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Medienpolitik zwischen Theorie und Praxis | APuZ 49/1975 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 49/1975 Medienpolitik zwischen Theorie und Praxis Plädoyer für ein Gesetz Warum ein Presserechtsrahmengesetz? Die Meinung der Opposition Am Grundgesetz vorbei Rechtliche Schranken einer gesetzlichen Regelung der „Inneren Pressefreiheit" „Innere Pressefreiheit" in den Händen der Juristen. Rückblick auf die Gutachtenszene Tendenzschutz in gewerkschaftlicher Sicht Publizistische Mitbestimmung durch Redaktionsvertretungen Die Rolle von Wissenschaftlern im Streit um Medienpolitik. Anmerkungen zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes Der Fall Hannover Ein Redaktionsstatut -hat es sich bewährt? Götter oder Knechte? Zum SelbstVerständnis der Journalisten

Medienpolitik zwischen Theorie und Praxis

Ansgar Skriver

/ 5 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die seit 1971 auch auf Parteitagen der Bonner Regierungskoalition lebhaft diskutierte Medienpolitik ist zum Stillstand gekommen. Gesetzesvorhaben wie das Presserechts-rahmengesetz und die Fusionskontrolle liegen in den Schubladen. Die Pressekonzentration geht weiter. Meinungsvielfalt und die Rechte des Bürgers auf Information bleiben öffentlich erhobene Forderungen. Diese Veröffentlichung sammelt noch einmal die Argumente der medienpolitischen Exponenten von SPD und FDP sowie die Gegenargumente des Medienexperten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Dabei geht es insbesondere um die „innere Pressefreiheit“. Die Stellungnahme des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger zu einem ersten und unvollständigen Gesetzentwurf über die Rechtsverhältnise der Presse vom Sommer 1974 enthält den Standpunkt derer, die den Status quo gegen die seit 1969 in Regierungserklärungen wiederholt angekündigte Reform verteidigen. Diese Stellungnahme wird durch Rechtsgutachten abgesichert, über die ebenfalls berichtet wird. Daß es juristische, demokratietheoretische und organisationswissenschaftliche Kritik an diesen Gutachten gibt, zeigt ein weiterer Beitrag. Ein Gewerkschafter begründet die Forderung nach voller Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auch auf Presseunternehmen, ein Journalist spricht sich für publizistische Mitbestimmung durch Redaktionsvertretungen aus. Überlegungen zur Aufgabe ces Reformgesetzgebers folgen zwei Berichte über praktische Erfahrungen in Hannover und Dortmund. Die Glosse eines prominenten ehemaligen Chefredakteurs über das Selbstverständnis seiner Berufskollegen rundet die Problemdarstellung ab.

Das „Zeitungssterben" geht weiter. Die Pressekonzentration als Folge wirtschaftlicher und technischer Zwänge ist nicht aufzuhalten.

Allgemeine Wirtschaftslage, Kostensteigerungen, Anzeigenrückgänge beschleunigen diesen Prozeß. Im nordrhein-westfälischen Landtag hat die oppositionelle CDU-Fraktion gefordert, anhand des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb müsse untersucht werden, ob im Ruhrgebiet ein mit Bezugs-und Anzeigenpreisen ausgetragener „Vernichtungswett-

bewerb“ zwischen Zeitungsverlagen im Gang sei. Angesichts der fortgesetzten Expansionspolitik der größten westdeutschen Regional-zeitung, der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), prüft die Düsseldorfer Landesregierung, ob bei Pressekonzentrationsbewegungen in Nordrhein-Westfalen mißbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung droht. Die Einstellung von Lokalausgaben der Essener Neue Ruhr/Rhein-Zeitung (NRZ) in Köln und Aachen und die spektakuläre Gründung einer Kooperationsgesellschaft zwischen der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ und der NRZ per 1. 1976 sind weitere Alarmsignale. Diese wirtschaftlich-technische Kooperation unter Beibehaltung getrennter Redaktionen und Zeitungen findet seit dem 1. 1. 1975 bereits zwischen der WAZ und der Dortmunder „Westfälischen Rundschau" statt. Während die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage unter dem Vorbehalt einer noch nicht möglichen endgültigen Stellungnahme festgestellt hat, „daß der Vertrag (über diese Kooperation) geeignet erscheint, die Meinungsvielfalt im Ruhrgebiet weiter einzuschränken" 1), erwartet der WAZ-Chefredakteur Siegfried Maruhn „nicht eine Schwächung, sondern vielmehr eine Stärkung des publizistischen Wettbewerbs" Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Medienpolitik" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Professor Hans Hugo Klein MdB, beobachtet die zunehmende Pressekonzentration in Nordrhein-Westfalen dagegen mit „äußerster Besorgnis" und regte sogar an, auch für Presseverlage* die Einführung von Wirtschaftsausschüssen (s. Eugen Stotz, S. 30 ff.) zu prüfen

