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Die Außenpolitik Deutschlands. Alte Herausforderungen und neue Probleme | APuZ 1-2/1991 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 1-2/1991 Kultur und Gesellschaft in der Bundesrepublik. Eine Profilskizze 1945— 1990 Die Bundesrepublik Deutschland 1945— 1990. Reformen und Defizite der politischen Kultur Die Außenpolitik Deutschlands. Alte Herausforderungen und neue Probleme

Die Außenpolitik Deutschlands. Alte Herausforderungen und neue Probleme

Wilfried von Bredow/Thomas Jäger

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Zusammenfassung

Die politische Ordnung Europas verändert sich aufgrund struktureller Wandlungen des internationalen Systems. Ein Element in diesem Prozeß, der durch gleichzeitig voranschreitende Globalisierung, Regionalisierung und Re-Nationalisierung gekennzeichnet ist, ist die Vereinigung Deutschlands am Ende des Ost-West-Konflikts. Die Frage nach der künftigen Rolle des Akteurs Deutschland im internationalen System ist nicht zuletzt deshalb schwer zu beantworten, weil Unsicherheiten über die Entwicklungs-und Bündnisfähigkeit der UdSSR sowie über die Integrationsperspektiven der Europäischen Gemeinschaften herrschen. Die deutsche Außenpolitik wird weitgehend in der Kontinuität bisheriger westdeutscher Außenpolitik verbleiben, damit aber auch weiterhin mit deren Strukturproblemen konfrontiert sein. Der sicherheits-und wirtschaftspolitische Standort der UdSSR in Europa, die Koordination zwischen den EG-Staaten und den anderen Großregionen sowie die neuen Anforderungen an die EG (Modernisierung Osteuropas, sicherheitspolitische Zusammenarbeit, Abbau wirtschaftlicher Asymmetrien) gehören zu den gewichtigsten unter den Herausforderungen an deutsche Außenpolitik, die weiter auf das diplomatische Konzept der Multilateralität zurückgreifen wird. Die außenpolitische Orientierungsdebatte in der Bundesrepublik sollte dabei die Aufgabe haben, unrealistische Erwartungen — vollständige Abrüstung, kollektives Sicherheitssystem in Europa u. a. — abzubauen.

Unter dem Titel „Zweimal deutsche Außenpolitik"

veröffentlichte Heinrich End zu Beginn der siebziger Jahre eine wichtige Studie, die sich mit den internationalen Dimensionen des innerdeutschen Konflikts beschäftigte Heute müßte diese Studie gewissermaßen rückwärts geschrieben werden. Nicht mehr die doppelte und gegensätzliche Vertretung deutscher Interessen ist das Problem, vielmehr die Zusammenführung der bislang auf verschiedenen Waagschalen ins Gewicht fallenden deutschen Interessen in einem Staatsverband.

Dabei fällt auf, daß ein größerer Teil der hiesigen und in anderen Ländern geführten Debatten über dieses Thema in vielleicht verständlicher, indes ganz unangemessener Weise rückwärtsgewandt bleibt. Die eigentümlichen Schwierigkeiten der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und einiger ihrer einflußreichen Berater mit dem vereinigten Deutschland, die im Juli 1990 auch in ihren eher komischen Seiten ruchbar wurden, sind nur ein besonders exponiertes Beispiel für diese Retro-Antizipation. Sie kreist um die Fragen, welche Rolle Deutschland mit seinem gewachsenen politischen und ökonomischen Potential in der Region Europa und im internationalen System spielen will und wird, und ob diese Rolle nicht eine Neuauflage des deutschen Hegemoniestrebens der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg und des Nationalsozialismus mit umfaßt.

So abwegig diese Vorstellung auch ist. so wenig läßt sie sich mit dem Hinweis auf ihre Absurdität beiseite räumen. Aber auch die einheimische Debatte kann nicht gerade als wegweisend bezeichnet werden. In der Hauptsache liegt das gewiß an der unumgänglichen Priorität, die das Thema der Vereinigung Deutschlands und ihrer Modalitäten beanspruchte. Dennoch ist es zwiespältig, daß die über Jahrzehnte geführte öffentliche Debatte um die Ziele und Mittel der Außen-und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland weitgehend verstummt ist, obwohl doch unübersehbar ist. daß die meisten der dabei angesprochenen Probleme vom Status-und Rangwechsel des Akteurs Deutschland verändert, aber keineswegs überwunden wurden.

Nachdem die inneren Aspekte der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im „Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion“ sowie im „Einigungsvertrag“ geregelt und im „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ die äußeren Aspekte des Vereinigungsprozesses vereinbart wurden ist es geboten, die außenpolitische Orientierungsdebatte wieder konzentrierter aufzugreifen. Analysen über wechselnde Deutschlandbilder und Standortwahrnehmungen sowie über die Zusammenführungs-Kooperation der beiden deutschen Staaten, die im Moment der Vereinigung ja keineswegs hinfällig, sondern umso dringlicher wurden müssen ergänzt werden durch Untersuchungen über die Bedingungen. Möglichkeiten und Prioritäten bei der Einbeziehung des größeren Deutschland in internationale Handlungszusammenhänge.

