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Die Soziale Marktwirtschaft in der umweltpolitischen Bewährungsprobe | APuZ 32/1985 | bpb.de

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APuZ 32/1985 Arbeit und Umwelt. Ansatzpunkte für eine integrierte Beschäftigungs-und Umweltpolitik Die Soziale Marktwirtschaft in der umweltpolitischen Bewährungsprobe Alternative Ökonomie in der Bundesrepublik. Entstehungsanlässe, wirtschaftliche Bedeutung und Probleme

Die Soziale Marktwirtschaft in der umweltpolitischen Bewährungsprobe

Lutz Wicke

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Umwelt-und Wirtschaftspolitik ist heute vor ähnliche Probleme gestellt wie in den fünfziger Jahren, der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders. — Trotz beachtlicher Erfolge und wichtiger Entscheidungen der jüngsten Vergangenheit haben wir bis heute die Umweltkrise nicht voll im Griff. — Verstärkter und effizienter Umweltschutz ist auch aus ökonomischen Gründen unbedingt erforderlich. — Die Umweltkrise existiert vor allem deshalb, weil Umweltschutz immer noch ganz überwiegend gegen das Eigeninteresse und nicht mit dem Eigeninteresse aller durchgesetzt werden soll. — Nur wenn das Eigeninteresse für den Umweltschutz aktiviert wird, können wir die Umwelt sanieren. — Außerdem wird mit den dafür notwendigen marktorientierten umweltpolitischen Instrumenten der Umweltschutz kostengünstiger; es entsteht ein umweltfreundlicher Wachstumsschub. — Unter der Voraussetzung einer konsequenten marktorientierten Ausrichtung der Umweltpolitik und zusätzlicher öffentlicher Ausgaben für ohnehin notwendige Umwelt-schutzmaßnahmen ist die Sanierung der Umwelt und die Verbesserung der Arbeitsmarkt-lage möglich. Auf diese Weise könnte die Soziale Marktwirtschaft auch ihre zweite große, die umwelt-politische Herausforderung glänzend bestehen.

I. 1950/1985: Ähnliche Aufgaben und Möglichkeiten

Die politische Herausforderung der fünfziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland hieß „Materieller Wiederaufbau und Schaffung von Arbeitsplätzen für ein Millionenheer von Arbeitslosen und Flüchtlingen“. Beantwortet wurde diese Herausforderung durch die Währungsreform und die Befreiung von den Fesseln der (nationalsozialistischen) Planwirtschaft. Daraus ergab sich eine ungeheure Aktivierung des Eigeninteresses von Unternehmern, Arbeitnehmern und Konsumenten durch die Möglichkeit, mit mehr Leistung ein höheres Einkommen zu erzielen und die eigene Lebenslage zu verbessern. Durch das Setzen auf diese marktwirtschaftlichen Triebkräfte ist es innerhalb eines Zehn-Jahres-Zeitraumes gelungen, ein zerstörtes Land wiederaufzubauen. Durch das gleichzeitige Setzen von sozialen Rahmendaten und durch soziale Korrekturen (Lastenausgleich, Mietenpolitik, Sozialhilfe u. ä.) ist es außerdem gelungen, die durch den Marktprozeß entstehenden Ungleichheiten und sozialen Ungerechtigkeiten auf ein akzeptables Maß zu begrenzen. Kurz: Das System der „Sozialen Marktwirtschaft“ hat die Herausforderung der fünfziger Jahre mit Auszeichnung bestanden. Das Ergebnis war das viel bestaunte „deutsche Wirtschaftswunder".

Die politische Herausforderung unserer Tage lautet: „ökologischer Wiederaufbau bzw. Erhaltung der noch intakten Teile der Umwelt und Schaffung von Arbeitsplätzen zur drastischen Verminderung der Arbeitslosigkeit“. Die Soziale Marktwirtschaft steht also heute vor einer ähnlich schweren Herausforderung wie in den fünfziger Jahren. Kann sie diese Bewährungsprobe bestehen? Nach Ansicht des Autors ist diese Frage mit einem klaren „Ja" zu beantworten. Die Antwort muß sogar ergänzt werden: Genau wie in den fünfziger Jahren mit der Sozialen Marktwirtschaft der Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Jahrzehnts geschafft wurde, ist in unseren Tagen mit Hilfe einer konsequenten marktorientierten Umweltpolitik ein zweites, umweltfreundliches Wirtschaftswunder möglich. Damit, und das ist die kühne, aber realisierbare Kernaussage dieses Aufsatzes, kann erreicht werden, daß nach Ablauf von zehn Jahren — neue, hausgemachte — \Jmyfeltverschmutzung kein Thema mehr ist, die Arbeitslosigkeit deutlich verringert ist und die Signale auf ein verstärktes umweltfreundliches Wirtschaftswachstum gestellt sind.

II. Bisherige Anstrengungen nicht ausreichend

Auf diese utopisch anmutende Prognose wird am Ende des Aufsatzes noch einmal eingegangen. Der umweltbezogene Teil der Prognose klingt insbesondere utopisch angesichts einer umweltpolitischen Ausgangslage, die alles andere als zufriedenstellend ist:

Zwar wurden seit 1970 für den Umweltschutz mehr als 200 Mrd. DM, davon 60% von der öffentlichen Hand und 40% von der Industrie, ausgegeben, und bei der Abfallentsorgung, der Abwasserbeseitigung und auch bei der Senkung von Luftemissionen und -immissionen können beachtliche Erfolge konstatiert werden. Außerdem wurden gerade in letzter Zeit ganz wichtige Fortschritte auf dem Luftreinhaltesektor durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die Maßnahmen zur Einführung schadstoffarmer Kraftfahrzeuge erzielt. Dennoch bestehen weiterhin erhebliche Gefahrenpotentiale — infolge der Altlasten'der früheren mehr oder weniger wilden Müllkippen und industrieller Ablagerungen, wobei Hamburg-Georgswerder, Gerolsheim, Dortmund-Dorstfeld, Bielefeld-Brake nur die Spitze des Eisbergs sind.

— Außerdem bestehen u. a. Gefahrenpotentiale auch durch die krebserregenden Stoffe im Wasser und in den Sedimenten unserer Flüsse und Seen, — durch die Gefährdung unseres Grundwassers durch halogenierte Kohlenwasserstoffe und durch Nitrate und — durch die sonstigen in der Umwelt befindlichen Umweltchemikalien.

Darüber hinaus dokumentiert sich am großflächig kranken oder sterbenden deutschen Wald, daß unsere Anstrengungen auf dem Gebiet der Luftreinhaltung in der Vergangenheit bei weitem nicht ausgereicht haben.

