Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Vor dem XXIV. Parteitag der KPdSU | APuZ 49/1970 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 49/1970 Konzeptionen deutscher Ostpolitik 1919-1970 Eine Skizze — Anhang — Vor dem XXIV. Parteitag der KPdSU Optionen europäischer Politik in den siebziger Jahren

Vor dem XXIV. Parteitag der KPdSU

Borys Lewytzkyj

/ 30 Minuten zu lesen

Das Jahr 1970 beendet eine kurze Entwicklungsphase in der jüngsten Geschichte der Sowjetunion und ist der geeignete Moment für eine Bestandsaufnahme ihrer gegenwärtigen Lage. Die sechs Jahre, die seit Chruschtschows Sturz im Herbst 1964 ins Land gingen, brachten innen-und außenpolitisch viele wichtige Ereignisse. Vor fünf Jahren wurde die Wirtschaftsreform — ein vielversprechendes und von großen Hoffnungen begleitetes Projekt zur Änderung des sowjetischen Wirtschaftssystems und zu seiner Anpassung an moderne Erfordernisse — eingeleitet. Der Fünfjahresplan 1965— 70, dessen Direktiven der XXIII. Parteitag (1966) beschlossen hatte und der von Anfang an stark mit der Wirtschaftsreform verzahnt gewesen war, läuft in diesem Jahr aus. Im Zusammenhang damit war mehr als bloße Planerfüllung erwartet worden. Man hatte sich davon eine durchgreifende Verbesserung der Warenqualität, eine raschere Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Praxis, eine Intensivierung der Produktion in allen Zweigen und — auf dieser Basis — eine beträchtliche Steigerung der Arbeitsproduktivität versprochen. Nach den Statuten hätte spätestens in diesem Jahr schließlich auch der nächste — der XXIV. — Parteitag der KPdSU einberufen werden müssen. Der Generalsekretär des Zentral-komitees, L. I. Breshnew, hatte auch am 2. Juli 1970 noch eine Erklärung in diesem Sinne abgegeben. Aber schon elf Tage später, am 13. Juli, beschloß das Zentralkomitee die Einberufung des Parteitages für den März kommenden Jahres.

Die vorliegende Bestandsaufnahme behandelt keine außenpolitischen Probleme, obwohl z. B.

die Intervention in der Tschechoslowakei mit ihrem Modell vom -Ziel, eine sowjetischen ab weichende sozialistische Entwicklung zu unterdrücken, die Weltöffentlichkeit erschütterte und innerhalb der kommunistischen Weltbewegung unvorhergesehene Auswirkungen hatte. Von ihren innenpolitischen Folgen ist hier vor allem die Verstärkung des Rechtsdralls zu nennen, den bereits Professor A. D.

Sacharow in seinem Memorandum als charakteristisch für die Entwicklung seit Chruschtschows Sturz bezeichnet hatte. Die Spannungen zwischen Parteiführung und Teilen der Gesellschaft nahmen zu; so konnten sich erneut stalinistische Herrschaftspraktiken, deren Zweckmäßigkeit in Frage gestellt worden war, behaupten und festigen. Die ohnehin schon inkonsequente Abrechnung mit dem Despoten wurde de facto abgebrochen, er selbst partiell rehabilitiert. Beispielhaft für diesen Trend ist die Gegenüberstellung zweier Ereignisse. Im Jahre 1961 war im Verlauf des XXII. Partei-tages vorgeschlagen worden, den Opfern des Personenkults in Moskau ein Denkmal zu setzen; nun, nicht einmal zehn Jahre später, wurde auf dem Grab Stalins seine Büste aufgestellt. Die sogenannte militär-patriotische Erziehung soll, seit sie 1968 mit großem Propagandaaufwand eingeführt wurde, nicht allein das Schulwesen prägen, sondern auch weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Das in den letzten Jahren Geschehene wirkt überall nach, so sehr sich die sowjetische Führung heute auch angesichts des bevorstehenden Parteitages um ein positives Image bemüht.

Im ersten Teil dieser Analyse werden Ziele, Verlauf und Erfolge bzw. Mißerfolge der Wirtschaftsreform mehr unter soziologischen als unter rein ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet und einige fortschrittshemmende bzw. -fördernde Kräfte genannt. Gegenstand des zweiten Teils sind ausgewählte Probleme und Phänomene, die für die heutige Entwicklung des Landes ausgesprochen charakteristisch sind. Der dritte Teil hat schließlich die Bemühungen zu zeigen, die die Parteiführung am Vorabend des Parteitages unternimmt, um sich ins rechte Licht zu setzen und die Entwicklung in eine für sie möglichst günstige Richtung zu lenken.

I.

Ziel und Verlauf der Wirtschaftsreform Die Wirtschaftsreform sollte über den rein ökonomischen Bereich hinaus das ganze sowjetische System in wesentlichen Punkten korrigieren. Der Betrieb wurde nicht länger als unterste Stufe einer Befehlshierarchie, sondern als Grundzelle der Wirtschaft gesehen. Das am 4. Oktober 1965 beschlossene Betriebsstatut räumte ihm daher auch eine größere Autonomie ein, die nicht allein in mehr Rechten für die Betriebsleitung, sondern auch in zwei grundsätzlichen Neuorientierungen bestand. So sollte nicht länger die Produktion schlechthin Maßstab für den Erfolg sein, sondern die tatsächlich abgesetzte, die realisierte Ware. Zugleich waren neue materielle Leistungsanreize für die Arbeiterschaft vorgesehen. Von einem höheren Gewinnanteil des Betriebes versprach man sich nicht nur größeres Interesse an der Absetzbarkeit und am Verkauf der Waren, sondern auch ein Streben nach größeren Produktionsaufgaben. Zur gleichzeitigen Stärkung der zentralen Leitungsorgane erklärte die sowjetische Führung, von einem Rückfall in den Zentralismus alten Stils mit seinen administrativen Methoden könne keine Rede sein, vielmehr sollten die Betriebe mit „ökonomischen Methoden" durch ihre vorgesetzten Behörden, also Ministerien und Staats-komitees, geleitet werden.

1966 wurden zunächst einige Betriebe, später ganze Wirtschaftszweige auf den neuen Leitungsmodus umgestellt. Dieser Prozeß ist mittlerweile fast vollständig abgeschlossen. Wider alle Erfahrung waren die Erfolgsmeldungen der ersten Stunde die lautesten; sie überstrahlten — propagandistisch groß aufgemacht — die als unbedeutend abgetanen zahlreich auftretenden neuen Probleme. Das Geheimnis dieses Anfangserfolges liegt darin, daß zunächst nur die ohnehin gut arbeitenden Betriebe zu dem neuen Modus übergingen und obendrein noch in jeder Hinsicht begünstigt wurden, wie es ja traditionellerweise bei allen von der Parteiführung initiierten Experimenten der Fall ist. Diese Unterstützung machte sich besonders beim leidigen Problem der materialtechnischen Versorgung bemerkbar. Es war daher auch nicht sehr erstaunlich, daß mit der Zahl der einbezogenen Betriebe die Erfolgsmeldungen seltener und gleichzeitig zunehmend Schwierigkeiten, Fehlkalkulationen und Mißerfolge Gegenstand einer bis heute anhaltenden lebhaften Fachdiskussion wurden.