I. Unsicherheiten des internationalen Systems

Die Gestalt und Struktur des internationalen Systems nach dem Ende des Ost-West-Konflikts lassen sich gegenwärtig nur schwer bestimmen Dasselbe gilt für die Zukunft der europäischen Staaten-ordnung. Versuche dazu blieben bisher vornehmlich normativ geprägt Das ist weder verwunderlich noch zu beklagen — schließlich bildet genau diese normative Diskussion um die Westintegration Deutschlands eines der wesentlichen Elemente in der Perzeption von europäischer Stabilität und politischer Kultur in Deutschland. Die Anbindung der früheren DDR an Westeuropa durch die Bundesrepublik und die enger werdende Verbindung der meisten ost-und ostmitteleuropäischen Staaten mit der EG werden zweifellos die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Europa zu einer regionalen Ordnung demokratisch-parlamentarischer Staaten mit marktwirtschaftlich orientierten Volkswirtschaften fördern. (Die Polemik gegen einen „DMNationalismus“ erinnert dagegen nur an bildungsbürgerliches Innerlichkeitsstreben, das in sehr zweifelhaften Traditionen deutschen politischen Denkens steht)

Nicht die deutschen, nicht einmal die europäischen Veränderungen machen das Entscheidende am Wandel des internationalen Systems der Gegenwart aus. obwohl beide ein dramatischer Ausdruck dieses Wandels sind. Dieser Wandel schafft Rahmenbedingungen, die beim Kalkül der außenpolitischen Chancen und Horizonte der Akteure des internationalen Systems in Rechnung gestellt werden müssen. Schlüsselbegriffe, die Merkmale und Hauptrichtungen der Veränderung des internationalen Systems bezeichnen, lauten: Globalisierung. Regionalisierung, Transregionalisierung und Re-Nationalisierung. Die mit diesen Begriffen bezeichneten Vorgänge hängen zusammen und ergänzen einander (zuweilen auf widersprüchliche Weise).

Globalisierung: Politische, ökonomische, kulturelle Handlungszusammenhänge nehmen mehr und mehr einen planetarischen Charakter an. Es entstehen — in der Regel: asymmetrische — Interdependenzen, die oft nur die Reaktion auf Probleme sind, die ebenfalls planetarischen Charakter besitzen und also nur in Koordination überaus zahlreicher und verstreuter Akteure in Angriff genommen werden können. Vermittlungsinstanz von wachsendem Einfluß für die Definition solcher Probleme und das internationale Bewußtsein von ihnen sind die Medien. Regionalisierung und Transregionalisierung: Großräume mit Zentrum und Peripherien hat es auch früher gegeben. Neu ist jetzt, daß diese teils geographisch-geopolitisch, teils historisch-kulturell, teils „zufällig“ zur Gestalt werdenden Räume sich voneinander nicht abgrenzen lassen, ja sich teilweise überlappen, und daß es zwischen ihnen nicht wirklich um einen „Kampf um die Nummer Eins“ geht. Die Großregionen (z. B. Europa, USA, Japan und die Staaten des pazifischen Beckens) sind auf Kooperation und Koordination angewiesen. Großregionen bilden Räume für „erleichtertes Handeln“; aber sie bleiben miteinander verknüpft.

Re-Nationalisierung: Ethnische Gruppen in multi-ethnischen Großstaaten, ethnische Minderheiten in Nationalstaaten, aber auch manchmal die Majoritäten in solchen Staaten bilden eine militant gewendete kollektive Identität aus und leiten daraus die Forderung nach einem eigenen Staate oder nach Verringerung der Präsenz nationsfremder Individuen und Gruppen auf „ihrem“ Territorium ab. Die Gründe für dieses Verhalten sind vielfältiger Natur und reichen vom (über globale Kommunikation vermittelten) Bewußtsein der eigenen Unterdrükkung bis hin zur Angst vor dem Tempo der Globalisierung, die Statusunsicherheit und Orientierungsprobleme mit sich bringt und bedrohlichen Charakter annehmen kann.

In Europa sind — zu Beginn der neunziger Jahre nachdrücklicher denn je — alle drei Prozesse zu beobachten. Wie sie mit-und gegeneinander wirken werden, läßt sich schwer absehen. Aber eines ist, entgegen dem Tenor der im Frühjahr und Sommer 1990 geführten außenpolitischen Auseinandersetzungen in Publizistik und akademischen Zirkeln, mit Nachdruck zu betonen: Im Zentrum der Unwägbarkeiten der europäischen Entwicklung steht nicht die deutsche Frage, sondern stehen die westeuropäische und vor allem die sowjetische Frage. In einem ersten Überblick lassen sich hier vier besonders wichtige Aspekte der Entwicklung einer europäischen Ordnung ausmachen:

