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Immigration, Geburtenentwicklung und Wirtschaft | APuZ 18/1989 | bpb.de

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APuZ 18/1989 Die Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland Immigration, Geburtenentwicklung und Wirtschaft Diskurs über Bevölkerungsfragen und Familienpolitik Bevölkerungsentwicklung und Auswirkungen auf die Rentenversicherung

Immigration, Geburtenentwicklung und Wirtschaft

Bernhard Felderer

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Durch die Immigration von Spätaussiedlern und Asylanten wird die Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik in den nächsten zehn Jahren nicht schrumpfen, sondern sogar noch geringfügig wachsen. Langfristig allerdings dürfte eine Schrumpfung der Wohnbevölkerung unabwendbar sein. Der Beitrag erläutert zunächst die wirtschaftlichen Konsequenzen der Immigration. Es wird die Meinung vertreten, daß die Auswirkungen der Immigration für das aufnehmende Land wirtschaftlich gesehen positiv zu beurteilen ist. Anschließend wird die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und des Arbeitsmarktes diskutiert. Der Beitrag kommt zu dem Schluß, daß die demographische Entwicklung zu einem Sinken der Arbeitslosigkeit beitragen kann und die Lohnstruktur sich zugunsten junger Arbeitskräfte ändern wird. Ferner wird erörtert, ob und in welchem Ausmaß technischer Fortschritt von der demographischen Entwicklung abhängt. Da der technische Fortschritt nicht nur von der Bevölkerungsentwicklung beeinflußt wird, ist eine eindeutige Aussage sehr schwierig. Die Meinungen tendieren dahin, bei schrumpfender Bevölkerung einen eher schwachen negativen Einfluß auf die Höhe des technischen Fortschritts anzunehmen.

Die Neigung der Deutschen und Europäer, Kinder zu haben, ist in den letzten Jahren in zahlreichen Studien untersucht worden. Obwohl man als Ergebnis dieser Arbeiten nicht etwa den prozentualen Anteil jedes möglichen Kausalfaktors am Geburtenrückgang festmachen kann, so sind jetzt doch gewisse Vorstellungen von den Gründen der Bevölkerungsentwicklung vorhanden. Davon soll in diesem Aufsatz allerdings nicht die Rede sein. Es soll nur eine Schlußfolgerung hervorgehoben werden, die aus allen genannten Studien hervorgeht: Der Geburtenrückgang ist ein langfristiges, mit der Wirtschaftsentwicklung eng verbundenes Phänomen. Ein rascher Wiederanstieg der niedrigen Geburtenrate auf ein bestandserhaltendes Niveau ist selbst bei Interventionen des Staates in der Größenordnung, wie sie in anderen Ländern schon durchgeführt worden sind und in der Bundesrepublik diskutiert werden, gänzlich unwahrscheinlich. Der Schrumpfungsprozeß der Bevölkerung, der in einigen Industrieländern schon begonnen hat, ist auf Jahrzehnte angelegt und nicht kurzfristig reversibel. Charakteristisch für die Situation in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird die starke Diskrepanz der Bevölkerungsentwicklung in den entwickelten Industrieländern und den Entwicklungsländern sein. Obwohl auch in fast allen Entwicklungsländern das Maximum der Geburtenrate überschritten zu sein scheint und die Reproduktionsrate in den meisten Entwicklungsländern sinkt, ist das Bevölkerungswachstum in vielen Ländern der Welt immer noch höher, als es jemals in Europa war. Diese Länder sind zum Teil im Verhältnis zu ihren Ressourcen dicht besiedelt und werden bei gegebener Produktionstechnologie und sozialer Struktur bei Naturkatastrophen/Mißernten immer wieder in Schwierigkeiten kommen. Solche Staaten sind potentielle Auswanderungsgebiete. Die Industrieländer mit ihren schrumpfenden Bevölkerungen sind potentielle Einwanderungsländer.

I. Die Bundesrepublik: Ein Einwanderungsland

Jede Prognose bzw. Modellrechnung der Bevölkerungsentwicklung muß sich mit der Frage auseinandersetzen, in welchem Umfang in Zukunft Einwanderung in die Bundesrepublik stattfinden wird. Wenn die gegenwärtig hohe Zahl von Spätaussiedlern von rund 200 000 im Jahr einige Jahre beibehalten werden könnte — was nach den politischen Ereignissen der letzten Monate wenig wahrscheinlich erscheint — und zusätzlich mit 100 000 bis 150 000 anderen Zuwanderern einschließlich Asylanten gerechnet werden muß, wird die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Jahrtausendwende noch um mehrere Millionen anwachsen. Selbst bei sehr restriktiver Handhabung der Einwanderung in die Bundesrepublik wird die Bevölkerung also bis zur Jahrtausendwende mit hoher Wahrscheinlichkeit noch etwas wachsen, weil bis dahin die jährliche Schrumpfung der ansässigen Bevölkerung circa 190 000 Personen nicht überschreitet.

Langfristig steigt der Zuwanderungsbedarf zur Konstanthaltung der Bevölkerung in der Bundesrepublik je nach Modellrechnung bis auf 400 000 an. Es scheint kaum vorstellbar, daß eine so hohe jährliche Zahl von Einwanderern aus fremden Sprach-und Kulturgebieten noch in dem Sinn integriert werden kann, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik weiterhin eine kulturell homogene Nation bleibt. Deshalb muß man in langfristiger Perspek-tive von einer Schrumpfung der Bevölkerung ausgehen. Die ökonomischen Voraussetzungen für eine Einwanderung in die Bundesrepublik, sowohl vom Entsendungs-als auch vom Aufnahmeland gesehen, werden voraussichtlich jedoch sehr günstig sein.

