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Die Gen-Ingenieure Durch Revolutionierung der Natur zum Neuen Menschen? | APuZ 33/1978 | bpb.de

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APuZ 33/1978 Artikel 1 Woher wir kommen — wohin wir gehen Perspektiven für die politische Entwicklung Herausforderungen für eine nachindustrielle Gesellschaft Die Gen-Ingenieure Durch Revolutionierung der Natur zum Neuen Menschen?

Die Gen-Ingenieure Durch Revolutionierung der Natur zum Neuen Menschen?

Jost Herbig

/ 29 Minuten zu lesen

Neue Biologie und alte Bräuche

Das Zeitalter der Chimären Die Biologie hat die kritische Phase einer Wissenschaft erreicht: Sie konstruiert Natur. Das Zeitalter der synthetischen Biologie hat begonnen. Ingenieurwesen und Biologie vereinigen sich zu „genetic engineering“, einem neugewachsenen Zweig am Baum der Wissenschaft vom Leben — dem Zweig, der gegenwärtig die reichsten Früchte verspricht.

Biologen werden zu Schöpfern, genauer: zu Konstrukteuren neuer Lebewesen. Aus dem Erbmaterial unterschiedlicher Arten setzen sie künstliche Organismen zusammen: Erzeugnisse, die sich im Gegensatz zu denen anderer Ingenieure selbständig vermehren können. Genetische Zwitterwesen entstehen, die Erbmaterial so gegensätzlicher Lebewesen wie Bakterien, Viren und Menschen in sich vereinigen können.

Das riesige Genreservoir von zwei Millionen Arten, das Milliarden Jahre hervorgebracht hatten, ist disponibel geworden. Menschen beginnen in Regie zu nehmen, was sie hervorgebracht hat: die Evolution.

Der heutige Zustand der Biologie gleicht dem der Physik der vierziger Jahre. Nach einem Höhenflug der theoretischen Erkundung grundlegender Naturgesetze plant man nun Anwendungen. Wissenschaftliche Träumereien und technische Utopien werden greifbar. Eine rasch wachsende Zahl von Biologen und Medizinern arbeitet an der Verwirklichung dessen, was kurz zuvor noch unmöglich erschien. Projekte der wissenschaftlichen Avantgarde von heute werden zur Routine von morgen — und übermorgen Bestandteil des täglichen Lebens.

Die theoretisch interessanten grundsätzlichen Fragen aus der großen Zeit der Atomphysik sind heute gelöst. In Beschleunigungsanlagen, die immer gigantischer werden, gelingt es mit wachsendem Aufwand hier und da noch, der Natur ein neues Elementarteilchen abzuringen, ein zusätzliches Gesetzchen zu entlocken. Was bleibt, sind vorwiegend Anwendungsprobleme, das Ausfüllen von Lücken, wichtige Aufgaben zwar, die aber große spekulativ veranlagte Geister nie sonderlich angezogen haben. Sie wenden sich heute der Biologie zu.

Die Öffentlichkeit beginnt in den Kontroversen um den Bau von Atomkraftwerken sich mit den Folgen physikalischer Entwicklungen auseinanderzusetzen, die eine Generation zurückliegen. Währenddessen hat sich, weitgehend unbeachtet, der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Innovation in die Biologie verlagert. Hier werden die Grundlagen für die Technik der Zukunft geschaffen: biologische Technik.

In der Biologie herrscht Aufbruchstimmung. Einer der Veteranen aus der zurückliegenden großen Zeit der Atomphysik, Carl Friedrich von Weizsäcker, bemerkt heute bei vielen Molekularbiologen einen „ähnlichen Habitus ... wie wir ihn als junge theoretische Physiker hatten" Der Biochemiker John Abelson spricht von der Erwartung eines „Quantensprungs" auf eine höhere Stufe des Verständnisses grundlegender Lebensvorgänge Sir Francis Crick, der in den Adelsstand erhobene Mitentdecker der Doppel-Helix-Struktur der Erbmaterie, ahnt „Sonnenlicht" am Ende des Tunnels, den er selbst mitangelegt hat Sidney Brenner, eine weitere wissenschaftliche Autorität, sieht nach einem Dornröschenschlaf, in dem manche Disziplinen für Jahrhunderte dahindämmerten, nun die Biologie an der Reihe, aufzuwachen. Und wie für Brenner kündigt sich für eine rasch wachsende Zahl von Biologen und Medizinern die aufregenste Periode in der Biologie an

Wie in bisher keinem anderen bedeutenden Wissenschaftsgebiet im 20. Jahrhundert gehen in der synthetischen Biologie Forschung und Anwendung Hand in Hand. Nur wenige Exemplare eines genetisch umkonstruierten Lebewesens genügen, um durch natürliche Vermehrung in kurzer Zeit den Weltbedarf befriedigen zu können. Und das theoretische Wissen über Struktur und Kontrollfunktion der Erbsubstanz und des genetischen Code ist zugleich unmittelbare Voraussetzung für die Konstruktion synthetischer Lebewesen, die in industriellen Produktionsprozessen eingesetzt werden können. Folglich ist die synthetische Biologie schon im Anfangsstadium ihrer Entwicklung auch für die Wirtschaft „heiß" geworden.

Im gleichen Ausmaß vergrößern sich die Kontrollprobleme. Denn die in Labors und Fabriken geschaffenen künstlichen Organismen haben — im Gegensatz zu den Erzeugnissen jeder anderen Technik — die nicht nur angenehme Fähigkeit, sich unabhängig von den Bemühungen ihrer Schöpfer selbständig in der Natur zu vermehren. In der Natur können sie eine Kettenreaktion unvorhersehbarer und unkontrollierbarer Ereignisse auslösen. Die Evolution droht sprunghaft zu werden.

Nach einem Wort des französischen Nobelpreisträgers Andre Lwoff kennt die Natur keine Probleme. In der Natur gibt es nur Lösungen. Und aus dieser Erkenntnis warnen viele Biologen vor unbedachten Eingriffen in noch unverstandene Zusammenhänge. „Wir wissen nocht nicht einmal, wie wenig wir wissen", stellt der bedeutende amerikanische Molekularbiologe Robert Sinsheimer, fest und appelliert an die Vernunft seiner Kollegen, nicht um kurzfristiger Vorteile willen die Zukunft des Lebens auf der Erde zu gefährden: „Die Biologen sind, ohne es zu wollen, zu Hütern großer furchteinflößender Macht geworden." Es sei müßig, sich darüber hinwegzutäuschen

Doch die erdrückende Mehrheit seiner Kollegen sieht keinen Grund, solchen Aufforderungen zu größerer Umsicht nachzukommen. Sie halten sich an ein eigenes entworfenes System von Sicherheitsmaßnahmen, perfekt ausgedacht und lückenlos, verhielte sich nur die Natur der Logik ihrer Erforscher entsprechend. Uber diese Einschränkung hinaus darf, wie H. G. Zachau, einer der führenden deutschen Molekularbiologen verlangt, der „wissenschaftliche Fortschritt nicht durch rein theoretische Argumente behindert werden“

Biologen beginnen nachzuvollziehen, was ihnen Atomphysiker so erfolgreich vorexerziert haben. Sie locken mit der ungewöhnlichen industriellen, landwirtschaftlichen und medizinischen Bedeutung, die ihre Forschung erlangen könnte, würde man sie nur ausreichend fördern — und nicht durch unnötige Einschränkungen behindern. In der Debatte drängender Zukunftsprobleme erscheint plötzlich eine Vielzahl biologischer Lösungsmöglichkeiten: Den Kranken und Hungrigen, den Armen und Unterentwickelten auf dieser Welt kann geholfen werden: durch Neue Biologie.

