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Die Krise der Moderne Entstehungsbedingungen der New Age-Bewegung | APuZ 40/1989 | bpb.de

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APuZ 40/1989 Artikel 1 Die Krise der Moderne Entstehungsbedingungen der New Age-Bewegung Wie realistisch sind die Träume und Visionen von New Age? New Age und Neue Religiosität New Age: Das „neue Zeitalter“ als Herausforderung für die alten Kirchen

Die Krise der Moderne Entstehungsbedingungen der New Age-Bewegung

Christof Schorsch

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Erwartung eines Neuen Zeitalters scheint in der Bundesrepublik gegenwärtig Hochkonjunktur zu haben, denn die Themen und Thesen der New Age-Bewegung entfalten geradezu Breitenwirkung in der Gesellschaft. Die Anhänger des New Age zeichnen sich durch den festen Glauben aus, ein Neues Zeitalter stünde unmittelbar bevor oder sei bereits angebrochen, das die Geburt eines Neuen Menschen, globalen Frieden und eine ganzheitliche Bewußtseinserweiterung und Vergeistigung der Menschheit mit sich bringe. Erstaunlich ist vor allem, daß Erwartungen wie diese in modernen Gesellschaften erhebliche Verbreitung gefunden haben. Untersucht man die Entstehungsbedingungen der New Age-Bewegung genauer, so erweist sie sich als ein Krisensymptom und als Kind des vielzitierten gesellschaftlichen Wertewandels, aber auch als Ausdruck traditioneller utopischer Wunschbilder und als Antwort auf drängende Sinnfragen. Darin stellt sie eine deutliche Reaktion auf die Grundlagenkrise der Moderne dar. Von einer Krise ist auch deshalb zu sprechen, weil die Grundlagen der Moderne — Naturbeherrschung. Rationalisierung, Verwissenschaftlichung und Säkularisierung — entweder objektiv katastrophale Neben-und Spätfolgen gezeitigt haben oder von vielen zumindest subjektiv für diese verantwortlich gemacht werden. Wo nun die Kritik nicht mehr differenziert, sondern Vernunft und Aufklärung insgesamt diskreditiert sind, sucht man die „Wiederverzauberung der Welt“ als Gegenprogramm zum „Projekt der Moderne“ zu betreiben: Wurde in den sechziger und siebziger Jahren das Prinzip Hoffnung rein innerweltlich und in erster Linie politisch verstanden, so richtet sich die Hoffnung jetzt auf Überwindung der Vernunft und auf die frei flottierende Einbildungskraft. Darin ist die New Age-Bewegung ein nachgerade postmodernes Phänomen.

Die Erwartung eines Neuen Zeitalters scheint in der Bundesrepublik gegenwärtig Hochkonjunktur zu haben: Die Themen und Thesen der New Age-Bewegung entfalten geradezu Breitenwirkung in der Gesellschaft, in Selbsterfahrungs-und Therapiegruppen ebenso wie in Volkshochschulkursen, universitären Seminaren, auf Fortbildungsveranstaltungen, Kongressen u. ä. m. Publizistische Medien wie „Spiegel“ und „Zeit“, „Brigitte“ und „TAZ“ haben längst schon die Bewegung entdeckt und zum Gegenstand ihrer Berichterstattung gemacht, und das ZDF widmete dem Thema 1987 sogar eine achtteilige Sendereihe. Die Agenda der Medien spiegelt die gestiegene Verbreitung und Marktgängigkeit der New Age-Konzepte wider — Ausdruck eines erstaunlichen gesellschaftlichen Interesses an allem Archaischen, Magisch-Mythischen und Mystischen, an „ganzheitlicheren“ und „natürlichen“ Welt-und Menschenbildern, an „postmodernen“ und „postrationalen“ Lebensformen.

Wer diese Entwicklungen verfolgt, der könnte meinen. es habe nie eine „Entzauberung der Welt“ stattgefunden, derart massiv äußert sich das Interesse an allem Nichtrationalen. Die neuerwachte Neugier umfaßt nahezu alles zwischen Astrologie und Zen, von Rutengängerei und Mysterienkulten über Schamanismus, Spiritismus. Geistheilung bis zu Yoga, christlicher Mystik und buddhistischer Meditation. Die Grenzen zwischen einzelnen Gruppen sind dabei fließend und Abgrenzungen durchaus unerwünscht. Um jedoch die New Age-Bewegung von anderen Zeiterscheinungen, wie etwa der Therapie-und Selbsterfahrungsszene, dem Okkultismus-oder Ethnoboom usw. zu unterscheiden, verfährt man am besten operational so, daß man sie anhand ihrer spezifischen Weltanschauung eingrenzt • Wenngleich es in ihr (und anders als z. B. in der Anthroposophie und den sogenannten Jugendsekten) weder eine zentrale Stifter-bzw. Führerpersönlichkeit noch kanonische Texte oder allgemeinverbindliche Ideologeme gibt, so besteht doch innerhalb der Bewegung ein mehr oder weniger expliziter Konsens über Weltanschauung, Werte und Ziele, anhand derer sie sich definiert.

