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Entgegnung auf Wolfgang Hinrichs Kritik an meinem Aufsatz „Grundschulpraktiken 1970" | APuZ 22/1971 | bpb.de

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APuZ 22/1971 Grundgesetz und Sittengesetz Aufgaben und Probleme des Schulpraktikums Aus der Sicht eines Studenten Aus der Sicht eines Mentors Aus der Sicht eines Dozenten Erwiderung auf den Aufsatz von Helmut Keil — „Grundschulpraktikum 1970" Entgegnung auf Wolfgang Hinrichs Kritik an meinem Aufsatz „Grundschulpraktiken 1970"

Entgegnung auf Wolfgang Hinrichs Kritik an meinem Aufsatz „Grundschulpraktiken 1970"

Helmut Keil

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In der vorliegenden Arbeit werde ich von Wolfgang Hinrichs persönlich angesprochen und bezüglich meines Aufsatzes „Grundschulpraktikum 1970" angegriffen. Man beachte zunächst Inhalt und Tonfall, in dem das geschieht; es ist offensichtlich, daß ich Hinrichs da Sachlichkeit nicht vorzuwerfen brauche. Radikalismus, Dilettantismus, Apo-Manier — das ist ein bißchen zu billig!

Der Bericht über die Handhabung der Schulpraktika in Westfalen ist informativ, trifft aber nicht mein Problem und ist daher keine Entgegnung auf meine Arbeit. Denn erstens bezieht er sich nur auf Studenten der Pädagogischen Hochschule, also künftige Grund-und Hauptschullehrer, die einen ganz anderen Ausbildungsgang haben als Gymnasiallehrer, zweitens kritisiere ich nicht die Form meines Praktikums (genauer: der Hospitation), sondern die Grundschule und vor allem ihr System, einschließlich der damit zusammenhängenden gesamtgesellschaftlichen Mechanismen.

In wesentlichen Punkten jedoch ist der Beitrag eine Bestätigung meiner Kritik und besonders, was die Ausbildnug der Lehrer angeht, eine eingehende Exemplifikation eines einzigen Aspekts meiner Arbeit, der Forderung nach besserer Ausbildung (vgl. Kap. V). Allerdings würde ich jenen Hinrichsschen Satz anders fassen: Mein Beitrag sollte mit der Frage gelesen werden, ob er nicht eine Praxis beschreibt, die sich der Theorie immer mehr entfremdet hat, als Beispiel für eine untheoretische, entwissenschaftlichte Praxis.

Unter diesem Aspekt möchte ich die konzise Darstellung von Werner Holtrode besonders hervorheben. Seine Bemerkung „er (der Student) ist noch keiner Institution auf Lebenszeit verpflichtet", weist genau auf die fatalen Umstände hin, unter denen die vom System vereinnahmten Lehrer (Beamte auf Lebenszeit) Dienst zu tun haben, ungeachtet aller noch so wichtigen und fundierten individuellen Einsicht — und seine Forderung nach einem theoretischen feed-back bestätigt meine Darstellungen auch aus seiner Sicht.

Selbstverständlich ist eine praxisnahe Ausbildung anzustreben, für jeden Beruf; wenn es aber um bessere, d. h. humanere Verhältnisse in der Schule geht, darf man einem Problem-kreis nicht ausweichen: Der Frage von Autorität und Hierarchie. Das ist der zentrale Punkt meiner Ausführungen. Allerdings kann diese Fragen eben nicht in Orientierung an der gegenwärtigen Praxis gelöst werden. Eine Lehrerausbildung, die das übersieht, ist von vornherein lückenhaft und auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt, weil sie die Autoritätskonflikte in Schule und Gesellschaft nicht zu lösen sucht, sondern konserviert. Alle drei Beiträge klammern die konsequente Behandlung dieses Schlüsselproblems aus; dagegen spricht Hinrichs — reichlich verbrämt, aber im Grunde doch banal — von „Autorität kraft Gesetzes" und dient so in der Tendenz der Rechtfertigung der vorhandenen autoritären Strukturen.

Die allgemeine Interdependenz von Schule und Gesellschaft ist erkannt, wird auch mehrfach angesprochen, bleibt aber dennoch in seltsamem Halbdunkel. Man vergleiche dazu etwa den letzten Satz des Beitrags von Wilfried Böhl, auch die nicht weniger alibihaften Passagen in Hinrichsens Text. Etwas differenzierter zwar weist Holtrode auf Zusammenhänge hin, jedoch läßt auch er offen, ob die Grundschule nicht immer noch zu Unmündigkeit und Untertanentum erzieht. — Einerseits wird die Zusammenarbeit mit den Eltern befürwortet wo sie tatsächlich versucht wird, ist man flink mit Stoßtrupp-Theorien und ähnlichem Unsinn bei der Hand (Hinrichs).

Vor einem solchen Hintergrund überzeugen dann auch die mehrfachen Demokratisierungs-Forderungen oder -Bekenntnisse nicht mehr ganz. Was heißt Demokratisierung der Schule? Erziehung zur Demokratie? Soll diese sich etwa in der Ausübung der sog. sozial-integrativen Unterrichtsform erschöpfen? Wieweit wird Schulorganisation und -bürokratie davon miterfaßt? Werden unnötige Autoritäten abgebaut? Handelt es sich dabei nicht um bloß formale Demokratisierung? Und welche weiteren Konsequenzen ergeben sich daraus für die Lehrerausbildung?

Das eigentliche Problem ist also tatsächlich politischer Natur, denn es gibt ja keine Erziehung, die unpolitisch wäre. Dann sollte man es sich aber auch nicht zu leicht machen, etwa nach dem Motto: Demokratische Erziehung — ja! Aber kritisiert um Himmels willen nichts an „unserer Ordnung"!

Fussnoten

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Helmut Keil, geb. 1942, nach Absolvierung einer kaufmännischen Lehre Externen-abitur durch Fernstudium; seit 1967 Studium der Germanistik und Anglistik an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichung: Grundschulpraktikum 1970. Auswertung und Bemerkungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochen-zeitung DAS PARLAMENT, B 5/71, 30. Januar 1971.