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Bildungs-und Beschäftigungssystem. Zum Verhältnis von individuellem Bildungsanspruch, ökonomisch-gesellschaftlichem Qualifikationsbedarf und staatlicher Ausbildungssteuerung | APuZ 2/1978 | bpb.de

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APuZ 2/1978 Bildungs-und Beschäftigungssystem. Zum Verhältnis von individuellem Bildungsanspruch, ökonomisch-gesellschaftlichem Qualifikationsbedarf und staatlicher Ausbildungssteuerung Finanzierung und Organisation der beruflichen Bildung in der politischen Auseinandersetzung 1974 — 1977 Ist der zweite Bildungsweg am Ende ?

Bildungs-und Beschäftigungssystem. Zum Verhältnis von individuellem Bildungsanspruch, ökonomisch-gesellschaftlichem Qualifikationsbedarf und staatlicher Ausbildungssteuerung

Lutz-Rainer Reuter

/ 55 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland ist in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren einem ganz erheblichen quantitativen Expansionsprozeß ausgesetzt gewesen; bestimmend war hierfür ein ganzes Ursachenbündel, zu dem Maßnahmen der Bildungswerbung und Bildungsmotivationssteigerung und die Forderung nach Bildungschancengleichheit und Verwirklichung des Rechts auf Bildung ebenso gehörten wie wachsende technologisch-industriestaatliche Qualifikations-und Leistungserwartungen, die Feststellung der im internationalen Vergleich eklatanten Bildungsrückständigkeit der Bundesrepublik und Kassandrarufe hinsichtlich des drohenden Verlusts ihrer ökonomischen Konkurrenzfähigkeit bei unterbleibender Bildungsexpansion. Bei einer häufig anzutreffenden oberflächlichen Betrachtung gelten die auf jene Gründe gestützten bildungspolitischen Maßnahmen der sechziger und frühen siebziger Jahre als verantwortlich für die (behaupteten) Abstimmungsprobleme (. Disharmonien’) zwischen Bildungsund Beschäftigungssystem in den späten siebziger und achtziger Jahren; vor ausbildungsorganisatorischen und -inhaltlichen dominieren heute fast ausschließlich quantitative Fragen, sei es in Gestalt des Finanzoder Ressourcenproblems (begrenzte Finanzspielräume beim weiteren Ausbau der Hochschulen, bei zügiger Kapazitätsausweitung der beruflichen Schulen, bei der Lehrerstellenvermehrung) oder sei es in Gestalt des Massen-, Bedarfsoder Arbeitsmarktproblems (ungleichgewichtete Jahrgänge, starke Zuwächse im tertiären Be-reich, Jugend-und Akademikerarbeitslosigkeit). Vereinfachenden Problemanalysen entsprechen dann simplifizierende Lösungsvorschläge: das Bildungssystem habe primär ökonomische Dienstleistungsfunktionen zu erfüllen; Ausbildungsinhalte, Qualifikationen und Abschlüsse seien an den jeweiligen Marktbedürfnissen zu orientieren; das Übergewicht gymnasialer und hochschulischer Ausbildung müsse vermindert werden. Während für die bedarfsorientierte Position Bildungspolitik abgeleitete Größe der Wirtschafts-und Beschäftigungspolitik ist, läuft die nachfrageorientierte Gegenthese auf eine deutlichere aufgabenspezifische Trennung von Ausbildungsvermittlung und beruflich-ökonomischer Verwertung hinaus; Vorrang besitze das individuelle Bildungsbedürfnis. -Da Bildungspolitik positiv die Festlegung von Zielen, Inhalten, Qualifikationen, Organisationsstrukturen und entsprechenden Ressourceneinsatz, negativ den Ausschluß möglicher Alternativen in diesen Bereichen bedeutet, kann kaum Zweifel daran bestehen, daß Bildungspolitik grundsätzlich die Bildungsnachfrage lenkt, unbeschadet der umstrittenen Frage nach ihrer Abhängigkeit von oder Unterdeterminierung durch das Wirtschaftssystem. Der Beitrag versucht, Beispiele der Lenkungsfunktion der Bildungspolitik zusammenzustellen, den bildungsökonomischen Erkenntnisstand zusammenzufassen, Ziele und Instrumente der Bildungssteuerung im parlamentarisch-föderativen System der Bundesrepublik Deutschland darzustellen und eine Analyse der aktuellen Diskussion um eine stärkere Zuordnung bzw. stärkere Entkopplung von Bildungsund Beschäftigungssystem vorzunehmen, in der sich eine bemerkenswerte . Frontverschiebung'zwischen Lenkungsbefürwortern und -gegnern nachweisen läßt. Nach einer Bestandsaufnahme der aktuellen Probleme des Bildungssystems werden die funktionalen und strukturellen Beziehungen zwischen Bildungsund Beschäftigungssystem beleuchtet; im Mittelpunkt der Untersuchung stehen der (angebliche) Zielkonflikt von Bildungsanspruch des einzelnen und qualifikatorischem Bedarf der Wirtschaft sowie die Systemfrage’ der Legitimität von Bildungslenkungsmaßnahmen (Inhalt und Reichweite der Bildungssteuerung) im politisch-gesellschaftlichen System der Bundesrepublik. Abschließend werden Folgerungen für beide Systeme kurz skizziert.

. Für mich ist es kein Argument, wenn man behauptet, der Akademiker fände am ehesten einen Arbeitsplatz; der Dr. rer. nat. als Taxifahrer und der Volljurist als Nlöbelpacker sind für mich keine Lösung ... Bildung hängt nicht an Prüfungen und Zertifikaten. Bildung hat, wer seine Person entfaltet in dem Raum und Rahmen, in den er hineingestellt ist und in dem er Verantwortung zu übernehmen beieit isL Hans Maier

„Ein Hauptübel unseres höheren Schulwesens liegt in der Überzahl gelehrter Schulen und in der künstlichen Verleitung zum Besuch derselben, welche unsere Einrichtungen üben, so daß wir gelehrte junge Männer weit über den Bedarf und über die Möglichkeiten ihrer entsprechenden Unterbringung hinaus züchten ... Die Folge hiervon ist, daß die Schüler, anstatt durch die Schule für das praktische Leben brauchbar gemacht zu werden, den Aufgaben desselben und den Verhältnissen, in welchen sie und ihre Eltern leben, entfremdet werden.“ Otto von Bismarck

„Es kann in Zukunft keine Entwicklung des Bildungswesens am Markt vorbei gehen. Eine Abkoppelung zwischen Bildungs-und Beschäftigungssystem würde die Schule in eine sozial unverantwortliche Isolierung hineintreiben. Schule und Hochschule haben in erster Linie Dienstleistungsfunktion. 3) Wilhelm Hahn

Vorbemerkung

Das Verhältnis zwischen Bildungssystem und Beschäftigungssystem hat lange Zeit nur eine relativ kleine Gruppe von Bildungsplanern und Wissenschaftlern interessiert Die vielfältigen und komplizierten Beziehungen zwi-sehen beiden Systemen traten solange nicht in ein breiteres öffentliches Bewußtsein, wie der Bedarf des Arbeitsmarktes am qualifiziertem Personal nicht befriedigt werden konnte sowie die ökonomisch-technologische und die emanzipatorisch-chancengleichheitorientierte Legitimation der Forderung nach mehr und besserer Bildung für mehr Menschen auf dasselbe (Teil-) Ziel hinausliefen, Begabungsreserven zu mobilisieren, d. h. mehr Jugendlichen aus Arbeiterfamilien und ländlichen Regionen sowie Mädchen eine qualifiziertere Ausbildung zu vermitteln. Auf dem Hintergrund des im internationalen Vergleich rückständigen westdeutschen Bildungssystems wurde die enge funktionale Beziehung von technologi-scher Entwicklung, internationaler Konkurrenzfähigkeit und wirtschaftlichem Wachstum hervorgehoben.

Diese Beziehung scheint seit einiger Zeit gestört; Jugend-, Lehrer-und wachsende allgemeine Akademikerarbeitslosigkeit gelten als Beleg für eine (numehr als . verfehlt'bezeichnete) Bildungspolitik, deren Favorisierung der höheren, insbesondere Hochschul-Ausbildung die frühere Harmonie zwischen Bildungs-und Beschäftigungssystem zerstört habe; die ökonomisch-technologisch-dynamische Legitimation der Bildungspolitik ist verdrängt, der individualistische Ansatz als Utopie abgestempelt. Qualifikationen, die über den aktuellen Erfordernissen und Nutzungsmöglichkeiten (Überqualifikation") liegen, gelten nun auf einmal als Fehlinvestitionen; denn im Ideal-falle vermittle das Bildungssystem eben nur diejenigen Qualifikationen, die das Beschäftigungssystem zum jeweiligen Zeitpunkt abrufe Als Instrument effizienten Bildungsressourceneinsatzes, marktbedarfskonformer Ausbildungssteuerung und damit wohl auch sicherer Arbeitsplatzgewährleistung (die oft . übersehene’ Nagelprobe des Bedarfsansatzes) bietet sich die inzwischen stark angewachsene Bildungsbedarfsprognostik an. Die Verweigerung von Bildungschancen für 16jährige sei humaner und ökonomischer als die Verweigerung von Berufs-und Lebenschancen für 24jährige; der auf den ersten Blick einleuchtende Satz könnte allerdings auch jene These stützen, daß Bildungsbedarfspolitik primär der Statuszuweisung, sozialen Selektion und Schichtstabilisierung diene mithin einen . Bedarf an gesellschaftlicher Ungleichheit realisiere; mit anderen Worten: die Dominanz der Nachfrageorientierung berge die . Gefahr'der Entwertung erworbener Bildungsberechtigungen, der Egalisierung bestehender Hierarchien und des Verlustes der traditionellen Legitimationsbasis sozialer Differenzierung in der bürgerlichen Gesellschaft

Instrumente, Ziele und Funktionen der Forderungen nach Verknüpfung von Bildungsund Beschäftigungssystem (Subordinationsthese) bzw. stärkerer Ausgrenzung (Entkoppelungsthese) sollen auf dem Hintergrund der skizzierten Annahmen diskutiert werden. Nach einer Bestandsaufnahme der aktuellen Probleme des Bildungssystems (I) werden die funktionalen und strukturellen Beziehungen zwischen Bildungs-und Beschäftigungssystem skizzenhaft beleuchtet (II); im Mittelpunkt stehen der (angebliche) Zielkonflikt von Bildungsanspruch und qualifikatorischem Bedarf (III) und normative Legitimitätszweifel gegenüber aktiver Bildungssteuerung (IV); einige Thesen zu den Konsequenzen für beide Systeme (V) schließen den Beitrag ab.

I. Situation des Bildungssystems

1. Skizze aktueller Probleme

Bildungssysteme sind unbeschadet mancher Versuche, ihre Institutionen, Inhalte und Vermittlungsprozesse gegen das soziopolitisch-ökonomische Konfliktfeld abzuschotten (. pädagogischer Freiraum’), Widerspiegelung der Sozialstrukturen, Herrschaftsverteilung und Interessenkonflikte. Daher sind Bildungsfragen nicht in Abgrenzung von gesellschaftspolitischen diskutierbar, ist Bildungspolitik immer auch Gesellschaftspolitik. Der zunehmend beklagte Reformdruck auf die Bildungsinstitutionen (mit der gegenaufklärerischen Forderung nach Ruhe, Stabilisierung und Re-pädagogisierung) und der allenfalls verlangsamte Wandel des westdeutschen Bildungssystems sind die bildungspolitische Komponente sozialer Veränderungsprozesse im Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutsch-land; der Konflikt um Ziele, Inhalte und Organisation insbesondere des schulischen Bildungssystems belegt den Fortfall des kraft Tradition herrschenden gesellschaftlichen Bildungskonsenses und verdeutlicht den lunktionalen Wandel formalisierter Bildungsprozesse.

Eine kurze Skizze vermittelt einen Überblick über wichtige aktuelle Strukturprobleme.

Hervorstechend im Problemspektrum der siebziger und achtziger Jahre ist das Quantitätsproblem — ein keinesfalls neuartiges The-ma, wie die . Überfüllungsdiskussion'am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts belegt Das vorwiegend noch traditionell strukturierte Bildungssystem ist dem Druck der großen Zahl ausgesetzt, verursacht durch die extrem ungleiche Entwicklung der Jahrgangsstärken einerseits und eine Modifikation in der Bildungswertschätzung andererseits (Bildung als Aufstiegsfaktor, als Emanzipationsfaktor, als Wachstumsfaktor, als gesellschaftliches Konsumgut). Die Kausalbezüge zwischen Bildungsmotivation, Bildungswerbung und Bildungsrückstandsthese sind zwar bislang nicht befriedigend geklärt, Ergebnis ist jedenfalls die expansive Entwicklung in Real-, Oberund Hochschulen.

Das Inhalts-und Qualitätsproblem hängt eng das mit dem ersteren zusammen; materielle Bildungsspektrum der . höheren'Bildungsinstitutionen hat sich nur wenig modifiziert und zeichnet sich durch sozialwissenschaftliche, naturwissenschaftliche und technische Defizite aus. Die universitären Studiengänge sind nur unzulänglich inhaltlich-zeitlich strukturiert und formalisiert. Das Massenproblem ist nicht zuletzt ein Problem unzulänglich finalisierter, inhaltlich organisierter und zeitlich limitierter Ausbildungsgänge

Für das Organisationsproblem gilt ähnliches: Mit dem traditionellen Instrumentarium eines vertikal statt integriert-differenziert strukturierten, flexiblen Schul-und Hochschulsystems kann nur unzulänglich, wenn überhaupt, der funktionale und quantitative Wan-del in der Bildungsteilhabe bewältigt werden.

Verschärfend wirkt das Berechtigungsproblem. Hierunter sind der hohe, von den individuellen Studienprogrammen weitgehend ab-gelöste Formalisierungsgrad der Abschlußtypen von Ausbildungsgängen und ihre Rangabstufung zu verstehen, die Orientierungskriterien für die Einstellungsebene und Karrierechancen im öffentlichen und — hieran orientiert — im privaten Beschäftigungssystem sind. Zwar ist angesichts der stark angestiegenen Zahl hoher und höchster Abschlußgrade die in ihrer Eindimensionalität auch in der Vergangenheit schon kaum berechtigte Erwartung nicht mehr realistisch, daß ein möglichst hoher sozioökonomischer Status nur

INHALT Vorbemerkung I. Situation des Bildungssystems 1. Skizze aktueller Probleme 2. Skizze einiger Problemursachen 3. Klärung aktueller Begriffe II. Hinweise zum Verhältnis von Bildungs-

und Beschäftigungssystem 1. Quantitative Entwicklungstendenzen 2. Ziele und Funktionen des Bildungssystems zwischen politischem und ökonomischem System 3. Parteien und Verbände zum Verhältnis von Bildungs-und Beschäftigungssystem

4. Bildungssteuerung im politischen System der Bundesrepublik Deutschland III. Bildungspolitik im Zielkonflikt von Nachfrage und Bedarf 1. Bildungsökonomische Bedarfsprognostik als Grundlage politischer Ausbildungslenkung?

2. Nachfrage versus Bedarf — eine Scheinalternative in der Bildungspolitik

IV. Bildungssteuerung in der Legitimitätsprüfung

1. Legitimitätsprobleme 2. Legitimitätsbegründung und Schranken der Bildungssteuerung V. Thesen zum Verhältnis von Bildungsund Beschäftigungssystem und zu den Aufgaben der Bildungspolitik durch eine entsprechend hohe formale Ausbildungsqualifikation erreichbar sei; gleichwohl muß jeder Versuch einer inhaltlich-funktionalen Diversifizierung von Ausbildungsprogrammen solange scheitern, wie die Beziehung von Bildungsberechtigung und Sozialstatus durch die Abschottung der Eingangsstufen im Beschäftigungssystem aufrechterhalten wird

Uber die schlichte Feststellung hinaus, daß Politik stets Konflikt um knappe Mittel und Prioritätensetzungen ist, ist Bildungspolitik heute in besonderem Maße ein Ressourcen-problem. Trotz erheblicher Ausgabensteigerungen ist der Mitteleinsatz hinter den quantitativen Entwicklungen im Bildungssystem zurückgeblieben; in Konkurrenz mit anderen Gemeinschaftsaufgaben hat Bildungspolitik nicht den hohen Rang wie in vergleichbaren Staaten erringen bzw. angesichts des Drucks der leeren Kassen halten können.

Letztlich kennzeichnet das Arbeitsmarktproblem die Schwierigkeiten des Bildungssystems; der Mangel an Ausbildungsplätzen, sektoral und regional gravierend zugespitzt, der fächerspezifisch z. T. erhebliche Mangel an Studienplätzen, die Jugend-und Jungakademikerarbeitslosigkeit haben derartige Rückwirkungen auf die Ausbildungsinstitutionen, daß ein Großteil der demokratisch-sozialen Reformziele verlorengeht.