— Die Bedeutung des Faktors Militär sinkt. Zwar ist es falsch, eine vollständige Abrüstung der Arsenale des Ost-West-Konflikts zu erwarten, weil die demonstrative Sicherung der „Freiheit der Eigenentwicklung“ (Löwenthal) auch in den Strukturen asymmetrischer Interdependenz für eine Gesellschaft wichtig bleibt. Die Aufgaben und entsprechenden Ausrüstungen und Ausbildung der Streitkräfte werden sich indes erheblich wandeln. Auf der Basis von Truppen und Rüstungspotentialen wird sich Europa jedenfalls nicht zu einer funktionsfähigen Großregion entwickeln lassen

— Hingegen wächst die Bedeutung des ökonomischen, technologischen und sozial-organisatorischen Potentials der Gesellschaften Auf diesen Gebieten hat die Realisierung sowjetsozialistischer Normen gänzlich versagt, während unterschiedlich akzentuierte marktwirtschaftliche Konzepte ihre Tauglichkeit bewiesen haben. — Die ehemaligen sozialistischen Staaten werden sich, je nach Lage rascher oder über Umwege, in pluralistische Demokratien und ökonomische Marktsysteme wandeln, zugleich aber auch im Maße dieser Umstellung in internationale und transnationale Handlungskontexte integriert werden. — Status und Prestige, damit auch der Einfluß eines Staates im internationalen System werden in Zukunft stärker vom Ausmaß seiner Fähigkeit bestimmt werden, bei der Lösung oder Milderung anstehender globaler oder regionaler Probleme kooperativ und effizient mitzuwirken. Internationale Politik wird immer weniger eine Summierung bilateraler Beziehungen; sie nimmt mehr und mehr einen multilateralen Charakter an.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen gewinnen die sowjetische und die westeuropäische Frage Kontur.

II. Die sowjetische Frage

Alle politischen und wirtschaftlichen Vorgänge in der UdSSR sind gegenwärtig nur mit größter Unsicherheit zu beurteilen. Niemand kann die Frage beantworten, welche Ordnung, ja welche äußere Gestalt dieser Staat in ein paar Jahren angenommen haben wird Der Bankrott der bisherigen Ordnung wurde auf allen Ebenen offenbar: politisch, wirtschaftlich, sozial. Die sowjetsozialistischen Regime in der UdSSR und den mit ihr verbündeten Staaten vermochten nicht mehr, der gesellschaftlichen Entwicklung auf der Basis der ideologisch vorgegebenen Strukturen Steuerungsimpulse zu geben, obwohl doch genau dieser Anspruch im Mittelpunkt des Selbstverständnisses der marxistisch-leninistischen Eliten stand. Strukturanpassungen. Reformen also, sind verpaßt worden. In diesem Prozeß der Umstürze und Umstellungen in Ost-und Ostmitteleuropa verlor die UdSSR das, was man etwas maliziös ihr „europäisches Imperium“ genannt hat. Der Widerspruch zwischen dem sowjetischen Anspruch nach außen und ihren inneren Ressourcen war nicht mehr zu überdekken

Gewiß: Die politischen und sozialen Veränderungen im östlichen Europa wären ohne die sowjetische Reformpolitik so nicht möglich gewesen. Die innergesellschaftlichen Konflikte hätten sich auf andere Weise, vielleicht mit Verzögerungen, Bahn gebrochen. Daraus kann man jedoch nicht schließen. daß die Veränderungen von der sowjetischen Führung so. wie sie erfolgt sind, auch gewollt wurden. Eine Ausnahme bildet vermutlich Rumänien. Jedenfalls werden die Präsidialrats-und Politbüro-Protokolle der Jahre 1989/90 einmal eine äußerst spannende Lektüre sein. Unsere These ist. daß die sowjetische Führung die Möglichkeiten einer raschen und durchgreifenden wirtschaftlichen Veränderung falsch eingeschätzt hat und darüber hinaus auch ein unzureichendes Bild davon hatte, welcher politischen Veränderungen es bedurft hätte, um in relativ kurzer Zeit eine dynamische Wirtschaftsentwicklung in der UdSSR in Gang zu bringen.

Im Rückblick auf den Beginn seiner Reformpolitik 1985 hat Michail Gorbatschow einige Jahre später geschrieben: „Im selben Jahr (1985) wurden in wichtigen Bereichen von Wissenschaft und Technologie fundierte und umfassende Programme ausgearbeitet, die darauf abzielen, den entscheidenden Durchbruch herbeizuführen und bis zum Ende des Jahrhunderts zum Weltniveau aufzuschließen.“ Es ging dabei nicht um einige Prestigeprojekte, sondern um eine neue Investitions-und Strukturpolitik, also die Basis der sowjetischen Wirtschaft. Die seitherige Entwicklung bestätigt das Urteil, daß die sowjetische Führung sich Illusionen über die Voraussetzungen für einen „entscheidenden Durchbruch“ macht. Die bündnispolitischen Folgen der mangelnden sowjetischen Führungsmöglichkeiten auf wirtschaftlichem Gebiet lassen sich am Schicksal des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) ablesen War schon seit Jahren in wichtigen Fragen — etwa der des konvertiblen Zahlungsverkehrs — keine produktive Bündnispolitik mehr möglich so hat sich die Rolle des RGW für die Staaten des östlichen Europa immer mehr in Richtung auf Schadensabwicklung reduziert. An eine Reform des RGW ist nicht zu denken.