I. Die Weltanschauung der New Age-Bewegung

Die Anhänger der New Age-Bewegung zeichnen sich durch den festen Glauben aus, ein Neues Zeitalter stünde unmittelbar bevor oder sei bereits angebrochen, das die Geburt eines Neuen Menschen, globalen Frieden und eine Bewußtseinserweiterung und Vergeistigung der Menschheit mit sich bringe. Dieser Hang zum Globalen, zu universalen und ultimativen Erklärungsmustem charakterisiert die Bewegung. Darunter befindet sich insbesondere die Deutung von Geschichte als Heilsgeschickte, wobei zahlreiche aus der Religions-und Philosophiegeschichte hinlänglich bekannte Vorstellungen Verwendung finden: Die chiliastische Naherwartung eines „Kosmischen Pfingsten“ verbindet sich u. a. mit Astrologie, I Ging, gnostischen Motiven, philosophischen Spekulationen und über ein Medium mitgeteilte Offenbarungen („channeling") zu einer metaphysisch-mythischen Gesamtdeutung von Geschichte. Infolgedessen wird die Gegenwart als kosmische Wende-Zeit oder sogar als Zeit des End-kampfes zwischen Licht und Finsternis bestimmt — mithin gelten selbst Probleme wie Umweltzerstörung, atomare Rüstung und Naturkatastrophen als notwendig zur Läuterung der Menschheit, um ihre kollektive Bewußtseinserweiterung und Erleuchtung einzuleiten und ein Goldenes Zeitalter des Weltfriedens, der Versöhnung von Mensch und Natur und der „Verwandlung der Menschheit“ in einem „Weltzeitalter der Humanität“ und der „Liebe“ zu verwirklichen „New Age“ wird aber nicht nur im Sinn einer esoterischen Geschichtsmetaphysik oder einer gnostisch-okkulten Mythologie verstanden, sondern der Ausdruck taucht auch als Metapher für Veränderungen auf, die in kulturellen, sozioökonomischen oder spirituellen Kategorien beschrieben werden. Hierin überkreuzen und verschlingen sich mythisch-chiliastische und utopische Geisteslage, weshalb man, um die Bewegung, so facettenreich wie sie nun einmal ist, differenziert darzustellen, das gesamte Netz ihrer Grundbegriffe berücksichtigen muß So sucht sie, unter Rückgriff auf wissenschaftliche Konzepte der Psychologie und der Bewußtseinsforschung, aber auch der Ökologie und der Physik ein neues Paradigma („Weltbild“) zu begründen, das der Ganzheit des Menschen und der Welt angemessen ist, kurzum einen Paradigma-wechsel herbeizuführen. Dieser wird in der New Age-Bewegung als Ausdruck eines Neuen Bewußtseins verstanden, das — als ganzheitlich-intuitives — mit dem normalen, alltäglichen Bewußtsein der durchschnittlichen Mitglieder unserer Gesellschaft kontrastiert wird.

Infolgedessen gilt Bewußtseinserweiterung gemeinhin als Königsweg ins New Age: Erst der selbstverwirklichte, spirituelle und androgyne Mensch hat, so wird behauptet, seine wahre Identität, sein höheres Selbst, das mit Gott identisch ist, „kosmisches“ und „Gottesbewußtsein“ entwickelt. Wie die Weltanschauung der New Age-Bewegung eine bestimmte Kosmologie bzw. Ontologie beinhaltet, so auch eine Anthropologie: Dem Weltbild eines göttlichen oder zumindest gott-bzw. geistdurchwirkten Kosmos entspricht das Bild vom Menschen als eines letztlich göttlichen Wesens, das seine Bestimmung auf der Erde noch zu realisieren hat.

Der Vision selbstverwirklichter, erleuchteter Einzelner entspricht es, daß diese sich lediglich in lokker geknüpften Netzwerken zusammenschließen, welche die charakteristische Organisationsform der New Age-Subkultur darstellen. Der Zusammenhalt der Bewegung wird deswegen in erster Linie durch weltanschauliche Gemeinsamkeiten gewährleistet. Größter Wert wird dabei auf individuelle Autonomie und Verantwortung und auf die Selbstorganisation der Netze gelegt, in denen sich das neue, planetare Bewußtsein und Sein des New Age ausbilden soll. Das Ziel ist die Transformation, das heißt die radikale Umwandlung des Einzelnen und der Welt bei „Spiritualisierung der ganzen Menschheit“ Wie hieran deutlich geworden ist, umfaßt die Weltanschauung der New Age-Bewegung eine Fülle heteronomer Elemente. Das eigentlich Neue an ihr wird man wohl vor allem in der neuartigen Mischung von längst Bekanntem zu sehen haben (mit der selbst Widersprüchliches zu synthetisieren versucht wird). Auch in ihrer praktischen Gestalt ist die Bewegung ein zutiefst schillerndes Phänomen: Mythen und Quantenphysik, Wissenschaftskritik und Wissenschaftsgläubigkeit, High tech und High touch schließen einander offenbar keineswegs aus. Wenn heute eine soziale Bewegung genuin synkretistisch verfährt, dann ist es die New Age-Bewegung

II. Zur Dialektik der Moderne

Bei der New Age-Bewegung handelt es sich um ein typisch westliches Phänomen, das sich im wesentlichen auf Europa und Nordamerika beschränkt, da es von deren Problemlagen zur Gänze abhängig ist. In den USA ist die Bewegung schon seit den sechziger Jahren aktiv, und die Idee des „WassermannZeitalters“ kursiert bereits seit Anfang dieses Jahrhunderts vornehmlich innerhalb theosophischer Gruppierungen In der Bundesrepublik hat sich die Bewegung jedoch erst seit Beginn der achtziger Jahre in entscheidendem Maße ausgebreitet, und zwar weil sie sich, wie plausibel gemacht werden kann, aus den neuen sozialen Bewegungen und der breiteren Hinwendung zu postmaterialistischen Werthaltungen und einer „Neuen Politik“ speist. Gewissermaßen war das Feld, auf dem die New Age-Bewegung erntet, also schon bestellt

