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Wie realistisch sind die Träume und Visionen von New Age? | APuZ 40/1989 | bpb.de

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APuZ 40/1989 Artikel 1 Die Krise der Moderne Entstehungsbedingungen der New Age-Bewegung Wie realistisch sind die Träume und Visionen von New Age? New Age und Neue Religiosität New Age: Das „neue Zeitalter“ als Herausforderung für die alten Kirchen

Wie realistisch sind die Träume und Visionen von New Age?

Ursula Homann

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit geraumer Zeit erleben wir einen Esoterik-Boom, eine verstärkte Hinwendung zur Mystik und Gnostik, zu fernöstlichen Traditionen sowie zu Okkultismus und Spiritismus. Ein Teil dieser Phänomene hat seinen Niederschlag gefunden in der sogenannten New Age-Bewegung. die in Kalifornien in den sechziger Jahren ihren Anfang nahm, als Hippies und Blumenmädchen nach dem Ende des Vietnamkrieges einen mythisch extravaganten Lebensstil propagierten. Inzwischen ist die New Age-Bewegung auch in der Bundesrepublik populär geworden, wie die vielen Esoterik-Seminare, Kelten-Treffen und steigende Vcrkaufszahlen von Büchern über New Age und seine Randerscheinungen deutlich belegen. Einer der wichtigsten Vordenker dieser Bewegung — in der ihre Anhänger eine „sanfte Verschwörung“ sehen und ihre Kritiker eine „sanfte Verführung" bzw. „sanfte Verblödung“ — ist Fritjof Capra. Er kritisiert die bisherige abendländische Entwicklung, die in eine Sackgasse geführt hat. Dafür macht Capra drei Wissenschaftler verantwortlich: Bacon. Descartes und Newton. Capra entwickelt auf der Grundlage einer Bewußtseinserweiterung ein neues Paradigma für das jetzt anbrechende „Wassermann-Zeitalter“, das alle wichtigen Lebensbereiche umfassen soll. Der Beitrag geht auf Wertvorstellungen und Ziele von New Age ein. insbesondere auf Capras System, skizziert die Gründe für den anhaltenden Zulauf und Erfolg dieser Bewegung, weist auf ihre Widersprüche und Gefahren hin, die von ihrem Gedankengut ausgehen, und plädiert für die Beibehaltung und Ausweitung der kritischen Vernunft.

I. Rückkehr zum Imaginären

Die Zeiten, da Vernunft und strenge Rationalität gefragt und Märchen verpönt waren — wie noch in den sechziger Jahren, als die Studentenbewegung von sich reden machte —. sind längst vorbei. Nachdem viele Hoffnungen der Protestbewegung fehlgeschlagen sind, hat allem Anschein nach die Erkenntnis Oberhand gewonnen, daß man nicht darauf vertrauen kann, daß die Vernunft sich durchsetzt und das bessere Argument den Sieg davon-trägt, wie die Diskursethiker Jürgen Habermas und Karl Otto Apel behaupten. Gegenwärtig sind Mythen, Mystik und Magie, das Imaginäre und die Irrationalität schlechthin wieder „in“ und mit ihnen Carl Gustav Jungs Tiefenpsychologie, Rudolf Steiners Anthroposophie und Teilhard de Chardins Philosophie der universalen Evolution. Selbst die totgesagte Religion ist von neuem erblüht, wenn auch überwiegend in Gruppen der Selbsterfahrung und Meditation, der persönlichen Ergriffenheit von Jesus, Bhagwan, Moon und anderen, wo jeder seinen individuellen religiösen Gefühlen nachgehen kann — ohne Bibel und Katechismus.

So „erfreuen“ wir uns seit langem eines anhaltenden Esoterik-Booms und einer allgemeinen, unverblümten, nahezu ungebremsten Vorliebe für übersinnliche Literatur in allen Schattierungen. Ihr Anteil an der gesamten Buchproduktion beträgt augenblicklich etwa acht bis zehn Prozent und steigt noch weiter an. Hinzu kommen einschlägige Blätter wie „Esotera“, „Magazin 2000“ und alternative Stadtteilzeitungen, in denen angebliche Geistheiler, Magier, Hellseher, Rutengänger und andere Wundertäter ihre Dienste für viel Geld anbieten. Offensichtlich suchen immer mehr Menschen in einer ihnen bedrohlich erscheinenden und ihnen Angst machenden Wirklichkeit Zuflucht und Heil in Okkultismus und Esoterik. Andere wiederum fühlen sich lediglich angezogen von dem Reiz des Geheimnisvollen und Numinosen — vielleicht deshalb, weil sie solche Phänomene in unserer sachlich-nüchternen. von Wissenschaft und Technik geprägten Umwelt vermissen.

Dieser Trend begann schon während der sechziger Jahre mit den Büchern des Anthropologen Carlos Castaneda — einem nicht unumstrittenen Wissenschaftler und Schriftsteller peruanischer Herkunft, der in Mexiko die Welt indianischer Schamanen genau studiert und ihren Alltag so fesselnd beschrieben hat, daß Jugendliche im nüchternen Westen von seinen Berichten fasziniert waren In jüngster Zeit kamen Fritjof Capra und Marilyn Ferguson mit ihren Büchern hinzu. Heute gelten beide Autoren als Vorreiter oder Propheten eines neuen Zeitalters und Protagonisten einer Bewegung, die unter dem Namen „New Age“ vor allem in Amerika und Europa bekannt geworden ist.

II. Wann entstand New Age?

Entstanden ist die New Age-Bewegung unmittelbar nach dem Vietnam-Krieg als eine Art pazifistischer Gegenkultur. Hippies und Blumenmädchen machten damals einen mystisch-extravaganten Lebensstil populär und leisteten Vorarbeit für Gurus und Therapeuten. In diese Zeit fällt auch das Auftreten des Drogenpapstes Timothy Leary. Der Begriff „New Age“ tauchte gleichfalls in der Hippiebewegung zum ersten Mal auf, und zwar im Zusammenhang mit der Proklamation des beginnenden Wassermann-Zeitalters, das das christliche, durch Kriege, Kopflastigkeit. Konkurrenz-und Leistungsdenken gekennzeichnete Zeitalter der Fische ablösen soll-. Nach dem angeblich unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch der westlichen Zivilisation, so glauben jedenfalls New Age-Anhänger, wird wie ein Phönix aus der Asche ein neues goldenes Zeitalter aufsteigen, mit Stämmen und dezentralen Gemeinschaften auf spiritueller Grundlage. Schon die Symbole dieses neuen Zeitalters. Wassermann und Regenbogen (auf Bildern wird der Wassermann häufig mit einer Amphore dargestellt, mit der er Wasser vom Himmel auf die Erde gießt; auch der Regenbogen verbindet bekanntlich Himmel und Erde miteinander), deuten auf die Eigenschaften der kommenden Epoche hin, auf Versöhnung von Himmel und Erde, Harmonie, Frieden. Freude, Humanität und auf ein Leben im Einklang mit der Natur.