Zumindest aus der Sicht des Einwanderungslandes spricht vieles dafür, die Einwanderung zu liberalisieren und damit zu erleichtern: Einwanderer haben in der Regel eine besonders hohe Leistungsbereitschaft. Ihre Lem-und Anpassungswilligkeit, ihre regionale und berufliche Mobilität ist überdurchschnittlich. Bei genauerer Betrachtung erkennt man aber auch, daß nicht zuletzt wegen der heterogenen Herkunft der Einwanderer sehr große Qualifikationsunterschiede festzustellen sind. Die öffentlichen und privaten Kosten von Qualifizierungsmaßnahmen sind beträchtlich. Sie haben zu der oft geäußerten Vermutung geführt, daß diese Kosten plus die Kosten, die den Sozialhaushalten entstehen, höher sind als der Beitrag, den ein Einwanderer zur Produktion des Einwanderungslandes leisten kann. Abgesehen davon, daß solche Rechnungen höchst problematisch sind, zeigen ihre Ergebnisse in eine ganz andere Richtung: Wenn nicht gerade nur Menschen einwandern, die kurz vor oder im Rentenalter sind, ist die Zuwanderung aus der Sicht des Aufnahmelandes unter ökonomischen Aspekten positiv zu beurteilen, auch wenn die Belastung der Sozialhaushalte berücksichtigt wird.

Die Problematik der Einwanderung liegt vielmehr in der Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung. Man darf nicht vergessen, daß Einwanderer mit Einheimischen in Konkurrenz um Arbeitsplätze, Wohnungen etc. treten. Kaum jemand begrüßt steigende Konkurrenz, wenn er selbst davon betroffen ist. Diejenigen, die diesen Druck zuerst zu spüren bekommen, sind die unteren sozialen Schichten. Ausländerfeindlichkeit ist ein Weg, sich gegen diesen Druck zu wehren. So verständlich diese Haltung ist. so sollte man doch erkennen, daß es nicht im Interesse der Gesamtwirtschaft und Gesellschaft sein kann, dieser Ausländerfeindlichkeit nachzugeben. Wären die Zuwanderer in die Bundesrepublik des Jahres 1988 als Kinder der heimischen Bevölkerung geboren worden, würden sie problemlos akzeptiert und integriert werden, obwohl ökonomisch dieselbe Konkurrenz um Arbeitsplätze. Wohnungen etc. entsteht. In diesem Fall wäre die Bevölkerung 1988 um etwa ein halbes Prozent gewachsen, was im Vergleich zu vielen Entwicklungsländern sehr bescheiden ist.

Die Einwanderer bedrohen vermeintlich gewachsene Rechte von Einheimischen. Diese Rechte und die Angst vor ihrem Verlust sind aber gleichbedeutend mit einer gewissen Erstarrung des marktwirtschaftlichen Systems. Es kann nicht im Interesse der Gesamtwirtschaft sein, solche Verkrustungen zu schützen. Natürlich wird man den Politikern konzedieren müssen, daß nicht immer das getan werden kann oder soll, was volkswirtschaftlich sinnvoll ist.

Einen Denkfehler sollte man bei der Analyse der Wirkungen von Einwanderung nicht machen: Man kann nicht unterstellen, daß die Zahl der Arbeitsplätze und der Wohnungen gleichsam konstant seien und nach Zuwanderung zwischen Ausländern und Inländern geteilt werden müsse. Selbstverständlich wird sich das Angebot von Arbeitsplätzen am Arbeitsmarkt und das Angebot von Wohnungen am Wohnungsmarkt der neuen Nachfrage anpassen, d. h. erhöht werden. Beides benötigt jedoch Zeit. Der Unternehmer muß zuerst durch Investition die nötigen Voraussetzungen für zusätzliche Beschäftigung schaffen und die Wohnung muß erst geplant und gebaut werden. Diese Anpassungen können von Preissignalen begleitet sein, die den Anpassungsprozeß beschleunigen: vor allem sind dies langsamer steigende, vielleicht sogar sinkende Löhne und höhere Mieten. Andererseits sind sinkende Löhne keineswegs immer eine notwendige Voraussetzung für eine Anpassung; allgemein aber gilt: je unflexibler die Preise, desto krisenhafter die nötigen Anpassungsvorgänge in der Volkswirtschaft.

II. Gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Bevölkerungsentwicklung

Wir haben oben festgestellt, daß langfristig trotz einer gewissen Einwanderung eine schrumpfende Bevölkerung zu erwarten ist. Hier soll der Frage nachgegangen werden, ob dies zu einer krisenhaften Entwicklung führen muß. weil Nachfrage entfällt. Diese Frage wurde zur Zeit der großen Wirtschaftskrise und ihrer theoretischen Bewältigung auf andere Weise beantwortet als heute. Während in den dreißiger Jahren von vielen Autoren die Meinung vertreten wurde, daß ein Teil des Nachfrage-ausfalls während dieser Zeit auf nicht mehr wachsende Bevölkerung zurückgeführt werden kann, hat man sich heute auf eine andere Sicht geeinigt: Auch bei schrumpfender Bevölkerung ist ein Nachfrageausfall kaum denkbar, weil das Preissystem genügend flexibel ist. um Angebot und Nachfrage von Produktionsfaktoren und Gütern auf allen Märkten jedenfalls mittel-und langfristig auszugleichen. Damit aber ist eine Unterbeschäftigung von Produktionsfaktoren, insbesondere von Arbeitskräften, aus demographischen Gründen ausgeschlossen.

