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Plädoyer für ein Gesetz | APuZ 49/1975 | bpb.de

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APuZ 49/1975 Medienpolitik zwischen Theorie und Praxis Plädoyer für ein Gesetz Warum ein Presserechtsrahmengesetz? Die Meinung der Opposition Am Grundgesetz vorbei Rechtliche Schranken einer gesetzlichen Regelung der „Inneren Pressefreiheit" „Innere Pressefreiheit" in den Händen der Juristen. Rückblick auf die Gutachtenszene Tendenzschutz in gewerkschaftlicher Sicht Publizistische Mitbestimmung durch Redaktionsvertretungen Die Rolle von Wissenschaftlern im Streit um Medienpolitik. Anmerkungen zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes Der Fall Hannover Ein Redaktionsstatut -hat es sich bewährt? Götter oder Knechte? Zum SelbstVerständnis der Journalisten

Plädoyer für ein Gesetz

Burkhard Hirsch Reinhard Schmidt-Küntzel

/ 11 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die seit 1971 auch auf Parteitagen der Bonner Regierungskoalition lebhaft diskutierte Medienpolitik ist zum Stillstand gekommen. Gesetzesvorhaben wie das Presserechts-rahmengesetz und die Fusionskontrolle liegen in den Schubladen. Die Pressekonzentration geht weiter. Meinungsvielfalt und die Rechte des Bürgers auf Information bleiben öffentlich erhobene Forderungen. Diese Veröffentlichung sammelt noch einmal die Argumente der medienpolitischen Exponenten von SPD und FDP sowie die Gegenargumente des Medienexperten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Dabei geht es insbesondere um die „innere Pressefreiheit“. Die Stellungnahme des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger zu einem ersten und unvollständigen Gesetzentwurf über die Rechtsverhältnise der Presse vom Sommer 1974 enthält den Standpunkt derer, die den Status quo gegen die seit 1969 in Regierungserklärungen wiederholt angekündigte Reform verteidigen. Diese Stellungnahme wird durch Rechtsgutachten abgesichert, über die ebenfalls berichtet wird. Daß es juristische, demokratietheoretische und organisationswissenschaftliche Kritik an diesen Gutachten gibt, zeigt ein weiterer Beitrag. Ein Gewerkschafter begründet die Forderung nach voller Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auch auf Presseunternehmen, ein Journalist spricht sich für publizistische Mitbestimmung durch Redaktionsvertretungen aus. Überlegungen zur Aufgabe ces Reformgesetzgebers folgen zwei Berichte über praktische Erfahrungen in Hannover und Dortmund. Die Glosse eines prominenten ehemaligen Chefredakteurs über das Selbstverständnis seiner Berufskollegen rundet die Problemdarstellung ab.

oder doch wenigstens reelle Aussicht auf wirtschaftliches überleben haben. Sollen sie sich an einer Kasse beteiligen, die aus übergeordneten Gründen der Meinungs-und Pressevielfalt die ungeliebte Konkurrenz am Leben erhält? Da bleiben sie lieber bei den alten Forderungen nach Mehrwertsteuererlaß auf Vertriebserlöse, ermäßigten Postgebühren oder Steuererleichterungen — Konzentration hin oder her.

Ratlosigkeit hat sich ausgebreitet. Obwohl existentielle Interessen derer, die letztlich bestimmen, was in den Zeitungen steht, die breite Behandlung vieler medienpolitischer Probleme in der Öffentlichkeit behindern, sind die Probleme doch vielen bewußt geworden. Aber der Status quo erweist sich in allgemein reformfeindlicher Zeit als stärker. Die folgenden Beiträge sollen über ungelöste Widersprüche informieren. „Ich, der ich ein Viertel Jahrhundert lang Journalist bin — mit einigen Unterbrechungen in der aktiven Politik — und auch viele Jahre lang Prokurist eines mittelgroßen Druck-und Verlagshauses war, habe nie begrifien, daß es für die Frage der , Inneren Pressefreiheit'keine vernünftigen Lösungen geben soll.“ (K. -H. Flach)