III. Wie präsentiert sich New Age?

Wenn man sich die heutige New Age-Bewegung etwas näher anschaut, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die gesamte Palette dessen, was noch vor kurzem als Spökenkiekerei belächelt und abgetan wurde, hier in den verschiedensten Nuancierungen fröhliche Urständ feiert, wie meditatives Farbenerleben, Kartenlesen, Pendeln, Traumdeuten, Handlesen. Graphologie, Trance-Tanz, Heilfasten, charismatisches Heilen durch Handauflegen, positives Denken durch Autosuggestion, Pantomime und Phantasiereisen. Im Umkreis von New Age haben Hellsehen, Astrologie und Wahrsagerei ebenso Hochkonjunktur wie Reinkarnation, Ufos, Erdstrahlen, Indianer. Kelten. Hexen und Schamanen.

Auch werden seit Jahren New Age-Seminare abgehalten. Bereits zu Beginn der achtzigerJahre feierte man in San Francisco und anderswo in Amerika „Bewußtseinsmessen“. Mittlerweile vergeht in unseren Breitengraden ebenfalls kaum ein Wochenende. an dem nicht ein Esoterik-oder Runenseminar mit entsprechenden „Bewußtseinsprogrammen“ angeboten oder ein Kelten-Treffen organisiert wird oder ein Neoschamane oder Medizin-mann Workshops abhält mit verheißungsvollen Titeln wie: „Selbstfindung mittels schamanischer Praktiken“ oder: „Ab sofort ist es jedem möglich, die Gesetzmäßigkeiten der Welt zu erkennen.“ Bei Wiedergeburtsseminaren erfahren die Teilnehmer, wo und wann sie früher gelebt haben und ob einer von ihnen möglicherweise als Hexe verbrannt worden ist. Häufig versammeln sich New Age-Anhänger auf heiligen Bergen oder an prähistorischen Kultstätten, zum Beispiel bei den Extemsteinen im Teutoburger Wald, in Stonehenge in England, in Assisi in Italien, am Fuße der Pyramiden bei Gizeh in Ägypten oder in der Wutachschlucht im Schwarzwald; hier vor allem, weil sich der vulkanische Ursprung des Gesteins auf spirituelles Erleben besonders günstig auswirken soll. Das Mekka der New Age-Bewegung, das Esalen-Institut in Kalifornien, liegt bezeichnenderweise auf einem alten indianischen Kultplatz.

Daneben existieren an zahlreichen Orten New Age-Zirkel, während Aura-Brillen und Orakel-Würfel in entsprechenden Läden käuflich zu erwerben sind. Esoterisches Gedankengut findet man gegenwärtig beinahe überall: im Musical „Hair“, das einen Lobgesang auf den Wassermann enthält, in psychedelischer Musik, in Filmen, die oft große Kassenschlager sind, wie „E. T.“ und „Star Wars", in bei Jugendlichen beliebten Gesellschaftsspielen wie „Das schwarze Auge“, in der alternativen Medizin und selbst in Kochrezepten, obwohl man schwerlich behaupten kann, daß alle Hausfrauen mit Körnermühle den Wassermann anbeten, auch wenn, wie eine Umfrage ergab, heute jeder achte Bundesbürger zu einem New Age-Therapeuten geht und auf Kristall-und Edelstein-Therapien schwört.

Aus den USA kommt aber auch, sozusagen als Nebenprodukt oder dunkle Begleiterscheinung von New Age, der zeitgenössische Satanismus. Waren doch im Fahrwasser der Hippie-Bewegung der sechziger Jahre drogenerfahrene Aussteiger bei der Suche nach neuen „Bewußtseinsformen“ auf die Schriften von Aleister Crowley (1875— 1947) gestoßen , einem englischen „Magier“ und Übervater der neuen Satansjünger und neosatanischer Sekten. Crowley selbst hielt sich für die Inkarnation des Teufels und verkündete die nicht unbedenkliche Botschaft: „Es gibt kein Gesetz, außer: Tu, was du willst.“ „Power, Power“ heißt darum nicht von ungefähr die beliebte elektrisierende Zauberformel bei Jugendlichen, die dem „Satanskult“ frönen.

IV. Was ist New Age, und wer gehört ihm an?

New Age ist keine fest umgrenzte Gruppe, Organisation oder Sekte mit einem eindeutigen Gedankensystem oder entsprechender Lehre und stellt keine neue Glaubensrichtung dar, sondern ist eher ein stillschweigendes Bündnis verschiedener Menschen mit einer gemeinsamen weltanschaulich-religiösen Grundströmung, die wiederum auf einem heterogenen, aus verschiedenen Quellen gespeisten Gemisch von Kultur-, Zivilisations-und Technikkritik basiert. Für Marilyn Ferguson bedeutet New Age, wie schon der Titel ihres Buches besagt, eine „sanfte Verschwörung“ mit vielfältigen Heilserwartungen, ohne politische Doktrin und ohne Manifest, die wie „ein führerloses, aber dennoch kraftvolles Netzwerk arbeitet, um in dieser Welt eine radikale Veränderung herbeizuführen“ New Age äußert sich in unterschiedlichen Daseins-formen, auch in den mannigfaltigen Versuchen, einen alternativen Lebensstil zu verwirklichen, landschaftliche und lokale Traditionen wiederzubeleben, und spricht Menschen unterschiedlicher Herkunft und Bildung an: Schwärmer, Wissenschaftler, Pazifisten, Vegetarier, Bildungsbürger mit narzißtischer Grundhaltung, die der Ideen der Aufklärung überdrüssig geworden sind und von Konsum und Karriere nichts wissen wollen, sowie junge idealistische Menschen — unter ihnen Grüne, feministische und kirchliche Gruppen, die das Eintreten von New Age für die Natur beeindruckt, und andere Umweltschützer, die in der Bevölkerung durchweg stärker verwurzelt sind als die meisten New Age-Anhänger. Gerade der Ruf von New Age nach einer ökologischen Ethik, die offenbar den einzelnen Menschen zur Verantwortung für Welt und Umwelt anhält, ohne sich gleich als Nabel der Welt zu fühlen, motiviert nicht wenige, sich der Bewegung anzuschließen.