Im Rückblick auf die letzten fünf Jahre ist das Versagen der neuen Leitungsmethoden die Hauptursache der jetzigen Krise. Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler W. W. Nowoshilow stellte kürzlich fest, daß jeder die Wirtschaftsreform nach seinen eigenen Interessen und Bedürfnissen interpretiere Die Staats-funktionäre erblickten darin z. B. eine günstige Gelegenheit zur weiteren Stärkung ihrer zentralistischen Bestrebungen; dagegen war sie ein Signal zur Dezentralisierung für all jene, auf deren Schultern die Planerfüllung gelegt ist. Grund für solch widersprüchliche Interpretationen sei die „Vielschichtigkeit" der Reform. Die Zentralisierungsbestrebungen konnten sich allerdings nur deshalb durchsetzen, weil sie von den Führungsgremien in Partei und Staat tatkräftig unterstützt und gefördert wurden — für die Leitung der Betriebe und der Wirtschaft sind allein 24 Unionsund 22 Unionsrepublikanische Ministerien sowie eine Vielzahl von Staatskomitees zuständig. Von ökonomischen Leitungsmethoden, vor fünf Jahren noch triumphierend angekündigt, ist nichts mehr übrig geblieben — im Gegensatz zu den Direktiven und Befehlen, auch wenn diese dem Geist der Reform und den geltenden Betriebsstatuten zuwiderlaufen.

Den Betrieben, die sich ja ganz an Absatzmöglichkeiten und Gewinnerzielung orientieren sollten, war die Entscheidung über ihr Produktionsprogramm, also über Sortiment und Nomenklatur zugesichert worden; in Wirklichkeit bestimmen aber die übergeordneten Instanzen bis ins Detail, was der Betrieb nun herstellen soll. Sträubt sich ein Direktor gegen ein solches Vorgehen, so wird einfach die gesamte Produktion als „staatswichtig" erklärt und damit seiner Entscheidung entzogen. Derart bevormundende Praktiken mußten die Neuorientierung der Betriebe erstikken, die traditionellen Verhaltensweisen per-petuieren und damit auch das alte Streben nach minimalsten Produktionsplänen kräftigen. Viele Wirtschaftswissenschaftler wollen allerdings die angekündigten „ökonomischen Leitungsmethoden" retten. Professor A. Birman appellierte z. B. kürzlich an die Zuständigen, sie sollten doch ihr Mißtrauen dagegen abbauen. Er plädiert zwar für eine „Verstärkung der zentralisierten Planung der Volkswirtschaft", gleichzeitig aber auch für erweiterte Autonomie der Betriebe, ihre „Befreiung von der Bevormundung in Kleinigkeiten und ständigen Änderungen in Plänen und Normativen" Seltsamerweise fordert er jetzt, im fünften Jahr der Reform, eine gesetzliche Verankerung der Rechte der Betriebe, was nichts anderes bedeuten kann, als daß sie sich bisher nicht oder kaum durchsetzen konnten. Gescheitert sind die Versuche, den Leitungsmechanismus rationeller und flexibler zu gestalten, gesiegt haben die traditionellen Herrschaftsmethoden all ihrer bürokratischen Schwer-fälligkeit und ihrem Hang zum Superzentralismus. Hierin liegt auch die Ursache für das Scheitern der anderen Ziele der Wirtschaftsreform. So war auf dem XXIII. Parteitag eine Reform der material-technischen Versorgung angekündigt worden, die an die Stelle der bürokratischen Zuteilung von oben eine Verteilung über den Großhandel bzw. Direktbeziehungen zwischen Herstellern und Abnehmern setzen sollte. Hier geschah, von wenigen Experimenten abgesehen, überhaupt nichts. Positive Ergebnisse konnten nicht Schule machen und die Verteilung „nach Zettelchen" bleibt unangefochten marktbeherrschend. Direktbeziehungen zwischen Betrieben waren bereits in der ersten Phase blockiert worden, der Großhandel den ihm zugedachten Funktionen nicht gewachsen. So hatten also die Betriebe wie früher in einer planmäßigen Vorratswirtschaft Zuflucht zu suchen und bereitwillig die Strafen zu zahlen, die auf dem verbotenen Horten von Rohstoffen, Ausrüstungen und Ersatzteilen stehen, um sich gegen die steten Engpässe abzusichern.

Als weiteres Ziel hatte die Reform die Funktion der Preise als Regulativ des Wirtschaftslebens vorgesehen. Von der 1966/67 durchgeführten Preisreform erwartete man die Förderung von Qualitätsware und die Beseitigung unrationeller Praktiken in Fertigung, Transport und Versand. Die Ergebnisse dieser Reform wurden auf einer Unionstagung von Fachleuten im Februar 1969 in Moskau als positiv bezeichnet, gleichzeitig allerdings betont, der technische Fortschritt und die rasch voranschreitende Entwicklung überhaupt verlangten Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Unter den Bedingungen des-sowjetischen Systems erwies es sich auch als unumgänglich, die Einführung neuer Preise mit einer strengen Über-prüfung und Überwachung zu begleiten. Zusätzlichen Gewinn verschaffen sich die Betriebe nämlich gern durch fiktive Kosten Die Unmöglichkeit einer nur „moralischen" Gestaltung von Preisen wird von Kritikern ganz zu Recht immer wieder betont. Die Preise müssen überprüft, administrativ oder mit Strafen durchgesetzt werden, da ihrer freien Entfaltung bisher nicht der nötige Spielraum gewährt wurde und der straffe Zentralismus alle Selbstregulierung verhinderte.

Grotesk ist oft das Zustandekommen der Preise und Gewinne, worüber z. B.der Direktor eines Textilbetriebes klagt: „Die Rentabilität berechnet das Preiskomitee in der Regel mit 50 bis 60 °/o des Arbeitsaufwandes... Daraus folgt, daß, je besser ein Betrieb arbeitet, je höher seine Arbeitsproduktivität liegt, um so niedriger die Rentabilität seiner Erzeugnisse auch und somit der Gewinn sind."

Doch die Preisgestaltung ist nicht allein durch diese Koppelung von Gewinn und Arbeitsaufwand absurd, sondern auch durch andere — offensichtlich rein willkürliche — Gegebenheiten des sowjetischen Wirtschaftslebens und seiner häufig gegeneinander arbeitenden Organe. So kann der Großhandel beispielweise eine begehrte Ware so niedrig bezahlen, daß ihre Herstellung für den Erzeugerbetrieb vollkommen unrentabel wird. Oder eine weitere marktpolitische irrationale Variante: „. . .der Großhandelspreis ist in bezug auf die Rentabilität akzeptabel, und wir haben uns mit den Handelsorganisationen geeinigt, dann verdoppelt das Preiskomitee die Einzelhandelspreise. Die Geschäfte verzichten auf diese Waren, weil sie nicht annehmen, daß sie sie zu einem solchen Preis absetzen können. Und wiederum werden aussichtsreiche Erzeugnisse aus der Produktion herausgenommen."

Schließlich steigerte auch der Prämienanreiz die Arbeitsproduktivität nicht, weil die dafür vorgesehenen Fonds unzulänglich sind und dem Arbeiter keine spürbare Aufbesserung seines Lohnes ermöglichen. Die Presse klagt daher, Betriebsdirektoren würden die Prämienzuteilung weitgehend formalisieren, wirkliche Leistungen seien schwer erkennbar, für die Prämiierung würden der Einfachheit halber irgendwelche Leute ausgewählt, auch wenn sie es eigentlich gar nicht verdient hätten. Direktoren haben gelegentlich die Prämien-fonds auch zweckentfremdet. Ein Hauptübel bleibt die Unkenntnis der Arbeiter über ihre Prämienansprüche. Die Mißstände auf diesem Gebiet insgesamt charakterisiert das Gewerkschaftsorgan „Trud“ so: „Es kommt zu einer regelrechten Gleichmacherei, zu Entpersönlichung, und die wichtigste Idee — zu produktiver Arbeit Anreiz zu schaffen — wird ausgehöhlt."