Die New Age-Bewegung ist sowohl Krisensymptom und Kind des vielzitierten Wertewandels als auch Ausdruck hartnäckiger utopischer Wunschbilder, wobei ihre Faszination für viele nicht zuletzt darin liegen dürfte, daß sie weltanschauliche Orientierung im umfassendsten Sinn in einer Zeit zu bieten sucht, in der es als Ausdruck eines gesunden Realismus gilt, am Überleben der Menschheit zu zweifeln (oder gar zu verzweifeln): Wie sich unschwer erkennen läßt, deuten die Zeichen der Zeit auf Krise — eine Krise, die ein entscheidender Bestandteil des postmodernen Lebensgefühls geworden ist. Der weltweite Informationsfluß sorgt für die massenmediale Präsenz des Fernsten und somit auch dafür, daß selbst regionale Probleme und Konflikte im Bewußtsein der Einzelnen eine weitreichende, wenn nicht gar globale Bedeutung erhal ten. Dies aber entspricht der tatsächlichen Weltlage. geht es doch gegen Ende des 20. Jahrhunderts in allen wichtigen politischen Fragen nicht mehr allein um die Affären von Nationen, sondern um eine Welt, auf der Nationalstaaten und Staaten-blöcke auf vielfältigste Weise interagieren und voneinander abhängig sind. Die weltweite Hochrüstung und die beschleunigte Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen, Massenarbeitslosigkeit, Hunger und Elend nicht nur in der Dritten und Vierten Welt, Kriminalität, Drogenkonsum, psychische Defekte und die Apathie des „No future" sind lediglich die massenmedial besonders aufbereiteten Symptome der Krise. Gewiß, Krisen gab es bereits viele, und die „europäische Kulturkrise“ ist lange schon ein Dauerthema der literarischen und philosophischen Reflexion. Dennoch scheint das Bewußtsein der Krise heute viel verbreiteter zu sein, zumal die Probleme selbst an Schärfe und Dringlichkeit zugenommen haben: Die heutzutage technisch machbare und jederzeit mögliche Apokalypse ist das historisch unpräzediert Neue und liefert den Hintergrund, vor dem die New Age-Bewegung agiert. Was oft erst diffus erfahren wird, ist tatsächlich die umfassende und fundamentale Krise der Moderne, die Krisis ihrer Grundlagen, und die New Age-Bewegung stellt in besonderem Maße eine Reaktion hierauf dar.

Von einer Grundlagenkrise ist deshalb zu sprechen, weil die Grundlagen der modernen Welt — Natur-beherrschung, Rationalisierung, Verwissenschaftlichung und Säkularisierung — entweder objektiv katastrophale Neben-und Spätfolgen hervorge-bracht haben oder von vielen zumindest subjektiv fürdiese verantwortlich gemacht werden. Nicht von ungefähr wird in der gegenwärtigen Diskussion um Moderne und Postmoderne, die sich unter anderem ja um die Frage dreht, ob Vernunft und Aufklärung durch die lebensgefährlich gewordene wissenschaftlich-technische Zivilisation korrumpiert sind oder nicht, immer wieder auf den Zusammenhang von Modernisierung, Wissenschaft und Technik, Auf-Gärung und Fortschrittsideal verwiesen.

Das mittelalterliche Verhältnis zur Natur und das aristotelisch-scholastische Weltbild waren durch Entwicklungen in Frage gestellt worden, die mit dem Spätmittelalter eingesetzt hatten und seit dem 16. Jahrhundert zu dramatischen Veränderungen führten. Reformation und Aufklärung, kapitalistische Produktionsweise und bürgerliche Revolutionen, Naturwissenschaft und Technik, Verstädte-rung und Industrialisierung und nicht zuletzt der Säkularisierungsprozeß des Bewußtseins führten zu den für die Moderne charakteristischen Strukturen. Die neuzeitliche Wendung zum autonomen Subjekt war insofern ein soziokulturell entscheidender Wendepunkt, als damit nicht mehr eine objektiv vorgegebene, ontologisch aussagbare heilige oder doch geheiligte Welt dem Menschen gegenübersteht, sondern eine Welt, die vom Subjekt selber konstituiert wird.

Die Neuzeit wollte die Welt nicht bloß interpretieren, sondern verändern, das heißt nach dem Bilde des Menschen neu schaffen. Die Entstehung der neuzeitlichen Technik im 16. und 17. Jahrhundert war die Konsequenz eines intellektuellen Programms, das, wie Kurt Hübner dargelegt hat, „ausdrücklich als eine Kampfansage gegen die frühere bewußte Einstellung gedacht war, die Beherrschung der als göttlich verstandenen oder von Gott geschaffenen Natur nur in maßvollen, durch Ehrfurcht und Frömmigkeit gesetzten Grenzen zu wagen“ Bis dato existente moralische Tabus und technische Schranken fielen in der Neuzeit weg. Das Vertrauen in die autonome menschliche Ratio sowie das naturwissenschaftlich-technische Instrumentarium, das Geist und Geister aus der Natur austrieb (und sich gewiß glänzend bewährte), führten zu jener hybriden Fortschrittsgläubigkeit, die noch heute, wenngleich gebrochen, wirksam ist. Indem die neue irdische Stadt des Fortschritts die civitas Dei als Leitmotiv der abendländischen Kultur ersetzte, konnten die Hoffnungen radikal verdiesseitigt werden.

Der neuzeitliche Fortschrittsoptimismus richtete sich auf die Herstellbarkeit einer besseren und in der antizipierenden Hoffnung goldglänzenden irdischen Zukunft. Unterwerfung der Natur, Freiheit von Mangel und Unterdrückung, materieller Wohlstand und das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl hießen die Ziele, die durch Entfesselung der Produktivkräfte, namentlich durch Wissenschaft und Technik verwirklicht werden sollten. Die Verfolgung dieses Programms verhieß und gewährte Macht — doch aus dem Segen wurde Fluch und aus der Verheißung Drohung: Produktivkräfte wurden zu Kräften der Destruktion. Seit Horkheimers „Kritik der instrumenteilen Vernunft“ und der „Dialektik der Aufklärung“ ist es ein stehender Topos der Kritik, daß der Fortschritt der technischen Mittel von einem Prozeß der Entmenschlichung begleitet wird, weswegen der Fortschritt das Ziel zunichte zu machen droht, das er im Sinne neuzeitlich-moderner Utopie verwirklichen sollte: die Emanzipation der Menschheit.

Nicht daß die Moderne nicht erfolgreich gewesen wäre, sie erwies sich, im Gegenteil, in ihrer Vereinseitigung als zu erfolgreich. Es sind das technisch-industriell halbierte und ins Äußerste vorange-triebene Fortschrittsprojekt, der Selbstlauf der Mittel und die Korruption durch Geld und Macht, welche nicht nur in die Krise, sondern auch zum dialektischen Umschlag des modernen Denkens in neue A-und Ir-Rationalität geführt haben. Hierin kommt das wachsende Unbehagen an der wissenschaftlich-technischen Zivilisation besonders deutlich zum Ausdruck. Denn weithin wird Vernunft nicht mehr im emphatischen Sinn als Medium von Aufklärung und Emanzipation verstanden, sondern als Herrschaftsinstrument und als Gedankenpolizei — oder sogar als Urheberin aller Übel dieser, der modernen Welt.