Strenggenommen sollte man jedoch zu New Age nur „wendezeitlich“ ausgerichtete Gruppen zählen, also solche, die an eine bessere Zukunft glauben, im Gegensatz zu bestimmten spiritistischen Zirkeln und abergläubischen Menschen, die von Talismanen und astrologischen Wahrsagern Hilfe erwarten, ohne dabei die Hoffnungen von New Age zu teilen. Sie sind daher auch keine New Ager im eigentlichen Sinne. Ungefestigte, allein gelassene Jugendliche, die Lernschwierigkeiten haben und mit ihren Alltagsaufgaben und sonstigen Nöten nicht fertig werden, die Geborgenheit und „starke“ Antworten als Beschwichtigungen ihrer Zukunftsängste suchen. schließen sich ebenfalls New Age an. Wer von ihnen freilich dem „Satanskult“ huldigt, entstammt überwiegend dem Unterschichtenmilieu und gehört zu jenen Jugendlichen, die ohne Perspektiven leben oder sich um ihre Träume betrogen fühlen.

Adolf Holl hat die Vielfalt von New Age anschaulich beschrieben: „Wer im New Age lebt, übt am Montag Tai Chi, geht am Dienstag zum Kegeln, kocht am Mittwoch vegetarisch, tanzt am Donnerstag mit den Derwischen, hört am Freitag Musik der Stille, besucht am Samstag den Vortrag eines Druiden und singt am Sonntag im Kirchenchor.“ Was alle mehr oder weniger verbindet, ist die gemeinsame Überzeugung, daß es im alten Fahrwasser nicht weitergehen kann, daß unser bisheriges Denken und unsere bisherigen Lebensformen die Menschheit an den Rand des Abgrunds gebracht haben.

New Age ist ein Spektrum, schreibt Hansjörg Hemminger, „aus Yoga und Yoghurt, Waldläufen und Walpurgisnacht, Müsli-Fans und Magiern, philosophierenden Physikern und experimentierenden Spiritisten, stummen Meditierern und lauten Sektierern.“ „Vor allem saturierte Angehörige der Ober-und Mittelschicht sonnen sich auf der Mutter Erde, die ihre Vorfahren den Indianern weggenommen haben, blicken zum Vater Himmel hinauf und spielen ab und zu mit Schwester Pflanze und Bruder Tier. In den Befreiungsbewegungen bedrohter und unterdrückter Völker sind sie ebensowenig vertreten wie in politischen Auseinandersetzungen um naturzerstörende Projekte wie Wackersdorf.“

V. Was will New Age?

New Age verkörpert in erster Linie Abkehr vom technisch-naturwissenschaftlichen Fortschrittsglauben und Protest gegen die Vernunftbesessenheit der modernen Gesellschaft und Zivilisation. Die Bewegung wirbt für eine neue Einstellung zur Natur und Umwelt, zu Körper, Geist und Seele, zu Wissenschaft und Technik, befürwortet eine sanfte Technologie, wie Bio-und Solartechnik, und fordert Dezentralisierung statt Großindustrie, Abrüstung statt militärischer Stärke, Frieden mit der Natur statt ihrer Ausbeutung, natumahe Heilkunst statt Chemie und Bestrahlung.

Inmitten drohender Katastrophen nehmen New Age-Anhänger hoffnungsvolle Ansätze eines neuen Zeitalters wahr. Ein Evolutionssprung soll uns ihrer Überzeugung nach zu einem neuen Bewußtsein führen, durch das ein neuer Mensch und eine neue Welt entstehen, eine Welt, in der mehr Weisheit herrscht, als die analytisch-empirischen Wissenschaften zulassen, und in der mehr erreicht wird, als die bisherige Technik erlaubt.

Trotz fehlender organisatorischer Struktur herrscht innerhalb der facettenreichen Bewegung ein breiter Konsens über die gemeinsame Weltanschauung, die gemeinsamen Werte und Ziele. Man möchte ein neues Weltbild entwickeln im „Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft und Mystik“, und zwar mit Hilfe eines neuen Paradigmas in der Psychologie, der Bewußtseinsforschung, Ökologie und Physik, das der Ganzheit der Welt und der Menschheit angemessen ist. Mit Vokabeln wie Spiritualität. Transformation und Holismus oder Ganzheitslehre als Antwort auf den Reduktionismus, der alles bis ins kleinste Detail zerlegt, wird der auf allen Ebe13 nen anvisierte und teilweise schon festgestellte Wandel beschrieben. Was New Age weiter charakterisiert, sind universale Erklärungsmuster, ein Hang zum Globalen, zu einem Denken in großen räumlichen und zeitlichen Zusammenhängen und die Devise: „Ändere dein Bewußtsein, und du änderst die Welt.“

Was aber bedeutet neues Bewußtsein? Nichts anderes als Ablösung des bislang allgemein gültigen rationalen Denkens durch mystisches, ganzheitliches oder holistisches Denken, das für die Erkenntnis steht: Nichts existiert allein, alles ist wie durch ein unsichtbares, locker geknüpftes Netz miteinander verbunden. Diese „religio“ im Sinne von „Wiederverbinden“, um in der etwas überschwenglichen Sprache von New Age zu bleiben, ist das „tiefste Anliegen des neuen ganzheitlich-ökologischen Denkens“.

Der Glaube an die Macht des Bewußtseins ist allen New Age-Leuten zu eigen. Bewußtseinserweiterung ist für sie geradezu der Königsweg schlechthin zum selbstverwirklichten, spirituellen und androgynen (mann-weiblichen) Menschen. Dafür ist dann beinahe jedes Mittel recht: Meditation, Magie, Drogen, insbesondere LSD-Psychotherapien und Psychotechniken aus der „transpersonalen“ oder „humanistischen“ Psychologie, die mit den Namen Abraham Maslow, Ronald D. Laing, Stanislav Grof und Carl Rogers verbunden sind. Bei New Age heißt es, daß der Mensch nur durch Bewußtseinswandel ein planetares oder kosmisches Bewußtsein erlangt und erst durch seine Vereinigung mit dem Kosmischen und dem Göttlichen seine wahre Identität und sein höheres Selbst erreicht — womit zugleich ein altes Thema der Mystik aktualisiert wird.

