das Calder-Hall-Werk stellt den ersten Versuch in dem Vereinigten Königreich dar, in großem Umfange Elektrizität aus Atomenergie zu produzieren. Soweit man dies heute voraussehen kann, wird man die zukünftige Entwicklung wahrscheinlich auf zwei Hauptziele hinlenken: Einmal auf eine noch leistungsfähigere Verwertung des wichtigsten Atommaterials, Uran, und zum anderen auf die Reduzierung der Anlagekosten eines Atomwerkes pro Kilowattstunde, und zwar sowohl hinsichtlich der Konstruktion des Reaktors wie seiner anfänglichen „Ladung“ (mit Uran). 6. Es ist anzunehmen, daß innerhalb der nächsten 10 Jahre zwei Reaktor-Typen auf einer kommerziellen Basis in Gebrauch genommen werden. Der erste Typ wird dem in Calder Hall in der Konstruktion befindlichen ähnlich sein. Verbesserungen in der Konstruktion dürften es jedoch in den nächsten 10 Jahren möglich machen, daß die späteren Modelle gegenüber den früheren hinsichtlich ihrer Leistung größere Vorteile aufweisen. Diese späteren Modelle werden gasgekühlte, graphit-moderierte thermische Reaktoren sein, und dabei als Brennstoff natürliches, oder etwas angereichertes LIran verwerten, d. h. einen Brennstoff mit etwas größerem spaltbarem Anteil als das natürliche Uran. Die ersten verbesserten Modelle könnten so entworfen und gebaut werden, daß sie sich in etwa 6 Jahren in Betrieb nehmen lassen. 7. Diese ersten Reaktoren werden nur einen kleinen Prozentsatz des natürlichen Urans verbrennen, mit dem sie beschickt sind, dafür aber zusätzlich zu der Wärme noch das Element Plutonium erzeugen, das in der Natur nicht vorkommt. Dieses Plutonium, das auf dem chemischen Wege aus den verbrauchten Brennstoffen entwickelt werden kann, ist potentiell äußerst wertvoll: es ist nämlich reines Spaltmaterial, während das natürliche Uran nur ein einhundertvierzigstel (1: 140) Spaltmaterial enthält.

8. Der zweite Reaktor-Typ, der in den nächsten zehn Jahren für kommerzielle Zwecke erbaut werden kann, ist ein flüssigkeitsgekühlter „thermischer Reaktor". DieserTyp erfordert eine kompliziertere Technik, die im Augenblick noch zu höheren Kosten führen würde. Im Laufe der weiteren Entwicklung dürften jedoch flüssigkeitsgekühlte Reaktoren bei gleichbleibenden Anlagekosten eine viel höhere Wärmeausbeute ) liefern können, als die ersten gasgekühlten Reaktoren. Die flüssigkeitsgekühlten Reaktoren könnten sich daher schließlich als wirtschaftlicher erweisen als die gasgekühlten, obwohl ein Vergleich der Kosten davon abhängen wird, in welchem Maße der gasgekühlte Typ verbessert werden kann. Es könnte verschiedene Variationen für diesen Reaktor-Typ geben. In den meisten Fällen würde angereicherter Brennstoff benötigt. Für diesen Zweck könnte das in den ersten Reaktoren in Verbindung mit natürlichem Uran hergestellte Plutonium verwendet werden. Die ersten flüssigkeitsgekühlten Reaktoren könnten auf kommerzieller Basis in etwa 8— 10 Jahren erbaut und ungefähr im Jahre 1965 in Betrieb genommen werden.

9. Die Entwicklung nach dem Jahre 1965 könnte verschiedene Formen annehmen: unter Umständen würde Thorium als ein alternativer Brennstoff gebraucht werden, und zwar zunächst in Verbindung mit Plutonium; auch können homogene und schnelle „Brutreaktoren" entwickelt werden. Man hat bereits den Beschluß gefaßt, eine Versuchsanlage großen Stils zu bauen, die mit einem schnellen „Brutreaktor“ ausgestattet ist. Diese Anlage kann auf einem Gelände bei Dounreth in Caithness Kraftstrom erzeugen. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß derjenige aus dieser Entwicklungsserie als am meisten geeignet hervorgehende, kommerzielle Reaktor (von welchem Typ auch immer) pro Kilowatt weniger Anlagekosten, und eine bessere Verwertung von Atom-Brennstoff mit sich bringen wird, als irgendeiner der früheren Reaktoren.

2. Die voraussichtlichen Kosten der Atomenergie

10. Die Kosten des elektrischen Stromes, der durch die zwei in den nächsten 10 Jahren wahrscheinlich kommerziell in Gebrauch befindlichen Reaktortypen erzeugt wird, können in etwa abgeschätzt werden, wenngleich man dabei auch einen weiten Spielraum für die Unsicherheitsfaktoren einkalkulieren muß. Erfahrungen mit Reaktoren, die mit hohen Temperaturen und hoher Wärmeleistung arbeiten, wie sie für die Kraftstromerzeugung nötig sind, sind noch begrenzt.

Zu den technischen Unsicherheitsfaktoren hinsichtlich der Eigenschaften und dem Verhalten der Reaktoren selber kommen notwendigerweise noch die ganz anders gelagerten Unsicherheitsfaktoren hinsichtlich des Vorrates und des Wertes der Kernmaterialien dazu, die ein Reaktor-System benötigt und herstellt. Die im folgenden auf Grund dieser Schätzungen angestellte Mutmaßungen sollten unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, daß sie nur einen annähernd richtigen, -aber nicht exakten Kostenvoranschlag darstellen.