Das Überfüllungsthema als Kausalindikator für (unterstellte) Ungleichgewichte zwischen Bildungs-und Beschäftigungssystem verdrängt alle inhaltlich-strukturellen Fragen: Als Erklärung bietet sich die gängige Formel an, die Bildungspolitik habe die funktionale Beziehung von Ausbildung, Beschäftigung und Produktivität mit ihren Postulaten Bildungschancengleichheit und Bildungsrecht mißachtet. Diese These ist näher zu überprüfen; soviel an dieser Stelle:

— Die Bildungsexpansion fand eine, wenn nicht sogar die tragende legitimatorische Stütze im technologisch-ökonomischen Bedarf an hohen Qualifikationen. Sollte sich dies heute als falsch erweisen, wäre es nicht gerade ein Argument für eine enge Verknüpfung beider Systeme. * — Schwankungen von Jahrgangsstärken können für sich kein Gegenstand der Kritik sein; Bildungs-, Arbeits-und Sozialpolitik haben vielmehr die aus derartigen Ungleichgewichten resultierenden Konflikte aktiv und prospektiv zu bewältigen.

— Die Stärke von Jahrgängen und die Gesamtzahl der Beschäftigten bzw. Arbeitswilligen liegen als Ausgangsdaten für die Bildungs-und Beschäftigungspolitik fest; in der Bedarfsdiskussion wird dies jedoch verdrängt, wenn (tatsächliche oder angebliche) sektorale Ungleichgewichtigkeiten (, Abiturientenberg') kritisiert, die quantitativ eher größeren Probleme der übrigen Sektoren jedoch unterschlagen werden.

— (Geforderte) Restriktionen im Bildungssystem holen die Selektionsfunktion aus dem Beschäftigungssystem zurück; sie verstärken damit jedoch nicht die Chancen unterer und mittlerer Abschlüsse, sondern erhöhen dort den Konkurrenzdruck und mindern die Bildungschancen. Umgekehrt begünstigen sie die Sozialchancen der kleingehaltenen Zahl der Jugendlichen mit hohen Abschlüssen und stabilisieren die Status-und Einkommensverteilung. Diese Ausbildungsabsolventen . verdrängen'dann zwar nicht mehr die Hauptschüler, abgesehen davon, daß der Begriff mehr ideologische als tatsachenbeschreibende Bedeutung hat: mehr Abiturienten bedeuten weniger Hauptschüler, d. h. Verdränger und Verdrängte sind identisch. Aber ein Verdrängungskampf bleibt — nämlich dort, wo er traditionell war: innerhalb des vertikal gegliederten Schulsystems nach Maßgabe von elterlichem Sozialstatus, Ausbildungsgrad und Milieu; , Verdrängungsprozesse'fänden wieder bei der Masse der unteren und mittleren Qualifikationsgrade statt. Der Schein der durch Bildung, Begabung und Leistung legitimierten sozialen Ungleichheit bliebe gewahrt.

2. Skizze einiger Problemursachen

Wesentliche Gründe für die aktuelle Problem-situation wurden bereits angedeutet; einige weitere seien kurz erwähnt. Die Bildungspolitik in der Bundesrepublik hat sich nicht rechtzeitig den von außen auf das Bildungssystem zukommenden Problemen zugewendet, sondern sich in wechselseitiger parteipolitischer Ideologisierung neuer Konzepte selbst erheblich paralysiert. Die Zuständigkeitspluralität hat eine Entlastungswirkung hinsichtlich der Verantwortung für länderübergreifende Probleme Statusfragen, institutioneile und formale Probleme überlagern materielle; an die Stelle nüchterner Leistungskonkurrenz zwischen alten und neuen Modellen tritt ein ideologischer Kampf um die Institutionen. Notwendige Studienreformen wurden über den Hochschulrahmengesetz-Konflikt vertagt, Studienreformkommissionen erst so spät eingesetzt, daß ihre Arbeitsergebnisse großenteils erst nach den Quantitätsproblemen greifen können. Die eigene Reformfähigkeit der Hochschulen erweist sich als gering, neue Strukturen und Arbeitsformen werden teils strukturell, teils gezielt blockiert. Wirksame Anstöße zur Ausbildungsreform seitens der Kultusministerkonferenz sind unterblieben, die Empfehlung des Wissenschaftsrates zum Tertiären Be-reich hat geringe Wirkung entfaltet. Letztlich: zufriedenstellende Ansätze zur Beseitigung der gravierenden Koordinationsmängel zwischen den Lernorten der beruflichen Bildung sind nicht in Sicht

3. Klärung aktueller Begriffe

Die Berechtigung der Forderung nach einer Koordinierung von Bildungs-und Beschäfti-

gungssystem in einer hochentwickelten Industriegesellschaft ist kaum bezweifelbar; ihre völlige Abgrenzung voneinander wäre wirklichkeitsfremd und von den ökonomischsozialen Kosten her inakzeptabel. Zwar mag für Teile einer traditionellen Pädagogik die funktionalistische Betrachtung von Bildung befremdlich sein, doch hat Bildung über einen „Wert an sich'hinaus soziopolitische Funktionen zu erfüllen. Erst recht hat Bildungspolitik wie jede Politik im Rahmen knapper Ressourcen mit Interessen, Werten und Konflikten zu tun — die bildungspolitische Entscheidung über Bildungsziele und-inhalte, über institutionelle Strukturen, Zugang und Personal ist in einem weiten Begriffssinne Nachfrage-und Bedarfslenkung. Insofern gibt es keine rein nachfrageorientierte Bildungspolitik, denn institutionell-materielle Bildungsangebote sind Steuerungsinstrumente. Umgekehrt ist kein hochentwickeltes Gesellschaftssystem vorstellbar, dessen Bildungssystem nicht auch nachfrageorientierte Elemente besäße: Bildungsvermittlung erfordert individuelle Motivation, Aktivität und Eigenentscheidung. Eine grundsätzliche Antinomie zwischen zentraler Systemsteuerung und individueller Entscheidung besteht daher nicht, Konflikte finden innerhalb des nachfragewie bedarfsteuernden Bildungssystems statt.

Nachfrage und Bedarf sind zentrale (Input-)

Kategorien, die für die quantitative und qualitative Struktur des Bildungssystems von Bedeutung sind. Beim Bedarfsbegriff ist ein umfassender (gesellschaftlicher Bedarf) und ein engerer Bedeutungsgehalt (ökonomischer Bedarf) zu unterscheiden; Bedarfsorientierung im ersteren Sinne hieße, daß Bildungspolitik die . großen'gesellschaftlichen Ziele und Bedürfnisse Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, Chancengleichheit und Solidarität, Mitbestimmung und Kommunikation, Arbeit und Konsum (Freizeit) anstrebte. Folgerungen auf einer konkreten Ebene wären die Beseitigung inhumaner Arbeit oder die Ausbildung gesellschaftlich wünschenswerter, in-des noch nicht nachgefragter Fähigkeiten.

Der engere ökonomische Bedarfsbegriff weist der Bildungspolitik einen eher passiven Part zu, ist aber gleichwohl noch nicht eindeutig hinsichtlich seiner Bezugsebene: denn der wirtschaftliche Arbeitskräftebedarf kann — isoliert oder additiv — Nachfrage nach bestimmten formalisierten Abschlüssen (z. B. Hauptschule, Abitur, Lehre), einer bestimmten Ausbildungsdauer (z. B. dreioder vierjähriges Studium), allgemeinen Sozialisationsleistungen (z. B. durch ein Juraoder Ökonomie-Studium) oder konkreten inhaltlich definierten Anforderungsprofilen sein; er kann sich innerhalb der konkreten Sparte auf Mindestoder Höchstanforderungen beziehen. Ob es im Sinne präziser Qualifikationsanforderungen überhaupt eine hinlänglich eindeutige Determination von Bedarf durch das Beschäftigungssystem gibt oder der Begriff nur ein (theoretisches oder gar ideologisches) Konstrukt ist, sei hier noch nicht weiter verfolgt. Biidungsnachfi-age bedeutet die individuelle Forderung nach Bereitstellung von institutioneilen und materiellen Bildungsangeboten nach Wahl des Nachfragers; sie ist — abgesehen von den faktischen Realisierungsproblemen eines jeden Ausbildungswunsches — unabhängig von vorhandenen resp. diskutierten Berufsbildern, Funktionen und institutioneilen Angeboten kaum vorstellbar. Sie besitzt allerdings erhebliche Relevanz bei der Forderung nach Differenzierung und Individualisierung in stark formalisierten Ausbildungsgängen sowie bei Kapazitätsproblemen in vorhandenen Institutionen. Als Nachfrage nach Qualifikationen oder ausgebildetem Personal verfließt der Begriff mit dem des ökonomischen Bedarfs; letzterer besitzt in diesem Zusammenhang eine gewisse prognostische, ersterer eine eher empirische Komponente. Bildungssteuerung bzw. -lenkung besitzen wie der Bedarfsbegriff zwei Bezugsebenen: eine Anpassungssteuerung versucht die qualifikatorischen Leistungserwartungen und quantitativen Anforderungen des Beschäftigungssystems durch Adaption des Bildungssystems möglichst optimal zu erfüllen. Sie entspräche also dem ökonomischen Bedarfsbegriff. Eine Influationssteuerung versucht nach Maßgabe der Ziele des gesellschaftlichen Bedarfs durch den Output des Bildungssystems auf das Beschäftigungs-und Wirtschaftssystem einzuwirken. Negative Steuerung bedeutet, daß die Bildungspolitik eine möglichst reibungslose Anpassung der Bildungsvermittlung und Abschlußstruktur an die Bedarfsanmeldungen des Beschäftigungssystems anstrebt und überschüssige Bildungsnachfragen abweist (Entscheidungsverhinderung); positive Steuerung (Entscheidungsstimulierung) erfolgt durch institutioneile Angebote, Anreize u. ä. — ihre Grenzen sind allerdings fließend.

Die in den Sozialwissenschaften heute gängige Verwendung des Systembegriffs sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine eindeutige Definition nicht vorliegt. Hier wird unter System im Zusammenhang mit Bil-dungs-, Beschäftigungs-, politischem, gesellschaftlichem etc. System die funktionale, personelle und strukturell-institutionelle Ausdifferenzierung gegenüber anderen Systemen verstanden. Der theoretisch-dezisionistische und praktisch-simplifikatorische Charakter des Systembegriffs sollte nicht verkannt werden; die Ziele und Funktionen im Bildungssystem sind höchst heterogen und dissensbesetzt, die Strukturen (z. B. öffentlicher und privater Ausbildungsträger) kaum vergleichbar, ja es ließen sich auch Systembildungen , quer'zu Bildungs-und Wirtschaftssystem vornehmen — das Personal des Bildungssystems ist Teil des Beschäftigungssystems. Die Verwendung der Begriffe scheint jedoch gerechtfertigt, solange es um die Erörterung grundsätzlicher Fragestellungen zwischen formalisierter Ausbildung und Beschäftigung bzw. (Bildungs-) Politik und Ökonomie geht.

II. Hinweise zum Verhältnis von Bildungs-und Beschäftigungssystem

1. Quantitative Entwicklungstendenzen

Das Gewicht quantitativer Probleme in der gegenwärtigen Bildungspolitik verdeutlichen einige ausgewählte Daten.

Schülerzahlen: Der hohe Geburtenzuwachs mit Jahrgangsstärken zwischen 800 000 und 1 Mill, liegt zwischen den Jahren 1960 und 1970. Für die Primarstufe bedeutet dies bereits eine Abnahme der Schülerzahl von 4, 2 Mill. (1973) über 2, 8 Mill. (1980) auf 2, 5 Mill. (1985); entsprechend zeitlich verschoben verläuft die Entwicklung in der Sekundarstufe I von 4, 8 Mill. (1973) über 5, 5 Mill. (1977/78) auf 3, 3 Mill. (1990) und in der Sekundarstufe II von 2, 3 Mill. (1973) über 2, 9 Mill. (1981/82) auf 1, 7 Mill. (1995) Der Geburtenrückgang der siebziger Jahre wirkt sich bei den Ausbildungsabsolventenzahlen um 1990 aus. Die Daten verdeutlichen das Problem, für einen zeitlich begrenzten Abschnitt hinreichend Personal und Institutionen vorzuhalten, um den Qualitätsstandard der Ausbildung zumindest halten, wenn schon nicht verbessern zu können. Ganz erhebliche Prognoseprobleme ent-* stehen naturgemäß dort, wo bestimmte Übergangsquoten in ihrer Tendenz fortgeschrieben und die Geburtenentwicklung von 1977 an nur geschätzt werden kann; für die Primarstu-

fe zeigt sich bereits um 1982/83 eine deutliche Stabilisierung (Geburtenjahrgänge 1975/76) — Teilstatistiken für 1976 lassen sogar einen stärkeren Anstieg als bislang angenommen vermuten

Absolventenzahlen: Von erheblicher Bedeutung für die Berufsausbildung (Platzbedarf) in der Sekundarstufe II (Berufsschulen und Betriebe) und im Tertiären Bereich (Hochschulen) ist die Prognose der Absolventenzahlen.

Der Verlauf des Abgängeraufkommens aus den Hauptschulen geht (in Tausend) von 434 (1975) über 477 (1980) auf 288 (1990) zurück;

in den gleichen Stichjahren liegen die Zahlen für mittlere Abschlüsse (Realschule, 10. Klasse von Gymnasium bzw. Hauptschule) bei 305, 392 bzw. 271 und für die Absolventen mit Zugangsberechtigung für den Tertiären Be-reich bei 172, 230 und 216 — für diese Hochschulberechtigten liegt der Spitzenwert von 280 im Jahre 1985. In denselben Stichjahren 1975, 1980 und 1990 liegen die Abgängerzahlen aus Berufsschulen (Berufsfachschulen, Akademien u. ä.) bei 519 (105), 538 (121) und 370 (105) Bei einer unrevidierten Fortschreibung der Hochschulberechtigtenzahlen ergibt sich eine Spitzenbelastung der Hochschulen zwischen 1985 und 1990. Ausbildungsplatzbilanz: Da schon die Aufschlüsselung der Absolventenzahlen angesichts sich verändernder Ubergangsquoten auf beträchtliche Schwierigkeiten stößt, ist das Entscheidungsverhalten in bezug auf die berufliche Ausbildung noch sehr viel schwieriger zu prognostizieren. Insbesondere gilt dies für die Vorausschätzung der bis 1985 jährlich benötigten betrieblichen Ausbildungsplätze; eine Berechnung des Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung prognostiziert für den Zeitraum von 1977 bis 1985 einen Ausbildungsplatzmehrbedarf gegenüber 1975 mit der Spitze von 80 000 für das Jahr 1980. Allerdings liegen dieser Berechnung — abgesehen von der Aussparung der Sonderschüler und der Schulabsolventen ohne Hauptschulabschluß —Annahmen zu den Übergangsquoten in den dualen Bereich zugrunde, die 1977 schon nicht mehr realistisch waren, da die Übergangsquoten der Abiturienten und Fachoberschüler zu den Hochschulen inzwischen erheblich unter 95 0/0 liegt, die Nachfrage an betrieblichen Ausbildungsplätzen mithin steigt. Der Mangel an Ausbildungsplätzen (auf der Basis von 1975) dürfte daher für 1980 ganz erheblich über 100 000 liegen; der Wissenschaftsrat, dessen Berechnungen die Verwirklichung der Ziele des Bildungsgesamtplanes zugrunde liegt, geht für die erste Hälfte der achtziger Jahre von einem Ausbildungsplatzmehrbedarf von 400 000 aus, der für 1980 um ca. 55 000 und für 1985 um ca. 170 000 Plätze steigen würde, wenn die Übergangsquote zu den Hochschulen auf 75% absänke In diesem Zusammenhang seien nochmals die . Problemfälle'angesprochen: Behinderte, Sonderschüler, Hauptschüler ohne Abschluß (die Bundesrepublik Deutschland liegt mit der Zahl von derzeit 20— 25 % des jeweiligen Hauptschülerjahrgangs an der Spitze der westeuropäischen Ska-la!) und zunehmend Mädchen, die bei der Lehrstellenverknappung relativ schnell resignieren und bis zur Heirat im elternhäuslichen Bereich . untertauchen'. Diese Gruppen haben schon in den Jahren 1974/75 erhebliche Schwierigkeiten bzw. kaum Chancen gehabt, Lehrstellen zu finden

Bildungsausgaben: Sie betrugen bei Bund, Ländern und Gemeinden 1975 rd. 56, 2 Mrd. DM entsprechende Zahlen der betrieblichen Gesamtausgaben liegen nicht vor. Der jährlichen Steigerungsrate von ca. 15% zwischen 1970 und 1975 entspricht jedoch nur eine Verschiebung des Gesamthaushaltsanteils von 10% (1960) über 14% (1970) zu 16% (1975), der unter den prozentualen Bildungsausgaben anderer vergleichbarer Industriestaaten liegt. Zwar sind in den Jahren 1976 und 1977 weiterhin beachtenswerte Anstrengungen z. B. bei der Lehrereinstellung festzustellen, doch stagnieren die Bildungsausgaben, so daß sich ein Rückgang ihres Anteils am Gesamthaushalt abzeichnet

Ein Abschnitt Arbeitsplatzbilanz fehlt in diesem kursorischen quantitativen Abriß. Abgesehen davon, daß sich jede Wirtschaftsverlaufsprognose in den vergangenen Jahren als unbrauchbar erwiesen hat, gehört eine Gesamtbilanzierung von Arbeitsplatzangebot und -nachfrage insofern in den Randbereich des Verhältnisses von Bildungsund Beschäftigungssystem, als eine wie auch immer ausgestaltete Steuerung zwischen beiden Systemen von der absoluten Zahl der Beschäftigungsuchenden auszugehen hat. Diese Position impliziert bereits eine kritische Einschätzung am ökonomischen Bedarf orientierter Ansätze, die denkimmanent Restquoten an Beschäftigungslosen oder freien Arbeitsplätzen programmieren. Der Ausgleich zwischen Arbeitsplatzbedarf und -angebot ist kein Thema der Bildungs-, sondern der Wirtschafts-, Beschäftigungsund Sozialpolitik, die sich an reinen Bedarfsprognosen kaum orientieren können, wenn auch das Vollbeschäftigungsziel (Recht auf Arbeit) handlungsleitend sein soll.