Das von Karl Marx im vorigen Jahrhundert virtuos entthronte Bewußtsein wird so durch New Age gleichsam rehabilitiert und in seine alte Rolle und in seine alten Würden wieder eingesetzt, mehr noch, es wird mit geradezu übernatürlichen Kräften ausgestattet, die den Menschen befähigen, die Welt und den Kosmos zu verwandeln. Doch mit Sozialismus oder anderen konkreten gesellschaftlichen Veränderungen, für die rebellische Studenten einst auf die Straßen gingen, hat dieses Bewußtsein nichts zu tun. Denn für New Age ist der Mensch kein gesellschaftliches Wesen, noch Subjekt der Geschichte oder ein denkendes Individuum im Sinne von Descartes oder Leibniz, sondern abhängig von kosmisch numinosen Kräften und Mächten und Teil einer transpersonalen Wirklichkeit. Er befindet sich auf dem Wege zu seiner Vergöttlichung, „vom Ich-Bewußtsein zum Überbewußtsein“, womit er, Ken Wilber zufolge, den Tod überflüssig macht. Gleiches gilt für die gesamte Geschichte. Sie bewegt sich nicht auf den Tag des Jüngsten Gerichts zu. vielmehr in Richtung auf eine „Höchste Ganzheit“

Allerdings entsteht der neue Mensch nicht allein durch Vergeistigung, sondern auch durch Reintegration in die Natur, die nun nicht mehr unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Praxis oder des bloßen Nutzwertes für den Menschen, sondern ebenfalls als Teil des Göttlichen und des Kosmos betrachtet wird. Von hier aus wird abermals der Bezug zu östlichen spirituellen Traditionen verständlich, da in diesen Kulturkreisen seit jeher die Einheit von Mensch und Kosmos und der Zusammenhang vor der Vereinzelung der Dinge betont wird. Historiker unter den New Age-Anhängern wie Morris Berman sprechen von einer Wiederverzauberung der Welt, in Umkehrung des bekannten Wortes von Max Weber, Wissenschaft sei die „Entzauberung der Welt“, und von einer neuen animistischen und symbolischen Epoche.

Aber es gibt auch Zeitgenossen, die sich weder mit der Aussicht auf höhere Geistigkeit und Innerlichkeit begnügen noch mit der animistischen Ansicht, die Erde sei eine gütige Nährmutter und der Kosmos ein lebendiges Ganzes, durchwaltet und beherrscht von geistigen Kräften und Potenzen, sondern die, ganz handfest und real, trotz Aufklärung und Kant, plötzlich wieder an teuflische Besessenheit und himmlische Wunder glauben, an Hexen, Feen, Gespenster und Poltergeister sowie an den Einfluß außerirdischer Wesen von anderen Planeten, und die allen Ernstes gelegentlich versuchen, Geister anzuzapfen, damit diese ihr Wissen preisgeben und den „armen Erdenmenschen“ mit Rat und Tat zur Seite stehen.

VI. Capra und sein System

Bei weitem seriöser als solche Phantastereien nimmt sich dagegen Capras System aus, auf das sich New Age-Anhänger wie auf eine Bibel berufen. Günther Schiwy rechnet, obwohl er von der katho-lischen Theologie herkommt — was ihn allerdings nicht davon abhält, die neue Bewegung als Ausdruck des „Heiligen Geistes“ zu begrüßen -Capras Bücher bereits zu den Klassikern von New Age. Capra selbst hat mit den schlimmen Auswüchsen der von ihm inspirierten Bewegung wenig im Sinn. Er distanziert sich von Tischerückern, Gabel-B verbiegem. Geistheilem und Glücksrittern, unterscheidet sorgfältig zwischen Spiritualität und Spiritismus, wehrt sich gegen seine Vereinnahmung als Heilsprediger und lehnt für sein System mittlerweile sogar die Bezeichnung „New Age“ ab.

Auf den ersten Blick wirkt sogar Capras Entwurf wie ein Sammelsurium verschiedenster Theorien, wie eine merkwürdige und zugleich raffinierte Mixtur aus westlicher Wissenschaft und östlicher Mystik, aus westlichen Bewußtseins-und Psychotechniken und okkulten Praktiken, aus säkularem Fortschrittsglauben, ökologischen Visionen, streng wissenschaftlichem Denken und einem freien Spiel von Phantasie und Intuition. Unbekümmert hat Capra auf diese Weise auch chinesische Philosophie und westliche Frauenemanzipation miteinander verknüpft, ungeachtet der Tatsache, daß die chinesische Gesellschaft sehr viel stärker als westliche Gesellschaften durch Hierarchie und Patriarchat geprägt ist und daß von einer Emanzipation der Frau hier niemals die Rede war.

Nach Capra leidet die Welt in ihrem jetzigen Zustand an hohen Inflations-und Arbeitslosenraten, an zunehmender Energieknappheit, an Mängeln im Gesundheitswesen, an einer vergifteten Umwelt, an ökologischen Katastrophen, Hunger in der Dritten Welt, Überbevölkerung, an schlechter Verteilung von Einkommen und Wohlstand. Kernkraft, Krebs und einer wachsenden Flut von Gewalt und Verbrechen. „Uns wird zunehmend bewußt, daß wir uns in einer tiefgreifenden, weltweiten kulturellen Krise befinden. Es ist eine komplexe mehrdimensionale Krise, deren Aspekte jeden Bereich unseres Lebens berühren — unser Wohlbefinden und unseren Lebensunterhalt, die Qualität unserer Umwelt und unserer gesellschaftlichen Beziehungen, unsere Wirtschaft, Technologie und Politik. Es ist ein auffallendes Zeichen dieser Krise, daß Leute, die als Experten aufverschiedenen Gebieten galten, nicht länger mit den vordringlichen Problemen fertig werden, die in ihren Fachbereichen entstanden sind. Die Ökonomen sind unfähig, die Inflation zu begreifen. Ärzte sind sich uneinig über die Ursachen von Krebs, Psychiater stehen vor dem Rätsel der Schizophrenie, die Polizei ist hilflos angesichts der steigenden Verbrechensrate.“

Wer oder was aber ist schuld an der augenblicklichen Misere? Der Physiker macht drei Wissenschaftler für alle Übel der Neuzeit verantwortlich: Bacon, Newton und Descartes — Bacon, weil er den Satz prägte: „Wissen ist Macht“, Newton, weil er das „mechanistische Weltbild“ schuf, und Descartes, weil er den Geist vom Körper trennte. Diese Momente haben, so Capra, zu einer Aufsplitterung des Lebens in einzelne Teilchen geführt und infolgedessen auch zu einer isolierten Betrachtung der Phänomene in Ökonomie und Ökologie. Ausführlich beschreibt er in diesem Zusammenhang die historische Entwicklung des cartesianischen Weltbildes und seine Ablösung durch die moderne Physik und weist nach, wie sehr der cartesianische Dualismus Biologie, Medizin, Psychologie und Wirtschaftswissenschaft beeinflußt hat. Viel Aufmerksamkeit widmet Capra dabei den unheilvollen Auswirkungen einer verabsolutierten mechanistischen Denkhaltung aufjene Bereiche, in denen eigentlich der Mensch im Mittelpunkt stehen sollte wie etwa in der Medizin.