Anlage-und Gemeinkosten 11. Es läßt sich ein einigermaßen genauer Voranschlag der Baukosten für die ersten kommerziell betriebenen Werke aufstellen. Ein Werk desselben Typs, das jedoch Spaltmaterial sowohl für militärische Zwecke, wie für Zwecke der Elektrizität erzeugt, wird zur Zeit bereits in Calder Hall für insgesamt etwa 15— 20 Millionen Pfund Sterling erbaut. Man kann erwarten, daß sogar die ersten, kommerziell betriebenen Anlagen des Calder Hall Types eine höhere Wärmeausbeute aufweisen werden, als die bereits jetzt in der Konstruktion befindlichen. Daher werden auch die Anlagekosten pro Kilowatt niedriger werden. Ein neues Kraftwerk könnte 100 000 bis 150 000, oder sogar 200 000 kW erzeugen. Es sind noch keine Erfahrungen gesammelt worden, auf Grund derer man die Arbeitsdauer eines Reaktors in einer kommerziell betriebenen Anlage schätzen kann; man scheint jedoch, vom technischen Gesichtspunkt aus, eine Arbeitsdauer von 10— 20 Jahren annehmen zu können. Da die Atomkraftwerke höhere Anlagekosten und niedrigere Betriebskosten verursachen werden, als dies bei anderen Werken der Fall ist, wird man sie mit möglichst konstanter elektrischer Leistung laufen lassen, um ihre Kapazität voll auszunutzen (etwa 80 °/o).

Wenn man von dieser Annahme des Gebrauchs ausgeht, so lassen sich die jährlichen Gemeinkosten für jede Leistungseinheit ungefähr berechnen. Die Anlage-und Betriebskosten mit Ausnahme der Brennstoffkosten lassen sich auf Grund der Erfahrungen berechnen, die bei den mit Kohle betriebenen Werken, sowie bei den militärischen Reaktoren in Windscale gewonnen wurden. 12. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Reaktor-Konstruktionen, wie zum Beispiel die Einführung einer Flüssigkeitskühlung, dürften allmählich zu sehr viel höheren Wärmeausbeuten führen, ohne daß dabei die Anlagekosten sehr erhöht würden. Auf diese Weise würden die Anlage-kosten pro Kilowatt noch mehr gesenkt werden, was wiederum zu einer Senkung der Gemeinkosten führen würde.

Brennstoffkosten 13. Die Brennstoffkosten hängen von drei Faktoren ab:

a) von den Kosten für das Rohmaterial Uran;

b) von den Verarbeitungskosten einschließlich der fabrikmäßigen Um-

Wandlung von Erzen in Brennstoffelemente der chemischen Verarbeitung der verbrauchten Brennstoffelemente, sowie der Gewinnung von Plutonium aus diesen Elementen, und schließlich c) von der „Strahlungsausbeute“, d. h.der Wärmemenge, die sich in dem Reaktor pro Tonne Brennstoff gewinnen läßt, bevor dieser Brennstoff entfernt werden muß. 14. Die britische Regierung ist auf Grund einer vorsichtigen Beurteilung der Weltvorräte und des Weltbedarfs für alle Zwecke der Meinung, daß genug LIran für die Durchführung des Zivilprogramms der nächsten 10 Jahre zur Verfügung stehen wird. Die Kosten der ersten Beschickung einer der zuerst gebauten Werke mit beschickungsfertigem Uran (ähnlich Calder Hall) werden etwa 5 Millionen Pfund Sterling betragen. Eine neue Beschickung zu demselben Preis ist dann alle 3— 5 Jahre erforderlich. Die Kosten der Verarbeitung des Urans, sowohl vor als auch nach Gebrauch im Reaktor, kennt man aus der Aufbereitung in den Anlagen in Springsfield und und Windscale, die zur Zeit für militärische Zwecke arbeiten. In den ersten Abschnitten eines Atomenergieprogramms werden die Verarbeitungskosten ähnlich sein, aber später, nach dem Bau neuer Anlagen, sind große Kostensenkungen zu erwarten.

15. Man nimmt an, daß aus einer Tonne Brennstoff bis zu 3000 Megawatt-Tage an Wärme gewonnen werden können. Das entspricht einer Wärmemenge, die man aus 10 000 t Kohle gewinnen würde. Es sind bisher noch keine praktischen Erfahrungen über diesen Ausnutzungsgrad bei hohen Temperaturen gewonnen worden; auch ist es ungewiß, wie sich die Brennstoffelemente metallurgisch verhalten. Aber es gibt viele Ansätze der Entwicklung, die solche unter LImständen auftretenden metallurgischen Defekte beseitigen dürften.

