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Handlungsspielräume der USA in der Entstehung des Ost-West-Gegensatzes 1945 bis 1950 | APuZ 25/1983 | bpb.de

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APuZ 25/1983 War der Kalte Krieg unvermeidlich? Handlungsspielräume in der Entstehung des Ost-West-Gegensatzes 1945 bis 1950 Handlungsspielräume der UdSSR in der Entstehung des Ost-West-Gegensatzes 1945— 1950 Handlungsspielräume der UdSSR in der Entstehung des Ost-West-Gegensatzes 1945 bis 1950 Handlungsspielräume der USA in der Entstehung des Ost-West-Gegensatzes 1945— 1950 Handlungsspielräume der USA in der Entstehung des Ost-West-Gegensatzes 1945 bis 1950

Handlungsspielräume der USA in der Entstehung des Ost-West-Gegensatzes 1945 bis 1950

Geir Lundestad

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Zusammenfassung

Auf den ersten Blick scheint es so, als sei das Heraufziehen des Konfliktes zwischen Ost und West nach dem Zweiten Weltkrieg zwangsläufig gewesen. Insbesondere die Entwicklungen in Osteuropa, wo sich die Auseinandersetzungen zuerst manifestierten, deuten darauf hin. Doch gibt es auch Fakten, die implizieren, daß der Kalte Krieg dennoch vermeidbar gewesen wäre, sowohl weltweit als auch in Osteuropa. Zwar konnten George F. Kennan und auch Franklin D. Roosevelt persönlich den Gedanken einer sowjetischen Einflußsphäre in Osteuropa akzeptierten, doch war den amerikanischen Politikern letztendlich unmöglich, eine sowjetische Hegemonie in Osteuropa anzuerkennen. Das Konzept einer offeneren sowjetischen Einflußsphäre befriedigte hingegen die UdSSR nicht. Die politisch Verantwortlichen in Washington haben ihren Spielraum, die Öffentlichkeit zu beeinflussen, unterschätzt. Aufgrund des latenten Antisowjetismus, der auch während des Krieges verblieben war, tendierte die Öffentlichkeit, nachdem sie wieder für eine sowjetische Gefahr sensibilisiert wurde, dazu, sehr empfindlich zu reagieren. Die amerikanische Nichtakzeptanz einer sowjetischen Hegemonie in Osteuropa seitens der Öffentlichkeit wurde hingegen von den amerikanischen Politikern durchaus richtig eingeschätzt. Doch kann in einer historischen Rückblende nicht mit Gewißheit gesagt werden, wie die öffentliche Meinung auf eine alternative Politik reagiert hätte.

I.

über die Ursprünge des Kalten Krieges gibt es eine ganze Reihe scheinbar objektiver Erklärungen. Einige davon sind struktureller Art und haben mit der Natur des internationalen Systems als solchem zu tun. Eine dieser Theorien setzt als gegeben voraus, daß Konflikte im internationalen System unvermeidlich sind. Es habe sie immer gegeben und werde sie immer geben, unabhängig davon, um welche spezifischen Personen, Mächte und politischen Systeme es sich gerade handele. Daraus ließe sich ableiten, daß größere Veränderungen im internationalen System in ganz besonderem Maße destabilisierend wirken müssen. Der Zweite Weltkrieg hatte einige tiefgreifendste Veränderungen zur Folge, wie sie die Welt seit Jahrhunderten nicht gesehen hatte.

Von diesen Theorien des Wandels, die sich mit den Veränderungen des internationalen Systems befassen, scheint die Vakuum-Theorie die mit der größten Verbreitung zu sein. Die Niederlage Deutschlands in Europa und die Japans in Asien habe diesem Konzept zufolge ein Machtvakuum hinterlassen, das fast naturgesetzmäßig wieder ausgefüllt werden mußte. Dies konnte jedoch nicht durch die traditionellen Großmächte geschehen. Zwei von ihnen waren besiegt, und für Großbritannien und Frankreich waren die Kosten des Sieges einfach zu hoch. Der Krieg hatte ihre Macht und ihre Stellung soweit verringert, daß dadurch die Auflösung ihrer Kolonialreiche beschleunigt wurde, was wiederum neue Vakuen schuf und zu neuen Problemen führte. Nur die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion konnten diese Leerräume füllen. Die Ost-West-Konflikte, zunächst in Europa und dann in Asien und Afrika, mußten nach dieser Theorie einfach als ein unvermeidlicher Kampf um eine neue Stabilität gesehen werden.

Die Vakuum-Theorie wurde durch Louis Halles Buch „The Cold War as History" aus dem Jahre 1967 berühmt. Mit Halles Worten „verabscheut die Natur ein Vakuum": „Die Grundlagen für den Kalten Krieg" wurden demnach in dem Augenblick geschaffen, „als man sich entschied, mit Deutschland keinen Frieden zu schließen und es statt dessen als Macht in Europa auszuschalten..'. Es liegt auf der Hand, daß ein solches Vakuum kaum Bestand’ haben kann, nicht einmal eine Woche lang. Es mußte durch etwas gefüllt werden."

Es gab nur wenig Grund zu der Annahme, daß die beiden neuen Supermächte in der Lage sein würden, zu einer gegenseitigen Zusammenarbeit zu kommen. Es war wiederum ganz einfach ein Gesetz der Geschichte, wenn nicht gar ein Naturgesetz, daß siegreiche Koalitionen dazu neigten, sich aufzulösen, nachdem sie ihr Ziel erreicht hatten, nämlich den gemeinsamen Feind zu besiegen, ein Ziel, das solche Koalitionen überhaupt erst hatte entstehen lassen. Dies geschah nach den Napoleonischen Kriegen und wiederholte sich nach dem Ersten Weltkrieg. Das einzig überraschende war nur, daß nach dem Zweiten Weltkrieg so viele Menschen hofften, den Lauf der Geschichte, wie er sich in ähnlichen Situationen in diesem und, in früheren Jahrhunderten gezeigt hatte, umkehren zu können.

Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten hatten vor dem Zweiten Weltkrieg ein relativ schlechtes Verhältnis zueinander, aber sie waren damals nur Außenseiter. Die Vereinigten Staaten wurden vom Isolationismus (zumindest gegenüber Europa) beherrscht, und auch die Sowjetunion isolierte sich zum Teil selbst, wurde aber zudem von der internationalen Völkergemeinschaft in der Isolation gehalten. Der Krieg erschütterte diese traditionellen Verhaltensmuster der USA und der Sowjetunion. Auch geographisch rückten die beiden Länder durch den Krieg näher zusammen. Ihre Armeen standen sich nun im Herzen Europas direkt gegenüber.