Ein Sachverständigenausschuß des Europarats hat Ende 1974 einen umfangreichen Bericht über „Ausmaß und Folgen von Vorgängen der Pressekonzentration" mit Empfehlungen an die Regierungen über mögliche Maßnahmen wirtschaftlicher Unterstützung abgeschlossen Dabei stützte er sich auf die politische Aufgabe: „Sicherung der Geltung des Rechts auf Information und freie Meinungsbildung, wie in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert."

Vier Faktoren haben nach Meinung dieses Ausschusses dazu beigetragen, daß von der Pressekonzentration erwartete Beeinträchtigungen des Rechts auf Information und freie Meinungsäußerung verringert wurden: die Existenz unterschiedlicher Hörfunk-und Fernsehprogramme; Vertriebsverbesserungen ermöglichen den Bezug andernorts herausgegebener Zeitungen; ein Trend zu größerem Meinungsspektrum in einzelnen Zeitungen; Zeitschriften vermitteln ebenfalls allgemeine und politische Informationen.

Unter „Konzentration" versteht der Sachverständigenausschuß des Europarats: ,, a) jede Verringerung der Zahl der Zeitungen (Objekte mit Vollredaktionen), die in einem Land oder in einer Region veröffentlicht werden oder sich an einen bestimmten Personenkreis richten; b) die Konzentration der Eigentumsrechte oder der faktischen Beherrschung verschiedener Zeitungen durch eine Einzelperson oder eine Verlagsgruppe." 1954 gab es in der Bundesrepublik 225 soge-nannte „Publizistische Einheiten", d. h. Zeitungen, die jeweils einen gemeinsamen allgemeinen politischen Teil (Mantel) besaßen. Diese Zahl verringerte sich bis September 1975 um 104, also fast die Hälfte, auf 121. Die Zahl der Verlage, die Tageszeitungen herausgeben, ist von 624 im gleichen Zeitraum auf 421 gesunken. In den Mitgliedstaaten des Europarats ist die Zahl der „Publizistischen Einheiten" zwischen 1955 und Ende 1973 um etwa 35 v. H., * die Zahl von deren Erscheinungsorten um etwa 25 v. H. zurückgegangen. Der von den vier größten Presseunternehmen eines jeden Landes kontrollierte Auflagenanteil ist. durchschnittlich von 35 v. H. auf 45 v. H. gestiegen; die Gesamtauflage aller Zeitungen nahm um 30 v. H. zu bei einem Bevölkerungswachstum von rund 17 v. H. Der sich steigernde sehr scharfe Wettbewerb hat nicht nur die redaktionellen und vertrieblichen Kosten vermehrt, sondern oft auch die Produktqualität: „Die Leser der meisten Zeitungen erhalten heute mehr für ihr Geld als zu Beginn des Berichts-zeitraumes 1955." Aber die Sachverständigen kommen auch zu skeptischen Schlußfolgerungen: „Ganz besondere Aufmerksamkeit verdient wegen möglicher bewußter oder unbewußter Unterdrückung von Nachrichten oder wichtiger Meinungen der Bereich der Kommunalpolitik in Ein-Zeitungs-Kreisen." Mittlerweile erscheint in 40 v. H.der regionalen oder lokalen Gebiete der Bundesrepublik nur noch eine Zeitung mit aktuellem Lokalteil; in diesen Ein-Zeitungs-Kreisen lebte 1954 nur jeder zwölfte, heute bereits jeder dritte Bundesbürger.