Zwar wurde im Frühjahr 1990 die Einführung von Weltmarktpreisen und der Übergang zur Verrechnung in Hartwährungen zum 1. Januar 1991 beschlossen, jedoch ist völlig unklar, wie dies funktionieren soll. Entsprechende Abkommen wurden nicht geschlossen. Dem werden auch weiterhin die Nicht-Konvertibilität der nationalen Währungen, die Nicht-Existenz einer anerkannten Preisgestaltung (ausgenommen der Energielieferungen) und die Unsicherheit hinsichtlich der bürokratisch-ökonomischen Ansprechpartner entgegenstehen. Die osteuropäischen Staaten verfolgen statt dessen eine Strategie bilateraler Wirtschaftskooperationen; das Ziel Ungarns, der SFR und Polens ist die Angliederung an die EG. Ähnlich aussichtslos ist die Lage des Warschauer Pakts, nachdem die früher diktierte politische Homogenität des Bündnisses verloren ist, bilaterale Abkommen gelöst worden sind und der frühere Feind zum Vorbild geworden ist. Bei der Rüstungskontrolle und Abrüstung in Europa wird die langsam zunehmende Heterogenität des östlichen Europa ein Faktor von Gewicht sein, wenn die bisherigen Block-zu-Block-Verhandlungen immer stärker durch nationale Interessen kompliziert werden. Daß sich die weltpolitische Rolle der Sowjetunion — früher oft und etwas übereilt als „Supermacht“ qualifiziert — drastisch reduziert, versinnbildlicht eine Entwicklung, die sie nicht nur stärker auf Europa verweist, sondern gleichzeitig das sowjetische Dilemma Europas offenbar werden läßt. Dieses Dilemma geht auf besondere Weise auch die Außenpolitik Deutschlands an. Im Kem — und unverblümt ausgesprochen — handelt es sich dabei um die politische Bündnisunfähigkeit der UdSSR. Diese ergibt sich nicht aus der politischen Haltung ihrer Führungselite, sondern ist eine Frage ihres demographischen, geopolitischen und militärischen Gewichts sowie ihrer ökonomischen Stützungsbedürfnisse und ihrer internen sozialen, ethnischen und religiösen Spannungen. Nicht die Intentionen der politischen Führung der Sowjetunion, sondern die problembefrachtete Komplexität ihrer zerrütteten inneren Strukturen und die bevorstehenden internationalen Deprivationen sollten im Zentrum der Analyse stehen. Denn der sowjetische Umstellungs-und Modernisierungsprozeß ist für die europäische Zukunft von überaus großer Bedeutung. Verläuft er einigermaßen friedlich und ohne gewaltsame Eruptionen, stehen die Chancen für eine europäische Ordnung relativ günstig (trotz der enormen Kosten, die zum Ausgleich des Gefälles im Lebens-und Produktionsstandard zwischen den beiden Hälften Europas aufgebracht werden müssen). Bei einem gewalttätigen Verlauf der sowjetischen Umgestaltung wären die Folgen für Europa kaum abzuschätzen.

Aber selbst bei einer (eher unwahrscheinlichen) günstigen Prognose für die UdSSR — wie soll das sowjetische Potential und wie kann die sowjetische Nachfrage nach Modernisierung bündnispolitisch eingebunden werden? Wie definiert sich künftighin die militärische Macht dieses Staates, der nach wie vor Weltpolitik betreiben will?

Die Konzepte und Vorstellungen, die darauf hinauslaufen, die UdSSR sozusagen europäisch klein-zuschreiben und sie sicherheitspolitisch und wirtschaftlich in der Region Europa aufgehen zu lassen, erscheinen uns ebenso illusionär, wie es das Entwerfen von Systemen regionaler kollektiver Sicherheit ist. Noch ist kein Ersatz für die nukleare AbB schreckung in Sicht. Ist also die UdSSR für eine politische Perspektive Europas der ausgeschlossene Dritte — „odd man out“? Im Moment scheint es so und hegt doch nicht im europäischen Interesse. Denn eine derart auf sich selbst gestellte UdSSR bliebe eine unberechenbare Größe. Möglicherweise wird sich der Gang der Entwicklung an der sowjetischen Nationalitätenfrage entscheiden. Die strukturelle Unbekannte der europäischen Zukunft ist jedenfalls die UdSSR.

