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Außenpolitische Grundlinien der Regierung Reagan | APuZ 37-38/1986 | bpb.de

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APuZ 37-38/1986 Außenpolitische Grundlinien der Regierung Reagan Die „neue Agenda“ politischer Diskussion in den USA Das amerikanische Parteiensystem im Wandel Individualität, Pluralismus und Konsens in der westlichen Demokratie. Überlegungen zur Zukunftsgestaltung im modernen amerikanischen Konservatismus

Außenpolitische Grundlinien der Regierung Reagan

Christian Hacke

/ 35 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Wiederherstellung der militärischen Balance, Eindämmung der sowjetischen Expansionsbemühungen, Verhandlungen mit der Sowjetunion von einer Position der Stärke aus sowie Aufrüttelung der politischen Lethargie in den USA und bei den Alliierten wurden zum zentralen Bestandteil der Außenpolitik Ronald Reagans. Eindämmung blieb das zentrale Leitmotiv amerikanischer Weltpolitik, wenngleich Mittel und Ziele variiert wurden. Ausdruck dieser Neuüberlegungen war die Politik des sogenannten strategischen Konsens, mit der vor allem im Nahen Osten und in Zentral-und Lateinamerika die indirekte Gefahr der Bedrohung durch die Sowjetunion gebannt werden sollte. Während der Amtszeit Präsident Reagans setzten sich die transatlantischen Krisen der siebziger Jahre fort; amerikanische Abneigungen und Vorurteile gegenüber Europa einerseits und ein irrationaler Anti-Amerikanismus bei uns andererseits haben sich auf unglückliche Weise in die Hände gearbeitet. Mit Blick auf die Dritte und Vierte Welt haben sich die USA — im Gegensatz zur Sowjetunion, die in traditionell imperialistischer Manier möglichst direkte Landgewinne anstrebt — primär auf indirekte Milieuziele beschränkt. Dies gilt insbesondere für Lateinamerika. Die USA haben mit Vorliebe Demokraten an der Macht gestützt, aber ebenso konservative und häufig korrupte Despoten einer möglichen Revolution von links vorgezogen. Anpassung an die neuen Gegebenheiten der internationalen Politik und die der sowjetischen Außenpolitik ist gefordert. Die USA können nicht mehr, wie zur Hochzeit der Pax Americana der fünfziger Jahre, erwarten, daß sich ihnen der Rest der Welt anpaßt. Diese einmaligen Strukturbedingungen sind nicht wiederherstellbar, denn die Zeit der amerikanischen Überlegenheit ist unwiderruflich dahin. Im Bündnisdreieck Westeuropa—USA—Japan sind sie primus inter pares geworden, müssen also die regionalen Eigenbedingungen der Partner stärker berücksichtigen.

I. Einleitung

Die Geschichtsschreibung läßt Politikern und Staatsmännern in letzter Konsequenz nur einen Satz zur Charakterisierung ihrer Leistung: George Washington gründete die USA, Abraham Lincoln befreite die Sklaven und hielt die Staaten vereinigt, Franklin D. Roosevelt siegte gegen Hitler und verlor gegen Stalin, Harry S. Truman dämmte die Macht der Sowjetunion ein, Richard Nixon versuchte entspannte Stärke gegenüber der Sowjetunion und Jimmy Carter zeigte gute Absichten, aber Unvermögen, die außenpolitischen Krisen zu meistern.

Wie wird der entscheidende Satz über Ronald Reagan lauten? Noch wissen wir es nicht, aber jeder amerikanische Präsident hätte zu Beginn der achtziger Jahre vor folgenden Fragen gestanden: — Soll er den Entspannungskurs der ersten Hälfte der siebziger Jahre von Nixon und Ford wieder aufgreifen?

— Soll er überlegene politische und militärische Stärke der USA wiederherstellen?

— Soll er geopolitisch und vertraglich die Bündnis-bzw. Beistandsverpflichtungen ausdehnen oder abbauen?

Jene Fragen vermitteln allerdings den Eindruck, die außenpolitischen Entscheidungen, besonders die einer Weltmacht wie der USA, beruhten prinzipiell auf Möglichkeiten, unter denen man beliebig wählen könnte. Dies ist jedoch in den seltensten Fällen möglich. In überwiegendem Maße steckt der Präsident als Hauptentscheidungsträger in außenpolitischen Dilemmata. Nur selten hat er die Wahl zwischen Gut und Böse, Richtig oder Falsch. Im Moment der Entscheidung tappt er bisweilen im Nebel, er hat instinktiv und mit begrenztem Wissen seine Wahl zu treffen.

Dies muß man berücksichtigen, wenn es um die erste zentrale Frage geht: Was ist für die USA zu Beginn der achtziger Jahre außenpolitisch möglich und sinnvoll gewesen? Es geht dabei um

Ideen, Konzepte und Interessen sowie um die Frage ihrer Umsetzung in konkrete außenpolitische Entscheidungen und deren möglichst konsequente Verwirklichung. Substantiell stellte sich das Problem, ob Ronald Reagan zu Beginn der achtziger Jahre die Rolle der USA den veränderten internationalen Bedingungen, die nicht nur günstig waren, anpassen würde, oder ob die USA unter seiner Führung der Welt einen starken Stempel aufdrücken würden, wie dies zur Zeit des Kalten Krieges der Fall war.

Die zweite zentrale Frage darf gerade mit Blick auf die Außenpolitik parlamentarischer und freiheitlicher Demokratien nicht vergessen werden: Wie findet der Präsident innenpolitische Zustimmung zu seinen außenpolitischen Ideen und Entscheidungen? Jede Außenpolitik ist meistens nur in dem Maße überzeugend, in dem sie von den innenpolitischen relevanten Kräften, d. h. vom Kongreß sowie von öffentlicher und veröffentlichter Meinung, getragen wird. Auch Widersprüchlichkeiten und Gegensätze innerhalb der Regierung, seien sie institutionell, personell oder grundsätzlich begründet, müssen berücksichtigt werden.

Der Zwang zum politischen Kompromiß, eine gewisse moralische Tragik, sachliche Unsicherheit sowie Mutmaßung über die Konsequenzen der außenpolitischen Entscheidungen sind unvermeidbar. Wer als handelnder Politiker auf den absoluten Punkt wartet, der die Sicherheit des Wissens, der Fakten und Folgen bringen soll, der verpaßt die politische Gegenwart, er reduziert die Möglichkeit der Zukunft zu einem Teil der Geschichte. Der Fakten schaffende, Klima bewirkende, subjektive Charakter der politischen Entscheidung, der verantwortungsethisch zwischen verschiedenen Dilemmata abzuwägen hat, steht in krassem Gegensatz zur Position des sogenannten objektiven Beobachters. Letzterer versucht unter Vorspiegelung einer wissenschaftlichen Objektivi3 tät, die Unzulänglichkeiten des außenpolitischen Handelns bloßzustellen.

Nirgendwo ist dies deutlicher geworden als im Schlagabtausch zwischen Ronald Reagan und seinen außenpolitischen Kritikern, besonders in Europa. Dies liegt sicherlich daran, daß unter Ronald Reagan die klassischen amerikanischen Attribute von Politik und Außenpolitik besonders hervortreten: Ein konservativ-moralisches Bewußtsein wird durch Betonung von Macht und Stärke ergänzt. Präsident Reagan verstand — auf dem Hintergrund der Desaster von Iran und Afghanistan und der Enttäuschung über die Entspannungspolitik der Sowjetunion — seine Wahl als außenpolitisches Mandat. Aufrüstung, Stärke und Anti-Kommunismus wurden zu den drei herausragenden Kennzeichen seiner Außenpolitik. Was von den Vorgängern in Frage gestellt wurde, nämlich Drohung und Anwendung von Gewalt, ist nun unter Reagan zur Wiederherstellung der politischen Balance und zur Eindämmung der kommunistischen Machtausdehnung wieder zwingend geworden. Die Wiederherstellung von militärischer Stärke wurde vorrangig. Rüstungskontrolle wurde diesen Überlegungen nachgeordnet.

Aber während Reagan die Erfahrungen mit der Sowjetunion der vergangenen anderthalb Jahrzehnte global und militärisch negativ bilanzierte, sind die Erfahrungen der Westeuropäer mit der kommunistischen Weltmacht auf regionalem und politischem Hintergrund ausbalancierter. Dies führte zu einer wachsenden Kluft in der Einschätzung der sowjetischen Macht und bei der Frage, wie mit ihr umgegangen werden sollte. Neben diesen aktuellen Gründen spielen jedoch aus europäischer Sicht noch grundsätzliche perspektivische Probleme eine Rolle: Unterschiedliche historische Erfahrungen, geopolitische Unterschiede, abweichende oder ergänzende nationale oder kontinentale Interessen sowie abweichende Auffassungen im politischen Stil haben zwischen den USA und Westeuropa die altbekannte Formel von den gemeinsamen Werten und Interessen stark gedehnt, vielleicht sogar überdehnt. Dringlicher denn je stellen sich heute deshalb die beiden zentralen bündnispolitischen Fragen: Wieviel Einheit im Bündnis ist notwendig. Und wieviel Pluralismus hält es aus?