Es wird immer wieder berichtet, daß Prämien an erster Stelle an die Führungskräfte und an einen kleinen Teil der Facharbeiter vergeben werden und daß als Folge dieser traditionellen Elitenpolitik die Entfremdung der Arbeiter wächst. Glawk oder Firma?

Eine leidenschaftliche Diskussion über die Produktionsleitung ist charakteristisch für die jüngste Entwicklung in der Sowjetunion. Sie setzte Ende vorigen Jahres ein und griff bezeichnenderweise vor allem die Technik und die Organisation der Wirtschaftsleitung auf, anstatt sich vordringlicheren Problemen zu widmen. Die Parteitheoretiker haben nie eine wirkliche Änderung des sowjetischen Systems ins Auge gefaßt, sondern sind stets davon ausgegangen, daß die Herrschaftsmechanismen aus der frühindustriellen Entwicklungsphase nur einer ständigen Perfektionierung bedürften. Seinen Reformeifer, der sich auch auf dieses Gebiet erstreckte, mußte Nikita Chruschtschow bekanntlich mit seinem Sturz bezahlen.

Die operative Leitung der Betriebe liegt bei den Branchen-Ministerien, genauer gesagt, bei deren Hauptabteilungen, den sogenannten Glawki, die jeweils eine Gruppe von Betrieben betreuen. In letzter Zeit wurde der Gedanke diskutiert und z. T. bereits verwirklicht, diese Glawki sollten nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeiten und somit aus dem Budget der von ihnen betreuten Betriebe finanziert werden Dadurch sollten die Beziehungen zwischen beiden intensiviert und die Tätigkeit der Behörde stärker von den Betrieben abhängig werden.

Daneben ist auf den Ausbau sogenannter Firmen und Produktionsvereinigungen (prois-wodstwennyje objedinenija) zu verweisen, deren erste bereits unter Chruschtschow entstanden waren, ohne daß seinerzeit viel Aufhebens gemacht worden wäre. Gegen diese Firmen begannen die Ministerien und ihre Glawki einen regelrechten Kriegszug mit dem Erfolg, daß ein Teil aufgelöst und den übrigen große Schwierigkeiten bereitet wurden. Warum kam es dazu?

Firmen und Produktionsvereinigungen entstanden durch den Zusammenschluß mehrerer kleiner Betriebe mit einem großen Betrieb. Von den über 60 000 sowjetischen Betrieben hat die Hälfte weniger als 200 Beschäftigte. Für sie bedeutete der Zusammenschluß mit einem größeren Betrieb einen zweckmäßigen und erfolgversprechenden Schritt, wie es auch die ersten sowjetischen Firmen bewiesen. Zu Konflikten kam es, als sich herausstellte, daß die Firmen vernünftigerweise gewisse Aufgaben aus dem Kompetenzbereich der Glawki übernehmen mußten — ein Verstoß gegen die althergebrachte Norm, Betriebe hätten sich ausschließlich mit der Produktion zu befassen und alles übrige den Glawki zu überlassen. Der Versuch, die Glawki in die wirtschaftliche Rechnungsführung einzubeziehen, verschärfte diese Animosität noch und warf das Problem auf, ob wirtschaftliche Rechnungsführung bei einer reinen Verwaltungsorganisation überhaupt möglich sei. Vertreter von Firmen und Betrieben verneinten dies und betonten den gravierenden Unterschied zwischen einer rein administrativen Verantwortung und der materiellen, die ganz auf Seiten der Firmen und Betriebe bleibe.

Dieser Konflikt wurde im Frühjahr 1970 zugunsten der Firmen entschieden. Auf einer Konferenz auf Unionsebene in Leningrad, das als ihr Interessenzentrum gilt, wurden kürzlich alle Vorteile der Firnen deutlich herausgestellt. Den größten Erfolg verzeichneten Firmen, denen Rechte der Glawki übertragen wurden. Wie so oft in der Sowjetunion fehlen auch für die Tätigkeit der Firmen vorläufige Statuten und andere juristische Grundlagen. Ebensowenig wurden bisher die Normen ihrer Beziehungen zu den Ministerien und übrigen zuständigen Instanzen niedergelegt.

Dennoch werden die 600 Produktionsvereinigungen und Firmen mit ihrem Netz spezialisierter Filialen — sie erzeugen zwar nur 0’ 0 der Gesamtproduktion, erzielen aber 10% des Gewinnes — bereits heute als zukunftsweisend gefeiert 8). Da mittlerweile auch das Parteiorgan „Prawda" die feindselige Haltung der Ministerien und Glawki gegenüber den Firmen verurteilte, ist in dieser Frage offenbar die Entscheidung auf höchster Ebene gefallen Bei diesem Novum haben übrigens auch gewisse Erfahrungen aus der DDR eine Rolle gespielt. Angeführt wurde der Widerstand gegen die Firmen von extrem konservativen Kräften in der Ministerialbürokratie, die auf diese Weise ihre Position zu behaupten suchten. Uber die Zukunft der Firmen kann man noch nicht sehr viel sagen, außer, daß sie sicherlich zur Verbesserung des sowjetischen Wirtschaftsapparates einiges beitragen dürften. Schon heute sieht sich allerdings die Parteipresse bemüßigt, vor dem zwangsläufigen Autarkiestreben dieser Konzerne zu warnen und es als Kirchturmspolitik oder Betriebs-egoismus (mestnitschestwo) zu brandmarken. Zwischen Konservatismus und Fortschritt Welche Kräfte innerhalb der sowjetischen Führung stellen sich nun ganz bewußt Veränderungen und dem Fortschritt in den Weg und versuchen, Zentralismus, Direktiven, Befehle und den Anspruch auf totale Manipulation der Gesellschaft um jeden Preis zu erhalten?

Die Parteibürokratie sieht in der Führungsrolle der Partei in der Gesellschaft eine unantastbare Leninsche Norm, interpretiert diese jedoch ganz nach ihrem Gutdünken. Die KPdSU ist aber weit mehr als eine führende und steuernde Kraft — sie übt darüber hinaus in der Praxis auch echte Verwaltungsfunktionen aus. Ein Grund dafür, Dubceks Reformprojek-ten mit Panzern zu begegnen und weiterhin die jugoslawischen Kommunisten als Abweichler zu betrachten, ist die sowjetische Interpretation der führenden Rolle der Partei. Beide, jugoslawische Kommunisten und tschechoslo-wakische Reformer, verzichteten auf die absolute Verwaltungsfunktion der Partei. Denn sie erkannten, daß die ständigen Einmischungen, Befehle und Direktiven nur Schaden anrichten und daß darin die Ursache dafür zu suchen ist, daß eine Vielzahl vernünftiger und erfolgversprechender Projekte nach kurzer Zeit innerhalb des bürokratischen Apparates lahmge-

leqt bzw. entsprechend kanalisiert werdeh.

Die Ministerialbürokratie ist eine weitere konservative Kraft, die in den traditionellen Herrschaftsmechanismen ihre größte Stütze sieht.