Keine der Umweltkatastrophen — nicht die Giftgaskatastrophe von Seveso, nicht die Giftmüll-, Abgas-und Abwasserskandale in der Bundesrepublik, nicht die Asbest-Toten in der Bundesrepublik, nicht die Quecksilber-Toten von Minamata in Japan und nicht einmal die indische Giftgaskatastrophe in Bhopal — hat das Umweltproblembewußtsein von Bevölkerung, Wirtschaft und Politik so geschärft, haben die umweltpolitischen Aktivitäten so beschleunigt wie das Waldsterben.

Der französische Reim „Au plus profond des bois la patrie a son coeur, un peuple sans fort est un peuple qui meurt" (Das Herz eines Volkes schlägt in der Tiefe des Waldes, ein Volk ohne Wald ist ein sterbendes) scheint sich zu bewahrheiten, und es müssen alle Kräfte mobilisiert werden, um dieses Sterben zu verhindern.

III. Umweltschutz — auch eine ökonomische Notwendigkeit

Aber nicht nur aus emotionalen oder ökologischen Gründen ist diese Mobilisierung aller Kräfte unbedingt erforderlich, nein, auch simple ökonomische Überlegungen beweisen die Notwendigkeit für mehr und effektiveren Umweltschutz. Dafür drei Beispiele:

1. Nach einer Schätzung der OECD-Umweltminister aus dem Jahre 1978, die erst Mitte 1984 bei einer internationalen OECD-Konferenz über . Umwelt und Wirtschaft'erhärtet wurde, betragen die jährlichen Umweltschäden ca. 3 bis 5% des Bruttosozialproduktes. In der Bundesrepublik Deutschland werden aber jährlich nur ca. 1, 4% des Bruttosozialproduktes für Umweltschutzmaßnahmen ausgegeben. Anders ausgedrückt: Geschätzten jährlichen Schäden zwischen 45 und 75 Mrd. DM stehen Ausgaben für den Umweltschutz von ca. 20 Mrd. DM gegenüber. Es besteht daher eine große Wahrscheinlichkeit, daß sinnvolle Umweltschutzmaßnahmen wesentlich mehr Schaden mindern, als sie kosten.

2. Die Erfahrungen mit dem Smog in Athen führen plastisch vor Augen, welche unmittelbare ökonomische Bedeutung unterlassener Umweltschutz hat: Da die gesundheitliche Bedrohung der Bevölkerung in der Athener Region im Sommer 1982 untragbar wurde, mußten Produktion und Verkehr gedrosselt werdep. Ergebnis: Das erwirtschaftete Bruttosozialprodukt dieser Region sank in dieser Zeit um 30%. Unterlassener Umweltschutz führte zu unmittelbaren Verlusten an Produktion, Kaufkraft, Nachfrage und nicht , nur'zu . herkömmlichen'Umweltschäden wie Gesundheitsgefährdungen und Schäden an der Vegetation oder Schäden an Kunstwerken und Bauten wie beispielsweise an der Akropolis. Ein aktuelles Beispiel lieferte der Smog-Alarm im Ruhrgebiet im letzten Winter, durch den Kosten in Millionenhöhe entstanden. Produktionsreduzierungen oder Kostenerhöhungen sind nur die eine Seite der Medaille. Die mittel-und langfristig wahrscheinlich viel gravierendere Seite ist die erneute Imageschädigung des Ruhrgebiets mit unabsehbaren Folgen für Industrieansiedlungen und Arbeitsplätze.

3. 1978 noch wurden 70 000 Hektar, d. h. ca. 1 %, des deutschen Waldes als beeinträchtigt angesehen; 1984 weist ca. die Hälfte der gesamten bundesdeutschen Waldfläche Krankheits-bis Sterbesymptome auf, das sind rund 3, 7 Mio. ha. Nach ersten vorsichtigen Angaben der Bundesregierung betragen die jährlichen Waldschäden ca. 1, 9 Mrd. DM. Dabei sind noch nicht die Schäden und Gefahren für die Trinkwassergewinnung, aus Erosion, für das Fremdenverkehrsgewerbe und für die 800 000 Arbeitsplätze der Forst-und Holzwirtschaft (mit einem jährlichen Umsatzvolumen von rd. 100 Mrd. DM entsprechend dem des Straßenfahrzeugbaus) eingerechnet worden.

Wenn man — leider — überoptimistisch unterstellt, daß mit der Sanierung unserer Alt-kraftwerke mit einem Kostenvolumen von 10 bis 18 Mrd. DM insgesamt unsere Waldprobleme gelöst und außerdem jährliche Milliardenschäden an Bauwerken, Materialien und auf dem Gesundheitssektor vermindert werden können, so hätten sich diese Umweltschutzkosten sehr schnell amortisiert.

An der Notwendigkeit eines Höhersetzens der umweltpolitischen Meßlatte kann deshalb auch aus rein ökonomischen Gründen kein Zweifel bestehen!

Auch am Beispiel des Vorsorgeprinzips läßt sich die Forderung nach mehr und effektiverem Umweltschutz verdeutlichen. Die Lehre aus mehr als 13 Jahren Umwelt-und Luftreinhaltepolitik mit dem großflächigen Waldsterben gegen Ende dieser Zeit muß heißen: Wir müssen in Zukunft das Vorsorgeprinzip konsequenter als bisher verwirklichen. Es genügt einfach nicht, sich bei den prioritären um-weltpolitischen Zielen nur auf ein Minimum an Umweltschutz, wie z. B. auf die Verwirklichung des Standes der Technik bei Neuanlagen, zu beschränken. Nein, wir brauchen eine umweltpolitische Sicherheitsmarge, damit uns ein umweltpolitisches Fiasko wie der großflächig kranke und sterbende deutsche Wald nicht noch einmal — möglicherweise auf dem Gesundheitssektor — passiertl Dies heißt z. B.: Wenn nachweislich bei höheren Konzentrationen an Asbeststaub Todesfälle auftreten und ein Schwellenwert der Ungefährlichkeit nicht ermittelt werden kann, dann muß — wie dies inzwischen bei Asbest, allerdings nach langen, zähen Verhandlungen und Affären auch geschieht — alles daran gesetzt werden, daß dieses Gefahrenpotential schnellstmöglich aus der Welt geschafft wird.

Zwar kann man sich weder vor allen umwelt-bezogenen noch sonstigen Risiken des Lebens schützen; doch da, wo eindeutige Risikopotentiale vorhanden sind, müssen sie, soweit das irgendwie vertretbar ist, beseitigt oder verkleinert werden.