Die Kosten des Elektrischen Stromes und die Vorteile des Nebenproduktes Plutonium 16. Einige Vorteile sollten bei dem gespaltenen Nebenprodukt Plutonium in Rechnung gestellt werden. Plutonium ist in vieler Hinsicht dem Uran 23 5 äquivalent, das ja auch eine Form von Spaltmaterial darstellt. Plutonium kann jedoch auf dem chemischen Wege aus verbrauchtem Brennstoff einer Energiestätion für nur einen Bruchteil der Kosten gewonnen werden, die in einer Diffusionsanlage bei der Trennung von LIran 23 5 aus natürlichem LIran entstehen. Wenn konzentriertes Spalt-material in genügender Menge vorhanden ist, wird der Spielraum für den Bau und die Entwicklung von fortschrittlicheren und leistungsfähigeren Reaktoren groß sein. Diese Reaktoren würden dann angereichertes Material benötigen und nicht mit natürlichem LIran betrieben weiden können. So benötigen zum Beispiel die meisten Typen der flüssigkeitsgekühlten Reaktoren „angereichertes“ Material; was die zukünfge Entwicklung betrifft, so wird konzentriertes Spaltmaterial entweder in Form von Uran 23 5 oder Plutonium für einen „schnellen Brutreaktor“ oder beim Betrieb eines Thoriumsystems benötigt werden. Auf diese Weise werden die ersten Reaktoren nicht nur elektrischen Strom, sondern auch die wesentliche Ausrüstung (d. h. die erste Beschickung mit Spaltmaterial) für künftige Kraftwerke erzeugen. Ohne Plutonium würde der Aufbau eines Systems von Atomkraftwerken mit einem sich ständig steigernden Wirkungsgrad nicht möglich sein. 17. Man darf erwarten, daß konzentriertes Spaltmaterial in den ersten Entwicklungsphasen eines sich ständig erweiternden Atomenergieprogrammes knapp sein wird. Die Preise, für konzentriertes Spaltmaterial würden auf dem „freien Markt“ hoch sein. Das Spaltmaterial wird für die Anreicherung der Brennstoffbeschickung in neuen, kommerziell betriebenen Reaktoren benötigt, und zusätzlich auch für viele experimentelle Zwecke und für Entwicklungszwecke einschließlich der Brennstoffversorgung der Prototypen von fortgeschrittenen Modellen. Es wird somit schließlich ein Stadium erreicht werden, in dem mehr Plutonium erzeugt wird, als es die neuen Kraftwerke benötigen; dann wird der „Marktpreis“ für Plutonium fallen, und man könnte es als einen Ersatz für natürliches Uran, und nicht so sehr als konzentriertes Spaltmaterial benutzen. Eine solche Entwicklung dürfte jedoch kaum in den nächsten 15 bis 20 Jahren eintreten. 18. Es ist nicht ohne weiteres zu entscheiden, welcher Wert für das erzeugte Plutonium als richtig in Ansatz gebracht werden soll, obwohl gerade davon die Netto-Kosten für den elektrischen Strom entscheidend beeinflußt werden könnten. Ein hoher Wert in den ersten Phasen des Programmes bedeutet niedrige Netto-Betriebskosten für die ersten Reaktor-Typen, aber mehr Anlagekosten bei den späteren Reaktor-Typen. Man könnte sich jedoch die höheren Anlagekosten bei den späteren Reaktortypen durchaus leisten, weil hier die Kapazität größer sein wird. Die Skala des Wertes von Plutonium läßt sich nach unten und oben begrenzend bestimmen, wenn man die verschiedenen Formen seiner Verwendung betrachtet. Schlimmstenfalls könnte das Plutonium dem Reaktor als Brennstoff an Stelle von natürlichem Uran wieder zugeführt werden; und da natürliches Uran nur 1/140 Spaltmaterial enthält, dürfte das Plutonium pro Gewichtseinheit mindestens 140mal wertvoller sein. Bestenfalls ist Plutonium wahrscheinlich nicht höher im Wert als der Preis von Uran 23 5, nachdem dies in einer Diffusions-Anlage von natürlichem Uran getrennt worden ist. Innerhalb dieser beiden Grenzen gibt es einen großen Spielraum; beide Werte lassen sich jedoch auf der Basis von so und so vielen 1000 Pfund Sterling pro Kilogramm Plutonium errechnen. Man nimmt an, daß man für das erste Entwicklungsstadium ohne weiteres eine Preisskala von vielen 1000 Pfund Sterling pro Kilogramm ansetzen kann; der Wert dürfte schließlich fallen, sich jedoch auf die Kosten der Elektrizitäts-Erzeugung entscheidend auswirken. 19. Unter Zugrundelegung der hier skizzierten Hypothesen, und ausgehend von einem durchschnittlichen Wert für Plutonium, dürften sich die Kosten des aus diesen ersten industriellen Atomwerken gewonnenen elektrischen Stromes auf etwa 0, 6 d (gleich 3 Pf.) pro Kilowatt stellen. Das ist ungefähr der gleiche Betrag, der sich wahrscheinlich künftig für den elektrischen Strom aus modernen, mit Kohle betriebenen Kraftwerken ergeben wird. Wenn man Plutonium nicht mit in Rechnung stellt, dann würde sich der Preis der Atomenergiegewinnung auf erheblich mehr als 0, 6 d pro kW stellen. Später erbaute Atomkraftwerke dürften in ihrer Leistungsfähigkeit weitere Verbesserungen aufweisen, allerdings würde der Plutoniumpreis vermutlich in dem Zeitabschnitt der Arbeitsdauer dieser Werke erheblich fallen. Trotzdem dürften diese Werke auf Grund ihrer erhöhten Leistung gegenüber anderen Kraftwerken konkurrenzfähig bleiben. 20. Diese Schätzungen gehen davon aus, daß alles Plutonium für zivile Zwecke verwendet wird. Das 'wäre äußerst wünschenswert. Der militärische Sektor wurde bei den Schätzungen nicht berücksichtigt.

3. Ein vorläufiges Programm

21. Die britische Regierung ist der Ansicht, daß die Entwicklung der Atomenergiegewinnung ein Stadium erreicht hat, das zu einer schnellstmöglichen kommerziellen Verwertung zwingt, wenn wir unsere Stellung als einer der führenden Industriestaaten behaupten und die damit verbundenen Früchte ernten wollen. Der im folgenden skizzierte Plan ist ein Provisorium und darf nur als die bestmögliche Voraussage der wahrscheinlichen Entwicklung betrachtet werden; Art der Werke, Zahlen und Daten können sich sehr wohl ändern. 22. Wenn auch der Entschluß, nunmehr an die Verwirklichung eines Atomenergie-Planes heranzugehen, nicht von einem ins einzelne gehenden Kostenvergleich abhängig ist, so geht doch aus obigen Angaben bereits hervor, daß die Stromkosten bei Atomkraftwerken nicht viel höher liegen als bei den mit Kohle betriebenen Elektrizitätswerken. In Großbritannien besteht ein schnell ansteigender Energiebedarf, besonders an elektrischem Strom, und die Schwierigkeiten der Beschaffung ausreichender Mengen von Kohle wachsen ebenfalls ständig. Diese Tatsachen würden schon für sich allein den mit allen Mitteln in Angriff genommenen Aufbau eines Systems von Atomkraftwerken rechtfertigen. 23. Die Kraftwerke sollen, wie bisher üblich, von der Privatindustrie gebaut werden, während die Elektrizitätsbehörden als Auftraggeber und Eigentümer auftreten und die Werke nach Fertigstellung selbst betreiben werden. Die Atomenergie-Behörde (Atomic Energy Authority) ist die einzige Stelle, die über die nötigen Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt. Sie wird daher den Erbauern der Atom-Anlage technisch beratend zur Seite stehen. Weder die englische Industrie, noch die in Frage kommenden Ingenieurbüros haben sich bisher mit der technischen Seite der Kernspaltung befassen können. Sie stehen daher vor einer schwierigen Aufgabe bei der Ausbildung des technischen Personals, bei der Schaffung des notwendig werdenden Organisationsapparates und bei der Planung der Atomkraftwerke. Mit diesen Arbeiten wurde bereits begonnen. In Anbetracht der Vielseitigkeit und Kompliziertheit der zu lösenden Aufgaben muß sich das Personal unter Umständen aus den verschiedensten Firmen rekrutieren. Diese vorbereitenden Arbeiten werden an alle Beteiligten große Anforderungen stellen, und es wird kaum möglich sein, vor 19 57 mit dem Bau irgendeines der Atomkraftwerke zu beginnen. 24. Elektrizitätsbehörden und Privatindustrie sollen schnellstens praktische Erfahrungen im Entwurf und Bau von Atomkraftwerken sammeln — als unerläßliche Vorstufe für eine bedeutende Erweiterung in den späteren Abschnitten des Programmes. Die Atomenergie-Behörde wird zwar die Industrie nach besten Kräften unterstützen und beraten, bleibt aber selbst in erster Linie ein Forschungs-und Entwicklungs-Institut, das Versuchsreaktoren entwerfen, bauen und betreiben wird. Ihr obliegt außerdem der Liraneinkauf, die Aufbereitung des Brennstoffmaterials und Verarbeitung des verbrauchten Brennstoffes sowie die Gewinnung von Plutonium aus diesen verbrauchten Brennstoffen. Es wird daher eine ständige Zusammenarbeit und Abstimmung in finanzieller Hinsicht zwischen den Elektrizitäts-und den Atom-Energie-Behörden erforderlich sein. Wie eine solche Zusammenarbeit im einzelnen aussehen soll, ist zur Zeit Gegenstand von Erörterungen in diesen Gremien.