2. Ziele und Funktionen des Bildungssystems zwischen politischem und ökonomischem System Bildungsökonomischen Ansätzen unterschiedlicher Provenienz liegt die empirisch bislang nur wenig überprüfte mechanistische Annahme zugrunde, bildungspolitische Reformen seien Folge ökonomischer Bedarfsveränderungen; diese seien durch das Streben nach Konkurrenzfähigkeit, verbesserter Kapitalverwertung und erhöhtem Gewinn hervorgerufen. Inzwischen mehren sich die Zweifel an der Annahme funktional enger Bedarfsdetermination, die sich auf das Ausmaß der Berufsflexibilität, der technischen Substitution von Arbeitsplätzen und des „on-the-job-training" oder auf die Zunahme eher instrumentaler Anforderungstypen, die Absorption bislang nicht vorhandener Qualifikationen und den „Import"

gering qualifizierter ausländischer Arbeitskräfte stützen. Die Frage nach dem Verhältnis von Bildungs-und Beschäftigungssystem impliziert daher die Frage nach den Zielen und Funktionen des Bildungssystemsss). Hierzu lassen sich unbeschadet ihrer Überschneidungen und Widersprüche folgende Gruppen von Zielen und Funktionen bilden:

ökonomische Ziele! Funktionen

— Bildung als Faktor wirtschaftlicher Reproduktion, Bildung als Investition;

— ökonomische Existenzsicherung, Bildung als Konsumfaktor;

-—• Absicherung gegen Arbeitskraftentwertung durch Aus-und Weiterbildung;

— Bereitstellung der für Kapitalverwertung, Produktivität und Gewinnerzielung jeweils nachgefragten Qualifikationen, Einstellungen und Verhaltensweisen;

— technologische Innovation durch möglichst hohe und flexible Qualifikationen;

— technische Substitution durch hohes Qualifikationsniveau. Individuelle und gesellschaftliche Ziele/Funktionen — Individualisierung und Personalisierung;

— Befähigung zu individueller Lebensverwirklichung (Selbstverwirklichung, Emanzipation, Selbst-und Mitbestimmung);

— Sozialisation und gesellschaftliche Reproduktion; — Bildung als Faktor sozialer Sicherung, gesellschaftlicher Anpassung und sozialen Aufstiegs; — -gesellschaftliche Innovationsfähigkeit (Kritik-, Lernund Wandlungskompetenz); — Humanisierung des Beschäftigungssystems durch Mitbestimmung, technische Substitution, Arbeitsform-und Arbeitszeitveränderung; — Bildung als Gut oder Wert für sich.

Politisch-ideologische Ziele/Funktionen

— Anpassung an die Gesamtheit normativer Systemgrundlagen mit den Zielen der Konsenserhaltung und Loyalitätssicherung ggf.

auch der Konfliktverdrängung und Herrschaftssicherung ;

— Vermittlung eines allgemeinen Bewußtseins von der Legitimationsfunktion der Bildung für die soziale Differenzierung in Funktion, Status, Ansehen, Einkommen und von der Reformfähigkeit öffentlicher Bildungspolitik im Sinne von Chancengleichheit, Bildungsanspruch, Partizipation;

— Vermittlung der fundamentalen normativen Systemprämissen und der Systemoffenheit für Wandel und Alternativen;

— demokratisch-soziale Lernziele wie Freiheitsrechte, Demokratie, Gleichheit, Sozialität und Gerechtigkeit.

Die jeweiligen Ziele und Funktionsannahmen ließen sich differenzierter auffalten und in ihren Friktionen und z. T. Antinomien verdeutlichen. Auch andere Gruppenbildungen wären möglich: z. B. nach den Kriterien Systemsicherung — Systemwandel; Funktionalität — Dysfunktionalität in bezug auf die ökonomische Ausbildungsverwertung, die politische Herrschaftssicherung oder die gesellschaftliche Demokratisierung; formal — material von den Inhalten bzw. Kompetenzen vermittelter Bildung her. Die Rangunterschiedund Widersprüchlichkeit dieser Ziele, wie sie sich in Verfassungsdokumenten, Gesetzen, Partei-programmen und programmatischen Forderungen von Verbänden u. a. niederschlagen, spiegeln die soziopolitische und ökonomische Relevanz institutionalisierter Bildung und die gesellschaftlichen Interessenkonflikte wider. In diesem Zusammenhang wirft der Ziel-und Funktionskatalog eine Fülle von Fragen auf:

— Gibt es angesichts der offenkundigen Pluralität iormulierter Ziele eine Dominanz und Hierarchie der Ziele?

— Welche tatsächlichen Funktionen nimmt das Bildungssystem wahr?

— Welches sind die dominanten Bildungsziele? Stimmen sie mit der identifizierbaren Ziel-hierarchiein offiziellen Dokumenten, insbesondere Bildungsgesetzen überein? Welche Ziele wurden im Regelfall durch die realen Funktionen verdrängt?

— Falls die faktische Bedeutung oberster Ziele, wie z. B.demokratisch-sozialer Einstellungen und Verhaltensweisen, politisch-rationaler Kritikkompetenzen, gering sein sollte, worin besteht dann die Bedeutung der gleichwohl betonten Zielhierarchie?

— Gibt es Funktionen, die in offiziellen Ziel-

Aufgaben-Katalogen gar nicht enthalten sind?

— Determiniert das Beschäitigungssystem die Eckdaten und Inhalte der Bildungsprozesse durch Bedarfsanmeldungen in bezug auf Ausbildungsdauer, Qualifikationsstruktur, Abschlußtypen, Kompetenztypen, Absolventen-zahlen, Sozialisationsleistungen?

— Besitzt Bildungsreformpolitik aktive Handlungsspielräume gegenüber dem Beschäfti-gungsund Wirtschaftssystem?

Damit stellt sich die Grundsatzfrage nach der Handlungsautonomie des politischen Systems in der bürgerlichen Gesellschaft. Neomarxistische Theoreme halten derartige Handlungsspielräume gegenüber dem Wirtschaftssystem für ausgeschlossen, da der Staat Ausbildung in Form, Inhalt, Qualität und Quantität bereitstelle, d. h. auch limitiere, wie sie im Produktionsprozeß verwertet werden könne und zur friktionslosen Reproduktion der Gesellschaft erforderlich sei. Chancengleichheit, Demokratisierung und andere qualitative Reformprogramme hätten die Funktion, die für die kapitalistischen Produktionsprozesse optimalen Randbedingungen zu erhalten und zugleich Massenvorstellungen zu suggerieren, daß der Staat zur Durchführung derartiger Reformen in der Lage sei In der Tat liegt einiges Untersuchungsmaterial insbesondere aus den USA vor, das ein weitgehendes Mißlingen demokratisch-liberal-sozialer Bildungsreformpolitik ausweist die Verdrängung materieller Reformthemen durch Quantitätsprobleme in der Bundesrepublik bestä-tigt dies. Einige Fragen bleiben gleichwohl offen: Sind auf demokratisches und soziales Handeln abzielende Lernprogramme dadurch bereits gescheitert, daß die durch die abweichende gesellschaftlich-ökonomische Realität (z. B. in den Betrieben) bedingte kognitive Dissonanz bei den Jugendlichen über kurz oder lang zu kritikloser Anpassung führt oder führen kann? Bedeutet Autonomie der Bildungspolitik Gesellschaitsveranderung durch Bildungsreiormen? Eine solche Position dürfte die Mißerfolge demokratischer Bildungsreform weitgehend mitprogrammieren, da Bildungspolitik und Bildungssysteme schwerlich einzige Steuerungsinstrumente für soziopolitische Veränderungen sein können Eine solche Ansicht unterliegt dem isolierten Systemdenken, ohne den Konstruktcharakter des Begriffs Bildungssystem und dessen personale Verflechtung mit dem Wirtschafts-und dem übrigen Gesellschaftssystem zu berücksichtigen. Bildungspolitik kann allenfalls Anstöße für sozio-politische Wandlungsprozesse geben, deren Wirkung von der Struktur gesellschaftlicher Problemlagen, dem Gewicht gesellschaftlicher Interessen, der Organisa-tions-und Handlungsfähigkeit gesellschaftlicher Gruppen wie dem gesellschaftlichen Problembewußtsein abhängt. Im übrigen wäre es unzutreffend, von einem gänzlichen Scheitern bisheriger Bildungsreformen in der Bundesrepublik zu sprechen — Veränderungen sind in der . Verbesserung der Chancengleichheit und in den Ansätzen zur Demokratisierung, zu inhaltlichen und strukturellen Reformen zu beobachten. Eine zweite Frage betrifft die Behauptung hinlänglicher Qualifikationsbedarfsdetermination, der z. B. C. Offe nicht ohne Plausibilität die These der Unterdeterminierung des Bildungssystems durch das Beschäftigungssystem entgegensetzt ; der Aufwand empirischer Bedarfsforschung hat bis-lang kaum jene Prognosedefizite schließen und die konkreten Handlungsdaten liefern können, die für eine mittelund langfristige bildungspolitische Steuerkapazität nach Maßgabe des jeweiligen ökonomischen Bedarfs notwendig wären. Begründete Zweifel an der ökonomischen Bedarfsdetermination widerlegen allerdings nicht differenziertere Abhängigkeiten des Bildungssystems, wie z. B. die Annahme, Bildungssysteme in bürgerlichen Gesellschaften besäßen als Hauptfunktionen die Bestandslegitimation für das vorhandene Wirtschaftssystem, die Anpassung an die Struktur der Arbeitsprozesse und Repression hierauf bezogener Kritik und Alternativvorschläge: Die gesellschaftliche Ungleichheit werde als Produkt von Begabungs-und Bildungsunterschieden (unter Verschleierung anderer Selektionsmechanismen) legitimiert, diese Funktionalisierung der Bildung verhindere soziale Auflehnung durch die individuelle Zurechenbarkeit von Leistung bzw. Mißerfolg und sozialem Status; zugleich würden die tradierten Arbeitsformen und Hierarchien als ökonomisch-technische Sachzwänge nicht in Frage gestellt (Loyalisierungsiunktion). Unbeschadet des heuristischen Wertes dieser Annahmen ist der gegenwärtige Theoriebildungsund Kenntnisstand viel zu mangelhaft, als daß hinlänglich theoretisch difierenzierte und empirisch fundierte Aussagen allgemein zu den Staatsfunktionen und den politischen Handlungsgrenzen wie speziell zu Inhalten und Dominanz der Bildungssystemfunktionen und zur Wandlungskapazität von Bildungsreformen abgegeben werden können. Unzweifelhaft ist allerdings, daß auf sozialen Wandel angelegte Bildungsreformen der finalen Koordination mit Veränderungen im Beschäftigungs-, Wirtschaftsund Gesellschaftssystem bedürfen.

3. Parteien und Verbände zum Verhältnis von Bildungs-und Beschäftigungssystem In der Frage der Orientierung der Bildungspolitik am individuellen Anspruch auf Bildung oder am quantitativen Bedarf des Beschäftigungssystems ist eine bemerkenswerte „ideologische Rollenvertauschung" der beiden großen Parteien zu beobachten: Die CDU/CSU folgt tendenziell stärker der (dirigistisch-berufsfunktionalen) Subordinationsthese, die SPD neigt eher der (liberalistisch-bildungs-emanzipatorischen) Entkoppelungsthese zu. Zur Verdeutlichung einige Belege:

„Das Beschäftigungssystem verlangt bestimmte Qualifikationen, die vom Bildungssystem vermittelt werden sollen. Im Idealfall vermit- telt das Bildungssystem diejenige Qualifikation, die das Beschäftigungssystem zum jeweiligen Zeitpunkt verlangt. ... Wenn im Bildungssystem mit beträchtlichem finanziellem Aufwand berufliche Qualifikationen vermittelt werden, die in größerem Umfang wesentlich über die Erfordernisse und Nutzungsmöglichkeilen des Beschäftigungssystems hinausgehen, ist der Aufwand eine Fehlinvestition."

„Geholfen wird den jungen Menschen nur, wenn ihnen qualifizierte Bildungswege geboten werden, an deren Ende sie auch die Chance auf einen qualifizierten Arbeitsplatz haben. Dies setzt voraus, daß Bil-dungs-

und Beschäftigungssystem wieder stärker in Übereinstimmung gebracht werden.

Hierzu bedarf es vor allem einer verbesserten Arbeitsmarktforschung, die frühzeitig und zuverlässig die Bedarfslage im Beschäftigungssystem erkennbar macht." „Schule und Hochschule haben in erster Linie Dienstleistungsfunktion."

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Im Zentrum der Kritik der CDU/CSU stehen insbesondere die Steigerung der Abiturientenquote als Ursache für Vertheoretisierung, Überforderung, Streß. Numerus clausus, Überproduktion von Hochschulabsolventen, Uberqualifikation, drohende Akademikerarbeitslosigkeit, Arbeitsplatzunzufriedenheit und gesellschaftliche Unruhen; die Verdrängung von Haupt-und Realschülern; die Gleichsetzung von Startchancengleichheit und gleichen Berufs-

und Einkommenschancen wie die Forderung nach Umverteilung und Emanzipation unabhängig von Beruf und Bedarf. Auffallend ist, daß die Expansion im Tertiären Sektor derartig in den Mittelpunkt gerückt wird, obwohl die Probleme im Bereich der Berufsbildung weitaus größer sind. Konsequenzen aus der Kritik an der „Überproduktion von Hochschulabsolventen“ würden die Situation der beruflichen Ausbildung weiter verschärfen; nicht ohne Grund geht die Berechnung des Kuratoriums der Wirtschaft weiterhin von der hohen Übergangsquote von 95 Prozent der Studienberechtigten in den Tertiären Sektor aus und verweist deren Ausbildung ausschließlich in die Staatszuständigkeit. Angesichts der geforderten engen Systemverknüpfung sind die Vorschläge eher zurückhaltend:

— Beratung und Warnung auf der Basis von Bedarfsberechnungen; — Selektion und Schwellenbildung im Allgemeinbildungsbereich — als Mittel z. T. erwähnt (H. Maier), aber überwiegend für problematisch gehalten (W. Hahn)

— Durchlässigkeit von Laufbahn-und Besoldungsstrukturen ;

— Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung, bevorzugter Ausbau von Berufsschulen;

— öffentliche Hilfen zur Schaffung betrieblicher Ausbildungsplätze;

— bessere Chancen für Sonderschüler und Jugendliche ohne Hauptschulabschluß;

— bedarfsorientierte Steuerung der Bildungsangebote durch Kapazitätenumbau;

— Verbreiterung des Bereiches mittlerer zu Lasten hoher Qualifikationen (Verhinderung von „Überqualifikationen").

Insgesamt läßt sich aber eine für das sonstige CDU/CSU-Politikverständnis (z. B. Pluralität, Subsidiarität) ungewöhnlich starke Option für eine staatliche Steuerung feststellen; sie bezieht sich allerdings mit Ausnahme des öffentlichen Dienstes ausschließlich auf Anpassungssteuerungsmaßnahmen in der Bildungspolitik;

der Zugriff auf das Wirtschaftsbzw. Beschäftigungssystem unterbleibt — Bildungspolitik unterliegt den „Sachzwängen" der durch ökonomische Machtpositionen und Entscheidungsstrukturen vorgegebenen Da-ten.

Die SPD lehnt eine Entkoppelung beider Systeme ab, wendet sich aber gegen die Vorstellung, es könne je eine spannungsfreie Verknüpfung geben. Sie strebt eine „bessere Abstimmung zwischen Bildungsund Beschäftigungssystem " an, verteidigt aber Ziele wie Resultate der Bildungsreform und fordert die Verbesserung der beruflichen Ausbildung und Stärkung der gesamtstaatlichen Verantwor-tung für die Grundstrukturen des Bildungssystems

„Wesen und Entwicklungstendenzen von Bil-dungs-

und Beschäitigungssystem sind keineswegs identisch. Eine Wertung oder Steuerung des Bildungssystems nach den akuten Tagesbedürfnissen des Beschäftigungssystems müßte sich langfristig sogar zum Nachteil des letzteren auswirken. Bildungssystem und Beschäftigungssystem stehen allerdings in Wechselwirkung zueinander. Pädagogische Zielsetzungen haben Wirkungen auf das Beschäftigungssystem und müssen diese berücksichtigen.

