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Vorschläge zu einer Parlamentsreform | APuZ 44/1980 | bpb.de

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APuZ 44/1980 Parlamentarisches System der Bundesrepublik Deutschland -Stärken und Schwächen. Tradition und Neubeginn Verbändestaat — oder was sonst? Vorschläge zu einer Parlamentsreform Die Verbeamtung der Parlamente. Ursachen und Folgen des Übergewichts des öffentlichen Dienstes in Bundestag und Landtagen

Vorschläge zu einer Parlamentsreform

Friedrich Schäfer

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Unsere Verfassung, das Grundgesetz, hat die Stellung des Bundestages im Gesamtgefüge der staatlichen Organe richtig gestaltet Wie das Parlament seiner Aufgabe gerecht wird, bestimmt es selbst Während am Anfang, beim Neuaufbau der Bundesrepublik Deutschland, die Notwendigkeit bestand, grundlegende Gesetze zu verabschieden, hat sich das Schwergewicht dahingehend verschoben, zukünftige Entwicklungen verstärkt zusammen mit dem Bürger zu gestalten. Eine Veränderung der Aufgabenstellung ist eingetreten, eine intensivere Einbeziehung der Öffentlichkeit in den Willensbildungsprozeß des Parlaments ist erforderlich. Gerade auch bei wichtigen Gesetzen, die in Zukunft zu beraten sein werden, sollte dem interessierten Bürger der Einblick in die Überlegungen des Bundestages ermöglicht werden. Der Bundestag muß den veränderten Verhältnissen entsprechend darangehen, seine Arbeitsmethoden zu ändern. Nicht nur die Sitzungen in Bonn sind erforderlich, daneben ist gleichrangig der Dialog mit dem Bürger zu führen. Für unsere politische Zukunft ist es von entscheidender Bedeutung, daß das Parlament nicht nur technisch funktioniert, sondern daß es als das wichtigste demokratisch legitimierte Organ im Staate vom Bürger angenommen wird.

In einigen Fällen ist eine Änderung der Geschäftsordnung erforderlich; zumeist genügt eine Vereinbarung im Ältestenrat.

Anregungen für den 9. Deutschen Bundestag

Der Autor hat sich seit vielen Jahren mit Fragen der Parlamentsreform befaßt. Auch in dieser Veröffentlichung macht er sich darüber Gedanken, wie das Parlament seiner ureigenen Aufgabe, Vertretung des Volkes zu sein, besser gerecht werden könnte, als dies bisher der Fall ist. Der Verfasser beschränkt sich bewußt auf konkrete Vorschläge, ohne auf die Problematik wissenschaftlich einzugehen.

Die Erörterung von Vorschlägen zur Parlamentsreform muß von einer aktuellen Grund-stimmung ausgehen, die sich von der zehn Jahre zurückliegenden erheblich unterscheidet: Heute steht nicht mehr die Forderung nach einer Ausweitung der Gesetzgebungsarbeit, nach noch mehr Detailinformationen und nach den dafür erforderlichen Hilfskräften und Apparaten im Vordergrund, sondern im Gegenteil ein Unbehagen an der Normenproduktion, an der Detailliertheit der Sachinformationen, Zweifel an der Wirksamkeit der Gesetze, Unsicherheit darüber, wie die Gesetze „draußen" ankommen, Einwände gegen einen zunehmend bürokratischen Betrieb nicht nur in der Verwaltung, sondern auch im Parlament Es steht derzeit keine Perfektionierung des Bisherigen, sondern eine Neubesinnung und eine Neubestimmung der wesentlichen Aufgaben des Bundestages zur Debatte. Ein solcher Reformansatz kann sich nicht auf die Parlamentsarbeit im engeren Sinne beschränken, sondern muß das Selbstverständnis des Parlaments, die Gewichtung seiner verschiedenen Funktionen, seinen Rang in der öffentlichen politischen Diskussion berücksichtigen.

I. Vorschläge, die ohne Änderung der Verfassung oder eines Gesetzes möglich sind

1. Der Bundestag ist ein Staatsleitungsorgan, letztlich hat er die größte Macht. Er kann nicht allein handeln, sondern nur zusammen mit der Bundesregierung. „Parlamentarische Regierungsweise bedingt weder, daß die Regierung zu einem Vollzugsausschuß des Parlaments, noch daß das Parlament zu einem Instrument in der Hand der Regierung wird. Das System entfaltet seine besonderen Vorzüge, wenn eine gesunde Spannung erhalten bleibt" (Ernst Friesenhahn, 1957). Die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament vollzieht sich, sei es in der Auseinandersetzung, sei es in der Übereinstimmung, in aller Öffentlichkeit. Der Bürger hat die Möglichkeit, die Vorgänge zu beobachten; er muß aber auch die Möglichkeit haben, auf den Gang der Entwicklung einzuwirken. Da das Grundgesetz die plebiszitären Elemente des Volksbegehrens und des Volksentscheides nicht kennt, kann dies nur über die Parteien geschehen. Die Opposition wird es in erster Linie sein müssen, die die Bevölkerung mobilisiert, die die Regierungsparteien zwingt, von ihrer Mehrheit im Bundestag nur dann Gebrauch machen zu können, wenn sie in der Auseinandersetzung mit der Bevölkerung ihre Argumente erfolgreich vorgetragen hat. Diese Auseinandersetzungen bringen für alle Seiten nur Positives: Die Bevölkerung nimmt teil am politischen Geschehen; die Opposition zeigt ihre Aktivität und ihre Alternative, zugleich in Vorbereitung der nächsten Wahl; die Regierung und die sie tragenden Parteien festigen ihre Vertrauensbasis. Die großen politischen Probleme unserer Zeit kann man nicht ohne die unmittelbare Beteiligung und die aktive Mitarbeit des Bürgers meistern. Wie will man Energie einsparen ohne die Mitarbeit des Bürgers? Wie können Umweltschutzmaßnahmen erfolgreich durchgeführt werden, ohne von den Bürgern mitgetragen zu werden? Außenpolitik ist nicht eine Sache der Regierung allein. Sie ist nur handlungsfähig, wenn die Mehrheit der Bevölkerung diese Politik annimmt. Die wichtigen Maßnahmen einer erfolgreichen Entwicklungshilfepolitik bringen Umstrukturierungen auf vielen Gebieten mit sich. Ohne die entsprechende Einstellung des Bürgers kann dies nicht mit Erfolg durchgeführt werden.

