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Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1931 -1939 von außen gesehen | APuZ 29/1964 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 29/1964 Zum 20. Jahrestag der Erhebung des 20. Juli 1944 Betrachtungen zum militärischen Widerstand Offiziere mit politischem Verantwortungsbewußtsein Erhebung einer Elite gegen Tyrannei Österreich und der 20. Juli 1944 Zur außenpolitischen Konzeption Becks und Goerdelers Nationalrevolutionäre Offiziere gegen Hitler Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1931 -1939 von außen gesehen

Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1931 -1939 von außen gesehen

Mario Bendiscioli

Das Thema des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus ist eines der aktuellsten der Zeitgeschichte. Die Öffnung der in alliierter Hand befindlichen deutschen Archive und die systematische, wenn auch unvollständige Veröffentlichung der Dokumente der Parteien, Gruppen und Kirchen beginnt eine dokumentarisch besser fundierte Wiedergabe seines Ablaufs zu ermöglichen. Frühere Darstellungen waren nämlich einerseits von der Qualität vorwiegend vertraulicher, stets polemischer Informationen journalistischer oder memoirenhafter Art abhängig und litten andererseits an den sich für den Historiker ergebenden Schwierigkeiten, die ungeheure Menge der verstreuten Informationen in ihrer jeweiligen Einseitigkeit zu bewältigen und Daten und Hinweise verschiedenster Quellen und Tendenzen zusammenzufassen und einzuordnen. Diese Darstellungen bleiben jedoch trotzdem von großem Interesse, da sie selbst zu Zeugnissen der öffentlichen Meinung der Welt über den Nationalsozialismus geworden sind. Es ist bezeichnend, daß die in der Nachkriegszeit seit 1946 erschienenen umfangreichen Dokumentationen diese auf nichtamtlichen und auf „Indiskretionen" beruhende Wiedergabe der Geschehnisse in ihren Grundlagen bestätigt hat.

In Darstellungen dieser Art zeigt sich im übrigen das Charakteristikum der Geschichtsschreibung unserer Zeit: sie ist eine Kombination aus eigenem, unmittelbarem Erleben des an den Geschehnissen beteiligten Historikers und der kritischen Wertung der ihm vorliegenden Dokumente und der dazugehörigen Bibliographie

Wesen und Aufstieg des Nationalsozialismus als Weltanschauung und Partei waren von Beobachtern des deutschen politischen Lebens nach dem Ersten Weltkrieg frühzeitig erkannt worden. Sein Erfolg war vor allem als ein Ergebnis der politisch-institutionellen Ordnungskrise, der auch nach der Währungsinflation nicht endenden finanziellen Schwierigkeiten und des Kampfes der Parteien um den Aufbau der Weimarer Republik gesehen worden, ein Kampf, der insbesondere von den straff organisierten, über einen starken finanziellen Rückhalt innerhalb und außerhalb Deutschlands verfügenden Parteien der äußersten Rechten und Linken ausgetragen wurde. Es möge genügen, hier an die Arbeiten französischer Historiker wie Seilliere Beaumont und Vermeil zu erinnern; ähnliche Werke finden sich aber auch in England, Italien, Österreich und der Tschechoslowakei. Die ersten Äußerungen nationalsozialistischer Weltanschauung wurden im Ausland im Zusammenhang mit der zu neuem Leben erwachten deutschen Kultur beachtet, die das Geistesleben der Wilhelminischen Epoche auf den Gebieten der Theologie, Philosophie und Kunst einer neuen kritischen Wertung unterzog. Ab 1930 werden die dieses neue Geistesleben repräsentierenden Werke von Verlegern, die damals als avantgardistisch galten, in schneller Folge in die französische, englische und italienische Sprache übersetzt