Der Krieg hatte auch das Konzept von der Festung Amerika zerstört. Pearl Harbor hatte gezeigt, daß die USA angegriffen werden konnten. Mit dem Bewußtwerden dieser Tatsache verschwanden der Isolationismus und das Vorkriegskonzept der geographischen Abgeschirmtheit. Nach dem Krieg trat die Welt nicht nur in das Atomzeitalter, sondern auch in das Luftverkehrszeitalter und das globale Zeitalter ein. Die Erde schrumpfte zusammen, Amerika wurde näher an Europa herangerückt. Daraus ergab sich, daß die Vereinigten Staaten eine aktive Rolle spielen mußten, um einen neuen Krieg zu verhindern und eine Welt aufzubauen und zu formen, die im Einklang mit ihren Interessen stand. Der Chef des Generalstabes, George C. Marshall, bemerkte in diesem Zusammenhang: „Wahrscheinlich zum letzten Mal in der Geschichte der Kriegführung wirkte (im Zweiten Weltkrieg) jene ozeanische Entfernung als ein entscheidender, lebenswichtiger Faktor für unsere Verteidigung. Wir mögen es (in Zukunft) wiederum vorziehen, uns auf andere zu verlassen oder von den Launen und Irrtümern potentieller Feinde abhängig zu sein, aber wenn wir das tun, werden wir die Reichtümer und die Freiheit dieser großen Nation in einer Papiertüte tragen."

Natürlich wurden die Konfliktmöglichkeiten wesentlich dadurch erhöht, daß beide Länder völlig verschiedene politische und wirtschaftliche Systeme besaßen. Der Krieg hatte zwar die Vorkriegsideologien und -Institutionen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion leicht verändert, jedoch auch das nur am Rande. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dann aber eine Rückkehr zu den Verhaltensmustern der Vergangenheit. Zumindest die Geschwindigkeit und die Intensität, mit der der Kalte Krieg einsetzte, wird man gewiß zu einem Teil auf die völlig verschiedenen Systeme der beiden Länder zurückzuführen haben. Dieser Faktor allein machte schon eine Zusammenarbeit schwierig und eine genaue Abschätzung der Intentionen des jeweilig anderen Staates unmöglich.

Auch die geschichtlichen Erfahrungen wirkten sich auf mannigfaltige Art und Weise gegen eine sowjetisch-amerikanische Zusammenarbeit aus. Historisch gesehen hatte sich der Charakter der beiden Nationen in gegensätzliche Richtungen entwickelt. Die Sowjets werden oft als im Grunde ihres Wesens unsieher, furchtsam, leicht zu beleidigen und mit einem vielgestalteten Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Westen behaftet geschildert. Den Amerikanern dagegen schreibt man oft die gegensätzlichen Eigenschaften zu: selbstsicher, offen, optimistisch und überlegen. Der Krieg hatte die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion zusammengebracht. Doch in einem tieferen Sinne hatte er eine Zusammenarbeit schwieriger gemacht. Lehren mußten gezogen werden, und eine der grundlegenden Erfahrungen war, daß eine Aggression frühzeitig gestoppt werden mußte. Die Domino-Theorie, die den Unterschied zwischen wichtigen und weniger wichtigen Gebieten verwischte, wurde durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges wesentlich gestärkt. Dies bedeutete, daß selbst beschränkte Konflikte brennend wichtig wurden. In Washington gelangte man schon bald zu der Schlußfolgerung, daß den Sowjets so früh wie möglich Einhalt geboten werden müßte, andernfalls würde Stalin zu einem neuen Hitler werden.

II.

Die Gesamtziele der beiden Supermächte spiegelten sich in den vielen lokalen und regionalen Streitfällen, die dann zur Entstehung des Kalten Krieges führten. Unter Historikern ist man sich im allgemeinen einig, daß der erste dieser Streitfälle Osteuropa betraf. Die dortigen Entwicklungen waren beispielgebend für das, was sich dann später in Deutschland, im Iran und anderswo abspielte. Es ist deshalb aufschlußreich, den Konflikt um Osteuropa etwas eingehender zu betrachten.

Traditionalistische und revisionistische Historiker sind sich nicht nur über die Wichtigkeit der osteuropäischen Ereignisse einig. In einem überraschenden Ausmaß decken sich auch ihre Ansichten über die Ursachen des dortigen Konfliktes. Sie stimmen darin überein, daß die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg entschlossen waren, eine aktive Rolle in Osteuropa zu spielen. Auf der anderen Seite sei die Sowjetunion entschlossen gewesen, eine führende Rolle in dieser Region einzunehmen.

Differenzen zwischen den Historikern bestehen allerdings hinsichtlich der Fragen, welcher Art die amerikanischen Interessen in Osteuropa waren und in welchem Ausmaß die Sowjets zumindest anfangs eine Kontrolle dieses Gebietes anstrebten. Die traditionalistischen Wissenschaftler sehen die Vereinigten Staaten als Verteidiger der Demokratie und als Wahrer der legitimen Interessen sowohl ihres eigenen Landes als auch derjenigen Westeuropas. Die revisionistischen Historiker hingegen weisen auf das Ansinnen Amerikas hin, Osteuropa an eine kapitalistische Weltwirtschaft zu binden. Die Traditionalisten nehmen die sowjetischen Ziele in Osteuropa als so umfassend an, daß dadurch jede sinnvolle Rolle für andere Mächte ausgeschlossen war. Für die Revisionisten wiederum waren es die nicht gerechtfertigten Ambitionen der Vereinigten Staaten in jener Region, die quasi als Antwort zu einer Eskalation der sowjetischen Ziele führten.

Trotz dieser Unterschiede bleibt es letztlich bei der Schlußfolgerung, daß praktisch für alle Historiker jedweder Richtung die amerikanischen und sowjetischen Ziele in Osteuropa unvereinbar waren. Mit Arthur Schlesingers Worten stützten die Vereinigten Staaten ihre Politik auf einen „universalistischen" Ansatz, während . die Sowjetunion einen traditionellen, auf die Wahrung von „Interessensphären" gerichteten Kurs verfolgte Man gewinnt wiederum den Eindruck, daß diese grundlegenden Differenzen durch nichts miteinander hätten versöhnt werden können. Mit anderen Worten: Der Kalte Krieg war unvermeidlich. Der Eindruck der Unvermeidbarkeit wird noch verstärkt durch einen Vergleich der amerikanischen mit der westeuropäischen Politik. Auch in den meisten westeuropäischen Ländern gab es eine starke Reaktion gegen den sowjetischen Expansionsdrang in Osteuropa. Zum Beispiel zeigt ein Vergleich der britischen Politik unter der Labour-Regierung mit der Politik der Truman-Administration nur geringe grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Washington und London. Wenn es Differenzen gab, dann waren diese nicht entscheidend und betrafen Fälle, bei denen Großbritannien einmal meinte, daß die amerikanische Politik zu weich sei (wie im Falle Polens), das andere Mal, daß sie zu hart sei (wie im Falle Rumäniens und der Tschechoslowakei)

Wenn London und Moskau im gleichen Maße wie Washington und Moskau miteinander im Widerstreit standen, dann sollte man meinen, daß auch ein Regierungswechsel in den USA kaum einen Unterschied gemacht hätte. Und nach der damaligen Stimmung im Lande zu urteilen, war der Wechsel in'Washington höchstwahrscheinlich nicht zugunsten einer linksliberalen Regierung zu erwarten. Die Alternative war eine Republikanische Regierung, wie die Kongreßwahlen des Jahres 1946 deutlich zeigten.