Wo Rationalität insgesamt abgewirtschaftet zu haben scheint (und nicht bloß ihre Engführung auf formale Zweckrationalität) sucht man Wissen und Weisheit beispielsweise in den magischen und mythischen Überlieferungen sogenannter Naturvölker und in den vom kulturellen Hauptstrom der Moderne verdrängten und verschütteten Traditionen. Und wo (um eine Formulierung aus der „Dialektik der Aufklärung“ aufzunehmen) der aufklärerische Sturz der Einbildung durch Wissen diskreditiert ist. erscheint es als nachgerade folgerichtig, ein „Zurück zum Ursprung“ zu fordern, zur natürlichen Natur und zur Welt der lebensspendenden Wirkmächte. „Wiederverzauberung der Welt“ könnte in der Tat das von der New Age-Bewegung verfolgte Gegenprogramm zum „Projekt der Moderne“ lauten. Wurde in den sechziger und siebziger Jahren das Prinzip Hoffnung rein innerweltlich und in erster Linie politisch verstanden, so richten sich die Hoffnungen jetzt auf Überwindung der Vernunft durch ihr Anderes, auf Entzauberung der Ratio und die frei schwebende Einbildungskraft. Darin ist die New Age-Bewegung ein nachgerade postmodernes Phänomen. „Der Prädikator *. postmodern scheint“, wie Manfred Frank schreibt, „für ein dumpfes, wenn auch verbreitetes Gefühl zu stehen, wonach die Deutungspotentiale und Sinnstiftungsreserven des letzten Ausläufers abendländischer Kultur, eben der Neuzeit, sich erschöpft haben oder wonach deren Selbstverständnis unglaubwürdig geworden sei.“ Wo vom „Zerfall der großen Erzählungen“ der Neuzeit ausgegangen wird, hat auch die Vernunft keinen privilegierten Status mehr Nach der modernen Entzauberung der Welt folgt postmodern die der Vernunft, was aber nicht besagt, sie von einem gleichsam göttlichen Vermögen auf menschliches Normalmaß zurückzuschrauben, sondern als solche radikal in Frage zu stellen oder gänzlich zu verwerfen. Auf diese Weise wird der weithin betriebenen Abkehr von der Tradition begründungsverpflichteter Rede von bestimmten Strömungen in der zeitgenössischen postmodernen Philosophie geradezu die theoretische Absolution erteilt Postmodemismus — das ist Denken in der Krise in dem doppelten Sinn, daß dieses Denken nicht nur in der Krise situiert, sondern selbst krisenhaft ist, insofern als es seinen rationalen Grundlagen nicht mehr vertraut und den aufklärerischen Anspruch aufgibt. Ordnung in die heillose Verwirrung der Welt bringen zu wollen. Statt dessen identifiziert es Ordnung mit Terror und ist gegenüber seinen eigenen universalistischen Ansprüchen zutiefst mißtrauisch Aufgrund dessen ist es ein wesentliches Merkmal der Postmoderne, daß die Gültigkeit der einen Vernunft, der einen Geschichte, der einen Subjektivität forciert bestritten wird. Laßt viele Blumen blühen, dieses Motto der Postmoderne steht für das Ende der neuzeitlichen Grundideen: der wissenschaftlichen Wahrheitssuche, der Weltgeschichtsphilosophien und der sozialutopischen Globalentwürfe Das bedeutet im Extremfall freilich auch die Abkehr vom Sonderweg der abendländischen Kultur (die meist aber mehr verkündet als tatsächlich vollzogen wird).

Man verkennt dabei allerdings, daß die Moderne gerade nicht die Verwirklichung der Vernunft in der Geschichte darstellt, sondern die „Leidensgeschichte der Vernunft“ an der sich als Vernunft maskierenden Irrationalität, die als „irrationale Rationalität“ jene Substanz der Vernunft zu vernichten droht, in deren Namen sie für den Fortschritt eintritt. Die Vernunft hat daher immer wieder ihre Engführung und Vereinseitigung auf den bloß instrumentellen Verstand zu reflektieren, durch den die Ziele der Aufklärung korrumpiert wurden und Werden. Deshalb kann vom Gelingen der Aufklärung gar keine Rede sein vielmehr handelt es sich um eine Dialektik von Gelingen und Scheitern, Befreiung und neuerlichem Zwang, Emanzipation und Entfremdung, die in der Moderne zum Austrag kommt. Aufgrund dessen werden alle Zeitdiagnosen, die in der einen oder anderen Richtung diese Dialektik entspannen, der Problematik grundsätzlich nicht gerecht.

Die normativen Gehalte der Moderne (aufdie noch die Suche nach Selbstverwirklichung, nach Erfüllung des Menschen und nach Versöhnung von Geist und Natur zurückgreift), überhaupt das Prinzip der Kritik als solches, sind die verletzlichen Instanzen des Widerstandes gegen den apokalyptischen Zug der Moderne: Wie sonst sollten die Deformationen eben dieser normativen Gehalte als solche kenntlich gemacht werden, wenn sie, aufgrund ihrer vermeintlich universalen Verstrickung in den Unheils-zusammenhang, als Kriterien ausschieden? Wie auch wäre Kritik im Namen der Vernunft an der sich zur Vernunft aufspielenden technokratisch-positivistisch halbierten Ratio überhaupt noch möglich? Aufklärung komme erst dann zu sich selbst, schrieben Horkheimer und Adorno, wenn sie das falsche Absolute, das Prinzip der blinden Herrschaft aufzuheben wage. Dies bedeutete aber nichts anderes, als mit der Kritik der Positivitäten endlich ernstzumachen. Die Bahnen der Aufklärung sind damit nicht verlassen; vielmehr zeigt gerade der „mythische wissenschaftliche Respekt der Völker vor dem Gegebenen“ daß Aufklärung eben nicht gesellschaftliche Wirklichkeit ist. An Vernunft, Emanzipation und Versöhnung als den normativen Gehalten des Projekts der Aufklärung festzuhalten und die unaufgeklärten Voraussetzungen, die Fehlschläge und katastrophenträchtigen Folgen der Epoche der Aufklärung sichtbar zu machen, könnte das Programm einer Zweiten Aufklärung darstellen. Der Terminus zirkuliert und er würde solcherart gehaltvoll.