Kraftwerke 25. Das vorläufige Programm für den Bau von Atomkraftwerken sieht folgendermaßen aus *)

a) Mit dem Bau von zwei gasgekühlten Graphit moderierten Werken (und je zwei Reaktoren) würde ungefähr Mitte 1957 begonnen werden. Man dürfte diese Werke 1960— 61 in Betrieb nehmen.

b) Mit dem Bau von zwei weiteren Werken würde ungefähr 18 Monate später, das heißt also 195 8— 59 begonnen werden. Diese würden auch über je zwei Reaktoren verfügen und dem Typ nach den ersten beiden Werken zwar ähnlich sein, aber diese doch an Leistungskapazität übertreffen, besonders was die Wärmeausbeute betrifft. Jeder dieser 8 Reaktoren in diesen ersten Werken würde eine Netto-Stromerzeugung von 50 bis 100 Megawatt aufweisen, so daß die gesamte Erzeugung der vier Werke zusammen, die alle bis 1963 in Betrieb sein dürften, zwischen 400 und 800 Megawatt liegen würde. c) Mit dem Bau von vier weiteren Werken könnte vielleicht im Jahre 1960, und von vier weiteren 18 Monate danach, d. h. ungefähr 1961/62 begonnen werden. Diese Werke ließen sich u. LI. 1963/64 bzw. 1965 in Betrieb nehmen. Es ist schwer, heute schon mit Sicherheit etwas über den voraussichtlichen Typ dieser späteren Werke auszusagen. Wahrscheinlich aber werden sie jedes nur aus einem Reaktor bestehen, der einen viel höheren Wirkungsgrad aufweisen dürfte als die Reaktoren in den ersten 4 Werken. Die Werke, mit deren Bau 1960 begonnen wird, könnten schon weiterentwickelte Modelle des gasgekühlten Graphit moderierten Typs sein. Die letzten vier Werke werden vom flüssigkeitsgekühlten Typ sein, der bis dahin vielleicht so weit fortgeschritten ist, daß er vom wirtschaftlichen Standpunkt her befriedigt. Die gesamte installierte Kapazität der 8 Werke in dieser Gruppe dürfte bei über 1000 Megawatt liegen. 26. Das 1ojahres-Programm würde eine Gesamtkapazität von ungefähr 1500 bis 2000 Megawatt ergeben. Nach diesen zehn Jahren würde Großbritannien wahrscheinlich einen Mehrbedarf an neuer Stromerzeugungs-Kapazität von über 200 Megawatt im Jahr haben, während die Jährlich neu in Betrieb genommenen Atomkraftwerke etwa ein Viertel dieses Bedarfes decken würden. Wenn man von der Annahme ausgeht, daß Atomkraftwerke als Anlagen mit möglichst hoher konstanter elektrischer Leistung benutzt werden, so würden sie ab 1965 jährlich eine Strommenge erzeugen, die der von ungefähr 5 bis 6 Millionen Tonnen Kohle erzeugten gleichkommen würde. Bei einer schnell fortschreitenden Entwicklung des Programmes müßte auch der von den Atomkraftwerken geleistete Beitrag schnell ansteigen. 27. Das Plutonium aus den zuerst erbauten Reaktoren müßte ab 1954 in einer Menge von mehreren hundert Kilogramm jährlich verfügbar sein zur Anreicherung der Brennstoffe, mit denen die späteren, wahrscheinlich flüssigkeitsgekühlten Reaktoren beschickt werden. Diese würden ihrerseits ebenfalls Plutonium erzeugen, und zwar entsprechend schneller infolge ihres viel höheren Nutzeffektes. Damit würde dieses Plutonium für die in größerer Zahl geplanten Reaktoren, die angereicherten Brennstoff benötigen, gegen Ende des Jahrzehnts 1960— 1970 zur Verfügung stehen.

Hilfsanlagen 28. Die bereits bestehende Hilfsanlage, die in erster Linie für militärische Zwecke erbaut wurde, und dafür auch in Betrieb ist, wird für ein kommerzielles Programm von diesem Umfang zunächst ausreichen. Später jedoch wird eine gewisse Erweiterung notwendig werden. Im Laufe der Zeit wird eine neue Brennstoff-Verarbeitungs-und Fabrikations-Anlage zusätzlich zu der bereits in Springfields bestehenden Fabrik erforderlich werden, damit der rasch ansteigende Bedarf an Atombrennstoff gedeckt werden kann; schließlich wird man auch eine neue chemische Verarbeitungsanlage für die großen Mengen an verbrauchtem, aus den Atomkraftwerken entfernten Brennstoff benötigen. Insoweit eine Anreicherung in geringem Umfang für die Brennstoff-Elemente in den ersten Werken erforderlich ist, kann diese aus der bereits vorhandenen Kapazität der Diffusions-Anlage in Cadenhurst gewonnen werden.