Ein Problem eigener Art ist die Landesverteidigung und damit auch der Einfluß der Militärs auf wirtschaftspolitische Entscheidungen. Von allen Gruppen sind sie am stärksten an der Aufrechterhaltung des traditionellen Superzentralismus interessiert, der ihnen garantiert, daß die zugunsten der Rüstungsindustrie gesetzten Prioritäten auch tatsächlich befolgt werden. Einer der bedeutendsten sowjetischen Militärwissenschaftler, der Generalmajor und Doktor der philosophischen Wissenschaften Je. F. Sulimow, behauptet, die Aufrechterhaltung des Zentralismus sei notwendig, „um die höchste Mobilität, die Einheit von Wille und Tat des gesamten Volkes, von Organisationen und den Streitkräften bei der Lösung der Aufgaben der Verteidigung des sozialistischen Staates zu sichern''. Zugleich versichert er, der Zentralismus „widerspricht nicht dem Geist der sozialistischen Demokratie, weil er sich nicht auf die Ausarbeitung der politischen Richtlinien erstreckt, sondern auf operative Maßnahmen" bestehenden Machtverhältnisse und das Fehlen sowohl demokratischer wie markttraditionalistischer Denk-und Verhaltensweisen sind immer wieder die Ursache für das Scheitern von Reformprojekten und Verbesserungsversuchen in kleinerem Maßstab. Eine durchgreifende Änderung könnte erst dann eintreten, wehn eine politische Elite an die Macht käme die ihr eigenes System als ein Produkt der historischen Entwicklung und nicht als ein tabuisiertes Heiligtum ansieht; fünf Jahre Wirtschaftsreform zeigen, daß die Schwächen des Reform nichts anderes als die Schwächen des Systems selbst sind.

Diese kritische Analyse und die Feststellung, daß die meisten Ziele der Reform nicht erreicht wurden, dürfen nicht so ausgelegt werden, als ob die Sowjetunion heute vor einer wirtschaftlichen Katastrophe Stehe. Ein solcher Trugschluß würde zu falschen politischen Schlußfolgerungen führen. Die Wirtschaftsre-form hat insofern eine positive Auswirkung gehabt, als die durch sie aufgetretenen bzw. zur Diskussion gestellten Probleme nicht länger einfach beiseite geschoben und die angelaufene Entwicklung nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Die Diskussion über Wirtschaftsfragen beschränkt sich vorläufig noch auf die betroffenen Fachkreise, erfuhr aber auch ein großes Echo bei den technischen Kadern und förderte weitgehend ein neues Denken in der Gesellschaft. Das geringste Echo fand sie leider beim . Establishment'. Allein schon die Belebung der Diskussion und des wirtschaftspolitischen Meinungsaustausches ist ein positives Ergebnis der Wirtschaftsreform. Im Gegensatz zu früher können die Fehler jetzt offen diskutiert werden; qewisse gesellschaftliche Kräfte haben auch die Möglichkeit, Druck darauf auszuüben, daß aus den beaangenen Fehlern gelernt wird. Das ist ein weiterer Erfolg. Deutlich zur Snrache kam ätich, daß neu auftretende Probleme nicht mehr länger allein das innersowjetische Wirtschaftsleben belasten, sondern — wie auch Professor Sacharow unmißverständlich formulierte — die Wettbewerbsfähigkeit mit den Vereininten Staaten allmählich illusorisch machen.

II.

Die im Zusammenhang mit der Wirtschaftsreform behandelten Probleme führen uns zu dem zweiten hier schwerpunktmäßig zu bewitija handelnden Komplex, der für eine soziologische Bestandsaufnahme der Lage in der Sowjetunion unabdingbar ist. In einer Gesellschaft mit einem hohen industriellen Reife-grad differenzieren sich die sozialen Verhältnisse, es entstehen ständig neue Gruppierungen und Konstellationen, Spannungen und Konflikte. Im Gegensatz zu den Stalinisten und ihren Erben betrachten aufgeklärte und weltoffene Marxisten auch in den sozialistischen Ländern diesen Differenzierungsprozeß und das zwangsläufige Entstehen immer neuer Konflikte als eine Triebkraft für den gesellschaftlichen Fortschritt. Die Zukunft der jeweiligen politischen Ordnung hängt ganz und gar davon ab, wie diese Konflikte gelöst werden. Ein Rückfall in repressive Abwehrmethoden — eine nicht nur in der Sowjetunion zu beobachtende Erscheinung — kann die schwelenden Fragen und Spannungen nur von der Oberfläche verdrängen und die Herrschaftszeit der gegenwärtigen Machtelite um einige Jahre verlängern. Eine echte Lösung wird damit nur hinausgeschoben und vertagt.

Stiefmütterlich wird leider auch in der westlichen Sowjetologie die Untersuchung der Binnenstrukturen der Sowjetgesellschaft behandelt, obwohl dafür genügend Informationsmaterial zur Verfügung steht. Das birgt die Gefahr vorschneller und allzu optimistischer Deutungen ebenso wie die Unterschätzung dieser Entwicklung unter Berufung auf die Allmacht der Apparate mit ihren angeblich unbeschränkten Möglichkeiten einer totalen Manipulation in sich. Ohne das Ergebnis dieser Analyse vorwegzunehmen, muß hier bereits festgehalten werden, daß die zu behandelnden Probleme von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Entwicklung in der Sowjetunion sind.

Wissenschaftler und technische Intelligenz als Reformkraft Die Leistungen sowjetischer Wissenschaftler auf den verschiedensten Gebieten werden allgemein anerkannt und haben ihnen großes internationales Ansehen eingebracht. Die technische Intelligenz — Ingenieure, Konstrukteure und andere technische Kader — ist quantitativ und von ihrer Qualifikation her bedeutend. Rein theoretisch verfügt die Sowjetunion also über besonders günstige Voraussetzungen für die Bewältigung der Wirtschafts-und Alltagsprobleme, die gerade im Zeitalter der stürmischen Entwicklung in Wissenschaft und Technik auftreten. In dem während des XXII. Parteitags (1961) beschlossenen neuen Parteiprogramm wird die Wissenschaft als eine gesellschaftliche Produktivkraft bezeichnet und ihre heutige entscheidende Rolle anerkannt.

In der Praxis sehen die Dinge jedoch ganz anders aus. Es zeigte sich gerade während der letzten fünf Jahre, wie schwierig es in der Sowjetunion ist zwischen Wissenschaft und Praxis den notwendigen effizienten Kontakt herzustellen und wie lang der Weg wissenschaftlicher Erkenntnisse zu ihrer praktischen Anwendung ist. Besonders herauszuarbeiten ist der hierin liegende gesellschaftspolitische Konflikt. Die Anerkennung der Wissenschaft als höchste Instanz für die Lösung einer Reihe gesellschaftlich wichtiger Problemen, die immer komplizierter werden, steht im offenen Widerspruch zu den traditionellen Herrschaftsmechanismen. Diese haben eigentlich fast schon mit der Oktoberrevolution ihre heutige Geltung gewonnen und wurden unter dem Stalinismus mehr und mehr perfektioniert.

Das daraus resultierende Dilemma formulierte N. S. Chruschtschow als erster ganz deutlich;

er suchte nach einem Ausweg, der gleichzeitig die führende Rolle der Partei garantiert hätte.

Chruschtschows Forderung, in die Partei und ihre Führungsgremien jüngere und besser qualifizierte Kräfte aufzunehmen — auf seine Veranlassung in den Statuten verankert und bald nach seinem Sturz wieder daraus gestrichen —, war ein Versuch in dieser Richtung.