III. Neue soziale Bewegungen und „Neue Politik“

Im Bereich gesellschaftlichen Handelns läßt sich das Programm einer solchen Zweiten Aufklärung u. a. aus den Bemühungen neuer sozialer Bewegungen rekonstruieren, die vor allem seit den siebziger Jahren auf die Krisis der Moderne zu reagieren suchen. Neue soziale Bewegungen, das sind gesellschaftliche Gruppierungen wie Bürgerinitiativen, Selbsthilfe-und Betroffenengruppen, Frauen-gruppen, Initiativen für ganzheitliche Heilweisen, für Körper-und Selbsterfahrung etc., die sowohl Indikator als auch Katalysator sozialen Wandels und einer „Neuen Politik“ sind.

Dieser Ausdruck umschreibt den Sachverhalt, daß sieb die Konflikte, welche die neuen sozialen Bewegungen hervorgebracht haben, nicht in erster Linie an Verteilungsfragen (wie etwa zwischen Kapital und Arbeit) entzündet haben. Statt dessen hat es „Neue Politik“ mit postmaterialistischen Themen wie Umweltschutz, Selbstverwirklichung, Lebens-qualität. Partizipation und Gleichberechtigung etc. zu tun. In besonderem Maße geht es zudem, wie Habermas diagnostiziert, um die „Grammatik überlieferter Lebensformen“ und um die „Unversehrtheit und Autonomie von Lebensstilen“

Während für den chronisch und extrem hungrigen Menschen Utopia vermutlich ein Ort ist, an dem es genügend zu essen gibt ist für den postmaterialistischen Anhänger „Neuer Politik“ Utopia ein Ort der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung und der Versöhnung von Mensch und Mensch, Mensch und Natur, Mensch und Gott. Infolgedessen wird auch das Utopia der New Age-Bewegung nicht als Schlaraffenland charakterisiert, sondern als ein neuer Äon, in dem Welt und Mensch „transformiert“, das heißt versöhnt, vergeistigt und vergöttlicht sind. Die Wunschbilder, die sich hierin aussprechen, dürften nicht zuletzt auf ganz reale spirituelle Mangelerfahrungen in einer säkularisierten Gesellschaft verweisen

Wenngleich bereits in den sechziger Jahren ein beträchtlicher individueller und gesellschaftlicher Wohlstand als Basis für postmaterialistische Orientierungen erreicht war, bedurfte es offenbar erst der öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der „Gegen-gesellschaft" um in größerem Ausmaß Möglichkeiten des Andersseins zu realisieren, neue Sinn-entwürfe und Lebensformen zu erkunden und über eine gesellschaftliche Minderheit hinaus Selbstverwirklichung als wichtigen Leitwert zu inaugurieren. Wachsende Skepsis gegenüber den industriegesellschaftlich geprägten modernen Lebensformen bei zunehmender Erosion traditioneller Sozialisationsinstanzen führte zur Suche nach neuen subkulturellen Lebenszusammenhängen und tragfähigen zwischenmenschlichen Strukturen, vor allem in kleinen, selbstorganisierten Gemeinschaften, sei es als „tribe" (Stamm) wie bei den Hippies oder als „Netzwerk“ im New Age. Die New Age-Bewegung schließt an die „gegengesellschaftlichen“ Bewegungen des Suchens, Fragens und Kritisierens dessen, was von den Altvorderen bislang fraglos übernommen worden ist, an, wobei sie ihren Bestrebungen nach Emanzipation und Selbstverwirklichung einen spezifisch heilsgeschichtlichen Überbau hinzufügt.

IV. Der Unterstrom des Utopischen

Ein Neues Zeitalter wurde bekanntlich schon oft ausgerufen, und die Erwartung als solche ist uralt. Im abendländischen Denken stellt die ersehnte Erfüllung der Zeit ein durchgängiges Motiv dar, das die Geschichte unterirdisch begleitete und in Zeiten von Revolution. Zeitenwende und chiliastischer Naherwartung immer wieder an die Oberfläche trat, wie gerade Emst Bloch nachgewiesen hat: „Glück, Freiheit, Nicht-Entfremdung, Goldenes Zeitalter. Land, wo Milch und Honig fließt, das Ewig-Weibliche, Trompetensignal im Fidelio und das Christförmige des Auferstehungstags danach; es sind so viele und verschiedenwertige Zeugen und Bilder, doch alle um das her aufgestellt, was für sich selber spricht, indem es noch schweigt.“

Anders als die bloß rückwärtsgewandte Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, nach Arkadien und Avalon umfaßt diese Kategorie utopischer Hoffnung den „Traum nach vorwärts“: Man denke nur an das Himmelwärtsstreben der Gotik, wo noch die Glasfenster der Dome den Edelsteinen in den Mauern des himmlischen Jerusalem entsprechend gedacht wurden man denke nur an die chiliastisehen Strömungen des Mittelalters oder an Täuferbewegung, pietistische Konventikel und frühromantischen Überschwang in der vorwärtsdrängenden Neuzeit, die sich als die eigentliche Neue Zeit intendierte.