III.

Es soll nun versucht werden, ein entgegengesetztes Bild zu zeichnen, dahin gehend, daß die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion einer Einigung eigentlich ganz nahe waren und daß schon ein geringes mehr an Flexibilität genügt hätte, um den Kalten Krieg zu verhindern. Zunächst einige Bemerkungen zu den allgemeinen Fragen, die in der bisherigen Diskussion bereits angesprochen worden sind. Im internationalen System hat es schon immer zahlreiche Konflikte gegeben, aber es gab gleichzeitig auch lange Perioden, in denen die Differenzen auf einem relativ niedrigen Niveau gehalten wurden. Die wichtigste dieser Perioden dauerte von 1815 bis 1914. Weiterhin ist die Vakuum-Theorie natürlich kein Naturgesetz, wie auch Louis Halle nur zu gut weiß. Dies wird an einer seiner Kapitelüberschriften — „Die Neigung der Sowjetunion, in die 1945 geschaffenen Machtvakuen an ihren beiden Flanken hinein zu expandieren" — deutlich: Es dehnte sich also nur die Sowjetunion aus, während sich die Vereinigten Staaten aus Europa heraushielten, zumindest bis zur Truman-Doktrin und dem MarshallPlan

Die Welt war geschrumpft, aber dies hatte nicht nur negative Auswirkungen auf die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen. In gewisser Weise machte dies die Zusammenarbeit noch zwingender notwendig. Wenn ein neuer Krieg ausbrechen sollte, dann wären im Vergleich dazu die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges außerordentlich gering. Truman mochte erwartet haben, 85% von dem zu bekommen, was er von den Sowjets wollte, aber er gab auch zu erkennen, daß die Vereinigten Staaten bereit waren, einen zusätzlichen Schritt zu tun, um der Sowjetunion entgegen-zukommen. Obwohl es zutrifft, daß die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion vor dem Zweiten Weltkrieg nur ein mittelmäßiges Verhältnis zueinander hatten, sollte man nicht unterschätzen, welch tiefgreifende Veränderungen der Krieg gebracht hatte. Eine Minderheit blieb auch weiterhin skeptisch gegenüber der Sowjetunion, aber bei den meisten Amerikanern veränderten sich die Einschätzungen ziemlich dramatisch. Die amerikanische Presse brachte regelmäßig Berichte über die Sowjetunion, die das Land zumeist in ziemlich leuchtenden Farben schilderten. Zur Verdeutlichung soll hier nur als ein Beispiel Henry Luces Illustrierte Life herausgegriffen werden, die Lenin „zum vielleicht größten Menschen der modernen Zeit" erklärte. In der Sowjetunion gebe es nichts, vor dem man Angst zu haben brauchte, sagte Life seinen Lesern, denn die Russen „sehen wie Amerikaner aus, kleiden sich wie Amerikaner, und denken wie Amerikaner“. Die Geheimpolizei war nichts anderes als „eine nationale Polizei ähnlich dem FBI" Meinungsumfragen zeigten, daß noch im August 1945 54% der Amerikaner glaubten, daß man in die Sowjetunion die Hoffnung setzen könne, daß sie nach dem Krieg mit den Vereinigten Staaten Zusammenarbeiten würde. Dies war nur ein Prozent weniger als der Spitzenwert in der Kriegszeit vom Februar 1945. 30% glaubten, daß man den Sowjets nicht trauen könne, während 16% unentschieden waren. Fast alle Beamten des Auswärtigen Dienstes, die in der Anfangsphase des Krieges gegenüber Moskau ziemlich skeptisch eingestellt waren, glaubten nun an die Möglichkeit einer amerikanisch-sowjetischen Zusammenarbeit im Frieden

In der wissenschaftlichen Diskussion über die Ursprünge des Kalten Krieges lag die Initiative in den letzten zehn Jahren nicht bei den Traditionalisten und Revisionisten, sondern bei den sogenannten Post-und Nachrevisionisten. Postrevisionisten wie John Gaddis und Daniel Yergin widerstrebt es offensichtlich, sowohl Schuldzuweisungen für den Kalten Krieg zu erteilen als auch ihn als unvermeidlich darzustellen. Wie John Gaddis ausführt, ist der „Kalte Krieg ein zu kompliziertes Ereignis, um in den Kategorien nationaler Schuld oder in den deterministischen Kategorien der Unvermeidlichkeit diskutiert zu werden" Daniel Yergin hinterläßt bei seinem Leser den nachhaltigen Eindruck, daß der Kalte Krieg hätte abgewendet werden können, wenn sich nur die Vereinigten Staaten an die Grundsätze von Jalta gehalten und nicht den Einflüsterungen der Riga-Gruppe nachgegeben hätten Selbst Arthur M. Schlesinger meint, daß „die rationalste amerikanische Politik kaum den Kalten Krieg hätte vermeiden können". Also selbst er sieht den sowjetisch-amerikanischen Konflikt nicht als ganz und gar unvermeidlich an

Schließlich mag auch die amerikanische Entschlossenheit, die Welt nach dem Bilde Washingtons zu formen, übertrieben dargestellt worden sein. In vielen Fällen sah die Truman-Administration tatenlos Entwicklungen zu, die für die Vereinigten Staaten ziemlich ungünstig verliefen. Der vielleicht auf lange Sicht gesehen bedeutendste Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg war der kommunistische Sieg in China. Die Vereinigten Staaten unterstützten wohl Tschiang Kai-shek, aber im Vergleich zu dem, was sie zu jener Zeit in Europa unternahmen, ganz zu schweigen davon, was sie in späteren Jahrzehnten in Vietnam einsetzen sollten, ist das eigentlich überraschende nicht der große Umfang der geleisteten Hilfe, sondern ihre Grenzen. Wenn Washington sich mit einem solchen Ergebnis in China abfinden konnte, warum konnte dann keine Übereinkunft über Osteuropa erzielt werden?