Spätestens auf das Ende des Deutschen Kaiserreichs 1918 lassen sich die — bisher vergeblichen — Bemühungen zurückdatieren, den Medien in Deutschland ein einheitliches Presserecht zur Verfügung zu stellen. Zwar galt schon seit dem 7. Mai 1874 in Deutschland das „Reichs-Preß-Gesetz". Doch dieses enthielt keine Vorschriften über die Kompetenzenabgrenzung zwischen Verlegern und Redakteuren bei der publizistischen Gestaltung der Zeitung. Es beschränkte sich im wesentlichen auf ordnungspolitische Vorschriften und Begriffsbestimmungen, z. B. die Zulassungsfreiheit der Presse, die Definition einer Druckschrift i. S.des Gesetzes, das Impressum, das Gegendarstellungsrecht und den Umfang der Beschlagnahmemöglichkeiten. 1924 gab es zwei erste Anläufe: Den Referen-ten-Entwurf eines „Gesetzes über die Rechte und'Pflichten der Schriftleiter periodischer* Druckschriften" des Reichsministeriums des Innern; sowie den Entwurf eines „Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Redakteure" des Reichsverbandes der deutschen Presse (einer Standesvereinigung der Journalisten und Schriftsteller).

Beide Entwürfe wollten die Kompetenzen von Verlegern und Redakteuren gesetzlich gegeneinander abgrenzen, also die innere Verfassung der Presseunternehmen regeln. Das konnte in Kenntnis der seinerzeitigen Verhältnisse nur die Festschreibung von Mindest-Rechten der Journalisten für ihre redaktionelle Arbeit bedeuten.

Das Jahr 1933 stoppte nicht nur diese Entwicklung, sondern brachte mit dem Schriftleitergesetz vom 4. Oktober desselben Jahres die konsequente Gleichschaltung der deutschen Presse: denn Diktatur und freie Presse sind so unvereinbare Gegensätze wie Diktatur und liberaler Verfassungsstaat.

Die Verfassungsberatungen nach 1945 führten zur Aufnahme des Grundrechts der Meinungs-, Informationsund Pressefreiheit als Artikel 5 in das neugeschaffene Grundgesetz Dabei waren sich die Vertreter aller Parteien im Parlamentarischen Rat darüber einig, daß ein Pressegesetz des in das neugeschaffene Grundgesetz 2), Dabei waren sich die Vertreter aller Parteien im Parlamentarischen Rat darüber einig, daß ein Pressegesetz des Bundes zur Konkretisierung von Art. 5 GG folgen müsse. Folgerichtig legte 1952 der damalige Innenminister Lüders den Entwurf eines „Gesetzes über das Pressewesen (Bundespressegesetz)" vor, der auch das Innenverhältnis Verleger—Redakteur regelte. Die weltweite politisch-konservative Erstarrung in den 50er Jahren — in der Bundesrepublik gekennzeichnet u. a. durch die Einführung des politischen Strafrechts — war diesem Entwurf nicht eben förderlich. Er verschwand in der Versenkung. Die in loser Folge zwischen 1964 und 1966 3) erlassenen Pressegesetze der Bundesländer ersetzten und ergänzten im wesentlichen das alte „Reichs-Preß-Gesetz"; Aussagen zur Binnenstruktur der Presse waren in ihnen nicht vorhanden.

S In diese Lücke stießen in den 60er Jahren die Tarifpartner: Verleger-und Journalisten-verbände verhandelten über einen Tarifvertrag über die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Verlag und Redaktion. Beiden Seiten erschienen damals ausgewogene Rahmenbedingungen für die Sicherung auch eines journalistischen Freiraums notwendig. Diese Tarifverhandlungen wurden nach dem Prinzip des „stop and go" aufgenommen, abgebrochen, aufgenommen . .. und 1974 zum vorläufig letzten Mal wieder ergebnislos abgebrochen.

Erst das Kabinett Brandt/Scheel zog in seiner Regierungserklärung 1973 aus dem jahrzehntelangen Hin und Her die Konsequenz: „Zur Pressefreiheit und Medienfreiheit gehört die Freiheit i n der Presse und i n den Medien. Die Arbeit am Entwurf des Presserechtsrahmengesetzes ist darum vordringlich." 4) Das Kabinett befand sich damit — was heute von der parlamentarischen Opposition gern bestritten wird — nicht allein in die Kontinuität früherer parlamentarischer Mehrheiten 5) und auch späterer versprengter Forderungen aus den Reihen der CDU/CSU Er griff damit auch die Initiative des Professoren-„Arbeitskreises Pressefreiheit" und den Appell des 49. Deutschen Juristentages 1972 in Düsseldorf auf, der den Gesetzgeber mit 120 gegen 46 Stimmen bei einer Enthaltung aufgefordert hatte, „zur Sicherung einer freien Presse und der freien, umfassenden Information und Meinungsbildung ... die innere Ordnung von Presseunternehmen gesetzlich zu regeln".