Kosten des Programmes 29. Die Anlagekosten für den Bau und die Installation der in dem Programm vorgesehenen Werke werden beträchtlich sein. Die Kosten für die beiden ersten Werke (mit insgesamt 4 Reaktoren) würden sich wahrscheinlich zusammen auf 30 bis 3 5 Millionen Pfund Sterling belaufen. Die beiden nächsten Werke, die viel mehr erzeugen werden, dürften u. U. vielleicht etwas mehr kosten, während die Kosten der letzten 8 Werke ungefähr bei 125 Millionen Pfund Sterling liegen würden. Die Kosten für die anfängliche Beschickung des Urans könnten sich unter Umständen einschließlich Fabrikation auf weitere 40 Millionen Pfund Sterling stellen. Die neue Hilfsanlage, die innerhalb der nächsten zehn Jahre benötigt wird, dürfte etwa 30 Millionen Pfund Sterling, die gleichzeitige Entwicklung der Prototypen hinsichtlich der Anlage-Ausgaben zwischen 30 und 40 Millionen Pfund Sterling kosten. Die gesamten Ausgaben des lOjahres-Programmes dürften sich-somit auf rund 300 Millionen Pfund Sterling belaufen. Die Ausgaben für die kommerziellen Anwendungen von Atomkraft würden in den nächsten zehn Jahren langsam aber sicher ansteigen und sich schließlich für den gesamten Zeitraum auf mehr als 300 Millionen Pfund Sterling belaufen, da die Ausgaben für diejenigen Werke hierin einbegriffen wären, die nicht vor 1965 .

fertiggestellt sein würden, und die daher in dem jetzigen Programm nicht in Erscheinung treten.

30. Diese Investitionen wären aber nicht in vollem Umfang als zusätzlicher Kapitalbedarf zu betrachten, da die Atomkraftwerke an Stelle von anderen Elektrizitätswerken gebaut werden. Der Investitionsaufwand der Elektrizitätsbehörden für den Bau von neuen Kohle-und Wasserkraftwerken würde ohne eine Atomenergieausnutzung in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich rund 1, 2 Millionen Pfund Sterling ausmachen. Mit Durchführung eines Atomenergieprogrammes würde sich diese Summe erheblich verringern und damit Kapital für eine Investierung in Atomkraftwerken frei werden. Der Kohlenbergbau dürfte vermutlich sein Investitionsprogramm nach zehn Jahren ebenfalls unter den Voranschlag senken können, der ohne Berücksichtigung der Atomenergie aufgestellt werden müßte. 31. So weit im voraus läßt sich der Betrag für zusätzliche Investitionen, die sich die Volkswirtschaft unter Umständen leisten kann, nicht genau abschätzen. Man kann nicht mehr sagen, als daß die Bewältigung eines Programmes für Atomenergie in dem hier skizzierten Umfang wahrscheinlich nicht sehr schwierig sein dürfte, wenn man einen normalen Anstieg des Sozialproduktes annimmt, und wenn man ferner davon ausgeht, daß ein einigermaßen ins Gewicht fallender Prozentsatz an Mitteln für größere Investitionen zur Verfügung gestellt wird. Es ist unwahrscheinlich, daß die Investitionen in den Brennstoff-und Stromerzeugungsindustrien (das hier entwickelte Programm inbegriffen) höher sein werden, als dies in der tatsächlichen Entwicklung seit 1948 der Fall gewesen ist.

\ Planung auf lange Sicht 32. Selbst wenn man irgendwelche Schwierigkeiten die sich hinsicht-lieh des Kohlenvorrates ergeben könnten, noch gar nicht einmal in Rechnung stellt, kann es etwa ab 1965, vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus betrachtet, unter Umständen wünschenswert sein, Atomkraftwerke an Stelle von Kohlenkraftwerken zu bauen. Billiger Strom ist für jedes Industrieland ein großes Plus. Je schneller man in der Stromerzeugung zu dem billigeren System übergehen kann, um so eher besteht eine Hoffnung auf eine Senkung der realen Produktionskosten. 33. Nach dem vorläufigen Programm würden die neuen Atomkraftwerke bis 1965 ein Viertel des gesamten Bedarfes an neuer Stromerzeugungskapazität decken. Es wird von dem in den ersten zehn Jahren erzielten Fortschritt abhängen, wie bald es möglich sein wird, das Programm so zu erweitern, daß der gesamte Bedarf an neuer Stromerzeugungskapazität gedeckt werden kann. Unter Umständen werden bei dem Programm für die ersten 10 Jahre häufige und größere Änderungen notwendig, die sich nach dem Tempo der technischen Entwicklung und den erzielten Erfolgen der ersten Anlagen richten dürften. Bei jedem Versuch, die Entwicklung für die Zeit nach 1965 vorauszusagen, ergeben sich notwendigerweise noch größere Unbekannte. 34. Die Möglichkeiten einer Ausweitung des Programmes werden zum großen Teil davon abhängen, wie schnell die Industrie allgemein in der Lage ist, die notwendigen technischen Methoden zu meistern. Die Atomenergiebehörde wird auch weiterhin neue Informationen zur Verfügung stellen und Personal anleiten lassen. Mit dieser Hilfe dürfte die Industrie bei der Durchführung eines lOjahres-Programmes nach der oben skizzierten Art reiche Erfahrungen sammeln, was wiederum eine viel größere Ausweitung des Programmes nach 1965 ermöglichen wird. Wenn alles nach Plan geht, ließe sich vielleicht zu Anfang der 70er Jahre der Bau von Atomkraftwerken so entwickeln und beschleunigen, daß diese den gesamten Neubedarf an Stromerzeugungskapazität decken könnten. Dieser Bedarf dürfte bis dahin bei ungefähr 3000 Megawatt pro Jahr liegen. Unter diesen Voraussetzungen würden die bis 1975 in Betrieb genommenen Atomkraftwerke eine Kapazität von 10 000-bis 15 000 Megawatt erreicht haben, deren Gesamtleistung für den Grund-bedarf eingesetzt würde. Die Atomkraftwerke würden dann elektrischen Strom so schnell erzeugen, wie dies durch 40 Millionen Tonnen Kohle der Fall wäre.