III. Die westeuropäische Frage

Bevor der Sturz des Honecker-Regimes in der DDR der Politik zur Auflösung der „Systemgrenze“ in Europa ihren schon fast revolutionären Schwung gab, wurde in der Bundesrepublik gerade eine Debatte neu aufgelegt, die schon einmal, in den frühen fünfziger Jahren nämlich, stattgefunden hatte und die auf die Alternative abzielte: Wiedervereinigung oder Westintegration Diese Alternative hat sich als Irrlehre herausgestellt. Die Dynamik der westeuropäischen Integration hin zum Gemeinsamen Binnenmarkt 1993 ist durch die politischen Umstürze im östlichen Europa und durch die rasche Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht gebremst, sie ist im Gegenteil befördert worden. Vor allem die westdeutsche und die französische Europapolitik haben dies bewirkt — zum Teil aus identischen, zum Teil aber auch aus unterschiedlichen Motiven heraus. Gemeinsam ist beiden, daß sie Europapolitik mit stark deutschlandpolitischer Akzentuierung betreiben. Frankreich deswegen. weil es den irreversiblen Prozeß zur deutschen Einheit nur noch europapolitisch auffangen zu können glaubte — gegenseitige Abhängigkeiten und Souveränitätsverzichte zugunsten der europäischen Institutionen sollen den neuen Staat Deutschland einbinden. Auch die Bundesrepublik sicherte ihre Deutschlandpolitik europapolitisch ab. So läßt sich die Westintegration stabilisieren, lassen sich Sicherheit und Wohlstand der Deutschen gewährleisten und die Unterstützung der Verbündeten erhalten

Die politische Integration in Westeuropa ist durch recht verschiedene Interessen multifunktional abgedeckt. Deshalb ist auch zu erwarten, daß die weltpolitischen Umstände für eine weitere Integrationspolitik günstig bleiben. Die europäischen Staaten selbst haben herausragende Interessen an der Errichtung und dem Ausbau eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes, der ihren internationalen Einfluß erhöht. Die feste Einbindung Deutschlands wird weiterhin eine Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft bleiben, weil die Bedeutung von Ökonomie und Technologie die des Militärischen überragt. Aber schon heute hat die Ausbildung umfassender wechselseitiger Abhängigkeiten dazu geführt, daß Vorstellungen einer „deutschen Hegemonie“ in Westeuropa sachlich unbegründet sind. Sie haben allerdings als Untersuchungsmaterial für die Fragestellung „Angst in der Politik“ ihre Bedeutung

Gleichzeitig mit der Dynamisierung ihrer Binnen-integration wächst der Europäischen Gemeinschaft die Aufgabe zu, die ehemals sozialistischen Länder Ost-und Ostmitteleuropas unter ihre Fittiche zu nehmen, und zwar aus eigenem Interesse am Abbau des Wohlstands-und Technologiegefälles zwischen West und Ost. Gelingt dies nicht, sind dort soziale Konflikte zu erwarten, die nicht ohne Auswirkungen auf Westeuropa bleiben würden. Die Ost-West-Migrationen deuten dies schon an. Zudem erfordert die Konstruktion einer neuen europäischen Ordnung einigermaßen stabile staatliche Akteure. Sie müssen nicht nur gleiche Grundprinzipien beachten (Rechtsstaatlichkeit), sondern sollten auch kompatible Strukturen ihrer gesellschaftlichen Systeme und vergleichbare sozio-ökonomische Standards ausbilden. Investitionen in die ramponierten Volkswirtschaften des östlichen Europa bedeuten für die Westeuropäer also nicht nur Investitionen in einen Markt der Zukunft, sondern auch in ein Europa mit politisch, sozial und wirtschaftlich kompatiblen Akteuren. Auch für diese Perspektive stellt die UdSSR das zentrale Problem dar.

Die westeuropäische Frage stellt sich somit auf vier Politik-Sektoren: der Entwicklung einer Politischen Union, der Errichtung eines über Westeuropa hinausreichenden Wirtschaftsraums, der sicherheitspolitischen Organisation der EG-Staaten und schließlich der Verknüpfung mit den anderen Groß-regionen der Weltpolitik und Weltwirtschaft.

Politische Union: Zunächst muß man von dem Gedanken Abschied nehmen, daß eine Politische Union in Europa so etwas wie ein neuer und überdimensionaler Nationalstaat wird. Tatsächlich wird hier ein Akteur entstehen, der sich sowohl von Nationalstaaten als auch von Bündnissen herkömmlicher Art unterscheiden wird. Das Spannende an diesem Prozeß ist, daß es für ihn keine historischen Beispiele gibt. Die Politische Union wird etwas Neuartiges sein. Nun könnte man sich die Entwicklung dahin sehr viel leichter vorstellen, wenn es sich bei den beteiligten Mitgliedern um eine Gruppe von Staaten handelte, die in gleicher Weise und in gleichem Tempo auf das gemeinsame Ziel voranschritten. Das ist aber nicht der Fall. Integrationsgeschwindigkeit und -wünsche differieren von Land zu Land. Und diese Differenzen werden sich keineswegs von selbst aufheben; im Gegenteil, sie werden sogar weiter zunehmen. Dennoch aber wird der Prozeß in Richtung auf eine Politische Union voranschreiten.