Die These vom globalen Nachfrageausfall beruhte auf drei Annahmen: Erstens wurde die Erwartung geäußert, daß bei schrumpfender Nachfrage eine Fehlentscheidung eines Unternehmers sehr viel härter sanktioniert würde als bei wachsender Bevölkerung. Daraus müßte sich eine größere Zurückhaltung und Vorsicht der Unternehmen ergeben. Zweitens wurde angenommen, daß die Sparneigung zunimmt, oder zumindest nicht abnimmt. Drittens wurde befürchtet, auch ein sinkender Realzins könnte nicht fähig sein, den Ausgleich von Ersparnissen und Investition herbeizuführen, weil die letzten Variablen nicht nur vom Zins abhängen würden und der Zins vielleicht auch gar nicht weit genug sinken könnte.

Wie erwähnt besteht aus heutiger Sicht eine solche Gefahr nicht. Zwar ist denkbar, daß es bei einigen langlebigen Gütern, wie Wohnungen, einen vorübergehenden Nachfragerückgang geben wird, der stärker ist als der Rückgang der Bevölkerung. Ein solcher Vorgang könnte aber durch Investitionen in anderen Bereichen kompensiert werden. Auch für die Befürchtung, die Sparneigung einer schrumpfenden Bevölkerung müßte steigen, gibt es weder theoretische noch empirische Anhaltspunkte.

Bei Bevölkerungsschrumpfung werden bildlich gesprochen mit jedem Menschen nicht nur zwei Hände, sondern auch ein Mund weggenommen; bei wachsender Bevölkerung bzw. bei Einwanderung kommen Hände und Mund hinzu; d. h. mit schrumpfender bzw. mit steigender Nachfrage wird auch das Angebot an Produktionsfaktoren propor17 tional angepaßt. Wenn das Preissystem nicht sehr stark an seinem Funktionieren gehindert wird, ist es hervorragend geeignet, eine Koordination von Gütemachfrage und Angebot von Produktionsfaktoren herbeizuführen. Ein gesamtwirtschaftliches Brachliegen von Produktionsfaktoren ist also bei schrumpfender Bevölkerung nicht zu erwarten. Die Nachfrage pro Kopf wird sich nicht verändern, nur weil die Zahl der Köpfe sich ändert.

Die Struktur der Gesamtnachfrage allerdings dürfte sich bei Bevölkerungsschrumpfung erheblich ändern. So wird beispielsweise der Anteil der Bauindustrie an der Gesamtnachfrage vorübergehend zurückgehen. Es ist denkbar, daß der Rückgang im Wohnungsbau in den achtziger Jahren bereits teilweise durch die Unsicherheit bezüglich der Bevölkerungsentwicklung verursacht worden ist. Zusammenfassend kann man aber sagen, daß die Änderungen der Nachfragestruktur, die aus demographischen Gründen zu erwarten sind, geringer sind, als andere, die in der Vergangenheit zu beobachten waren und auch in der Zukunft auf uns zukommen werden.

III. Arbeitsmarkt

In den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird der Arbeitsmarkt durch ein merkwürdiges Phänomen gekennzeichnet sein: Durch den Baby-Boom in der ersten Hälfte der sechziger Jahre und den in kaum zehn Jahren folgenden dramatischen Rückgang der Geburten um fast 50 Prozent haben wir gegenwärtig sehr viele Berufsanfänger und erwarten schon in Kürze einen Mangel an jungen Arbeitskräften. Die traditionellen Gehaltsstrukturen innerhalb der Unternehmen werden voraussichtlich in Frage gestellt werden. Wenn es richtig ist, daß es altersspezifische Arbeitsplätze gibt und eine Substitution innerhalb der Altersgruppen nur beschränkt möglich ist, muß das Einkommen der geburtenschwachen Jahrgänge im Vergleich zu den älteren Altersgruppen ansteigen. Noch wichtigere Effekte gehen von der absoluten Zahl der neuen Erwerbstätigen aus. Diesen Zusammenhang kann man sich vereinfacht wie folgt klarmachen: Der Arbeitsmarkt ist zwar auch ein Markt wie viele andere, auf dem sich Angebot und Nachfrage gegenüberstehen. Er weist allerdings bestimmte Besonderheiten auf, die sich daraus ergeben. daß hier eben nicht Güter oder Kapital, sondern menschliche Arbeitszeit gehandelt wird. Nicht nur wegen viel dichterer Reglementierung und längerfristig bindender Verträge zwischen den Tarif-parteien, sondern durchaus auch aufgrund des Verhaltens der Marktpartner sind die Transaktionszeiten länger bzw.der Markt und der Marktpreis, also der Lohnsatz, weniger flexibel als auf anderen Märkten. Einerseits muß der Unternehmer erst Investitionen durchführen, um neue Arbeitskräfte einstellen zu können. Andererseits haben die Arbeitnehmer ganz bestimmte Ausbildungs-und Erwartungsprofile und sind erst nach längeren Suchprozessen bereit, Kompromisse zwischen Erwartungen und tatsächlichen Angeboten einzugehen. Wegen des letztgenannten Phänomens ist es deshalb auch denkbar, daß trotz zahlreicher offener Stellen die Arbeitslosigkeit zunimmt, wenn neue Arbeitskräfte in großer Zahl auf den Arbeitsmarkt drängen. Zusammengefaßt kann man sagen, daß dies alles in eine Richtung wirkt: Anpassungen auf dem Arbeitsmarkt gehen wesentlich langsamer vor sich als auf anderen Märkten. Diese Eigenschaft führt dazu, daß bei starken Strukturbrüchen — wie z. B.der Energiekrise 1974 — Arbeitslosigkeit entsteht, die jahrelang kaum reduziert werden kann. Diese Schwerfälligkeit des Arbeitsmarktes scheint eng mit der Höhe des Pro-Kopf-Einkommens verbunden zu sein: Die Suchprozesse werden mit zunehmendem Wohlstand länger.