In den Jahren 1932/33 wächst im Ausland auch das Interesse am Nationalsozialismus selbst als politischer Ideologie und antiparlamentarischer Bewegung, der als eine der Parteien der Rechten seine Gegnerschaft zum Diktat von Versailles verkündete. Insbesondere wurde die herausfordernde Haltung des Nationalsozialismus gegenüber Ideen und Institutionen vermerkt, die tief im Bewußtsein der westlichen Völker verwurzelt waren. Im einzelnen waren dies der Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, den der Nationalsozialismus mit der rassischen Diskriminierung und der Unterscheidung von Volksgenossen und Nicht-Volksgenossen mißachtete; die Rechtmäßigkeit der Parteien, bei denen er „nationale" von „internationalen" unterschied; die Mißachtung des auf das allgemeine Wahlrecht ohne Unterschied des Volkstums gegründeten parlamentarischen Systems; die unter Gewaltanwendung betriebene politische Propaganda, für deren Durchsetzung der Nationalsozialismus sich halbmilitärische Formationen zulegte, und schließlich die Unterdrückung der Gewissens-, Glaubens- und Versammlungsfreiheit. Die großen ausländischen Zeitungen und Zeitschriften der Epoche berichteten immer häufiger über Vorfälle, die die im politischen Kampf in Deutschland herrschende Unduldsamkeit bezeugten; sie zitierten die ideologischen Forderungen, die Werte in Frage stellten, von denen man glaubte, daß sie tief im ethischpolitischen Bewußtsein des Bürgers verankert waren.

In der Wiedergabe dieser Geschehnisse kamen bereits die Verurteilung des Geistes der Unterdrückung und die Solidarität mit seinen Opfern zum Ausdruck. Beweisführungen und Stellungnahmen der Gegner und Kritiker des Nationalsozialismus (seiner Theorien, wie auch seiner agitatorischen Taktik der Eroberung der Massen) wurden ausführlich behandelt, und zwar sowohl die Argumente selbst als auch die sie vertretenden Personen oder Gruppen.

Die Kenntnis der Vorgänge in Deutschland vertieft sich mit der Machtübernahme durch Hitler Ende Januar 1933, und mehr noch, nachdem sich die nationalsozialistische Partei durch neue Wahlen die Mehrheit im Reichstag sichert, die Oppositionsparteien ausschaltet und sich in den Nervenzentren der Verwaltung des Reiches und der Länder festsetzt und dem Staat den Stempel ihrer antisemitischen, diskriminierenden Weltanschauung auferlegt, indem sie sie allmählich in Schulen, Jugendorganisationen, bei der Ausübung des Arztberufes und in konfessionellen Einrichtungen durchsetzt. Nunmehr zeichnet sich die Solidarität breiter Strömungen der öffentlichen Weltmeinung mit den Kräften und Personen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus ab.

Das Gefühl der Solidarität zeigt sich insbesondere bei den europäischen Parteien internationalen Charakters, die den deutschen Parteien der Opposition durch ideologische und organisatorische Gemeinsamkeit verbunden sind. Der Reichstagsbrand führte zu der Veröffentlichung von Münzenbergs Braunbuch übet den Reichstagsbrand und Hitler-Terror 6). Eine ebenso lebhafte wie kritische Absage an die nationalsozialistische Diktatur bekundeten die Presseorgane der sozialistischen Parteien der II. Internationale in Frankreich, England, Holland, Belgien, den skandinavischen Ländern und der Tschechoslowakei Diese Kreise vertraten auch die Argumentation der Arbeiterverbände gegen den organisatorischen Totalitarismus des neuen Regimes, insbesondere gegen seine Auffassung, daß die nationale Solidarität derjenigen der Arbeiterscha’t überzuordnen sei; ferner gegen die paternalistisch-korporative Konzeption der Arbeiterverbände, die sich auf Treuhänder. Vertrauensleute von Führer und Partei, stützte, statt auf die von den Gewerkschaften gewählten Vertreter. Auch den katholischen Gewerkschaftsorganisationen, deren Schicksal mit der politischen Vertretung der Katholiken in der Zentrumspartei eng verknüpft war, wurde lebhafte Solidarität von den entsprechenden Verbänden in Österreich, Frankreich, der Schweiz, Belgien und Holland bekundet. Auch die Proteste seitens der Vertreter des kulturellen Lebens, der Angehörigen altehrwürdiger Akademien und wissenschaftlicher Lehrkörper gegen die ideologische Gleichschaltung fanden in der ausländischen Presse ein Echo durch die Veröffentlichung von Erklärungen, die im nationalsozialistischen Deutschland nicht erscheinen durften. Nicht weniger schnelle und gründliche Kenntnis erhielt das Ausland (Schweiz, skandinavische Länder, Vereinigte Staaten von Amerika) von der Kritik und dem-Widerstand der evangelischen Kirche Deutschlands gegen die nationalsozialistische Ideologie und ihre praktische Durchsetzung in dem Versuch, auch die Kirche durch die Bewegung der „Deutschen Christen gleichzuschalten, um auch hier den Grundsatz des „Ein Volk, ein Reich, ein Führer" zu erzwingen, sowie in der Ausschaltung der nicht-arischen Pastoren und der Revision der Glaubenssätze im Geiste der Ideen von Rosenberg. Die deutsch-evangelische Opposition gab sogar der ökumenischen Bewegung neue Impulse und lieferte den großen Kongressen der evangelischen Weltbewegung der Nachkriegszeit Gründe und Argumente Ähnliches ereignete sich in der katholischen Welt, als sich auch dort trotz des Konkordats der ideologische und organisatorische Druck des nationalsozialistischen Parteistaates gegen die Institutionen der Kirche abzeichnete. Schneller und weitreichender war natürlich ab 1930 die Resonanz der Juden überall in der Welt auf das Wiederaufleben des Antisemitismus in Deutschland, auf die herausfordernde Behauptung, daß nicht nur Individuen und Gruppen jüdischer Rasse und Religion in Deutschland, ja in ganz Europa eine Gefahr darstellten, sondern eine Gefahr erst recht durch die mit den Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts erreichte rechtliche Gleichstellung der Juden und das natürliche Zusammenleben mit ihnen gegeben sei. Aus dieser Situation, die sich in Deutschland von einer Bedrohung zu tragischer Wirklichkeit entwikkelte, schöpfte die Bewegung für eine jüdische Nationalheimat in Palästina Beweggründe und Antriebe.