Atomphysikern ist der neue Habitus der Biologen wohlvertraut. Und was die Biologen zusätzlich an Verantwortung realisieren — Sicherheitsvorschriften, die das Arbeiten mit genetisch veränderten Lebewesen reglementieren —, kann man ebensogut als Versuch werten, nicht den Kopf aus dem Sand liebgewordener Gewohnheiten ziehen zu müssen: Die Abschirmung richtet sich auch gegen die Diskussion der sehr viel weiterreichenden ökologischen, evolutionären, gesellschaftlichen und politischen Folgen ihrer Arbeit. Die Probleme — das ist eine verbreitete Haltung — würden sich schon noch früh genug einstellen. Man brauche sie nicht herbeizureden.

Schon immer habe der Mensch in die Natur eingegriffen, heißt es. Ackerbau und Viehzucht, eine steinzeitliche Erfindung, hätten mit der Domestizierung von Tieren und Pflanzen den Verlauf der Evolution bereits entscheidend verändert. Die Techniken der Neuen Biologie machten solche Eingriffe nur etwas wirksamer.

Wie die Kernphysik droht auch die synthetische Biologie nun Pfründe zu werden. Und nicht selten versteckt sich hinter dem pathetischen Wort von der „Freiheit der Wissen-6) schäft", die es gegenüber Angriffen von außen zu verteidigen gelte, eine besondere neuentdeckte Freiheit von Wissenschaftlern: schnell den Fuß zwischen die sich nun öffnende Tür der Erkenntnis und die Angel der Verwertung eines wissenschaftlich wie wirtschaftlich gleichermaßen gewinnversprechenden Gebiets zu schieben.

Dem Eingeweihten eröffnen sich glänzende Aussichten. Nur muß er, da ein paar hundert Köpfe denken wie er, darauf achten, nicht der Zweite zu sein. Die Prämie für den Ersten ist hoch, zu hoch. Nur er darf hoffen, nicht nur den wissenschaftlichen Ruhm, sondern den schnell aufschwimmenden finanziellen Rahm der ersten Patentrechte auf grundlegende Verfahren der Neuen Biologie abzuschöpfen.

Man kennt den Ablauf der Geschichte der zivilen Nukleartechnik. Versprechungen, die sich als unerfüllbar, und Verheißungen, die sich als falsch erweisen werden, pflastern den Weg in ein neues Zeitalter. Man sollte es, nach jenem tückischen, aus Löwen-, Ziegen-und Schlangenteilen zusammengesetzten Ungeheuer, das vor den Toren des antiken Thebens den Menschen unlösbare Rätsel aufgab, um sie anschließend aufzufressen, das „Zeitalter der Chimären" nennen.

Aus den oberen Rängen der Wissenschaftshierarchie wird in der kritischen Vorbereitungsphase einer gesetzlichen Kontrolle von genetic engineering auf eilig einberufenen Pressekonferenzen, vor Politikern und Beamten, alle paar Monate ein neuer „wissenschaftlicher Durchbruch erster Ordnung“ verkündet. Erst Wochen später, wenn sich die beabsichtigte Wirkung eingestellt hat, erscheint die Arbeit dann in Fachzeitschriften und wird wissenschaftlich kritisierbar.

Die Zukunft scheint heute vergoldet im Licht der noch unbegrenzten genetischen Möglichkeiten. Zukunftsorientierte Industrieunternehmen setzen auf die Neue Biologie. Wissenschaftler gründen Firmen, um die in öffentlichen Institutionen gewonnenen Erkenntnisse privat zu verwerten. Die staatliche Forschungsbürokratie entdeckt Subventionspflicht für biotechnische Forschungsprojekte der privaten Wirtschaft. Es gelte, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Industrie zu sichern. Ohne zwingende Notwendigkeit werden kurzfristig Projekte von größter Tragweite initiiert.

Die spezifischen Probleme der synthetischen Biologie sind neu. Es ist daher denkbar, sogar wahrscheinlich, daß zentrale Fragen von heute schon morgen peripher erscheinen, während andere Probleme, an die heute niemand denkt, in den Mittelpunkt rücken werden. Will man die Entwicklung nicht einfach laufenlassen, so gibt es zwei Lösungen:

Die eine wäre, jede Forschung und Entwicklung auf dem umstrittenen Gebiet zu verbieten. Abgesehen von der Frage nach der Durchführbarkeit eines solchen generellen Moratoriums glaube ich nicht, daß es sinnvoll wäre, es zu fordern. Mehr davon später. Die zweite Möglichkeit ist Kontrolle. Nur kann sie, angesichts der grundsätzlichen Unvorhersehbarkeit der Probleme, nicht auf wissenschaftlich-technischen Fakten aufbauen, sondern allenfalls auf dem, was Wissenschaftler „informed guess", informierte Meinung, nennen. In eben dieser grundsätzlichen Unsicherheit, die das Neue mit sich bringt, wäre es notwendig, für eine deutliche institutionelle Trennung von Interessen und Kontrollfunktionen zu sorgen. Doch das Gegenteil geschieht. Die Folgen sind bekannt. In ihrer Untersuchung von drei Jahrzehnten Reaktorforschung und -Projektierung kommt die amerikanische Rand Corporation zu dem Ergebnis: das Programm ist bestimmt worden durch ungezügelten Optimismus, unrealistische Schätzungen, Entscheidungen, die auf . informierter Intuition'beruhen und Unempfänglichkeit sowohl der Regierung als auch der Industrie für die Sorgen der Bevölkerung"

Die Suche nach den Ursachen führt in genau die gleiche Ausgangskonstellation zurück, die heute auf dem Gebiet der synthetischen Biologie neu geschaffen wird. In frühen Entwicklungsphasen einer grundsätzlich neuen Technik bildet sich ein Zweckbündnis, in dem die Interessen der für die Entwicklung und Kontrolle von Technik führenden gesellschaftlichen Gruppen sich nahtlos miteinander verbinden: Wissenschaft, Industrie und staatliche Forschungsbehörden.

Sie beschließen die grundlegenden Entwicklungsvorhaben, die die Grundlagen der zukünftigen Technik bilden. Um diese Projekte durchzuführen, wird zunächst der wissenschaftliche Forschungs-und Entwicklungsapparat aufgebläht. Als Quelle grundsätzlicher Kritik ist er damit ausgeschaltet. Denn jede Infragestellung der ursprünglichen Projekte würde seine eigene Existenz gefährden. Aus diesem Apparat werden anschließend die Experten rekrutiert, die nun als sogenannte Sachwalter von Belangen der Allgemeinheit in die öffentliche Debatte geschickt werden.

Die staatlichen Forschungsbehörden sorgen, indem sie entstehende Moden und Trends im internationalen Geschäft der Technikentwicklung blind übernehmen und verstärken, durch einen Mangel an rechtzeitig geförderten Alternativen dafür, daß Projektierung rasch in den Rang von Prophezeihungen aufsteigen: Prophezeihungen freilich, die sich selbst erfüllen werden. Die Industrie schließlich erfüllt den ihr zukommenden Part durch politischen Druck. Sie drängt auf Anwendung: Investitionen, Exportchancen, Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze etc. stehen auf dem Spiel. Durchaus vorstellbar, daß Produktionen in andere Staaten mit weniger Vorschriften verlegt werden.