Wenn wir dieses Bild des Arbeitsmarktes vor Augen haben, ist es keinesfalls überraschend, daß in Jahren starker Neuzugänge am Arbeitsmarkt die Arbeitslosigkeit ansteigt. Umgekehrt wird die Arbeitslosigkeit zurückgehen, wenn die Zahl der Berufsanfänger abnimmt. Dieses Phänomen ist also keineswegs darauf zurückzuführen, daß es eine mit Hilfe einer angenommenen, konstanten Arbeitsproduktivität langfristig berechenbare Arbeitsnachfrage der Wirtschaft gäbe und diese mit dem demographisch bedingten Arbeitsangebot nicht übereinstimmt. Weder ist die Arbeitsproduktivität langfristig konstant, noch gibt es so etwas wie einen langfristig feststehenden Bedarf der Wirtschaft an Arbeitskräften. Grundsätzlich kann jede Zahl von Arbeitskräften Beschäftigung finden! Bei hohen Neuzugängen am Arbeitsmarkt werden die dadurch notwendigen Strukturänderungen aber so groß sein und die Suchprozesse so lange dauern, daß über lange Zeit hohe Arbeitslosigkeit möglich ist. Die künftige Bevölkerungsentwicklung begünstigt die Realisierung des wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziels, das die Vollbeschäftigung nun einmal darstellt, da sie die Zahl der Neuzugänge auf dem Arbeitsmarkt reduziert.

Die Arbeitsmarktpolitik wird sich in den nächsten Jahren noch stärker als bisher auf die Qualifizierung von Arbeitnehmern und hier zunehmend von ausländischen Arbeitnehmern richten müssen. Einwanderer ohne ausreichende Qualifikation können eine Gesellschaft mit einer entwickelten Sozialgesetzgebung tatsächlich mehr kosten, als sie produzieren können.

IV. Knappe Ressourcen und Umwelt

Hier finden sich, je nach Blickwinkel des Betrachters, zwei verwandte Sichtweisen, die einen gemeinsamen malthusianischen Kern haben. Zum einen wird spätestens seit den sechziger Jahren die angeblich zunehmende Knappheit von Rohstoffen mit der Bevölkerungsentwicklung in Zusammenhang gebracht. Zum anderen wird, auf die Situation der Industrieländer bezogen, die Ansicht geäußert, daß eine kleine Bevölkerung auch einen kleinen Verbrauch an knappen Ressourcen, insbesondere auch Energie, haben würde. Damit würde sich auch eine Schonung der Umwelt ergeben. Diese allgemein akzeptierten Thesen müssen bei genauerer Betrachtung erheblich modifiziert werden.

Zunächst trifft es nicht zu, daß die Knappheit von Rohstoffen zugenommen hätte. Man kann im Gegenteil nachweisen, daß alle Rohstoffe heute reichlicher vorhanden sind als noch vor einigen Jahren oder Jahrzehnten. Das erkennt man zunächst daran, daß die Rohstoffmengen in bekannten, unter heute wirtschaftlichen Bedingungen abbaubaren Vorkommen, ständig zugenommen haben. In anderen Worten kann man sagen, daß die Restlebenszeit eines Rohstoffes bei heutiger Abbaugeschwindigkeit im Laufe der Jahre angestiegen ist. Man erkennt die abnehmende Knappheit von Rohstoffen aber auch an der Entwicklung ihrer Preise. Diese Preise sind weniger angestiegen als die Preise anderer Produktgruppen, insbesondere wesentlich langsamer als der Preis der Arbeit. Da der relative Preis immer noch der zuverlässigste Knappheitsindikator ist, können wir aus einem sinkenden relativen Preis nur schließen, daß die relative Knappheit abgenommen hat.

Für die Zukunft kann man folgendes festhalten: Die Möglichkeiten der Substitution erschöpfbarer Ressourcen erscheinen heute nahezu unbegrenzt. Man kann zeigen daß es praktisch keinen Rohstoff gibt, der nicht durch Elemente ersetzt werden kann, die auf der Erde nahezu unbegrenzt vorhanden sind: Metalle und Mineralien werden so stark von Elementen bestimmt, die aus unbegrenzten Quellen gewonnen werden können oder für die Substitute verfügbar sind, daß ihr Durchschnittspreis von der Ausschöpfung natürlicher Ressourcen so gut wie unabhängig ist. Eine besondere Rolle spielt die Energie: Die Möglichkeit, aus fossilen Energiequellen Energie zu erzeugen, wird irgendwann zu Ende gehen. Die Substitution fossiler Energieträger durch andere Energiequellen wird deshalb immer wichtiger werden. Hierher gehört die Weiterentwicklung der Atomenergie, der Sonnenenergie und anderer alternativer Energieerzeugungsformen.