Inzwischen scheint es jedenfalls pro forma vertretenes Gemeingut aller im Bundestag vertretenen Parteien zu sein, daß es einen wie auch immer ausgestalteten institutioneilen Rahmen für die Zusammenarbeit von Verlegern und Journalisten in einer Zeitung geben müsse. Die SPD verabschiedete 1971 modellhafte Grundsätze. Die F. D. P. sprach sich mit der Verabschiedung ihrer „Wiesbadener Leitlinien" 1973 als erste Partei uneingeschränkt für eine detaillierte gesetzliche Regelung aus. Auch die CDU/CSU spricht inzwischen von Partnerschaft zwischen Verlegern und Journalisten, die durch freiwillig ausgehandelte Redaktionsordnungen oder gar tarif-vertragliche Vereinbarungen — auch wenn diese kaum zu erwarten sind (s. o.) — erreicht werden soll. Nur hat sie bis heute noch kein von einem bzw. zwei Parteitagen diskutiertes, verabschiedetes und damit auch verbindliches Medienprogramm, sondern lediglich ein (bisher auch nur vom CDU-Bundesausschuß im März 1975 unter dem Vorbehalt redaktioneller Überarbeitung und weiterer Beschlußfas-sung „im Grundsatz" angenommenes) „medienpolitisches Konzept"

Die Freien Demokraten haben sich mit ihren klaren Vorschlägen am weitesten nach vorn gewagt. Sie zogen sich nach Verabschiedung ihrer „Leitlinien" den geballten Zorn des „Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger" zu: In einer bis dahin beispiellosen Anzeigenkampagne wurde den Liberalen nichts Geringeres als die Strangulierung der Pressefreiheit unterstellt. Die organisierten Verleger zogen dabei bedenkenlos und ohne die geringste Rücksichtnahme auf die entgegengesetzte Meinung der Mehrheit der bei ihnen arbeitenden Journalisten in und mit ihren Zeitungen gegen die F. D. P. -Vorschläge und damit gegen ein Presserechtsrahmengesetz zu Felde.

Unbeeinflußt von dieser Kampagne einigten sich 1974 Experten beider Koalitionsfraktionen in monatelangen Verhandlungen auf die Eckwerte eines Modellvorschlages für ein Presserechtsrahmengesetz.

Das Gesetzgebungsverfahren lief dennoch nicht reibungslos an. Indiskretionen verschiedenster Art — so die Veröffentlichung von längst überholten Textvörschlägen — brachten prompt Maximalforderungen der Verleger-wie der Journalistenseite ein und erschwerten damit das weitere Verfahren.

Ein Presserechtsrahmengesetz heute fordern heißt die strukturelle Bedeutung von Artikel 5 GG für ein demokratisches Staatswesen anerkennen. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit, der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit ist die Voraussetzung für die Bewahrung und Ausübung aller anderen Grundrechte. Es sichert Vielfalt und Wettbewerb der Meinungen und Ideen in einer freien und offenen Gesellschaft und ist somit die Voraussetzung für die verantwortliche Willensbildung des aufgeklärten und mündigen Bürgers in der parlamentarischen Demokratie.