So werden heute zwar nicht heimlich, aber doch im stillen die Fundamente für den Zustand von Natur und Gesellschaft von morgen gelegt. Entscheidungen werden fernab von öffentlicher Kritik gefällt, die sich eines Tages als nicht nur unwiderrufbar erweisen, sondern auch als Ergebnis eines „demokratischen Verfahrens" — und das nur, weil sie auf dem Dienstweg herbeigeführt wurden. In der letzten Phase vor der Anwendung bleiben Kritik und Widerstand wirkungslos. Die Projekte werden dann realisiert. Die in der Zwischenzeit investierten Mittel, das Fehlen von Alternativen, tatsächlich geschaffene oder fiktive Abhängigkeiten, politischer Druck, kurz: die erdrückende Summe der sogenannten Sachzwänge drängt auf Exekution.

Forschungspolitik sei zu kompliziert, um von Laien beurteilt zu werden, heißt es. Wer außer den Berufenen fände sich schon im verwirrenden Labyrinth der auf mehreren Ebenen verschlungenen Wechselbeziehungen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zurecht, in dem die Entscheidungen für die Zukunft gefällt werden. „Fortschritt" will von der Masse noch stets „genossen" sein.

Diese genügt der ihr abverlangten Bürgerpflicht, wenn sie konzentrierte Ruhe nicht stört, in der Expertenköpfe und -hände fernab vom Getöse der Straße die Grundlagen der Welt von morgen schaffen.

Abschließend darf sich die Menge im Widerspruch üben. Und das Anrennen braver Bürger gegen die chemikalienverseuchten Wasserwerfer der Ordnungsmacht, das Demonstrieren im Tränengasnebel gerät dann zur Demonstration der Liberalität unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung, die immerhin das Demonstrieren erlaubt. Die Bevölkerung hat in diesem Geschäft mit ihrer Zukunft so viele Anwälte, wie ihr not tun. Alle, die es betreiben, berufen sich darauf, Sachwalter öffentlicher Interessen zu sein.

Die Auseinandersetzungen um die Atomkraftwerke erlauben drei wichtige Schlußfolgerungen: 1. Öffentliche Kritik staatlicher und privatwirtschaftlicher Technologiepolitik ist ein entscheidendes und das einzig unabhängige Korrektiv gegen das „Kurzschlußverfahren" der offiziellen Planung.

2. Das Argument, Laien verstünden zu wenig von hochkomplexen wissenschaftlich-technischen Sachverhalten, um kritikfähig und damit zum Widerspruch qualifiziert zu sein, hat sich als reine Schutzbehauptung erwiesen.

3. Die Behauptung, man müsse trotz aller Bedenken notgedrungen den einmal eingeschlagenen Weg weitergehen, da kein Ausweg offenstünde, ist — falls überhaupt — allenfalls aus der Perspektive von heute richtig. Die beklagten Abhängigkeiten, die Sachzwänge, sind selber erst geschaffen, Auswege frühzeitig verbarrikadiert worden. Konsequenz für die Neue Biologie ist, das Instrument öffentlicher Kritik bereits in einer Phase der Vorbereitung neuer Technik anzuwenden. Es kann keine isolierte Kritik an der Wissenschaft und an der Technik geben. Die Kritik muß die gesellschaftlichen Strukturen mit einbeziehen, innerhalb derer Wissenschaft und Technik realisiert werden.

Lassen wir die Dinge geschehen wie bisher, so laufen wir Gefahr, eines Tages von ihnen überrollt zu werden. Werden Planungen sichtbar oder gar auf den Bauplätzen spürbar, ist es bereits zu spät. Der Igel ist allgegenwärtig und zeigt seine Stacheln.

Der Kosmos der Gen-Ingenieure Verdrängt sind die animistischen Weltbilder vorgeschichtlicher Menschen, die Pflanzen, Tiere und auch tote Gegenstände von unsichtbaren Kräften beseelt wußten. Vorüber ist die Zeit, in der die Wissenschaft hinter allem, was sie in der Natur beobachten konnte, das Wirken eines verborgenen göttlichen Pla-nes vermutete. Botanik und Zoologie, die klassischen beschreibenden Wissenschaften vom Leben, fristen heute ein nur noch wenig geachtetes Dasein im Schatten des Fortschritts von Molekularbiologie und Genetik. Die Erwartung eines Paradoxons leitete diese Entwicklung in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ein. Die Hoffnung „romantischer" Physiker, in der Biologie auf andere Gesetze zu stoßen als auf die ihnen in der Physik vertrauten. Hoffnung auf ein kurzes metaphysikalisches Abenteuer an der Grenze zwischen toter und belebter Materie, das nach intensiver Suche den Weg in eine neue Dimension der Naturwissenschaft weisen würde.

Die Suche nach dem einen Paradoxon zog bald ein zweites, allerdings unerwartetes nach sich: Mehr als alle Biologen trugen jene „romantisch“ gestimmten Physiker mit der von ihnen gestifteten Wissenschaft der Molekularbiologie dazu bei, der Wissenschaft vom Leben nicht nur die metaphysikalische Attitüde gründlich auszutreiben, sondern auch jede diesbezügliche Hoffnung. Geheimnisse, die sich nicht durch physikalische und chemische Gesetzmäßigkeiten erklären ließen, werden nicht mehr erwartet.

Im Verständnis der Molekularbiologie ist die Zelle, die Grundeinheit des Lebendigen, eine vollautomatische Fabrik. Kompliziert und weitaus effizienter als alles, was Menschen vorläufig konstruieren können, funktioniert sie gleichwohl nach einer ungeheuer banalen Schematik. Descartes, der dies im 17. Jahrhundert geahnt zu haben schien, wird im 20. Jahrhundert molekularbiologisch bestätigt. Triumph des Rationalismus oder auch nur der Methode?

Der nächste Schritt ist vorprogrammiert. Die lebende Materie, als effiziente Maschinerie begriffen, verlockt dazu, entscheidende Teile dieser Maschinerie nach menschlichen Wünschen umzubauen. Wenn die biologischen Apparate schon keines übernatürlichen Schöpfers bedürfen, um richtig zu funktionieren, und auch keiner „Lebenskraft", können sie ebensogut aus toter Materie hergestellt werden.

Geglückt ist die Demonstration bereits mehrfach. Erbsubstanz, sogenannte Desoxyribonukleinsäure (oder abgekürzt DNA — in der deutschen Literatur findet man auch noch DNS. Im Interesse einer internationalen Standardisierung der sprachlich ohnehin bedeutungslosen Abkürzung setzt sich zunehmend DNA [A für acid = Säure] durch), die alle Funktionen der lebenden Zelle steuert, kann aus einfachen Laborchemikalien nachgebaut werden. Zusammen mit einem guten Dutzend hochqualifizierter wissenschaftlicher Mitarbeiter gelang es dem amerikanischen Nobelpreisträger Khorana in mehrjähriger Arbeit, ein kleines Stück DNA nachzubauen, zu dessen Herstellung das Bakterium Escherichia coli (abgekürzt: E.coli), eines der primitivsten Lebewesen, nur ein paar Minuten braucht. In genetisch gestörte Bakterien eingesetzt, denen dieses Stück Erbsubstanz fehlte, funktionierte das künstliche Gen, als wäre es natürlich gewachsen.

Doch diese Molekülbastelei, das unendlich mühsame Nachbauen hochkomplexer Gene, die zehnmal größer als die von Khorna sind, ist nicht der einzige Weg. Die gleichen Gene kann man nach Verfahren, die später zu schildern sein werden, auch aus natürlich gewachsenen Organismen herauslösen und in andere Arten überführen, um sie dort künstlich zu vermehren.