Nicht Besserwisserei oder moralisierende Anmaßung, sondern Urteilsfähigkeit, Takt und Verständnis für Amerikas außenpolitische Probleme und Zweifel, wie sie im vergangenen Jahrzehnt deutlich wurden, sind bei uns vonnöten. Umgekehrt allerdings wird es ebenso Zeit, daß auf der anderen Seite die politischen Leistungen Westeuropas, seine besonderen Interessen in der Weltpolitik und mit Blick auf Osteuropa und die Sowjetunion toleriert und respektiert werden.

So wirkte Ronald Reagan mit seiner Politik und Person polarisierend auf die öffentlichen Meinungen in Westeuropa, in seinem Land hingegen erreichte er einen Grad von Zustimmung, der außergewöhnlich ist.

II. Ronald Reagan: Der persönliche Faktor

Wie kommt es, daß ein Präsident mit so wenig konkreten Leistungen in der Außenpolitik im eigenen Land als so erfolgreich angesehen wird? Im Unterschied zu Präsident Carter, der während seiner Amtszeit SALT II unterschrieb, die Normalisierung der Beziehungen mit der Volksrepublik China weiter vorantrieb, den Panamakanal-Vertrag unterzeichnete, den Camp-David-Friedensprozeß vertraglich festlegte und vor allem den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag mitbewirkte, hat Präsident Reagan nach sechs Jahren außenpolitischer Bilanz wenig Konkretes vorzuweisen. Aber er hat etwas Entscheidendes bewirkt, was Carter nicht gelang: Er beendete die weltpolitische und militärische Erosion amerikanischer Macht. Der begrenzte, aber intensive Enthusiasmus für die Strategische Verteidigungs-Initiative, die öffentliche Unterstützung für Protektionismus in Handels-und Wirtschaftsfragen sowie die begeisterte Zustimmung bei den amerikanischen Interventionen in Grenada und beim Angriff auf die PLO-Stellungen in Libyen zeigen, daß im Moment weniger die konkrete außenpolitische Leistung zählt als vielmehr das Schaffen von Klima und Stimmung.

Der Schlüssel für Reagans außenpolitischen Erfolg liegt vor allem in der Art und Weise, wie er nationale Macht darstellt und ausübt. Im Unterschied zum stets penetrant und unsicher wirken-B den Jimmy Carter erscheint Ronald Reagan als die Inkarnation derjenigen Attribute, die Amerika gerne für sich in Anspruch nimmt: Optimismus, Entscheidungsfreudigkeit, Risikobewußtsein und Entschlossenheit werden ihm ebenso zugeordnet wie physische und psychische Stärke. Selbst nach dem Schuß eines Attentäters in seine Brust oder bei der Behandlung gegen Krebs zeigte Reagan Leichtigkeit und Spannkraft, — eine typisch amerikanische Haltung, die man bei uns Deutschen oft vermißt: Grace under pressure — Haltung unter Druck.

Persönlicher Charme, Großzügigkeit und Humor dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Reagan politisch aus hartem Holz geschnitzt ist. Schon 1980 erklärte er während des Wahlkampfes, daß er aus einem einfachen Grund gewinnen würde: Das amerikanische Volk wünschte jemanden, der entschlossen führen werde.

III. Ronald Reagan und die Beziehungen zur Sowjetunion

Nirgendwo wurde dies deutlicher als in dem neuen Unilateralismus und der rhetorischen Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion. Wiederherstellung der militärischen Balance, Eindämmung der sowjetischen Expansionsbemühungen, Verhandlungen mit der Sowjetunion von einer Position der Stärke aus sowie Aufrüttelung der politischen Lethargie in den USA und bei den Alliierten wurden zum zentralen Bestandteil seiner Politik.

Dabei kam ihm zu Hilfe, daß die indirekte Intervention der Sowjetunion in Polen seit Dezember 1981 und die fortgesetzte brutale Besatzungspolitik in Afghanistan die anti-sowjetische Stimmung förderten. Seit 1980 werden die USA von einem anti-kommunistischen Blutkreislauf in Schwung gehalten. Als Reagan 1984 auf seine Charakterisierung der Sowjetunion als , Reich des Teufels 1, das bereit sei, jedes Verbrechen, jede Lüge und jeden Betrug für die Weltrevolution einzusetzen, angesprochen wurde, antwortete er: „Ich glaube, es war Zeit, um die sowjetische Aufmerksamkeit zu erlangen, um sie wissen zu lassen, daß ich sie realistisch einschätze.“

Die Enttäuschung über mangelnde außenpolitische Zurückhaltung der Sowjetunion, die in den Augen vieler Amerikaner die Verträge der amerikanischen Entspannungspolitik in den frühen siebziger Jahren zu wertlosem Papier gemacht hatte, bildet einen zentralen Faktor für die Entschlossenheit Reagans, durch Neubetonung eigener politischer und militärischer Stärke die außen-politische Macht der Sowjetunion einzudämmen. Eindämmung blieb auch unter Ronald Reagan das zentrale Leitmotiv amerikanischer Weltpolitik, wenngleich Mittel und Ziele variiert wurden. Ausdruck dieser Neuüberlegungen war die Politik des sogenannten strategischen Konsenses, mit der vor allem im Nahen Osten und in Zentral-und Lateinamerika die indirekte Gefahr der Bedrohung durch die Sowjetunion gebannt werden sollte.

Nixon und Kissinger gingen von einer doppelten Balance aus, um die Politik der Eindämmung voranzutreiben. Zum einen von einem pentagonalen System, bestehend aus dem Bündnisdreieck USA—Westeuropa—Japan und dem Großmachtdreieck USA—Volksrepublik China—Sowjetunion, in dem die USA die zentrale Maklerrolle übernehmen sollten. Zum zweiten suchten sie diese Balance mit militärischen, ökonomischen und vor allem mit diplomatischen Instrumenten aufrechtzuerhalten.

Ronald Reagan hat diese doppelte Balance in der amerikanischen Außenpolitik radikal beschnitten. Das pentagonale System wurde durch Bipolarität ersetzt. Das komplexe Ost-West-Geflecht wurde konfrontativ auf den amerikanisch-sowjetischen Bilateralismus zurückgeschnitten. Gleichzeitig versuchte Reagan, auch innerhalb des Bündnisses den Einfluß und die Rolle der Verbündeten zu beschränken und auf amerikanische Interessen zuzuschneidern. Die ausgewogene Balance der amerikanischen Eindämmungspolitik vergangener Jahrzehnte, bestehend aus militärischen, ökonomischen und diplomatischen Elementen, wurde durch eine Militarisierung der Außenpolitik ersetzt. Auf dem Hintergrund des gigantischen Rüstungsprogramms der Sowjetunion in den siebziger Jahren sah sich die Regierung Reagan im Zugzwang, Amerika gewaltig nachzurüsten.

Abgesehen von der Frage nach dem politischen Nutzen stellt sich hierbei das Problem, ob militä5 rische Stärke nicht auf ein brüchiges Fundament gestellt wurde, denn der Faktor der ökonomischen und sozialen Stabilität wurde außerordentlich strapaziert. Angesichts des rapide steigenden Haushaltsdefizits, der hohen Zinsraten und der gesamtwirtschaftlichen Besorgnisse wurden in den USA und in Europa Zweifel an den sicherheitspolitischen Maßnahmen der Regierung Reagan deutlich. Auch der einschneidende Wandel in der Militärstrategie wurde zwiespältig aufgenommen. Eskalationsdominanz wurde zum Schlüssel-begriff in zweifacher Weise: — Zum einen sollte durch erhebliche Rüstungsanstrengungen auf allen Bereichen eine vertikale Eskalationsdominanz erreicht werden. Von der untersten Ebene eines lokalen Konflikts, dem mit der neuen schnellen Eingreifreserve 4 begegnet werden sollte, bis hin zur neuen nuklearstrategischen Stärke sollte das Fenster der Verwundbarkeit auf allen Konfliktebenen geschlossen werden. — Zum zweiten sollte auch eine horizontale Eskalationsdominanz erreicht werden. Dies galt besondes für die Regionen Asien, Persischer Golf und Nahost sowie für Europa und Lateinamerika.

Die vergangenen sechs Jahre haben gezeigt, daß ökonomische Zwänge, innen-und außenpolitische Kritik sowie ausbleibende Erfolge, aber auch kritisches Umdenken innerhalb der Regierung Reagan ansatzweise dazu geführt haben, daß taktische Anpassung an die komplexen Realitäten versucht wird. Auch unter dem Druck der Westeuropäer, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland, begann die Regierung Reagan nach dem verhandlungspolitischen Zusammenbruch im November 1983 erneut im Frühjahr 1985 mit Abrüstungsverhandlungen.