Das Beschäftigungssystem seinerseits entscheidet über die ökonomische Verwertbarkeit und monetäre Bewertung der vom Bildungssystem hervorgebrachten Qualifikationen und wirkt von daher in die bildungspolitische Diskussion. Das Beschäftigungssystem selbst ist in immer schnellerem Tempo Strukturveränderungen unterworfen, die mit dem wirtschaftlichen Wachstumsprozeß, dem technologischen Fortschritt, der Entwicklung des internationalen Handels, den Wandlungen im Konsumverhalten und 'schließlich auch Entscheidungen der internationalen Politik Zusammenhängen. Deshalb muß das Bildungssystem über den Tag hinaus die bereits mittelfristig und erst recht langfristig unbekannten Anforderungen des künftigen Arbeitslebens berücksichtigen. ... Die Wechselbeziehung zwischen Bildungssystem und Beschäftigungssystem kann für die Gestaltung des Bildungswesens jedoch nicht grundlegend sein. Dem Bildungswesen werden von der Gesellschaft eigene und übergeordnete Ziele gesetzt, die durchaus der jeweiligen Arbeitsmarktlage entgegenstehen können.“

Die Kritik der Gewerkschaften ist eindeutig: Die Bildungspolitische Konferenz '76 des DGB wendet sich scharf gegen den Abbau von Reformen, gegen die Dominanz finanzieller und konjuktureller Aspekte vor inhaltlicher Fragen und der Auslese anstelle der Förderung aller sowie gegen Tendenzen zur Minderqualifizierung durch „Miniberufe“ und betriebsgebundene Kurzausbildungen die marktwirtschaftlichen Steuerungsinstrumente hätten Bildungsund versagt Zur Verzahnung von Beschäftigungssystem führt H. O. Vetter aus:

„Wenn es nicht gelingt, den Druck aus dem Beschäftigungssystem ins Bildungssystem oder genauer: den Druck wirtschaftlicher Verwertungs-und Machtinteressen gegen die Bildungsinteressen der Arbeitnehmer und ihrer Kinder aufzuhalten, dann wird sich der rücksichtslose Verdrängungswettbewerb auf allen Ebenen unseres Bildungssystems zu Lasten der jeweils sozial Schwächeren verschärfen.

... Nirgends sind die Zwänge des Beschäftigungssystems spürbarer als in dem Bildungsbereich, der unter sozialen Gesichtspunkten ohnehin der schwächste ist: bei der beruflichen Bildung. Hier wird deutlich, wie scharf die Waffe wirtschaftlicher Macht ist. Hier wird unverhohlen die Nachfrage der Arbeitgeber zum entscheidenden Steuerinstrument. ... Die Einsicht in den untrennbaren Zusammenhang von Bildungs-und Beschäftigungssystem bedeutet für uns Gewerkschafter zunächst: Das Recht auf Bildung kann letztlich nur durchgesetzt werden, wenn das Recht auf Arbeit verwirklicht wird! ... Die gewerkschaftliche Bildungspolitik muß mit Forderungen zur Arbeitsmarkt-und Strukturpolitik, zur Investitionslenkung, zur Mitbestimmung und zur Sozialpolitik verbunden werden. Nur als integrierter Bestandteil der Reformpolitik insgesamt ist Bildungspolitik noch realisierbar!“

Nicht weniger deutlich sind die Arbeitgeberverbände. Sie befürchten Arbeitslosigkeit und Proletarisierung von Akademikern die Gesellschaft könne ein zu den praktischen Anforderungen der Industriegesellschaft beziehungsloses Bildungssystem nicht finanzieren; es sei eine „unhaltbare Prämisse, daß sich Bildungspolitik nicht primär am Beschäftigungssystem orientieren soll"

. In zunehmendem Maße stimmen die Bedarfsstrukturen des Arbeitsmarktes mit dem Ange-bot des Bildungssystems an formalen Qualifikationen nicht mehr überein. ... Eine Ausweitung der Qualifizierung durch schulische Bildungsgänge stellt nicht in jedem Falle eine die volkswirtschaftliche Produktivität in gleichem Ausmaß steigernde Investition dar. Die These, das Angebot an Absolventen der verschiedenen Bildungsgänge schaffe sich selber einen unbegrenzten entsprechenden Bedarf im Beschäftigungssystem, ist durch die Entwicklung der letzten Jahre als unrichtig widerlegt worden.“

Auch bei der BDA steht die Uberfüllungsthese im Zentrum der Kritik; doch kontrastiert die Forderung nach Kürzung der Allgemeinbildungsphase eigentümlich mit der Feststellung, daß die Betriebe bisher ihrem Bedarf entsprechend ausgebildet hätten, eine darüber hinausgehende Ausbildung also nicht allen ausgebildeten Jugendlichen ein Anrecht auf ein Arbeitsverhältnis verschaffen könne Alle Stellungnahmen sind bei eindeutig fixierbaren Differenzen relativ unscharf, wenn es um die Folgerungen, um Steuerungsziele und entsprechende Instrumente zur Zuordnung beider Systeme, geht; dies betrifft BDA und abgeschwächt CDU/CSU, die eine funktional bessere Anpassung der Bildungspolitik an das weitgehend autonome Beschäftigungssystem anstreben, wie DGB und abgeschwächt SPD, welche die Zuordnung und Steuerung beider Systeme bei Steuerungsvorrang des politischen Systems betonen. Für den Verzicht auf jegliche Koordination beider Systeme durch Planung und Steuerung tritt keine relevante politische Gruppe ein 4. Bildungssteuerung Im politischen System der Bundesrepublik Deutschland Auf dem Hintergrund der skizzierten Positionen von Parteien und Verbänden lassen sich in einer Grobaufteilung ökonomische und soziopolitische Steuerungsinteressen und -ziele unterscheiden, ökonomische Ziele der Bildungssteuerung sind Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung, soziopolitische Ziele beziehen sich auf Systemerhaltung oder Systemwandel.

Steuerungsziele Zunächst zu den ökonomischen Zielen: Der Aussteuerungsansatz versucht durch Bilanzierung von Bildungsangebot und Arbeitskraftnachfrage auf dem Arbeitsmarkt die überschießenden Spitzen auszugleichen. Voraussetzungen sind die Antizipierbarkeit des künftigen Bedarfsverlaufes und die zügige Einspeisung entsprechender Daten in das Bildungssystem, das in hohem Maße in Ausbildungsinhalten und Quantitäten reaktionsund anpassungsfähig sein muß. Das Ziel optimaler Faktorenallokation bedeutet bestmögliche Zuordnung knapper Güter zu bestimmten Zielen. Bildungsinvestitionen sind nur insoweit gerechtfertigt, wie Bildung über den hohen Kosten liegende Erträge erbringt. Steuerungsaufgabe ist die präzise Umsetzung der materiellen Bedarfsstruktur in berufsbildende Curricula. Der 'Wachstumsansatz geht von der Abhängigkeitskette Wirtschaftswachstum, ho-her technologischer Standard, optimale Arbeitsorganisation und Infrastruktur, hohes Ausbildungsniveau aus; gerade ein rohstoffarmes, exportorientiertes, hochindustrialisiertes Wirtschaftssystem bedürfe aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit, des wirtschaftlichen Wachstums und damit der Vollbeschäftigung eines qualitativ hochwertigen, dynamischen und entwicklungsoffenen Bildungssystems. Alle drei Ansätze sind problembesetzt: Sie setzen die präzise qualitative Erfaßbarkeit von Bildungsangeboten und Bedarf, die inhaltliche Beschreibbarkeit und längerfristige Prognostizierbarkeit des Bedarfs voraus; wenn keine genauen Daten eingegeben werden, kann eine optimale Verzinsung des Ausbildungskapitals nicht erfolgen. Technologie ist sicherlich eine Wachstumsvariable, ihr Gewicht ist allerdings schwer quantifizierbar, der zugrunde liegende Ausbildungsanteil letztlich kaum identifizierbar; Aussagen über technologieförderliche Curricula und erfor15 derliche Absolventenzahlen sind mangels Planbarkeit des ökonomisch-technologischen Wachstums nicht möglich

Bildungssteuerung auf der Grundlage des soziopolitischen Zieles Systemerhaltung und Systemsiabilisierung ist bestimmt durch die Teilziele soziale Ausgeglichenheit (Abmilderung extremer Sozialstatusdifferenzen und Abhängigkeiten), politische Loyalität (Erhaltung der soziopolitischen Struktur) und ökonomische Zufriedenheit (Gewährleistung einer ausreichenden Teilhabe an Arbeit, Einkommen, Konsum und Freizeit); Steuerungsmaßnahmen beziehen sich nur punktuell bzw. zur Vermeidung von Friktionen und Systemkrisen über das Bildungssystem hinaus auf das Beschäftigungssystem. Bildungssteuerung mit dem Ziel Systemwandel läßt sich mit den Teilzielen gesellschaftliche Demokratisierung, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit, Wirtschaftskontrolle, Abbau ökonomischer Statusunterschiede u. ä. beschreiben. Als Teil einer dynamischen Gesellschaftspolitik wäre eine finale Bildungssteuerung der bildungspolitische Beitrag zur Humanisierung des Beschäftigungssystems, zur Schaffung neuer Be-rufe, zur wirtschaftlichen Mitbestimmung, zur Vermittlung und Verstärkung demokratischer und sozialer Einstellungen und Verhaltensweisen. Diese Zielorientierung bedeutet einen erhöhten Steuerungsbedarf des politischen Systems auch in bezug auf das Wirtschaftssystem. Daß die Grenzen zwischen systemstabilisierenden und -wandelnden Maßnahmen fließend sind, sei nur am Rande vermerkt. Steuerungsinstrumentarium Eine mögliche Stärkung der marktwirtschaftlichen Selbststeuerung bedeutet für die berufliche (betriebliche, berufsschulische, hochschulische) Ausbildung die Übertragung* marktwirtschaftlicher Selbststeuerungsprinzipien (Angebot, Nachfrage, Preis); die Bildungspartizipienten investieren in sich selbst nach Markteinschätzung und Einkommensinteresse durch entsprechende Curriculumauswahl;

sie bezahlen den Preis durch Gebühren (resp. durch Darlehen) und erzielen Gewinne nach Maßgabe der Bewertung von Ausbildungsinhalten und Abschlüssen durch den Arbeitsmarkt. Zur Kritik: Welches sind die Orientierungskriterien für die inhaltliche Ausbildungswahl? Liefert das Beschäftigungssystem solche Kriterien, honoriert es die individuelle Curriculumzusammenstellung oder sucht es den formalisierten vergleichbaren Abschluß? Stellt sich Chancengleichheit „von alleine" ein? Gibt es keine metaökonomischen Bildungsfunktionen?

Die Steuerung durch Beeinflussung umfaßt Maßnahmen der Information, Werbung, Berufsberatung, Warnung, Bedarfsleitlinien u. ä.

Hier tauchen kaum Probleme und Einwände auf; die Wirkung kann gering bleiben, ist jedenfalls schwer einschätzbar, sie kann aber gravierend sein, wenn der Beratung eindeutige Überschuß-und Mangelprognosen zugrunde liegen, die zu wellenförmigen Bewerberverhalten führen (aus der Lehrermangelprognose wird ein Lehrerüberschuß, dessen Abschreckungswirkung langfristig wieder Mangelerscheinungen hervorruft).

Die Übergänge zur Steuerung durch Anreize sind fließend; hier sind Sonderförderungsprogramme, zweckgebundene Stipendien, Ausbildungs- und Umschulungsangebote, Fort-und Weiterbildungsprogramme die Anerkennung von Eigenund Fernstudienanteilen, Tilgungsnachlässe für Ausbildungsdarlehen bei frühzeitigem Ausbildungsabschluß u. v. m. als Instrumente der Ausrichtung von Einzelinteressen an ökonomischen Bedarfsdaten wie an soziopolitischen Zielen denkbar. Ein Anreizsystem ermöglicht, Interessenten für gesellschaftlich gewünschte, aber zu wenig nachgefragte Funktionen zu gewinnen, bei stark frequentierten Ausbildungsgängen Sonderzugangsmöglichkeiten mit bestimmten Verpflichtungen zu koppeln oder das Ausbildungs46 personal zu zusätzlichen Leistungen zu veranlassen.

Seine Vorteile liegen in der Kurzfristigkeit der Auswirkungen, der Flexibilität in Zielen und Einsatz wie in der Unabhängigkeit von den Ausbildungsorganisationsstrukturen, deren Wandel zumindest sehr schwierig und langwierig, u. U. aber auch gar nicht erforderlich ist.

Die Steuerung des Bildungssystems durch Ressourcen-, Organisations-, Struktur-und Inhaltsbestimmung wird bei grundsätzlichen Legitimitätszweifeln an der Bildungslenkung häufig „übersehen"; dabei ist die Ausbildungsträgerschaft und -Veranstalterschaft das klassische Bildungssteuerinstrument — es sei denn, „Schule" wird als traditionell irgendwie „herausgebildet" vom politischen System „vorgefunden" und seiner Gestaltung entzogen angesehen. Doch kann kein ernsthafter Zweifel an der Grundsatzkompetenz des Staates bestehen, über das Volumen und die Verteilung der bildungspolitischen Ressourcen, die Organisations-und Personalstruktur, die Schwerpunktbildung oder die inhaltlichen und zeitlichen Ausbildungsstrukturen zu befinden.

Steuerungsmöglichkeiten sind in diesem Bereich äußerst umfassend: z. B. Öffnung oder Schließung der Institutionen, zeitliche Kürzungen oder Ausbildungszeitverlängerungen, Qualitätsanhebungen, -Veränderungen oder -Senkungen, neue Curricula, fachlich konkrete oder mehrwertige (polyvalente) Be-

rufskompetenzen.

Steuerung durch Selektion bedeutet Zugangs-, Abschlußprüfungen und „Schwellenbildung": z. B. wäre der Zugang in die Sekundarstufe II nur nach einem bedarfsabhängigen Leistungsnachweis möglich (vgl. DDR); im Hochschulsystem würden nach bestimmten Zeitabschnitten („berufsqualifizierende Abschlüsse") bestimmte Studentenprozentsätze nach Maßgabe der Bedarfslage „herausgeprüft". Ähnliche Effekte erzielt die Steuerung durch Quotierung, d. h. die institutionelle Festsetzung von Aufnahmezahlen, um Bewerberströme in arbeitsmarktgeforderte oder sozial gewünschte Ausbildungsgänge zu lenken. Extremstes Steuerungsmittel ist die Ausbildungsplatzzuweisung, da sie im Gegensatz zur Abweisungswirkung von Quotenfestsetzungen die individuelle Entscheidung ersetzt.

Ein kurzer Blick auf das Instrumentarium zur Steuerung des Beschältigungssystems: Hier ist ein ähnliches Spektrum denkbar, das von influenzierenden Maßnahmen (z. B. Investitionsbeihilfen zur Ausbildungsund Arbeitsplatzbeschaffung), Maßnahmen der Kooperation und Beratung (z. B. gemeinsam erstellte Vorschriften zu betrieblichen Ausbildungs-und Beschäftigungsfragen), über gesetzliche Rahmenbestimmungen (z. B. Berufsbildbeschreibungen) und Gesetzesauflagen (z. B. Arbeitszeitbestimmungen) bis zu harten gesetzlichen Handlungsrestriktionen reicht (z. B. partielle/totale Ausbildungsund Beschäftigungspflichten, Berufszulassungsquoten) Für beide Bereiche wird die „Legitimitätsgrenzlinie" zu bestimmen sein.

Das vorhandene institutionelle Bildungssteuerungsinstrumentarium ist in den zehn bis fünfzehn Jahren seit der Intensivierung der Bildungsplanung erheblich angewachsen. Verwiesen sei auf die zahlreichen Beratungs- und Planungsgremien Bildungsforschungsinstitutionen gesetzlichen Regelungen und die Vielzahl staatlicher Insti48 tutionen von Bund, Ländern und der sogenannten dritten Ebene

Steuerungsprobleme Die Fülle dieses Instrumentariums indiziert allerdings eher die Schwierigkeiten als die Funktionsfähigkeit zielorientierter, langfristig angelegter Bildungspolitik in der Bundes-republk; insbesondere die föderative wie die parlamentarisch-demokratische Struktur der Bundesrepublik wirft angesichts des langfristigen Planungsbedarfs bei Ausbildungssteuerungsmaßnahmen besondere Probleme auf. Einer aktiven Aufgabenplanung und Gestaltungssteuerung durch das einzelne Bundesland stehen die enge Verflochtenheit aller Bundesländer, die sozialstaatlichen gleichen Leistungserwartungen aller Bürger und das Ge-bot eines Mindestmaßes einheitlicher Lebensverhältnisse entgegen, wohingegen der Bund, von eher punktuellen Zuständigkeiten abgesehen keine formellen Handlungskompetenzen besitzt Zwar wirken die Bundesländer über den Bundesrat an der Bundespolitik mit, doch fehlt umgekehrt für den wichtigsten Bereich der Länderpolitik eine formalisierte und wirksame Bundesbeteiligung. Eben-so bestehen Schwierigkeiten bei der Bildungsaußenpolitik, die für die EG von erheblicher Bedeutung ist. (Länder-) Kultusministerkonfe-renz und Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung sind nicht-beschlußkompetente Koordinierungsinstitutionen Im übrigen würde ihre Funktionsverstärkung auf erhebliche demokratisch-rechtsstaatliche Bedenken stoßen, da sie zu Lasten der Länderparlamente ginge. Schon ihre begrenzten tatsächlichen Funktionen — wie die der Kultusministerien — sind ja problematisch angesichts des geschärften Bewußtseins für den Parlamentsvorbehalt gerade im Bereich der Bildungspolitik, dessen Beachtung die Gerichte wiederholt gefordert haben: Demokratisch legitimierte Parlamente dürfen sich nicht durch Exekutivermächtigungen ihrer Pflicht entziehen, alle wesentlichen Fragen selbst zu regeln Bei unveränderter Kompetenzstruktur zwischen Bund und Ländern dürfte ein stärkeres Auseinanderfallen der Schulpolitik nur schwer vermeidbar sein doch auch bei einer umfassenden Bildungsrahmenkompetenz des Bundes, bei der die immerhin seit 1969 aktuellen Probleme unterschiedlicher politischer Mehrheiten im Bundesrat und Bundestag nicht verkannt werden sollten (Hochschulrahmengesetz als „Modellfall" für den als Veränderungssperre wirkenden hohen Konsenszwang), ergeben sich bildungspolitische Steuerungsprobleme aufgrund des Systemtyps der parlamentarischen Demokratie, da langfristige Planung die Funktion der Opposition tangiert: Entweder tritt eine problematische Bindung für ihr mögliches künftiges Regierungshandeln ein, oder die funktionale Gewaltendifferenzierung wird durch die Planungsbeteiligung der Opposition aufgehoben — ebenfalls mit der Konsequenz des materiellen Kompromißzwanges (Ziel-und Aufgabenplanung „zur gesamten Hand").