Größe des Wirtschaftsraums: Die Verhandlungen zwischen der EG und der EFTA haben unterstrichen, daß die politischen und wirtschaftlichen Asymmetrien zwischen ihnen schwierig auszubalancieren sind. Das liegt auch darin begründet, daß die Kompromißlage innerhalb der EG den Handlungsspielraum der Kommission nach außen ziemlich beschränkt. Weitere Probleme sind im Hinblick auf die RGW-Staaten zu gewärtigen, die einen Anschluß an die EG suchen. Es könnte passieren, daß die Entwicklung eines über Westeuropa hinausreichenden Wirtschaftsraums (horizontale Integration) mit dem Ziel der vertieften politischen Kooperation (vertikale Integration) in grobe Widersprüche gerät.

Europäische Sicherheit: Wie sollen die westeuropäischen Staaten künftighin ihre äußere Sicherheit organisieren? Drei unterschiedliche Perspektiven bieten sich an:

Erstens das fortdauernde Bündnis mit den USA und die Abstützung auf deren Abschreckungspotential.

Zweitens die Ausbildung einer Militärorganisation der EG, die eine eigene Abschreckungsmacht darstellt.

Drittens die Entwicklung eines Systems kollektiver Sicherheit in und für Europa, verbunden mit weitgehender Abrüstung und der Einrichtung von Schiedsgerichten mit Entscheidungskompetenzen, wobei diesen Institutionen Ressourcen zur Umsetzung ihrer Entscheidungen bereitstehen müßten.

Alle drei Perspektiven sind problematisch. Die Ausbildung einer westeuropäischen „SicherheitsUnion“ (einmal abgesehen davon, daß sie sich in der Öffentlichkeit nur schwer legitimieren ließe) würde unvermeidlich von der UdSSR als Bedrohung interpretiert werden und Europa erneut bipolar strukturieren. Das kann aber in niemandes Interesse hegen. Die Errichtung eines europäischen Systems der kollektiven Sicherheit ist wiederum an mannigfaltige normative Vorgaben gebunden, die nicht dem Stand der internationalen Politik entsprechen. Schon die Frage, wie sich ein solches System im sowjetisch-baltischen Konflikt verhalten würde, bleibt unbeantwortet. Kollektive Sicherheit ist eher als langfristige Zielvorstellung (und transregional) anzustreben. Das bedeutet, daß die derzeitigen sicherheitspolitischen Strukturen samt ihrer Probleme noch einige Zeit fortbestehen werden. Zu letzteren zählt vor allem die nukleare Abschrekkung in der Spannung von nationalem und Bündnisinteresse, zählt auch die Statusdiskrepanz im europäisch-amerikanischen Verhältnis

Verknüpfung mit anderen Großregionen: Die Schwierigkeiten der laufenden Verhandlungen im GATT (Uruguay-Runde) weisen darauf hin, daß trotz besserer Einsichten aller Beteiligter nationale und regionale Abschließungsinteressen weiterbestehen. Die Furcht vor einer „Festung Europa“ mag andernorts übertrieben sein und funktionalisiert werden, sie ist zumindest nicht ganz paranoid. Jede großregionale Umstrukturierung darf, bei Strafe ihrer baldigen Verkümmerung, die transregionalen Verknüpfungen nicht vernachlässigen

IV. Die Vereinigung beider deutscher Staaten

Im Vergleich zu den Unwägbarkeiten, die für die politische Entwicklung in Europa aus der sowjetischen und der westeuropäischen Frage resultieren, nimmt sich der Prozeß der deutschen Vereinigung als geradezu unproblematisch aus; dies wurde zuletzt auch auf der KSZE-Konferenz in Paris (20. bis 22. November 1990) deutlich. Diese Wahrnehmung ist zwar optisch verkürzt, aber das liegt in der Hauptsache daran, daß ein wesentliches Motiv für den raschen Konsens über die deutsche Einheit in der historischen Altemativlosigkeit der Entwicklung für viele Akteure bestand. Die Verhandlungen über die äußeren Aspekte der deutschen Einheit unterstreichen jedenfalls, daß eine westeuropäisch eingebundene Rolle Deutschlands in Europa keinen Ansatzpunkt für zukünftige, weltpolitisch dominante Konflikte darstellen wird.

Die Rasanz der diplomatischen Prozesse, die 1990 um die Vereinigung Deutschlands verliefen, ist schwindelerregend Bis Anfang 1990 verfolgte nur die amerikanische Deutschlandpolitik die Einheit beider deutscher Staaten mit Priorität. In Frankreich versuchte man zuerst, die sich auflösende DDR zu stützen. Nachdem sich dies als hoffnungslos erwiesen hatte, verlegte sich die französische Regierung darauf, den Prozeß der Vereinigung strecken zu wollen. Hier gab es für kurze Zeit Übereinstimmungen mit der britischen Deutschlandpolitik, die aber selbst dann noch (etwas trotzig) auf „zwei Staaten“ beharrte, als die französische Deutschlandpolitik angesichts der Dynamik der Entwicklung zwischen beiden deutschen Staaten die Einheit in westeuropäischer Einbindung schon zu unterstützen begonnen hatte.