Nahm nicht insbesondere der ehemalige Zisterzienserabt Joachim di Fiore im 13. Jahrhundert das heutige Adventsbewußtsein vorweg, wie in der Blochschen Paraphrase deutlich wird? „Die gesamte Menschheit vollzieht nun — den Reinen zum Heil, den Unreinen zum Untergang — die Bewegungin die mystische Christförmigkeit als ins Dritte Reich; sie übersteigt die Reiche des Gesetzes wie der Gnade, sie erlangt plenitudo intellectus (. . .) Und der Stand dieser Geistesfülle entspricht genau der Vergottung, worin die christliche Mystik ihre Erleuchteten umgab; er entspricht also der Gemeinde eines universalen Pfingstfests.“ Das „Dritte Reich“ der Joachiten war gedacht als das „der Erleuchtung aller, in mystischer Demokratie, ohne Herren und Kirche“, ein „Zeitalter des freien Geistes“, das heißt: „spirituelle Erleuchtung ohne Sondersein, Sünde und ihre Welt“

Als die Neue Welt von Pilgervätern, Verfolgten und Desperados besiedelt worden war. da sollte mit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 1776 eine neue Ordnung der Zeiten ihren Ausdruck finden, woran heute noch das auf jeder Ein-Dollar-Note zirkulierende staatstragende Motto „Novus ordo seclorum“ erinnert -Ungefähr zur gleichen Zeit lebten die deutschen Frühromantiker um die Gebrüder Schlegel sowie Hölderlin, Hegel, Schelling und Novalis in dem Bewußtsein, an einer Zeitenwende zu stehen, die eine lebendige Synthese aller schöpferischen Bestrebungen einleiten und eine neue Philosophie und Religion bringen werde Diese Naherwartung wird etwa in dem Hegel zugeschriebenen „Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus“ von 1796/97 deutlich, worin es heißt, daß ein „höherer Geist, vom Himmel gesandt“, die neue Religion stiften müsse, welche „das letzte größte Werk der Menschheit“ sein werde

Stets und mit Nachdruck wurde in den utopischen und chiliastischen Bewegungen auf Bilder und Metaphern der jüdisch-christlichen Eschatologie zurückgegriffen: Solcherart galt das Neue Zeitalter^ dasjenige, in dem das himmlische (oder vielmehr irdische) Neue Jerusalem verwirklicht ist und wo. wie im messianischen Friedensreich nach Jesaja 11. die Gegensätze versöhnt sind, so daß der Wolf wie-derbei dem Lamm liegt. Dieses utopische Friedens-reich wirkt noch in der marxistischen Lehre von der Aufhebung der Klassen nach, wo das natürliche Dasein des Menschen auch sein menschliches geworden sei, wie der junge Marx in den Pariser Manuskripten formulierte

Immerwieder und immer neu äußerte sich die Hoffnung auf ein neues Leben in der Erwartung einer Neuen Zeit, und die heutige Nutzbarmachung utopischer Motive deutet darauf hin, daß zeitüberdauemde Hoffnungen und Sehnsüchte sich hier erneut Bahn brechen. Wieder einmal wird der Traum vom Neuen Menschen und der alles erfüllenden Zeit geträumt, und gleich ihren chiliastischen Vorgängern, behauptet auch die New Age-Bewegung, der Welt die so oft erträumte und erwartete Erfüllung endlich zu bringen.

V. Die Ressource Sinn

In einer Reihe fortlaufender und einander überbietender Distanzierungs-, das heißt Bewußtwerdungsschritte gewann die Moderne ihre Konturen. Aufklärung bedeutete dabei Entzauberung der Wirklichkeit und des Bannes, den diese Wirklichkeit durch rationale Kritik auf den Menschen ausübt. Was hierdurch für die Wirklichkeitserkenntnis gewonnen wurde, ging für den gesellschaftlichen Sinn-kosmos indessen verloren, und es bedurfte immer neuer Anstrengungen, das Versprechen, die Versöhnung des zerrissenen Bewußtseins leisten zu können, aufrechtzuerhalten

Indem im Verlauf soziokultureller Modemisie-rungsprozesse nun auch gesellschaftliche Sinnbestände wie etwa der Fortschrittsglaube brüchig werden. kommt es allerdings, und einmal mehr, nicht nur zur Krise gesellschaftlich vermittelten Sinns, sondern es etablieren sich an den Bruchstellen auch neue Suchbewegungen und Sinnentwürfe. Es kommt also keineswegs zu der von Nietzsche vorhergesagten Herrschaft des Nihilismus, sondern zu einer dialektischen Bewegung: Daß „die obersten Werte sich entwerten“, „Gott tot“ und alles „leer“ und „gleich“ ist gilt nur in der Wahrnehmung eines Teils der Gesellschaft.

Sicherlich: Traditionelle Mythen und Metaphysiken sind zerstört und „generalisierte Ungewißheit“ und „generelle Offenheit“ für die jüngste Moderne schlechthin bezeichnend. Die aufklärerische Kritik und der prinzipielle Zweifel haben damit ihren Teil zu jener metaphysischen Heimatlosigkeit beigetragen, die das Kennzeichen des modernen Menschen, seine Gefahr und seine Chance ist. Wer hiermit nicht umgehen kann, wer den Sinn seines Daseins selber zu entdecken nicht in der Lage ist, der wird, sofern er Sinn nicht überhaupt vernachlässigt, Zuflucht zu neuen Sinnangeboten nehmen und für Bekehrungs-und Missionierungsversuche aller Art und für neue, Erlösung von der modernen Ungewißheit versprechende Ideologien anfällig sein. Dieser Sachverhalt mag das weltweite Erstarken fundamentalistischer Bewegungen ebenso erklären wie, cum grano salis, den Reiz, der von den Sinnangeboten der New Age-Bewegung ausgeht.