IV. Zu wenig umweltpolitische Impulse

Leider hat die bisherige Umweltpolitik viel zu wenig Impulse zur Verringerung dieser Risiken gegeben. Sie hat im Gegenteil in weiten Bereichen den Anreiz gegeben, weniger statt mehr für den Umweltschutz zu tun. Mit anderen Worten: Bei den meisten umweltpolitischen Regelungen sind keine entscheidenden Impulse zur Verminderung der Umweltbelastung . eingebaut'.

Dies ist am Beispiel der Luftreinhaltung leicht zu erklären: Hat ein Unternehmen die Genehmigungsvoraussetzung — Verwirklichung des Standes der Technik — bei seiner Anlage erfüllt und die Genehmigung erhalten, aufgrund der es z. B. pro Jahr 20 000 Tonnen Stickoxid in die Luft . pusten'kann, so kann das Unternehmen dies in der Praxis zumeist bis zum Ende der Lebensdauer der Anlage tun. Zwar kann die Genehmigungsbehörde versuchen, bei Fortentwicklung des Standes der Technik dem Unternehmen eine . nachträgliche Anordnung', z. B. eine Begrenzung der Emission auf 10 000 Tonnen pro Jahr aufzuerlegen. Mit dem Hinweis auf die schwer nachprüfbare wirtschaftliche Unvertretbarkeit gelingt es jedoch in der Regel jedem Unternehmen — zumindest auf Zeit —, dieser nachträglichen Anordnung zu entgehen. Überspitzt, aber dennoch im Grunde genommen zutreffend ausgedrückt, bedeutet dies: Nach Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen . verschenkt'die Genehmigungsbehörde das Recht auf Verschmutzung der Luft in Höhe von 20 000 Tonnen jährlich für die Lebensdauer der Anlage.

Allein bei Großfeuerungsanlagen ist dieser umweltpolitisch fatale Zustand durch die entsprechende Verordnung geändert worden.

Auf allen anderen Gebieten hat das Unternehmen keinerlei Veranlassung — mit Ausnahme eines positiven Imageeffekts — freiwillig mehr zu tun, solange Emissionsminderungen kostenträchtig sind. Im Gegenteil, nimmt es z. B. 1 Mio. DM Kosten freiwillig auf sich, verteuern sich seine Produkte, und die Konkurrenten lachen sich ins Fäustchen. Weiter kommt hinzu, daß es sich nicht nur aus Wettbewerbsgründen ins eigene Fleisch schneiden kann: Entwickelt das Unternehmen mit intelligenten, relativ kostengünstigen, aber dennoch kostenträchtigen Minderungsmaßnahmen den Stand der Technik, so muß es später bei seinen Neu-wie im Prinzip auch bei den Altanlagen diesen Stand der Technik erfüllen. Kein rational denkender Manager wird bei einer solchen Wirtschaftsund Rechtslage — auch bei Kenntnis der globalen Notwendigkeit des Umweltschutzes — freiwillig kostenträchtige Umweltschutzmaßnahmen veranlassen!

Keiner soll sagen, daß nur das schlechte Umweltbewußtsein der Unternehmer schuld ist: Achten z. B. die Konsumenten bei ihrer Pkw-Kaufentscheidung auf die Lärm-und Abgas-Emissionswerte ihres Kraftfahrzeuges? Fahren die meisten Bürger zur Entlastung unserer Umwelt mit Bussen und Bahnen? Konsequenz dieser Fehlsteuerung des Eigeninteresses: Jeder Unternehmer wird sich tunlichst zurückhalten! Der ökonomische Anreiz des Bundesimmissionsschutzgesetzes besteht im Grunde genommen darin, den Behörden nachzuweisen, daß aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen „nichts geht".

Folgt man Schumpeter, ist es die Aufgabe des Unternehmers, neue technische Kombinatio-B nen durchzusetzen. Nach der TA Luft und dem § 17 Abs. 2 Bundesimmissionsschutzgesetz fällt ihm aber die Aufgabe zu, die Nichtdurchführbarkeit neuer technischer Lösungen beweisen zu müssen. Das heißt: Gerade weil die Umweltpolitik viel zu wenig in das Sy-stem'der Sozialen Marktwirtschaft eingebettet worden ist — weil sie sich überwiegend ordnungsrechtlicher, nicht marktbezogener Mittel und Instrumente bedient —, sind viele Umweltprobleme nicht oder nur ungenügend gelöst worden.

V. Das Eigeninteresse „vor dem Karren des Umweltschutzes

Die Bundesregierung hat diesen Konstruktionsfehler unserer Luftreinhalte-und vieler anderer umweltpolitischer Vorschriften erkannt und möchte das Eigeninteresse für den Umweltschutz aktivieren. Deutlicher als ihre Vorgänger führte die jetzige Bundesregierung in der Regierungserklärung vom Mai 1983 aus: „Das eigene Interesse der Wirtschaft am Umweltschutz muß gestärkt werden. Umwelt-feindliche Produktionsverfahren dürfen sich nicht lohnen. Umweltfreundliches Verhalten muß sich auch wirtschaftlich auszahlen." Das heißt, die Bundesregierung will z. B. dazu kommen, daß die intelligenten, relativ kostengünstigen Maßnahmen zur Reduzierung der 20 000 Tonnen Stickoxid unseres Beispielunternehmens . sich rechnen', Umweltschutz soll sich bezahlt machen. Nur dadurch kann die Umweltkrise letztlich bewältigt werden. Umweltschutz wird sich u. a. dann bezahlt machen, wenn ein Unternehmen — durch den Verkauf von freiwilligen und zusätzlichen Emissionsminderungen Erlöse erzielen, — durch Umweltschutzmaßnahmen Umwelt-abgaben sparen, bessere Verkaufserfolge erreichen oder — wirtschaftliche Risiken infolge denkbarer Schadensersatzleistungen vermeiden kann. Umweltschutz wird dann für Konsumenten erstrebenswert sein, wenn sie bei umweltfreundlichem Verhalten Kosten sparen oder Nachteile vermeiden können.

Wenn dem so ist, dann wird das Gewinn-und Eigennutzstreben von Unternehmen und Konsumenten für und nicht — wie bisher — gegen den Umweltschutz wirken. Dann ist es auch nicht mehr interessant, der Behörde zu erzählen, weshalb eine Umweltschutzmaßnahme angeblich oder tatsächlich aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen „nicht geht", sondern die Unternehmensleitung wird geradezu die Ingenieure anspornen, nach kostengünstigen Umweltschutzlösungen zu suchen. Dann kann auch jeder Betriebsingenieur der Geschäftsleitung vorrechnen, daß eine effiziente Umweltschutzmaßnahme dem Unternehmen höhere Erträge (gesparte Abgaben oder Einnahmen) bringt als Kosten. Dann werden die Belange des Umweltschutzes nicht mehr das lästige fünfte Rad am Betriebswagen sein, sondern das, was sie angesichts der knappen Ressource „saubere Um. weit" — wie jedes knappe Gut — spätestens seit dem Bewußtwerden der Umweltkrise hätten sein müssen: ein gapz normaler Kosten-und Ertragsfaktor in der betrieblichen Kalkulation.