35. Das Tempo der Expansion würde möglicherweise in den späteren Jahren weiter begrenzt werden durch die Versorgungslage auf dem Sektor der Atombrennstoffe, und insbesondere auf dem Sektor des stärker angereicherten Materials, das man für einige der weiter entwickelten Reaktortypen benötigen wird. Gegen Ende der 60er Jahre dürften die ersten Reaktoren Plutonium in größeren Mengen erzeugen, das wiederum für die späteren Reaktoren verfügbar gemacht werden könnte. Das vorläufige Programm wird, ebenso wie die spätere Erweiterung, einen größeren Bedarf an Uran mit sich bringen. Zweifellos wird auch in anderen Ländern zur gleichen Zeit der kommerzielle Bedarf an Uran steigen. Neueste Forschungsergebnisse scheinen anzudeuten, daß Uran in größerem Umfang verfügbar ist, als bisher angenommen wurde. Abbaufähige Vorkommen an Erzen mittleren Gehalts sind erschlossen worden. Das Vorhandensein von Erzen mit niederem Gehalt in größtem Umfang bedeutet, daß sich notfalls aus ihnen eine genügende Menge an Uran herstellen läßt. Darüber hinaus dürfte ein erhöhter Bedarf an Uran einmal durch die größere Wirtschaftlichkeit wettgemacht werden, die man bei der Verwertung von Uran bis dahin erzielt haben wird und zum anderen durch die mögliche Entwicklung des Ersatzbrennstoffes Thorium, das in großen Mengen je nach Bedarf zur Verfügung stehen müßte. Aus allen diesen Gründen ist die britische Regierung sehr zuversichtlich, daß die notwendigen Rohstoffmengen zur Deckung des erhöhten Bedarfes verfügbar sein werden.

Fragen des Geländes und der Sicherheit 36. Im Laufe der Entwicklung der Atomenergie ist man allgemein zu der Erkenntnis ihrer zerstörerischen Möglichkeiten gelangt. Es wäre daher ganz natürlich, die Frage zu stellen, ob sich durch Atomkraft-Anlagen irgendwelche besonderen Gefahrenmomente ergeben. Man muß als erstes und wichtigstes darauf hinweisen, daß eine „Atomexplosion“ in einem Reaktor überhaupt unmöglich ist. Bei sachgemäßer Konstruktion der Atomkraft-Einrichtungen sind die Folgen von Unfällen, die sich unter Umständen ereignen, nicht gefährlicher als in vielen anderen Indutsriezweigen.

37. Die hauptsächlichsten Gefahrenmomente werden in einem Atomkraftwerk durch die Konzentration von äußerst radioaktivem Material hervorgerufen. Diese Gefahren sind jedoch bekannt, und man kann sich gegen sie schützen, und zwar sowohl durch Vorsichtsmaßregeln bei der Konstruktion des Reaktors selber, wie auch notfalls dadurch, daß man den Reaktor ganz oder teilweise in einem Behälter einschließt, der keinerlei Gas durchläßt. Die für die kommerzielle Produktion von elektrischen Strom zu bauenden Reaktoren werden die in der Nähe wohnenden Menschen nicht mehr gefährden, als viele bestehende Industriewerke, die in bebauten Gegenden zu finden sind. Es besteht nicht die Absicht, die ersten Atomkraftwerke in dicht besiedelten Gebieten zu bauen, obwohl man beim Bau der Anlagen alle nur denkbaren Sicherheitsvorkehrungen beachten wird.

38. Die Beseitigung der radioaktiven Abfallprodukte sollte keine besonderen Schwierigkeiten bereiten. Dies ist in erster Linie ein Problem für die chemischen Verarbeitungsanlagen, von denen nur wenige benötigt werden. Die Kraftwerke selber sind nicht betroffen. Das Volumen solcher Abfallprodukte ist gering; man widmet der Frage besondere Aufmerksamkeit, welches die wirtschaftlichsten Methoden der Lagerung und Beseitigung dieser Abfälle sind. Es gibt viele wichtige Verwendungsmöglichkeiten für die Abfallprodukte, durch die unter Llmständen der größte Teil verbraucht werden kann. Alles Material, das übrig bleibt und beseitigt werden muß, wird auf seinen radioaktiven Gehalt hin überprüft werden, damit sichergestellt ist, daß dieser so gering ist wie die normalerweise vorhandene Grundradioaktivität. Damit wäre auch die völlige Unschädlichkeit garantiert.

Internationale Aspekte 39. Die britische Regierung ist stets für die größtmögliche internationale Zusammenarbeit bei der Verwendung von Atomenergie für friedliche Zwecke eingetreten, damit diese große, neue wissenschaftliche Entdeckung in vollstem Ausmaße der Menschheit zum Nutzen gereicht. Erst vor kurzem hat die britische Regierung den inzwischen gebilligten Vorschlag zur Errichtung einer internationalen Atomenergie-Behörde bei den Vereinten Nationen mit eingebracht und sich bereit erklärt, dieser Behörde 20 Kilogramm Spaltmaterial zur Verfügung zu stellen. Die britische Regierung hat die Absicht, sich in jeder nur denkbaren Weise an der internationalen wissenschaftlichen Konferenz über die Verwendung von Atomenergie für friedliche Zwecke zu beteiligen. Die Konferenz wird im Laufe dieses Jahres stattfinden.

40. Physiker und Ingenieure aus einer Reihe von Ländern haben sich der Möglichkeit bedient, durch einen Besuch der Institute und Lehrgänge in Großbritannien (wie etwa der Reaktor-und Isotopen-Institute in Harwell) Fragen der Atomtechnik zu studieren. Soweit es finanziell möglich ist, beabsichtigen wir Staatsangehörigen anderer Länder weitere Möglichkeiten zum Besuch dieser Institute zu erschließen. Man wird darüber hinaus anderen Ländern bei dem Bau von Versuchs-und Entwicklungsreaktoren helfen, da sie die notwendige Voraussetzung eines Baues von Reaktoren für kommerzielle Zwecke bilden. Einige Länder des Commonwealth, sowie einige europäische Länder, werden bereits auf diese Weise von uns unterstützt.

41. Wir müssen vorausschauend daran denken, daß sich eines Tages ein wertvolles Exportgeschäft aufbauen läßt. Die von der britischen Industrie im Laufe der nächsten zehn Jahre gesammelten Erfahrungen in der Planung und im Bau von Atomkraftwerken sollten die Grundlage bilden für eine schnelle Ausdehnung des Geschäftes, sowohl in England selber wie auch im Ausland. Im Augenblick befindet sich die Atomkrafterzeugung noch im Entwicklungsstadium. Wirtschaftlichkeitsberechnungen lassen sich für Atomkraftwerke noch nicht exakt durchführen.