Um diesen Informationsanspruch des Bürgers erfüllen und dadurch demokratische Entscheidungsprozesse erst ermöglichen und absichern zu können, nehmen Verleger und Journalisten treuhänderisch ihr „subjektives Grundrecht" der Pressefreiheit wahr. Beide, Verleger und Journalisten, können ihre Aufgabe nur bei weitestgehender Unabhängigkeit von sachfremden Einflüssen oder gar Pressionen erfüllen. In Analogie zu Art. 21 GG ließe sich daher formulieren und postulieren: „Die Presse wirkt bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen.“

Verlegern und Journalisten steht das . berufliche’ Grundrecht der Pressefreiheit gemeinsam zu Dem muß die Organisation der publizistischen Arbeit, das entsprechende Zusammenwirken von Verleger und Redakteuren Rechnung tragen. Das heißt, Pressefreiheit gern. Artikel 5 GG ist erst dann gegeben, wenn auch innerhalb eines Presseunternehmens eine Art . publizistische Gewaltenteilung’ besteht. Erst wenn die Aufteilung der publizistischen Kompetenzen in einem Mindestumfang freiheitlich ausgewogen ist, kann von der erforderlichen . Inneren Pressefreiheit' gesprochen werden. Diese Innere Pressefreiheit bundeseinheitlich zu gestalten und zu garantieren, ist Aufgabe des Presserechtsrahmengesetzes. Nach Artikel 75 Zf. 2 i. V. m. 72 GG hat der Bund die Kompetenz, ein Rahmengesetz „über die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse" zu erlassen. Das Gesetz könnte und müßte im Interesse einheitlicher Verhältnisse im bundesdeutschen Pressewesen allerdings in einem Kernbereich — dem der Inneren Pressefreiheit — „punktuelle Vollregelungen" enthalten Den Ländern bliebe die Möglichkeit und Verpflichtung, den vom Bund gesetzten Rahmen innerhalb einer Frist von etwa zwei Jahren durch eigene landesgesetzliche Vorschriften auszufüllen.

Das Presserechtsrahmengesetz kann ordnungspolitische Normen enthalten, z. B. über die Sorgfaltspflicht der Presse, die Auskunftspflicht der Behörden, das Gegendarstellungsrecht, die Offenlegung der Besitz-und Beteiligungsverhältnisse eines Verlages (Stichwort „Transparenz") und die Streitwertbegrenzung.

Wenn es aber auf lange Sicht die Freiheit der Medien auch durch die Freiheit in den Medien sichern soll, dann muß es detallierte Regelungen über die Innenverfassung der Presseunternehmen enthalten. „Plötzlicher Besitzwechsel des Verlages, von langer Hand hinter den Kulissen vorbereitet, kann ganze Redaktionsteams über Nacht vor die Existenzfrage stellen ... Es ist zutiefst unbefriedigend, daß die Menschen, die Zeitungen und Zeitschriften . machen', die geistigen Träger der Publizistik, durch von ihnen nicht beeinflußbare wirtschaftliche Entscheidungen von heute auf morgen der Frucht ihrer jahrelangen Arbeit, ja ihres Lebenswerkes beraubt werden können, und das bei einem sich ständig verengenden Arbeitsmarkt." Als Karl-Hermann Flach 1967 dies niederschrieb, gab es in der Bundesrepublik immerhin noch 158 Vollredaktionen (gegenüber 225 noch 1954), die dem Bürger eine Auswahl unter Zeitungen verschiedener Art und Richtung gewährten; heute sind es nur noch 121. Oder: 1954 konnten die Bürger in 15°/o aller Kreise nicht mehr unter verschiedenen Lokalzeitungen auswählen; 1967 erhöhte sich die Zahl der Einzeitungskreise auf 25 %; heute liegt sie bei über 40 %. In diesen 40 % Einzeitungskreisen leben immerhin 30 % aller Bundesbürger. Mit anderen Worten, fast ein Drittel der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland kann nur noch eine einzige Lokalzeitung abonnieren. Wenn es keine andere Begründung gäbe, dann wäre das schon Grund genug für ein Presserechtsrahmengesetz! senden, aufeinander abgestimmten medienpolitischen Gesamtkonzepts:

Das seit dem 1. Januar d. J. geltende Pressestatistikgesetz, die in Beratung befindliche Pressefusionskontrolle und der Beschluß des Bundeskabinetts über die Gewährung wirtschaftlicher Hilfen an Tageszeitungen sollen helfen, eine vielfältige, meinungsfreudige Presse zu erhalten (und auch journalistische Arbeitsplätze zu sichern).

Das nach der Überwindung einiger Bundesratshürden nun ebenfalls in Kraft getretene Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten soll Informationsbeschaffung und -Verbreitung durch die Presse und somit den redaktionellen Freiheitsraum gegenüber potentiellen staatlichen oder privaten Interventionsversuchen absichern.