Mit der knappen und teuren Energie geht man spätestens seit der 1. Ölkrise 1972/73 sparsam um, mit der knappen Ressource Umwelt wird man dann genauso sparsam umgehen.

Aus ökologischer Sicht ist die o. g. Aussage.der Regierungserklärung also zunächst und. zuallererst die Forderung nach dem Einspannen der Haupttriebfeder des marktwirtschaftlichen Systems — dem Streben nach hohem Gewinn und hohem Konsumnutzen — für den Umweltschutz. Mit anderen Worten: Die Forderung nach mehr Markt im Umweltschutz ist gleichzusetzen mit der Zielsetzung der Verwirklichung von mehr Umweltschutz, den wir — wie dargelegt — aus ökologischen Gründen unbedingt brauchen.

Hier sollen nur vier Beispiele für bisher ungenutzte Möglichkeiten zur Aktivierung des Eigeninteresses von Konsumenten und der Industrie skizziert werden:

1. Die steuerlichen Erleichterungen für schadstoffarme Autos sind zwar ganz wichtig und ein Schritt in die richtige Richtung. Sie werden aber unabhängig von den EG-Widerständen allein zur schnellen und drastischen Schadstoffreduzierung kaum ausreichend sein. Deshalb sollten die Autofahrer durch zusätzliche Anreize zum Umsteigen auf umwelt-freundlichere Autos gewonnen werden. Nur neue Katalysatorautos und umgerüstete, sauberere Altfahrzeuge (Kosten der Umrüstung unter 500 DM) sollten — wie bisher — ohne Tempolimit fahren dürfen. Für alle anderen würde Tempo 80 (Bundesstraßen) und Tempo 100 (Autobahnen) gelten, d. h. umweltfreundlichere Autos erhalten einen Benutzervorteil.

Dies könnte durch unterschiedliche Kennzei19 chen, die gleichzeitig einen Anreiz zum Nachweis der Umweltfreundlichkeit des Fahrers darstellen, überwacht und dokumentiert werden. Sicherlich würden dann — unterstützt von den steuerlichen Hilfen — schnell sehr viel weniger Schadstoffe in die Luft gepustet. Außerdem hätten Autohersteller und Werkstätten volle Auftragsbücher, und unser Wald und unsere Gesundheit würden davon profitieren. 2. Wird Streusalz auch der Salzsteuer unterworfen, wird Nitratdünger mit einer Abgabe belegt, so werden zum einen die streupflichtigen öffentlichen Hände sparsamer mit Streusalz und zum anderen die Landwirte sparsamer mit Nitratdünger umgehen.

3. Werden die Zuwachsraten des Bodenverbrauchs in den Bundesländern stufenweise bis auf Null herabgesetzt, entsteht über den Bodenpreis ein erheblicher Anreiz zur besseren Nutzung des Bodens und zum „Flächenrecycling". Dies ist im übrigen ein Kernpunkt in dem Berliner CDU-Umweltprogramm mit den Parteiinitialien „Chancen Durch Umweltschütz“. 4. Außerdem sollte die Haftung bei Umwelt-schäden verschärft werden. Müssen wie in Japan die Unternehmen bei von ihnen verursachten Umweltschäden ggf. Schadensersatz in Millionenhöhe leisten, werden sie sehr schnell zu umweltfreundlichen Produkten und Produktionsverfahren übergehen. Darüber hinaus sollten die Unternehmen ggf.den Nachweis erbringen, daß sie für bestimmte Umweltschäden nicht verantwortlich sind (Beweislastumkehr). Das Urteil des Bundesgerichtshofs, nach dem der potentielle (industrielle) Umweltschädiger nachzuweisen hat, daß er sich vorschriftenkonform verhalten hat, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung und muß auch durch entsprechende Gesetzesinitiativen ausgebaut werden. Noch so bemühte Beamte können nicht alle gefährlichen Stoffe verbieten, reduzieren oder solche Vorschriften gar überwachen. Die Verwender müssen — via wirtschaftliches Risiko — in die Pflicht genommen werden!

V I. Kostengünstiger Umweltschutz

Die Forderung nach solchen und weiteren marktorientierten Anreizinstrumenten wie Umweltabgaben oder -lizenzen ist gleichzeitig die Forderung nach kostengünstigerem Umweltschutz, was angesichts — der Notwendigkeit von mehr Umweltschutz, — der drastisch steigenden Kosten von zusätzlichen Umweltschutzmaßnahmen und — einer nach wie vor keineswegs auf Dauer gesicherten positiven Wirtschaftsentwicklung

auch ein absolutes „Muß" jeder sinnvollen Umweltpolitik ist. Damit sind auch die ökonomischen Gründe angesprochen, weshalb die Umweltpolitik dringend mehr flexiblere und marktorientierte Instrumente benötigt. Auch wenn manche Auflagen nach gewissen ökonomischen Kriterien differenziert sind, wird dennoch im Umweltschutz mehr oder weniger nach dem „Rasenmäherprinzip“ vorgegangen: Unabhängig von den Kosten der Reduzierung einer Emissionseinheit sind die Reduzierungsverpflichtungen und die Grenzwerte relativ einheitlich gestaltet. Auch und gerade aus ökologischen Gründen wäre es aber wünschenswert, die Minderungsmaßnahmen verstärkt zu denjenigen Emissionsquellen zu verlagern oder sie dort . anzureizen', wo Umweltschutz besonders billig ist