Die geschilderte Problematik erhält ihr Gewicht dadurch, daß ein langfristiger Pla-nungsund Steuerungsbedarf nicht nur für eine aktive, Bildungs-und Beschäftigungssystem koordinierende Bildungspolitik, sondern für die meisten Teilpolitiken besteht. Eher vorsichtige Lösungsansätze sind in der Diskussion um die Planungsgesetzgebungskompetenz der Parlamente entwickelt worden, ohne dabei das eigentliche Problem der funktionalen Differenzierung von Regierungsfrak-tion(en) und Opposition angemessen zu be-rücksichtigen und damit die Frage nach Legislaturperioden übergreifender verbindlicher Planung zu beantworten Für die dargestellten föderativen Koordinations-und Steuerungsprobleme dürfte die Erweiterung der Rahmenkompetenzen langfristig nur eine Zwischenlösung auf dem Wege zu einem neuen Föderativmodell genereller zentraler Rahmen-und dezentraler Konkretisierungs-, Durchfüh-rungsund Rückkoppelungsfunktionen (Politikverbund) darstellen

Zwischenbilanz Die Bestandsaufnahme der Probleme vermittelt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits hat der Problemdruck vor allem durch die quantitativen Defizite ein ganz erhebliches Ausmaß erreicht, wobei das theoretisch einsetzbare Instrumentarium eine Fülle unterschiedlicher Lösungsmöglichkeiten anzubieten scheint, andererseits ist die Kontroverse bislang nur unzulänglich geklärt, ob am Bedarf des Beschäftigungssystems orientierte Eingriffe in das Bildungssystem die allseits geforderte Systemausbalancierung herbeiführen könnten, ob Maßnahmen im Bildungsund Beschäftigungssystem erforderlich seien oder ob die bildungsnachfrageorientierte Öffnung der Ausbildungsinstitutionen und ihre Kapazitätsausweitung genügten, Anpassungsprobleme sich also am besten im Beschäftigungssystem marktanalog „selbststeuernd" lösten. Letztlich weist das politische System strukturelle Probleme und Immobilitätstendenzen (Problementlastung durch Verantwortungspluralismus) auf, für deren Überwindung z. Z. weniger institutionelle Lösungen (z. B. Bildung weiterer Kommissionen) als die inhaltliche Konsensbildung erforderlich sein dürften.

III. Bildungspolitik im Zielkonflikt von Nachfrage und Bedarf

„Bei allen Schulen außer den Pflichtschulen und bei den Hochschulen ist die Zahl der Schüler und Studenten soweit zu beschränken, daß die gründliche Ausbildung gesichert und dem Bedarf der Berufe genügt ist." (§ 1 des Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933.)

Die Bildungspolitik der sechziger und siebziger Jahre ist deutlich nachfrageorientiert gewesen, doch ist es ihr trotz verstärkter Anstrengungen insbesondere im Tertiären Bereich nicht gelungen, mit der Nachfrageentwicklung Schritt zu halten. Die (politisch gesetzten) Grenzen des Bildungsetats wie die mangelnde Aufnahmefähigkeit bzw. -bereit-schaff des Beschäftigungssystems haben daher der bildungsökonomischen, bedarfsorientierten Forschung Konjunktur und Aufmerksamkeit verschafft.

1. Bildungsökonomische Bedarfsprognostik als Grundlage politischer Ausbildungslenkung?

Der Einwand gegen die Politikberatungsrelevanz 62) der Bildungsökonomie, daß gerade bildungsökonomische Untersuchungen zur Bildungsrückständigkeit der Bundesrepublik als wissenschaftliche Argumentationsbasis für die „Bildungskatastrophenthese''der sechziger Jahre gedient hätten und für die „Bildungsschwemme" der siebziger und achtziger Jahre verantwortlich seien, hieße den damali-gen Ansätzen und Untersuchungen sicherlich zuviel Bedeutung zukommen zu lassen; die Ursachen sind sehr viel differenzierter.

Auf dem politischen Hintergrund des nicht zu deckenden Qualifikationsbedarfs im letzten Jahrzehnt und der im internationalen Vergleich erheblichen Unterentwicklung des westdeutschen Bildungssystems dominierten zunächst Bildungsverzinsungs-, Investitionsund Ertragsratenansätze, die den Produktions-level des Produktionsprozesses auf den „dritten Faktor" Ausbildungsqualität im Verhältnis von Kapital und Arbeit zurückführten und Bildungsinvestitionen auf ihre Kosten und Erträge hin untersuchten, um diese möglichst hochverzinslich vornehmen zu können. Die Länge des Verzinsungszeitraums eines Arbeitslebens sowie Meß-und Zurechnungsprobleme (öffentliche Bildungsinvestitionen — privater Nutzen; externe Bildungseffekte) haben diesen Ansätzen keine große Bedeutung zukommen lassen Der bildungsökonomischen Kernfrage „Wer soll wann, wo, wie, wozu ausgebildet werden?“ wenden sich heute primär die in ihrem analytischen Instrumentarium äußerst verfeinerten NacMrage(social/individual demand approach) und Bedarfsansätze (manpower requirement approach) zu.

Der Nachfrageansatz will individuelle Bildungswünsche realisieren. Folgende Annahmen liegen ihm zugrunde:

— Das Bildungssystem dient der Verwirklichung des Grundrechts auf Bildung;

— Bildung ist nicht primär wirtschaftlich verwertbare Investition, sondern ein Gut für sich, ein Konsumgut, auf das jeder Bürger Anspruch habe;

— das Bildungssystem dient der Herstellung bislang nicht bestehender gleicher Chancen nach Maßgabe der individuellen Fähigkeiten; — das Beschäftigungssystem ist hinreichend flexibel und reagibel, um im Rahmen individueller Bildungsentscheidungen eine spätere Beschäftigung zu sichern; — größere Reibungen treten nicht auf, da sich die quantitativ-qualitativen Bedarfsstrukturen am Ausgebildetenpotential orientieren; — die Bildungsnachfrageentwicklung verläuft ohne Brüche im Bildungsverhalten, so daß aufgrund der Verknüpfung von Bevölkerungszahlen mit Jahrgangs-und Schülerquoten und in der Vergangenheit getroffenen Berufsentscheidungen bildungspolitische Planungen für die Bildungssystementwicklung erfolgen können; — Bildungsbedarfsprognosen verändern diese Trends nicht und führen insbesondere nicht zu wellenförmigen Mangel-Überschuß-Zyklen. Der Ansatz verschafft sich durch das zugrunde liegende demokratisch-liberale Gesellschaftsselbstverständnis und die gesellschaftliche Differenzierungsfunktion der Bildung ein hohes Begründungsniveau. Daneben wird auf die Verselbständigung des Bildungssystems gegenüber dem Industrialisierungs-und Arbeitsteilungsprozeß, die aus dem Erfordernis variabler Kompetenzen resultiere, und die Elastizität und Absorptionsfähigkeit des Beschäftigungssystems verwiesen; sein Wandel erfordere ein nach Maßgabe individueller Nachfragen flexibles Bildungssystem

Der Bedarfsansatz verfolgt demgegenüber das Ziel, Art und Dauer der Ausbildung und Zahl der Plätze bzw. Absolventen dem Bedarf des Beschäftigungssystems anzupassen. Sein nüchternes ökonomisches Interesse unterliegt zwar in der Konkurrenz mit dem legitimatorischen Pathos von Bildungsanspruch und Chancengleichheit, doch setzt es sich im Zweifel durch, denn das Grundrecht auf Bildung läßt sich mit dem Argument drohender Überschüsse und mangelnder Berufsaussichten erfolgreich torpedieren Dem Bedarfs-ansatz liegen folgende analytisch-prognostische Teilschritte zugrunde:

— Aufgrund von Zielprojektionen oder Vorausschätzungen wird das Bruttosozialprodukt bestimmt und auf die einzelnen Produktionssektoren aufgeteilt;

— auf dieser Grundlage wird die sektorale Arbeitsproduktivität projektiert bzw. geschätzt, wobei der Quotient aus dem sektoralen Sozialprodukt und der Arbeitsproduktivität den sektoralen Arbeitskräftebedarf ergibt; — dieser sektorale Bedarf wird in Berufsarten klassifiziert, mit der Altersstruktur des Ist-Bestandes und den jährlichen Abgängen zur Ermittlung des jährlichen Bedarfs in den einzelnen Berufen korreliert;

— durch Berufs-oder Tätigkeitsfeldanalysen und Befragungen werden die Ausbildungsvoraussetzungen, durch Addition über die verschiedenen Berufe und Sektoren die durch das Bildungssystem zu vermittelnden Qualifikationstypen und -mengen ermittelt;

— die gewonnenen Daten dienen als Grundlage der und -beratung, Bildungsplanung um Struktur, Art und gewünschte Zahl der Absolventen zu erzielen

Der Bedarfsansatz finde seine Legitimation durch die soziale Perspektive: Er verhindere soziale Konflikte durch die Vermeidung zyklischer und struktureller Ungleichgewichte, vermittle Informationen für die individuelle Berufswahl, trage einer adäquaten Zuordnung von absolvierter Ausbildung und Berufschance Rechnung und verhindere dadurch Enttäuschungen und extreme Ungleichgewichte.

Die Auflistung von Annahmen und Berechnungsschritten verdeutlicht die Schwächen beider Ansätze, wobei vor allem ihre Setzungen offenkundig sind. Der Nachirageansatz geht weitgehend von konstanten Größen aus: Berufsspektrum, Berufs-und Ausbildungswahl, Struktur des Bildungssystems, und schreibt Vergangenheitstendenzen statisch fort. Außerdem fehlen ihm präzise Kriterien für die Formulierung und Revision von tätigkeitsorientierten Ausbildungszielen und -in-halten; die Berücksichtigung der vielfältigen internen und externen Nachfragedeterminanten (z. B. Bildungseinstellung, gesellschaftlieher Status, soziale Erwartungen-, regionales Bildungsangebot, institutioneile Ausstattung, Bildungsinformationen) erweist sich überdies als äußerst schwierig. Kritische Einwände in bezug auf seine bildungs-und beschäftigungspolitischen Auswirkungen beruhen naturgemäß selbst wieder nur auf Annahmen: Auch der Nachfrageansatz kann zyklische Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt hervorrufen, wenn zu viele gleichgerichtete Entscheidungen Überschüsse hervorrufen; die unterstellte Flexibilität bzw. Absorptionsfähigkeit kann fortfallen, wenn das Beschäftigungssystem sich für bestimmte Abschlüsse als „gesättigt"

oder das Bildungssystem sich als zu starr erweisen. Eine generelle Höherqualifikation kann Automatisierungstendenzen verstärken und zum Fortfall von Arbeitsplätzen beitragen. Letztlich kann die Bildungsnachfrage an die Grenzen der Finanzierbarkeit stoßen; zumindest lassen sich leicht Kostenargumente gegen eine nicht primär ökonomisch funktionalisierte Ausbildung einwenden.

Die Schwächen des Bedarfsansatzes sind nicht geringer; die methodisch-prognostischen Probleme werden besonders sichtbar in der Schätzung oder Planung des Wirtschaftswachstums, der Arbeitsproduktivität, der Qualifikationsstruktur und -inhalte; Mobili-tätsund Substitutionsvorgänge sind nur schwer erfaßbar; ähnliches gilt für die Diskrepanz langfristiger Ausbildungsentscheidungen gegenüber kurzfristigen Wirtschaftsentwicklungen; ebenso gelingt es kaum, einen möglichen Qualifikationsbedarfswandel oder Kompetenzen zur Selbst-und Weiterbildung zu berücksichtigen; außerökonomische Kategorien wie politisch-demokratische Lernziele oder gesellschaftlicher Fortschritt bleiben ganz ausgeblendet. Bedarfsuntersuchungen gehen von vorhandenen Berufs-Qualifikations-Abschluß-Strukturen aus und unterstellen diese als bedarfsadäquat bzw. vom Beschäftigungssystem in dieser Art nachgefragt; ob es sich damit nicht nur um eine Orientierung an angebotenen Abschlußtypen handelt, bleibt ebenso offen wie die Möglichkeit, daß nicht allein berufliche Qualifikationen, sondern auch bestimmte Sozialisationsleistungen Inhalte des „Bedarfs" sind.

Die Mängelliste, über die kaum grundsätzlich Streit besteht, hat gleichwohl nicht dazu geführt, das Übergewicht des Bedarfsansatzes und seiner Varianten in der Forschung und Bildungsplanung zu verringern, zumal der hohe methodische und rechnerische Aufwand den Schein der Objektivität Vermittelt. Die Zahl der sektoralen Bedarfsprognosen (besser Projektionen) ist kaum noch übersehbar Allein aus jüngster Zeit liegen aus verschiedenen Sparten u. a. vor:

— Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung: Prognose des globalen, des schularten-und des fächerspezifischen Lehrerangebots und Lehrerbedarfs bis zum Jahre 1985, Bonn März 1977

— Ausschuß der Justizministerkonferenz für die Reform der Juristenausbildung: Berufsaussichten junger Juristen, Hannover November 1976 (MS)

— Hochschul-Informations-System GmbH: Hochschulabsolventen im Beruf. Beschäftigungslage und Berufschancen für Wirtschaftswissenschaftler, Juristen, Sozialwissenschaftler 1961 bis 1990, München 1975

— Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: Bedarf der privaten Wirtschaft an Akademikern. Eine Trendanalyse, Köln Juni 1975, sowie: Beschäftigungssystem und Akademikernachwuchs, Köln November 1976.

— Battelle-Institut: Bedarf und Angebot an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990, Nürnberg Mai 1975.

— McKinsey & Company: Ausbildungsbedarf für Mediziner bis zum Jahre 2000, München Juni 1974.

— Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Projektion der Qualifikationsstruktur des Arbeitskräftebedarfs in den Wirtschaftsbereichen der Bundesrepublik Deutschland bis 1985, Berlin 1973

Die Ergebnisse der Untersuchungen sind angesichts ihres prognostisch-projektiven Charakters höchst unterschiedlich, abhängig von divergierenden Erkenntnisinteressen, von der Art und Zahl der berücksichtigten Variablen, der unterstellten Status-quo-Bedingungen etc.:

— Die Flexibilität des Beschäftigungssystems und der Hochschulqualifikationen, die Mobilität der Akademiker und der allgemeine Trend zur Verwissenschaftlichung ließen keine oder leicht überwindbare Arbeitsmarktprobleme entstehen;

— erhebliche Überschüsse seien insbesondere bei Juristen, Lehrern, Wirtschafts-, Geistes-, Natur-und Sozialwissenschaftlern zu erwarten; — angesichts des geringen Ersatzbedarfs des Wirtschaftssystems an Akademikern und der fehlenden weiteren Aufnahmekapazität des öffentlichen Dienstes sei eine hohe akademische Arbeitslosigkeit resp. Unterbeschäftigung zu befürchten.

Die hier auf drei Positionen reduzierte Heterogenität der Bedarfsprognosen läßt eines deutlich erkennen: als Basis für entsprechende Bildungsplanungsund -steuerungsmaßnahmen sind sie ungeeignet. Eher flexibilitätsorientierte Untersuchungen verdeutlichen daher auch stärker die Bandbreiten des Bedarfs („Substitutionskorridore"); mögliche grundlegende Strukturveränderungen im Beschäftigungssystem durch eine breite Bildungsniveauanhebung vermögen selbstverständlich auch sie nicht zu „prognostizieren". Auffallend ist eine bemerkenswerte perspektivische Verengung: Alle Untersuchungen gehen sektoral vor und untersuchen Akademiker-Bedarfsprobleme Die übrigen, zahlenmäßig weitaus größeren Sparten oder Sektoren scheinen bedarfsprognostisch uninteressant und werden je nach Akademiker-Mangel-oder -Überschuß-Lage zur „Verschiebe-mässe 0; die national festliegende Zahl Auszubildender und Arbeitswilliger bleibt außerhalb des rein-ökonomisch bedarfsorientierten Kalküls. Letztlich wird in den meisten Akademikerprognosen nicht die politische Determination von Arbeitsplätzen verdeutlicht (z. B.