Konflikte zwischen der Parteiführung und den Wissenschaftlern und der technischen Intelligenz gab es auch zu seiner Zeit genüqend. Sie resultierten u. a. daraus, daß sich die Partei mit einer bestimmten wissenschaftlichen Richtung identifizierte; zu den berühmtesten Irrwegen dieser Art gehört die Schule des Biologen Lysenko. Eine weitere Konfliktquelle waren Chruschtschows zahlreiche Experimente, die die Parteifunktionäre selbstherrlich ohne die Initiative und Mitwirkung von Wissenschaftlern in die Wege leiteten und durchführten. Die Beziehungen zwischen Führungsgremien, technischer Intelligenz und Wissenschaftlern sind unter Breshnew in eine völlig neue Phase einqetreten. Es geht nicht mehr um partielle Probleme, um Lysenko oder nicht Lysenko, sondern um viel mehr, um die Heranziehung der Wissenschaftler zur Vorbereitung von Entscheidungen und zu Entscheidungen selbst. Charakteristisch für das veränderte innenpolitische Klima ist die Tatsache, daß früher, vor allem Anfang der sechziger Jahre, die Kritik am sowjetischen System überwiegend von Schriftstellern und der jungen schöpferischen Intelligenz überhaupt kam, während heute Wissenschaftler und die technische Intelligenz diese Rolle übernommen haben. Stell-B vertretend für sie sprachen die Professoren A. D. Sacharow, W. F. Turtschin und R. A.

Medwedew in ihrem Brief an die sowjetische Führungsspitze. Demokratisierung ist für sie eine Grundvoraussetzung für den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt der Sowjetunion und ihre internationale Konkurrenzfähigkeit — eine Notwendigkeit, die „ . . . zum Teil aus dem engen Zusammenhang von Problemen der technoökonomischen Entwicklung und der wissenschaftlichen Verwaltungsmethoden mit den Fragen der Informationsfreiheit der Publizität und des Wettbewerbs entspringt". Sie decken auch auf, daß das propagandistisch viel beschworene wissenschaftliche Herangehen an die Grundprobleme der sozialistischen Wirtschaft noch Stückwerk bleiben muß, denn es „. . .setzt vollständige Information, vorurteilsfreie Denkweise und schöpferische Freiheit voraus. Solange solche Bedingungen nur für wenige Personen und nicht für die Masse bestehen, wird die Diskussion über wissenschaftliche Verwaltung bei uns leeres Gerede bleiben."

Sie zeigen den Punkt auf, an dem ein wissenschaftliches Herangehen besonders nötig wäre, . aber auch besonders sorgfältig vermieden wird — die Organisation und die Verwaltung. Es wirkten nach ihrer Meinung auch die Über-reste der Stalinzeit noch dadurch negativ auf die Wirtschaft ein, daß „das schöpferische Potential in allen Berufen gesenkt wird". In diesem Brief wird betont, daß ein beträchtlicher Teil der sowjetischen Intelligenz und der Avantgarde der Arbeiterklasse der gleichen Ansicht sind: „Dieser Standpunkt spiegelt sich auch in der Meinung der Studenten und der Arbeiterjugend und in zahlreichen Diskussionen und kleinen Zirkeln."

Kein wirklich bedeutender sowjetischer Wirtschaftswissenschaftler versäumt es, sich in seinen Arbeiten immer wieder kritisch mit den verschiedenen Praktiken auseinanderzusetzen.

Auch Sacharow ist kein Antikommunist oder prinzipieller Gegner der Partei. Seine Sprache ist die der praktischen Vernunft, seine Thesen sind klar und mutig. Andere Wissenschaftler schreiben zwar kritisch, doch in diplomatischer Form und somit weniger provozierend. Der bereits zitierte Wirtschaftswissenschaftler W. W.

Nowoshilow macht z. B.der zentralen Leitung für eine Reform des Systems bestimmte Vorschläge, liefert damit aber zugleich eine vernichtende Kritik des bisher üblichen Mechanismus. Deutlich formuliert er den Gedanken, daß die Leitung der Wirtschaft nicht Aufgabe der Verwaltung ist, sondern ein integraler Bestandteil des Produktionsbereichs selbst, daß die für diese Leitung zuständigen Apparate nicht als Verwaltungsapparate, sondern als Zentren der Produktionsorganisation aufgebaut werden sollten Auch der schon zitierte Professor Birman verlangt wie Sacharow eine Demokratisierung des sowjetischen Systems, worunter er keine moralische Kategorie, sondern eine funktionale Notwendigkeit versteht.

Beispiele für diese Einstellung könnte man in großer Zahl hinzufügen, doch soll hier nur das Problem selbst herausgearbeitet werden, das augenblicklich das schwierigste Dilemma der sowjetischen Gesellschaft darstellt. Dieser Konflikt hat unerwartet extreme Formen angenommen. Aus den Informationen der illegal von „Samisdat" herausgegebenen „Chronika tekuschtschich sobytij“ kann man sich auch ein Bild über die wichtigsten politischen Prozesse der letzten Jahre machen. Dabei ist besonders erstaunlich, daß unter den Verhafteten und Angeklagten der Anteil der Wissenschaftler, vor allem der Naturwissenschaftler, und der Techniker sehr hoch ist. Sie überwiegen auch bei den Unterzeichnern der Protestbriefe gegen Verhaftungen und Verfolgungen, wogegen die Zahl der hier engagierten Künstler, Schriftsteller und Vertreter der Geisteswissenschaften erstaunlich niedrig ist. überraschenderweise tauchen bei Protestaktionen so bekannte Namen wie der des berühmten Flugzeugkonstrukteurs O. K. Antonow auf.

Der oben auszugsweise zitierte Brief der drei sowjetischen Wissenschaftler enthüllt auch die Gründe dafür, warum bei den protestierenden Reformkräften der Anteil von Naturwissenschaftlern und Technikern so groß ist. Sie sehen in jedem Rückfall in repressive Methoden eine Fortsetzung der „antidemokratischen Traditionen und Normen des gesellschaftlichen Lebens, die in der Stalinzeit entstanden". Die Verteidigung Andersdenkender — die zu Tausenden in Besserungsund Arbeits-Kolonien, in Gefängnissen und selbst in Irrenanstalten festgehalten und isoliert werden — ist für sie einfach Bestandteil ihrer Forderung nach einer Modernisierung des sowjetischen Systems. Dazu gehört ein breites Spektrum von Notwendigkeiten, das von der Informationsfreiheit auch in Fachfragen, offener Diskussion und Meinungsaustausch, von der Duldung und Achtung eines abweichenden Standpunktes bis zum Recht auf wirkliche Kritik und auf Verbesserungsvorschläge reicht. Es kann nicht nachdrücklich genug betont werden, daß dies weit über eine bloße moralische Forderung hinausgeht und überwiegend im Interesse des Funktionierens der sowjetischen Wirtschaft und Wissenschaft vorgebracht wird.

Probleme der Jugend Ähnlich wie hierzulande will ein großer Teil des sowjetischen Jugend studieren; bei den Mittelschulabsolventen, also den Sechzehn-jährigen mit Hochschulreife, sind es mehr als 90 °/o. Diese Wünsche sind für mehr als die Hälfte von ihnen unerfüllbar, denn nur 40 °/o können Hochschulen bzw. mittlere Fachschulen besuchen. Für die übrigen ist der Weg in die Werkshallen und auf die Felder der Kolchosen und Sowchosen eine harte Wirklichkeit. Die primitiven Ausbildungsmöglichkeiten dort lassen einen beruflichen Aufstieg kaum zu. Vor allem 1969 hat die Presse ausführlich über die Probleme der Jungarbeiter informiert. Bedenklich erschien zunächst ihre sehr hohe Fluktuationsrate und die große Zahl jener, die als Kündigungsgrund anga-ben: „Grobheit der Meister und Abteilungsleiter, ihr Unwillen, sich um etwas zu kümmern, was außerhalb der Planerfüllung liegt." Sie stellen höhere Ansprüche an ihren Arbeitsplatz und benutzen alle gesetzlichen Möglichkeiten, um sich eine Arbeit in einem Betrieb zu suchen, wo die Arbeitsbedingungen und das Betriebsklima ihnen am günstigsten erscheinen.