IV.

Man muß betonen, daß sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Sowjetunion bereit waren, wesentliche Zugeständnisse in Osteuropa zu machen. Es ist also wesentlich, auf die beträchtlichen Ungleichheiten in den Entwicklungen in Osteuropa hinzuweisen, wie sie dort in den ersten Nachkriegsjahren verliefen. Das eine Extrem war die sowjetische Behandlung der baltischen Staaten, das andere die sowjetische Politik gegenüber Ungarn und mehr noch gegenüber der Tschechoslowakei und Finnland.

Auf westlicher Seite waren sowohl die Vereinigten Staaten als auch Großbritannien bereit, zuzugeben, daß Osteuropa für die Sowjetunion erheblich wichtiger war als für sie selbst. Deshalb fiel es Washington und London im allgemeinen nicht sehr schwer, den von den Sowjets geforderten territorialen Veränderungen in der Region zuzustimmen, obwohl ihnen einige dieser Gebietsverschiebungen nicht behagten. Trotz der Besorgnisse, die Franklin D. Roosevelt wegen der Reaktion der Amerikaner polnischer Abstammung hatte, waren tatsächlich die wichtigsten Grenzen bereits auf der Teheraner Konferenz im Dezember 1943 festgelegt worden. Nur die formelle Anerkennung wurde diskret bis zur Konferenz von Jalta im Februar 1945 verschoben. Roosevelt und viele andere politische Entscheidungsträger erkannten, daß die Sowjetunion in Osteuropa „die Macht hatte" und daß „der einzig praktikable Weg", den die Vereinigten Staaten gehen konnten, darin bestand, den ihnen verbliebenen Einfluß zu nutzen, „um die Situation zu verbessern" Es wurde argumentiert, daß Roosevelt in dieser Beziehung besonders sowjet-freundlich gewesen sei und daß die Anerkennung einer Art sowjetischer Einflußsphäre mit seinem Tode plötzlich aufhörte. Dies trifft sicherlich nicht zu, wie aus einer Rede von Außenminister James Byrnes hervorgeht, die er am 30. Oktober 1945 hielt: „Weit davon entfernt, uns den Bemühungen der Sowjetunion entgegenzustellen, zu einem engeren und freundschaftlicheren Verhältnis mit ihren mittel-und osteuropäischen Nachbarn zu gelangen, bringen wir ganz im Gegenteil diesen sowjetischen Bemühungen große Sympathie entgegen. Wir sind uns der besonderen sowjetischen Sicherheitsinteressen in diesen Ländern voll bewußt und haben diese Interessen in den Vereinbarungen über die Besetzung und Kontrolle der ehemaligen Feindstaaten anerkannt."

Wie Byrnes erwähnte, war diese amerikanische Anerkennung einer dominierenden sowjetischen Rolle in Osteuropa nicht nur theoretischer Natur. Sie schlug sich auch in konkreter Politik nieder. Washington erkannte die sowjetische Führungsrolle bei den Waffenstillstandsvereinbarungen mit Rumänien, Bulgarien und Ungarn an, wobei diese Akzeptierung sich nicht nur auf die Zeit des Krieges beschränkte. Roosevelt war bereit, sich mit der britisch-sowjetischen Prozentregelung vom Oktober 1944 abzufinden. Sowohl in Potsdam als auch im Dezember 1945 in Moskau unterzeichneten die Vereinigten Staaten mehrere Abkommen, die die sowjetische Position in Osteuropa stärkten

Zahlreiche Studien des amerikanischen Außenministeriums kamen zu dem Schluß, daß es nur natürlich war, daß Polen engere Beziehungen zur Sowjetunion als zu den Vereinigten Staaten und Großbritannien hatte. Das tschechoslowakische Regierungsmodell, d. h. enge außenpolitische Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und kommunistische Vorherrschaft innerhalb des Landes selbst, erwies sich bis zum Herbst 1946 als im großen und ganzen akzeptabel. Das finnische Modell, das sich vom tschechoslowakischen dadurch unterschied, daß die innenpolitische Bedeutung der Kommunistischen Partei stark reduziert war, stieß während der Jahre, die hier zur Diskussion stehen, auf Sympathie und Verständnis

Wenn beide Seiten bereit waren, der jeweilig anderen substantielle Zugeständnisse zu machen, warum entstand dann wegen Osteuropa der Kalte Krieg? Einfach deshalb, weil Washington/London auf der einen und Moskau auf der anderen Seite immer noch ziemlich weit auseinanderlagen. Die Vereinigten Staaten waren nach wie vor weit davon entfernt, Osteuropa völlig der Sowjetunion zu überlassen, und in den meisten osteuropäischen Staaten war die Sowjetunion nicht willens, etwas anderes zu akzeptieren als ihre totale Vorherrschaft. Mit den Worten von Eduard Mark waren die Vereinigten Staaten bereit, eine „offene" sowjetische Einflußsphäre hinzunehmen, nicht jedoch eine sowjetische „Exklusiv'-SphäreI Die Regierungen Roosevelt und Truman hatten nichts dagegen einzuwenden, daß sich die osteuropäischen Staaten in ihrer Außenpolitik nach Moskau orientierten. Zumindest in einer frühen Phase des Kalten Krieges wurden die Osteuropäer sogar ermutigt, auf eine Aussöhnung mit Moskau hinzuarbeiten.

Aber diese amerikanische Politik hatte auch ihre Grenzen. Die wichtigste war das Bestehen auf freien Wahlen. Dies war eine conditio sine qua non in der Haltung Washingtons. Es gab kaum Zweifel darüber, wer solche Wahlen gewinnen würde. In den Schlüsselländern Polen und Rumänien würden aller Wahrscheinlichkeit nach die Bauernparteien als Sieger aus den Wahlen hervorgehen, wie es in den ungarischen Wahlen vom Oktober/November 1945 auch geschehen war. Washington konnte einfach nicht hinnehmen, daß Mikolajczyk in Polen und Maniu in Rumänien von der Macht verdrängt wurden.

Bei ihrer Unterstützung dieser Politiker ließen die Amerikaner niemals ganz klar erkennen, wie sie es sich vorstellten, die außenpolitische Ausrichtung auf die Sowjetunion mit Demokratie und freien Wahlen zu versöhnen. Aber in Washingtons Augen wurden diese Politiker, zumindest Mikolajczyk, nicht als antisowjetisch eingestuft.