Man bedient sich bestimmter Bakterienarten, der einfachsten aller Lebewesen mit eigenem Stoffwechsel, als einfacher Vervielfältigungsapparate für Gene beliebiger Arten. Beispielsweise kann man nach dieser Genübertragungungstechnik E.coli-Bakterien das Gen einsetzen, das in Ratten die Synthese des Hormons Insulin steuert. Einzelne Bakterien nehmen das fremde Gen auf und vervielfältigen es bei jeder Zellteilung in halbstündigen Intervallen. Aus wenigen Eltern mit fremder Erbsubstanz entstehen in ein paar Stunden Milliarden von gleichgebauten Nachkommen. Mit dieser Technik wird es erstmals möglich, auch die Erbsubstanz höherer Organismen zu untersuchen. Das menschliche Genom (die Gesamtheit aller Gene) setzt sich aus mindestens 50000 Genen zusammen, die dieselbe Anzahl unterschiedlicher Stoffwechselvorgänge steuern. Ohne den Vervielfältigungseffekt der soeben skizzierten Technik wäre es aussichtslos, hier ausreichende Mengen eines Gens zu isolieren. Dies war bisher auch der Grund dafür, daß ein so „unwichtiges " Lebewesen wie E.coli molekularbiologisch weitaus gründlicher erforscht ist als der Mensch. Die Technik der Genmanipulation — wissenschaftlich ausgedrückt: „in vitro Neukombinationen von DNA" — verspricht erstmals Antworten auf eine Unzahl wissenschaftlicher Probleme, die bisher als unlösbar galten.

Der nächste Schritt ist vorgezeichnet. Die genetisch manipulierten Bakterien sollen nicht nur als Kopierautomaten für fremde Gene gebraucht werden, sondern auch zu Produktionszwecken. Ein Gen liefert nichts anderes als die Produktionsanweisung für ein bestimmtes Stoffwechselprodukt, beispielsweise für ein Hormon wie Insulin. Insulin, das Zuk-kerkranken fehlende Hormon der Bauchspeicheldrüse, wird jedoch nur von höheren Säugetieren hergestellt, nicht von Bakterien. Um das Arzneimittel Insulin, das bisher aus Schlacht-tieren gewonnen werden mußte, sehr viel billiger und einfacher durch Bakterien zu erzeugen, müssen diese außerdem den Produktionsanweisungen des fremden Gens folgen. Bereits der erste Erfolg, tierische Hormone durch Bakterien herzustellen, zeigt die außergewöhnlichen Möglichkeiten dieser Methode. Eine Gruppe amerikanischer Forscher isolierte im Herbst 1977 aus etwa 100 Gramm genetisch veränderter E.coli-Bakterien die kaum sichtbare Menge von 5 Tausendstel Gramm Somatostatin, ein Hormon, das in der Natur nur von der Hirnanhangdrüse von Tieren und Menschen erzeugt wird. Das ist wenig genug: Doch um die gleiche Menge zu isolieren, hatte der Entdecker des Somatostatin, der spätere Nobelpreisträger Guillemin, zu Beginn der siebziger Jahre noch die Gehirn-substanz von einer halben Million Schafe auf-arbeiten müssen.

Gib Laut, Schoßhündchen!

Vorsicht, BIOGEFAHR, warnt ein neues Zeichen, das universal vorgeschriebene Symbol für biologische Verseuchung. „UNBEFUGTEN ZUTRITT VERBOTEN!“

Stacheldraht. Dahinter zwei große weißglänzende Vehikel. Ein mobiles Labor der National Institutes of Health, der größten staatlichen Organisation zur Förderung des biologisch-medizinischen Fortschritts in den Vereinigten Staaten. Es ist das erste Labor auf der Welt, in dem Genmanipulation unter den höchsten Sicherheitsbedingungen durchgeführt werden kann.

Hier in Bethesda, an der westlichen Peripherie der amerikanischen Bundeshauptstadt Washington, proben erfahrene Seuchenspezialisten der National Institutes of Health (NIH) den biologischen Katastrophenfall. Im Labor wurde unter größtem Sicherheitsaufwand das schlimmste Szenarium durchgespielt, das sich Biologen vorstellen konnten. Harmlosen E.coli-Bakterien, die zu Milliarden die natürliche Darmflora von Menschen und Säugetieren bilden, pflanzte man Gene krebsauslösender Viren ein. In einem weiteren Horrorexperiment wurden in diese Darmbakterien die Gene anderer Mikroorganismen eingesetzt, die tödliche Nahrungsmittelvergiftung hervorrufen. Mäuse, nicht Menschen, waren die Opfer dieser Katastrophenversuche.

Das stacheldrahtumzäunte Labor in Bethesda ist mit den besten Sicherheitseinrichtungen ausgestattet, die gegenwärtig konstruiert werden können. Fugenlose Wände. Alle Verbindungsstränge zwischen dem Inneren und der Außenwelt mehrfach gesichert. Was auch immer das Labor verläßt — Personal, Tierkadaver, Abfälle, Transportbehälter —, darf keine Keime in die Umwelt tragen. Unterdrück im Laborinnern verhindert, daß Luft nach außen strömt, die Seuchenerreger enthalten könnte. Die Abluft wird durch mikrobendichte Filter gepreßt.

Vollständiger Kleiderwechsel ist Vorschrift vor dem Betreten des Labors; Vorschrift ist auch, sich gründlich zu duschen, bevor man wieder ins Freie tritt. Im Innern darf weder geraucht noch gegessen oder getrunken werden. Der gefährlichste Teil der Experimente wird in abgekapselten Sicherheitskabinetten durchgeführt. Gegenüber dem ohnehin sorgfältig abgeschirmten Laborinnern sind sie noch einmal hermetisch abgeschlossen. Gasdicht versiegelt, können diese Sicherheitszellen nur von außen durch eingeschweiste Plastikhandschuhe bedient werden. Ein-und Auslaß sind durch Entseuchungsvorrichtungen, Hitze-und Strahlenfallen gesichert Man darf sich beruhigen: In Bethesda wird so schnell keine Seuche ausbrechen — ebensowenig vermutlich in Fort Detrick, dem umgebauten ehemaligen Forschungszentrum der US-Armee für biologische Kriegsführung, oder in Heidelberg, wo die europäische Molekularbiologieorganisation EMBO ein ähnliches Forschungszentrum eingerichtet hat.

Das Labor in Bethesda ist die Antwort auf eine Herausforderung, die sich die Gen-Ingenieure selbst stellten. 1974 hatten — in einem berühmt gewordenen offenen Brief — elf der führenden amerikanischen Molekularbiologen, darunter die Entdecker der kurz zuvor* entwickelten Technik, gewarnt vor den möglichen Folgen der „Erzeugung neuer Arten infektiöser DNA-Elemente, deren biologische Eigenschaften nicht vorausgesehen werden können".