Umweltschutz sollte also vorrangig dort ansetzen, wo z. B. die Reduzierung einer Schadstoffeinheit lediglich 100 DM kostet und dafür ggf. eine andere Emissionsquelle mit 10 000 DM Reduzierungskosten ganz oder teilweise von diesen Minderungsverpflichtungen zu entbinden. Dies ist aber bei der bisherigen Umweltpolitik nicht oder nur in zu geringem Umfang möglich. „Reine Umweltschützer“ werden sagen: Was kümmert mich, was Umweltschutz kostet; Hauptsache, er wird durchgesetzt und damit die Umwelt verbessert Aber dies ist ein Trugschluß. Dazu ein Beispiel aus der Mineralöl-wirtschaft: Die Entschwefelungsanlage einer modernen Raffinerie filtert heute mit zwei Reaktoren etwa 95% des Schwefeldioxids aus den Abgasen heraus. Will man den Entschwefelungsgrad um 1% auf 96% steigern, steigen die Baukosten für einen dritten Reaktor um 20%. Nun läßt sich mit einer zusätzlichen nachgeschalteten Reinigungsanlage die Umweltentlastung noch weiter auf 98, 5% Entschwefelung verbessern. Damit aber verdoppeln sich bereits die Baukosten für die Umweltschutzanlage. Soll die Raffinerie aufgrund staatlicher Anordnung gar einen Reinigungsgrad von 99, 5% erreichen, muß schließlich sogar mit den dreifachen Investitionskosten gerechnet werden. Das heißt: Um bei einer ein-B zelnen Anlage zusätzlich 4, 5% Schwefeldioxid aus den Abgasen herauszuholen, könnte man mit dem gleichen Geld dafür sorgen, drei andere Anlagen überhaupt erst einmal zu 95% zu entschwefeln und damit im Extremfall insgesamt die 30fache Menge an Schwefeldioxid aus den Abgasen zu entfernen.

Wenn man diesen Kostensachverhalt aber nicht berücksichtigt, tut man nicht nur zu wenig für die Umweltverbesserung, sondern lädt die betroffenen Unternehmen dazu ein, sich auf die „wirtschaftliche Unvertretbarkeit" oder die Unverhältnismäßigkeit einer nachträglichen Anordnung zu berufen, weil Umweltschutz dann wirklich — unnötig — viel teurer ist, als er sein müßte. (Berechtigter) Widerstand oder langwierige Rechtsstreitigkeiten bis zu den höchsten Gerichtsinstanzen wären dann oft das Ergebnis, und das bedeutet zumindest temporäres Nichtstun und keine Entlastung der Umwelt.

Die möglichen Kostenersparnisse durch flexiblere, marktwirtschaftliche Lösungen im Umweltsektor sind gewaltig: Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen hat 1974 errechnet, daß eine Abwasserabgabe, die zu einer durchschnittlichen Reinigung der kommunalen Abwässer von 75% führt, um ein Drittel billiger ist als eine Umweltauflage, bei der nach dem Rasenmäherprinzip jeder Kläranlage per Auflage ein 75%iger Reinigungsgrad yorgeschrieben ist. Pro Jahr können bei solchen Anforderungen (sie liegen heute wesentlich höher) eine halbe Milliarde Mark in der Bundesrepublik Deutschland gespart oder wesentlich mehr Kläranlagen gebaut werden. Mit marktwirtschaftlichen Lösungen kann man im Umweltschutz also nicht nur einen Anreiz geben, aus Eigeninteresse mehr für den Umweltschutz zu tun, sondern gleichzeitig auch die kostengünstigsten Umwelt-schutzmaßnahmen anregen. Erst dadurch können viele Umweltschutzmaßnahmen in der (wirtschaftspolitischen) Realität durchgesetzt werden. Außerdem spart die Volkswirtschaft Kosten in Milliardenhöhe oder für die gleichen Mittel kann wesentlich mehr Umweltschutz realisiert bzw. können ggf. dadurch Milliardenschäden (siehe Waldsterben) vermieden werden. Anders ausgedrückt: Wer mehr Markt im Umweltschutz aus ökologischen Gründen fordert und durchsetzt, realisiert dann auch einen ökonomischeren, d. h. effizienteren Umweltschutz und schafft dadurch gleichzeitig bessere Voraussetzungen für mehr Umweltschutz! Außerdem können durch stärkeren Einsatz von marktorientieren Instrumenten auch die Wachstumsbedingungen der Wirtschaft verbessert und damit die irrige Meinung ausgeräumt werden, daß Wirtschaftswachstum und eine saubere Umwelt sich gegenseitig ausschlössen.

VII. Umweltfreundlicher Wachstumsschutz

Wenn die Umweltnutzung einen Preis erhält und damit Umweltverschmutzung teuer und zu einem Kosten-und Ertragsfaktor im Betriebsprozeß wird, wird sich dadurch quasi automatisch die Wirtschaft auf umwelt-freundlichere Produkte und Produktionsverfahren umstellen bzw. stark umweltbeeinträchtigende Aktivitäten werden sogar eingestellt. Der sich laufend vollziehende Umstellungs-und Umstrukturierungsprozeß der Wirtschaft wird dadurch umweltbezogen positiv beeinflußt und damit ein Wachstumsstimulans geschaffen.

Die Folgen eines — umweltfreundlichen — Wachstums sollten niemand schrecken: Das Wirtschaftswachstum ist zunächst und zuallererst ein Wachstum an Werten, bezogen etwa auf das Bruttosozialprodukt. Dieses Wertewachstum kann sich durchaus durch die verstärkte Herstellung von umwelt-freundlicheren Produkten und Produktionsverfahren vollziehen. Bei gleichem Absatz entsteht auch bei einem um 1 000 DM teureren, weil mit einem Abgaskatalysator ausgestatteten Auto und bei um 3 Pf. teurerem, weil bleifreiem Liter Benzin ein Wertezuwachs und damit eine Komponente des Wirtschaftswachstums. Das saubere Auto ist auch „mehr wert" geworden!

Außerdem führt eine verstärkte Verschiebung der volkswirtschaftlichen Leistung zugunsten des tertiären Sektors (u. a. Dienstleistungen, Kommunikationsleistungen) und zuungunsten umweltbelastender Grundstoffindustrieen dazu, daß im Durchschnitt die gleiche volkswirtschaftliche Leistung — z. B. die Produktion eines Wertes von 1 Mrd. DM Bruttosozialprodukt — weniger umweltbelastend ist als früher. Die Ver-oder Behinderung solcher Strukturänderungen beispielsweise durch Subventionen hat damit auch den umweltbezogenen Fortschritt behindert. Wesentlich stärker als mit Auflagen, die sich zumeist an den vorhandenen technischen Lö21 sungen orientieren, werden — wie bereits angedeutet — durch marktorientierte Anreize im Umweltschutz der Erfindergeist und die Innovationskraft der Wirtschaft für neue effiziente Lösungen angeregt, wenn man durch Umweltschutzmaßnahmen das Betriebsergebnis verbessern kann. Dies führt neben umweltbezogenen Kostenersparnissen oder Ertragssteigerungen häufig auch zu rein betriebswirtschaftlich positiven Ergebnissen. So wurden u. a. durch die Einführung der Abwasserabgabe in den galvanotechnischen Betrieben (beschleunigt) sogenannte geschlossene Wasserkreisläufe mit einem deutlich reduzierten Ausstoß von hochgiftigen Metallverbindungen eingeführt, was zunächst eine Verminderung der Abwasserabgabenzahlung nach sich zog. Gleichzeitig wurden aber auch die Kosten des Produktionsprozesses durch Einsparung von Frischwasser, Energie und Metallen gesenkt

Wären die Kraftfahrzeugsteuern schadstoffausstoßbezogen gestaffelt oder gäbe es Abgaben auf Kfz-Emissionen, so wären Beispiele wie die folgenden viel häufiger:

Durch eine Hubraumvergrößerung (gegenwärtig bedeutet dies noch eine Kfz-Steuer-Steigerung!) konnte in der Mitte der siebziger Jahre beim Renault R 5 GTL die Motor-Drehzahl bei gleicher Leistung vermindert und damit ein abgas-, energie-und lärmärmerer Wagen produziert werden.