Im Gegensatz zu Ungarn, Bulgarien und Rumänien wurde Finnland früh von den USA anerkannt. Denn wie Truman am 7. Juni 1945 an Stalin schrieb, „hat das finnische Volk durch seine Wahlen und andere politische Regelungen seine echte Liebe zu demokratischen Verfahrensweien und Prinzipien demonstriert

Die Vereinigten Staaten bestanden auch darauf, daß Osteuropa für amerikanische Investitionen und für den Außenhandel mit den USA geöffnet blieb. Dieser wirtschaftliche Multilateralismus schuf in den Beziehungen mit verschiedenen osteuropäischen Staaten Probleme, doch rangierte gegenüber der politischen Forderung nach freien Wahlen der wirtschaftliche Aspekt in seiner Bedeutung nur an zweiter Stelle

Finnland und zu einem geringeren Grad die Tschechoslowakei und Ungarn blieben also quasi Luftzufuhr-Schläuche in einem sich verschlechternden Ost-West-Verhältnis. Warum konnten diese Modelle nicht auch in Polen, Rumänien und Bulgarien zur Anwendung kommen? Es waren hauptsächlich zwei Gründe, die dies verhinderten. Einmal waren die Länder des inneren Vorfeldes für Moskau von größerer Bedeutung als jene des äußeren Gürtels. Deshalb bestand dort der Kreml in höherem Maße auf politischer Loyalität und militärischer Sicherheit. Zum anderen war die innere Lage jener Länder (mit Ausnahme Bulgariens) so beschaffen, daß ein finnisches Modell nur theoretisch möglich war. Mikolajczyk war kein Paasikivi, und Maniu kein Bene§.

V.

Es scheint also, als ob der Kalte Krieg nur hätte vermieden werden können, wenn die Vereinigten Staaten mit einer sowjetischen Interessensphäre in Osteuropa einverstanden gewesen wären, und zwar nicht nur mit einer offenen, sondern mit einer nahezu exklusiv den Sowjets vorbehaltenen Einflußzone, zumindest in jenen Ländern, die für Moskau von besonderem Interesse waren. Warum konnte Washington einer solchen exklusiven sowjetischen Sphäre nicht seine Zustimmung geben? Immerhin hatten die politischen Entscheidungsträger der USA, mit Roosevelt und Truman an der Spitze, klar erkannt, daß sie nur wenig tun konnten, um Moskau zu einer Änderung seiner Politik in den von der Roten Armee kontrollierten Gebieten zu bewegen. Von einem ethisch-politischen Standpunkt aus betrachtet könnte man darauf verweisen, daß sich die Vereinigten Staaten nicht besonders viele Sorgen über den Zustand der Demokratie in Lateinamerika und China machten. Warum nun solche Sorgen um den Zustand der Demokratie in Osteuropa?

Der herausragendste Vertreter einer Politik der Interessensphären war George Kennan. Der amerikanische Geschäftsträger in Moskau war davon überzeugt, daß die Vereinigten Staaten in Osteuropa keinen wirklichen Einfluß ausüben konnten. Da er nicht wollte, daß die USA eine Mitverantwortung für die dortigen Ereignisse übernahmen, setzte er sich für einen amerikanischen Rückzug aus allen gemeinsamen Gremien ein, die sich mit den Angelegenheiten der Region befaßten, wie z. B.der Alliierten Kontrollkommission. Schon im Frühjahr 1945 kam Kennan zu dem Schluß, daß sogar die nicht-kommunistischen Regierungsmitglieder in Prag „nichts weiter als Ehrengefangene der Russen" seien. Er meinte, Washington sollte den sowjetisch beherrschten Ländern jegliche Hilfe vorenthalten und sich statt dessen darauf konzentrieren, Westeuropa zu helfen

Kennans Haltung war jedoch nicht ganz frei von Unklarheiten: Er wollte Osteuropa nicht wirklich aufgeben. Er neigte offensichtlich dazu, die Auseinandersetzungen über die Hilfe an die Warschauer Aufständischen im Sommer und Herbst 1944 als Mittel zu benutzen, um die Sowjetunion in einer Art Kraftprobe zu zwingen, ihre Karten über ihre eigentlichen Absichten in Osteuropa auf den Tisch zu legen. Erst nachdem diese Politik nicht die Billigung höchster Stellen gefunden hatte, kam er auf eine reine Politik der Interessensphären zurück. In einer längerfristigen Perspektive wollte er aber unzweifelhaft eine Einschränkung der sowjetischen Rolle in Osteuropa erreichen.

Die Tatsache bleibt jedoch bestehen, daß Kennan zumindest bereit war, der Sowjetunion die volle Kontrolle in Osteuropa zu überlassen. Eine direkte Abmachung, die darauf hinauslief, Osteuropa den Sowjets und Westeuropa den Westmächten zuzuweisen, wäre eine logische Fortführung seiner Gedanken gewesen.

Es ist möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, daß die von Kennan aufgezeigte Alternative zu einer Art sowjetisch-amerikanischem Abkommen über Osteuropa hätte führen können. Doch auch dann wäre der Kalte Krieg wahrscheinlich nicht zu verhindern gewesen. Es gab andere strittige Fragen zwischen den beiden Ländern, und auch Kennan selbst war ansonsten stark anti-sowjetisch eingestellt. Der Haupteinwand gegen seine Überlegungen lag jedoch darin, daß sie in Anbetracht der innenpolitischen Verhältnisse in den USA politisch einfach nicht realisierbar waren. Zumindest wurden sie von vielen so eingeschätzt, sogar von Leuten, die ansonsten Kennan in vielem, was er sagte, wohlwollend gegenüberstanden. So äußerte z. B.der Sowjetunion-Experte Charles Bohlen gegenüber Kennan zur Zeit der Jalta-Konferenz, daß „die konstruktiven Vorschläge, die Sie machen, offen gesagt in einem gewissen Grad naiv sind. Von einem abstrakten Standpunkt aus betrachtet mögen sie wohl ein Optimum darstellen. Aber als praktische Vorschläge sind sie völlig unmöglich. Eine Außenpolitik dieser Art kann in einer Demokratie nicht verfolgt werden. Nur totalitäre Staaten können eine solche Politik machen und ausführen"

Sogar Kennan selbst erkannte diesen Aspekt der politischen Undurchführbarkeit seiner Ideen. Dies führte dazu, daß Kennan wiederholt den Einfluß tadelte, den der Kongreß und die öffentliche Meinung auf die Außenpolitik ausübten Darin sollte ihm später ein anderer Meister-Architekt der amerikanischen Außenpolitik, Henry Kissinger, folgen.