Die exponierte Position des Präsidenten der EG-Kommission Jaques Delors war für diese europa-politisch wichtige deutsch-deutsche Annäherung ebenso von Bedeutung wie das klare und laute Bekenntnis der Deutschen in der DDR zur staatlichen Einheit der Nation. International entscheidend aber war, daß der sowjetische Präsident Gorbatschow am 10. Februar 1990 gegenüber Bundeskanzler Kohl bei dessen Moskau-Besuch zusicherte, die Deutschen könnten in einem Staat leben. Damit vollzog er einen Bruch in der sowjetisehen Deutschland-und Europapolitik Im Geflecht amerikanischer Unterstützung, französischer Akzeptanz und sowjetischer Zugeständnisse verstand es die westdeutsche Diplomatie, in nur sieben Monaten zwischen der Konferenz von Ottawa am 13. Februar 1990 und dem Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit, der am 13. September 1990 vom deutschen und sowjetischen Außenminister in Moskau paraphiert wurde, die außenpolitischen Bedingungen für den deutschen Einigungsprozeß herzustellen

Die sowjetischen Vorschläge, die sich gegen einen raschen Einigungsprozeß und Handlungsfreiheit für den deutschen Staat richteten, konnten zurückgewiesen werden. Beim ersten „Zwei-plus-Vier" -Treffen in Bonn am 5. Mai 1990 schlug der sowjetische Außenminister Schewardnadse die zeitliche Trennung zwischen inneren und äußeren Aspekten der Einheit vor. Er konnte sich damit nicht durchsetzen, nachdem Bundeskanzler Kohl Kompromißbereitschaft in dieser Frage für die westdeutsche Regierung ausschloß. Ebenso blieb der sowjetische Vorschlag unberücksichtigt, die von Bundesrepublik und DDR eingegangenen Verträge sollten noch für eine Übergangsfrist von fünf Jahren gelten, wie es Schewardnadse auf dem Juni-Treffen in Ost-Berlin vorschlug.

Dabei war das Ziel der westdeutschen Regierung keineswegs, formaler Souveränitätskriterien wegen die Freiheit der Bündniswahl durchzusetzen. Vielmehr sollte dieses Recht zur freien Bündniswahl vereinbart werden, um die NATO-Mitgliedschaft Deutschlands zu gewährleisten. So wie das Recht zur freien Bündniswahl nur durch die politische Bündnisintegration erreicht werden konnte, setzte die weitere Bündnisintegration die formale Entscheidungsfreiheit voraus. Hier stand die deutsche Diplomatie ganz in der Kontinuität von Adenauers Politik der Souveränitätserlangung durch Westintegration. Im Vergleich zum sowjetischen Positionswandel in dieser Frage ist die Debatte um Höchst-grenzen deutscher Streitkräfte (250 000 Mann forderte die Sowjetunion, auf 370 000 einigte man sich schließlich) fast nebensächlich.

Im Ergebnis bestimmt der am 12. September 1990 in Moskau paraphierte „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ — die territoriale Festlegung auf das Gebiet der Bundesrepublik, der DDR und Berlins, also die endgültige Festlegung der deutschen Ostgrenze; — den Verzicht auf die Herstellung, den Besitz und die Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen;

— die Begrenzung der deutschen Streitkräfte auf eine Höchststärke von 370 000 Mann;

— die Modalitäten des Aufenthaltes sowjetischer Streitkräfte auf dem Gebiet der ehemaligen DDR;

— das Recht der freien Bündniswahl.

Der Schlüsselsatz lautet: „Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.“ (Art. 7. 2) Bis zum Abschluß der Ratifikationsverfahren in den Unterzeichnerstaaten wurden von den Vier Mächten ihre Rechte in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes suspendiert. Mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes war die Bundesrepublik Deutschland formal ohne Einschränkung souverän. Im Zusammenhang mit dem „Souveränitätsvertrag“ stehen die Wiener Abrüstungsverhandlungen, die westdeutsche Wirtschaftshilfe an die Sowjetunion (im Rahmen des Überleitungsabkommens und der Ausfüllung des Vertrages über gute Nachbarschaft) sowie die Forcierung des westeuropäischen Integrationsprozesses.