Es kann heute nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob diese Probleme zufriedenstellend gelöst werden können. Robert M. Solow, Nobelpreisträger für Nationalökonomie, meint dazu: „Den technischen Fortschritt (in Zukunft) zu unterstellen ist jedoch nur eine Annahme, und man kann nicht sicher sein. Aber das Gegenteil zu erwarten, ist ebenfalls eine Annahme und viel weniger plausibel.“

Auch die oben angesprochene Beziehung zwischen Umwelt und Bevölkerungsentwicklung in den Industrieländern bedarf einer Korrektur. Selbstverständlich ist es unbestreitbar, daß weniger Menschen bei gleicher Produktions-und Lebensform auch weniger Umweltzerstörung verursachen. Während aber eine schrumpfende Bevölkerung bei voraussichtlicher Schrumpfungsgeschwindigkeit die Umwelt in den nächsten zehn Jahren überhaupt nicht und danach nur sehr langsam entlastet, ist bei entsprechendem Kapitaleinsatz und Bereitstellung der bekannten Technologien in ein bis zwei Jahrzehnten eine sehr weitgehende Reduktion der Neu-verschmutzung möglich. Bei dem gegebenen katastrophalen Zustand gewisser Bereiche der Umwelt stellt nur ein rascher Einsatz von Technik, d. h. hohe Umweltschutzinvestitionen, eine sinnvolle Strategie dar und nicht das Warten auf eine langfristig schrumpfende Bevölkerung. Die Abhängigkeit der Umweltverschmutzung und -Zerstörung von den Produktions-und Konsumformen der Menschen wird dann besonders deutlich, wenn wir annehmen, daß jeder Mensch auf der Welt die Umwelt genau so verschmutzt wie ein durchschnittlicher Nordamerikaner oder Westeuropäer: Die Menschheit würde dann in kurzer Zeit zugrunde gehen.

V. Technischer Fortschritt

Technischer Fortschritt im ökonomischen Sinn ist ein Sammelsurium von Einflußfaktoren, die den Output einer Firma oder Volkswirtschaft bei gleichem Faktoreinsatz steigern oder bei vermehrtem Faktoreinsatz eine überproportionale Steigerung des Outputs bewirken. Man nennt den technischen Fortschritt deshalb gelegentlich auch „Residualfaktor“. Gibt es keinen technischen Fortschritt, muß sich bei Vermehrung der Produktionsfaktoren um einen Faktor X auch das Produkt um diesen Faktor X verändern. Zwei identische Fabriken müssen bei gleichen sonstigen Bedingungen genau das zweifache einer Fabrik produzieren. Wenn die zwei Fa-19 briken mehr als das doppelte produzieren, so ist die Technologie geändert worden: Technischer Fortschritt hat stattgefunden.

In zahlreichen empirischen Arbeiten ist nun immer wieder festgestellt worden, daß die Produktionsmenge stärker ansteigt als die Produktionsfaktoren. Von den Ökonomen wird dieses Phänomen als steigende Skalenerträge bezeichnet. Man kann durchaus schließen, daß es offenbar bestimmte Formen von technischem Fortschritt gibt, die eng mit der Größe einer Volkswirtschaft, eines Sektors oder eines Unternehmens Zusammenhängen. Darüber hinaus existiert aber auch hoch anderer technischer Fortschritt, der statistisch unabhängig vom Umfang des Faktoreinsatzes ist.

Die Bedeutung des technischen Fortschritts (einschließlich steigender Skalenerträge) für die Beantwortung der Frage nach den langfristigen Folgen einer schrumpfenden Bevölkerung ist kaum zu überschätzen. Abramowitz beispielsweise schätzt, daß der säkuläre Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens in den USA zwischen 1896 und 1953 nur zwischen fünf bis zwanzig Prozent auf den Mehreinsatz der Faktoren zurückzuführen ist. Alles andere muß also dem technischen Fortschritt zugerechnet werden. Untersuchungen auch für andere Länder kommen zu ähnlichen Ergebnissen Im folgenden soll zwischen inputmengen-abhängigen technischem Fortschritt (steigende Skalenerträge) und technischem Fortschritt allgemein, der auch den ersteren mit erfaßt, unterschieden werden. Steigende Skalenerträge sind — wie erwähnt — oft festgestellt worden: Meist wird geschätzt, daß die Produktion um zehn bis 20 Prozent mehr ansteigt, als der Input der Faktoren. Dieser Umstand kann zwei Erklärungen haben:

1. Steigende Skalenerträge entstehen durch Unteilbarkeiten der Produktionsfaktoren. Wird ein Produktionsfaktor durch Hinzufügen einer neuen unteilbaren Einheit erhöht, ist sein Einsatz als Faktorinput zunächst nur teilweise möglich. In der Folgezeit entstehen bei zunehmender Auslastung dieser Einheit Produktionszuwächse, ohne daß der Einsatz dieses Faktors erhöht werden müßte. Der dadurch entstehende „Meßfehler“ zeigt die Skalenerträge an. Dieses Argument erscheint besonders bei Infrastrukturinvestitionen plausibel.