Der Konflikt zwischen dem, was ich an anderer Stelle als amerikanischen Perfektionismus und amerikanischen Realismus bezeichnet habe, zeigt sich am besten in der Haltung von Franklin D. Roosevelt Roosevelt verstand besser als die meisten anderen die Realitäten der Macht in Osteuropa. Washington konnte absolut nichts dagegen tun, daß die Sowjets, wenn sie es wünschten, Osteuropa ihrer vollen Kontrolle unterwerfen würden. Roosevelt war sich auch bewußt, daß der Sowjetunion wesentliche Zugeständnisse gemacht werden mußten, wenn die Zusammenarbeit aus den Kriegsjahren in die Nachkriegszeit hinübergerettet werden sollte. Zum Beispiel würde man die Eingliederung der baltischen Staaten in die Sowjetunion anerkennen müssen, und den Streit um die polnisch-sowjetischen Grenzen würde man zugunsten Moskaus lösen müssen. Er begann zu verstehen, wenn auch jetzt mit viel mehr Widerstreben, daß die Zusammensetzung der polnischen Regierung — von einem westlichen Standpunkt aus betrachtet — bei weitem nicht zufrieden-stellend sein würde. Er war im großen und ganzen gegenüber den sogenannten Prozent-abkommen vom Mai und Oktober 1944 positiv eingestellt, viel positiver als das amerikanische Außenministerium.

Auf der anderen Seite finden sich viele Äußerungen Roosevelts, die voll auf der Linie des amerikanischen Perfektionismus lagen, trotz seiner eigenen Warnung, daß „Perfektionismus genauso wie Isolationismus, Imperialismus oder Machtpolitik die Wege zum internationalen Frieden versperren“ könnten. In Gesprächen mit osteuropäischen „Perfektionisten“ stimmte er in beträchtlichem Maße mit ihnen überein. Um zu vermeiden, daß ihm die Hände durch die Gegner einer sowjetischen Einflußsphäre in Osteuroupa gebunden waren, hätte er auch die realistische Seite seines Denkens und Handelns klarer und deutlicher machen müssen, auch gegenüber der Öffentlichkeit Dies hat er jedoch niemals in einer unzweideutigen Weise getan. Am weitesten in Richtung auf eine Aufklärung der Öffentlichkeit ging er noch in mehr oder weniger persönlich gehaltenen Hintergrund-Interviews, besonders mit dem Journalisten Forrest Davis, dem er andeutete, wie er sich die Realitäten in Osteuropa nach dem Kriege vorstellte. Die amerikanische Öffentlichkeit aber blieb für jede Art von Abmachung mit den Sowjets, die Osteuropa betraf, völlig unvorbereitet.

VI.

Es ist an der Zeit, der Frage nach der politischen Stärke der Regierungen in Washington nachzugehen. Hat die öffentliche Meinung eine klare Interessensphärenpolitik in Osteuropa verhindert? Sicherlich haben der Kongreß und die öffentliche Meinung dem Aktionsspielraum der Regierungen Grenzen gesetzt, aber diese Grenzen waren überraschend weit gesteckt, wahrscheinlich weiter, als es sich die Regierungen selbst klar machten -

Erstens war es oft ganz und gar nicht klar, was die Öffentlichkeit eigentlich wollte. In der entscheidenden polnischen Frage hatten in den Wochen nach Jalta nur 17% der Bevölkerung eine ungefähre Vorstellung darüber, was Stalin, Roosevelt und Churchill entschieden hatten. Fast zwei Drittel wußten überhaupt nichts über den Ausgang der Konferenz. Ebenso interessant ist es, daß eine Mehrheit das Abkommen über Polen unterstützte

Zweitens entwickelten sich negative Bewertungen der sowjetischen Absichten im Regierungsapparat früher und stärker als im Kongreß und in der Öffentlichkeit. Dies wird durch Gallup-Umfragen aus jener Zeit und durch mehrere kleinere Vorfälle aus den Jahren 1945 und 1946 bestätigt. Wie bereits erwähnt, glaubten noch im August 1945 54% der Bevölkerung, daß die Sowjetunion eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten anstrebte. Demgegenüber standen zur gleichen Zeit die meisten zentralen politischen Entscheidungsträger in der Regierung den sowjetischen Absichten schon ziemlich skeptisch gegenüber. Die negative Einschätzung der Sowjetunion durch das amerikanische Außenministerium war für informierte Journalisten ein Schock. Dies wurde deutlich, als Botschafter Harriman während der UNO-Konferenz in San Francisco im Frühjahr 1945 die Presse damit konfrontierte. Als fast ein Jahr später Churchills „Eiserne-Vorhang‘‘-Rede vom März 1946 bei Teilen der Presse und in der Öffentlichkeit auf eine negative Reaktion stieß, sah sich die amerikanische Regierung veranlaßt, den Eindruck zu erwecken, als ob sie die Ansichten Churchills nicht voll teile, obwohl sie eigentlich mit ihm voll übereinstimmte. Die Regierung Truman hatte auch beträchtliche Probleme, die Bewilligungen für Auslandshilfeprogramme und -kredite durch einen auf sparsame Haushaltsführung bedachten Kongreß zu bringen. Um diesen Widerstand zu brechen, gingen führende Regierungsvertreter dazu über, die sowjetische Bedrohung dramatischer darzustellen, als es in internen Regierungskreisen üblich 'war. Diese Tendenz wurde zum ersten Mal im Frühjahr 1946 deutlich, als der für Großbritannien bestimmte Kredit im Kongreß auf großen Widerstand stieß. Das beste Beispiel dafür, wie die Regierung versuchte, den Kongreß und die Öffentlichkeit mit der kommunistischen Gefahr zu beeindrucken, um deren Unterstützung für Hilfsprogramme an nicht-kommunistische Länder zu gewinnen, lieferte sie bei der Entwicklung und Handhabung der Truman-Doktrin im Februar/März 1947

Drittens war es für die Regierung nichts Ungewöhnliches, bei ihrem Handeln die öffentliche Meinung außer acht zu lassen. Es ist interessant festzustellen, daß prozentual genauso viele Bürger für bzw. gegen einen 3 bis 5 Milliarden Dollar Kredit an Großbritannien waren wie für oder gegen einen 6 Milliarden Dollar Kredit an die Sowjetunion (26% dafür, 60% dagegen) Im Falle Großbritanniens entschied sich die Regierung Truman, gegen'die öffentliche Meinung anzukämpfen, im sowjetischen Falle dagegen nicht. Im April 1947 meinten 63% der Befragten, daß das Problem der Hilfe an Griechenland und an die Türkei den Vereinten Nationen überantwortet werden sollte. Truman machte gegenüber dieser großen Mehrheit nur kosmetische Zugeständnisse. Im Jahre 1948 wuchs die Unterstützung in der Bevölkerung für größere Militärhilfe am Tschiang Kai-shek in China sehr schnell an, ohne daß dies irgendeine größere Wirkung auf die Regierung Truman gehabt hätte