Die Vielfalt der Richtungen innerhalb der deutschen Opposition gegen den Nationalsozialismus sprengte bald auch im Ausland den Rahmen der rein journalistischen Chronik oder Agenturmeldung. Eine umfassendere und zuverlässigere Darstellung in Form von längeren Abhandlungen beschäftigte sich nicht nur mit dem Klima der politischen und religiösen Verfolgung in einem auf Rassenlehre und Totalitarismus aufgebauten Parteistaat, sondern auch mit den doktrinären und rechtlichen Erwiderungen der Opposition. Insbesondere dieser sozusagen „redaktionelle" Aspekt, den das Ausland von der deutschen Opposition gegen den Nationalsozialismus gewann, soll hier hervorgehoben werden, ein Aspekt, der sich in dem Maße erweitert und bedeutsam wird, in dem das nationalsozialistische Regime den Vorhang des Schweigens über seine bestürzenden Praktiken im Innern verdichtet, seine organisatorische und propagandistische Tätigkeit im Ausland verstärkt und sich dort mit den ihm verwandten antiparlamentarischen, autoritären, gemeinhin als „faschistisch“ bezeichneten Ideologien und Bewegungen Italiens, Frankreichs, Belgiens, Ungarns, Eng-lands, Spaniens und anderer Länder verbündet

Die Auswahl der im folgenden genannten Werke ist rein beispielhaft: sie umfaßt die Arbeiten, die der Verfasser damals erworben hat und noch in seiner Bibliothek verwahrt. Die Hinweise möchten eine Richtlinie für die biographische Forschung aufzeigen, die, soweit dem Verfasser bekannt ist, bisher noch nicht in Angriff genommen wurde.

In der Publizistik der Opposition gegen den Nationalsozialismus im Ausland nehmen die Werke der deutschen Emigranten den ersten Platz ein. Es gehören dazu die Geschichte des Nationalsozialismus und die Biographie Hitlers von Konrad Heiden „Das stumme Deutschland redet", von einem anonymen Verfasser, das Artikel enthält, die bereits in Zeitschriften der Schweiz und der Tschechoslowakei erschienen waren über den religiös-kirchlichen Konflikt die Schrift von Waldemar Gurian „Der Kampf um die Kirche im Dritten Reich" *