Um die cartesianische Trennung und das mechanistisch-kopernikanische Weltbild zu überwinden, plädiert Capra für Integration statt Selbstbehauptung, für Kooperation statt Wettbewerb, für „Öko statt Ego“, oder um es noch plastischer und plakativer auszudrücken, für Buddha statt Bombe, und entwickelt ein Gegenmodell, das dem neuen Paradigma zum Durchbruch verhelfen soll, das aber im Grunde genommen denkbar einfach ist. Dieses Modell beruht nämlich auf einer Systemschau, die „die Welt im Hinblick auf Zusammenhänge und Integration“ wahrnimmt, und die sich, statt auf Grund-bausteine auf Organisationsprinzipien konzentriert und die Einheit von Geist und Materie voraussetzt. Alle Systeme dieser Welt stehen, laut Capra, in Wechselbeziehung zueinander, sind dynamisch, wachstumsfähig — im Gegensatz zu Maschinen — und ihrem „tiefsten Wesen“ nach, wenn es sich um lebendige Organismen handelt, spirituell.

Auch der Mensch ist ein sich selbst organisierendes System (daraus ergeben sich gewisse Konsequenzen für Heilung und Gesundheit) und ist als Teil des Universums keinen Einflüssen von außen ausgesetzt, so daß sich dem New Age-Anhänger die Frage nach dem freien Willen gar nicht erst stellt. Alle diese Systeme, auch die gesellschaftlichen, ökologischen und andere, sind eingebettet in das planetare System — „in den Geist von Gaia —. das seinerseits an irgendwelcher Art von universalem oder kosmischem Geist teilhaben muß“

Nur wenn wir uns diese Sicht der Systeme zu eigen machen und entsprechend unsere Wahmehmungsweisen, unsere Denk-und Wertvorstellungen ändern.den intuitiven Fähigkeiten und östlichen Weisheiten wieder mehr Raum geben, können wir hoffen, der Vielfalt gegenwärtiger Krisen Herr zu werden. Nur dann sei zu erwarten, meint Capra, daß die heute schon virulenten Bewegungen, zu denen er auch Feministinnen, Umweltschützer. Kernkraftgegner, Verbrauchergruppen, die Friedensbewegung, soziale Befreiungsgruppen und Bürgerinitiativen zählt, zusammenfließen und zu einer machtvollen Kraft gesellschaftlicher Veränderungen werden. Er glaubt, daß sich alle Systeme letztlich ohne unser Zutun von selbst erneuern, der Mensch muß sich nur bewußt werden, wie vernetzt alles ist. Capra zeigt sich zuversichtlich und spricht die Überzeugung aus, daß die positiven evolutionären Wandlungen inzwischen eine solche Größenordnung erreicht hätten, daß sie „durch kurzfristige politische Aktivitäten“ nicht mehr aufzuhalten seien Um sein Gedankengebäude entwickeln zu können, „das uns helfen soll, die Gemeinsamkeiten“ der Endziele aller gesellschaftlichen, in den sechziger und siebziger Jahren in Gang gekommenen Bewegungen zu erkennen, hat Capra in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren mit führenden Wissenschaftlern, Philosophen und Künstlern zahlreiche Theorien und Therapien erörtert und verschiedene Bewußtseinszustände erkundet

Andere Zeitgenossen sehen, trotz einiger Widersprüche und ungenauer Analysen, in Capras „Rundumschlag mit der Chinakeule“ das große Allheilmittel gegen alle Übel der Neuzeit. Seine Thesen über die Notwendigkeit einer neuen ganzheitlich-ökologischen Weitsicht auf der Grundlage einer Systemtheorie werden von nicht wenigen bereitwillig und begierig aufgenommen, nicht zuletzt deshalb, weil Capra seine grundlegenden Gedanken anschaulich und verständlich vermittelt und sie zugleich mit einem wissenschaftlichen Anstrich versieht. So empfindet auch mancher Intellektuelle Capras Bücher wie eine Offenbarung, durch die der Weg erkennbar wird, „der aus den Sackgassen der mechanistischen Weltbeherrschung zu den neuen Möglichkeiten einer ökologischen Weltgemeinschaft führt“

Neu ist dieses Denken freilich nicht. Capra hat die Ideengeschichte wie einen Steinbruch benutzt und den Deutschen Idealismus, vitalistische Schwärmereien des Jugendstils, gnostische und pantheistische Tendenzen, Reformbewegung und Anthroposophie in sein ganzheitliches, holistisches Denken integriert, wobei er sich auf Erkenntnisse der neueren Physik beruft, insbesondere auf Forschungsergebnisse von Einstein, Bohr und Heisenberg — als dessen Schüler sich Capra ausgibt, obgleich er Heisenberg erst kurz vor seinem Tode persönlich kennen-gelernt hat.

Vielleicht liegen gerade in der für Kritiker von New Age „unstatthaften“ Vermischung von Physik und Mystik die Irritation, der Reiz und die große Suggestionskraft von Capras Denken, das getragen ist von Sendungsbewußtsein und Optimismus-Eigenschaften, die Capra mit den meisten New Age-Vertretem teilt. Dabei nehmen sich inmitten einer von apokalyptischen Zukunftsängsten geschüttelten Welt die von ihm und seinen Anhängern verbreiteten positiven Botschaften vom beginnenden „Wassermann-Zeitalter“ ziemlich unrealistisch aus und wirken wie ein Gegenentwurf zur Mentalität des No-Future.

VII, Warum hat New Age wachsenden Zulauf?

Liegt es vielleicht daran, daß — nachdem man die Außenwelt mehr oder weniger erforscht hat — nun die Reise nach Innen gefragt ist als augenscheinlich letztes Abenteuer unserer Zeit, so daß die Revolution heutzutage statt auf den Straßen in den eigenen Köpfen und Körpern stattfindet? Liegt es an der allgemein menschlichen Sehnsucht, hinter das Geheimnis des Lebens und der Zukunft zu kommen, an der Verflachung unseres Daseins, der Verengung der Horizonte oder an dem Ungenügen traditioneller Antworten? Liegt es vielleicht daran, daß New Age dem Harmoniebedürfnis entgegenkommt. Antworten auf elementare Fragen des Daseins weiß, an . die sich die herkömmliche Philosophie nicht mehr herantraut, vieles auf einen griffigen Nenner bringt und mit seinen Synthesen ein geistiges Vakuum füllt? Haben Kirchen. Schulen und andere politische und gesellschaftliche Einrichtungen versagt? Oder fällt es dem Menschen lediglich schwer, erwachsen zu werden, mit Problemen, Konflikten und Entfremdung zu leben, so daß mancher froh ist, bei New Age wiederzufinden, was er schon verloren glaubte: ein allgemeines Weltmodell, die Gewißheit einer besseren Zukunft, Versöhnung des Menschen mit sich und der Natur, eine praktikable Ethik, Sinn und Transzendenz, dazu noch auf dem neuesten Stand der Natur-und Gesellschaftswissenschaft sowie Ratschläge für den privaten und öffentlichen Lebensbereich?