Auf vielen Gebieten — die angeführten mögen als Beispiele dienen — muß die politische Führung sich darum bemühen, daß die Bevölkerung nicht nur informiert wird, sondern daß sich eine aktive Zustimmung entwickelt, die die Grundlage dafür bietet, politische Fragen lösen zu können. Wer glaubt, dies allein mit Gesetzen erreichen zu können, irrt. Er mißachtet den Bürger, er verkennt, daß Bundestag und Bundesregierung zwar eine politische Führungsfunktion haben, aber die Führungsaufgabe gerade darin besteht, zusammen mit dem Volk zu handeln; das Volk ist Subjekt des Handelns, der Bürger nicht Objekt.

Hierbei kommt dem Bundestag die entscheidende Aufgabe zu, die nur er erfüllen kann; denn der Abgeordnete, Teil des Organs Bundestag, ist zugleich der Vertreter seiner Partei im Wahlkreis. Dieser politischen Führungsund Mittlerrolle sich zu widmen, ist in einer parlamentarischen Demokratie unverzichtbar. 2. Das Parlament muß die politischen Entwicklungen begleiten, bewerten und kritisieren. Es ist nicht ausreichend, daß nach Kabinettsitzungen der Pressesprecher die Öffentlichkeit informiert. Der Bundestag kann sich bestenfalls nach Wochen, wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage eingebracht wurde und Verbände, Presse und Rundfunk sich bereits ausführlich mit der Materie befaßt haben, dazu äußern.

Vorschlag:

Nach jeder Kabinettsitzung findet nachmittags eine politische Stunde im Bundestag statt. Konkret: Da Mittwoch morgens die Bundesregierung berät, wird um 14. 30 Uhr eine politische Stunde durchgeführt. Der Bundeskanzler oder ein Minister berichtet 15— 30 Minuten über die politischen Schwerpunkte; es schließt sich 60 Minuten lang eine Debatte an, die ohne Sachanträge und -beschlüsse geführt wird. Die einzelnen Beiträge dazu sollen nicht länger als 5 Minuten dauern. Die Opposition muß die Möglichkeit haben, aber auch dazu gezwungen sein, ihre Auffassung darzulegen. Die Koalitionsfraktionen werden manche Punkte der Regierungsdarlegungen ergänzen und vertiefen können. Der politische Gestaltungswille des Bundestages muß deutlich werden und in den Berichterstattungen am nächsten Tag in Erscheinung treten.

Die bisherige Aktuelle Stunde ist beizubehalten. 3. Bei der Einbringung von wichtigen Gesetz-entwürfen wird bisher in Erster Lesung nur selten debattiert; es erfolgt sogleich die Über-weisung an die Ausschüsse. Diese beraten in vertraulicher Sitzung, machen ihren Beschluß, vorschlag, der, da die Mehrheit des Plenums derjenigen in den Ausschüssen entspricht, in Zweiter Lesung ohne große Aussprache angenommen wird. Das Verfahren ähnelt einem geheimen Vorgang, der für die Bürger nicht durchschaubar ist.

Vorschlag:

Gesetzesvorlagen mit politischem Inhalt sollen grundsätzlich schon in Erster Lesung im Plenum behandelt werden. Es ist nicht gut, wenn die Ausschußberatungen durchgeführt werden, ohne daß das Plenum seine grundsätzliche politische Einstellung dargelegt hat. Die Opposition soll die Möglichkeit haben, aber sich auch nicht daran vorbeidrücken können, ihre Meinung zu sagen. 4. Politische Führung durch das Parlament wird nur dann deutlich, wenn der Bundestag sich aus eigener Zuständigkeit mit Fragen beschäftigt, die auf uns zukommen. Der Bundestag muß seinen Willen deutlich zum Ausdruck bringen, er muß der Bundesregierung zeigen, wie er eine Frage behandelt wissen will. Entschließungen des Bundestages, insbesondere einstimmig gefaßte, haben eine starke politische Wirkung; sie geben der Bundesregierung zugleich eine Grundlage für ihre Arbeit. Der Bürger muß durch den Inhalt der Debatte und der Beschlüsse erkennen können, wie die Entwicklung voraussichtlich verlaufen wird; er muß seine persönlichen Entscheidungen damit in Einklang bringen können. Es muß die bürgerschaftliche Beteiligung angeregt werden, eine Sache zu fördern, zu verändern oder zu verhindern.

Vorschlag:

Der Schwerpunkt der Arbeit des Bundestages ist nicht der Gesetzesberatung zu widmen, sondern der politischen Vorentscheidung über zu schaffende Gesetze. Der Bundestag soll durch seine Entschließungen der Bundesregierung die Grundlage für ihre Arbeit geben.

Die heranreifenden Entscheidungen auf den Gebieten Energiepolitik, Datenschutz, Planung und europäische Entwicklung werden langfristig angelegt sein müssen. Sie greifen in das Leben jedes einzelnen Bürgers ein; er muß wissen, wie er sich verhalten soll. Es ist heute unbestritten, daß durch Art. 45 a GG deutlich gemacht wurde, daß Außenpolitik und Vertei-digungspolitik nicht zur ausschließlichen Zuständigkeit der Bundesregierung gehören, sondern daß der Bundestag an der gesamtpolitischen Verantwortung beteiligt ist Der Auswärtige Ausschuß hat dies deutlich und richtig praktiziert durch seine Unterausschüsse „Abrüstung" und „Humanitäre Hilfe". 5. Es war richtig, daß die Zuständigkeit der Ausschüsse erweitert wurde, so daß sie sich nicht nur mit den ihnen vom Plenum überwiesenen Angelegenheiten befassen können, sondern „andere Fragen aus ihrem Geschäftsbereich beraten" können. Dies darf aber nicht dazu führen, daß zwischen dem Minister und .seinem" Ausschuß interne Abmachungen getroffen werden unter Ausschluß der anderen Abgeordneten und der Öffentlichkeit.