Seit dem amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen im November 1985 in Genf gibt es Anzeichen, daß der Tiefpunkt in den Beziehungen, der vermutlich an der Jahreswende 1983/84 erreicht worden war, überwunden werden konnte. Zwar gab es in den USA vereinzelt Kritik, insgesamt jedoch kehrte Präsident Reagan aus Genf gestärkt zurück. Seine Strategie, eine Gipfelkonferenz abzuhalten, Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, aber weder Konzessionen zu machen noch Verträge abzuschließen, hatte präzis die amerikanische Stimmungslage getroffen. Wie die meisten seiner Mitbürger glaubt Reagan, daß die Sowjetunion die Entspannungspolitik für die eigene Stärke und zum Nachteil der USA ausgenutzt hat. Gleichzeitig hat er mit seinem Gipfeltreffen Verhandlungsbereitschaft dokumentiert.

Mit dieser grundsätzlich skeptischen, aber offenen Haltung gegenüber der Sowjetunion hat sich Reagan diesbezüglich besonders innenpolitisch für die letzte und knappe Zeitspanne seiner zweiten Amtszeit einen großen Spielraum geschaffen. Die Fähigkeit zur Konfrontation hat Präsident Reagan unter Beweis gestellt. Es bleibt abzuwarten, ob er seine Verhandlungsbereitschaft substantiell, vor allem bei SDI, ausweitet, damit das zweite geplante Gipfeltreffen im November 1986 eventuell konkrete Ergebnisse bringt.

Seit dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow im März 1985 ist auch die Außenpolitik der Sowjetunion stilistisch geschmeidiger und kompromißbereiter geworden. Das zeigt sich vor allem in den sowjetischen Abrüstungsvorschlägen vom Januar, Juni und Juli 1986. Nachdem Gorbatschow, sozusagen als Antwort auf Reagans SDI-Vision vom März 1983, im Januar 1986 seinen nuklearen Abrüstungsfahrplan bis zum Jahre 2000 vorgelegt hatte, scheint seit dem Sommer 1986 der Abrüstungsdialog intensiver zu werden. Die Vorschläge beziehen sich stärker auf die Wirklichkeit. Es bleibt abzuwarten, ob im Bereich der strategischen Rüstung, im Bereich der Mittelstreckenraketen, aber auch bei den konventionellen Streitkräften Abrüstungserfolge erreicht werden.

Nach weitergehenden Forderungen von Michail Gorbatschow deutete Ronald Reagan im Juli 1986 sogar an, daß SDI als Stationierungsprogramm von zukünftigen rüstungskontrollpolitischen Handlungen beeinflußt werden könnte. Nach jahrelangen Erklärungen des Präsidenten, daß SDI absolut kein Verhandlungsobjekt darstelle, eröffnen sich vielleicht Perspektiven, die amerikanisch-sowjetischen Gegensätze, wie sie in Sachen SDI auch beim Gipfel vom November 1985 auftauchten, möglicherweise zu überwinden.

Dabei sieht sich Ronald Reagan vor wachsende Probleme gestellt: Die unerwartet schleppende wirtschaftliche Entwicklung der USA, das Ansteigen des Haushaltsdefizits, die Opposition in der Bevölkerung und im Kongreß gegen eine weitere Aufrüstung und gegen SDI als Maximalprogramm, die realistische Einsicht, daß SDI weder wirksam noch überlebensfähig noch kosteneffizient sein kann und die Sehnsucht nach Abrüstung und verbesserten Beziehungen zur Sowjetunion mögen auch Reagan zu neuen ÜberlegunB gen bewogen haben. Noch erklärt er öffentlich, daß SDI in Genf kein Tauschgeschäft darstelle, und er warnt den Kongreß vor einer Verkrüppelung von SDI. Aber auch hier läßt sich eine gewisse Kluft zwischen ideologischen Glaubens-maximen und der Einsicht in Notwendigkeiten nicht mehr verheimlichen.

Beim Blick auf die gesamte Außenpolitik der Regierung Reagan gegenüber der Sowjetunion wurde ein Riß zwischen radikaler Weitsicht einerseits und dem realen außenpolitischen Verhalten andererseits offenkundig. So zeichnet sich die amerikanische Unterstützung für afghanische Rebellen nicht durch Dynamik, sondern durch Begrenztheit aus und steht im krassen Gegensatz zur markanten Rhetorik. Während die Worte Reagans zur Latein-und Mittelamerika-Politik ebenfalls manchen erzittern lassen, konnte zeitweilig ein mit Waffen und Munition vollgeladener sowjetischer Frachter nach dem anderen den Panamakanal in Richtung Nicaragua passieren, um für anti-imperialistische und anti-amerikanische Aktionen zu rüsten. Die Regierung Reagan schaute lange durchs Fernglas zu. Die darauf erfolgte Verminung der Häfen Nicaraguas durch die CIA glich einer unüberlegten Handlung kleiner Jungen, die beim Kriegsspiel aus Versehen in die Erwachsenenwelt geraten sind.

Auch mit Blick auf die Sowjetunion und Osteuropa blieb die Haltung der Regierung Reagan doppelbödig. Nach der rhetorischen Unterstützung einer Demokratisierung von unten in Osteuropa und in der Sowjetunion und der immer wieder apostrophierten Notwendigkeit, den Ost-West-Handel radikal zu beschneiden, gab die Regierung Reagan — wenn auch verschämt — Wirtschaftshilfe und Weizenlieferungen an die dortigen Regime, die es ja zu stürzen gilt. Hier dominierten innenpolitische, ja wahltaktische Überlegungen.

IV. Die Beziehungen zu Westeuropa

Während der Amtszeit Präsident Reagans setzten sich die transatlantischen Krisen der siebziger Jahre fort. Ein atlantischer Stahlkrieg, amerikanische Hochzinspolitik, Diskussionen über die Weltwirtschaftspolitik und ein Handelsembargo, das westeuropäische Erdgas-Röhrengeschäft mit der Sowjetunion, die Polen-Krise, der NATO-Doppelbeschluß, Meinungsverschiedenheiten über die Militärstrategie und vor allem über die Strategische Verteidigungs-Initiative, der Angriff auf die PLO in Libyen und das Thema Terrorismus bildeten Streitpunkte, die den Zusammenhalt der Allianz auf eine harte Probe stellten. In den Jahren 1980— 1986 haben sich amerikanische Abneigungen und Vorurteile gegenüber Europa einerseits und ein irrationaler Anti-Amerikanismus bei uns andererseits auf unglückliche Weise in die Hände gearbeitet. Die Regierung Reagan spielte dabei nicht immer eine glückliche Rolle.

Anfänglich zeigten die Westeuropäer viel Verständnis für Reagans Rüstungsprogramm. Die massive Vorrüstung der Sowjetunion hatte die militärische Lage auch in Europa verschlechtert. Aber die harte ideologische Sprache der Regierung Reagan gegenüber der Sowjetunion erweckte bei vielen den Eindruck von unnötiger Militanz und Aggressivität. Mangelndes Fingerspitzengefühl und unzureichende Konsultation der Bündnispartner wurde deutlich, als Reagan im August 1981 die Produktion der Neutronenwaffe ankündigte und im Oktober 1981 sogar erklärte, er könne sich den Einsatz von taktischen Nuklearwaffen durchaus vorstellen, ohne daß eine der Großmächte auf den Knopf drücken würde, also die Großmächte vor Nuklearwaffen geschützt blieben. Es entstand der Eindruck, als wäre für Reagan ein begrenzter Nuklearkrieg in Europa möglich. Auch die Diskussion über nukleare Kriegführungsstrategien sowie unausgegorene Pläne über kombinierte Luft-/Landkriegsstrategien in Europa wirkten auf dem alten Kontinent alarmierend. Nicht die Sowjetunion, sondern vielmehr die Westeuropäer fühlten sich von amerikanischen Strategieüberlegungen abgeschreckt.

Der NATO-Doppelbeschluß und die erfolgte Nachrüstung symbolisierten das gemeinsame Bemühen von Amerikanern und Westeuropäern, die Nuklearstrategie der Allianz, die auf erweiterter Abschreckung beruht, zu festigen. Das war eine große bündnis-und sicherheitspolitische Leistung. Mit der Strategischen Verteidigungs-Initiative droht aber nun den Westeuropäern die Gefahr, daß die Strategie der erweiterten Abschrekkung durch eine nicht-nukleare Verteidigungs7 doktrin, die SDI bewirken soll, abgelöst werden könnte. Auf diesem Hintergrund muß jener Teil der europäischen Reaktionen gesehen werden, der sich mit SDI kritisch auseinandergesetzt hat.