Auf die amerikanischen Abgasvorschriften reagierten einige Hersteller, so auch das Volkswagenwerk, mit der Einführung von genau dosierenden, computergesteuerten Einspritzpumpen, die zwar den Fahrzeugpreis zunächst erhöhten, dafür aber — neben der Schadstoffreduzierung — auch den Kraftstoff-verbrauchsenkten. Bei einer Umfrage im Sommer 1984 erklärten ca. 30% der Unternehmer, daß sie durch Umweltschutz Geld gespart haben!

Diese Beispiele sollen verdeutlichen, daß Umweltschutzmaßnahmen, speziell wenn sie mit marktorientierten Instrumenten durchgesetzt werden, oft entscheidende innovations-und damit letztlich auch wachstumsfördernde Impulse auslösen, wodurch ökologische und ökonomische Erfordernisse gemeinsam realisiert werden können. Mehr Markt im Umweltschutz sorgt damit letztlich auch für Wachstumsimpulse und für langfristig positive Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Dies läßt sich auch folgendermaßen begründen: Jede Mark für die Verminderung von Umweltschäden fördert die Produktion und damit das wirtschaftliche Wachstum, solange diese Mark der Wirtschaft insgesamt mehr als eine Mark ersparten Umweltschaden bringt. Solche Schäden können aus der Verteuerung der betriebswirtschaftlichen Produktionsfaktoren Arbeit (Gesundheit) und Betriebsmittel (Materialien, Maschinen, Gebäude, Wasser) oder durch erhöhte Steuern zur Beseitigung der Umweltschäden resultieren. Das heißt: Selbst bei Nichtberücksichtigung des nicht oder nur sehr schwer monetär bewertbaren hohen Nutzens aus Umweltschutz-maßnahmen (z. B. Verbesserung des Wohlbefindens und der Gesundheit des Menschen, der Erhaltung von Flora und Fauna sowie der Landschaft, d. h.der Erhöhung des eher „immateriellen" Lebensstandards der Menschen)

ist wirksamer Umweltschutz, wie er speziell von marktorientierten umweltpolitischen Instrumenten induziert wird, in dem geschilderten Sinne ein langfristiges Wachstumsstimulans.

VIII. Mehr Arbeit durch Umweltschutz

Durch marktwirtschaftlichen Umweltschutz, d. h. durch Weckung des Eigeninteresses aller für den Umweltschutz, kann gleichzeitig die Arbeitsmarktsituation verbessert werden. Allerdings sollte ergänzend ein Bündel von umweltverbessernden Maßnahmen durch zusätzliche staatliche Umweltschutzausgaben hinzutreten. So wäre ein gezieltes Umweltförderungsprogramm (kein Gießkannenprinzip!) mit erhöhten staatlichen Umweltschutzausgaben denkbar. Diese Ausgaben können sich durch Kosteneinsparungen, weniger Umwelt-schäden und geringere „Arbeitslosen-Kosten" zum Teil selbst finanzieren.

Die These lautet also: Durch Aktivierung des Eigeninteresses aller für den Umweltschutz und ein gezieltes Umweltförderungsprogramm können die per saldo ohnehin jetzt schon sehr positiven Arbeitsplatzwirkungen des Umweltschutzes noch wesentlich verstärkt werden. Dies stellt den zweiten Baustein für das eingangs als machbar prognostizierte neue, umweltfreundliche Wirtschaftswunder dar.

Unzweifelhaft treten aus Umweltschutzgründen bei einzelnen Betrieben Arbeitsplatz-probleme, ggf. auch Arbeitsplatzverluste auf. Die Schließung der Firma Boehringer in Hamburg, die (zeitweise Stillegung) von „Sonnenschein’ in Berlin und die verzögerte Inbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus ohne Rauchgasfilter sind drei aktuelle Beispiele. Per saldo aber ist der Umweltschutz keinesfalls ein Arbeitsplatz,, killer", sondern sogar ein Arbeitsplatzgarant. Diesen Beweis hat — unfreiwilligerweise — der Bundesverband der Industrie in Form eines umweltpolitischen Eigentors durch eine beim Ifo-Institut in Auftrag gegebene Studie erbracht. Die aktualisierten Daten dieser Studie lauten: Inzwischen arbeiten weit über 400 000 Beschäftigte in der Umweltschutz-und Bauindustrie, bei Betrieben und bei Gebietskörperschaften, in der Umweltverwaltung, in der öffentlichen und in der privaten Entsorgung, im Altstoffhandel und in der Umweltforschung für den Umweltschutz!

Dagegen sind Arbeitsplatzverluste oder zeitweise Nichtbesetzungen wenn auch im Einzelfall sehr schmerzlich, insgesamt jedoch eine sehr kleine Größe. Die „klassischen“ Job-killer-Argumente sind:

— Umweltbedingte Kostenerhöhung und deshalb Betriebseinstellung von sogenannten Grenzbetrieben, — umweltbedingter Konkurrenznachteil auf den Auslandsmärkten, — Abwanderung von Betrieben ins Ausland wegen zu hoher Umweltschutzanforderungen und — als wichtigster Punkt — der umweltbedingte „Investitions" stau.

Die Quantifizierung dieser Effekte und der Vergleich mit den Umweltschutzbeschäftigten beweisen, daß wir ohne Umweltschutz deutlich mehr Arbeitslose hätten!