2. Skalenerträge haben ihren Grund in der Tatsache, daß größere Unternehmen in vielen Branchen die Produkteinheit billiger produzieren als kleinere. Es wird also angenommen, daß sich die Produktionstechnologie bei Übergang zu größeren Produktionsmengen ändert. Gerade weil die Produktionstechnologie sich ändert, handelt es sich bei diesem Argument eigentlich nicht um Skalenerträge.

Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Erklärungen ist bei schrumpfender Bevölkerung relevant. Bei Geltung der unter 2. genannten Erklärung würde die Produktion pro Kopf von der Schrumpfung negativ beeinflußt werden, wenn auch die Unternehmen bzw. Betriebsgrößen im Durchschnitt verkleinert werden. Bei Geltung der unter 1. gegebenen Erklärung würde das Pro-Kopf-Einkommen von der Schrumpfung nicht verändert werden.

Neben dem Argument der Skalenerträge existiert eine große Zahl von Hypothesen und Theorien über den Zusammenhang von technischem Fortschritt und Bevölkerungsentwicklung. So wird argumentiert, daß eine größere Bevölkerung auch eine größere Wahrscheinlichkeit bietet, daß kreative Personen auftreten, die technischen Fortschritt bewirken. Hierzu muß man bedenken, daß bei dem weltweiten intensiven Austausch von Informationen eine Benachteiligung einer kleineren oder langsam wachsenden Bevölkerung wegen der Übernahme bzw.der Nachahmung von Technologien nicht zu befürchten ist.

In der Vergangenheit wurde oft die Vermutung geäußert, daß das mit dem Schrumpfungsprozeß der Bevölkerung einhergehende höhere Durchschnittsalter der Beschäftigten zu einer Abnahme der durchschnittlichen Produktivität führen könnte. Es steht außer Frage, daß die menschliche Arbeitskraft eng mit der physischen Leistungsfähigkeit verknüpft ist. Diese physische Leistungsfähigkeit nun erreicht nach empirischen Untersuchungen ihren Höhepunkt zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr. Der Schrumpfungsprozeß der Bevölkerung wird die durchschnittliche physische Leistungsfähigkeit daher negativ beeinflussen. Aber die Produktivität hängt auch von erlernten Fähigkeiten ab. Ein älterer Mensch wird in der Regel über mehr Fähigkeiten und Erfahrungen verfügen als ein jüngerer Mensch. Diesem für die Produktivität eines älteren Menschen sprechenden Umstand wird aber dadurch entgegengewirkt, daß gerade in den letzten Jahrzehnten Wissen und Erfahrung relativ schnell veralteten. Daraus ergibt sich ein Nachteil für ältere Arbeitnehmer, deren Schwierigkeit, Neues zu erlernen, nachweislich physische Ursachen hat. Ein möglicher Indikator für die gesamte Produktivität eines Menschen ist das Einkommen. Der Höhepunkt der Einkommensentwicklung eines durchschnittlichen Arbeitnehmers liegt zwischen 30 und 45 Jahren. Auch bei Zugrundelegung pessimistischer Annahmen bezüglich der weiteren Bevölkerungsentwicklung wird das Durchschnittsalter diese Grenze aber nicht überschreiten. Folglich dürfte die Variable Alters-struktur — wenn überhaupt — nur einen geringen Einfluß auf die Durchschnittsproduktivität ausüben. Neben der Fähigkeit, Neues zu erlernen, fordert der technische Fortschritt eine weitere Eigenschaft vom Arbeitnehmer: Mobilität. Technischer Fortschritt bringt einen Wandel der wirtschaftlichen Strukturen mit sich. Mobilität bedeutet in diesem Zusammenhang die Fähigkeit des Arbeitnehmers, sich diesen Wandlungen anzupassen. Dazu gehört die Bereitschaft, den Beruf oder gar die Branche zu wechseln ebenso wie regionale Mobilität. Eine wachsende Bevölkerung ist auch ohne individuelle Mobilität recht gut in der Lage, sich ändernden Strukturen anzupassen. Berufsanfänger gehen zumeist in wachsende Branchen und wachsende Bevölkerungen zeichnen sich ja gerade durch eine relativ hohe Zahl von Berufsanfängern aus. Sinkende Bevölkerungszahlen werden dagegen häufigeren Berufs-oder Wohnortwechsel erzwingen. Laut empirischen Untersuchungen nimmt die Mobilität aber mit steigendem Alter stark ab, wohingegen der Rückgang der physischen und geistigen Kräfte bzw.der Leistungsfähigkeit eines Menschen erst später zu verzeichnen ist. Der Bevölkerungsrückgang, so die Quintessenz dieses Abschnitts, könnte nun wegen des mit ihm verbundenen höheren Durchschnittsalters zu abnehmender Mobilität und somit einer Behinderung des technischen Fortschritts führen. Tatsächlich gibt es empirische Untersuchungen, die einen Zusammenhang von technischem Fortschritt und der Größe eines Marktes, also der Nachfrage, nahelegen. Schmookler weist für US-Daten nach, daß rasch wachsende Märkte oder Bevölkerungen relative hohe Raten technischen Fortschritts aufzeigen. Eine weitere Untersuchung verknüpft die Rate des technischen Fortschritts mit konjunkturellen Nachfrageänderungen. Die Autoren stellen fest, daß der technische Fortschritt mit einer statistisch signifikanten Verzögerung von vier bis sieben Jahren auf Konjunkturschwankungen reagiert.