Schließlich — viertens — konnte sich die öffentliche Meinung sehr schnell ändern. Da die überwiegende Mehrheit der Amerikaner sehr wenig über die außenpolitischen Gegebenheiten und Verhältnisse wußte, war sie bereit, der von der Regierung vorgezeichneten außenpolitischen Linie zu folgen, und dies selbst bei nur vorläufiger und vorsichtiger Unterstützung eines Standpunktes durch die Regierung. Zum Beispiel ergab eine unmittelbar nach Churchills Fulton-Rede durchgeführte Unmfrage, daß sich nur 18% der Befragten für ein englisch-amerikanisches Bündnis aussprachen. Einen Monat später unterstützten 85% eine solche Politik, trotz des Zögerns Washingtons, offen für die Ideen Churchills einzutreten

Auf der anderen Seite besteht leicht die Gefahr, der Regierung Truman zuviel Bewegungsspielraum zusprechen zu wollen. Gerade die Reaktion auf die Rede Churchills weist hier auf einen bedeutsamen Punkt. Es bedurfte nur wenig, um jene antisowjetische Haltung wieder zum Vorschein zu bringen, die während der Kriegsjahre unter der Oberfläche verschwunden war. Doch selbst in dieser Zeit war der Anti-Kommunismus stark geblieben, aber immerhin unterschied die Mehrheit damals zwischen einer anti-kommunistischen und einer anti-sowjetischen Haltung. Sobald der Konflikt mit der Sowjetunion offen ausgebrochen war, verschwanden solche Nuancen sehr schnell. Bei Umfragen während des Krieges meinten mitunter nur 20% der Befragten, man könne den Sowjets nicht trauen und es gäbe deshalb keine Hoffnung, daß die Sowjetunion nach dem Kriege mit den Vereinigten Staaten Zusammenarbeiten würde. Aber im allgemeinen lag diese Zahl zwischen 25 und 35%. Nach dem Kriege stiegen diese Prozentzahlen sprunghaft an, so daß im Februar 1946 52% der Befragten dieser Meinung waren, während nur 35% glaubten, daß die Sowjetunion mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten würde Der latente Anti-Sowjetismus war bei einigen Schlüssel-gruppen besonders stark ausgeprägt. Zahlenmäßig am stärksten verbreitet war er innerhalb der katholischen Kirche und in den Kreisen osteuropäischer Einwanderer. Die meisten Beamten des auswärtigen Dienstes, die sich mit der Sowjetunion und Osteuropa befaßten und die näher am Zentrum der Macht waren, hatten vor dem Krieg eine äußerst skeptische Einstellung gegenüber den sowjetischen Absichten gezeigt, und es bedurfte nur eines kleinen Anstoßes, um in den Jahren 1944 bis 1945 ihre zeitweiligen Hoffnungen auf eine Zusammenarbeit wieder verschwinden zu lassen

In den Jahren 1944 bis 1945 bestand in Washington die starke Befürchtung, daß es eine Rückkehr zum Isolationismus geben würde, falls die Vereinigten Staaten nicht in der Lage wären, eine Weltordnung aufzubauen, die grundsätzlich im Einklang mit den amerikanischen Interessen stand. Dieser am Ende des Krieges in den maßgebenden Kreisen weit-verbreitete Glaube trägt wahrscheinlich mehr zur Erklärung der damaligen amerikanischen Regierungspolitik bei als die aus den verschiedenen Umfragen gewonnenen Daten über die öffentliche Meinung. Wie oben gezeigt, gibt es Grund zur Annahme, daß die politischen Entscheidungsträger ihren Handlungsspielraum unterschätzten. Im Falle Osteuropas wäre es für die amerikanische Regierung vielleicht sogar möglich gewesen, der öffentlichen Meinung eine Vereinbarung über Interessensphären näherzubringen, obwohl dies sehr zweifelhaft bleiben muß. Eine solche Abmachung würde zu abrupt und spektakulär mit amerikanischen Vorstellungen und Interessen gebrochen haben. Worauf es hier jedoch ankommt, ist die Tatsache, daß jene wenigen politischen Entscheidungsträger, die überhaupt eine solche Option in Erwägung zogen, davon überzeugt waren, daß ein solcher Kurs politisch nicht realisierbar war. Dies war Roosevelts unausgesprochene Schlußfolgerung. Dies meinte Bohlen, als er Kennan im Februar 1945 ausdrücklich sagte, daß dessen Vorstellungen über Interessen-sphären unter Realisierungsgesichtspunkten „völlig unmöglich" seien, und als er ein Jahr später zum gleichen Thema ausführte, daß schon „allein die Erwähnung (einer Abmachung über Interessensphären) die Unmöglichkeit ihrer Annahme" beinhalte, da sie gegen amerikanische Prinzipien verstoße und „niemals die Unterstützung des amerikanischen Volkes finden würde

Die Haltung der amerikanischen Öffentlichkeit zeigte sich noch deutlicher in den Ergebnissen einer Umfrage, die nach der relativ prosowjetischen Rede des Handelsministers Henry Wallace vom 12. September 1946 durchgeführt wurde. Am 13. Oktober gaben 58% der Befragten an, daß sie „die Diskussion über die unterschiedlichen Vorstellungen von Byrnes und Wallace bezüglich des Umgangs mit der Sowjetunion" nicht verfolgt hätten. Dies zeigte ein weiterhin mangelndes Interesse an außenpolitischen Fragen und machte indirekt deutlich, wie groß der Handlungsspielraum der Regierung war. Aber von denen, die die Diskussion verfolgt hatten, unterstützten 78% Byrnes und nur 16% Wallace Eine starke Mehrheit befürwortete also eine harte Linie gegenüber den Sowjets, obwohl man natürlich nicht wissen kann, wie die Zahlen ausgesehen hätten, wenn sich Truman Wallace und nicht Byrnes angeschlossen hätte. Später, nachdem der öffentlichen Meinung die sowjetische Gefahr wirklich zu Bewußtsein gebracht worden war, reagierte sie viel stärker auf solche Entwicklungen. Während Truman schon einen beträchtlichen Handlungsspielraum hatte, verfügte Stalin in mancher Hinsicht über einen noch größeren Wenn auch der führende Mann der Sowjetunion von den Amerikanern das Verfahren übernommen hatte, auf die Rolle der öffentlichen Meinung und des Obersten Sowjet hinzuweisen, war doch offensichtlich, daß diese Institutionen in der Sowjetunion wenig Bedeutung hatten. Stalin war auch relativ frei in seiner Interpretation der wirklichen Bedeutung des Marxismus-Leninismus. Ob aber der sowjetischen Führung auf andere Weise die Hände durch das sowjetische System gebunden waren, mit seiner Mischung aus extremer Unsicherheit und sturem Glauben an eine kommunistische Welt, ist eine andere Frage, deren Beantwortung den Sowjetunion-Experten überlassen bleiben sollte

Fussnoten

Fußnoten

  1. Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Richard Volk, Bad Honnef LJ. Halle, The Cold War As History, New York 1967, S. 36— 37.