Im übrigen: Wenn einige Betriebe gefährliche Dreckschleudern sind und die z. T. beträchtlichen Kosten der Umstellung auf umwelt-freundlichere Produktionsweisen nicht tragen können (Beispiel Boehringer), so ist das ein klassischer Fall der problematischen Auswirkungen des Struktur-und Präferenzwandels in der Volkswirtschaft. So wie heute Nylonstrumpfhosen Wollstrümpfen vorgezogen werden, so werden durch die umweltpolitischen Maßnahmen die gesteigerten Präferenzen der Bevölkerung nach dem Gut „bessere Umwelt" durchgesetzt. Auf vielen Sektoren, wie im Werft-, Bau-, Stahl-und dem Fischerei-bereich, erleben wir heute die Folgen des Strukturwandels. Auf dem Umweltsektor ist es nicht viel anders: Entweder die stark emittierenden Betriebe bzw. die Betriebe mit umweltunfreundlichen Produkten können dieses verstärkte Bedürfnis nach sauberer Umwelt in der Produktion und/oder den Produkten verwirklichen, oder sie müssen durch andere, umweltfreundlichere Produktionsstätten ersetzt werden. Wenn an einem Standort die Kohle im Boden ausgeht oder wenn wegen Überfischung kaum noch Fische gefangen werden können oder der Bedarf nach Bauleistungen sehr stark zurückgeht, dann wird das als sehr bedauerlich, aber irgendwie unvermeidbar hingenommen. Wenn aber an einem Standort der Bevölkerung die „gute Luft“ auszugehen droht, weil ein Betrieb seine Emissionen nicht senkt und deshalb stillgelegt werden muß, wird laut , Jobkiller Umweltschutz“ gerufen! Wie bereits gesagt, gegenwärtig stehen 400 000 Umweltschutzarbeitsplätzen einige wenige Tausende aus Umweltschutzgründen verlorene, gefährdete oder zeitweise nicht besetzte Arbeitsplätze gegenüber. Das heißt, das Jobkiller-Umweltschutz-Argument ist ein altes Ammenmärchen!

Es wurde nachgewiesen, daß wir in den nächsten Jahren dringend mehr Umweltschutz benötigen. Diese ohnehing erforderlichen Umweltschutzmaßnahmen sollten auch aus ökonomischen Gründen unbedingt verstärkt in den direkt vor uns liegenden Jahren ergriffen werden: Denn zumindest bis Anfang 1990 werden wir aus demographischen Gründen — leider — noch mit einer recht hohen Arbeitslosigkeit leben müssen. Was liegt näher, als wenigstens einen Teil der Arbeitslosen durch sinnvolle Umweltschutzmaßnahmen in Betrieben und durch Maßnahmen der öffentlichen Hand einzusetzen? Umweltschutz lohnt sich dann auch ökonomisch: Einerseits durch verringerte Umweltschäden — gegenwärtig insgesamt drei bis fünf Prozent des Bruttosozialprodukts — und dadurch geringere Steuerausfälle, andererseits durch eingesparte Arbeitslosenkosten (100 000 Arbeitslose weniger bedeuten Einsparungen von mehr als 2, 5 Mrd. DM)

Durch die Maßnahmen nach dem OKO-Plan (vgl. die gleichnamige Publikation vpn Brunowsky/Wicke), die hier nicht im einzelnen aufgezählt werden können, können zu den bereits genannten ca. 400 000 Umweltschutzbeschäftigten des Jahres 1980 nochmals viele Zehntausende hinzukommen: Allein ein forciertes, die Umwelt verbesserndes Energieeinsparprogramm würde — vor allem für den derzeit stark unterbeschäftigten Baubereich — über 100 000 Arbeitsplätze bringen. Durch Entstickung und Entschwefelung unserer Kraftwerke kommen ca. 47 000 hinzu. Durch alle anderen Einzelmaßnahmen — angefangen von den vielen, durch marktwirtschaftliche Anreize ausgelösten betrieblichen Umweltschutzmaßnahmen, über verstärkte ABM23 Maßnahmen auf dem Umwelt-und Naturschutzsektor, über Deponie-Altlastensanierung, Renaturierung von landwirtschaftlichen Flächen bis hin zu verstärktem Lärmschutz und Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs — um nur einige sinnvolle arbeitsplatzschaffende Umweltschutzmaßnahmen zu nennen — können nochmals bis zu 200 000 Arbeitsplätze hinzukommen.

Da ein Teil dieser Aufgaben sicherlich durch Arbeitnehmer durchgeführt wird, die schon jetzt für den Umweltschutz arbeiten, kann man vorsichtig schätzen, daß — aufbauend auf den ca. 400 000 vorhandenen Umweltschutzarbeitsplätzen — insgesamt ca. 700 000 Arbeitsplätze möglich und sinnvoll wären. Damit wäre ein bedeutender Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit geleistet!

IX. Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft

Mit einer marktorientierten Umweltpolitik mit zusätzlichen gezielten staatlichen Umweltschutzausgaben kann also die Umweltsituation wesentlich verbessert und gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsplatzsituation geleistet werden.

Außerdem — und damit wird der ordnungspolitische Hauptgrund der Forderung nach mehr Markt im Umweltschutz angesprochen — „passen" marktorientierte umweltpolitische Instrumente besser als das gebräuchliche ordnungsrechtliche Instrumentarium in das System der Marktwirtschaft Deshalb ist diese Forderung auch ein Aufruf zur Stärkung des Wirtschaftssystems der Bundesrepublik Deutschland, nämlich der „Sozialen Marktwirtschaft“. Nach Müller-Armack paßt sich ein wirtschafts-, hier umweltpolitisches Instrument dann nahtlos in das System der „Sozialen Marktwirtschaft" ein, wenn es „den sozialen Zweck (hier das umweltpolitische Ziel) sichert, ohne störend in die Marktapparatur einzugreifen“. Die bisherige Luftreinhaltepolitik dagegen mit detaillierten Auflagen, die in einem extrem komplizierten und bürokratischen Genehmigungs-und Vollzugsverfahren durchgesetzt werden müssen, hat trotz nicht verkennbarer Emissionsminderungserfolge — leider — das umweltpolitische Ziel „Erhaltung unserer Waldbestände" nicht erreicht, und außerdem wurde und wird — wie jeder Unternehmer bestätigen kann — sehr störend in die Marktapparatur eingegriffen. Das heißt andererseits selbstverständlich nicht, daß der Staat sich aus der umweltpolitischen. Verantwortung zurückziehen soll. Es müssen im Gegenteil klare umweltpolitische Ziele als „Sozialer Rahmen“ vorgegeben werden; diese können und sollen aber auf kostengünstige Weise verstärkt durch flexible, marktwirtschaftliche und das Eigeninteresse stimulierende Instrumente durchgesetzt werden.