Eine einfache Plausibilitätsüberlegung spricht dafür, daß der Bevölkerungsrückgang auch die Stoß-richtungdes technischen Fortschritts beeinflussen könnte. Wenn die menschliche Arbeitskraft knapper wird, dürfte sich der relative Preis dieses Faktors erhöhen: die Löhne müßten steigen. Vermutlich werden bei Bevölkerungsrückgang deshalb vermehrt arbeitssparende Technologien entwickelt. In diesem Zusammenhang ist eine Studie besonders interessant, in der die Entwicklung der nordamerikanischen Landwirtschaft von 1880 bis 1960 mit derjenigen Japans verglichen wird. Die Auswahl der Länder geschah nicht zufällig. Die USA sind ein Beispiel für ein Land, daß mit landwirtschaftlich nutzbarer Fläche reichlich ausgestattet ist; Japan dagegen zählt zu den Ländern mit der geringsten Agrarfläche pro Beschäftigten auf der Welt. Beide Länder konnten im Vergleichszeitraum ähnlich hohe Effizienzgewinne realisieren, mit einem wesentlichen Unterschied: in den USA wurde vor allem der Faktor Arbeit, in Japan dagegen der Faktor Boden eingespart.

Die einzige verläßliche Voraussage über die Reaktion des technischen Fortschritts auf demographische Änderungen ist die. daß einmal vorhandenes technisches Wissen auch bei schrumpfender Bevölkerung nicht verlorengehen wird. Weitergehende Aussagen aber sind schwierig, auch wenn die oben genannten Überlegungen darauf hinweisen, daß eine schrumpfende Bevölkerung dem Fortschritt kaum förderlich sein dürfte. Die wachsende Bevölkerung in der Anfangsphase der Industrialisierung übte sicherlich einen Innovationsdruck auf die Wirtschaft aus. Ohne technischen Fortschritt wäre das Bevölkerungswachstum in dieser Zeit gar nicht möglich gewesen. Auf der anderen Seite kann man technischen Fortschritt auch als innewohnendes Prinzip einer auf Wettbewerb beruhenden Marktwirtschaft begreifen. Wettbewerb besteht ja gerade darin, sich durch technische Neuerungen Vorteile gegenüber Konkurrenten zu verschaffen. Wenn diese Sicht richtig ist. wird sich das Tempo des technischen Fortschritts wegen der schrumpfenden Bevölkerung kaum verlangsamen.

VI. Pro-Kopf-Einkommen

Das Pro-Kopf-oder Pro-Stunden-Einkommen war als wichtiger Wohlstandsindikator Untersuchungsobjekt umfangreicher Simulationsrechnungen Langfristig muß man davon ausgehen, daß eine schrumpfende Bevölkerung das Pro-Kopf-Einkommen negativ beeinflußt. Dies gilt besonders für den Vergleich von Varianten, die unter der Annahme hohem technischen Fortschritts und hoher Skalen-erträge errechnet wurden. Aber auch ohne Unterstellung technischen Fortschritts und/oder bei konstanten Skalenerträgen bleibt die negative Korrelation zwischen schrumpfender Bevölkerung und Pro-Kopf-Einkommen bestehen. Es bleibt aber festzuhalten, daß der Zusammenhang den Modell-rechnungen zufolge eher schwach ist. Für die Entwicklung der Pro-Kopf-Einkommen ist ein unge-bremstet technischer Fortschritt weitaus wichtiger einzuschätzen als die Altersstruktur der Gesellschaft.

Die Simulationen zeigen ebenfalls, daß die untersuchten Phänomene erst langfristig zum . Tragen kommen. Vergleicht man die ökonomischen Veränderungen, die durch unterschiedliche Geburten-entwicklung verursacht werden, so stellt man fest, daß nennenswerte Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen erst nach circa 50 Jahren deutlich werden. Deshalb macht sich aber auch eine Rückkehr zu höheren Geburtenziffern nach einigen Jahren erst langfristig bemerkbar. Eine bereits angelegte Tendenz zu sinkenden Einkommen kann daher auch bei wieder steigenden Geburtenraten nur beschränkt verhindert werden.

Kurzfristig kann eine schrumpfende Bevölkerung dagegen einen positiven Effekt auf die durchschnittlichen Einkommen haben. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist eine schrumpfende Bevölkerung in den ersten Jahren überkapitalisiert: die Langlebigkeit einiger Kapitalgüter verhindert, daß der Anlagenbestand im Gleichschritt mit der Bevölkerungsentwicklung abgebaut werden kann. Deshalb werden vor allem die Preise langlebiger Kapitalgüter zunächst sinken, was unter sonst gleichen Umständen eine Steigerung der Realeinkommen bedeutet. Zum zweiten ist zu beachten, daß zwischen Geburt und Beginn des Erwerbslebens in der Regel zwei Jahrzehnte liegen. In der ersten Phase der Bevölkerungsschrumpfung bleibt daher die Zahl der Erwerbstätigen nahezu unverändert, während sich die Gesamtzahl der Bevölkerung bereits vermindert. Auch dieser Effekt bringt zunächst eine Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens mit sich. Erst wenn die geburtenschwachen Jahrgänge in das Erwerbsleben eintreten, kommt es zu einem geringeren Ansteigen, eventuell sogar zu einem Sinken des Pro-Kopf-Einkommens.