Der an Wissenschaftler in aller Welt gerichtete Brief erregte über den engen Kreis der unmittelbar angesprochenen Fachleute hinaus weltweite Aufmerksamkeit. Denn er schien eine neue Bereitschaft von Wissenschaftlern zu signalisieren, sich mit den Folgen ihrer neugewonnenen Macht über Natur auseinanderzusetzen. Es hatte den Anschein, als würde die Warnung weit über den unmittelbaren Anlaß der Gefährlichkeit bestimmter Experimente hinausreichen. Joseph Weizenbaum etwa, ein bekannt wissenschaftskritischer Professor am MIT, bezog sich auf diese Aktion der Biologen, als er in seinem Buch über die „Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" von einem „kleinen Licht" schrieb, das den trüben Nebel durchdringt, der die „spezifisch menschlichen Fähigkeiten verhüllt“

Doch das waren Mißverständnisse. Zwei Jahre später hatten die führenden Molekularbiologen und Genetiker das Problem auf ihre Weise gelöst. Das Gesamtgebiet möglicher Genübertragungsexperimente war systematisch in Risikogruppen aufgeteilt worden, denen durch entsprechenden Sicherheitsaufwand begegnet werden sollte. Die Experimente, die als besonders riskant gelten, dürfen nur in Labors wie dem eingangs beschriebenen durchgeführt werden. Am anderen Ende der Risikoskala stehen Versuche, für die gewöhnliche Biologielabors als ausreichend sicher bezeichnet werden.

So ist der Gesamtkomplex Genmanipulation auf die Risikofrage eingeschränkt worden. Da auf der gegenwärtigen Stufe des Wissens die Gefahren jedoch nicht berechnet werden können, kann auch dieser technizistische Versuch nicht bedeuten, sie in letzter Konsequenz auszuschließen.

Den Gen-Ingenieuren ging es vielmehr darum, die Risiken annehmbar erscheinen zu lassen. Das schon zur Risikofrage herabgestufte Problem wurde verbürokratisiert. Und mindestens im gleichen Ausmaß, wie die Sicherheitsvorschriften die Bevölkerung vor den künstlichen Produkten der Gen-Ingenieure schützen, werden sie von diesen benutzt, um Ansprüche der Bevölkerung abzuwehren.

Einprägsam informiert die meist so seriöse deutsche Max-Planck-Gesellschaft: „In der Öffentlichkeit hält sich leider das falsche Bild, daß ein im Labor gehaltenes Bakterium einem wilden Hund ähnelt, der — ausgehungert — nur mühsam an der Kette gehalten wird und, wenn es ihm gelingt, sich loszureißen, den Erstbesten auffrißt." Der Eindruck sei grundverkehrt. Eher handelte es sich um „Schoßhündchen", die seit Generationen „verhätschelt" wurden.

In „freier Wildbahn" hätten sie keine „Uberlebenschance" und könnten deshalb „schwerlich ein Unheil anrichten“.

Ruhe bewaren heißt die Parole für die Öffentlichkeit. Wir haben die Dinge fest im Griff. Der Fortschritt muß sich ungestört entfalten. Dafür gibt es Belohnungen: „Revolutionäre Anwendungsmöglichkeiten", lockt die Max-Planck-Gesellschaft"

Verheißung Biologie Die Neue — synthetische — Biologie wird nach Ansicht eines der führenden theoretischen Biologen, James Danielli, weitere Dimensionen der industriellen Produktion erschließen. 1974, auf dem Höhepunkt der Diskussionen über die durch Ressourcenmangel gesetzten „Grenzen des Wachstums", schreib Danielli bereits: „Im gleichen Maß wie die chemische Industrie durch eine biologische Industrie ersetzt werden kann, wird die obere Wachstumsgrenze um mindestens zwei Größenordnungen angehoben"

In wenigen Jahren schon sollen genetisch umkonstruierte Mikroorganismen, Bakterien mit den Genen von Tieren, Pflanzen oder Menschen, in biologischen Fabriken Arzneimittel, biologische Wirkstoffe und Chemikalien herstellen.

Ein Forscherteam des amerikanischen Mischkonzerns General Electric entwickelt Bakterienstämme, die der zunehmenden Verseuchung der Meere durch ausgelaufenes Erdöl Einhalt gebieten sollen: Sie verwandeln öl in Eiweiß. Verunglückte Tanker, „blowouts“ auf Bohrinseln und das heimtückische stille Spülen von Öltankern auf hoher See wären nicht länger mehr Anstoß zu ökologischer Katastrophenstimmung. Ein paar Kanister mit den sichS. rasch vermehrenden Bakterien ins Meer geschüttet, würden genügen, um schmierige öllachen in bekömmliches Fischfutter zu verwandeln.

Nach ähnlichen Prinzipien sollen genetisch umkonstruierte Mikroorganismen lästige organische Abfälle aus Schlachthöfen, aus der Nahrungsmittelindustrie, aus Sägewerken etc. in nutzbringende Produkte wie Heizgas oder Tierfutter verwandeln. Mit Hilfe umgebauter Bakterien hofft man, eines Tages Erze anzureichern, um damit auch Lagerstätten von niedrigem Erzgehalt noch wirtschaftlich auszubeuten.

Biologisch umkonstruierte Nutzpflanzen können den Stickstoff, den sie zum Wachstum brauchen, in Zukunft selbst aus der Luft beziehen. Erhebliche landwirtschaitliche Produktionssteigerungen. erscheinen denkbar, wenn es gelänge, die Weltproduktion an Grundnahrungsmitteln wie Reis, Getreide oder Mais von der kapitalintensiven und energieaufwendigen Erzeugung, dem Transport und der Ausbringung von Stickstoffdünger unabhängig zu machen.

Eng verbunden mit diesen Problemen fassen weitblickende Pflanzengenetiker die Möglichkeit ins Auge, die relativ magere Energieausbeute der meisten Nutzpflanzenarten bei der Photosynthese (Aufbau der pflanzlichen Körpersubstanz unter der Einwirkung von Sonnenlicht; die eingestrahlte Sonnenenergie wird mit geringer Ausbeute in chemische Energie umgewandelt und in Form pflanzlicher Materie gespeichert) zu verbessern. Denn nur so würde die energieverbrauchende Stickstoffselbstversorgung der Pflanzen nicht zu Lasten der Ernteerträge gehen. Aber auch ohne diese Koppelung könnte eine Verbesserung der pflanzlichen Photosynthese helfen, die Ernteerträge erheblich zu steigern.

Sogar das Problem der Energieversorgung soll mit Hilfe der synthetischen Biologie so natürlich wie möglich gelöst werden. So meint Stanley Cohen, einer der Entdecker der Genmanipulation: „Man weiß, daß bestimmte Algen Wasserstoff aus Wasser herstellen, indem sie Sonnenlicht als Energiequelle benutzen. Dieser Vorgang kann möglicherweise eine unbegrenzte Quelle verschmutzungsfreier Energie liefern, wenn die mit den bekannten wasserstofferzeugenden Organismen verbundenen technischen und biochemischen Probleme gelöst werden können. Die Techniken zur Neukombination von DNA liefern möglicherweise ein Mittel zur Lösung dieser Probleme." Auch Menschen dürfen hoffen, nicht nur auf dem Umweg über neuartige Produktionstechniken oder durch Bereicherung ihres wissenschaftlichen Horizonts, sondern sogar direkt vom biomedizinischen Fortschritt zu profitieren. Eingriffe in die menschliche Erbsubstanz werden nun auf wissenschaftlicher Grundlage vorhersehbar.

So wurde beispielsweise vorgeschlagen, das bei Thalassämiekranken fehlende Gen für den Bluteiweißstoff Globin zu ersetzen, um eine bisher tödlich verlaufende Blutkrankheit zu heilen. Das Gen müßte aus wenigen Zellen von gesunden Menschen isoliert, nach der bekannten Technik in Bakterien vermehrt und anschließend erneut isoliert werden. Dann könnte man dieses Produkt in das Rückenmark von Kranken injizieren. Für andere Therapien würden genetisch verstümmelte, harmlose Tierviren benutzt, um gesunde Gene in den Organismus von Kranken einzuschleusen.