Da von Jahr zu Jahr mehr Jungarbeiter mit Mittelschulabschluß ins Erwerbsleben treten, verschärfen sich auch die sozialen Konflikte. Die Mißstände in der Produktion wirken sich demoralisierend auf die Jugend aus und veranlassen sie zu einer resignierenden Haltung.

für Einer der Gründe Alkoholismus und zunehmenden Rauschgiftkonsum der Jugendlichen ist hier zu suchen. Durch die Ode und Aussichtslosigkeit des Berufslebens wird auch die Jugendkriminalität begünstigt.

Die wachsenden Forderungen der Jugendlichen betreffen nicht nur ihre Arbeitsplätze, sondern auch Freizeitgestaltung und Konsum-möglichkeiten, die Verteidigung ihrer Privat-und Intimsphäre u. a. mehr. Diese neuen Elemente in der Mentalität der Jugendlichen äußern sich auch dort, wo es um Fragen der Mode geht. Es ist kein Zufall, daß in der „Komsomol-skala Prawda“ und anderen Komsomolorganen dies auqenblicklich ein leidenschaftlich diskutiertes Problem ist. In den letzten Jahren hat das Modebewußtsein der jungen Generation beträchtlich zugenommen. Das wird hier be-sonders betont, denn darin zeigt sich, wie selbstbewußt und modern sie heute eingestellt ist. Ein noch vor zehn Jahren unbekapnt. es ästhetisches Empfinden äußert sich inzwischen auch bei der Anschaffung von Möbeln und Haushaltsgeräten. Heute wird nicht mehr gekauft, was auf dem Markt ist, sondern die qualitativen Ansprüche der Jugendlichen und ihr Geschmacksniveau sind beträchtlich gestiegen. Aufmerksamen Besuchern der Sowjetunion fällt auch die apqlitische Haltung der Jugend auf. An offiziellen Aktionen nimmt sie meist nur pflichtgemäß teil und ist mehr darauf bedacht, in eigener Regie etwas zu unternehmen.

Zugleich besteht die alte Lese-und Bildungsfreudigkeit weiter, -das Interesse an Technik und an immer besseren Inforrpationsmöglich-

keiten wächst. Schon in den letzten Jahren wr durch soziqlogische Untersuchungen bestätigt worden, daß sich in Verhalten und Einstellung gewisse Unterschiede zwischen den Kindern der Intelligenz und denen der Arbeiter und Bauern bemerkbar machten. 1969 entschloß sich die Parteiführung zu einem demonstrativen Schritt — sie ergriff administrative Maßnahmen zur Änderung der sozialen Zusam-mensetzung der Studentenschaft, um den Anteil der Kinder von Arbeitern und Bauern zu erhöhen.

Dieses plötzlich wiedererwachte Klassenbewußtsein wurzelt weniger in einem Bemühen um soziale Gerechtigkeit als vielmehr in derErkenntnis, daß die Jugend der gehobenen Bevölkerungsschichten besser über die sowjetische Gesellschaft und über das, was sich auf dieser Welt abspielt, informiert ist und allein schon aus diesem Grund skeptischer und kriti-scher ist als ihre überwiegend an sozialem Aufstieg orientierten Alersqenossen aus den ein-fächeren Kreisen. Gerade für die Landiugend zählt die Karriere ganz besonders, so daß sie auch das Studium ernster nehmen und sich viel weniger kritisch engagieren. Durch ihre Bildunaspolitik bat die sowjetische Führung bewiesen, daß ihr mehr an strebsamen, unkritischen und gehorsamen jungen Fachkräften gelegen ist als an einem bewußt reflektierenden und damit unbequemeren akademischen Nachwuchs. Zur Erziehung und Beeinflussung der Jugend verfügt die Partei über mächtige Instrumente, vor alfem über den weitverzweigten Apparat des Komsomol. Gerade die jüngste Entwicklung hat aber gezeigt, wie wenig eigentlich mit Apparaten bewältigt werden kann und wie viele Probleme sich diesen entziehen. Eine Konsequenz daraus war auch die Einführung der sogenannten militärpatriotischen Erzie-hung, die ganz bewußt im Schulalter und über die Institution der Schule eingesetzt wird und neben den Vorbereitungen zum Wehrdienst (bei Mädchen eine Vorbildung für Krankenschwesterntätigkeit) solche Tugenden fördern soll wie etwa Disziplin, Opferbereitschaft, Mut und Vaterlandsliebe. Mit diesem Ersatz für eine Erziehung zum bewußten Staatsbürger versucht die Partei, unkontrollierbare Entwicklungen bei der Jugend von vornherein auszuschalten.

Hier wurden nur einige Schwerpunkte aus dem gesamten Problemkomplex erwähnt, womit er noch keineswegs erschöpfend dargestellt wurde. Gezeigt werden sollte aber, daß die sowjetische Führung vor ähnlichen Problemen steht wie die Führungen anderer moderner Industriestaaten. Die Jugend strebt nach einem gewissen Eigenleben, widersetzt sich staatlichen Zwängen und Manipulationsversuchen, flieht in eine Privatsphäre und tut ihren Protest immer häufiger auch durch Alkohol-und Rauschgiftkonsum kund. Die Sucht hat zwar noch nicht das im Westen beobachtete Ausmaß angenommen; doch die Tatsache, daß die Jugend — überwiegend Komsomolmitglieder — in aller Öffentlichkeit Drogen raucht bzw. injiziert, ist recht vielsagend

Beschäftigungsprobleme und Migrationsprozesse; Nationalitätenpolitik Ein besonders schwerwiegendes soziales Problem sind die Widersprüche zwischen der Migrationspolitik der Partei und der tatsächlichen Lage auf dem sowjetischen Arbeitsmarkt. Theoretisch sollen die Wanderungsbewegungen in einem sozialistischen System planmäßig und rationell gesteuert werden und den Produktionsbedürfnissen, dienen. Schon unter Chruschtschow war jedoch zu beobachten, daß gerade unkontrollierte und spontane Migrationen im Bild der Wanderungsbewegungen dominierten. Während des Siebenjahresplanes 1959— 1965 konnten deshalb verschiedene Projekte in den Entwicklungszonen, vor allem in Sibirien, nicht durchgeführt werden. Die ersten Ergebnisse der Volkszählung vom Januar haben aber bestätigt, daß sich die Lage weiterhin verschlechtert hat.