Vorschlag:

Die Ausschüsse haben dem Plenum jährlich einen Bericht vorzulegen über die von ihnen beratenen „anderen" Fragen. Auf Verlangen einer Fraktion erfolgt im Plenum eine Aussprache. Auf Verlangen einer Fraktion muß ein adhoc-Bericht vorgelegt werden. Allein nach den Erfahrungen des Innenausschusses ist zu sagen, daß die Durchführung der Kontrollen wegen Radiumverseuchung bestimmter Gebiete oder die Entwicklung der inneren Sicherheit das Plenum hätten beschäftigen müssen. 6. Die Ausschußberatungen müssen weiterhin gründlich und sorgfältig geführt werden. Die Anhörung von Sachverständigen und Interessenvertretern führt dazu, daß die Ausschüsse einen größeren Verhandlungs-und Untersuchungsspielraum haben als das Plenum: sie können sich jeden Gesprächspartner wählen. In den öffentlichen Hearings werden die Interessenlagen und die Gegensätze deutlich, über die der Ausschuß später in geheimer Sitzung berät, um dem Plenum seinen Beschlußvorschlag zu unterbreiten. Das genügt nicht. Die Beratungen der Ausschüsse und ihre Vorschläge müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Vorschlag:

Auf Vorschlag des federführenden Ausschusses oder einer Fraktion wird der Entwurf der dem Plenum vorzulegenden Beschlußempfehlung in öffentlicher Sitzung des federführenden Ausschusses abschließend beraten. Die Mitglieder der mitberatenden Ausschüsse haben dabei ein Rede-und Beratungsrecht.

Die fachbezogene Debatte, die nur von den Abgeordneten geführt werden kann, die sich mit der Materie besonders beschäftigt haben und die nur von den Bevölkerungs-und Fachkreisen verfolgt wird, die unmittelbar daran interessiert sind, ist unentbehrlich. Sie sollte in der bisherigen Zweiten Lesung erfolgen. Die Entwicklung zeigt, daß dies nicht mehr möglich ist, denn die Spezialisierung beherrscht auch den Bundestag. Deshalb beteiligen sich an der Zweiten Lesung nur die Mitglieder, die etwas zur Meinungsbildung beizutragen haben. Es scheint besser zu sein, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen und die Zweite Beratung, die nicht verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist und nur zu einer Empfehlung des Bundestages an sich selbst führen kann, entfallen und dafür in der Regel die öffentliche Ausschuß-Schlußberatung treten zu lassen. In kleinerem Saal sprechen die Abgeordneten von ihren Sitzen aus, stellen ihre Anträge und begründen diese in Kurzbeiträgen. Mehrere Ausschüsse können so nebeneinander oder nacheinander öffentliche Sitzungen durchführen. Da die bisherige Zweite Beratung im Plenum entfällt, wird zudem viel Zeit gespart. Außerdem bietet das Parlament als Folge leerer Bänke im Plenarsaal dem Bürger ein schlechtes Bild. 7. Wenn der Bundestag Recht setzt, ein Gesetz beschließt, das für alle Bürger gilt, dann ist es unerträglich, daß dies nur durch wenige im Plenum anwesende Abgeordnete geschieht.

Vorschlag:

Bei der Schlußabstimmung über ein Gesetz muß die Beschlußfähigkeit des Bundestages festgestellt werden.

Nachdem in der Ersten Lesung die politischen Fragen erörtert und in der öffentlichen Ausschuß-Schlußberatung die verschiedenen Standpunkte deutlich werden, können in der abschließenden Zweiten Beratung die Fraktionen Änderungsanträge stellen; dies wird mit Sicherheit nur bezüglich politisch bedeutsamer Fragen erfolgen. Im übrigen wird es darum gehen, die Gründe dafür darzulegen, warum man für oder gegen das Gesetz stimmt. — Das Plenum des Bundestages bleibt der Ort der politischen Führung, des politischen Meinungsaustausches. Die Gesetzesberatung der Ausschüsse behält ihre Bedeutung. Der Bundestag wird zum Rede-und Arbeitsparlament. 8. Unbestritten hat die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag einen Informationsvorsprung, was zu einer Abhängigkeit des Parlaments oder zu seiner mangelnden Entscheidungsfähigkeit führen kann. Gleichwohl sind Bestrebungen, sich einen eigenen Informationsapparat zu schaffen, nicht zu unterstützen. Vorschlag:

Es muß sichergestellt werden, daß den Ausschüssen bei ihren Beratungen auf Anforderung die bei den Ministerien gespeicherten Daten zugänglich gemacht werden. 9. Es ist nicht damit getan, von der Regierung die Vorlage von Sachberichten zu verlangen. Die Erarbeitung der Grundlagen für langfristige politische Maßnahmen ist unentbehrlich. Vorschlag:

Die Erarbeitung der Grundlagen für die Beurteilung politischer Entwicklungen ist durch vermehrten Einsatz von Enquete-Kommissionen zu sichern. Der erforderliche Sachverstand für diese Kommissionen soll durch Zeit-verträge mit Wissenschaftlern sichergestellt werden. Nicht nur von der Regierungsinformation unabhängig zu sein, ist das Ziel, sondern Einfluß zu nehmen auf die Politik von Parlament und Regierung.

Der wissenschaftliche Dienst muß ausgebaut werden. Es genügt nicht, die Zahl der Mitarbeiter zu vermehren und Spezialisten heranzubilden, die Teilgebiete beherrschen, aber keinen Überblick über den Gesamtzusammenhang haben und die kein Verständnis für die für jeden Abgeordneten bestehenden besonderen Arbeitsgegebenheiten in der Fraktion, im Ausschuß, im Plenum und im Wahlkreis haben.

Vorschlag:

Die Angehörigen des wissenschaftlichen Dienstes müssen Erfahrung in der Fraktions-, Ausschuß-und Plenararbeit der Abgeordneten sammeln. Sie haben, um eine Gesamtschau zu erhalten, ihren Arbeitsplatz regelmäßig zu wechseln. Wegen der hohen Anforderungen sind sie entsprechend einzustufen. 10. Die Arbeit im Wahlkreis, die Aussprachen mit den Verbänden, die Kontaktpflege mit der Basis finden im Bundestag zu wenig Beachtung. Dabei sind diese Aufgaben so wichtig wie die interne Arbeit des Bundestages, und nur die Abgeordneten des Bundestages können sie erfüllen. Die repräsentative Demokratie kann auf Dauer nur dann vom Volk bejaht werden, wenn es über und durch die Abgeordneten auf den Gang der politischen Entwicklung Einfluß nehmen kann. Die Verbindung zur Bevölkerung kann durch nichts und durch niemanden ersetzt werden. Dafür reichen aber die Wochenenden nicht aus, besonders wenn der Abgeordnete aus einem entfernten Landesteil kommt. Ein Abgeordneter braucht Zeit zum Gespräch, er braucht Zeit, um ein politisches Haus in seinem Wahlkreis führen zu können, er braucht Zeit zum Nachdenken und zum Studieren. Dies alles ist bei der jetzigen Terminhetze im Bundeshaus nicht möglich. Politische Debatten im Plenum, Gesetzesberatung im Ausschuß und Arbeit im Wahlkreis verlangen ihre besondere Bewertung und zeitliche Berücksichtigung. Dem muß der Arbeitsplan des Bundestages Rechnung tragen.