Lehrer, Sozialarbeiter). Angesichts des geschilderten Standes der Bedarfsforschung drängt sich die Frage nach den gesellschaftspolitischen Funktionen von Bedarfsprognosen auf, die z. Z. nur thesenhaft zu beantworten ist:

— Prognosen fungieren als Legitimationshilfe für die Bildungspolitik, die sich auf diese Weise vom Begründungszwang für ihre Projekte entlastet; je nachdem, ob ihre Ziele stärker ökonomisch-bedarfsorientiert oder stärker gesellschafts-bedarfsorientiert angelegt sind, gewährleisten eher traditionelle oder eher flexibilitätsorientierte Bedarfsuntersuchungen diese Funktion.

— Bedarfsprognosen dienen der Verschleierung der sozialen Selektion, da eine „bedarfsübersteigende" Bildungsteilhabe entweder die traditionelle Struktur sozialer Ungleichheit in Frage stellen oder die Wirksamkeit anderer Selektionsmechanismen aufdecken würde.

— (Restriktive) Akademikerprognosen befreien das politische System von der Notwendigkeit aktiver struktureller Beschäftigungspolitik.

—-Sie dienen weniger der Analyse eines rea-len Bedarfs als der Konkurrenzentlastung und damit Statussicherung, denn mit der Verringerung der Bewerberzahl im Beschäftigungssystem verlagert sich der Konkurrenzdruck „nach unten" und steigen die eigenen Sozialchancen im Beschäftigungssystem.

Die Thesen sind bewußt zugespitzt; ihre Begründung oder Widerlegung erfordern nähere Untersuchungen. Ihr Sinn besteht darin, zur kritischen Auseinandersetzung mit den Bedarfsargumenten in der aktuellen Bildungspolitik beizutragen.

2. Nachfrage versus Bedarf — eine Scheinalternative in der Bildungspolitik Den vereinfachenden Schlagworten von Subordination und Entkoppelung entsprechen die bildungsökonomischen Ansätze von Bedarf und Nachfrage; jedes Begriffspaar unterstellt einen antinomistischen Gegensatz. Ihr Alternativcharakter ist allerdings eher idealtypischer Natur: Der Nachfrageansatz unterstellt hohe Aufnahmefähigkeit und Flexibilität des Beschäftigungssystems, Differenzierung der individuellen Bildungsentscheidungen, Vorrang des Konsumgutcharakters anstelle des ökonomischen Nutzwertes von Bil-dung;

der Bedarfsansatz unterstellt eine real nicht vorhandene Stringenz von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Bedingungen zur Ableitung des Bedarfs, eine Inflexibilität des Beschäftigungssystems, die Vorausschätzbarkeit von Bedarfsentwicklungen und die Begrenzung von Bildungsmotivationen auf den unmittelbar wirtschaftlich verwertbaren Nutzen. Im Gesellschaftssystem der Bundesrepublik finden sich jedoch Elemente beider „Alternativen": Bildung kann weder auf den wirtschaftlichen Produktivitätsaspekt reduziert noch allein vom metaökonomischen Nutzenaspekt her erfaßt werden;

ihre ökonomischen und zivilisatorischemanzipatorischen Komponenten lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Die Scheinalternative von Nachfrage-und Bedarfsansatz sollte allerdings nicht den Blick dafür verstellen, daß Bildungspolitik stärker das expansive oder stärker das restriktive Konzept zugrunde legen kann.

An dieser Stelle sei die eigene Position verdeutlicht:

Das Beschäftigungssystem der Bundesrepublik hat sich bislang als elastisch erwiesen. Dies wird durch die Flexibilität hoher Qualifikationen unterstützt; die Arbeitslosigkeit nimmt mit steigendem Bildungsgrad ab. Die Bildungswertschätzung nimmt weiterhin zu, reale Bildungschancengleichheit ist kaum erreicht die Bildungsexpansion liegt erheblich hinter vergleichbaren Ländern Selektionsprozesse sind vom Wertsystem des Grundgesetzes her allenfalls nach Begabung und Leistung, mithin also grundsätzlich im Beschäftigungssystem akzeptabel. Diese Hinweise sprechen m. E. gegen den engen ökonomischen Bedarfsansatz; für eine klare Dominanz des Nachfrageansatzes sind sie jedoch nicht hinreichend tragfähig. Den Grundlagen eines demokratisch-sozialen Staates scheint die Option für eine an gesamtgesellschaftlichen Zielen orientierte, dynamisch-finale Bedarfssteuerung angemessen, die eine Ausbalancierung von Individualnachfrage und ökonomischem Bedarf aut der Grundlage politischer Zielentscheidungen anstrebt.

Diese Option ist insoweit einer Legitimitätsprüfung zu unterziehen, als sie die These einschließt, daß dem politischen System auf der Grundlage gesamtgesellschaftlich begründeter Zielauswahl Maßnahmen der Bildungssteuerung gestattet sind.

IV. Bildungssteuerung in der Legitimitätsprüfung

Legitimität bezieht sich auf die Begründung, Gültigkeit unf Anerkennung von Herrschaft; sie wird vermittelt durch Traditionen, Personen, Ideologien, Werte und Normen, unter Umständen auch nur durch das Bewußtsein von der Normgeltung oder durch bestimmte soziale Zustände In bürgerlich-demokratischen Systemen ist die Frage nach der normativen Legitimation nicht absolut und endgültig zu beantworten; ihre Basis ist Konsens, der sich auf grundlegende Werte (z. B. Menschenwürde und Grundrechte) und Verfahrensregeln (z. B.demokratische Konfliktnormen) bezieht. Dieser Grundkonsens ist nur durch kommunikative Wertanerkennung, allenfalls begrenzt durch Herrschaft stabilisier-bar, insofern weder Kritik noch Wandel entzogen. (Der wichtigen sozialwissenschaftlich-empirischen Frage nach den tatsächlichen, Systemlegitimität vermittelnden und sichernden Faktoren kann hier nicht näher nachgegangen werden.) Juristische Verfassungen dienen als (Hilfs-) Instrument zur Identifikation dieses (normativen) Grundkonsenses; insofern ist das Grundgesetz Legitimationsbasis für politisches Handeln in der Bundesrepublik. Dabei beansprucht das Grundgesetz zwar volle Geltung, anerkennt aber den politisch-demokratischen Primat in Gestalt weitgehender Verfassungsänderbarkeit. Bestimmte Prinzipien wie Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialität und föderative Pluralität erhalten allerdings ein besonderes Gewicht, indem diese jeglicher formeller Veränderung entzogen werden; dies schließt ange-sichts ihrer Abstraktheit eine jeweils zeitabhängige Ausdeutung (z. B. Menschenwürde, Sozialität) nicht aus

1. Legitimitätsprobleme

Eine über gewisse struktursichernde Normen und offene institutioneile Bildungsangebote hinausgehende Bildungspolitik wäre illegitim, wenn Gesellschaftsund Wirtschaftssystem der Gestaltung durch das politische System entzogen wären; denn unabhängig von der Art, Schwere und Reichweite lenkender Maßnahmen wirkt Bildungspolitik aus der traditionellen Sphäre des Politisch-Staatlichen gestaltend hinein in die Gesellschaft. Ohne Zweifel entspricht die Antinomie von Staat und Gesellschaft weder Grundgesetz noch politischer Wirklichkeit; allerdings wird, gestützt auf die Grundrechte, ein politikbegrenzender Gegensatz von öffentlichem Staat und privater Gesellschaft angenommen Nach demokratischem Selbstverständnis ist der Staal unabhängig von der konkreten demokratischen Ausgestaltung das institutionell ausdifferenzierte Handlungsund Selbststeuerungsinstrument der Gesellschaft; sein Handeln ist stets gesellschaftsbezogenes Handeln. Keinem ökonomischen Ordnungstypus sichert das Grundgesetz eine besondere Legitimität zu Die Fülle kompetenzrechtlicher Be-

stimmungen für Bildungs-, Wirtschafts-und Gesellschaftssystem verdeutlicht, daß die staatliche Lenkungsbefugnis im Grundsatz unbestreitbar ist. Legitimitätszweifel können von da her nur auf bestimmte Teilbereiche und Handlungsinstrumente staatlicher Bildungssteuerung bezogen werden; in Betracht kommen insbesondere die bildungsund berufsrelevanten Grundrechte. Diese sind von ihrer Entstehung her funktional gegen den Staat gerichtet: Schutz der Privatsphäre vor staatlicher Einwirkung. In ihrer politischen Wirkung erweisen sie sich als revolutionär gegen den Bestand tradierter Privilegien und als konservativ durch die „Legitimation" vorhandener Besitzstände. Aus der traditionellen Grundrechtsposition heraus erscheint der Vorwurf illegitimer Freiheitsverletzung gegenüber verschiedenen Formen der Bildungssteuerung vertretbar: z. B. Beschränkungen oder Veränderungen im herkömmlichen Spektrum inhaltlich-organisatorischer Ausbildungsmöglichkeiten, bestimmte Formen des Anreizsystems, Quotierungen. Dabei wird meist stillschweigend übergangen, daß der liberal-ausgren-zende Ansatz die private Verfügbarkeit staatlicherseits gewährter Güter voraussetzt; angesichts der staatlichen Bildungsträgerschaft können Freiheitsprobleme jedoch erst aufgrund und innerhalb öffentlich-institutioneller Leistungsgewährung auftreten. Bildungsgrundrechte werden materiell erst durch zielorientierte, interessenbedingte, alternativenentscheidende, kurzum steuernde Bildungspolitik wirksam. Hier scheitert der unmodifizierte traditionelle antistaatliche Ansatz; seine Hilflosigkeit wird in Art. 12 GG deutlich, wenn das Recht auf Ausbildungsplatzwahl bejaht, auf Ausbildungsplatzbereit-Stellung verneint wird. Erst eine funktional komplexere Grundrechtstheorie ermöglicht differenziertere Aussagen über Spielraum und Legitimitätsschranken institutioneller Bildungsgewährleistung und -lenkung 2. Legitimitätsbegründung und -schranken der Bildungssteuerung Art. 7 GG legt die staatliche Aufsicht über das Bildungssystem fest, wobei Aufsicht als Inbegriff staatlicher Bestimmungs-und Organisationsrechte verstanden wird. Daß hierzu unstreitig Zweckbestimmung, Mitteleinsatz, Struktur-und Organisationsfestlegung, Personaleinsatz und Verfahrensbestimmung gehören, wird durch die ausführlichen Bildungskapitel der Länderverfassungen bestätigt (grundsätzliche Steuerungslegitimität). Zum Teil garantieren sie ausdrücklich ein Recht auf Bildung (z. B. Art. 8 NRW-Verf.). Hinweise auf Grenzen des „Nachfrageansatzes", abgesehen von „erkennbaren Fähigkeiten und Begabung", fehlen ebenso wie Ausführungen zu den Grenzen staatlicher Lenkungskompetenzen. Aus der Verpflichtung der Gebietskörperschaften, den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen (Art. 109 Abs. 2GG), ergeben sich Folgerungen auch für die Bildungspolitik: Das Vollbeschäftigungsziel legitimiert zur Verwirklichung des Rechts auf Arbeit einerseits eine möglichst wirtschaftsbedarfsadäquate Bildungssteuerung, andererseits erfordert es — wie insbesondere das V/achstumsziel angesichts der Wandlungen des Wirtschaftssystems — langfristig angelegte, ausbaufähige und flexible Qualifikationen. Einige der Länderverfassungen (z. B. Art. 8 Bremer Verf.) heben das Recht auf Arbeit ausdrücklich hervor und bestimmen hierzu die Mittel der Vollbeschäftigungspolitik und Wirtschaftslenkung (Art. 12 Berliner Verf.). Operationable Markierungspunkte für eine Grenzziehung der hiernach weiten Steuerungsspielräume ergeben sich nicht.

Hinweise für Inhalt, Richtung und Schranke legitimer Bildungssteuerung vermitteln jedoch die Grundrechte. Die funktionale Aus-differenzierung in der modernen demokratischen Gesellschaft, die die Dichotomie Staat versus Individuum längst hinter sich gelassen hat, produziert neue, vom traditionellen Grundrechtsverständnis „übersehene" Gefahrenlagen. Grundrechte behalten daher ihre freiheitsvermittelnde Dynamik nur, wenn sie als jeweils zeit-und konfliktbezogene Antworten auf freiheitsbedrohende Herrschaftsübergriffe verstanden werden: Grundrechts-theorie hat die jeweils realen Bedrohungen theoretisch zu verarbeiten und praktische Antworten für die freiheitsvermittelnde Inter25 essenaussteuerung zwischen Individuen, Institutionen, gesellschaftlichen Subsystemen und Gesamtsystem zu liefern. Grundrechte entfalten über die herkömmliche punktuelle Bedeutung hinaus vielfältige (multiiunktionale) und strukturelle Wirkungen Folgende Grundrechtsfunktionen lassen sich unterscheiden:

— Schutzgewährleistungen für individuelle Handlungsund Entfaltungsfreiräume;

— Gewährleistungen materieller und institutioneller Freiheitsvoraussetzungen;

— Teilhaberechte an Leistungen und institutioneilen Angeboten;

— Ansprüche auf chancengleiche Zugangsund Verteilungsverfahren;

— strukturelle Funktionsbedingungen und institutioneile Gewährleistungen wichtiger gesellschaftlicher Institutionen, wie z. B. Presse, Schule etc.;

— soziopolitische Mitbestimmungsrechte und Sozialitätspflichten;

— gesellschaftliche Integration durch Konsensbildung und -erhaltung;

— Aufgaben des politischen Systems zu frei-heits-, gleichheits-und sozialitätsgewährlei+ Stender Steuerung der Subsysteme;

— verbindliche, aber inhaltlich offene Leitlinien und Zielmaximen für kontroverse politische Handlungskonzepte.

Bildung-, Berufs-und Beschäftigungsprobleme im gesamtgesellschaitlichen Zusammenhang zu lösen, überschreitet das Leistungsvermögen der individualistisch-antistaatlichen Grundrechtstheorie; dies gilt übrigens auch für ihre weiterentwickelte Leistungsteilhabefunktion, da auch diese auf die Einzelperson bezogen bleibt: Jede Begrenzung und Versagung von Berufsausbildungswünschen würde das Grundrecht tangieren. Art. 1 und 20, die gemeinsam den grundgesetzlichen Legitimitätsbegriff konstituieren und nicht „zufällig" legalen Verfassungsänderungen entzogen sind öffnen den Blick für diesen Zusammenhang und bestätigen das multifunktionale Grundrechtskonzept: Menschenwürde (Grundrechte) und Demokratie bedingen sich gegenseitig — Demokratie und Sozialität setzen die rechtlich gesicherte Freiheit für alle voraus, Freiheit für alle setzt Demokratie und Sozialität voraus Art. 1 und 20 sind Ausdruck der Zuordnung, Verflechtungen und Abhängigkeiten von Individuen, Gruppen, Institutionen, Subsystemen und Gesamtsystem. Dieses Beziehungsgefüge — und nicht nur die Beziehung Individuum — Staat — bedingt eine gesamtgesellschaftliche (demokratisch-sozial orientierte) finale Bildungsbedarfssteuerung; hierbei den Würde-, Freiheits-, Gleichheits-, Teilhabe-und Sozialitätsprinzipien größtmögliche Wirksamkeit zu verschaffen, ist Sinn der ansatzweise skizzierten Grundrechtsfunktionen M).

Doch was bedeuten sie für die Frage nach der Legitimität politischer Bildungsbedarfslenkung? Konkrete Folgerungen aus der grundrechtstheoretischen Abstraktion sind in Kürze in der Tat nur schwierig zu gewinnen; einige Maßstäbe lassen sich allerdings aufstellen:

— Die Ziele der Bildungspolitik müssen sich an den Leitlinien und Zielen des Grundkonsenses orientieren bzw. innerhalb seines Spielraumes bewegen; ihre Konkretisierung im Bildungssystem unterliegt der bildungsund gesellschaftspolitischen Kontroverse und Entscheidung.

— Bildungssteuerungsmaßnahmen sind bei grundrechtskonformer Ausgestaltung weitestgehend legitim; sie müssen im Grundsatz influenzierend und dürfen nur in gleichheitsrechtlich gemilderten Ausnahmefällen restriktiv angelegt sein.

— Restriktionen sind im Hinblick auf die individualisatorischen und sozialisatorischen Funktionen der Bildungsvermittlung im Allgemeinbildungssystem prinzipiell unzulässig, im Berufsausbildungssystem im Hinblick auf höherrangige Systemziele (z. B. Vollbeschäftigung, Gemeinschaftsaufgabenkonkurrenz) jedoch zulässig.

— Anreize und Restriktionen dürfen nicht gegen Gleichheitsrechte verstoßen, bei Zugangs-beschränkungen muß jeder Bewerber Zugangs-und Erfolgschancen erhalten

Eine weitere Umsetzung der differenzierten (Bildungs-) Grundrechtsfunktionen in die verschiedenen lenkungsrelevanten Bereiche des Bildungs-und Beschäftigungssystems kann an dieser Stelle nicht geleistet werden; einige Resultate schlagen sich in den Folgerungen für die Bildungspolitik nieder.