Erfolg hat dieses „wilde“ Denken zunächst vor allem deshalb, weil es Defizite unserer Welt aufdeckt, Probleme anzeigt und dem Unbehagen an der Industriegesellschaft Rechnung trägt. Man sollte seinen Appellcharakter an die Gesellschaft und die christlichen Kirchen keinesfalls übersehen. Denn was New Age auf den Plan gerufen hat. ist genau das, was alle ängstigt: die Schattenseiten des Fortschritts, die Ausbeutung der Natur, die Zerstörung der Umwelt, die Verkopfung der Gesellschaft, die Vereinzelung des Menschen, seine egoistische Bezogenheit, die Undurchschaubarkeit der Welt.

Erfolg hat New Age aber auch, weil es vorhandene Bedürfnisse und Sehnsüchte befriedigt, etwa das Bedürfnis nach Orientierung, nach einer umfassen-B den systematischen Philosophie, nach „Metaphysik“, nach Ich-Stärkung, spiritueller Selbstverwirklichung, nach Harmonie und einer sinnhaften und sinnvollen Existenz. All denen, die die Trostlosigkeit einer entzauberten Welt nicht zu ertragen vermögen und die Kritik von Kulturpessimisten über den heillosen Zustand unserer Welt satt haben, die nicht immer zweifeln und in Frage stellen wollen, sondern schlicht glauben und zuversichtlich in die Zukunft schauen möchten und dabei noch ein wenig Nestwärme suchen, kommt New Age besonders entgegen.

Für die anderen ist alles, was mit New Age zusammenhängt, großer Blödsinn. Schwindel, eine Scheinreligion, eine falsche Heilslehre, eine „sanfte Verführung“ oder eine „sanfte Verblödung“ Dennoch ist die Nachfrage nach dem „neuen Bewußtsein“ groß, in erster Linie bei jenen, die sich mit der zunehmenden Entemotionalisierung und Affektsteuerung, die den Prozeß der Zivilisation laut Norbert Elias nun einmal unweigerlich begleiten, nicht abfinden können, die einen harten Schicksalsschlag erlitten haben oder denen die Last der Einsamkeit und der eigenen Entscheidung zu schwer ist. Unbestreitbar wird für alle diese Menschen New Age zum Rettungsanker, mitunter zum letzten Strohhalm. Fraglos kommt New Age bei seinem „Flirt“ mit dem Irrationalismus manches zugute, etwa „der Stand der Dinge in Sachen Aufklärung“. „Wo Ratio walten sollte, herrscht Zweckrationalität, wo die Vernunft regieren wollte, regiert das wirtschaftliche Kalkül.“

Manche Beobachter deuten die Hinwendung von New Age zu Spiritualität und Religiosität und seine übermäßige Betonung des Bewußtseins als Antwort auf Materialismus und Marxismus, weil Blochs „Prinzip Hoffnung“ allem Anschein nach schal geworden sei und nicht mehr trage und weil sich säkulare Heilsversprechungen samt und sonders als nichtig erwiesen hätten. Zudem profitiert New Age von einem schon vor seinem Auftreten verbreiteten sogenannten „Aussteigertum" aus einer an Profit und Leistung orientierten Gesellschaft, von verbürokratisierten und immer noch autoritär verwalteten Kirchen sowie von dem schon lange schwelenden Unbehagen am einstigen abendländischen Kolonialismus und Kulturimperialismus, vom kürzlich erwachten westlichen Interesse für Fremdes, insbesondere für alte Religionen und Kulturen, in denen nicht wenige die bessere Alternative zum Eurozentrismus vermuten, während umgekehrt europäische Wissenschaft und Technologie in der Dritten Welt Einzug halten.

Das alles sind Gründe, die durchaus einleuchten und daran erinnern, daß die moderne westliche Welt gegen Streß und übermäßige Betriebsamkeit, gegen bloßes Machen und Haben ein Gegengewicht braucht — in Form von Besinnung, Meditation, Geschehen-Lassen, Selbsterfahrung und Einübung in einen pfleglichen Umgang mit der Natur. Das alles bietet New Age. Was also hindert kritische Zeitgenossen daran, sich dieser Bewegung vorbehaltlos anzuschließen?

VIII. Einwände

Was skeptisch macht und viele gegen New Age einnimmt. sind keineswegs belanglose oder oberflächliche Ungereimtheiten. Die New Age-Bewegung. meint Reinhart Hummel zu Recht, gibt auf richtige und wichtige Fragen fragwürdige Antworten Anstatt die gestörte Balance von Vernunft und Gefühl, Mensch und Natur, Subjekt und Außenwelt, Kopf und Bauch wiederherzustellen, habe sie sie weitgehend in die umgekehrte Richtung verändert und die Schleusen für alte und neue Irrationalismen geöffnet. Sie biete lediglich eine neue Romantik und Träume statt Tatsachen. Gewiß existiefen, um mit Shakespeares Hamlet zu sprechen, „mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt“. Jedoch ist fraglich, ob die Dinge, von denen die Schulweisheit nicht träumt, tatsächlich so simpel sind, wie New Age dies suggeriert.

Auch soll nichts gegen das bei New Age übliche Plädoyer für die wahrheitserschließende Kraft der Intuition gesagt werden. Aber bedarf nicht auch der Einfall gründlicher Prüfung und Bewährung? Wo die Intuition zum alleinigen Schlüssel der Erkenntnis erklärt wird, bleibt intuitionslosen Untertanen nur der brave Glaube an die Unfehlbarkeit ihrer Gurus. Wer prüft nach, was allein Auserwählten zugänglich ist? Die Gefahr, daß mit der Abkehr von Vernunft und rationalem Denken zugunsten von Gefühlen und Gefühligkeit die Fähigkeit zur Selbst-reflexion verlorengeht, ist nicht von der Hand zu weisen, ebensowenig jene, daß durch Vereinfachung der komplexen modernen Welt gravierende Probleme, Widersprüche, soziale Ungerechtigkeiten gar nicht erst ins Blickfeld gelangen, geschweige denn analysiert oder gar behoben werden, ferner gilt es zu bedenken, daß sich der Mensch magischen Kräften und Mächten unterwirft, statt sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Da Capra biologische, sich selbst regulierende Systeme mit sozialen Gemeinschaften gleichsetzt, erscheinen bei ihm alle menschlichen Systeme als harmonische, hierarchisch geordnete und daher nicht kritisierbare Ganzheiten. Einspruch, Mitbestimmung, individuelle Autonomie, Innovation, persönliches Risiko, Engagement, Verantwortung des einzelnen, Schuld als persönliches Versagen und wechselnde Machtverhältnisse wirken wie Fremdkörper in Capras ausbalanciertem Universalgebäude von miteinander verketteten Systemen.