Darüber hinaus werden die Werke auch nach ihrem Bau weiter Versuchsunternehmungen bleiben und ein hohes Maß an Betreuung durch Fachpersonal erfordern. Im Laufe der Zeit werden die Modelle der Anlagen jedoch verbessert werden, und man wird auch die Kosten des elektrischen Stromes, den diese Werke erzeugen, exakter übersehen können. Vor allem aber wird es zu der normalen Praxis eines Ingenieurs gehören, solche Werke zu konstruieren und in ihrer Arbeit zu überwachen. Wir werden dann in der Lage sein, zu unserem eigenen Nutzen und zum Nutzen der übrigen Welt einer traditionellen Rolle Englands nachzukommen, indem wir technisches und handwerkliches Können „exportieren“.

4. Einordnung des Programmes in die gesamte Brennstoffpolitik der Regierung

42. In einer Debatte im Unterhaus am 9. Juli 1954 erklärte der für die Brennstoff-und Energieversorgung zuständige Minister bei seiner Darlegung der Politik der britischen Regierung auf dem Gebiete der Brennstoff-und Energieversorgung, daß es eines der Hauptziele der britischen Regierung sei, die Kohlenversorgung durch andere Formen der Energieerzeugung zu ergänzen, und zwar durch Atomenergie sobald wie möglich, und durch Öl sofort. In den ersten drei Teilen des vorliegenden Memorandums ist die mögliche Entwicklung der Atomenergie in Großbritannien skizziert worden, soweit sich diese heute voraussagen läßt. Die britische Regierung hat in diesem Memorandum ihre Hoffnungen und Ansichten bezüglich des Umfanges und bezüglich der Termine bei der kommerziellen Verwendung von Atomenergie zum Ausdruck gebracht. Im folgenden soll abschließend noch aufgezeigt werden, wie sich diese mögliche Entwicklung im Gesamtrahmen des britischen Energiebedarfes und der Versorgung mit anderen Brennstoffen ausnehmen würde.

Elektrischer Strom 43. Der Verbrauch an elektrischem Strom ist in allen Ländern seit seiner Einführung auf einer kommerziellen Basis in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts rapide angewachsen. Die durchschnittliche Erhöhung hat bei 70 Prozent im Jahre gelegen, was eine Verdoppelung des Verbrauches alle 10 Jahre bedeutet. Es ist nicht anzunehmen, daß diese Entwicklung immer so weitergehen wird. Auf der anderen Seite liegen bisher keine Anzeichen dafür vor, daß der Bedarf an elektrischem Strom auch nur annähernd einen Saturierungspunkt erreicht hat, weder in Großbritannien selber, noch irgendwo anders, ja selbst nicht einmal in Ländern mit einem viel höheren pro Kopfverbrauch als bei uns. 44. Bei einer Schätzung des Bedarfs an elektrischem Strom in Großbritannien in den nächsten 20 Jahren ist anzunehmen, daß der Bedarf weiter ansteigen wird, wenn auch in einem geringeren Tempo als bisher. Er wird in zwanzig Jahren wahrscheinlich dreieinhalbmal so groß sein wie heute. Um diesen wachsenden Bedarf (mit den dadurch verursachten Möglichkeiten für eine höhere Produktivität und eine höhere Leistung im gesamten Wirtschaftssystem) zu decken, wird die installierte Erzeugungskapazität, die im Jahre 1954 durchschnittlich 20 000 Megawatt betrug, bis 1965 auf 30 000 bis 40 000 Megawatt, und bis 1975 vielleicht auf 5 5 000 bis 60 000 Megawatt erhöht werden müssen. Sollte das oben skizzierte Programm durchgeführt werden (es ist sicher, daß es in der Praxis hier und da modifiziert werden muß) so würden dadurch bis 1965 1 500 bis 2 000 Megawatt, und bis 1975 zwischen 10 000 und 15 000 Megawatt Atomenergie erzeugt werden. Die Atomkraftwerke würden zur Deckung des Grundbedarfs eingesetzt und einen höheren Prozentsatz der gesamten Energie liefern, als dies das hier angegebene Zahlenverhältnis erkennen läßt.

Kohlenvorräte 45. Ohne Atomkraftwerke würde der Kohlenverbrauch allein der Elektrizitätswerke innerhalb der nächsten 20 Jahre auf das 21/2fache anwachsen, und bis 1965 die 65 000-Tonnen-Grenze pro Jahr, und bis 1970 die 100-Millionen-Tonnen-Grenze erreichen. Zu diesem Zeitpunkt würde sich der Verbrauch pro Jahr um 4, 50 Millionen steigern. Bei diesen Kalkulationen wird von dem in Abschnitt 44 skizzierten Bedarf ausgegangen. Auch der Verbrauch an Öl würde sich entsprechend steigern. Wenn das vorläufige Programm für den Atomenergie-Gewinn zur Ausführung kommt, würde der Kohlenbedarf der Kraftwerke in den 60er Jahren mit 60 bis 70 Millionen Tonnen jährlich den Höchststand erreichen und dann nicht mehr steigen.