V. Thesen zum Verhältnis von Bildungs-und Beschäftigungssystem und zu den Aufgaben der Bildungspolitik

1. Die Komplexität der modernen Industriegesellschaft, ihrer äußerst vielfältigen Bedürfnisstrukturen und der nur begrenzt prognostizierbaren Entwicklungen erfordert eine umfassende, an gesamtgesellschaftlichen und nicht nur an ökonomischen Zielen orientierte langfristige Planung und Steuerung des gesamten Bildungssystems einschließlich des immer wichtigeren Quartären Bereichs der IFort-und Weiterbildung. Bildungspolitik ist immer Organisations-, Inhalts-und Funktionsentscheidung; Entscheidung aber impliziert Alternativenwahl. Bildungssteuerung bzw.

-lenkung sind daher Wesensmerkmale der Bildungspolitik, grundrechtliche Realisierungsbedingungen und nicht Widerspruch zum Bürgerrecht auf Bildung.

2. Bildung und Ausbildung sind notwendige Bedingungen der Personalisierung und Sozia-Ilisation; sie vermitteln gesellschaftliche und kulturelle Normen und Werte, Kenntnisse, Kulturtechniken und intellektuelle, politische, soziale und tätigkeitsbezogene Kompetenzen;

Ausbildungsfragen dürfen nicht auf Berufsverwendungsfragen reduziert werden. Grundrechte werden daher verletzt, wenn im Allgemeinbildungssystem bedarfsorientierte Selektionen, Restriktionen und Schwellenbildungen stattfinden. Entsprechende Ansätze nähren den Verdacht, daß auch in einer demokratischen Gesellschaft soziale Differenzierungen — nicht Ergebnisse von Bildungs-und Leistungs-, sondern von Herkunft-und Eigentumsunterschieden sind. 3. In einer differenzierten arbeitsteiligen Massengesellschaft ist Bildungsteilhabe nur innerhalb bildungspolitisch-institutioneller Vorgaben möglich. Individuelle Bildungswünsche sind dabei um so umfassender realisierbar, je stärker sich die Bildungspolitik von der nur scheinbar zwingenden Forderung nach enger Anlehnung an (angenommene) ökonomische Bedarfsstrukturen löst und auf der Grundlage gesellschaftspolitischer Zielsetzungen ein möglichst offenes Bildungssystem gewährleistet. 4. Die Aufgaben einer aktiven, steuernden Bildungspolitik bestehen daher in einer hinlänglich komplexen Diversifizierung des Ausbildungsangebots in bezug auf Dauer, Inhalte, Abschlüsse, Aufbaumöglichkeiten wie Schwerpunktbildungen; Begriffe wie Durchlässigkeit, Differenzierung, Substituierbarkeit, Schlüsselkompetenz, Flexibilität, Berufsfeld und Lernfähigkeit beschreiben die bildungsstrukturellen, curricularen individuumbezogenen Erfordernisse. Spezialisierung, enge Berufsorientierung, Anlerntätigkeiten hingegen bergen die Gefahr frühzeitiger Ausbildungsentwertung. 5. Daher ist es zentrale Aufgabe des im Rahmen bildungspolitischer Vorgaben nachfra-

georientierten Allgemeinbildungssystems, eine möglichst qualifizierte und breit gefächerte Allgemeinbildung zu gewährleisten; denn die Vermittlung von Grundlagen und Grundkompetenzen ist der Schlüssel zur Vermeidung großer Diskrepanzen und Brüche zwischen Bildungsund Beschäftigungssystem; Schwankungen und Friktionen zwischen beiden sind in einem überwiegend marktwirtschaftlich organisierten System ohnehin unvermeidbar. Arbeitslosenprobleme sind ganz wesentlich Folge unzulänglicher Schul-und Berufsausbildung sowie fehlender Lernfähigkeit. Substituierbarkeit und Flexibilität dienen nicht nur einer besseren Anpassung an Bedarfsschwankungen, sondern auch der Persönlichkeitserweiterung durch Mobili-täts-und Lernfähigkeitssteigerung. Eine breite Allgemein-und grundlagenorientierte Berufsbildung versetzen mehr Bürger mit Erfolg in die Lage, über die Ausübung ihrer Arbeit hinaus erfolgreich für erweiterte Mitbestimmungsrechte und verbesserte Arbeits-, Sozial-und Umweltbedingungen einzutreten. 6. Zulässige Steuerungsmittel im beruflichen Bildungssystem sind alle beeinflussenden und stimulierenden Formen (Anreizsystem), wenn sie gleichheitsrechtlich ausgestaltet sind. Schwellenbildungen sind dann unproblematisch (legitim), wenn sie mit sinnvollen Berufsabschlüssen verbunden und durch individuelle Leistung überwindbar sind. Quotierungen sind zulässig, wenn sie durch hochrangige gesellschaftspolitische Ziele resp. konkurrierende Gemeinschaftsaufgaben legitimiert werden können und mit hinlänglich vielfältigen Alternativangeboten vergleichbarer Ausbildungsebene kompensiert werden.

7. überwiegend negativ wird die Frage nach der Legitimität positiver Zuweisungen im Allgemeinbildungssystem beantwortet; besondere Bedeutung besitzt sie für die sogenannte positive Auslese (elterliche Schulartentscheidung) und negative Auslese (schulisches Revisionsrecht bei fehlender „Begabung"). Angesichts der auch heute (wieder?) feststellbaren schichtspezifischen Schulartentscheidung (traditionelle „Wahl" der Hauptschule durch Unterschichteltern) erscheint die Antwort überdenkenswert, denn die „schulische Auslese" würde ja angesichts der nach herrschender Meinung legitimen „negativen Auslese" ein Mehr an Bildung bedeuten. Das Thema entschärft sich mit der Option für die Regel-Gesamtschule. Festzuhalten ist auf jeden Fall, daß gegen eine derartige staatliche Inanspruchnahme des Schulorganisations-, Dauer-und Inhaltsbestimmungsrechts u. U. zwar bildungspolitische und pädagogische, nicht aber Legitimitätsargumente vorgetragen werden können. Generelle Teilhabepflichten sind im Allgemein-und Berufsausbildungssystem ohne Bedenken zulässig, unzulässig wäre jedoch der Oktroi einer Entscheidung bei inhaltlichen Alternativen. 8. Uber das Bildungssystem hinausgreifende Lenkungsmaßnahmen sind angesichts der Offenheit des Grundgesetzes für wirtschafts-

und gesellschaftspolitischen Wandel unter Beachtung des Gleichheitssatzes sehr weitgehend legitim (schon z. Z. gibt es Umlage-pflichten zur Schaffung betrieblicher Ausbildungsplätze, Beschäftigungspflichten für Schwerbehinderte, bestimmte Entlassungsverbote, Arbeitsplatzbestimmungen etc.); denkbar wären z. B. Ausbildungsund Beschäftigungspflichten zugunsten Jugendlicher. Wie die Ausbildungsplatzzuweisung ist auch die Arbeitsplatzzuweisung gegen den Willen des Betroffenen unzulässig; Ausnahmen kommen allenfalls für gesellschaftsexistentielle Fragen bzw. Situationen vorübergehend in Betracht und sind durch Alternativmöglichkeiten zu entschärfen (Feuerwehr-, Kriegs-, Ersatz-, Friedens-, Entwicklungsdienste u. ä.). Negative Lenkungsmaßnahmen in Form von Berufs-verboten (im herkömmlichen Sinne) bedürfem einer Legitimation durch hochrangige Gemeinwohlinteressen. 9. Ob die Bildungsnachfrage-Bedarfslenkung stärker ökonomische Interessen oder stärker (auch) gesellschaftspolitische Ziele verfolgt, ist — sofern sie sich an den Leitlinien des Grundkonsenses orientiert — eine Frage politischer Option, Begründung und Durchsetzung, nicht jedoch der Legitimität.

10. Der ökonomische Bedarfsbegriff ist leicht als Vehikel nicht explizierter Interessen instrumentalisierbar, wenn er für Überfüllungs-und Akademikerproletarisierungsthesen Verwendung findet, während sich gleichzeitig der größere und schulisch geringer ausgebildete Teil der Jugendlichen mit schwerwiegenden Problemen des Ausbildungsund Arbeitsplatzmangels konfrontiert sieht. Dessenungeachtet ist der Bedarfsbegriff ursächlich für einen gewissen konservativen Grundzug vieler Bedarfsprognosen, bleiben sie doch der Verlängerung von Vergangenheitstrends in die Zukunft hinein verhaftet; das Bildungssystem gerät dabei in die Funktion eines „Verschiebebahnhofs" von Qualifikationstypen und -quanten. Festzuhalten bleibt, daß eng-ökonomische Prognosen Verwerfungen und Wellenbildungen zwischen Bedarf und Nachfrageverhalten nicht zu bewältigen im Stande sind; dies und die mangelnde Prognostizierbarkeit des qualifikatorisch-inhaltlichen Bedarfs verbieten daher einer rationalen Bildungspolitik, das Bildungssystem zu „subordinieren" oder beide Systeme völlig zu . *„entkoppeln Ihre Koordination erfordert eine aktive gesamtgesellschaftlich orientierte finale Bildungspolitik.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bayerischer Kultusminister (Bay. KM) Hans Maier, Das Verhältnis von Bildungsund Beschäftigungssystem im akademischen Bereich, Referat v. 10. 11. 1976 in der Hanns-Seidel-Stiftung, MS S. 10 u. 14.

  2. Reichskanzler Otto v. Bismarck in einem Schreiben vom 16. 3. 1890 an Kaiser Wilhelm II. Abgedruckt in: Erziehung und Wissenschaft 29 (1977), H. 3, S. 14.

  3. Vgl. Hasso v. Recum, Aspekte der Bildungsökonomie, Darmstadt/Neuwied 1969; Klaus Hüfner/Jens Naumann (Hrsg.), Bildungsökonomie — eine Zwischenbilanz, Stuttgart 1969.

  4. OECD-Bericht über die Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland v. 1. 12. 1971, Auszüge abgedruckt in: Recht der Jugend und des Bildungswesens (RdJB) 1972, S. 275— 281, 304— 311.

  5. Bay. Ministerrat; Gleichgewicht zwischen Bildungssystem und Beschäftigungssystem (Studie einer Interministeriellen Arbeitsgruppe), MS Sept. 1976, S. 6; Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Beschäftigungssystem und Akademikernachwuchs, Köln Nov. 1976, S. 5 u. 9.

  6. . Gebot der sozialen Symmetrie’ — zu dieser zumindest sehr mißverständlichen Formel vgl. CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Pressedienst v. 26. 8. 1976, S. 3, und dies., Öffnung des Bildungswesens durch Kurskorrektur in der Bildungspolitik. Eine Dokumentation zu den Chancen der Hochschulabsolventen bis zum Jahr 2000, (Arbeitskreis für Bil-dung, Wissenschaft, Forschung und Technologie der CDU/CSU), MS, Bonn v. 26. 8. 1976, S. 20.

  7. Näher Ulrich Teichler, Numerus-clausus und gesellschaftlicher Bedarf, in: Studentische Politik. Informationen — Materialien — Berichte 1975, H. 6/7, S. 47— 66, 63 ff.; vgl. auch Ulrich Herrmann/Gerd Friederich, Qualifikationskrise und Schulreform — Berechtigungswesen, Uberfüllungsdiskussion und Lehrerschwemme, in: Zeitschrift für Pädagogik, 13. Beiheft 1977, S. 309— 325.

  8. Herrmann/Friederich, a. a. O.; ders., Schule und Gesellschaft. Weinheim/Basel 1977.

  9. Vgl. hierzu die widersprüchlichen Aussagen im Hochschulrahmengesetz (HRG) vom 26. 1. 1976 — einerseits § 10 Abs. 2 S. 1, andererseits S. 2, dritterseits Abs. 3.

  10. Der Umund Ausbau als Gesamthochschulsystem ist trotz Wissenschaftsrat (Empfehlungen zu Umfang und Struktur des Tertiären Bereichs, Bonn Juni 1976), HRG §§ 4— 6 und punktueller Gründungen (NRW, Hessen, HH) derzeit wenig realistisch;, vgl. auch Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Struktur und zum Ausbau des Bildungswesens im Hochschulbereich nach 1970, Bd. 1— 3, Bonn 1970.

  11. Z. B. Fachhochschule als Durchgangsstufe (allg. Hochschulreife) zur Universität, solange 6se-mestrige FH-Studiengänge mit der Eingangsstufe A 9, 8semestrige Universitätsdiplome mit A 13 bewertet werden.

  12. Vgl. die Genese des HRG, des Numerus clausus, der Alternativhochschulzugangsregelungen, der Berufsausbildung in der Sekundarstufe II u. v. m. Hierzu vgl. Andreas Flitner/Ulrich Herr-mann (Hrsg.): Universität heute. München/Zürich 1977.

  13. Hierzu Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), Stufenplan zu Schwerpunkten der beruflichen Bildung v. 2. 6. 1975, Stuttgart 1975; Reinhard Crusius u. a„ Berufsbildung — Reformpolitik in der Sackgasse?, Reinbek 1974; Theodor Dams, Berufliche Bildung — Reform in der Sackgasse, Freiburg 1973; Winfried Schlaffke/Jürgen Zabeck, Berufsbildungsreform — Illusion und Wirklichkeit, Köln 1975; Reform der beruflichen Bildung (Schriftenreihe der IG Metall Bd. 66), Frankfurt a. M. 1976; Hildegard Hamm-Brücher, Bildung ist kein Luxus, München 1976.

  14. Nach Kultusministerkonferenz (KMK) Dokumentation Nr. 50/Mai 1976, Vorausberechnung der Schüler-und Absolventenzahlen 1973— 1995; Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (BMBW), Bildungspolitische Zwischenbilanz, Bonn Febr. 1976; BMBW, Grund-und Strukturdaten 1976, Bonn Sept. 1976.

  15. Im Hinblick darauf erscheinen die z. T. erheblichen Kapazitätsreduktionen bei den Pädagogischen Hochschulen problematisch; dies gilt erst recht bei zugleich unterbleibenden Umschichtungen der Studienplätze.

  16. KMK-Dok. Nr. 50; KMK Revidierte Ergebnisse zu Dok. 50 v. 17. 12. 1976, und Wissenschaftsrat, Tertiärer Bereich (Anm. 11).

  17. Zum Ausbildungsplatzbedarf im kommenden Jahrzehnt, Bonn Juli 1976.

  18. Wissenschaftsrat, Tertiärer Bereich (Anm. 11), S. 29— 35.

  19. Fehlende oder unzulängliche Qualifikationen weist die Arbeitslosenstatistik als wichtige Ursa-che aus; mehr als eine halbe Million Arbeitslose sind 1977 ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Der Umschulungserfolg wiederum korreliert positiv mit der Qualität der Erstausbildung.

  20. 1970 rd. 27, 6 Mrd. DM, 1960 rd. 9 Mrd. DM.

  21. Nach Bundesministerium der Finanzen, BMF-Dokumentation 21/76; ausführlicher BMBW, Bildungspolitische Zwischenbilanz sowie Grundund Strukturdaten (Anm. 15).

  22. Vgl. Briese, S. 71.

  23. Vgl.den Bericht von Wolfgang Lempert, Demokratie und Erziehung im Amerika. Neuere Untersuchungen zum Verhältnis von Bildungsund Beschäftigungssystem in den USA, in: Neue Sammlung 1977, S. 165— 190.

  24. Vgl. schon die reeducation-Phase der Nachkriegszeit — hierzu Karl-Ernst Bungenstab, Umerziehung zur Demokratie? Reeducation-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945— 1949, Düsseldorf 1970.

  25. Solche Versuche waren selbst dort wenig erfolgreich, wo, wie in der DDR, eine ideologisch stringente Bildungspolitik betrieben werden konnte. Zum Verhältnis von Bildungspolitik und sozialem Wandel vgl. Wirtschaftlicher und sozialer Wandel in der Bundesrepublik Deutschland. Gutachten der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel. Göttingen 1977.

  26. Offe, a. a. O. (Anm. 23), S. 225 f.

  27. Vgl. Teichler, a. a. O. (Anm. 8), S. 63 ff.

  28. Bay. Ministerrat, a. a. O. (Anm. 6), S. 6.

  29. CDU/CSU, a. a. O. (Anm. 7), S. 19.

  30. Beachte allerdings die gegenwärtigen erheblichen Unterschiede der Abiturienten-Jahrgangsquoten als Resultate unterschiedlicher Bildungssteuerung in Bayern bzw. Hessen (zur umstrittenen Landesquotenregelung des HRG vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] Urteil v. 8. 2. 1977, 1 BvF 1/76 = BVerfGE 43, S. 291— 400).

  31. CDU, Entwurf für etn Grundsatzprogramm, Bonn April 1976; Wahlprogramm der CDU und CSU 1976; Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU, Kommunalpolitisches Grundsatzprogramm v. 22. 1. 1975. Recklinghausen 1975, S. 5 f.; vgl. auch Kulturpolitisches Programm der KM der von CDU und CSU regierten Bundesländer 1976, S. 18, 26, 29.