Capra baut eine autoritäre Scheinwelt auf, in der das Rettende von selbst kommen soll, wobei er wohl übersieht, daß es längst eine Einheit anderer Art gibt, nämlich die technologische Vernetzung der Welt, in der allerdings die Isolierung des Individuums durch Gemeinschaftskult und Privatreligion nicht aufgehoben, sondern allenfalls durch den Animismus der unbelebten Dinge übertüncht wird, und in der Wissenschaftler, die Computer entwikkeln und in hochgradig vernetzten Systemen denken, sich keineswegs automatisch zur New Age-Philosophie bekehren.

Kein Zweifel, die Industriegesellschaften bedürfen der Versöhnung von Ökonomie und Ökologie — das fordert auch Carl Friedrich von Weizsäcker vom neuen Denken und Handeln — und einer verstärkten Besinnung auf das Prinzip Verantwortung. Zu überlegen wäre aber auch, ob notwendige technische Korrekturen und Verbesserungen noch möglich sind, wenn auf den cartesianischen Rationalismus völlig verzichtet wird. Naiv mutet außerdem der Glaube an, die Weltkrisen seien in erster Linie durch übertriebene Rationalität entstanden. Wissenschaft ist zwar eine Sache des Verstandes, aber bei der Anwendung ihrer Produkte steht die Vernunft nicht immer Pate. Weiter stört an New Age die Euphorie, das Sendungs-und Elitebewußtsein, der Mangel an Zweifel, Skepsis und intellektueller Bescheidenheit — möglich ist auch, wie Ossip K. Flechtheim einmal zu bedenken gab, daß das New Age ein Dark Age wird — sowie ein ungerechtfertigtes Vertrauen in Mythen und Schamanen und der Rückgriff auf vorrationale und nichtaufgeklärte Haltungen.

Zudem werden, was Carl Gustav Jung einst die Schatten nannte, die Nachtseiten der menschlichen Natur, ihre Destruktivität und Aggressivität, nicht ernst genommen. Selbst die Zunahme gegenwärtiger Bedrohungen und Katastrophen, wie Wald-und Robbensterben, Hungerepidemien in Afrika, vergiftete Flüsse, Ozonloch, Smogalarm, Erschöpfung der Ressourcen und andere schlimme Ereignisse, für die Namen wie Bhopal, Harrisburg, Tschernobyl stehen, vermögen den Optimismus von New Age nicht zu erschüttern, da es unterschlägt, was seine Behauptungen in Frage stellen könnte. Außerdem ist die New Age-Bewegung „in einer eigentümlichen Ambivalenz befangen. Einerseits wird der einzelne grenzenlos überhöht, wodurch die autistische kosmische Monade als gottebenbürtig deklariert ist, andererseits verschwindet der einzelne in und hinter Systemgesetzlichkeiten, numinosen Auseinandersetzungen und astrologisch kosmischen Zwangsläufigkeiten.“ Ferner sind erhebliche Zweifel erlaubt, ob der Abendländer überhaupt in der Lage ist, die Lehren eines Buddha, des Hinduismus oder anderer fernöstlicher Religionen in ihrer Tiefe und Tragweite zu erfassen. Wahrscheinlich eignet er sich dabei immer nur ein einfaches, zurechtgemachtes Abbild an. Zeigt sich hier wieder einmal die Hybris des abendländischen Geistes, der meint, alles und jedes in Besitz nehmen zu können?

Ausgesprochen gefährlich aber ist eine gewisse Nähe von New Age zu Totalitarismus und Faschismus, obwohl es sicherlich verkehrt wäre, die gesamte New Age-Szene als neuen Hitlerismus zu brandmarken, oder, wie es Christen häufig tun, als Ausdruck des Antichristen zu verunglimpfen. Trotzdem bestehen unverkennbar Parallelen zwischen einigen Überzeugungen von New Age und bestimmten ideologischen Wurzeln des Nationalsozialismus. Man denke nur an das magische Naturbewußtsein, die feierliche Erhöhung der Natur über alles künstlich Geschaffene und demgemäß an die Verherrlichung einer natürlichen Lebensweise, einer . *artgemäßen Religiosität, einer heimatschützenden Wirtschaftsform, mitunter in Verbindung mit einem verabsolutierten Vegetarismus und Abstinenzlertum.

Wie gegenwärtig einige Vertreter von New Age strebten auch die Nationalsozialisten nach einer neuen Weltordnung. Hitler stand dem Okkultismus nicht fern; er war überdies ein Anhänger der Astrologie und Schüler der heute wieder populär gewordenen Geheimlehren von Madame Blavatsky Gerade bei der frühen NS-Bewegung waren auch okkulte Einweihungsriten bekannt, wie sie heute im Gefolge von David Spangler und Alice Bailey wieder praktiziert werden. Weitere Ähnlichkeiten zwischen dem Nationalsozialismus und der New Age-Bewegung sind elitäres Bewußtsein und Scheinangebote sinnhafter Existenz. Jede den einzelnen auf seine Verantwortung hin ansprechende Moral und Politik werden dagegen zugunsten irrationaler Praktiken, die angeblich der „Erleuchtung“ der Menschheit dienen, aufgegeben. Im Grunde beutet New Age die gleichen Gefühle aus wie einst die Nationalsozialisten, nämlich irrationales, nicht reflektiertes Unbehagen an der modernen, entzauberten und immer komplizierter werdenden Welt sowie die Neigung mancher Zeitgenossen zum vermeintlich Einfachen, Schlichten und Durchschaubaren. Hitlers Blut-und Bodenideologie, die jegliche Modernität ablehnte und eine emotionale Mobilisierung der Massen im Gemeinschaftserlebnis und im Führerkult bewirkte, findet sich bei einigen Gruppen von New Age wieder. Johannes Aargaard zum Beispiel behauptet im Film „New Age — die Macht von morgen“: „Innerhalb des Guruwesens überrascht es nicht, daß wir sehr positive Sätze und Stellungnahmen zum Nationalsozialismus finden. Eine Reihe von Gurus bezeugten Hitler ihre Anerkennung für das, was er getan hatte, einschließlich des Tötens von sechs Millionen von Juden.“