Marktorientierte umweltpolitische Instrumente wie Umweltabgaben, Lizenzen, um-weltpolitische Branchenvereinbarungen usw. lassen den Unternehmen in gewissem Umfang die Wahlfreiheit, ob, wieweit und an welcher Stelle sie Umweltschutzmaßnahmen vornehmen wollen. Diese Instrumente greifen deshalb — und weil die Kosten relativ niedrig gehalten werden — viel weniger störend in die Marktapparatur ein. Außerdem kann mit ihnen — sofern sie auf das jeweilige Umwelt-problem richtig zugeschnitten, dosiert und implementiert sind — das umweltpolitische Ziel „mehr Umweltschutz" sehr wirksam realisiert werden.

Wenn dem so ist, wird auf diese Weise gleichzeitig aber auch das Vertrauen in das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem gestärkt oder wiederhergestellt. Ein ganz wichtiger Grund, daß sich viele jugendliche und sonstige Wähler den Grünen und Alternativen zuwenden, ist in diesem Zusammenhang zweifellos die vermeintliche Unfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems, mit seinen Umweltproblemen fertig zu werden. Von vielen werden Gewinnstreben und marktwirtschaftliches System mit Umweltzerstörung gleichgesetzt. Wenn in diesem System aber nachgewiesen wird, daß durch den Einbau von marktwirtschaftlichen Elementen in die Umweltpolitik die Umwelt wirksam verbessert wird, können diese Vorbehalte gegen die Soziale Marktwirtschaft bei den aufgeschlossenen Skeptikern abgebaut, wenn nicht sogar beseitig werden.

X. Ausgetretene Pfade verlassen

Welche Chancen bestehen nun, daß die Umweltpolitik verstärkt auf marktwirtschaftliche, das Eigeninteresse aller für den Umweltschutz weckende Lösungen setzt? Vom Prinzip sind hierfür die Chancen recht gut:

So wird in der bereits zitierten Passage der Regierungserklärung vom Mai 1983 ausdrücklich die Stärkung des Eigeninteresses am Umweltschutz gefordert. Dazu muß die Umweltpolitik allerdings stärker als bisher aus ihren ausgetretenen Pfaden nach dem Motto „haben wir schon immer so gemacht, deshalb bleiben wir auch dabei“ ausscheren. Es ist nicht zu verkennen, daß die Umweltpolitik in der Praxis immer noch weitgehend nach den Vorstellungen derjenigen betrieben wird, welche die Umweltpolitik seit 1971 mit überwiegend ordnungsrechtlichen Methoden gestaltet haben. Unter anderem deshalb ist es auch so schwierig, endlich in der Praxis und in wesentlich größerem Umfang als bisher das zu verwirklichen, was in dem wegweisenden, leider viel zu wenig beachteten Beschluß vom 9. Februar 1984 „Unsere Verantwortung für die Umwelt“ gefordert wird, der vom Bundestag fast einstimmig verabschiedet wurde. Darin heißt es unter anderem: „Unter Anwendung marktwirtschaftlicher Prinzipien soll wirksamer und zugleich kostengünstiger Umweltschutz verwirklicht und der Wirtschaft ein möglichst großer Spielraum für umweltschutzfördernde Unternehmensentscheidungen eingeräumt“ werden.

Es ist zu hoffen, daß im Sinne dieser Aussage und der zitierten Regierungserklärung das demnächst vorzulegende Umweltprogramm 1985 den marktwirtschaftlichen Umweltschutz energisch vorantreibt Mit dem „OKO-Plan" haben der Autor dieses Aufsatzes und sein Co-Autor Brunowsky einen „realisierbaren Weg aus der Umweltkrise" — so Jo Leinen, SPD, im „Spiegel" — und »konkrete Anregungen für die praktische Politik" — so Elmar Pieroth, CDU, in der „Zeit“ — gegeben. Ob der OKO-Plan auch die christlich-liberale Bundesregierung anregt, sich in ihrem neuen Umweltprogramm auf ihre eigenen wirtschaftspolitischen Meriten und Traditionen zu besinnen, bleibt abzuwarten. In einem glauben die Autoren aber sicher zu sein: Wird ein solches oder ein verbessertes marktorientiertes umweltpolitisches Programm schnell, sehr schnell realisiert, dann ist Umweltverschmutzung in zehn Jahren kein Thema mehrl Damit wird bewußt die Eingangsthese wiederholt Das klingt utopisch — aber 1950 wäre auch der als Utopist bezeichnet worden, der damals prognostiziert hätte, daß 1960 die Bundesrepublik Deutschland wieder ein blühendes Gemeinwesen sein würde und die materiellen Zerstörungen der Vergangenheit weitgehend beseitigt sein werden.

Das einfache Rezept für das nie erwartete erste Wirtschaftswunder war die Aktivierung des Eigeninteresses aller zugunsten des Wiederaufbaus durch die Möglichkeit mehr Einkommen zu erzielen und die eigene Lebenslage zu verbessern. Das gleichfalls einfache Rezept für das hier als machbar prognostizierte neue — umweltfreundliche — Wirtschaftswunder liegt darin, daß, anders als bei der heutigen Umweltpolitik, die Marktkräfte, insbesondere das Gewinn-und Eigennutzstreben aller — die stärkste wirtschaftliche Kraft überhaupt — vor den Karren des Umweltschutzes gespannt werden. Damit kann die Umweltverschmutzung ebenso innerhalb von zehn Jahren beseitigt werden wie der Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland zu einer der größten Industrienationen der Welt in einem solchen kurzen Zeitraum gelungen ist

Außerdem werden dann — wie in der Ludwig-Erhard-Ära — mehr und vor allem zukunftsgerichtetere Arbeitsplätze und bessere — umweltfreundliche — Wachstumschancen der Wirtschaft vorhanden sein. Wenn wir also eine neue marktorientierte Umweltpolitik betreiben, wenn ein durchsetzungsstarker Politiker mit einer mutigen Politik zum „Ludwig Erhard des Umweltschutzes" avanciert, dann dürfte sicher sein, daß der Untertitel des „OKO-Plans" keinesfalls reißerisch übertrieben, sondern eine berechtigte programmatische und realisierbare Aussage ist: „Durch Umweltschutz zum neuen — selbstverständlich umweltfreundlichen — Wirtschaftswunder"! Unter diesen Prämissen würde die Soziale Marktwirtschaft auch ihre zweite große — die umwelt-(und beschäftigungs) politische — Bewährungsprobe mit Auszeichnung bestehen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Lutz Wicke, geb. 1943; apl. Professor an der Technischen Universität Berlin (Wirtschaftspolitik, Schwerpunkt Umweltökonomie); Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Umweltökonomie, München 1982; (zus. mit R. D. Brunowsky) Der ÖKO-Plan — Durch Umweltschutz zum neuen Wirtschaftswunder, München 1984; auf den Grundvorstellungen des „OKO-Planes" beruht der vorliegende Aufsatz, der die persönlichen Ansichten des Autors darlegt.