  32. Vgl. Regierungserklärung v. 16. 12. 1976, Ziff. 37 44, sowie SPD-Regierungsproqramni 1976— 1980, Bonn 1976, S. 19, 29, 32.

  33. Arbeitsgemeinschaft für Sozialdemokraten im Bildungsbereich, Grundlagen und Zielvorstellungen sozialdemokratischer Bildungspolitik, in: Bil-dung und Erziehung 1977, S. 77— 89 (81); ähnl. Sozialdemokratische Fachkonferenz Bildung und Beruf v. 374. 7. 1976 in Hannover, Bonn 1976.

  34. Entschließungsantrag BW’s im Bundesrat v. 4. 3. 1977 (Drs. 111/77) zu kürzeren, zweijährigen Ausbildungsgängen — Beschluß am 6. 5. 1977.

  35. Bildungspolitik und Beschäftigungssystem. Bildungspolitische Konferenz '76 des DGB, in: Gewerkschaftliche Bildungspolitik 1976, H. 11/12, hier insbes. S. 278 f.

  36. Heinz Oscar Vetter, Referat ebd., S. 283— 289.

  37. Winfried Schlaffke, Akademisches Proletariat?, in: Berichte des Deutschen Industrieinstituts zu bildungsund gesellschaftspolitischen Fragen 2 (1970), H. 1; ders. (Hrsg.): Bildungsbericht des Instituts der deutschen Wirtschaft 1977, Köln 1977.

  38. BDA, Beschäftigungssystem und Akademikernachwuchs, Köln Nov. 1976, S. 9.

  39. BDA, Arbeitsmarktentwicklung und Situation der Jugend, Köln Juli 1976, S. 5, 10, 14; vgl. BDA, Sozialpädagogische Aspekte der Jugendarbeitslosigkeit, Köln Nov. 1976.

  40. Ebd., S. 31 f. Das Kuratorium der Deutschen Wirtschaft (Anm. 18, S. 13) wendet sich gegen Senkung der Hochschulübergangsquote der Abiturienten und betont für diese die Berufsausbildungspflicht des Staates. ev, .

  41. Vgl. zuletzt Kleine Anfrage der CDU/CSU betr. Berufsaussichten junger Hochschulabsolventen u. entspr. Antwort der Bundesregierung (BT-Drs. en 8/770 u. 8/860 v. 21. 7. u. 29. 8. 1977; BT-Ausschuß für Bildung und Wissenschaft. Sitzung v. 14. 9. 1977, nichtöffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema „Bildungs-und Beschäftigungssystem , Protokoll Nr. 15.

  42. Zum Vorstehenden näher Gerhard Brinkmann u. a., Bildungsökonomik und Hochschulplanung, Darmstadt 1976; Uwe Göbel/Wolfgang Kramer, Da-ten und Argumente zur Bildungspolitik, Köln 1976; Ulrich Teichler u. a ; Hochschulexpansion und Bedarf der Gesellschaft, Stuttgart 1976; Erik Gurgs-dies, Schulreform und Chancengleichheit, Berlin/Bonn 1975.

  43. Vgl. z. B. Artur Woll, Hochschulausbildung in der Sozialen Marktwirtschaft, in: E. Tuchfeldt (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft im Wandel, Freiburg 1973, S. 139— 157; Wolfgang Engels, Private Unis leisten mehr, in: Wirtschaftswoche Nr. 39 v. 20. 9. 1974, S. 65; kritisch Hajo Riese, Probleme der Bildungsökonomik, in: Grundfragen der Infrastruktur für wachsende Wirtschaften, Berlin 1971, S. 471— 489.

  44. Vgl. Ziele und Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) v. 25. 6. 1969 i. d. F. v. 28. 12. 1976 (vgl. dazu Analysen 1976, H. 2, S. 32— 39).

  45. Z. B. Medizinstudienplätze für spätere (u. U. zeitlich befristete) Tätigkeiten in Krankenhäusern, ländlichen Regionen, Entwicklungsländern — vgl. § 32 Abs. 2 Ziff. 2 HRG: ... Bewerber, die sich verpflichtet haben, ihren Beruf in Bereichen besonderen öffentlichen Bedarfs auszuüben ...

  46. Zum Steuerungsinstrumentarium vgl. auch Lutz-Rainer Reuter, Bedarfssteuerung in der Bildungspolitik?, in: Die Mitarbeit 1977, S. 233— 250; 'bemerkenswerte Vorschläge zur Lösung der Beschäftigungsprobleme von Peter Grottian, wie man arbeitslose Akademiker im öffentlichen Dienst beschäftigt, in: Frankfurter Rundschau v. 28. 2. 1977;

  47. Vgl. Bericht über den Stand der Maßnahmen auf dem Gebiet der Bildungsplanung, Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) V/2166 v. 13. 10. 1967.

  48. Z. B. Deutscher Ausschuß für das Erziehungs-

  49. Z. B. Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Forschungsinstitut bei der Bundesanstalt für Arbeit, Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung, Forschungsinstitute von BDA/BDI, DGB, Parteien und Kirchen, Sonderforschungsbereiche der Hochschulen. In diesem Zusammenhang sei auf das äußerst unübersichtliche Feld öffentlich initiierter/finanzierter Bildungsauftragsforschung verwiesen, vgl. hierzu Rolf Berger: Zum Verhältnis von Aufgabe, Struktur und Interessen in der Forschungspolitik — dargestellt am Beispiel der Beratung des BMFT. Referat auf dem Kongreß der DVPW 1977.

  50. Z. B. Hochschulrahmengesetz, Berufsbildungsgesetz, Arbeitsförderungsgesetz, Ausbildungsplatzförderungsgesetz, Graduiertenförderungsgesetz, Sozialgesetzbuch — Allgemeiner Teil, Hochschulbauförderungsgesetz, Hochschulstatistikgesetz, Län-der-Schul-, Hochschulund -Weiterbildungsgesetze.

  51. Länder-Kultus-und -Wissenschaftsministerien; Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Bundesministerium für Forschung und Technologie; Kultus-, Finanzminister-, Ministerpräsidentenkonferenzen; Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung; Bundesinstitut für Berufsbildung, Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen etc.

  52. Seine . Farbigkeit'könnte ein Überblick über die . großen’ Bildungsbestandsaufnahmen, Struktur-, Stufen-und Gesamtpläne der letzten Dekade erheblich erhöhen!

  53. Z. B. für den betrieblichen Teil der Berufsausbildung, Hochschulbau. Studien-und Forschungsförderung, Hochschulrahmengesetzgebung und gewisse . Ausbildungsannexzuständigkeiten'einzelner Bundesministerien (z. B.der Verteidigung).

  54. Faktische Einflußmöglichkeiten hat sie allerdings schon frühzeitig durch ein zeitweilig sehr umfangreiches Dotationssystem zur Förderung bestimmter Ausbildungsund Forschungsprojekte erreicht.

  55. Vgl. Kurt Frey, Zum Bund-Länder-Verhältnis in der Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland zwischen den Jahren 1948— 1975, in: RdJB 1976, S. 226— 240; ders., Konstruktiver Föderalismus, Weinheim 1976.

  56. Vgl. hierzu die Gutachten, Referate und Beschlüsse des 51. Deutschen Juristentages Bd. I (Gutachten) u. Bd. II (Sitzungsberichte). München 1976 — Resümee bei Friedhelm Hufen, Die Schule im Rechtsstaat, in: RdJB 1977, S. 2— 13.

  57. Dazu Günter Apel, Zwang zur Einheit, in: Die Zeit v. 12. 12. 1976; Reimut Jochimsen, Bildungsverfassung im föderalen Staat, in: Informationen Bildung — Wissenschaft 1976, S. 211 f.

  58. Vgl. Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/5924 v. 9. 12. 1976, S. 148 ff., und Entschließung der Länderkommission Verfassungsreform zum Thema Bund/Länder-Planung und Gemeinschaftsaufgaben'v. 4. 2. 1972 (MS).

  59. Am Beispiel der Funktionsbestimmung der Kommunen vgl. Wolfgang Roters, Kommunale Mitwirkung an höherstufigen Entscheidungsprozessen, Köln u. a. 1976, und Lutz-Rainer Reuter, Kommunalpolitik im Parteienvergleich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 34/76.

  60. Einen guten Überblick über die verschiedenen Ansätze vermittelt die Arbeit von Brinkmann u. a., a. a. O. (Anm. 44); Peter Straumann, Neue Konzepte der Bildungsplanung, Reinbek 1974; Mehdi Tohidipur (Hrsg.), Politische Ökonomie des Bildungswesens, Weinheim/Basel 1974; Freerk Huisken, Zur Kritik bürgerlicher Didaktik und Bildungsökonomie, München 1972; Elmar Altvater/Freerk Huisken (Hrsg.), Materialien zur politischen Ökonomie des Ausbildungssektors, Erlangen 1971; Hans Schulz, Neuorientierung der Bildungsökonomie (Institut der Deutschen Wirtschaft, Beiträge zur Gesellschafts-und Bildungspolitik H. 2), Köln 1976.

  61. Vgl. die übersichtliche Kurzdarstellung von Gerhard Kühlewind/Manfred Tessaring, Auf eigene Gefahr und fremde Rechnung. Bürgerrecht auf Bildung oder Bildung nach Marktbedarf? (II), in: Analysen 1977, H. 1, S. 15— 18, und Hajo Riese, Theorie der Bildungsplanung und Struktur des Bildungswesens, in: Straumann, a. a. O. (Anm. 63), S. 212— 228.

  62. Riese, a. a. O., S. 226.

  63. Vgl. Kühlewind/Tessaring, Erlaubt ist, was die Daten fordern. Bürgerrecht auf Bildung oder Bildung nach Marktbedarf? (I), in: Analysen 1976, H. 12, S. 30— 33.

  64. Bis 1975 geben Brinkmann u. a. (Anm. 44) einen kritischen Überblick.

  65. Hierzu liegt eine Reihe früherer Berechnungen (zuletzt Bund-Länderkommission: Dokumente K 25/74, 2 u. 4/76) sowie Länderprognosen vor (z. B. KM Nds.: Fächerspezifische Prognose von Lehrerangebot und Lehrerbedarf in Niedersachsen, Hannover Nov. 1976; KM NRW: Lehrerbedarf und Lehrerbestand 1960— 1990, Köln Sept. 19765; KM Bay.: Prognose zum Lehrerbedarf in Bayern, München 1975) — vgl.demgegenüber die 13 Jahre alte Berechnung des Wissenschaftsrates: Abiturienten und Studenten. Entwicklung und Vorausschätzung der Zahlen 1950 bis 1980, Bonn 1965: für 1977/78 (WS) 209— 301 Tsd. statt tatsächlich 850— 900 Tsd. I

  66. Hierzu kritisch: Berufswahlmagazin UNI 1977, H. 2, S. 26— 28.

  67. Vgl. Vorstudie 1974.

  68. Ebenfalls nur um Bedarfs an Hochschulabsoleventen. — Zusammenfassend und kritisch zu Be-stands-Bedarfsprognosen: Manfred Tessaring, Kurzübersicht über die Akademikerprognosen'der siebziger Jahre, in: Aspekte 1976, H. 4, S. 36— 39; Gerhard Schaaf, Hochschulexpansion und Akademikerbedarf, in: Kultus und Unterricht 1975, Nr. 10, S. 200— 217; vgl. die ausführliche Übersicht in BT-Drs. 8/860 (s. Anm. 43 a), S. 18— 22.

  69. Die bestandsanalytisch-prognostische Frage nach Juristen-, Lehrer-, Okonomenbedarf etc. unterstellt im übrigen einen Bedarf an traditionellen Ausbildungen bzw. Berufen, sie erfaßt hingegen nicht einen möglichen (ökonomischen bzw. gesellschaftlichen) Bedarf an dazu , quer'liegenden Qualifikationen (z. B. öffentliches Recht, Wirtschaftspolitik, Bildungspolitik).

  70. Vgl. Lutz-Rainer Reuter, Das Recht auf chancengleiche Bildung, Ratingen u. a. 1975; Gurgsdies, a. a. O. (Anm. 44); Norbert Weber, Privilegien durch Bildung, über die Ungleichheit der Bildungschancen in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a. M. 1973; BMBW, Arbeiterkinder im Bildungssystem, Bonn Jan. 1976.

  71. BMBW (Hrsg.), Bildungswesen im Vergleich. Eingliederungsprobleme von Absolventen tertiärer Bildungsgänge beim Übergang vom Ausbildungs-zum Beschäftigungssystem in ausgewählten Ländern (Materialien zur Bildungsplanung H. 8), Bonn Dez. 1976.

  72. Zur gegenwärtigen Legitimationsdiskussion vgl. Peter Kielmannsegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme politischer Systeme, in: Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 7/1977; Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt a. M. 1973; ders., zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt a. M. 1976 (Kap. IV); Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Neuwied 1969.

  73. Zum Vorstehenden näher Lutz-Rainer Reuter, Legitimation durch Verfassung?, in: Jenkner/Stein, a. a. O. (Anm. 62), S. 52— 107; ders., Bildungsreform als sozio-politischer Konflikt, in: Die Mitarbeit 1976, S. 104— 117, und ders., Bildungspolitik im Zielkonflikt von Nachfrage und Bedarf. Zur Legitimation der Ausbildungsund Bedarfslenkung, in: RdJB 1977, H. 6.

  74. Vgl. z. B. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, in: Festgabe für Wolfgang Hefermehl, Stuttgart u. a. 1972, S. 12— 36; kritisch Erhard Dennin-ger, Staatsrecht, Reinbek 1973, und Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre, Reinbek 1975.

  75. Vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Investitionshilfegesetz v. 20. 7. 1954 (BVerfGE 4, S. 7).

  76. Hierzu eingehend Emst-Wolfgang Böckenför-de, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: Neue Juristische Wochenschrift 1974, S. 1520— 1538; Helmut Willke, Stand und Kritik der neueren Grundrechtstheorie, Berlin 1975; Lutz-Rainer Reuter, Gesellschaftschaftliche und politische Funktionen der Grundrechte — Überlegungen zu einer komplexen sozialwissenschaftlichen Grundrechtstheorie, in: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium 1977, S. 7— 15.

  77. Z. B.: „Sind individualrechtsbeschneidende Bedarfsaspekte bei der staatlichen Hochschulplanung verfassungsgemäß?" — Vgl. dazu § 2 Ziff. 2 Hochschulbauförderungsgesetz v. 1. 9. 1969 i. d. F. v. 26. 1. 1976: ... Berücksichtigung der voraussichtlichen Nachfrage nach Studienplätzen und des langfristig zu erwartenden Bedarfs ...; ähnl. auch Hochschulgesamtplan II für Baden-Württemberg, Villingen 1972, S. 11, 1. Abschnitt S. 2 ... Ausbau nach Nachfrage, Bedarf, Finanzressourcen.

  78. Z. B.: „Welche grundrechtlichen Orientierungsleitlinien sind auf jeder Ebene und bei jeder Maßnahme der Bedarfsplanung, -realisierung und -Steuerung zu beachten; wie ist den grundrechtlichen Interessen im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu optimaler Wirkung zu verhel-

  79. Art 79 Ahs 3 GG

  80. Vgl. ähnl. kriele, a. a. O., (Anm. 77), S. 35. 6) Näher Reuter, a. a. O. (Anm. 79), S. 12 ff.

  81. Zur Legitimationsproblematik und zur Position des BVerfG's näher Reuter, in: RdJB 1977, H. 6; ders., Schulpolitik und Grundgesetz, in: Erziehen heute 2/1977, S. 2— 14, allg. vgl. Werner Thieme, Das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte, in: Juristenzeitung 1959, S. 265— 270; Bay. Ministerrat, a. a. O. (Anm. 6), S. 69 ff.; Andreas Flitner (Hrsg.), Der Numerus clausus und seine Folgen, Stuttgart 1976; Wolfgang Perschel, Der Numerus clausus als schulrechtliches Problem, in: RdJB 1976, S. 392 bis 397; Willi Becker, Studenteneskalation und Hochschulplanung. Numerus clausus und Hochschulkapazität (Schriftenreihe der Universität Dortmund Bd. 4), Dortmund 1973.

Weitere Inhalte

Lutz-Rainer Reuter, Dr. jur., geb. 1943 in Kiel; Studium der Rechtswissenschaft, Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaft und Soziologie in Kiel, Tübingen und Konstanz; 1971 bis 1974 wiss. Assistent für Politikwissenschaft und öffentliches Recht, 1974 bis 1977 Akademischer Rat an der Gesamthochschule Siegen; seit 1977 Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule der Bundeswehr Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Das Recht auf chancengleiche Bildung, Düsseldorf 1975; Rechtsunterricht als Teil der Gesellschaftslehre, Saarbrücken 1975; Partizipation als Prinzip demokratischer Schulverfassung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 2/75; Kommunalpolitik im Parteienvergleich, in: ebd. B 34/76; Bildungsreform als sozio-politischer Konflikt, in: Die Mitarbeit 1976, S. 146— 157; Legitimation durch Verfassung? Lernziele des gesellschaftlichen Unterrichts zwischen Grundgesetz und Politik, in: Siegfried Jenker/Gerd Stein (Hrsg.), Zur Legitimationsproblematik bildungspolitischer Entscheidungen, Saarbrücken 1976.