Nach vielen Versuchen der Westeuropäer, SDI mit rüstungskontrollpolitischen und entspannungspolitischen Forderungen zu verknüpfen oder gar politisch , unschädlich* zu machen, unterzeichneten schließlich England und die Bundesrepublik Deutschland bilaterale SDI-Abkommen. Im Dezember 1985 unterzeichnete die englische Regierung als erste ein Abkommen, in dem die britische Beteiligung an diesem Forschungsprogramm festgelegt wurde. Damit wurde der Weg frei für eine amerikanische Schritt-für-Schritt-Diplomatie in Sachen SDI. Es kam zu keiner gemeinsamen europäischen Position, sondern die Amerikaner konnten mit den einzelnen westeuropäischen Staaten bilateral verhandeln. Allein der französische Präsident Mitterrand erklärte im Mai 1985, daß Frankreich sich am SDI-Forschungsprogramm nicht beteiligen und statt dessen das Forschungsprogramm EUREKA vorlegen werde. Am 27. März 1986 unterzeichnete dann Wirtschaftsminister Bangemann in Washington gemeinsam mit dem amerikanischen Verteidigungsminister Weinberger zwei Vereinbarungen. Eine Diskrepanz zwischen geringer technologischer Bedeutung der deutschen Mitarbeit einerseits und massiver politischer Kritik andererseits wurde in der Bundesrepublik erkennbar. Was sind die Gründe?

Die Regierung Reagan wünscht eine deutsche und europäische Mitarbeit an SDI weniger aus forschungsspezifischen, sondern vielmehr aus politischen Überlegungen. Für sie ist SDI Teil einer globalen Politik der Stärke gegenüber der Sowjetunion. Ronald Reagan, so scheint es, will den Führungsanspruch der USA unilateral, d. h. ohne Rücksicht auf die Bündnispartner, durchsetzen.

SDI darf deshalb nicht nur als SDI verstanden werden, sondern als Teil einer breiten Palette von politischen Initiativen, wirtschaftspolitischen Maßnahmen und ideologischen Prämissen mit globaler Langzeitvision. Unter diesem Aspekt hat SDI als politische Mehrzweckwaffe gerade in den Abmachungen mit der Bundesrepublik eine entscheidende Bedeutung. Mit ihrer Unterschrift dokumentiert die Bundesregierung offenkundig einen höheren Grad an Zustimmung zur Politik der Regierung Reagan als ohne solche Abkommen. Mit den beiden Unterschriften unter die SDI-Abkommen hat die Regierung Reagan die Bundesregierung in eine politische Mitverantwortung gelockt, ohne dabei den technologischen, geschweige denn den politischen Interessen der Bundesrepublik zu entsprechen. Außerdem wurde keine umfassende politische, strategische und militärische Standortbestimmung der Bundesrepublik mit allen Konsequenzen für die Bündnis-und Entspannungspolitik in Sachen SDI vorgenommen. Kurzsichtige technologische Argumente dominierten. Auch wurden von den westeuropäischen Regierungen weder die westeuropäische Union noch der NATO-Rahmen konsequent für einen gemeinsamen europäischen Kooperationsansatz genutzt.

Die Bundesrepublik und Westeuropa als Ganzes haben auf diesem Hintergrund an politischem Einfluß auf die Regierung Reagan und damit auch auf die Gestaltung der Ost-West-Beziehungen verloren, weil sie ihren Einfluß unterschätzt bzw. verspielt haben. Nicht durch Abkommen mit den USA in Sachen SDI, sondern nur in kritischer Distanz hätte Westeuropa sich als geeinte politische Größe profilieren können und gleichzeitig die Kräfte in den USA und der Regierung Reagan gestärkt, die auch die Harmel-Philosophie, nämlich Rüstungskontrolle, Einhaltung von ABM-Vertrag und SALT sowie realistische Entspannung befürworten.

Im Verlaufe des Jahres 1986 zeigt sich jedoch, daß SDI nicht das nukleare Abschreckungssystem abschaffen, sondern vielmehr die nukleare Abschreckungsdoktrin ergänzen soll. Die Positionen in Sachen SDI sind also innerhalb der Regierung Reagan völlig widersprüchlich. Deshalb konnte die Frage innerhalb der Administration auch noch nicht geklärt werden, welche Rolle SDI, wenn überhaupt, in den Rüstungskontrollverhandlungen mit der Sowjetunion spielen könnte. Bisher lehnten Verteidigungsminister Weinberger und Präsident Reagan jedes Zugeständnis bei SDI ab. Die Haltung von Präsident Reagan zu SALT und ABM allerdings zeigt, daß er sich bei der Erforschung und Erprobung von weltraumgestützten Anti-Raketen-Systemen nicht durch diese entspannungspolitischen und rüstungskontrollpolitischen Verträge aufhalten lassen würde. Insgesamt gesehen haben sich die Europäer gegenüber den amerikanischen SDI-Vorstellungen distanziert gezeigt. Der Verlust der absoluten Sicherheit seit Beginn des Nuklearzeitalters ist für die Europäer, auch für die Russen, so selbstverständlich, wie er den Amerikanern grundsätzlich fremd geblieben ist. Deshalb sind Westeuropäer davon überzeugt, daß im Prinzip nicht konventionelle Verteidigung, sondern seit 40 Jahren vielmehr die nukleare Abschreckung den Kem ihrer Sicherheit ausmacht. Seit 40 Jahren sind Nuklearwaffen zum Garanten der Sicherheit geworden.

Die Nachrüstung 1983 hatte eine Einheitlichkeit der Sicherheit im Bündnis bekräftigt. Es ist deshalb nicht ohne Ironie, daß nun mit SDI für viele Westeuropäer das zu drohen scheint, was man seit Gründung der NATO zu verhindern suchte: Drei unterschiedliche Sicherheitszonen würden bei einer Verwirklichung von SDI zwischen den USA, Frankreich sowie England und den nicht-nuklearen westeuropäischen Staaten entstehen. Auch befürchten viele Westeuropäer, daß statt erweiterter nuklearer Abschreckung mit SDI in den USA die Neigung zu Neo-Isolationismus und einer Festungsmentalität steigen könnte. Hinter einem vermeintlich sicheren Anti-Raketenschirm könnte eine militärische und politische Abkoppelung von Westeuropa eintreten. In Westeuropa gab es darüber hinaus gewichtige Stimmen, die darauf hinwiesen, daß ein Verteidigungsschirm für Westeuropa überhaupt keinen Schutz gegenüber Nuklearwaffen geben kann. Die Flugzeit sowjetischer Raketen nach Westeuropa ist zu kurz, das sowjetische Arsenal zu breit gefächert, als daß wir — nur durch wenige hundert Kilometer getrennt — sowjetische Raketen, atombestückte Flugzeuge, Marschflugkörper und Artillerie durch raketen-dichte Schirme abhalten könnten. Diese Vorstellung ist technologisch nicht realisierbar. Sie basiert zudem auf einer Bedrohungsvorstellung, die problematisch erscheint.

Vor allem befürchten die Westeuropäer, daß SDI grundsätzlich den globalen und europäischen Entspannungsprozeß, so lückenhaft er erscheinen mag, erschweren könnte. Es scheint, als ob mit Hilfe von SDI die alte Idee von Überlegenheit und Sendungsbewußtsein wiederauflebt und ideologisch die Sowjetunion vom Podest der Gleichrangigkeit gestoßen werden soll. So sind die Westeuropäer nicht nur über SDI an sich irritiert. Vielmehr ist auch das, was Ronald Reagan im Zusammenhang mit SDI über die Sowjetunion sagt, auf Skepsis gestoßen.

Insgesamt gesehen hat SDI ein Maß an Verwirrung und Unsicherheit in das Bündnis getragen, wie es in der bisherigen Geschichte der Allianz fast beispiellos erscheint. , Vertrauen schaffen* ist die Grundlage von Allianzdiplomatie. Ohne Vertrauen, vor allem ohne Vertrauen in die Abwehrsysteme und in die Waffen, kann der Verteidigungsauftrag nicht durchgeführt werden. Weil es technologisch nie perfekt werden kann, kann dieses System indessen kein Vertrauen, sondern nur Mißtrauen schaffen. Unter rüstungskontrollpolitischen Überlegungen kann man allerdings vermuten, daß die Sowjets vielleicht unter dem Eindruck von SDI an den Verhandlungstisch zurückgekehrt sind. Es bleibt abzuwarten, ob Ronald Reagan dort die Karte SDI ausspielen oder weiterhin seine Strategische Verteidigungs-Initiative als nichtverhandlungsfähig erklären und sie weiter forschungsmäßig vorantreiben wird. Dann aber bewegt auch die Rückkehr der Sowjets an den Verhandlungstisch nichts.

Die Beziehungen zwischen den USA und Westeuropa sind auch unter Ronald Reagan kompliziert geblieben. Die amerikanische Regierung war zu selten bereit, originär westeuropäische Interessen zu respektieren. Die amerikanischen Umgangsformen der Allianzdiplomatie, nicht nur bei SDI, waren hisweilen rauh. Das zentrale Problem zwischen Amerikanern und Westeuropäern blieb die Einschätzung der sowjetischen Macht. Unterschiedliche Erfahrungen der siebziger Jahre führten dazu, daß die Westeuropäer, allen voran die Bundesdeutschen, die Sowjetunion als regionale und politische Macht ansehen, der man entschlossen und flexibel zugleich mit einer Mischung aus Verhandlungsbereitschaft und militärischer Stärke begegnen soll. Die Regierung Reagan hingegen sieht die Sowjetunion als globale und militärische Bedrohung, der man kompromißlos entgegentreten müsse. Auch die Verhandlungen im Rahmen der KSZE in Bern sowie die KVAE-Verhandlungen in Stockholm waren von amerikanisch-westeuropäischen Dissonanzen nicht frei.