Ihnen schließen sich die Übersetzungen deutscher Autoren an, die als Stellungnahmen ge-gen die nationalsozialistische Ideologie entstanden waren. Hier beschränke ich mich auf Italien und erwähne den Vortrag von Abt I, Herwegen aus dem Jahre 1932 unter dem Titel „Antike, Germanentum und Christen-tum" und die „Adventspredigten 1933" von Kardinal Faulhaber über „Judentum, Christen-tum, Germanentum“ (Letztere wurden auch ins Englische und Französische übersetzt.) Inzwischen wurden auch von Ausländern Darstellungen des politischen, kulturellen und religiösen Kampfes in Deutschland veröffentlicht, und zwar über den Aufstand des die gültigen menschlichen Werte bewahrenden Gewissens gegen die Unterdrückung durch den Nationalsozialismus. Sie bezeugen das andere Deutschland, das keine politische Stimme mehr hatte und das von dem amtlichen Deutschland mit dem Hakenkreuz auf seiner Fahne und auf den Wappen der Botschaften, das vorgab, den wahren deutschen Geist zu vertreten, ignoriert wurde. Es handelt sich um hervorragende Kenner des deutschen Geisteslebens, um Historiker, Theologen und Essayisten von Ruf in ihren Ländern; und nicht we-niger bedeutend waren ihre Verleger. Zu erwähnen sind hier aus der Schweiz R. Grob: „Der Kirchenkampf in Deutschland 1933 bis 1937" und „Der Kampf der evangelischen Kirche in Deutschland in seiner allgemeinen Bedeutung" von einem Anonymus, ebenfalls 1937 entstanden später, 1939, herausgegeben von dem Schweizer Evangelischen Hilfswerk: „M. Niemöller und sein Bekenntnis" In Frankreich waren 1934 die französische Übersetzung der „Geschichte des Nationalsozialismus" von Heiden und eine Arbeit über die Kunst im Dritten Reich von Werners erschienen. Vermeil stellte dort die Theoretiker der Rassenlehre in den «Doctrinaires de la Revolution allemande 1918 bis 1938» vor und D'Harcourt sammelte und überarbeitete seine Artikel aus der «Revue des deux mondes» in dem Band «Catholiques d'AIlemagne»

In Italien veröffentlichte der Verfasser dieses Artikels 1936 einen Band „Germania religiosa nel III Reich" dem eine kürzere Synthese unter dem Titel „Neopaganesimo razzista“ folgte; Zeitschriften des italienischen Protestantismus und das Verlagshaus Doxa unterrichteten im einzelnen über den religiösen Widerstand der „Bekennenden Kirche“ gegen den Nationalsozialismus. Schon vorher hatte D. Cantimori, ein Wissenschaftler, der sich mit dem Studium der italienischen Häretiker des 16. Jahrhunderts befaßte, einen Theoretiker der nationalsozialistischen Politik, Carl Schmitt, vorgestellt, dabei aber auch zurückhaltend auf die in Deutschland gegen ihn erhobene Kritik hingewiesen In England hatte es besonders ab 1938 lebhafte Reaktionen auf den Sammelband “ Germany speaks“ gegeben, der Schriften bedeutender Vertreter des Nationalsozialismus enthielt darunter befanden sich die lebendige kritische Biographie Hitlers von Lüdecke sowie Darstellungen nach dem Vorbild der bereits in der Schweiz erschienenen Schriften des religiösen Konflikts in Zusammenhang mit der ökumenischen Verbundenheit der evangelischen Welt. Ferner ist darin auch die englische Übersetzung von „Germania religiosa nel III Reich'des Verfassers unter dem neuen Titel „Nazism versus Christianity" mit einer Erweiterung der Abhandlung bis zum Jahre 1938 veröffentlicht worden ebenso der kleinere Aufsatz „The new racial Paganism" Die Zahl der Veröffentlichungen über die Welt des Nationalsozialismus sollte sich naturgemäß nach Ausbruch des Krieges weiter erhöhen

Wo lagen die Quellen dieser Darstellungen des anderen Deutschland? Welche Kanäle gab es, auf denen das Ausland darüber unterrich-tet wurde, was in Gegensatz und Antithese zu den Maßnahmen des Regimes geschah?