Doch das wäre nur eine Möglichkeit, bereits entstandene genetische Schäden zu heilen. Weitblickende Humangenetiker diskutieren heute schon ein sehr viel weiterreichendes Problem. Die zivilisatorische Entwicklung führe zu einer bedenklichen Verbreitung von schlechtem Erbmaterial in der Bevölkerung. Umweltgifte und Radioaktivität erzeugen neben den körperlichen Schäden, die sie den Betroffenen zufügen, auch Schäden im Erbmaterial, deren Wirkungen erst nach Generationen spürbar werden. Die Segnungen der modernen Medizin und die soziale Fürsorge, so die Sorgen von Biologen und Medizinern, erlaubten heute vielen Individuen mit minderwertigem oder geschädigtem Erbgut, Nachkommen zu zeugen. Die selektierende Wirkung des natürlichen Lebenskampfes sei weitgehend ausgeschaltet. Dies alles führe zu einer bedenklichen Verschlechterung der biologischen Qualität ganzer Bevölkerungen.

Abhilfe würden nach Ansicht führender Wissenschaftler nur Therapien schaffen, die stets das genetische Gesamtpotential im Auge behielten. Kurz, die durch ihre Mitglieder belastete Gesellschaft soll insgesamt biologisch aufgebessert werden. Das heißt: Vermehrung nur noch des besten Gen-Materials.

Bernhard Davis, renomierter Professor für Bakterienphysiologie an der Harvard Univer-sity, schlägt vor, „die Erzeugung solcher Indi-viduen zu verringern, deren genetische Ausstattung ihre Fähigkeit begrenzen würde, mit einer technologisch komplexen Umwelt fertig zu werden"

Robert Sinsheimer, Leiter des Biologieinstituts am California Institute of Technology, hatte 1972 bereits eine Technik zur Vervielfältigung erwünschter Menschen ins Auge gefaßt In den sechziger Jahren war es gelungen, exakte genetische Kopien eines Frosches herzustellen. Sinsheimer, inzwischen zum Kronzeugen für die Gegenposition geworden, sah 1972 darin noch eine Möglichkeit, die „wertvollsten Genotypen" zu multiplizieren, „die unsere Art hervorbringt", sagen wir, je nach Geschmack und Bedarf eine ganze Fußbailiga aus lauter Beckenbauers oder tausend Kopien des Predigers Billy Graham herzustellen.

Falsch programmiert Wie kann man sich vor Gefahren schützen, die durch genetisch veränderte Lebewesen in die Welt getragen werden?

Ein Fall wurde bekannt, in dem ein Forscher beim Nachdenken das Risiko für untragbar hielt und seinen künstlich entwickelten Bakterienstamm wieder vernichtete. Der für General Electric forschende A. Chakrabarty hatte in E.coli-Bakterien Gene eingesetzt, die sie'befähigen sollten, Zellulose abzubauen, den für Menschen unverdaulichen Hauptbestandteil pflanzlicher Nahrung. Der Gedanke, daß einige dieser Bakterien sich verselbständigen würden, aus den Labors in die Umwelt dringen und die Eingeweide des Menschen bevölkern könnten, um zum Auslöser kolikartiger Durchfallepidemien zu werden, genügte Chakrabarty: Auch ohne durch eine Vorschrift dazu gebunden zu sein, vernichtete er seine genmanipulierten gefährlichen Darm-bakterien.

Die Mehrzahl von Chakrabartys Kollegen ist weniger zum Selbstzweifel bereit: E.coli, natürlicher Symbiont des Menschen und vieler Säugetiere, ist das beliebteste Versuchsobjekt für Genübertragungsexperimente. Die Mehrheit der Biologen meint, die Dinge soweit im Griff zu haben, daß nach menschlichem Ermessen nichts passieren kann — und „menschlich" bedeutet in diesem Fall: nach Ermessen der an diesen Versuchen interessierten Biologen. Das von ihnen entwickelte System von Sicherheitsvorschriften paßt mit bürokratischer Akribie jedem nur denkbaren Risiko die Höhe des vorgeschriebenen Sicherheitsaufwands an.

Doch wie bürokratisch „verhält“ sich die Natur? Das Wissen gerade über die besonders problematische Mikrowelt der Viren und Bakterien ist sehr lückenhaft. Und sicher steht der Grad der Kalkulierbarkeit des Risikos in keinem angemessenen Verhältnis zur Größe und Unwiderrufbarkeit der möglichen Veränderung. Ein Beispiel: Läßt sich die künstlich auf neue Pflanzen übertragene Fähigkeit, Luftstickstoff zu binden, auf die gewünschten Nutzpflanzen beschränken? Kann nicht bald eine Unzahl anderer, wenig erwünschter Pflanzen folgen — Pflanzen, die sich besser als empfindlichere Nutzpflanzen dieses unverhofften evolutionären Vorteils bedienen, sich explosionsartig vermehrten und zum Auslöser völlig neuartiger ökologischer Verwüstungen werden? Einmal von Menschen dazu befähigt, können Bakterien oder Viren unkontrollierbar mit Stickstoff-Genen hausierend durch die Natur ziehen, sich zu neuen Symbiosen anbieten, neue Möglichkeiten der Evolution erproben — Möglichkeiten, von denen zuvor niemand auch nur zu träumen vermocht hätte.

Werden sich dann, wie auf wissenschaftlichen Symposien heute schon diskutiert wird, Stickoxyde und Ammoniak im Boden, in der Luft oder in den Gewässern ansammeln? Können globale Veränderungen, die so ausgelöst werden, unseren noch blauen Planeten in einen grünen oder weißen verwandeln? Farbe beliebig, Karbon oder Eiszeit?

Wie biologisch darf eine Gesellschaft werden, die nicht imstande ist, ihre sozialen und politischen Probleme zu lösen? Schreckensvision eines Staates, der das genetische Potential seiner Bürger systematisch erfaßt und reguliert. In Computern gespeichert, jederzeit abrufbar, entscheidet der Gentyp über die gesellschaftliche Rollenzuweisung seines Trägers. Für welche Arbeiten eignet er sich? Darf er Karriere machen, sich gar vermehren? Neigt er zu Verhaltensweisen, die gesellschaftlich wünschenswert sind oder nicht?

In fortschrittlichen Unternehmen wird an der Verwirklichung solch negativer Utopien bereits auf niederer Stufe gearbeitet. Ein groß-angelegtes arbeitsmedizinisches Programm des amerikanischen Chemiekonzerns Dow Chemical erfaßt seit Jahren systematisch genetische und zellbiologische Daten von Arbeitern und Angestellten. Ziel ist, diejenigen Individuen auszusondern, die als ungeeignet für bestimmte, besonders belastende Arbeiten diagnostiziert werden.

Natürlich steht für die verantwortlichen Dow-Mediziner und -Biologen neben ihrem eigenen wissenschaftlichen Interesse, wie sie betonen, der Schutz der Betroffenen im Vordergrund. Doch die Investition macht sich bezahlt. Fortan steht nicht mehr die Belastung am Arbeitsplatz zur Debatte oder der Giftstoffgehalt der Atemluft, sondern das Individuum muß sich befragen lassen, ob es der vorgesehenen Belastung biologisch gewachsen ist oder nicht. Die Technik sucht sich den ihr gemäßen Menschen. Schutzmaßnahmen können unterbleiben. Das Opfer wird zum Schuldigen erklärt. Biologisch falsch programmiert.