Vor allem aber ist es der in der Außenpolitik unter Reagan so stark aufgetretene Faktor militärischer Macht, der die Westeuropäer erschrecken läßt. Besonders in der innenpolitischen Diskussion in der Bundesrepublik zeigt sich demgegenüber nämlich eine Entwicklung, die Hans-Peter Schwarz treffend als eine Entwicklung von der Machtbesessenheit früherer Jahrzehnte zur Macht-vergessenheit heute kennzeichnet. Die kühle Distanz westeuropäischer Regierungen bei der Landung amerikanischer Truppen auf Grenada im November 1983 verweist auf dieses Problem. Es ist kein Zufall, daß der damalige Unterstaatssekretär Eagleburger — im Außenministerium für die Grenada-Aktion politisch zuständig — nur wenige Monate nach der enttäuschenden Haltung der Westeuropäer eine erweiterte Rolle der USA in Asien und im pazifischen Raum ankündigte. Für die Europäer dürfte es indessen einen gravierenden Unterschied darstellen, ob die Regierung Reagan allein aus ökonomischen und strategischen Überlegungen die pazifische Komponente ihrer Außenpolitik ausbauen will, oder ob dieser Schritt durch Enttäuschung und Ressentiments über westeuropäisches Unverständnis gegenüber amerikanischen Aktionen ausgebaut wird.

Neo-Isolationismus und Moralismus, das haben die vergangenen Jahre gezeigt, sind keine genuin amerikanischen Attribute. Im Gegenteil: Die Außenpolitik der USA hat unter Ronald Reagan realistische Elemente gezeigt, während Westeuropäer und vor allem Bundesrepublikaner sich bei manchen Reaktionen durch Provinzialismus und doppelte Moral auszeichnen.

Westeuropas Reaktion auf den amerikanischen Angriff auf die PLO-Quartiere in Libyen im April 1986 zeigt diese Neigung. Sicher, Staatsterrorismus hat nichts Neues an sich, schon Stalin ließ Trotzki in Mexiko umbringen. Aber Gaddafis, Arafats und Assads Rollen sowie der islamische Terrorismus haben dem Phänomen eine andere Qualität und eine neue Dimension verliehen. Eine Lösung der politischen Ursachen der terroristischen Aktivitäten wäre natürlich optimal, aber unlösbare Schwierigkeiten sind kein Freibrief für Terrorismus. Deshalb war nach Jahren des Zögerns der Westeuropäer, die nicht selten Züge der Anbiederung zeigten, nun eine gezielte Reaktion wie gegenüber Libyen verständlich.

Libyens Beteiligung und Mitverantwortung für langjährige Terrorakte in Westeuropa, zuletzt in West-Berlin, führten zum amerikanischen Bombenangriff vom 15. April 1986. Allein die Regierung Thatcher gab ihre Zustimmung, auch in England stationierte Flugzeuge für einen Angriff gegen Libyen einzusetzen. Die Franzosen — ebenfalls informiert — zogen die entgegengesetzte Konsequenz und verweigerten das Überfliegen französischen Territoriums. Die Bundesregierung glaubte, daß diplomatische Sanktionen gegen Libyen einen Vergeltungsschlag überflüssig machen würden. Angst vor innenpolitischer Kritik machte eine offene Zustimmung zur amerikanischen Aktion leider nicht möglich.

Die amerikanische Aktion gegen Libyen scheint ihren Eindruck auf Gaddafi nicht verfehlt zu haben; vorerst gibt es keine Anzeichen, daß dieser sein terroristisches Engagement unbeeindruckt fortsetzt. Indirekt hat die Aktion auch der sowjetischen Führung signalisiert, daß die Regierung Reagan das Instrument militärischer Gewalt weiterhin einzusetzen gewillt ist, wenn amerikanische Interessen auf dem Spiel stehen. Die vergangenen Monate haben außerdem gezeigt, daß die mancherorts befürchtete Solidarisierung zwischen Libyen und den arabischen Staaten nicht eingetreten ist.

Militärisch gesehen war der Angriff eine logistische Leistung, die nach der unglücklichen Befreiungsaktion der Geiseln in Iran 1980 auf das Selbstverständnis der amerikanischen Streitkräfte positiv gewirkt haben muß. Westeuropas Kritik an den militärischen Aktionen der USA hat dazu beigetragen, das ohnehin angespannte Verhältnis zu verschärfen. Es ist bezeichnend, daß die westeuropäischen Regierungen die stoische Gelassenheit und Festigkeit von Außenminister Shultz nicht erkannten, als dieser schon am 26. Oktober 1984 in San Francisco erklärte: „Wir müssen bereit sein, den internationalen Terrorismus mit militärischer Gewalt zu bekämpfen, und die Öffentlichkeit muß wissen und begreifen, daß dies möglicherweise das Leben einiger unserer Soldaten und einiger unschuldiger Bürger kosten wird.“ Nach Eagleburger ist Shultz der zweite entscheidende Politiker der Regierung Reagan, der als Anwalt europäischer Entspannungsinteressen von den Westeuropäern selbst bei einer entscheidenden Frage enttäuscht worden ist. Westeuropas Appeasement-Haltung gegenüber dem Terrorismus der siebziger und achtziger Jahre hat die Eskalation des Phänomens nicht aufhalten können. Die Terroristen agieren heute stärker grenzüberschreitend, international brutaler, ja fast selbstverständlich in ihren Aktionen. Die Westeuropäer— mit Ausnahme Englands — beschränken sich auf hilflose Appelle an Mäßigung und unter Berufung auf Gewaltlosigkeit. Die USA hingegen verhängten wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen und forderten die Westeuropäer zum Mitmachen auf. Deren Nein erschwerte eine wirkungsvolle Bekämpfung des Terrorismus schon im früheren Stadium; die Solidarität der betreffenden Staaten konnte sich in dieser entscheidenden Frage nicht durchsetzen und verringerte somit das Gewicht Europas im außenpolitischen Kalkül der Regierung Reagan. Nach der amerikanischen Aktion in Grenada wurden auch Kubas Aktionen in der Karibik zurückhaltender. Aber weder dort noch beim Angriff auf PLO-Stellungen in Libyen gelang Ronald Reagan eine Wurzelbehandlung des Problems. Beide Aktionen waren vorrangig als politisches bzw. als abschreckendes Signal gedacht. Nach einem Jahrzehnt der Demütigung zeigte die Regierung Reagan, daß die USA sich nicht mehr von Staaten der Dritten Welt herumschubsen und demütigen lassen. Dies ist vielleicht die wesentlichste Komponente der sogenannten Reagan-Doktrin.

V. Die Regierung Reagan und Lateinamerika

Die im 19. Jahrhundert entwickelte Monroe-Doktrin (1823), die selbst von den Briten in Frage gestellt wurde, richtete sich seit ihrer Begründung gegen imperiale Bestrebungen Spaniens und Frankreichs. Seit dem Zweiten Weltkrieg bildet sie Begründung und Schild gegenüber sowjetischen Bemühungen, in Lateinamerika direkt oder indirekt Fuß zu fassen. Ab 1945 haben sich die USA über die OAS (Organisation amerikanischer Staaten) bemüht, die Staaten Lateinamerikas gegenüber einer evtl, marxistisch-leninistischen Revolution zusammenzuhalten. Dabei hatten sie nur teilweise Erfolg. Fidel Castros Erfolg in Kuba und die sozialistische Regierung Allende in Chile verweisen auf kritische Punkte.

Im Gegensatz zur Sowjetunion, die in traditionell imperialistischer Manier möglichst direkte Land-gewinne — also Besitzziele — durch den Einsatz von Bodentruppen anstrebt, haben sich die USA mit Blick auf die Dritte und Vierte Welt primär auf indirekte Milieuziele beschränkt. Dies gilt insbesondere für Lateinamerika. Die USA haben mit Vorliebe Demokraten an der Macht gestützt, wie Betancourt in Venezuela. Aber sie haben ebenso konservative und häufig korrupte Despoten einer möglichen Revolution von links vorgezogen, die dem Marxismus-Leninismus vielleicht Tür und Tor geöffnet hätten. Mit Ausnahme des Mittleren Ostens zeigt keine Region so deutlich, daß die USA nicht unter Optionen wählen können, sondern zwischen Dilemmata gefangen bleiben. Nicht nur Vietnam vor dem Frühjahr 1975, nicht nur der Iran des Schah, auch das Nicaragua unter Somoza wirken heute unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung weniger erschreckend als das, was danach kam.