Wirtschaftliche Existenzsicherung der Presse, Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten und Presserechtsrahmengesetz sind die integralen Bestandteile ein und derselben positiven Medienpolitik, die die Presse erst in den Stand versetzt, ihren Auftrag aus Artikel 5 GG erfüllen zu können.

Das Presserechtsrahmengesetz muß die Innere Pressefreiheit absichern:

In allen Redaktionen sind Redakteurvertretungen zu bilden, die die Interessen der Redakteure gegenüber dem Verlag vertreten. Bei grundsätzlicher Beibehaltung des Tendenzschutzes für Presseunternehmen ist Für die Freien Demokraten ist das Presserechtsrahmengesetz nur ein Teil eines umfas~ die Redakteurvertretung, z. B. gemeinsam mit dem Betriebsrat, rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Verlages und der herausgegebenen Verlagsobjekte zu unterrichten. Das Ausmaß der gegenseitigen Konsultation sollte dem der übrigen Wirtschaft nicht wesentlich nachstehen.

Bei der Änderung oder Ergänzung des publizistischen Charakters einer Zeitung oder ihrer grundsätzlichen Haltung durch den Verleger (Grundsatzkompetenz") ist der Redakteurvertretung Mit-Entscheidung einzuräumen. Diese Mitsprache soll auch für die . Richtlinienkompetenz' gelten, auch wenn diese beim Chefredakteur liegt. Die tägliche Arbeit der Redaktion, die Gestaltung der Zeitung im einzelnen (, Detail-Kompetenz') muß von Einzel-weisungen des Verlegers fre bleiben.

Das Profil einer Zeitung wird wesentlich von ihrem Chefredakteur mitgeprägt. Der Redakteurvertretung ist infolgedessen bei seiner Berufung und Entlassung ein Mitspracherecht einzuräumen. Dies gilt entsprechend auch für die personellen Entscheidungen im übrigen redaktionellen Bereich.

Der Verleger soll den redaktionellen Etat nicht ohne Beratung mit dem Chefredakteur und der Redakteurvertretung aufstellen oder abändern.

Das Presserechtsrahmengesetz soll verpflichtende Mindest-Regelungen enthalten, die durch Abmachungen innerhalb der einzelnen Pressehäuser ergänzt und erweitert werden können. Insoweit wird es deutlich hinter einigen, teilweise schon mit großem Erfolg praktizierten, weitgehende Mitbestimmungsrechte einräumenden Redaktionsstatuten wie denen von „Stern", „Zeit", „Süddeutscher Zeitung“ und „Mannheimer Morgen" Zurückbleiben müssen (Zugleich verweist die weitergehende Praxis liberal geführter Verlags-häuser oppositionelle Vorwürfe wie „Verfassungswidrigkeit" und „Abschaffung des freien Verlegertums" in Verbindung mit dem Presserechtsrahmengesetz in das Reich der Ideologie.)

Das Pressereditsrahmengesetz müßte und sollte umgehend in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden, um noch in dieser Legislaturperiode, also 1976, verabschiedet werden zu können.

Diejenigen, die noch zögern, seien vor Kurzsichtigkeit und Kleinmütigkeit gewarnt. Nimmt der Bundesgesetzgeber seinen Auftrag nicht wahr, drohen Landespressegesetze höchst unterschiedlicher Natur. Nicht von ungefähr geistert der „Strelitz-Entwurf“ derzeit wieder durch die Lande. Verleger und Journalisten sollten im Interesse ihres gemeinsamen publizistischen Auftrags entschieden an einheitlichen Rahmenbedingungen für die gesamte bundesrepublikanische Presse interessiert sein.

Wer allzu kurzsichtig heute eine maßvolle Regelung der Inneren Pressefreiheit verweigert, wird sich morgen, bei zunehmender Presse-konzentration, weniger maßvollen, radikaleren Forderungen konfrontiert sehen. „Vernünftige Reformen mit Maß und Ziel zur rechten Zeit würden auch hier unangenehme gesellschaftliche Konflikte zur Unzeit vermeiden."