Sowohl in der Perspektive ihrer seriöseren und „futurologisch“ verfahrenden Autoren als auch in der des eigenen Heils gewissen Optik der Chiliasten erscheint die Krise der Moderne als Durchgangsstadium zur Neuen Zeit. Einzig von daher findet der nachgerade zukunftstrunkene Optimismus in der New Age-Bewegung seine Erklärung. Für sie ist die Krise geradezu notwendig und „nicht destruktiv, sondern instruktiv“ Auch andere Vordenker des New Age betonen deren Funktion, Katalysator der Evolution und „evolutionärer Schrittmacher-reiz“ zu sein: Die Krisis diene der „Selbstprüfung“ der „Säuberung“ und „Reinigung“ des Planeten und sogar die vielen menschen-gemachten Schicksalsschläge gelten als Schickung, als das der Menschheit Zu-Fallende, um deren „Transformation“ einzuleiten, wobei nicht zuletzt astrologische Faktoren ins Spiel gebracht werden, um den vielbeschworenen Übergang vom „Fische-“ zum „Wassermann-Zeitalter“ und den damit verbundenen Einfluß neuer „kosmischer Energien“ auf die Entwicklungen auf der Erde zu begründen Auch für die New Age-Bewegung gibt es also eine Art List der Vernunft, oder vielmehr der numinosen Nicht-Vernunft in der Geschichte, weswegen auf einer „höheren Ebene“ über das Neue Zeitalter längst schon entschieden sei. Dies jedoch bedeute: „Im Grunde ist alles in Ordnung, trotz der anscheinend zunehmenden Schwierigkeiten.“ So jedenfalls lautet das Fazit von Sir George Trevelyan, dem Grandseigneur der britischen New Age-Bewegung, dessen Bücher „Unternehmen Erlösung“ und „Eine Vision des Wassermann-Zeitalters“ weltweit Beachtung finden — wohl nicht zuletzt deshalb, weil Auffassungen, wie die von ihm vertretenen, mit einem erheblichen Sendungsbewußtsein einhergehen, das auf breite Zustimmung bei den Anhängern des New Age trifft Der Einzelne gilt geradezu als „Verwalter der Transformation dieser Welt“ und als „Stellvertreter Gottes auf der Erde“ Er ist in einem göttliches Mundstück und ausführendes Organ, vermittels dessen sich der Weltplan vollzieht.

Indem die New Age-Bewegung in einer Zeit der Krise, die ein erhebliches Konfliktpotential und überdies zum ersten Mal die radikale Gefährdung sowohl der Menschheit als auch weiter Teile der Biosphäre in sich birgt, diese Situation als unvermeidbar und notwendig bzw. als durch den göttlichen Heilsplan determiniert erklärt, können individuelle Angst-und Bedrohungsgefühle minimiert und eine soziale Verheißung an die Stelle subjektiv deprimierender sozialer Fakten gesetzt werden. Gleichzeitig wird dem Einzelnen die Überzeugung persönlicher Auserwähltheit vermittelt, da er zu einer kulturellen Avantgarde gehöre und in persona die Entwicklung zum Neuen Zeitalter und der besseren Welt verkörpern könne.

Mit ihrer Suche nach Selbstverwirklichung und nach Versöhnung von Mensch und Natur beerbt die New Age-Bewegung — wie andere Bewegungen auch — genuine Vorstellungen der Moderne. In ihrem Reflex auf objektive Problemlagen nimmt sie somit aufklärerische Funktionen gegenüber einer vereinseitigten und defizitären Moderne wahr. Gleichzeitig durchkreuzt sie jedoch ihre eigenen Absichten, wo sie die Remythisierung des Denkens betreibt und sich in chiliastische Heilsphantasien verabschiedet. Woran es ihr vor allem mangelt, das sind Problembewußtsein und Selbstkritik: Weil man glaubt, daß individuelle Gewißheitserlebnisse die Wahrheit schon verbürgten, dispensiert man sich von der argumentativen Rechtfertigung von Geltungsansprüchen. Das moderne Prinzip vernünftiger Kritik wird auf solche Weise keineswegs überwunden, sondern lediglich ignoriert. Infolgedessen wird nur derjenige, der in der Krise Beistand und Entlastung sucht und auf Vernunft verzichten kann, beides hier finden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Christof Schorsch . Die New Age-Bewegung. Güters-loh 1988.

  2. Vgl. George Trevelyan, Eine Vision des Wassermann-Zeitalters, München 1984, S. 35;'Robert Muller. Die Neu-erschaffung der Welt. München 1985, S. 123 und S. 156.

  3. Vgl. Chr. Schorsch (Anm. 1), S. 20ff.

  4. G. Trevelyan (Anm. 2), S. 129.

  5. Peter Russell. An der Schwelle zur Spiritualisierung der ganzen Menschheit, in: G. Geisler (Hrsg.), New Age — Zeugnisse der Zeitenwende, Freiburg 1984. S. 185 ff. Vgl. auch Peter Russell, Die erwachende Erde. München 1984, S. 214.

  6. Vgl. Christof Schorsch, Der Drang nach Ganzheit, in: W.

  7. Vgl. Hans-Jürgen Ruppert. Neues Denken auf alten Wegen: New Age und Esoterik, in: H. Hemminger (Hrsg.). Die Rückkehr der Zauberer. Reinbek 1987. S. 77 ff.

  8. Empirische Studien über die New Age-Bewegung stellen noch immer ein sozialwissenschaftliches Desideratum ersten Ranges dar. Aufgrund dessen sollen hier auch keine KausaZusammenhänge postuliert, sondern Entstehungsbedingungen rekonstruiert werden.

  9. Kurt Hübner. Wie irrational sind Mythen oder Götter?, in: H. P. Duerr (Hrsg.), Der Wissenschaftler und das Irrationale, Band 3, Frankfurt 1985. S. 27.

  10. Vgl. dazu aber auch Ulrich Becks These von „einer im Grundriß der Industriegesellschaft halbierten Moderne“, die an einen älteren Topos der Kritik anschließt. Siehe ders.. Risikogesellschaft. Frankfurt 1986. S. 179 u. a.

  11. Vgl. Manfred Frank. Die Dichtung als «Neue Mythologie». in: K. H. Bohrer (Hrsg.), Mythos und Moderne, Frankfurt 1983, S. 15 ff. Siehe auch Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt 19852. S. 130ff.; sowie als „Klassiker" Max Horkheimer. Zur Kritik der instrumenteilen Vernunft. Frankfurt 1986.

  12. Vgl. Morris Berman, Wiederverzauberung der Welt, Reinbek 1985.

  13. Jürgen Habermas. Die Moderne — ein unvollendetes Projekt, in: ders.. Kleine Politische Schriften 1 —IV. Frankfurt 1981, S. 444 ff.