Hauptkennzeichen für die Wanderungsbewegungen ist die Abwanderung eines großen Bevölkerungsteils, vor allem von Spezialisten, aus den östlichen Regionen Rußlands nach Mittelasien, in den nördlichen Kaukasus, den baltischen Raum, in die Moldauische SSR und in die Westukraine, d. h. in Regionen, in denen kein Arbeitskräftemangel herrscht. Durch diese Wanderungen mangelt es bei allen Projekten in den östlichen Gebieten der RSFSR spürbar an Arbeitskräften. Allein in diesem Raum waren im August 1970 rund eine Million Arbeitsplätze unbesetzt 15). Besorgniserregend ist die Landflucht aus sibirischen Kolchosen und Sowchosen, die in weiten Landstrichen dazu führte, daß das Durchschnittsalter der in der Landwirtschaft Tätigen über 50 Jahre beträgt und Geburtsraten und Eheschließungsziffern rapid sinken

Für Mittelasien treten somit gewisse negative Erscheinungen zutage. Die einheimische Bevölkerung ist Opfer der Fortsetzung der Russi-fizierungspolitik in den Städten und der Tendenz zur Erhaltung der vorindustriell-agrarischen Strukturen der Turkvölker. In vier mittelasiatischen Republiken — Usbekistan, Kirgisien, Tadshikistan und Turkmenien — liegt der Anteil der Landbevölkerung zwischen 52 und 64 °/o, also erheblich über dem gesamt-sowjetischen Durchschnitt von 44 °/o. Ähnliches gilt für die Westukraine, wo die Arbeitssuchenden vom Lande nicht die neugeschaffenen Arbeitsplätze in der Industrie einnehmen können, da diese primär an Einwandernde vergeben werden.

Die hier skizzierten Prozesse sind allerdings keineswegs so unkontrolliert, wie die Propaganda den Anschein zu erwecken sucht. Die sowjetische Führung begegnete mit keiner Maßnahme dem unwirtschaftlichen Bevölkerungszustrom nach Mittelasien, sondern bezog ihn im Gegenteil in ihre Nationalitätenpolitik ein. Heute gilt noch immer, daß der „Austausch der Kader" und die „brüderliche Hilfe" des „großen russischen Volkes" —wie es Breshnew in seiner wichtigen politischen Rede am 28. August 1970 in Alma-Ata formulierte — die Völkerfreundschaft fördern und dem wirtschaftlichen Aufbau der Republiken dienen sollen. Wirkungsvolle Maßnahmen zur Ausbildung der einheimischen Bevölkerung zu Facharbeitern und Spezialisten aller Art sind bis heute ausgeblieben. Der Propagandadruck der Partei lähmt die Initiative der örtlichen Behörden, eigene Fachkräfte auszubilden, und bringt sie soweit, die „brüderliche Hilfe des großen russischen Volkes" anzunehmen.

Zur Ohnmacht der örtlichen Bevölkerung und ihrer Behörden kommt das noch immer geltende Paß-System, das die gesamte Landbevölkerung unterprivilegiert, hinzu. Pässe werden ihr nur unter bestimmten Voraussetzun-gen bzw. für bestimmte Zwecke zugeteilt. Aber ohne Paß kann sich niemand irgendwo anmelden oder Arbeit suchen. Für jeden Besuch in der Stadt muß man ein befristetes Dokument beantragen. Diese Behinderung der Freizügigkeit der Landbevölkerung erleichtert die manipulatorischen Bestrebungen, die von den Chinesen als „Großmachtchauvinismus" propagandistisch herausgestellt und gerade in Mittelasien für ihre eigenen Zwecke genutzt werden.

Nicht zuletzt deshalb wurde die Nationalitätenpolitik in letzter Zeit zu einem sehr brisanten Problem. In aller Welt bekannt ist der Kampf der im Zweiten Weltkrieg ausgesiedelten Krimtataren für die Rückkehr in ihre Heimat und für die Wiederherstellung ihrer nationalen Autonomie. Strenge Strafen wurden gegen die Führer dieser organisierten Bewegung — überwiegend junge Akademiker — verhängt, oft allein schon für die Zusammenstellung von Dokumentationen und für die Veranstaltung von Protestaktionen. Einen ähnlichen Kampf führen auch die Völker von Mescheti, die ebenfalls von Stalin aus ihrer Heimat im südlichen Kaukasus nach Mittelasien ausgesiedelt wurden. In der Ukraine führte die Nationalitätenpolitik in den letzten Jahren zu verschärften Spannungen. Der russische „Samisdat" veröffentlichte inzwischen Einzelheiten über mehrere Prozesse hinter verschlossenen Türen. Ein bedeutendes Ereignis war das Erscheinen der Arbeit „Internationalismus oder Russifizie-rung" des Kiewer Literaturkritikers Iwan Dsjuba, einer marxistischen Analyse der sowjetischen Nationalitätenpolitik, die inzwischen auch im Westen bekannt und ins Englische übersetzt wurde

Eine Welle der Russifizierung suchte auch die baltischen Republiken heim. Ein Teil der russischen Intelligenz verwahrt sich mutig unter persönlichen Risiken gegen diese Praktiken, unterstützt die Bewegung der Krimtataren und verlangt eine Korrektur der sowjetischen Nationalitätenpolitik.

III.

Welche Politik betreibt die Führung der KPdSU am Vorabend des XXIV. Parteitages? Der Generalsekretär des ZK der KPdSU, Leonid Breshnew, überraschte viele Experten damit, wie er sich in all diesen Krisen, Schwierigkeiten und Engpässen als ein kluger Stratege und Taktiker erwies. Während man noch vor kurzem seine durch die Intervention in der Tschechoslowakei schwer angeschlagene Autorität schwinden sah, kann heute nur noch „höhere Gewalt" oder sonstiges dramatisches Geschehen verhindern, daß er im kommenden Jahr erneut Parteichef wird. Mit welcher Politik konnte er diesen Erfolg für sich und für die Partei erzielen?

Breshnews innenpolitischer Vorstoß begann eigentlich schon im Dezember vergangenen Jahres, als er auf einem ZK-Plenum eine Rede über die Lage in der sowjetischen Wirtschaft hielt. Bis heute ist sie nicht veröffentlicht worden, zirkulierte aber als eine Grundlage für die parteiinterne Diskussion auf verschiedenen Ebenen. Breshnew appellierte an die Partei, Sparmaßnahmen in Betrieben und auf Baustellen zu ergreifen, die Disziplin der Arbeitskräfte zu erhöhen und den Kampf gegen „moralisch zersetzte Elemente" in der Partei und in den Staatsapparaten aufzunehmen. Gleichzeitig prangerte er ex cathedra'verschiedene wirtschaftliche Mißstände an und warf sich damit zum Fürsprecher aller Unzufriedenen und zum Anhänger eines fortschrittlichen Kurses auf. In einer regelrechten Säuberungsaktion wurden einige Sündenböcke exemplarisch und demonstrativ für Mängel und Versäumnisse gemaßregelt und abgesetzt, z. B. Balysch Owesow, Erster Sekretär und Mitglied des ZK der KP Turkmenien, im Dezember 1969 In Aserbaidshan lief die Säuberungswelle im März dieses Jahres an und fand ihre Opfer in der höchsten Parteispitze. Der Vorwurf war regelmäßig so, daß er bei den Bevölkerungsmassen Eindruck machen mußte; er lautete meist auf Korruption und Amtsmißbrauch. Dabei wurde auch einiges sehr eingehend geschildert, z. B. die Tatsache, daß gehobene Funktionäre ihre Stellung nutzten, um ihren Kindern Zutritt zu den Hochschulen zu verschaffen

Breshnew, der früher keine Anzeichen von Chruschtschows sprichwörtlichen Redemanie gezeigt hatte, setzte sich seit Anfang dieses Jahres durch eine erstaunliche Zahl von Ansprachen aus den verschiedensten Anlässen ins Bild. Er versäumte es dabei nie, sich lebhaft und leidenschaftlich als Befürworter und Schrittmacher des technischen Fortschritts, sozialer Gerechtigkeit und tiefgreifender Reformen selbst zu rühmen. Während des XVI. Kongresses des Komsomol der UdSSR gab er die Parole aus: „Die Allianz von Wissenschaft, Technik und Produktion — das ist die Garantie für unsere Erfolge." In seiner bereits er-wähnten Rede in Alma Ata am 28. August dieses Jahres erklärte er feierlich, „es ist für Kommunisten eine Ehrensache, bei der Über-windung all dieser Mängel voranzuschreiten". Eine Referenz für die reformfreudigen Kräfte unter den Wissenschaftlern und der technischen Intelligenz kleidete er in folgende Worte: „In unserer Zeit müssen die Pläne für die technische Entwicklung der Produktion an erster Stelle stehen, über ihre Erfüllung ist nicht weniger nachdrücklich und streng Rechenschaft zu fordern, als über die Erfüllung der Produktionsaufgaben."