Vorschlag: 4-Wochen-Turnus 1. und 2. Woche:

mittwochs:

nachmittags ab 14. 30 Uhr politische Stunde und Fragestunde vormittags und nachmittags ab 16. 00 Uhr Ausschüsse donnerstags:

vormittags Ausschüsse nachmittags Plenum und Fragestunde freitags: Plenum für Schlußabstimmungen 3. Woche:

mittwochs:

politische Stunde vormittags und donnerstags Ausschußsitzungen und öffentliche Ausschußsitzungen freitags:

Plenum für Schlußabstimmungen 4. Woche:

Wahlkreis-Woche.

Die volle zeitliche Inanspruchnahme der Abgeordneten durch die Tätigkeit in Bonn hat zur Folge, daß Angehörige von Berufen, die die persönliche Mitarbeit im Betrieb voraussetzen, in viel zu geringer Zahl im Bundestag vertreten sind. Der fulltime-Job aller Abgeordneten läßt den Bundestag nicht politischer werden, sondern eher umgekehrt. Das Bemühen, eine echte Repräsentation der Bevölkerung im Bundestag zu haben, ist von großer Bedeutung. 11. Der Bundestag verfolgt nicht in ausreichendem Maße den Vollzug und die Auswirkung der von ihm beschlossenen Gesetze. Es genügt nicht, regelmäßige Berichte der Bundesregierung darüber zu verlangen. Je umfangreicher diese Berichte sind, um so weniger werden sie beachtet und um so geringer ist ihre Wirkung. — Bei Maßnahmegesetzen, Steuergesetzen und Förderungsmaßnahmen ist der Erfolg verhältnismäßig leicht festzustellen. Der Bundestag muß ihn daran messen, ob er dem mit dem beschlossenen Gesetz angestrebten Erfolg entspricht, und er muß sich entscheiden, ob Änderungen notwendig sind.

Vorschlag:

Mit dem Beschlußvorschlag des federführenden Ausschusses ist für die Berichterstattung durch die Bundesregierung ein einfaches Berichtsschema vorzuschlagen, welches die angeforderten Daten aufführen soll.

Schwieriger, aber politisch noch wichtiger ist die Prüfung der Wirkung gesellschaftspolitischer Maßnahmen. Hier genügen einfache Daten nicht. Der Bundestag sollte sich eine eigene Arbeitsgruppe schaffen, die solche Aufbereitungen durchführt, oder sich hierzu eines wissenschaftlichen Instituts bedienen. 12. Die Kontrolle durch den Bundestag erfolgt auf verschiedene Weise. Immer aber muß sich das Parlament darüber im klaren sein, daß die Kunst der politischen Führung darin besteht, daß weder der Bundestag noch seine Ausschüsse anstelle der Regierung oder der Ministerialbürokratie handeln dürfen, daß sie aber die Führung und Bewertung des Handelns der Regierung und der Ministerialbürokratie in der Hand behalten müssen. Diese Führungsfähigkeit verliert der Bundestag, wenn er es der Regierung allein überläßt, langfristige politische Entscheidungen zu treffen; er verliert sie aber auch, wenn er anstelle der Regierung Einzelentscheidungen trifft.

Hier teilen sich die Aufgaben zwischen Regierungsfraktionen und Opposition, wobei zu beachten ist, daß der Bundestag das einzige Verfassungsorgan ist, das seinem Wesen und seiner Funktion nach kontrovers arbeitet, um am Schluß durch Abstimmung die Mehrheit festzustellen, die verbindlich für den ganzen Bundestag entscheidet. Die Geschäftsordnung des Bundestages trägt dem insoweit Rechnung, als sie einer Minderheit, der Opposition, Verfahrensrechte einräumt, die sie in die Lage versetzt, jedwede Frage zur Aussprache zu bringen, sei es durch eine Große Anfrage, eine Kleine Anfrage, durch einen selbständigen Antrag oder durch Einbringung eines Initiativgesetzentwurfes. Auch die Redeordnung der Geschäftsordnung berücksichtigt die Opposition besonders. Die Opposition kann einem Viertel der Stimmen der Abgeordneten einen Untersuchungsausschuß einsetzen und das Beweisthema bestimmen, das jedes zur Verantwortung der Regierung gehörende Gebiet betreffen kann. Auch die Frage in der Fragestunde und die Aktuelle Stunde können Mittel zur Kontrolle der Regierung sein.

Die möglichen Maßnahmen der Kontrolle sind durch das Grundgesetz, durch Gesetze oder durch die Geschäftsordnung des Bundestages geregelt. Sie gelten für die Regierungsfraktionen wie für die Opposition.

Die Regierungsfraktionen, die zusammen mit der von ihr getragenen Regierung den Auftrag zur Durchführung ihres Programmes erhalten haben, haben ein besonders enges Verhältnis zu der Regierung. Die von ihnen durchgeführten Kontrollen entziehen sich der Regelung durch Verfassung, Gesetz oder Geschäftsordnung. Sie sind nicht zu trennen vom gemeinsamen Willensbildungsprozeß in Fraktionen und Regierung. Da es sich um die Wahrnehmung der gemeinsamen Führungsaufgabe handelt, kommt es auf die gemeinsame Beratung der Sachfragen an. Kein Bundeskanzler kann, ohne Schaden zu nehmen, ohne vorherige Beratung und Abstimmung mit den ihn tragenden Fraktionen in eine politische Auseinandersetzung gehen. Hier gibt es keine aufstellbare Regeln für das Verhalten der beiden Seiten; beide wissen, daß sie nur gemeinsam handlungsfähig sind. Die Fähigkeit, zu Entscheidungen zu kommen, hängt wesentlich davon ab. 13. Politische Aussprache verlangt die Debatte; sie ist ein entscheidendes Mittel des Willensbildungsprozesses. Es werden Argumente und Gegenargumente vorgetragen, die zur Überprüfung und zum Nachdenken Anlaß geben sollen. Die politische Debatte muß geführt werden mit dem Ziel, den Gesprächspartner zu überzeugen oder, genau so wichtig, in aller Öffentlichkeit nachzuweisen, daß die Argumente des Gegners nicht ausreichen, seine politischen Schlußfolgerungen zu tragen. Die Haltlosigkeit einer Argumentation oder die Unbelehrbarkeit führen zu harter Reaktion bei den Bürgern.