Schon wird gelegentlich die Forderung nach mehr oder minder „ausgewogenen" Tageszeitungen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erhoben. Ohne Reformen der vorgeschlagenen Art wird die privatwirtschaftliche Struktur der Tagespresse nicht sakrosankt bleiben können. Bürgerinitiativen in Aachen, aber auch breite Protestaktionen von Bürgern und Verlagsmitarbeitern in Stuttgart und Hannover zeigten schlaglichtartig, daß ein weiteres passives Verhalten weiter Bevölkerungskreise nicht mehr zu erwarten ist, wenn es um „ihre" Zeitungen geht.

Ein Blick über die Grenzen zeigt zweierlei. Einerseits: Unseren Gesetzesvorhaben vergleichbare Bemühungen gibt es z. B. in der Schweiz und in England; in Holland ist die Gewährung von wirtschaftlichen Hilfen an die redaktionelle Mitbestimmung gekoppelt; der Europarat hat 1974 die Erarbeitung eines Modell-Statuts für die EG-Länder gefordert. Andererseits: in Paris erscheinen dieser Tage keine Zeitungen mehr; in Italien bestimmen mehr Industrieunternehmen als . Verleger', wie und wo welche Zeitungen unter welchem Chefredakteur erscheinen. Wilde Streiks, Verlagsbesetzungen und das Nichterscheinen von

Fussnoten

Fußnoten

  1. Karl-Hermann Flach vor dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger am 7. 11. 1972, zit. in: Karl-Hermann Flach, Liberaler aus Leidenschaft, 1974, S. 219.

  2. Art. 5 GG „(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt, (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."

  3. Vgl.den Bericht des Abg. Raffert zu Zeiten der sog. Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD als Berichterstatter des Ausschusses für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik, Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Sten. Protokoll vom 2. 7.

  4. So Gerold Benz, MdB, in der FAZ vom 27. 2, 1974; Medienpapier der Jungen Union vom 12. 5.

  5. Entwurf eines Gesetzes zum Schutz freier Meinungsbildung, 1972, vorgelegt von Bachof, Bau-mann, Klug, Maihofer u. a.

  6. Medienpolitisches Konzept der CDU/CSU, März 1975, Veröffentlichung der CDU-Bundesgeschäftsstelle.

  7. Vgl. W. Hoffmann-Riem, Branahl, Mitbestimmung in der Presse, 1975 m. w. N.

  8. Bundesverfassungsgerichts -Entscheidung 20, 175 f.; 10, 121.

  9. 1) „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben. 2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger davon ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Uber die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. 3) Das Nähere regeln Bundesgesetze“.

  10. Vgl. Herzog in Maunz-Dürig-Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 GG, Randziffer 159 ff.

  11. Vgl. Herzog a. a. Ö„ Randziffer 157 ff.

  12. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig, vgl. zuletzt BVerfGE 36, 202 m. w. H.

  13. Karl-Hermann Flach, Macht und Elend der Presse, 1967, S. 135 f.

  14. Redaktionen, die ihre Zeitung in den traditionellen Ressorts Politik, Kultur, Wirtschaft, Sport und Lokales selbst gestalten.

  15. Dritte Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbs-beschränkungen (Kartellgesetz), mit der das Kartellrecht den spezifischen Bedingungen des Presse-marktes angepaßt werden soll.

  16. § 118 Betr. VerfG:

  17. Definition der Richtlinienkompetenz: „Fragen, die in ihrer Tragweite erheblich über die Tages-aktualität hinausgehen".

  18. Vgl. Hoffmann-Riem, Branal, Mitbestimmung in der Presse. Synopse der Redaktionsstatute.

  19. Entwurf, der unter Federführung des früheren hessischen Justizministers Strelitz entstanden ist und wegen seiner bürokratischen Tendenz bei vielen Verlegern und Journalisten auf Kritik stieß.

  20. Karl-Hermann Flach vor dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger am 7. 11. 1972.

Weitere Inhalte

Burkhard Hirsch, Dr. jur., geb. 1930, Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, bis Juni 1975 Fraktions-Medienspredier der FDP. Reinhard Schmidt-Küntzel, Jurist, geb. 1942, Pressereferent des Innenministers von Nordrhein-Westfalen, von 1973 bis Juni 1975 Referent für Medienpolitik der FDP-Bundestagsfraktion.