  2. M. S. Sherry, Preparing for the Next War: American Plans for Postwar Defense, 1941— 45, New Haven 1977, S. 200— 202. Siehe auch T. G. Paterson, On Every Front. The Making of the Cold War, New York 1979, S. 29— 32.

  3. A. M. Schlesinger (Jr.), The Origins of the Cold War, in: Foreign Affairs (1967). Hier zitiert nach seinem Buch: The Crisis of Confidence. Ideas, Power and Violence in America Today, New York 1967, S. 81.

  4. G. Lundestad, The American Non-Policy Towards Eastern Europe 1943— 1947, Oslo-New York 1975, S. 323— 324.

  5. L. J. Halle, a. a. O. (Anm. 1), S. 30, 99— 109.

  6. Zitiert nach J. L. Gaddis, The United States and the Origins of the Cold War 1941— 1947, New York 1972, S. 38. Siehe auch S. 32— 62.

  7. H. Cantril, Public Opinion 1935— 1946, Princeton 1951, S. 370— 371. Insbesondere auch H.de Santis, The Diplomacy of Silence. The American Foreign Service, the Soviet Union, and the Cold War 1933— 1947, Chicago 1980, S. 89— 91, 106— 130.

  8. J. L. Gaddis, a. a. O. (Anm. 6), S. 360. Einige Anmerkungen über die Kalte-Kriegs-Literatur im allgemeinen finden sich in G. Lundestad, America, Scandinavia, and the Cold War, New York 1980, S. 7— 35.

  9. D. Yergin, Shattered Peace. The Origins of the Cold War and the National Security State, Boston 1977. Vgl. z. B. S. 409.

  10. AM. Schlesinger, a. a. O. (Anm. 3), S. 110.

  11. T. M. Campbell/G. C. Herring (Eds.), The Diaries of Edward R. Stettinius (Jr.), 1943— 1945, New York 1975, S. 214.

  12. G. Lundestad, a. a. O. (Anm. 4), S. 75— 106.

  13. Ebd., S. 149— 182, 285— 295, 304— 328.

  14. E. Mark, American policy toward Eastern Europe and the Origins of the Cold War, 1941— 1946: An Alternative Interpretation, in: The Journal of American History, (1981) 2, S. 313— 336.

  15. Stalins Correspondence with Roosevelt and Truman 1941— 1945, Moskau 1965, S. 242.

  16. Siehe hierzu ausführlich G. Lundestad, a. a. O. (Anm. 4), S. 320— 324.

  17. Ebd., S. 74— 75, 155— 157; G. F. Kennan, Memoirs 1925— 1950, New York 1969, S. 266— 270.

  18. C. E. Bohlen, Witness to History 1929— 1969, New York 1973, S. 176.

  19. G. F. Kennan, a. a. O. (Anm. 17), S. 232— 235, 290 bis 292, 427— 428.

  20. G. Lundestad, a. a. O. (Anm. 4), S. 88— 92. Die folgenden Abschnitte über F. D. Roosevelt stützen sich ebenfalls auf die Darstellung auf den zitierten Seiten.

  21. Zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangen T. G. Paterson, a. a. O. (Anm. 2), S. 113— 137; W. La Feber, American Policy Makers, Public Opinion and the Outbreak of the Cold War, 1945— 1950, in: Y. Nagai/A. Iriye (Eds.), The Origins of the Cold War in Asia, New York, 1977, S. 43— 65; R. Kuniholm, The Origins of the Cold War in the Near East. Great Power Conflict and Diplomacy in Iran, Turkey and •Greece, Princeton 1980, S. 248, 418; E. R. May, " Lessons" of the Past. The Use and Misuse of History in American Foreign Policy, Oxford 1973, S. 46— 49.

  22. T. M. Campbell, Masquerade Peace. America s UN Policy, Tallahassee 1973, S. 156— 157.

  23. Die letzten drei Absätze folgen den Ausführungen in: G. Lundestad, a. a. O. (Anm. 8), S. 19— 20.

  24. G. H. Gallup, The Gallup Poll. Public Opinion 1935— 1971, Vol. I, 1935— 1948, New York 1972, S. 530, 535.

  25. Ebd., S. 639; W. La Feber, a. a. O. (Anm. 21). S. 56.

  26. F. Harbutt, American Challenge, Soviel Response: The Beginning of the Cold War, February-May, 1946, in: Political Science Quarterly, (1981)'4, S. 633.

  27. H. Cantril, a. a. O. (Anm. 7), S. 370— 371.

  28. H.de Santis, a. a. O. (Anm. 7), S. 27— 44, 94— 101, 129— 130, 141— 154, 206— 208.

  29. C. E. Bohlen, a. a. O. (Anm. 18), S. 176: R. L. Messer, Paths Not Taken: The United States Department of State and Alternatives to Containment. 1945— 1946, in: Diplomatie History, (1977) 1, S. 311 bis 312.

  30. G. H. Gallup, a. a. O. (Anm. 24), S. 604.

  31. V. Mastny, Russia's Road to the Cold War. Di plomacy, Warfare, and the Politics of Communism 1941 — 1945, New York 1979, S. 96. Vgl. auch W. Taubman, Stalin s American Policy. From Entente to Detente to Cold War, New York 1982 S. 306.

Weitere Inhalte

Geir Lundestad, Dr. rer. pol., geb. 1945; 1971— 1974 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Oslo; 1974— 1979 wissenschaftlicher Rat an der Universität Tromso (Norwegen); seit 1979 Professor für amerikanische Studien an der Universität Tromso; 1978— 1979 Stipendiat an der Historischen Fakultät der Harvard University. Veröffentlichungen u. a.: The American Non-Policy towards Eastern Europe, 1943— 1947, Oslo-New York 19782; America, Scandinavia, and the Cold War, 1945— 1949, New York 1980; zahlreiche Buchveröffentlichungen und Artikel zur jüngeren norwegischen Geschichte.