Hier betreten wir das Feld des Abenteuers und des Risikos heimlichen Handelns, das für denjenigen Immer fühlbarer wurde, der wissen wollte, was der nationalsozialistische Parteistaat mit Hilfe seiner verschiedenen Polizei-organisationen verborgen halten wollte. Auch hier kann nur die persönliche Erfahrung der Jahre 1932— 1939 in Deutschland Grundlage aller allgemeinen Äußerungen sein. Die wichtigsten Informationen über die Entwicklung der politischen, kulturellen und religiösen Situation in Deutschland erhielt das interessierte Ausland von qualifizierten Berichterstattern, die aktive Angehörige des gewerkschaftlichen, kulturellen und religiösen Widerstands waren. (Die Annäherung an die Vertreter des politischen Widerstandes war schwieriger; viele der Aktiven hatten emigrieren müssen oder in Deutschland ihren Beruf ändern oder sich jedenfalls isolieren müssen; in diesen Fällen erfolgte die Unterrichtung im Ausland, und zwar in Redaktionen von Zeitungen, die ihren Sitz in den Deutschland benachbarten Ländern hatten.) Es handelte sich um Redakteure von Zeitschriften, um Mitarbeiter von Zeitungen mit verborgenen antinazistischen Tendenzen, um Universitätsdozenten, Gewerkschaftsführer, Angehörige von Jugendverbänden, um Kleriker und Vertreter karitativer Einrichtungen. Von diesen Personen erhielt der interessierte Ausländer nicht nur Nachrichten, sondern auch Kopien vertraulicher Dokumente des Regimes, beschlagnahmte und von der Polizei verbotene Veröffentlichungen. Besonders wichtig war der Zugang zu den heimlichen Versammlungen der Widerständler und die Bekanntschaft mit den Hauptexponenten, wenn nicht persönlich, so durch Überbringung von Gegenständen, Losungsworten oder Geheimschriften. Von großer Bedeutung waren für den Ausländer auch die Buchhändler, die beschlagnahmte Bücher oder Zeitschriften für ihn verborgen hielten und ihn über Personen und Angelegenheiten in Richtigstellung der amtlichen Versionen unterrichteten. Die systematische Durchsicht der deutschen Zeitschriften in den großen deutschen Bibliotheken, häufig mit Hilfe von antinationalsozialistischen Angestellten. stellte eine weitere Quelle zur Erkundung des Widerhalls von Ideen und Polemiken dar. Die so erhaltenen Informationen und insbesondere die . verbotenen* Dokumente wurden im Ausland durch Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften bekanntgemacht. Die Annäherung an die Persönlichkeiten des Widerstands wurde mit der Zeit wegen der Polizeikontrolle, der sie ausgesetzt waren und der deshalb gebotenen Vorsicht immer schwieriger. Es sei mir gestattet, in diesem Zusammenhang zu berichten, wie Kardinal Faulhaber, den ich auf Empfehlung des damaligen Substituten im päpstlichen Staatssekretariat Msgr. G. B. Montini (den gegenwärtigen Papst Paul VI.) ausgesucht hatte, es ablehnte, mich persönlich zu empfangen, da ich als Verfasser von Schriften über die religiöse Verfolgung in Deutschland bekannt war. Er kam jedoch im wesentlichen der verbindlichen vatikanischen Empfehlung dadurch nach, daß er meine Fragen über den Sekretär beantworten ließ, der zwischen dem Arbeitszimmer des Erzbischofs und dem Zimmer, in das ich eingelassen worden war, hin und her pendelte.

Zu einem gewissen Zeitpunkt waren die deutschen Zeitungen und Zeitschriften, die außerhalb der Goebbels'schen Kontrolle in Wien, Prag, Amsterdam und Paris veröffentlicht wurden, die zugänglichste Quelle. Ihre Redakteure, die sich im allgemeinen wegen ihrer antinationalsozialistischen Haltung im Exil befanden, standen untereinander in enger Verbindung und hatten ein geheimes Korrespondentennetz in Deutschland aufrechterhalten können. Es wäre einer Untersuchung wert, inwieweit das Regime bei seinen Plänen zur Besetzung Österreichs und der Tschechoslowakei von der Absicht bestimmt war, diese Regimegegner zum Verstummen zu bringen. Diese deutschen antinationalsozialistischen Zeitschriften, die von der Polizei auch über die Grenzen hinweg verfolgt wurden, hatten sich in einigen Fällen auch zu Informationszentren ausländischer Zeitungen über die gehäimgehaltenen Übeltaten des Regimes und über die Kräfte des Widerstandes herausgebildet. Für viele möge hier der Fall der heimlich in Deutschland verbreiteten Zeitschrift „Der deutsche Weg" des Jesuitenpaters Friedrich Muckermann genannt sein, die in Holland und ab 1934 in Frankreich herausgegeben wurde