Neue Biologie läßt eine rasche Zunahme des Wissens gerade auf diesem wichtigen Gebiet der genetischen Steuerung menschlicher Merkmale, Eigenschaften und Fähigkeiten erwarten. Dem vorhandenen Instrumentarium der gesellschaftlich dominierenden Gruppen und Institutionen würde damit ein weiteres entscheidendes Werkzeug hinzugefügt. Im gleichen Maße, wie sich „wissenschaftlich objektiv“ zeigen ließe, daß bestehende gesellschaftliche Ungleichheit und Ungerechtigkeit biologische Ursachen hätten, würden sie ideologisch zementiert.

Machtverhältnisse und Institutionen wären dann unantastbar. Nicht Bedürfnisse, Möglichkeiten und Ansprüche von Menschen in der Gesellschaft zählen, sondern jeder hätte sich einzeln vor der Institution zu verantworten, ob er den Anforderungen der „modernen Industriegesellschaft" (in Wirklichkeit den Ansprüchen der sie beherrschenden Gruppen) „biologisch“ genügt oder nicht. Dem Anspruch auf Freiheit und Gleichheit in der Gesellschaft wird die biologische „Realität“ entgegengehalten: Der Mensch könne sich eben nun einmal nicht vom Erbe seiner tierischen Vorfahren befreien, und gleich — das zeige ja schon der Genotyp — sei keiner dem anderen. Eine Realität, deren politischer Stellenwert nicht mehr diskutiert werden muß, da sie sich wissenschaftlich begründet.

Eine neue Dimension Die Grundlagen unserer Kultur wurden von »Primitiven" geschaffen, die mit Pflanzen sprechen konnten, von „Wilden“, die die Erde mit einer Opfergabe versöhnten, wenn sie ihr eine Wurzel entnommen hatten, und „Barbaren", die mit den Geistern ihrer Beutetiere in Verbindung traten. Mit nur einer Ausnahme gehen alle heute verbreiteten Nutzpflanzen und Haustiere auf Arten zurück, die Menschen in der Steinzeit aus Wildformen züchteten, die sie in der Natur fanden. Bis in unsere Tage haben auch die modernen Techniken der Tier-und Pflanzenzucht diese Erfindungen der „Primitiven" nur verbessern, nicht aber grundlegend verändern können. Erst die synthetische Biologie läßt hier grundsätzliche Veränderungen erwarten.

Jahrhunderte und Jahrtausende lang wurden Pflanzen mit erwünschten Eigenschaften gezüchtet und veredelt. Sie kreuzten sich, meist zufällig, mit anderen Sorten; neue Merkmale entstanden und neue Sorten, deren Vorzüge erkannt und systematisch gefördert wurden. Die empfindlicher gewordenen Nutzpflanzen mußten vor der Konkurrenz durch robustere Wildstämme, vor Schädlingsbefall und vor Überwucherung durch Unkraut bewahrt werden. Sorgfältige Pflege der Pflanzen und Schutz des Saatguts vor der Vermischung mit anderen Sorten waren notwendig, um der stets vorhandenen Tendenz zur Rückkreuzung und zur Bildung von Mischsorten mit schlechteren Eigenschaften entgegenzuwirken.

Was die Abweichungen von der Norm hervorruft, die es erst möglich machen, Pflanzen und Tiere zu domestizieren und durch Kreuzung und Auswahl der erwünschten Individuen zu veredeln, blieb bis in unser Jahrhundert unbekannt. Man beobachtete, wie sich äußere Merkmale veränderten, und machte sich diese Beobachtungen zunutze. Weder Darwin, dessen Evolutionstheorie auf VeränderungsVorgängen beruht, noch der wissenschaftlich betriebenen Genetik des ersten Viertels unseres Jahrhunderts waren die Ursachen bekannt. Man mußte sich damit begnügen, den Teil der Zelle, in dem diese Vorgänge abliefen, als undurchsichtige „black box“ von außen zu betrachten.

Erst seitdem die Struktur des genetischen Gode molekularbiologisch erforscht wird, nachdem Watson und Crick 1953 in der Doppel-Helix-Struktur der DNA den Schlüssel zu den molekularen Mechanismen der Vererbung fanden, kann man sich ein genaueres Bild machen: Die sichtbaren Veränderungen äußerer Merkmale gehen auf Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung der DNA im Inneren der Zelle zurück. Es sind planlos und zufällig entstehende Veränderungen im genetischen Code, die von den Eltern auf die Nachkommen vererbt werden.

Der Vorgang der sexuellen Vermehrung, bei dem sich Tausende von Genen aus beiden Eltern willkürlich vermischen und zu neuen Kombinationen in den Kindern zusammenfinden, ist der Mechanismus, nach dem sowohl „die" Evolution als auch „der" Züchter Neues erproben. Die Veränderungen selbst, die Mutationen des genetischen Code, entstehen stets zufällig. Alles, was sowohl „der" Evolution als auch dem Züchter an gezielten Eingriffsmöglichkeiten blieb, war die Auswahl der „erwünschten“ Genkombinationen. Sie finden sich in Individuen wieder, die sich den Umweltbedingungen besser anpassen oder dem Züchter Vorteile versprechen, und werden daher bevorzugt weitervermehrt.

Zufall war also Auslöser und Antrieb einer evolutionären Entwicklung, durch die in dreieinhalb Milliarden Jahren aus einer Urzelle die unüberschaubare Vielfalt der heute lebenden Arten entstanden ist: angefangen von primitiven einzelligen Lebewesen, die sich seit Hunderten von Jahrmillionen kaum verändert haben, bis zum Menschen, dessen biologische Entwicklung im evolutionären Zeit-maß atemberaubend schnell verlief.

Die meisten Mutationen sind unvorteilhaft. Ihre Träger setzen sich nicht durch. Nur wenige verleihen ihren „Opfern" die Fähigkeit, besser mit den vorgegebenen Umweltbedingungen fertig zu werden als der genetische „Normaltypus". Sie setzen sich über eine höhere Vermehrungsrate durch — und nicht durch den „Überlebenskampf", eine sozialdarwinistisch geprägte Fiktion.

Der Zufall der Mutationen löst Veränderung in der Natur aus, beherrscht sie aber nicht. Denn über Erfolg und Mißerfolg einer Mutation entscheidet nicht das betroffene Individuum — indem es dieses oder jenes Verhalten an den Tag legen würde —, sondern die Umwelt. Sie ordnet die zufällig entstandenen winzigen Einzelmutationen über riesige Zeiträume hinweg zu großen zusammenhängenden Mustern. „Es ist", wie der große französische Genetiker Francois Jacob schreibt, „die natürliche Auslese, die’diesen Veränderungen Richtung gibt, den Zufall richtet, langsam und fortschreitend komplexere Strukturen schafft, neue Organe, neue Arten."

Neuheiten werden nie von Grund auf geschaffen, sondern indem vorhandene Teile entwickelt und neu organisiert werden. Bei der Eroberung des Landes durch Meerestiere entwickeln sich Flossen langsam zu Beinen. Aus den Beinen der Landtiere entstehen über unendlich viele Zwischenstufen die Flügel der Vögel. Beine von Landtieren werden wieder zu den Flossen der Meeressäuger, die sich aus Landtieren entwickelt haben.