Nur in den allerseltensten Fällen scheinen Revolutionen einen Übergang zur Demokratie freizumachen, wie die Philippinen und Argentinien hoffen lassen. Die Regel ist, daß nach dem Sturz eines autoritären oder totalitären Militärregimes die böse Zeit nicht von einer guten abgelöst wird, sondern daß auf schlimme Zeiten noch schlimmere folgen. Diese Unwägbarkeiten kann kein Entscheidungsträger in Washington vorhersehen. Berechtigte Kritik an zentralen Weichen der amerikanischen Außenpolitik mit Blick auf die Dritte und Vierte Welt müssen diese tragischen Überlegungen mit einbeziehen.

Der wachsende sowjetische Einfluß in Zentral-amerika über den sowjetischen Stellvertreter Kuba und über Nicaragua wurde zur Hauptsorge der Regierung Reagan. So war die Reaktion der amerikanischen Regierung auf die regionale Friedensinitiative der Contadora-Gruppe — Mexiko, Venezuela, Kolumbien und Panama— vom 17. Juli 1983 ambivalent. Einerseits war die Regierung Reagan überzeugt, daß die Forderung der Contadora-Gruppe nach regionaler Zusammenarbeit zur Stabilisierung beitragen könnte. Andererseits forderte diese Initiative den Rückzug aller fremden Truppen aus der Region. Kubanischer Rückzug aus Nicaragua sowie Abzug der amerikanischen Militärberater aus El Salvador und Honduras sollten ebenso erreicht werden wie ein Stopp der Waffenlieferungen und eine Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten.

Die Regierung Reagan befürchtete, daß die Respektierung des marxistischen Regimes in Nicaragua und der Rückzug eigener Militärberater aus El Salvador und Honduras zu erneuten Einflußverlusten der USA in der Region führen könnte. Glaubwürdigkeit und Prestige wurden somit zu wünschenswerten, aber schwer definierbaren Kriterien erhoben, die schon in Vietnam, im Iran, in Angola und anderswo weder den Status erhalten, noch Kompromißlösungen hervorbringen konnten. Ob in El Salvador, in Guatemala und in Nicaragua wichtige strategische Interessen der Vereinigten Staaten auf dem Spiel stehen, hängt von der präzisen Definition ihrer Interessen ab. Die Ungewißheit über die Weiterentwicklung in El Salvador, Guatemala und in Nicaragua stellt die Regierung Reagan vor schwere Entscheidungen. Ziele sind die Beseitigung des kubanischen „Krebsgeschwürs“ in der Region, die Vermeidung eines Bürgerkrieges in Guatemala, die Neutralisierung des revolutionären Regimes in Nicaragua sowie freie Wahlen in El Salvador und Nicaragua. Falls Nicaragua sich unter dem Regime der Sandinistas weiter auf Kuba stützen sollte und zu einer Drehscheibe marxistisch-revolutionären Einflusses in Mittelamerika würde, entstünde für die USA auf Dauer eine so prekäre Situation, daß militärische Überlegungen für eine Lösung des Problems auftauchen könnten. Gleichzeitig zwingt die elementare Verletzung der Menschenrechte in den meisten mittelamerikanischen Staaten die Regierung Reagan zu Zurückhaltung gegenüber den Militärregimes. Die Entwicklung in Nicaragua zeigt aber, daß sich seit dem Sturz des Somoza-Regimes nicht Freiheit, Demokratie und Pluralismus, nicht ökonomischer Aufstieg, sondern totalitäre Verhärtung im Innern, staatliche Willkür, Schwarzmarkt und Kapitalflucht, gärende Unzufriedenheit über Arbeitslosigkeit, eine hohe Inflationsrate sowie Unterdrückung ausbreiten.

Aber während Kennedy in seiner „Allianz für den Fortschritt“ staatliche Initiativen betonte, setzte Reagan auf die Kräfte des freien Marktes und der privaten ökonomischen Initiativen. Präsident Reagan betonte, daß die Wirtschaftshilfe der USA die militärische Unterstützung für Staaten in Lateinamerika um ein Fünffaches übersteigt. Gleichzeitig lehnte er eine politische Verhandlungslösung in El Salvador ab. Nicht der Kompromiß, sondern die Niederlage der Guerillas wird gesucht. Reagan setzt auf den Faktor der militärischen Macht.

Der Bericht der Kissinger-Kommission über Mittelamerika symbolisierte das Bestreben der Regierung Reagan, ihre Lateinamerika-Politik zu dynamisieren und gleichzeitig auf eine breite innenpolitische Grundlage zu stellen. Sie folgte den wesentlichen Empfehlungen der Kissinger-Kommission und empfahl eine Wirtschaftshilfe in Höhe von 5, 9 Mrd. Dollar von 1985 bis 1989 sowie die Ermächtigung, 2 Mrd. Dollar an Darlehen zu gewähren. Selten ist im Kongreß so hartnäckig um eine so verhältnismäßig geringe Summe gerungen worden, wie um die von Präsident Reagan geforderten 100 Millionen Dollar zur Unterstützung des antisandinistischen Widerstands. Militärhilfe und Intervention sind in den USA seit den Debakeln der siebziger Jahre umstritten. Hinzu kommt, daß die breite Öffentlichkeit keine klare Fronten erkennen kann. Nur 38 % der Bevölkerung der USA konnte im April 1986 eindeutig beantworten, daß die USA die Contras und nicht die Sandinisten unterstützen. Auch über die Ziele und Methoden der Contras gehen die Meinungen auseinander. Seitdem die letzte Frist zur Unterzeichnung des Vertrags über Frieden und Kooperation in Lateinamerika am 6. Juli 1986 abgelaufen ist, siecht die Contadora-Initiative vor sich hin. Die Gegensätze zwischen Nicaragua und seinen Nachbarn scheinen unüberbrückbar. Ortegas 14-Punkte-Programm zeigt deutlich, daß Nicaragua auf seine militärische, besonders infanteristische Überlegenheit nicht verzichten will. Dies wird von seinen Nachbarn als Bedrohung angesehen.

Viele westeuropäische Parteien und Regierungen spielen mit ihrer Kritik an der amerikanischen Mittelamerika-Politik keine glückliche Rolle. In Westeuropa herrscht ein übertriebener Glaube, daß durch Förderung der sozialen Gerechtigkeit die Probleme in Mittelamerika gelöst werden könnten. Dabei werden die komplizierten Fragen der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung, aber auch die der Sicherheitsinteressen der USA vernachlässigt. Nicht selten ist in der öffentlichen Meinung sowie von manchen Regierungen in Westeuropa ein USA-Bild vermittelt worden, das Schwarz-Weiß-Malerei entspricht: Die USA sind reaktionär, Lateinamerika ist revolutionär.

Ob die amerikanische Politik in Zentralamerika eine neue kooperative Vision verwirklichen oder neue, alptraumartige Verstrickungen bringen wird, läßt sich nicht vorhersagen. Fest steht indessen, daß die Regierung Reagan entschlossen ist, revolutionäre Umwälzungen von links in einer Sphäre, die sie seit Jahrhunderten traditionell dem nordamerikanischen Einfluß zuordnet, nicht zuzulassen. Dabei sieht die amerikanische Regierung die Hauptgefahren für die Region sowohl in den spezifischen sozialen Problemen der einzelnen Staaten als auch im kommunistischen Bazillus, der durch die Sowjetunion sowie durch die Stellvertreter Kuba und Nicaragua in die Länder Lateinamerikas getragen werden könnte.

VI. Die Nahost-Politik der Regierung Reagan

Einen Wandel in der Nah-und Mittelost-Politik vollzog die Regierung Reagan nicht im Rückblick auf Camp David, sondern in der Erinnerung an das Debakel der USA im Iran. Hauptsäulen für das Konzept des strategischen Konsenses bildeten die Länder Israel, Ägypten und Saudi-Arabien, die als strategisches Bollwerk gegen den sowjetischen Einfluß im Nahen Osten dienen und die Interessen der USA garantieren sollten. Während die USA sowjetischen Einfluß fürchten, sieht Israel jedoch im Unterschied zu den USA die Bedrohung durch die Araber als vorrangige Gefahr. Die Politik des strategischen Konsenses bot Israel eine Möglichkeit, die amerikanische Strategie eng an die eigenen Interessen zu binden.

Nach dem israelischen Angriff auf den irakischen Reaktor im Sommer 1981 hätte die Regierung Reagan indessen das offizielle Konzept des strategischen Konsenses gegenüber Israel neu überdenken müssen. Nicht Vertiefung der strategischen Beziehungen durch Abkommen, sondern Distanz und kritisches Einwirken auf den neuen aggressiven Kurs der israelischen Regierung wäre notwendig gewesen. Nach der Annexion Jerusalems am 30. September 1980, nach den Angriffen auf den Süd-Libanon und auf den irakischen Kernreaktor bedeutete die Annexion der Golan-Höhen einen weiteren schweren Schlag gegen den Camp-David-Friedensprozeß. „Friede für Galiläa“ lautete das offizielle israelische und zunächst begrenzte Kriegsziel, als die Israelis am 6. Juni 1982 im Libanon einmaschierten. Sie überrannten syrische Truppen und zerstörten am 9. Juni die syrischen Luftabwehrraketen im Bekaa-Tal. Die Regierung Reagan hatte gegenüber der israelischen Invasion eine zunächst abwartende Position bezogen. Punktuelle Kritik am militärischen Vorgehen der Israelis kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die amerikanische Regierung stillschweigend einige zentrale politische Vorstellungen der Israelis teilte. Wie schon der Yom-Kippur-Krieg 1973, so erschien auch die Libanon-Krise 1982/83 als Schmelztiegel, um den Friedensprozeß neu zu formen. Auch sah die Regierung Reagan vielleicht eine Chance, daß durch die israelischen Aktionen die PLO an den Verhandlungstisch „gebombt werden könnte“. Aber die Lage im und um den Libanon entwickelte sich nicht im Sinne der amerikanischen oder israelischen Vorstellungen.