  14. Manfred Frank. Die Unhintergehbarkeit von Individualität. Frankfurt 1986. S. 7.

  15. Vgl. Jean-Franois Lyotard. Das postmoderne Wissen. Graz-Wien 1986, S. 54, S. 63 ff. und passim. Die Grundfigur dieser Kritik übrigens findet sich — wie so vieles — bereits bei Nietzsche vorgezeichnet.

  16. Etwa indem das begründungsverpflichtete Denken als „Ubiquisierung des Rechtfertigungsverlangens“ und als,. 1n bunalisierung der modernen Lebenswirklichkeit“ abgelehn! wird. Siehe Odo Marquard, Entlastungen, in: ders.. Apologie des Zufälligen, Stuttgart 1986, S. 11 f.

  17. Pars pro toto: Jean-Fran^ois Lyotard. Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?, in: W. Welsch (Hrsg.), Wege aus der Moderne, Weinheim 1988, S. 193ff.

  18. In der Formel von Wolfgang Welsch, Unsere postrno deme Moderne. Weinheim 1987. S. 39: „Die Postmoderne beginnt dort, wo das Ganze aufhört.“

  19. M. Horkheimer (Anm. 11), S. 91.

  20. Vgl. Jean Baudrillard, Die fatalen Strategien, München 1985, S. 85. Der Autor behauptet ausdrücklich. Aufklärung, Phantasie und Intelligenz seien an der Macht und der „Himmel der Utopie“ auf die Erde herabgekommen. In ähnlicher weise meint auch Dietmar Kamper. Das Ereignis und die Ekstasen der Zeit, in: D. Kamper/Ch. Wulf (Hrsg.), Das Heilige, Frankfurt 1987, S. 668, Zivilisation, Säkularisie-rung, Aufklärung und Moderne seien gelungen, und dies Gelingen stelle ein katastrophales Scheitern dar. Welch gigantische Verkennung der Realität!

  21. Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufglärung, Frankfurt 1986, s-40.

  22. Kai Hildebrandt/Russell J. Dalton, Die Neue Politik, in: Politische Vierteljahresschrift, (1977) 2-3, S. 230ff. Vgl. Helmut Klages/Peter Kmieciak (Hrsg.). Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel. Frankfurt 1979.

  23. Jürgen Habermas, Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien, in: ders.. Die Neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt 1985. S. 159.

  24. Vgl. Abraham H. Maslow, Motivation und Persönlichkeit, Reinbek 1984, S. 64.

  25. Vgl. hierzu vor allem Josef Sudbrack. Neue Religiosität. Mainz 1987.

  26. Walter Hollstein, Die Gegengesellschaft. Bonn 1979.

  27. Emst Bloch. Das Prinzip Hoffnung. Werkausgabe Band 3. Frankfurt 1985. S. 1627.

  28. Ebd.. S. 849.

  29. Ebd., S. 1359.

  30. Ebd., S. 591 f.

  31. Vgl. Christof Schorsch, Spuren in die Neue Zeit, in: ders.. Die große Vernetzung, Freiburg 1987. S. 24.

  32. Vgl. Jochen Kirchhoff, Schelling, Reinbek 1982. S. 28 ff.; und Hermann Timm, Fallhöhe des Geistes. Frankfurt 1979, S. 29 ff.

  33. G. W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden, hrsg. von Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel. Band 1, Frankfurt 1986. S. 236.

  34. Vgl. Karl Marx. Ökonomisch-philosophische ManuSkripte, in: K. Marx/F. Engels. Studienausgabe in 4 Bänden, “ and 2, Frankfurt 198212, S. 101.

  35. Für den Idealismus entstand gerade aus dieser Zerrissen-neit heraus das Bedürfnis nach philosophischer Versöhnung. Siehe etwa die schönen Formulierungen in Hegels Differenz-Schrift, (Anm. 33). Band 2, S. 22.

  36. Vgl. Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, Stuttgart 198012. S. 10 (Nr. 1); ders.. Die fröhliche Wissenschaft. Frankfurt 1982, S. 137f. (Nr. 125) u. a.; ders., Also sprach Zarathustra, München 19877, S. 110.

  37. Thomas Meyer. Fundamentalismus. Reinbek 1989. S. 25.

  38. Marilyn Ferguson, Die sanfte Verschwörung, Basel 19822, S. 28 ff.

  39. Vgl. P. Russell (Anm. 5), S. 245.

  40. Rüdiger Lutz. Prolog, in: ders. (Hrsg.). Bewußtseins(R) evolution. Weinheim-Basel 1982. S. 10.

  41. David Spangler. Findhom und die Vision von einer planetarischen Kultur, in: E. Maynard (Hrsg.). Leben in Findhom. Freiburg 1981. S. 14.

  42. George Trevelyan. Unternehmen Erlösung. Freiburg 1983. S. 205; und ders. (Anm. 2). S. 161.

  43. Vgl. Chr. Schorsch (Anm. 1). S. 142 ff.

  44. G. Trevelyan (Anm. 2), S. 40.

  45. Zur weltanschaulichen Militanz vgl. die Auflistung in Chr. Schorsch (Anm. 1), S. 230.

  46. M. Ferguson (Anm. 38), S. 480; und Wolfgang Dahlberg, Neues Zeitalter — Aufbruch woher. Aufbruch wohin?, in: Wege. Zur Synthese von Natur und Mensch. (1986) 1, S. 8.

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Christof Schorsch, Dr. phil., M. A., geb. 1959; Soziologe und Philosoph; seit 1985 Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Die New Age-Bewegung. Utopie und Mythos der Neuen Zeit — Eine kritische Auseinandersetzung, Gütersloh 19893; Versöhnung von Geist und Natur? Eine Kritik, in: H. -P. Dürr/W. Ch. Zimmerli (Hrsg.), Geist und Natur. Über den Widerspruch zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und philosophischer Welterfahrung, München 1989; sowie Beiträge zur New Age-Problematik in diversen Fachzeitschriften.