VII. Zusammenfassung

Aufgrund von Einwanderungen in die Bundesrepublik ist kurz-und mittelfristig nicht mit einem starken Absinken der Gesamtbevölkerung zu rechnen. Langfristig dagegen wird eine solche Entwicklung kaum zu verhindern sein, da derartig massive Einwanderungen, wie sie die Konstanthaltung der Bevölkerungszahl erfordern würde, politisch nicht durchsetzbar erscheinen. Aus heutiger Sicht scheint es deshalb wahrscheinlich, daß die Bevölkerung langfristig sinken wird. Eine derartige Entwicklung kann jedoch nach dem derzeitigen Stand der Forschung von einem marktwirtschaftlichen System gut verkraftet werden. Es ergeben sich zwar Nachfrageänderungen, aber ein globaler Nachfrageausfall ist nicht zu befürchten. Auch der Arbeitsmarkt dürfte von der Änderung der Altersstruktur betroffen sein. Die Löhne der jungen Arbeitnehmer werden vermutlich gegenüber denjenigen ihrer älteren Kollegen ansteigen. Die Sucharbeitslosigkeit dürfte wegen der geringeren Zahl der Neuzugänge auf dem Arbeitsmarkt abnehmen.

Eine bedeutende Entlastung der Umwelt bzw. Ressourcenschonung aufgrund der sinkenden Bevölkerungszahlen in den Industrieländern wird sich voraussichtlich nicht ergeben. Die zu erwartende Bevölkerungsschrumpfung scheint aus Umweltgesichtspunkten weitaus weniger bedeutsam als die in der Gesellschaft vorherrschenden Konsumgewohnheiten und die vorhandenen Produktionstechnologien. Ob und in welchem Ausmaß sich die demographische Entwicklung auf das Tempo des technischen Fortschritts auswirkt, ist sehr schwer zu sagen. Den Argumenten, die für diese Vermutung sprechen, wie z. B. die Bevölkerungsdruckhypothese, steht eine Sichtweise des technischen Fortschritts gegenüber, in der technischer Fortschritt als inne-wohnendes Prinzip einer freiheitlichen Marktwirtschaft und somit von der Bevölkerungsentwicklung weitgehend unabhängiges Phänomen aufgefaßt wird. Immerhin läßt sich sagen, daß es kein logisches oder empirisches Argument für die Beschleunigung des technischen Fortschritts durch Bevölkerungsschrumpfung gibt.

Simulationsrechnungen zufolge ist ein Einfluß der demographischen Entwicklung auf das Pro-Kopf-Einkommen wahrscheinlich, jedoch nicht sehr ausgeprägt. Kurzfristig führt eine schrumpfende Bevölkerung zu einem Steigen, langfristig zu einem Sinken des Pro-Kopf-Einkommens. Der Faktor technischer Fortschritt ist allerdings für die Entwicklung der Pro-Kopf-Einkommen weitaus wichtiger als die Bevölkerungsentwicklung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vg. E. Goeller/A. M. Weinberg, The Age of Substi-2utability,, in: Science, 191 (1976).

  2. R. M. Solow, The Economics of Resources or the Resources of Economics, in: American Economic Review, 64 (W 4) 2, S. 1-14.

  3. Vgl. M. Abramowitz. Resource and Output Trends in the US since 1870, in: American Economic Review, 46 (1956), S. 5-23.

  4. Vgl. E. F. Denison. The Sources of Economic Growth and the Alternatives before Us, Committee for Economic Development. New York 1962; ders., Why Growth Rates Differ, Washington 1967; J. W. Kendrick, Productivity Trends in the United States, Princeton 1961.

  5. Vgl. J. Schmookler, Invention and Economic Growth, Cambridge (Mass.) 1966.

  6. Vel. U. Ben-Zion/V. W. Ruttan, Aggregate Demand and the Rate of Technical Change, in: H. P. Binswanger/v; W. Ruttan (Hrsg.), Induced Innovation. Technology, Institutions and Development, Baltimore-London 1978.

  7. Vgl. Y. Hayami/V. W. Ruttan, Agricultural'Development, Baltimore-London 1971.

  8. Vgl. B. Felderer, Wirtschaftliche Entwicklung bei schrumpfender Bevölkerung, Berlin etc. 1983.

Weitere Inhalte

Bernhard Felderer, Dr. rer. pol., geb. 1941; Studium der Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft in Wien; 1964— 1966 Studium der Wirtschaftswissenschaften in Paris (Abschluß: D. E. S.); 1966— 1968 Lehr-und Forschungstätigkeit in Princeton und Chapel Hill, USA; 1968— 1974 Assistent an der Universität Karlsruhe; 1973 Habilitation in Karlsruhe; seit 1974 Professor für Volkswirtschaftslehre in Köln. Veröffentlichungen u. a.: Wirtschaftliche Entwicklung bei schrumpfender Bevölkerung, Berlin etc. 1983; (zus. mit St. Homburg) Makroökonomik und Neue Makroökonomik, Berlin etc. 19894; (zus. mit M. Sauga) Bevölkerung und Wirtschaftsentwicklung, Frankfurt-New York 1988.