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, daß die Nahost-Politik der Regierung Reagan in ihrer ersten Phase all das vernachlässigte, was Klugheit und Geschicklichkeit der amerikanischen Nahostpolitik der siebziger Jahre ausgemacht hatte. Statt dessen wurde mit dem Konzept des strategischen Konsenses die Interessenvielfalt der Staaten im Nahen und Mittleren Osten in ein völlig unangemessenes Korsett gepreßt

Nixon, Ford und Carter verstanden Eindämmung primär als politisches Konzept, um die Konflikt-herde in der Region einzudämmen und die USA an einer regionalen Friedensstruktur Schritt für Schritt mit umfassender Perspektive zu beteiligen. Die Regierung Reagan hingegen behandelte den Camp-David-Friedensprozeß wie auch arabische Friedensinitiativen mit Nachlässigkeit. Statt dessen bemühte sie sich um einen strategischen Konsens, der alle brisanten Konfliktformationen im Nahen Osten und der Golfregion einebnete und auf Supermachtsebene transformierte. Das komplizierte innerarabische Machtbalancesystem und der arabisch-israelische Konflikt wurden dabei ausgeblendet. In der Konsequenz wurde nicht die Sowjetunion, sondern es wurden die arabischen Staaten von der amerikanischen Politik abgeschreckt.

Mit seiner Initiative vom 1. September 1982 wollte Präsident Reagan den Friedensprozeß reaktivieren. Die Grundlage wurde durch den rechtlichen Rahmen und durch die politischen Perspektiven des Camp-David-Abkommens festgelegt. Es enthielt genügend Spielraum für alle Parteien, um in Verhandlungen einzutreten. Reagans Vorschläge waren deshalb auf Kompromiß zugeschnitten; Maximalpositionen sollten von allen Seiten aufgegeben werden: — Die Palästinenser sollten die Existenz Israels, aber auch die Tatsache anerkennen, daß für einen eigenen souveränen Palästinenser-Staat kein Raum vorhanden ist. Statt dessen plädierte Reagan für die sogenannte Jordanische Option: Der endgültige Status der von Israel besetzten Gebiete müsse in Verhandlungen festgelegt werden. Es war die feste Absicht der USA, die Selbstregierung der Palästinenser auf der Westbank und im Gaza in Assoziation mit dem Königreich Jordanien anzustreben. — Die Israelis sollten ihre Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten revidieren, weil diese das Haupthindernis bei der Suche nach einem Frieden darstellt. Sie wurden aufgefordert, in den besetzten Gebieten politische Autonomie, wie im Camp-David-Rahmen vorgesehen, schrittweise zu gewährleisten.

Ronald Reagan machte mit diesem Plan deutlich, daß er eine palästinensische Eigenstaatlichkeit ablehnt und eine nicht näher definierte Verbindung der palästinensischen Gebiete mit Jordanien anstrebt. Die sogenannte Jordanische Option ist insofern das herausragende Kontinuitätsmerkmal amerikanischer Nahost-Politik seit Beginn der siebziger Jahre. Mit seinem Vorschlag wollte Reagan die Idee des Camp-David-Friedensprozesses wieder aufgreifen. Weil dies genau den Punkt darstellt, den Begin mit allen Mitteln zu umgehen versuchte, wurde Reagans Vorschlag von der Regierung Begin scharf abgelehnt. Die Reaktionen auf arabischer Seite waren verhältnismäßig moderat: Die PLO verhielt sich nur begrenzt ablehnend, Jordanien griff den Vorschlag natürlich positiv auf, Ägypten unterstützte die amerikanischen Vorschläge, während Syrien sie eindeutig ablehnte.

Als sichtbare Reaktion auf Präsident Reagans Initiative kam es zu einem Dialog zwischen König Hussein und PLO-Chef Arafat. Diese Gespräche führten am 11. Februar 1985 zu einem Abkommen zwischen beiden; konkrete Ergebnisse blieben jedoch aus. Syrien, mit Unterstützung der Sowjetunion, lehnte das Ergebnis der Hussein-Arafat-Initiative eindeutig ab. Die Annäherung zwischen König Hussein und Assad, die beim Treffen in Damaskus Anfang 1986 erkennbar wurde, deutet an, daß Hussein derzeit nicht mehr auf Arafat setzt. Die Schließung von 25 Fatah-Büros in Am-man im Juli 1986 bestätigt Husseins momentane Politik, bei Syrien und nicht bei Arafat Rückhalt für weitere Initiativen zu suchen. Käme es hierbei zu Fortschritten und gelänge ein gewisser Ausgleich auch zwischen Syrien und Ägypten, dann könnten sich in der Region selbst wieder neue Initiativen vorsichtig entwickeln.

Auch das Treffen zwischen König Hassan von Marokko und dem israelischen Regierungschef Peres im Juli 1986 deutete an, daß ein wenig Bewegung in die erstarrten Fronten zu kommen scheint. Der Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten Ende Juli 1986 im Nahen Osten könnte. auch darauf hinweisen, daß die Regierung Reagan wieder aktiver und sichtbarer das Geschehen mitgestalten möchte. Oder war Bushs Reise vorrangig auf die kommenden Präsidentschaftswahlen ausgerichtet?

Präsident Reagan hat jedenfalls auch im Nahen Osten nur noch wenig Zeit: Realistisch verbleiben ihm nur noch 15 Monate. So muß man nüchtern feststellen, daß er zu spät, viel zu spät die Initiative ergriffen hat. Eine konsequente und zähe Nahost-Diplomatie konnte damals — im September 1982 — leider nicht eingeleitet werden. Außerdem blieben die Prioritäten unglücklich gesetzt. Statt sich auf das Hauptproblem, die Westbank, zu konzentrieren, landeten die USA — gemeinsam mit Israel — im Libanon in einer Sackgasse. Vier Jahre diplomatischer Energie sowie das Ansehen und der Einfluß der USA im arabischen Lager gingen dabei verloren.

So stehen der amerikanischen Nahost-Politik heute weniger Optionen zur Verfügung. Vielmehr ist sie mit Dilemmata konfrontiert, die durch eigenen Dilettantismus verstärkt wurden. Die Struktur des Nahen Ostens, insbesondere die der arabischen Welt, hat sich als Interessenfeld der USA verändert. Seit der innerarabischen Polarisierung zwischen Ägypten und dessen Ablehnungsfront gibt es keine herausragende arabische Führungsmacht mehr wie zu Nassers Zeiten. In der Folge haben sich mehrere Machtzentren und Koalitionen herausgebildet, wobei Ägypten und Saudi-Arabien mit dem Golf-Rat eine, Syrien und die PLO sowie der Iran die zweite und Jordanien und der Irak die dritte Machtkoalition bilden. Aber das Machtsystem des Nahen Ostens ähnelt den Wanderdünen der Wüste.

Im übrigen haben die USA ihre eigene Stärke im Nahen und Mittleren Osten minimalisiert dargestellt und die der Sowjetunion nicht selten überhöht. Das Messen von Stärke mit militärischen Daten übersieht die relativ starke diplomatische, politische und ökonomische Macht der USA in der Region, die dank einer brillanten Nahostpolitik der siebziger Jahre von Nixon, Kissinger, Ford und Carter aufgebaut werden konnte. Nur geographisch und militärisch hat die Sowjetunion Vorteile. Trotz dieser beiden Nachteile haben die USA eine gute Ausgangsposition in einer Region, in der die Doktrin des Marxismus-Leninismus geringe Attraktivität besitzt. Sie haben diese gute Ausgangsposition dann, wenn sie sich diplomaB tisch und ökonomisch glaubwürdig um eine Maklerrolle bemühen und eine Politik der Abschreckung und Eindämmung nicht lautstark verkünden, sondern gelassen und flexibel anwenden. Die USA müssen auch im Nahen Osten wieder lernen, nicht als militärischer Gigant, sondern als politische Großmacht zu handeln. Nur so können arabischer Radikalismus und sowjetische Einflußnahme eingedämmt, aber auch die Festungsmentalität der Israelis aufgebrochen werden.