Die Neue Biologie durchbricht nun die wichtigsten Einschränkungen, denen sowohl Evolution als auch Tier-und Pflanzenzucht bisher unterworfen waren: Der Zufall wird ausgeschaltet. Es ist möglich geworden, Gene nach Belieben auszusondern und auf die gewünschten Arten zu übertragen. In einem einzigen Experiment können Genkombinationen hergestellt werden, die — da sie nicht einem langsamen Veränderungs-und Ausleseprozeß in ständiger Wechselwirkung mit den bestehenden natürlichen Arten unterworfen sind — einen radikalen Bruch mit den bisherigen Entwicklungsprinzipien der Natur darstellen. In der Mehrheit der Fälle werden sich diese Kombinationen als unvorteilhaft erweisen: Ihre Träger sind außerhalb des menschlichen Schutzbereichs nicht lebensfähig. Aber damit sind andere Kombinationen nicht ausgeschlossen, die ihren Trägern gerade dadurch entscheidende Vorteile verschaffen, daß eine lange „gefährdende" Entwicklungsund Erprobungszeit mit einem einzigen Sprung überwunden wird.

Solche Sprünge sind groß. James Danielli vom Zentrum für theoretische Biologie der New Yorker, Staatsuniversität hat errechnet, daß ein Züchter mit konventionellen Methoden neue Merkmale etwa zehntausendmal schneller hervorbringen kann, als dies durch natürliche, evolutionäre Prozesse geschehen könnte. Entwickeltes genetic engineering steigert dieses Veränderungspotential noch einmal um die gleiche Größenordnung, das heißt gegenüber der natürlichen Evolution um einen Faktor von etwa hundert Millionen. Anders ausgedrückt: Gen-Ingenieure schaffen Veränderungen in einem Jahr, zu denen die Evolution hundert Millionen Jahre benötigen würde.

Eine neue Dimension in der Beherrschung von Natur wird sichtbar. Wenige Jahre, höchstens ein paar Jahrzehnte werden genügen, um dieses Potential zu entwickeln. Ein neues Zeitalter zeichnet sich ab, das sich von unserem nachneolithischen noch einmal um die gleiche Möglichkeit der Naturveränderung unterscheidet, wie dieses sich von den Jahrhunderttausenden unterschied, in denen die fortschrittlichste Technik der Nahrungserzeu-gung die Jagd und das Sammeln von Wild-pflanzen waren. Eine zweite Revolutionierung der Natur steht bevor.

Auf die Tradition der seit der ersten, der Neolithischen Revolution ausgelösten Veränderung beziehen sich mehr oder weniger deutlich die meisten Gen-Ingenieure. Schon immer habe der Mensch in die Natur eingegriffen, lautet eine der beliebtesten Bagatelli-sierungsformeln. Einer der führenden Köpfe in der Gendebatte, Bernard Davis, schreibt: „Der Mensch hat sich seit dem Neolithikum in die Evolution eingemischt — sowohl mit Absicht durch künstliche Selektion als auch unbeabsichtigt durch Veränderung der Umwelt. Er hat Pflanzen kloniert und gepfropft, Tiere und Pflanzen domestiziert und Wälder in Felder verwandelt. Neu dazu gekommen ist nun künstliche Neukombination (von DNA) als potentielle Quelle zusätzlicher Variation. Doch Selektion ist stets die richtende Kraft der Evolution.“

Als Halbwahrheit ist diese Behauptung nicht einfach falsch. Der eingängliche wahre Teil wird dazu benutzt, Quantitäten zu nivellieren, die in keinem Verhältnis mehr zueinander stehen. Erinnern wir uns an Daniellis „Sprünge“ um jeweils eine Größenordnung von 10 000 zwischen Evolution und Tier-und Pflanzenzucht bis ins zwanzigste Jahrhundert, und vergleichen wir sie mit der nun beginnenden Ära der synthetischen Biologie ...

Zugleich erscheint es mir außerordentlich wichtig zu zeigen, daß die Entwicklung einzelner menschlicher Gesellschaften während des Neolithikums nicht Folge rein technischer „Erfindungen" war, sondern ein sozialer Entwicklungsprozeß, in dem die Veränderungen von Lebensweisen, Weltbildern, Gesellschaftssystemen und Techniken ineinander-griffen und sich gegenseitig beeinflußten. Fortschritt ergab sich nicht aus einer isolierten Entwicklung von Technik, sondern entstand aus einer gesellschaftlichen Veränderung, die von der Entwicklung von Technik begleitet wurde.

Das ist heute grundsätzlich anders: Technik wird entwickelt und eingesetzt, um gesellschaftliche und politische Veränderung systematisch hinauszuzögern und so zu verhindern. Die soziale Entwicklung der Gesellschaft stagniert, politische Veränderungen bleiben aus, während sich gleichzeitig die Technik explosionsartig entwickelt. Es entsteht der Eindruck, als verpflichte ein „biologischer Auftrag“ den Menschen, sich mittels Wissenschaft und Technik zu immer höheren Formen von Beherrschung der Natur — einschließlich seiner eigenen — aufzuschwingen. Und tatsächlich tauchen nun erstmals wissenschaftlichtechnisch realisierbar erscheinende Vorschläge auf, einen Menschen, der den Anforderungen der modernen Zivilisation nicht mehr gewachsen sei, biologisch den Gegebenheiten anzupassen: Die genetische Selbstdomestizierung des Menschen wird zum Programmpunkt der zweiten biologischen Revolution, an deren Anfänge wir stehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. C. F. von Weizsäcker, bild der Wissenschaft, 4/1977, S. 168 ff.

  2. J. Abelson, Science, Vol. 196, 1977, S. 159 ff.

  3. Julie Ann Miller, Science News, Vol. 111, 1977, S. 216 ff.

  4. William Bennet and Joel Gurin, Atlantic, Februar 1977, S. 43 ff.; Colin Norman, Nature, Vol. 254, 1975, S. 6 ff.

  5. Robert Sinsheimer, Vortragsmanuskript, Forum: Research with Recombinat DNA, 7. — 9. 3. 1977, Nat. Acad. Sciences USA.

  6. H. G. Zachau, Interview d. Verf. 1977.

  7. George Alexander, Int. Herald Tribune, 7. 10. 1977.

  8. Jean L. Marx, Science, Vol. 197, 1977, S. 1350 ff.

  9. Joseph Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt 1977, S. 339.

  10. MPG-Presseinformation, 13. 7. 1977.

  11. James F. Danielli, Int. Rev. Cytol., 38, 1974, S. 1 ff.

  12. F. Ausubel, J. Beckwith, K. Jansen, Psychol. Today, Juni 1974, S. 30 ff.

  13. J. Beckwith, in: E. R. Koch, W. Keßler, Menschen nach Maß, Reinbek 1976.

  14. Francois Jacob, Science, Vol. 196, 1977, S. 1161 ff.

  15. Bernard D. Davis, America Scientist, Vol. 65, 1977, S. 547 ff.

Weitere Inhalte

Jost Herbig, Dr. rer. nat., master of science, geb. 1938; Studium der Naturwissenschaften; vier Jahre Arbeit in der Industrie als Leiter von Entwicklungsabteilungen; Mitarbeit an Umweltschutzprojekten; seit 1971 wissenschaftlicher Publizist. Veröffentlichungen: Das Ende der bürgerlichen Vernunft. Wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Zukunft, München 1974; Kettenreaktion. Das Drama der Atomphysiker, München 1976; Die Gen-Ingenieure. Durch Revolutionierung der Natur zum Neuen Menschen?, München 1978.