Seit Jahrzehnten ist über den Widerspruch diskutiert worden, daß die Presse einerseits für den demokratischen, öffentlichen Prozeß unentbehrliche Voraussetzung ist, daß sie aber andererseits als Privateigentum von Presseunternehmern deren wirtschaftlicher und geistiger Disposition am Markt unterliegt. Sie soll ihren Eigentümern Gewinn bringen und zugleich demokratische Einstellungen fördern. Der CDU-Politiker Klein setzt diejenigen, die das Presseprodukt hervorbringen, nämlich Verleger und Journalisten, gleich. Nach seiner Ansicht „wird der Informationsapparat von Verlegern, den Inhabern der institutioneilen Basis, und Redakteuren, den Produzenten von Informationen und Meinungen, beherrscht" (s. S. 14). Da ist es schon realistischer und im Auftrag der Zeitungsverleger durch Rechtsgutachten untermauert, daß es eine „bisher nicht durch Normen eingegrenzte subjektive Pressefreiheit der Verleger und Herausgeber von Druckerzeugnissen" gibt (s. G. Steindl, S. 21). Nach Auffassung des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger „gehört es zu den elementarsten Prinzipien eines freien Pressewesens, daß es auch über seine internen Verfahren selbst bestimmt" (s. S. 18). Diese Selbstbestimmung ist die uneingeschränkte Freiheit nicht eines „Pressewesens", sondern der Eigentümer von Presseunternehmen, Journalisten durch Vertragsabschluß ihrer arbeitsrechtlichen Direktion zu unterstellen.

Nachdem es seit den zwanziger Jahren — bei Unterbrechung durch die nationalsozialistische Gleichschaltung der Presse 1933— 1945 — nicht gelungen ist, in Tarifverhandlungen die von Verlegerseite bestrittene Konkretisierung des Grundrechts der Bürger auf Information auch auf die Binnenstruktur der Presse („Innere Pressefreiheit") zu beziehen, fühlte sich die sozialliberale Koalition zu medienpolitischer Gesetzgebung herausgefordert. Doch über medienpolitische Parteitagsbeschlüsse (SPD 1971, FDP 1973) und Medien-Diskussi-onspapiere (CDU/CSU 1974) ist man nicht hinausgekommen, sei es wegen der Kompliziertheit der Materie, wegen Desinteresses an der Presse-Problematik (z. B. bei Bundeskanzler Schmidt) oder wegen des Respekts mancher Politiker vor Verleger-Macht in Wahlkampfzeiten. Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Loccum im März 1975 erklärte Hellmut Sieglerschmidt, MdB, Obmann der Arbeitsgruppe Presse und Medien der SPD-Bundestagsfraktion, wenn es nicht gelinge, einen Entwurf zum Presserechtsrahmengesetz noch vor den Parlamentsferien 1975 einzubringen, bestehe für ein solches Gesetz kaum noch eine Chance. Da braucht man nur festzustellen, daß ein solcher Entwurf auch im Herbst 1975 noch nicht einmal Kabinettsreife erlangt hat.

Im Bundestag verabschiedet werden konnte bisher nur ein Pressestatistik-Gesetz, das künftig eine bessere Beobachtung des Konzentrationsprozesses erlaubt als bisher. Das Gesetz über Presse-Fusionskontrolle ist seit anderthalb Jahren Entwurf geblieben — und selbst wenn es die Hürden des parlamentarischen Interessenkampfes überwinden sollte, kann diese kartellrechtliche Kontrollregelung die Pressekonzentration allenfalls ein wenig verzögern, nicht jedoch verhindern.

Staatliche Pressehilfe, soll sie nicht gegen das Gleichbehandlungsprinzip verstoßen und gleichzeitig alle Gefahren politischer Beeinflussung ausschließen, zudem aber auch dem „Vernichtungswettbewerb" der Großen gegen die Kleinen keinen Vorschub leisten, kommt in der marktwirtschaftlichen Ordnung dem Versuch zu einer Quadratur des Kreises gleich. Eine unabhängige Pressestiftung, die der Förderung von Pressevielfalt insgesamt dienen soll, findet nur geringe Gegenliebe bei den Verlegern, die nach Wachstum streben

Fussnoten

Fußnoten

  1. text intern, Nr. 101, 11. 11. 1975. Frage des CDU/CSU-Abgeordneten Herbert Werner; Antwort durch den Pari. Staatssekretär Gerhart Baum.

  2. Der Journalist 11/75, S. 12.

  3. Stuttgarter Zeitung, 29. 10. 1975, nach dpa.

  4. Veröffentlicht in Publizistik 3/1975.

Weitere Inhalte

Ansgar Skriver, Dipl. -Volkswirt, geb. 1934, politischer Redakteur im WDR-Hörfunk.