Spezialisierte Presseagenturen hatten zu einem bestimmten Zeitpunkt Informationsdienste eingerichtet, die systematisch deutsche nichtnazistische Zeitungen und Informationsbulletins der politischen Zentralen in Prag, Paris, London und Zürich, die in geheimer Verbindung mit den in Deutschland lebenden Informanten standen, ausschöpften und die Nachrichten an die größeren Zeitungen der verschiedenen Länder Weitergaben. Das gleiche geschah in der Schweiz, in England, Holland und Dänemark hinsichtlich des Kampfes der Bekennenden Kirche und in Italien Frankreich, England, den USA für den der katholischen Kirche; dazu kamen die zahlreichen Agenturen der jüdischen Presse. In dieser Zeit baute ein deutscher Emigrant in London die Wiener Library auf, eine systematische Sammlung aller Schriften über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

In diesen vielfältigen Veröffentlichungen — zu denen sich die wachsende Verbreitung von Büchern gesellte, die in Deutschland aus rassischen oder politischen Gründen verboten waren —, bekundete das Ausland seine Unterstützung desjenigen Deutschlands, das den Nationalsozialismus bekämpfte und sich ihm entgegenstellte, das seinen Traditionen des 18. und 19. Jahrhunderts treu blieb, die aus ihm einen bestimmenden Faktor der großen europäischen Zivilisation gemacht hatten. Es war die Solidarität von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, aber auch von Einzelpersonen und Gruppen. Sie bewährte sich besonders in den Ländern, die eine ähnliche Erfahrung wie das nationalsozialistische Deutschland durchmachten oder die seinem ideologi-sehen Druck und seinen Maßnahmen ausgesetzt waren, Maßnahmen, die im Namen des geforderten Lebensraumes in der Innenpolitik Züge eines autoritären Nationalismus annahmen und nach außen hin einer revisionistischen und expansionistischen Haltung entsprachen. Hieraus ergaben sich die ideenmäßigen und organisatorischen Verbindungen zum Beispiel zwischen dem italienischen und dem deutschen Widerstand auf kulturellem und religiösem Gebiet und die Gegenüberstellung gemeinsamer Grundsätze und Werte gegen den italienischen Faschismus und den deutschen Nationalsozialismus.

Hieraus erhellt auch die Bedeutung der deutschen Opposition im Rahmen des europäischen Widerstandes gegen die antidemokratischen, auf Rassenwahn und Diskriminierung beruhenden verschiedenen „Faschismen", die sich in Europa durchgesetzt hatten, gegen die totalitären Forderungen von Ideologien, die sich der staatlichen Ordnungen durch eine Staatspartei bemächtigt hatten (was nicht nur für den Faschismus, sondern auch für den Kommunismus in der UdSSR zutraf).

Diese Ausfühungen wollen ein Beitrag zur historisch-kritischen Behandlung des Anteils sein, den das bessere Deutschland an dem Leidenskampf um die Verteidigung der universellen Werte des europäischen Geistes in der Krisenzeit nach dem Ersten Weltkrieg hatte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. H. Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 1, 1953, 1 1-8; M Bendiscioli, Die Zeitgeschichte in Itaen, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 1963, S. 593— 604.

  2. P. Seilliere, Pangermanistes d'apres-guerre, Paris 1924, ders., Morales et religions nouvelles en Allemagne, Paris 1927.