Diese Entwicklung könnte gerade noch rechtzeitig eintreten, um einmal den Schwierigkeiten der Gewinnung von jungen Bergarbeitern, zum zweiten den Schwierigkeiten bei der Produktion von genügend Kohle zu erträglichen Preisen für andere Verbraucher fester Brennstoffe zu begegnen. Der Bedarf dieser Verbraucher würde ja schließlich in der Zwischenzeit ebenfalls ständig angestiegen sein. 46. Seit dem Kriege ist die Kohlenförderung unter Tage von 175 Millionen Tonnen im Jahre 1945 auf 214 Millionen Tonnen im Jahre 1954 angestiegen. Der Bedarf, der sich immer mehr ausdehnenden englischen Industrie'ist sogar noch schneller im Steigen begriffen. Wir mußten die Untertagsförderung durch Tagebau sowie durch Kohleneinfuhren ergänzen. Selbst dann ist die Kohlenversorgung für die Haushaltungen noch Beschränkungen unterworfen, während für die Ausfuhr ebenfalls nicht genügend Kohle vorhanden ist. Das Nationale Kohlenbergbauamt hat mit einem umfangreichen Plan der Kapitalinvestitionen operiert, der in den letzten zwei Jahren rapide Fortschritte gemacht hat. In einem erheblichen Maße wird dieser Plan jedoch schon zur Beibehaltung der Förderung auf dem jetzigen Stand in Anspruch genommen werden müssen. Die Erzielung einer größeren Leistung im Gebrauch von Kohle, sowie das Ersetzen der Kohle durch Öl bei ganz bestimmten Verarbeitungsprozessen (einschließlich der Stromerzeugung) wird wenigstens in einem begrenzten Umfang zu einer Verbesserung der Lage führen. Der sich erhöhende Bedarf an Brennstoff kann jedoch nicht gedeckt werden, ohne daß man bis zum äußersten alle Möglichkeiten einer neuen und wirtschaftlich vertretbaren Technik erschöpft. 47. Die Beschaffung von genügend Arbeitskräften für den Kohlenbergbau stellt eines unserer schwierigsten Probleme dar. Dies wird wahrscheinlich auch immer so bleiben. Um den augenblicklichen Bedarf an Kohle zu decken, hat man zur freiwilligen Sonntagsarbeit sowie zum Tagebau und zum Import Zuflucht genommen; dennoch steigt der Bedarf weiter an. Jede Erleichterung, die sich durch andere Energiequellen, wie etwa durch die Atomenergie bietet, wird mehr herbeiführen als nur ein Nachlassen der Schwierigkeiten in der Beschaffung und Unterhaltung ausreichender Arbeitskräfte. Es kann nicht davon die Rede sein, daß neue Entwicklungen etwa zu einem Überschuß an Arbeitskräften führen würden. Der Kohlenbergbau wird auf jeden Fall einer der größten Arbeitgeber unter den britischen Industrien bleiben. Der Kohlenbergbau kann jedoch damit rechnen, daß der übermäßige Druck, dem er sich jetzt ausgesetzt sieht, durch die Entwicklung der Atomenergie nachlassen wird.

Schlußfolgerungen

48. Unsere Zivilisation beruht auf Energie. Ein verbesserter Lebensstandard in fortgeschrittenen Industrieländern wie Großbritannien selber, und in den riesigen, unterentwickelten Ländern in Übersee kann nur durch eine erhöhte Nutzung von Energie erzielt werden. Der notwendige Bedarf erhöht sich so schnell, daß dadurch die zur Zeit vorhandenen Energiequellen auf das Äußerste in Anspruch genommen werden. Wie ungewiß verschiedene Faktoren heute auch immer noch sein mögen, die Atomenergie wird schließlich doch zu einer Strom-erzeugung führen, die sich wirtschaftlich vollauf vertreten läßt. Darüber hinaus wird hier eine Energiequelle geschaffen, die potenziell viel größer ist als irgendeine andere. Die sich anbahnende Entwicklung auf dem Gebiete der Atomenergie bedeutet daher den Beginn einer neuen Epoche. 49. Als führende Industrienation sind wir daher sowohl im eigenen Interesse als auch in dem anderer Länder verpflichtet, diese neue Industrie der Atomenergieerzeugung auf eine feste Grundlage zu stellen und sie mit größtmöglicher Beschleunigung aufzubauen. Es bieten sich hier große wirtschaftliche Möglichkeiten, die zu revolutionären Veränderungen in der Technik und in den Methoden führen werden. Wir werden diese nur erlernen, wenn wir die praktischen Anwendungsmöglichkeiten der Atomenergie voran treiben, wo immer wir dazu in der Lage sind und vielen bei jedem Wagnis immer unvermeidlichen Unsicherheitsfaktoren zum Trotz. 50. Das hier umrissene Programm ist ein vorläufiges und wird im Laufe der Zeit in vieler Hinsicht verändert werden. Dieses Programm hat jedoch hoffentlich die Zusammenhänge des wahrscheinlichen Ausmaßes und der in der Weiterentwicklung der Dinge zu erwartenden Termine so weit erhellt, daß die Atomenergie in ihre richtigen Perspektiven gerückt worden ist und aufgezeigt wurde, wie sich diese neue Energiequelle in den Gesamtrahmen der vorhandenen Energiequellen zur Deckung des anwachsenden Bedarfs unserer expansiven Wirtschaft einordnen läßt.

51. Die Großerzeugung von Atomenergie kann nicht von heute auf morgen erfolgen. Die ersten Werke, die Strom für wirtschaftliche Zwecke erzeugen, werden im Gegensatz zu den Versuchsstationen höchstens in 5 Jahren in Betrieb sein können. Wenn man aber schon jetzt mit den notwendigen Vorbereitungen beginnt, so wird es möglich sein, die Atomenergie innerhalb von 10 Jahren für wirtschaftliche Zwecke in beträchtlichen Mengen zu gewinnen. Die bei dem Bau und bei der Inbetriebnahme von Atomkraftwerken in diesen 10 Jahren gesammelten Erfahrungen sollten danach sowohl in Großbritannien wie im Ausland eine viel schnellere Entwicklung ermöglichen. 52. Neue technische Entwicklungen, die sich zur Zeit noch nicht übersehen lassen, können schnellere Fortschritte in bezug auf die Leistungskapazität der Werke mit sich bringen. Tritt dieser Fall ein, so müßten wir in 'der Lage sein, den besten Nutzen aus einer solchen Entwicklung zu ziehen. Andererseits kann es sein, daß sich das vorläufige Programm als zu optimistisch erweist; für Planung, Konstruktion sowie für den Bau der Anlagen wird vielleicht mehr Zeit benötigt, oder aber die Kosten sind höher als veranschlagt, und man hat die benötigte Entwicklungszeit unterschätzt. Wenn einer dieser Fälle eintreten sollte, würde Atomenergie erst später, oder auf einer teuereren Basis als geplant verfügbar sein; oder aber die Kosten würden den Voranschlag wesentlich übersteigen. Die britische Regierung steht auf dem Standpunkt, daß dieses Risiko eingegangen werden muß. 53. Diese gewaltige Aufgabe muß mit Energie und Vorstellungsgabe in Angriff genommen werden. Der Einsatz ist hoch, dafür wird aber auch am Ende der Lohn groß sein. Wir müssen uns bei der Entwicklung der Atomenergie weiter in der vordersten Linie halten, damit wir die uns zufallende Rolle bei dem Bestreben spielen können, diese neue Energiequelle in den Dienst der Menschheit zu stellen.

Fussnoten

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