Von einer Debatte kann man aber nur dann sprechen, wenn die nachfolgenden Redner sich mit den Argumenten der vorhergehenden befassen, wenn sich bei den Reden selbst die Abgeordneten beteiligen, sei es durch Zwischenfragen oder durch Zwischenrufe. Dies verlangt die freie Rede. Nur wenige Abgeordnete im Bundestag entsprechen dieser Forderung. Die meisten lesen ihre vorher formulier -ten . Aufsätze" vor, ohne auf die Vorreden einzugehen. Daran ist nicht zuletzt die Presse schuld. Denn wer bis zu Beginn der Sitzung sein Manuskript nicht zur Verfügung gestellt hat, findet sich in der Presseberichterstattung nur selten wieder.

Vorschlag:

Die amtierenden Präsidenten achten streng darauf, daß Debattenbeiträge frei gehalten werden. Nur für Regierungserklärungen und einleitende Ausführungen werden Manuskripte zugelassen, bei Haushaltsreden nur Aufzeichnungen über Haushaltspositionen. Die Bestimmungen der Geschäftsordnung haben ihren guten Grund. Auf ihre Einhaltung zu achten, ist Pflicht der amtierenden Präsidenten.

Der Ältestenrat soll auf die Fraktionsführung dahin gehend einwirken, daß die Pressestellen der Fraktionen keine vorgefertigten Manuskripte der Presse zur Verfügung stellen. Das im Parlament gesprochene Wort ist frei verwendbar. Es ist gut, wenn möglichst viele Bürger die Debatten im Fernsehen mitverfolgen können. Da die „Berichterstattung" in den Tageszeitungen häufig eher eine Kommentierung als eine Berichterstattung ist, muß der Bundestag selbst darauf hinwirken, daß all denjenigen, die die Debatten nicht unmittelbar verfolgen können — das sind die Berufstätigen —, objektive Berichte zur Verfügung stehen. 14. Der Bundestag ist das Forum der Nation. Alle Fragen, die das ganze Volk angehen, müssen im Bundestag Berücksichtigung finden. Als staatsleitendes Organ muß der Bundestag daher stärker, als er es bislang tat, politisch aktiv werden. — Aus der konstitutionellen Monarchie überkommen ist die Regelung, daß das Parlament als Gesprächspartner nur sich selbst und die Regierung hat. Dies ist ein zu enger Rahmen geworden. Wir leben in einer europäischen Gemeinschaft, deren Organe unmittelbar unsere politischen Probleme mitgestalten, die Recht setzen, das für die Bundesbürger unmittelbar gilt; es kann nicht ausreichen, sich an die Bundesregierung als Mitglied des Ministerrates zu wenden. Die europäische Entwicklung verlangt andere Formen. Es wäre angemessen gewesen, wenn der französische Staatspräsident bei seinem Staatsbesuch vor dem Bundestag gesprochen hätte. Wie groß war doch die Wirkung, als Bundespräsident Scheel vor beiden Häusern des amerikanischen Kongresses sprach.

Vorschlag:

Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Parlamentspräsidenten der Staaten, mit denen die Bundesrepublik in einem Bündnis steht, können vor dem Bundestag sprechen. Das gleiche gilt für den Präsidenten des Europäischen Parlaments, den Präsidenten der Beratenden Versammlung des Europarates und den Präsidenten der Versammlung der Westeuropäischen Union. 15. Es gibt politische Fragen, die nach der Regelung des GG in die Zuständigkeit der Länder fallen, deren Wahrnehmung jedoch im Interesse des gesamten deutschen Volkes liegt Die Länder haben ihre Zuständigkeiten daher mit Blick auf das Ganze auszuüben, nicht gegeneinander und nicht gegen den Bund gerichtet. Das ist der Sinn der Bundestreue zwisehen Gliedstaaten und Gesamtstaat. Diese Bundestreue wirkt nach beiden Seiten. Daß der Bundestreue gemäß Politik gemacht wird, ist in erster Linie Sache des Bundestages. Er muß sich daher auch mit zuwiderlaufenden Entwicklungen der Länder befassen und die Gesamtrichtung angeben. Das ist die politische Kompetenz des Parlaments des Gesamtstaates. Vorschlag:

Der Bundestag muß sich mit Fragen befassen, die für die Entwicklung der Bundesrepublik von Bedeutung sind, er muß die Grundlinien der Gesamtpolitik für Bund und Länder aufzeigen. 16. Warum wendet sich der Bundestag nie an das Volk? Warum sagt er nicht mit seiner Autorität, begründet aus der Direktwahl der Bevölkerung, welches Verhalten vom Bürger erwartet werden muß? Warum tut er dies nur in Form von Gesetzen, rechtsverbindlich und durchsetzbar? Warum tut er es mit seinen Entschließungen, die an die Regierung gerichtet sind, nur mittelbar und überläßt es den gesellschaftlichen Kräften, insbesondere den Verbänden, die politischen Entscheidungen des Bundestages auf ihre Weise zu vermitteln und zu deuten?

Notwendig ist der Dialog zwischen Bürger und Parlament; notwendig sind Antworten, nicht nur in Form von Gesetzen. Es genügt nicht, daß die einzelnen Abgeordneten diesen Dialog laufend kontrovers führen, erforderlich ist die politisch verbindliche Erklärung des Parlaments z. B. zur Frage der Todesstrafe, der Nutzung der Kernenergie, der Teilnahme an der Olympiade 1980 und viele andere Fragen. Vorschlag:

Der Bundestag muß dem Wähler Antwort geben auf drängende Fragen, die von ihm gestellt werden. 17. Die Klage über die „Gesetzesflut", die in der Pauschalität — so, wie sie erhoben wird — nicht begründet ist, gibt dem Bundestag Anlaß, sich laufend selbstkritisch der Prüfung zu unterziehen. Da ist einerseits die Zusammenfassung geltenden Rechts in überschaubare und verständliche Texte, und da ist die Beschränkung auf das Notwendige.

Vorschlag:

Der Bundestag soll in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung die begonnene Zusammen-

II. Vorschläge, die eine Änderung des Grundgesetzes oder eines Gesetzes erforderlich machen

1. Die Aufstellung der Wahlkreiskandidaten für die Wahl zum Bundestag erfolgt nach § 21 des Bundeswahlgesetzes; danach kann sie in einer Mitgliederversammlung oder in einer allgemeinen Vertreterversammlung erfolgen. Bei den größeren Parteien sind Mitgliederversammlungen auf Wahlkreisebene schwer durchführbar. Die Aufstellung der Kandidaten durch Delegierte — in der Regel auf zehn Mitglieder ein Delegierter — führt wegen der Wahl der Delegierten auf örtlicher Ebene zu vielen Unzuträglichkeiten, insbesondere besteht immer die Gefahr, daß sich verhältnismäßig kleine Gruppen durchsetzen und die Entscheidung zu stark beeinflussen.