  3. M. Beaumont /M. Berthelot, L’Allemagne lendemains de guerre et revolution, Paris 1922.

  4. E. Vermeil, L’Allemagne contemporaine, Paris 1925.

  5. Vgl.den Katalog der Editrice Morcelliana (Brescia) und Alsatia (Strasbourg-Paris) mit den Über-setzungen von Adam, Guardini, Herwegen, P. Wust, Dessauer (Philosophie der Technik) und für evangelische Autoren den Katalog des evangelischen Verlages Doxa, Milano-Roma. Eine Darstellung der deutschen geistigen Situation mit Hinweisen auf den Nationalsozialismus von M. Bendiscioli, II romanesimo nella coscienza germanica contemporanea, in dem Sammelband „Romanesimo e germanesimo", Brescia 1933, S. 13—-57.

  6. Vgl. dazu Lewis J Edinger, German Exile Pol. tics. The Social Democratic Executive Committee in the Nazi Era, Berkeley (California) 1956.

  7. Vgl. die Konferenz über die ökumenische Bedeutung des deutschen Kirchenkampfes, die vom 8. bis 22. August 1959 in Tutzing (Obb.) von der Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes in der Nationalsozialistischen Zeit der Ev. Kirche Deutschlands veranstaltet wurde.

  8. Vgl. Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche. Action francaise, Faschismus, Nationalsozialismus, München 1964.

  9. K. Heiden, Geburt des Dritten Reiches. Die Geschichte des Nationalsozialismus bis Herbst 1933, Zürich 1934; ders., Hitler. Das Leben eines Diktators, 2 Bde., Zürich 1936/37; auch O. Strasser, Hitler et moi, Paris 1940.

  10. Das stumme Deutschland redet, von W., Zürich o. J. (1935).

  11. Luzern 1936.

  12. Italienische Übersetzung im Sammelband Romanesimo e germanesimo, hrsg. von M. Bendiscioli, Brescia 1933, S. 207— 279.

  13. Italienische Übersetzung unter dem Titel Giudaismo, Christianesimo, Germanesimo, hrsg. von G. Ricciotti, Brescia 1934.

  14. Zürich 1937.

  15. Zollikron 1937.

  16. M Niemöller und sein Bekenntnis, hrsg. vom Schweiz. Evang. Hilfswerk für die Bekennende Kirche in Deutschland, Zollikron 19398.

  17. K. Heiden, Histoire du nationalsocialisme 1919— 1934, Paris 1934 (Übersetzung der „Geschichte des Nationalsozialismus. Die Karriere einer Idee", Berlin 1932).

  18. E. Wernert, L'art dans le III Reich. Une tentative d’esthetique dirigee, Paris 1936.

  19. Paris 1938.

  20. Paris 1938

  21. M. Bendiscioli, Germania religiosa nel III Reich. Conflitti religiosi e culturali nella Germania nazista, Brescia 1936 Nach Erscheinen der englischen Ausgabe wurde das Buch auf deutsches Ersuchen in Italien beschlagnahmt — ein Opfer der Achse Berlin-Rom.

  22. Brescia 1937.

  23. C. Schmitt, Principi politici del nazionalsocialismo, hrsg. mit einer Einleitung von Delio Cantimori. Firenze 1935.

  24. Germany speaks, by 21 Leading Members of Party and Staat, London 1938.

  25. Karl Lüdecke, I knew Hitler, London 1938.

  26. M. Bendiscioli, Nazism versus Christianity, London 1939.

  27. M. Bendiscioli, The new racial Paganism, London 1939.

  28. Unter vielen anderen F. Neumann, Behemoth, London 1942.

  29. Vgl. zu Muckermann „La via tedesca. II movimento di resistenza dei cattolici tedeschi dal 1930 al 1945“, mit einem Vorwort von M. Bendiscioli, Brescia 1947.

  30. Für Italien das Instituto cattolico della stampa, in dem der Verfasser von 1937— 1939 der Leiter der Abteilung Deutschland war.

  31. Vgl. Die andere Achse. Italienische Resistenza und geistiges Deutschland, Hamburg 1964. Das Buch behandelt aber nicht den Widerstand der gläubigen Christen in Deutschland und Italien und ihre Verbindungen untereinander. Vgl. M. Bendiscioli, Le correnti antinaziste in Germania, in: Costume, I (1946), S. 9 ff.

Weitere Inhalte

Mario Bendiscioli, Professor für neuere Geschichte an der Universität Padua, geb 1903 in Passirano b. Brescia. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des 19 und 20. Jahrhunderts, vor allem zur Kirchengeschichte.