Das aber sind auch die Forderungen von Sacharow und Birman. Schon hieran läßt sich die Strategie des Parteichefs angesichts des XXIV. Parteitages ablesen: eine praktisch unvermeidliche Anerkennung von Mängeln und Mißerfolgen, offenes Bekenntnis zum technischen Fortschritt und Anerkennung der Bedürfnisse und Wünsche der einfachen Bürger.

Dieser innenpolitischen Marschroute entsprechen seine außenpolitischen Bestrebungen. Hier sucht er — je näher der Parteitag rückt, um so mehr — nach Erfolgen. Zweifellos war die Unterzeichnung des Gewaltverzichtsabkommens mit der Bundesrepublik am 12. August dieses Jahres ein bedeutendes Ereignis, das auch in der Sowjetunion ein starkes Echo fand. In Alma Ata würdigte er den Realitätssinn der Bundesregierung bei der Ausarbeitung des Vertrages. Diesen Beitrag zu Frieden und Entspannung in Europa stellte er als das „Resultat der langdauernden Bemühungen des Sowjet-staates und der mit ihm verbündeten Länder, als Resultat unserer Politik" dar. Auch die sich im Nahen Osten abzeichnende Entspannung rechnet er der sowjetischen Führung als Verdienst an und vergißt dabei auch nicht hervorzuheben, daß die konstruktive Haltung Nassers erst hervortrat, nachdem die sowjetische Führung mit ihm in Moskau „zuvor ganz offene, freundschaftliche und nützliche Gespräche geführt hatte"

Das zweite Charakteristikum der Marschroute der sowjetischen Führung ist also, der Bevölkerung ihres Landes Erfolge für Frieden und Entspannung vorzuführen. In die gleiche Richtung zielt auch die Forderung nach Einberufung einer europäischen Sicherheitskonferenz. Informationen über die wachsende wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und den westeuropäischen Staaten begünstigen die freundliche und hoffnungsträchtige Atmosphäre in dieser Hinsicht noch weiter.

Und doch lassen sich einige Probleme in der sowjetischen Führung nicht durch persönliche Erfolge der Politbüromitglieder lösen. Dieses Spitzengremium der Partei hat heute elf Mitglieder und neun Kandidaten. Acht der elf Mitglieder sind im März 1971 älter als 61 Jahre. Breshnew selbst wird dann 65, sein engster Mitarbeiter, der Vorsitzende des Ministerrates der UdSSR, Aleksej Kossygin, 67 und schließlich der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, N. W. Podgornyj, wird sogar 68 Jahre alt sein. Diese Troika dürfte im kommenden Jahr aller Wahrscheinlichkeit nach wiedergewählt werden. Damit nimmt die Führungsspitze der zweitstärksten Macht dieser Erde den ersten Platz nach dem Lebensalter ein.

Veränderungen in der offiziellen politischen Elite spielen sich ausschließlich innerhalb ein und derselben Generation ab, selbst wenn ein gewisser Altersunterschied vorliegt. Generation bedeutet hier weniger das Geburtsjahr, als vielmehr: wann die Mentalität geprägt und unter welchen Bedingungen Karriere gemacht wurde. Wichtig ist auch die Position zum Zeitpunkt von Stalins Tod. Wie mächtig Breshnews Generation auch noch sein mag, das Nachwuchsproblem wird damit zu einer drängenden Frage. Im Politbüro wie im Zentralkomitee ist aber von geeigneten Nachwuchs-kräften nichts zu sehen.

Die Sowjetunion ging also mit einer großen Zahl ungelöster Probleme in die siebziger Jahre. Es ist zu hoffen, daß die siebziger Jahre Jahre der Entspannung und einer schwindenden Kriegsgefahr sein werden. Das bedeutet aber auch, daß nicht mehr das Waffenarsenal über die Machtstellung der Staaten entscheiden wird, sondern die Fähigkeit, System und Gesellschaft an die Erfordernisse der revolutionären Entwicklung in Wissenschaft und Technik anzupassen und der Bevölkerung menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewähren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. W. Nowoshilow, Plan i chosrastschet — polemitscheskije sametki o chode ekonomitscheskoj reformy (Plan und wirtschaftliche Rechnungsführung — polemische Bemerkungen zum Verlauf der Wirtschaftsreform), in: Literaturnaja Gaseta, Nr. 15 vom 8. 4. 1970.

  2. „Sowetskoje gosudarstwo i prawo", Nr. 15/1969, S. 90.

  3. A. Birman, Reforma. God pjatyj. Mysli posle plenuma (Die Reform. Fünftes Jahr. Gedanken nach dem Plenum), in: Literaturnaja Gaseta, Nr. 7 vom 11. 2. 1970.

  4. Vgl. Ekonomitscheskaja Gaseta Nr. 7/1969, Beilage S. 2.

  5. Vgl. Sowetskoje gosudarstwo i prawo, Nr. 5/1969, S. 92.

  6. Ebda.

  7. Vgl. Trud, vom 19. 10. 1968.

  8. Ein Bericht über das Seminar in Leningrad erschien in: Sozialistitscheskaja Industrija vom 5., 7. und 9. August 1970; siehe auch den Leitartikel in der Iswestija vom 5. 8. 1970.

  9. Prawda vom 25. 8. 1970.

  10. Je. F. Sulimow, Saschtschita sozialistitscheskogo otetschestwa — obschtschaja sakonomernost rasDie

  11. Nach dem in der Neuen Zürcher Zeitung vom 22. und 24. 4. 1970 veröffentlichten Text.

  12. W. Nowoshilow, Plan .... a. a. O.

  13. Sarja Wostoka vom 5. 6. 1969.

  14. Sarja Wostoka vom 11. 10. 1969.

  15. Sozialistitscheskaja Industrija vom 18. 8. 1970.

  16. Prawda vom 21. 8. 1970.

  17. Iwan Dsjuba, Internationalism or Russification, London 1968.

  18. Turkmenskaja Iskra vom 26. 12. 1969.

  19. Bakinskij Rabotschij vom 22. 3. 1970.

  20. Prawda vom 29. 8. 1970.

  21. Ebda.

Weitere Inhalte

Borys Lewytzkyj, geb. 1915 in Wien, Magister der Philosophie der Universität Lemberg, Mitarbeiter wissenschaftlicher Institute und Fachzeitschriften, Autor verschiedener Bücher über die innere Entwicklung der Sowjetunion, darunter: Die Kommunistische Partei der Sowjetunion — Porträt eines Ordens, Stuttgart 1967; Die Gewerkschaften in der Sowjetunion — Geschichte, Aufgaben und Stellenwert der Gewerkschaften in der sowjetischen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1970.