Vorschlag:

Neben der allgemeinen Mitgliederversammlung sollte die Möglichkeit der Briefwahl durch alle Mitglieder treten. Die Delegierten-versammlungen sollten wegfallen.

Unter Beibehaltung der Möglichkeit der Delegiertenversammlung hat sich die Enquete-Kommission Verfassungsreform mit diesem Vorschlag befaßt. Auf den Schlußbericht der Kommission wird verwiesen. 2. Mit seiner Zweitstimme kann sich der Wähler bei den Bundestagswahlen nur für die von der gewählten Partei aufgestellte sogenannte starre Liste entscheiden; nach der Liste werden die nicht in Wahlkreisen Gewählten berufen. Obwohl der Wähler einen Listenbewerber besonders berücksichtigt sehen möchte, ist ihm diese Möglichkeit nicht gegeben. Bei den Landtagswahlen in Bayern und bei Kommunalwahlen besteht diese Möglichkeit; das Ergebnis ist, daß die Liste der Gewählten meist anders aussieht als die von den Parteien aufgestellten Bewerberlisten. Der Wähler sieht sich also die Listen an, er wählt nicht nur die Partei, sondern er will seinen Kandidaten wählen. Die darin zum Ausdruck kommende Korrektur der Parteiliste ist für die Parteien manch-mal sehr heilsam.

Vorschlag:

Der Wähler hat bei der Abgabe seiner Zweit-stimme für die Bundestagswahl die Möglich-fassungvon verstreut und zum Teil mit verschiedenen Begriffen ausgestatteten Gesetzen in Gesetzbücher, die sachbezogen sind, so wie z. B. das Arbeitsgesetzbuch, beschleunigt fortführen und gleichzeitig die Teilgesetze aufheben. keit, den von ihm bevorzugten Kandidaten zu kennzeichnen und damit auf die Reihenfolge der Listenkandidaten Einfluß zu nehmen.

Die auf solche Weise Gewählten verfügen dann über eine unmittelbare Legitimation durch die Wähler, in gleicher Weise wie die im Wahlkreis Gewählten. Die unmittelbare Verbindung zu den Wählern in einem größeren Gebiet wird deutlich. Der Bewerber muß sich bei der Wahl und während der Wahlperiode diesem größeren Kreis in allen Auseinandersetzungen stellen. Sicherlich ist die Chance für langjährige Abgeordnete scheinbar besser, andererseits gibt es immer Persönlichkeiten, die sich neu darstellen und die das Vertrauen der Wähler gewinnen, denn darum geht es bei der Wahl und nicht um die Position in der Partei allein. Es wird eingewandt, Spezialisten und Frauen hätten dann geringe Chancen; die Ergebnisse beweisen, daß dies nicht richtig ist — Die mit der Einführung eines solchen Wahlsystems verbundenen technischen Schwierigkeiten, die insbesondere in den größeren Flächenländern entstehen können, können gemeistert werden.

Aufstellung und Wahlsystem sind Fragen, die im Bundeswahlgesetz zu regeln sind. Es wäre nicht gut, wenn die Abgeordneten die sie betreffenden Fragen allein und unabhängig regeln würden. Es müssen sich vielmehr die Parteien als Vertreter der aktiven Bürger auf ihren Parteitagen mit diesen Fragen beschäftigen und eine politische Meinungsbildung herbeiführen (vgl. auch den Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform).

Vorschlag:

Der Bundestagspräsident möge die im Bundestag vertretenen Parteien anregen, die Fragen zur Neugestaltung des Wahlrechts auf ihren Parteitagen zu behandeln. 3. Der Bundestag wird für vier Jahre gewählt Mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages endet seine Wahlperiode. Vorzeitige Wahlen kann es nur geben, wenn der Bundestag nicht in der Lage ist, einen Bundeskanzler mit absoluter Stimmenzahl zu wählen — dann kann der Bundespräsident Neuwahlen festsetzen —, oder wenn dem Bundeskanzler auf seinen Antrag, ihm das Vertrauen auszusprechen, dies nicht mit absoluter Mehrheit erfolgt und der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten vorschlägt, Neuwahlen anzuordnen. Die Entwicklung hat gezeigt, daß es auch Situationen geben kann, in denen durch eingetretene Veränderungen in der Zusammensetzung des Bundestages dieser praktisch funktionsunfähig geworden ist, die Voraussetzungen für die Festsetzung von Neuwahlen aber nicht vorliegen. Der Bundestag als einziges unmittelbar gewähltes Verfassungsorgan muß die Möglichkeit haben, den Wähler anzurufen, nicht in einer Sachfrage — die muß er selbst entscheiden —, sondern mit dem politischen Verlangen, ihm eine neue politische Legitimation zu geben. Es ist nicht tragbar, daß der Bundestag einem Zustand der Funktionsunfähigkeit nicht selbst abhelfen kann, denn das Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, ist immer präsent, also muß auch sein Vertreter immer präsent und handlungsfähig sein.

Vorschlag:

Auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder der kann Bundestag mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder beschließen, die Wahlperiode vorzeitig zu beenden. Der Bundespräsident bestimmt die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen.

Um Manipulationen der Parlamentsmehrheit auszuschließen, sollte das Zwei-Drittel-Quorum gewählt werden. Ein Viertel der Mitglieder, das sind in der Regel sowohl Opposition wie auch Regierungsfraktion, muß den Zwang zur Entscheidung herbeiführen können (vgl. hierzu Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform). 4. Der Bundestag als staatsleitendes Organ muß sich rechtzeitig und unabhängig von der Bundesregierung in die Lage versetzen, Entwicklungen und ihre Folgen zu erkennen und sie politisch zu bewerten. Sachverständigen-kommissionen und Berichte der Bundesregierung reichen dazu nicht aus. Die Erfahrungen mit den nach § 56 der Geschäftsordnung bislang durchgeführten Enquete-Kommissionen haben gezeigt, daß die Zusammenfassung von Politikern und Sachverständigen dazu führt, daß auf die politischen Fragestellungen politische Antworten gesucht und gefunden wurden. Diese Grundlagenarbeit wird an Bedeutung gewinnen; sie muß bewußt gefördert werden. Die Bestimmungen der Geschäftsordnung geben den Mitgliedern des Bundestages und erst recht den Mitgliedern von Kommissionen, die nicht Abgeordnete sind, keinerlei rechtliche Möglichkeiten, Auskünfte und Unterlagen von Dritten zu erlangen. Sie können nur nach Art. 35 GG Amtshilfe von allen Behörden des Bundes und der Länder erhalten. Dies aber muß möglich sein, sonst müßten sich Enquete-Kommissionen darauf beschränken, allgemein zugängliches Material zu verwenden. Dies reicht bei Untersuchungen, die sich mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorgängen befassen, mit Sicherheit nicht aus. Soweit es sich dabei um Steuer-, Bank-oder Geschäftsgeheimnisse handelt, muß der Schutz der Vertraulichkeit gewährleistet werden. Vorschlag:

Einfügung eines Artikels 44 a in das Grundgesetz:

„Der Bundestag kann zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachgebiete Enquete-Kommissionen einsetzen, denen auch Mitglieder angehören dürfen, die nicht Abgeordnete sind. Die Enquete-Kommissionen können alle für ihren Auftrag erforderlichen Beweise erheben. Die Einzelheiten sind in einem besonde -ren Gesetz zu regeln, das auch das sonstige Verfahren festlegt."

Es sollte ein allgemeines Gesetz geschaffen werden, das jeder Enquete-Kommission eine einwandfreie und ausreichende Grundlage für ihre Untersuchungen gibt. 5. Der Bundestag muß das Recht haben, alle seine Bereiche und auch die der Bundesregierung durch die Einsetzung eines Ausschusses zu untersuchen. Dies muß wie seither das Recht einer Minderheit sein. Da jeder Ausschuß die Stärkeverhältnisse des Plenums widerspiegelt, hat die Regierungskoalition in jedem, auch im Untersuchungsausschuß, die Mehrheit, die Opposition, die den Untersuchungsausschuß erzwingen kann, ist in der Minderheit. Ohne rechtliche Regelung hat der Bundestag das Problem, ob die Minderheit im Untersuchungsausschuß einen Beweisantrag durchsetzen kann, dadurch gemeistert, daß mit dem Einsetzungsbeschluß die von der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft erarbeiteten Grundsätze für anwendbar erklärt wurden. Danach hat ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungausschusses das Recht, einen Beweisbeschluß zu fassen. Die Bestimmung des Grundgesetzes in Artikel 44, daß für die Beweiserhebung die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung finden, ist nach allgemeiner Auffassung für das Verfahren ungeeignet. Die zu klärenden Fragen ergeben sich je nachdem, ob das Verfahren des Untersuchungsausschusses gerichtsähnlichen Charakter hat, oder ob es ein politischer Wettstreit ist mit anderen Mitteln als denen der Debatte. Die Enquete-Kommission Verfassungsreform hat sich ausführlich mit dieser Frage befaßt. Sie stellt in ihrem Schlußbericht fest: „übergreifender Gesichtspunkt (für die Empfehlungen der Kommission) war die Erkenntnis, daß ein parlamentarisches Untersuchungsverfahren kein gerichtsähnliches Verfahren ist, sondern der Aufklärung von Sachverhalten mit parlamentarischen Mitteln zum Zweck einer politischen Bewertung dient. Die Frontenbildung in einem parlamentarischen Untersuchungsverfahren wird dadurch gekennzeichnet, daß denjenigen, die sich von der Aufklärung der gestellten Fragen einen politischen Vorteil versprechen, auf der anderen Seite diejenigen gegenüberstehen, die einen politischen Nachteil befürchten." Die Schlußfolgerung daraus kann dann nur sein, daß eine Seite aufklären will, die andere möglichst nicht — und alles um eines politischen Vorteils willen.

Kein Bürger hat Verständnis dafür, daß nur aus taktischen Gründen nach der „Wahrheit" gesucht wird, die andere nicht gelten lassen oder gelten lassen wollen. Die seither von Ausschüssen durchgeführten Untersuchungen geben Anlaß zu der Forderung, daß sie sich um die Klärung eines im Einsetzungsbeschluß bezeichneten und umschriebenen Sachverhalts zu bemühen haben. Nach Klarstellung dieses Sachverhalts kann und muß die politische Wertung erfolgen. Die Enquete-Kommission vermengt Aufklärung mit politischer Wertung, ja noch deutlicher, Aufklärung nur und nur soweit, wie dies den einzelnen Seiten opportun erscheint. Die Aufklärung eines Sachverhalts muß aber auch dem außerhalb des Untersuchungsausschusses Stehenden eine ausreichende Grundlage für eine eigene Bewertung geben. Daß dies bislang nicht der Fall ist, ist unbestritten, daß dies nach den Vorschlägen der Enquete-Kommission geradezu institutionalisiert würde, halte ich für bedenklich.

Vorschlag:

Der Bundestag bestimmt am Beginn einer Wahlperiode mehrere Gremien, die aus je fünf nicht mehr aktiven Richtern bestehen; jedes Mitglied kann nur an einem Gremium teilnehmen. Aufgabe des Gremiums ist es, den im Einsetzungsbeschluß umschriebenen Sachverhalt zu klären und über das Ergebnis seiner Untersuchung dem Plenum des Bundestages einen Bericht vorzulegen. Die Untersuchungen sind nach den Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung zu führen (vgl. hierzu den Bericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, das Sondervotum Schäfer hierzu und die Debatte im Bundestag in der 73. Sitzung vom 17. 2. 1978, S. 5757 C). 6. Der Wehrbeauftragte des Bundestages ist durch Art. 45 b GG berufen worden. Das dazu erforderliche Bundesgesetz erging am 26. Juni 1957 (BGBl. I S. 652). In seinen Jahresberichten hat der Wehrbeauftragte wiederholt darauf hingwiesen, daß zwischen ihm und dem Bundesminister der Verteidigung Differenzen über Fragen der Zuständigkeit entstanden sind. Außerdem wurde dargelegt, daß die Verbindung des Wehrbeauftragten zum Bundestag enger gestaltet werden müsse; auch das Verhältnis zum Verteidigungsausschuß bedürfe der Klärung. Der Verteidigungsausschuß hat sich in der Siebten und in der Achten Wahlperiode mit diesen Fragen eingehend befaßt; er hat den Entwurf eines Gesetzes erarbeitet, mit dem die aufgetretenen Zweifelsfragen auf Grund der gewonnenen Erfahrungen geklärt werden sollen. Zu prüfen ist weiterhin, ob eine Änderung des Art. 45 b GG in diesem Zusammenhang erforderlich ist.