Im Teutoburger Wald, am Fuße der Externsteine, versammeln sich die Armanen, rufen nach Wodan und befürworten die Reinerhaltung der Rasse Sogar die berüchtigte Thule-Gesellschaft, der zahlreiche führende Anhänger des NS-Regimes angehört haben sollen, ist mit New Age wieder gesellschaftsfähig geworden. Wie sehr einzelne New Age-Gruppen, die freilich nicht für die gesamte Szene repräsentativ sind, in ihrer Terminologie, in ihren Ritualen und Verhaltensweisen dem Jargon und den Gepflogenheiten der Nationalsozialisten gleichen, verdeutlicht das reichlich ominöse, angeblich unter dem Einfluß von Geistern entstandene Buch „Die Weisheit von Ramala", in dem gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen diffamiert, ungeniert dem Arier-Mythos und einem „gesunden Volksempfinden“ gefrönt sowie von Zeremonien der Druiden und Kelten, von Sommersonnenwende und Wintersonnenwende berichtet wird, die anscheinend einige Gruppen mit allerlei Brimborium und Kulthandlungen wieder feiern

IX. Was ist zu tun?

Mit einem belustigten Achselzucken oder dem erhobenen Zeigefinger kommt man dem Phänomen New Age kaum bei. ebensowenig, wenn man es verteufelt oder gar verharmlost. Man muß sich mit dem. was fasziniert, gründlich und kritisch auseinandersetzen. Verständnis für diejenigen aufbringen, die bei New Age Rat und Hilfe suchen, und jene Gründe ausloten, die diese Bewegung überhaupt erst möglich gemacht haben. Man sollte sich klar darüber sein, daß die Zeit der alten Götter und Zauberer unwiderruflich der Vergangenheit angehört. daß für die heutige Zeit ohne Einschränkung die Naturgesetze gelten, daß ferner sachkundiger naturwissenschaftlicher Unterricht genauso wichtig ist wie guter Religionsunterricht, der Jugendliche gegen Aberglauben aller Art immun macht und ihnen zeigt, daß die Welt ein für allemal gespenster-frei ist.

Leider gilt immer noch, was Sigmund Freud einmal gesagt hat: Die Stimme der Vernunft ist leise. Dennoch sollte sich die moderne Welt, allen Fehlschlägen zum Trotz, die kritische Kraft der Aufklärung bewahren und sich davor hüten. Vernunft und Wissenschaft über Bord zu werfen. Nicht von ungefähr höhnt der Teufel in Goethes Faust: „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft“, wohl wissend, daß genau diese Haltung den Menschen ins Verderben führt. Schließlich werden selbst Vorurteile allein durch vernünftige Aufklärung ad absurdum geführt, während mythisches Denken diese eher schürt als zerstört.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), Information, V (1988) 105. S. 27.

  2. Vgl. Fritjof Capra, Das Tao der Physik. Konvergenz von westlicher Wissenschaft und östlicher Philosophie, Bern-München 1984; ders., Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Bem-München 1983.

  3. Vgl. Marilyn Ferguson, Die sanfte Verschwörung. Per-sönliche und gesellschaftliche Transformation im Zeitalter des Wassermanns, Basel 1982.

  4. M. Ferguson (Anm. 3), S. 25; vgl. auch Christof Schorsch. Die New Age-Bewegung, Gütersloh 1988. S. 17

  5. Adolf Holl, Schon Hegel fragte, kann man ihn lenken? Zeitgeist — Ein Reiz-und Schlagwort wird besichtigt, in: Rheinischer Merkur vom 3. Februar 1989.

  6. Hansjörg Hemminger (Hrsg.), Die Rückkehr der Zauberer, Reinbek 1987, S. 8.

  7. In: Natur, (1987) 3.

  8. Ken Wilber, Halbzeit der Evolution. Der Mensch auf dem Weg vom animalischen zum kosmischen Bewußtsein, Bem-München 1984, S. 21 und S. 389.

  9. EZW (Anm. 1), S. 12 f.

  10. F. Capra, Wendezeit (Anm. 2), S. 295 und S. 299ff.

  11. Ebd., S. 474.

  12. Fritjof Capra. Das Neue Denken. Bem-München 1987.

  13. Die Zeit vom 18. November 1983.

  14. Hans-Jürgen Ruppert, New Age. Endzeit oder Wende-zeit?, Wiesbaden 1985, S. 176.

  15. Constance Cumbley, Die sanfte Verführung. Hinter? rund und Gefahren der New Age Bewegung, Asslar 1986.

  16. Hans A. Pestalozzi, Die sanfte Verblödung. Gegen fal-ig) ew Age Heilslehren und ihre Überbringer, Düsseldorf

  17. Wolfgang Görl, Neues Denken, in: Widerspruch. 15 (1988). S. 26 und S. 28.

  18. Vgl. Reinhard Hummel, in: H. Hemminger (Anm. 6), S. 57.

  19. Chr. Schorsch (Anm. 4), S. 231.

  20. Vgl. Eduard Gugenberger/Roman Schweidlenka. Mutter Erde. Magie und Politik. Zwischen Faschismus und Neuer Gesellschaft, Wien 1987.

  21. Helena Petrowa Blavatsky (1831 — 1891). russische Mystikerin. die 1875 die Theosophische Gesellschaft gründete.

  22. David Spangler, angelsächsischer Verfasser zahlreicher Bücher, in denen er seine „für das New Age-Bewußtsein typische Vorstellungen von Christus“ darlegt.

  23. Alice Bailey (1880-1949), englische Mystikerin, die glaubte, mit „Meistem“ geheimer Ebenen in Verbindung zu stehen. Sie gründete die „Arkanschule", veröffentlichte zah -reiche Bücher und Schriften und verkündete den Beginn des Wassermann-Zeitalters. Vgl. Lexikon esoterischen Wissens. München 1985.

  24. Johannes Aargaard. zit. in: Walther Schmidt u. a. (Hrsg.). New Age. Die Macht von Morgen, Neuhausen-Stuttgart 1987. S. 199.

  25. Vgl. Wolfgang Gessler. Wenn Herr Adolf nach Wodan ruft, in: Die Welt vom 7. Dezember 1988.

  26. Die Weisheit von Ramala. München 1988. Keine Autorenangabe. angeblich von „Geistern“ diktiert.

Weitere Inhalte

Ursula Homann, geb. 1930; freie Mitarbeiterin bei verschiedenen Publikationsorganen. Veröffentlichungen u. a.: Pendler des Planeten. Von der Schwierigkeit, als Jude zu leben, in: Buch und Bibliothek, Oktober 1985; Jüdische Kultur in deutschen Städten. Pflege jüdischer Tradition ohne Juden, in: Tribüne, (1986) 100; Wahrlich kein Ruhmesblatt. Die Geschichte unserer „Vergangenheitsbewältigung“, in: Tribüne, (1987) 104; Schreiben im Gefängnis. Ein Appell an Humanität und Mitmenschlichkeit, in: epd vom 4. Januar 1989.