VII. Die Regierung Reagan und Südafrika

Auch die Südafrika-Politik des konstruktiven Engagements 4 der Regierung Reagan steht vor schwierigen Fragen. Reagan hat auf dem Hintergrund der innenpolitischen Polarisierung in Südafrika im Juli 1986 deutlich erklärt, daß er zwar die Apartheid ablehne, aber keine Sanktionen verhängen will. Er hat sich, wie schon im Falkland-Konflikt, mit der Regierung Thatcher klar solidarisiert und will sich nicht schneller oder weiter als die englische Regierung vordrängen. Anders als bei seiner Nahost-oder Lateinamerika-Politik wird Reagan in bezug auf Südafrika aber vom Kongreß gedrängt, Sanktionen zu verhängen. Der Senat und das Repräsentantenhaus sehen den Kampf gegen die Apartheid als Fortsetzung des Kampfes um Anerkennung der Bürger-rechte der Schwarzen in den USA, quasi als universalen Ausfluß der missionarischen Menschenrechtsdoktrin. Präsident Reagan sieht zusätzlich noch die strategische und geopolitische Bedeutung Südafrikas. Auch befürchtet er, daß der ANC (Afrikanischer National-Congress), um den sich die schwarze Opposition in Südafrika kristallisiert, wegen seiner kommunistischen Unterwanderung keine wünschenswerte Alternative darstellt.

So wird im Nahen Osten und in Südafrika vollends deutlich, daß die Außenpolitik der USA, nicht erst seit Ronald Reagan, allein kaum konstruktive, friedliche und demokratische Alternativen erzwingen kann, wenn innerhalb der betroffenen Region selbst Zerstrittenheit und Polarisierung dominieren. Wer heute einen realistischen Friedensplan für den Nahen Osten oder zum Abbau der Apartheid vorlegen will, arbeitet daher im Schatten von Sisyphus, — das Vergebliche ist mit inbegriffen. Sanktionen müssen dabei als problematisch angesehen werden. Sowohl die Regierung Botha als auch die Regierung Schamir/Peres bleiben letztlich nämlich von einer Festungsmentalität beherrscht. Das, was abgeschafft (Apartheid) bzw. zurückgegeben werden soll (Westbank), gehört im Verständnis der dort Herrschenden zum unverzichtbaren Bestandteil ihrer staatlichen und gesellschaftspolitischen Existenz. Apartheid ist nicht nur ein historisch, ökonomisch, politisch und religiös geknüpftes Netz von Unterdrückung, sondern auch unverzichtbare Existenzphilosophie der Weißen. Die Forderung nach Abschaffung der Apartheid käme daher, auf die Bundesrepublik bezogen, der Forderung gleich, wir sollten auf Parlamentarismus und soziale Marktwirtschaft verzichten. Das Dilemma besteht darin, daß Apartheid ungerecht für die Schwarzen und unverzichtbar für die Weißen in Südafrika ist.

Weitere Dilemmata bestehen darin, daß die Schwarzen in Südafrika in sich zerstritten bleiben und die kompromißbereiten Kräfte in Israel und bei den Weißen in Südafrika nach wie vor eine Minderheit bilden. Südafrika ist außerdem nicht Rhodesien; die Buren am Kap bleiben trotz aller Widrigkeiten stur — auf Kosten der Interessen der Schwarzen. Kompromißbereitere Führer der Schwarzen, wie Zulu-Chef Buthelezi, gehen daher einen schweren Weg: Einerseits droht ihnen durch eine Welle der Radikalisierung bei den Schwarzen der Untergang, andererseits fehlen ihnen die kompromißbereiten weißen Ansprechpartner. Beide Regionen verweisen auf die absurden und tragischen Elemente der Weltpolitik. Sie verdeutlichen damit zugleich, daß eine vertragliche Ein-kapselung von Problemen, wie in der Ost-und Deutschlandpolitik versucht, die Ausnahme darstellt. Die Regel bei ungelösten Problemen und Konflikten ist Gewalt und Krieg. Auch die USA als Weltmacht stehen mit ihrer Außenpolitik gegenüber Südafrika und gegenüber Israel und den radikalen arabischen Vertretern vor schier unlösbaren Problemen.

VIII. Zusammenfassung

Welchen abschließenden Satz wird die Geschichte für Ronald Reagan bereithalten? Vielleicht, daß er das Tor für eine Welt ohne Nuklearwaffen aufgestoßen hat, daß er den Kommunismus gestoppt hat, oder daß er Amerika ein neues Selbstwertgefühl gab? Das mag zutreffen; aber es scheint, als habe Ronald Reagan die Lösung der Probleme der USA aufgeschoben. Hat er die Notwendigkeit der außenpolitischen Anpassung der USA an die veränderten Bedingungen in der Allianz und im Ost-West-Verhältnis erkannt, oder hat er vielmehr auf Stärke gesetzt und umgekehrt die Anpassung der Politik aller anderen Staaten an die der USA gefordert? Letzteres scheint Reagans Politik eher zu charakterisieren. Seine Amtsperiode ist außen-politisch atmosphärisch aufgeladen, aber substantiell eher belanglos gewesen. Das Verhältnis zur Sowjetunion wurde zum Teil bewußt vereist, außenpolitische Klugheit zeigte sich jedoch bei der Wahl des Zeitpunktes, die Dinge aufzutauen.

Es bleibt ein wenig Hoffnung, daß beim Gipfel Reagan/Gorbatschow, der für Ende des Jahres 1986 geplant ist, ein vernünftiger rüstungskontrollpolitischer Kompromiß erreicht wird. Aber die Aussichten sind dürftig.

Anpassung nach außen — an die neuen Gegebenheiten der internationalen Politik und die der sowjetischen Außenpolitik — ist gefordert. Die USA können nicht mehr, wie zur Hochzeit der Pax Americana der fünfziger Jahre, erwarten, daß sich ihnen der Rest der Welt anpaßt. Diese einmaligen Strukturbedingungen sind nicht wiederherstellbar, denn die Zeit der amerikanischen Überlegenheit ist unwiderruflich dahin. Umgekehrt müssen sich die USA selbst den außenpolitischen Bedingungen anpassen. Im Bündnisdreieck Westeuropa-USA-Japan sind sie primus inter pares geworden, müssen also die regionalen Eigenbedingungen stärker berücksichtigen. Und in den europäischen Entspannungslabyrinthen sollten sie sich mit dem Beifahrersitz begnügen, denn die Tücken des Geländes sind den Europäern vertrauter. Gegenüber der Sowjetunion sollten im Verbund mit den Freunden Stärke und Verhandlungsbereitschaft parallel verfolgt werden.

Die Tatsache, daß die Regierung Reagan sich nicht in die Tradition der republikanischen Nixon/Kissinger-Außenpolitik gestellt hat, belastet die amerikanische Außenpolitik weiterhin mit folgender Hypothek: Es fehlt der historische, ja der philosophische Bezugspunkt. Vielmehr basierte die Außenpolitik der Regierung Reagan auf einer überholten Mischung von Ideologisierung und Kreuzzugsmentalität. Die Politik gegenüber der Dritten und Vierten Welt war zum Teil nicht ungeschickt: Vor den Küsten der USA mit Blick auf Lateinamerika haben die antikommunistische Komponente und das eigene Interesse deutlich Vorrang. In Richtung Asien über den Pazifik sind Reagans Überlegungen nicht ohne visionäre Kraft.

Unter globaler Perspektive gibt es eine negative Gemeinsamkeit zwischen den beiden Supermächten. Beiden ist es nicht gelungen, unter einer kooperativen Perspektive regionale oder globale Konflikte einzudämmen, weil gegenseitige Eindämmung Gemeinsamkeiten zu selten zugelassen hat. Aber der Rest der Welt will sich nicht vor die Wahl zwischen Pax Americana oder Weltkommunismus stellen lassen, sondern sucht mehr Distanz zu beiden. Diese Tendenz ist gefährlich.

Wir müssen bei aller Kritik an der amerikanischen Außenpolitik deutlich machen, daß wir in der Substanz solidarisch sind und uns keine Position der Äquidistanz erlauben können. Aufgrund der trennenden Werte zwischen Ost und West kann nicht Vertrauen, sondern nur eine gesunde Portion des Mißtrauens die Grundlage für eine realistische Sicherung der westlichen Interessen bilden.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Christian Hacke, Dr. phil., geb. 1943; seit 1980 Professor für Politikwissenschaft/Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Die Ost-und Deutschlandpolitik der CDU/CSU — Wege und Irrwege der Opposition seit 1969, Köln 1975; (als Hrsg.) J. B. Gradl, Stets auf der Suche. Reden, Äußerungen und Aufsätze zur Deutschlandpolitik, Köln 1979; Die Ära Nixon-Kissinger 1969— 1974. Konservative Reform der Weltpolitik, Stuttgart 1983; Von Kennedy bis Reagan. Grundzüge der amerikanischen Außenpolitik 1960— 1984, Stuttgart 1984; Amerikanische Nahost-Politik. Kontinuität und Wandel von Nixon bis Reagan, München 1985; Von Adenauer zu Kohl: Zur Ost-und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik 1949— 1985, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51-52/85.