Vorschlag:

Der vom Verteidigungsausschuß erarbeitete Entwurf bertreffend Stellung und Aufgabe des Wehrbeauftragten des Bundestages sollte möglichst bald als Initiativantrag eingebracht und beraten werden. 7. Die Durchführung der Finanzkontrolle ist eine der wichtigsten Aufgaben des Bundestages; damit ist zugleich die Frage nach der Stellung des Bundesrechnungshofes in unserem Verfassungsgefüge angeschnitten. Es darf keinen Zweifel darüber geben, daß der Rechnungshof dem Parlament näher steht als der Regierung. Die seitherige Ausgestaltung trägt diesem Umstand nicht Rechnung. Finanzkontrolle — vorherige durch die Beratung und Verabschiedung des Haushaltsplanes, begleitende durch den Haushaltsausschuß, nachträgliche mit dem Ziel der Entlastung der Bundesregierung — erfolgt durch das Parlament, ist aber ohne die Zuarbeit des Rechnungshofes nicht möglich. Der preußische König hat als Souverän den Rechnungshof eingerichtet, um mit seiner Hilfe die Verwaltung zu kontrollieren. Für den Souverän Volk handelt der Bundestag, also muß der Bundesrechnungshof unmittelbar ihm zuarbeiten.

Während die politische Kontrolle durch die Parlamentsmehrheit gegenüber der von ihr getragenen Regierung ihre eigenen Formen entwickelt hat und entwickelt, die Kontrolle durch die Opposition, nur möglich ist, wenn der Opposition durch die Verfassung, ein Gesetz oder Ermächtigungen der Geschäftsordnung die Möglichkeit dazu geboten ist, kann die Finanzkontrolle praktisch nur vom Bundestag als Institution ausgeübt werden. Sicherlich könnte der Bundestag einzelne Fragen selbst durch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses prüfen, er wäre aber auch hierbei auf die Untersuchung, Prüfung und den Bericht des Rechnungshofes angewiesen. Der Bundesrechnungshof berichtet immer dem Bundestag, dem Haushaltsausschuß oder dem Rechnungsprüfungsausschuß, nie einer einzelnen Fraktion. Die Berichte liegen in der Regel offen vor.

Im Zuge der Haushalts-und Finanzreform 1969 wurde Art. 114 GG neu gefaßt und damit der Bundesrechnungshof näher an den Bundestag und den Bundesrat herangeführt; er berichtet nicht mehr über den Minister, sondern unmittelbar. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß der Bundesrechnungshof „Hilfsorgan sowohl der Exekutive wie der Legislative ist“ (so der Rechtsausschuß BT-Drs. V/3605 S. 13).

Bei der Bedeutung des Bundeshaushaltes in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, der Schwierigkeit, ihn zu durchleuchten und damit politisch zu bewerten, muß der Bundestag sich der Hilfe des Bundesrechnungshofes mehr als seither vergewissern. Der Bundes-rechnungshof darf sich nicht darauf beschränken, Jahresberichte vorzulegen; er muß bei aktuellen Anlässen tätig werden und auf Antrag einer Minderheit von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages aufgefordert werden können, einen bestimmten Vorgang zu untersuchen und darüber zu berichten. Die seitherige Praxis, daß der Präsident des Bundesrechnungshofes zu und Beauftragten allen Sitzungen des Haushaltsausschusses und des Rechnungsprüfungsausschusses Zutritt und Rederecht haben, reicht nicht aus. Es ist bestimmt ein Versehen, daß die Geschäftsordnung des Bundestages diese Frage nicht regelt. Notwendig ist, daß auch im Plenum des Bundestages der Bundesrechnungshof seine Berichte vorlegen und erläutern kann. Wie der Wehrbeauftragte sollte daher der Präsident des Bundesrechnungshofes aufgefordert werden können, dies zu tun. (Bei der Konstruktion des Bundesrechnungshofes als Kollegial-behörde rechtlich Unabhängiger schließt dies sicherlich einige problematische Fragen in sich ein.)

Den Bundesrechnungshof näher an das Parlament zu führen, seinem Präsidenten die Möglichkeit zu geben, im Bundestag zu sprechen, führt dazu, daß der Bundestag und nicht die Regierung den Präsidenten und den Vizepräsidenten bestimmen. Die Bundesregierung sollte ein Vorschlagsrecht haben. Der Bundestag soll Präsident und Vizepräsident mit Zweidrittelmehrheit der Stimmen des Bundestages auf die Dauer von sieben Jahren wählen. Eine breite Basis und sichtbare Unabhängigkeit sollten diesen beiden Ämtern eigen sein. Abberufung durch Zweidrittelmehrheit muß möglich sein.

Vorschlag:

Präsident und Vizepräsident des Bundesrechnungshofes werden vom Bundestag mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen gewählt und gegebenenfalls abberufen.

Der Präsident des Bundesrechnungshofes hat bei der Beratung der von ihm vorgelegten Berichte das Wort zu ergreifen, wenn ein Mitglied des Bundestages es verlangt und das Verlangen von soviel anwesenden Mitgliedern des Bundestages unterstützt wird, wie einer Fraktionsstärke entspricht Der Bundesrechnungshof kann mit den Stimmen von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages beauftragt werden, bestimmte Untersuchungen durchzuführen und darüber dem Bundestag zu *). erichten

Fussnoten

Weitere Inhalte

Friedrich Schäfer, Dr. jur., Professor, geb. 1915; von 1967 bis 1969 Staatssekretär im Bundesministerium für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder; von 1957 bis 1967 und seit 1969 Mitglied des Deutschen Bundestages; seit 1969 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion; von 1969 bis 1976 Vorsitzender des Innenausschusses; von 1971 bis 1976 Vorsitzender der Enquete-Kommission Verfassungsreform. Veröffentlichungen u. a.: Die Notstandsgesetze. Vorsorge für den Menschen und den demokratischen Rechtsstaat, 1966; Der Bundestag. Eine Darstellung seiner Aufgabe und seiner Arbeitsweise, verbunden mit Vorschlägen zur Parlamentsreform, 1967; in dieser Zeitschrift: Vorschläge zu einer Parlamentsreform, B 1/67; Bundesstaatliche Ordnung als politisches Prinzip, B 17/75; Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, B 25/76; Neue Herausforderungen an Politik und Verfassung, B 28/77.