Die politische Unauffälligkeit des „Souveränitätsvertrages“ im Gefüge der Probleme des Umbruchs der internationalen Beziehungen und der europäischen Neuordnung ist seine bedeutendste Qualität. Politisch unauffällig ist er vor allem aus drei Gründen: erstens, weil die Regelungen mit den dominanten Handlungsrationalitäten des westdeutschen Akteurs vereinbar sind und eine Basis für die evolutionäre Entwicklung der deutschen Außenpolitik bieten; zweitens, weil sie mit den Interessen anderer Staaten, auch den Interessen des bisherigen Konfliktgegners Sowjetunion, vereinbar sind; drittens, weil die internationale Einbindung des deutschen Staates durch die vereinbarten Prinzipien und Regelungen nicht verändert wird. Auch wenn die Bundesrepublik erst am 12. September 1990 eine internationale Vereinbarung über ihre volle Souveränität erhielt, wäre es politisch völlig falsch, den Souveränitätsbegriff in den Mittelpunkt der Wertung dieses Vertrages zu rücken. Dieser Aspekt, der für die konzeptionelle Ausgestaltung der künftigen deutschen Außenpolitik nicht nachhaltig genug betont werden kann, wird bereits im Verhandlungsprozeß über die deutsche Einheit selbst deutlich. Schon in der Formel „Zwei-plus-Vier" wird die Bedeutung der deutschen Staaten hervorgehoben. „Souveränität“, die in einer interdependenten Welt nur als Handlungschance in bestimmten Bindungen möglich ist, zeigte sich aber vor allem in Art und Stil der deutschen Diplomatie während der „Zwei-plusVier“ -Verhandlungen.

Die Regelung der kontroversen Fragen in bezug auf Deutschland konnte rasch erreicht werden, weil mit den Interessen aller beteiligten Akteure kompatible Lösungen gefunden wurden. Diese Aussage kann jedoch nur vor dem Hintergrund der von uns oben skizzierten Tendenzen Globalisierung und Trans-Regionalisierung politisch produktiv gewertet werden. Denn eine Einigung war auch deshalb möglich, weil die Entwicklung der internationalen Beziehungen durch die Ausbildung immer komplexerer Akteursstrukturen die Bedeutung einzelner Akteure relativiert hat und weil viele globale Aufgaben vom Vereinigungsprozeß kaum berührt werden.

Während der „Souveränitätsvertrag“ gerade auch in Verbindung mit den korrespondierenden Verträgen über Abrüstung, Grenzziehung und bilaterale Beziehungen die Machtasymmetrien zwischen den Gesellschaften reflektiert — und eben nicht Fragen offen läßt, die vorherrschend im semi-autonomen Handlungsbereich der politisch-administrativen Eliten liegen, um deren Regelungsautorität gegenüber den Gesellschaften zu verstärken —, zielt die politische Bewertung des Vertrages in der Bundesrepublik gerade auf solch „nebensächliche“ Probleme. Gleichviel, ob die Feindstaatenklausel (Art. 53 und 107 der UNO-Charta) noch gilt oder nicht: Niemand verlangt von der deutschen Regierung, sich so zu verhalten, als gelte diese Klausel noch. Und für die gesellschaftliche Entwicklung in Europa ist dieses Problem bizarr-marginal.

V. Was bleibt von der DDR-Außenpolitik?

Die bisherigen Überlegungen hatten ihren Ausgang darin, die Rahmenbedingungen und Probleme bei der Zusammenlegung der beiden deutschen Außenpolitiken zu benennen und die außenpolitische Orientierungsdebatte wieder aufzunehmen. Jetzt stellt sich die Frage, welche Elemente der bisher „doppelten“ deutschen Außenpolitik in die künftig gemeinsame eingehen werden. Diese Frage kann nur im Blick auf die veränderte Weltlage, insbesondere das Ende des Ost-West-Konflikts beantwortet werden. Von den Grundsätzen der Außenpolitik der sowjetsozialistisch regierten DDR kann schon allein deshalb kaum etwas eingebracht werden, hat diese sich doch als Kampfinstrument in einer antagonistischen Konstellation verstanden. Ihr Hauptziel bestand darin, „gemeinsam mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten die günstigen internationalen Bedingungen für den sozialistischen und kommunistischen Aufbau zu sichern“ Damit ist es vorbei. Ebenso haben andere Kategorien der sozialistischen Außenpolitik ihren Sinn verloren: der sozialistische oder proletarische Internationalismus, die friedliche Koexistenz, die solidarische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfs der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gegen Imperialismus, Kolonialismus und Neokolonialismus.

Auf der Ebene der großen Fernziele sowie des Ost-West-Konflikts ist die DDR-Außenpolitik gescheitert. Doch lohnt sich zu fragen, ob das in gleichem Maße für die „pragmatische Seite“ dieser Politik gilt, für die zwischenstaatlichen Beziehungen'etwa mit der UdSSR und anderen RGW-Staaten oder gegenüber der Dritten oder Vierten Welt sowie innerhalb internationaler Organisationen. Die DDR war umfassend von der UdSSR abhängig, die als eigentliche Garantiemacht ihrer Staatlichkeit fungierte Seinen deutlichsten Ausdruck fand dieses Verhältnis in Art. 6 Abs. 2 der Verfassung der DDR aus dem Jahre 1974, in dem es heißt: „Die Deutsche Demokratische Republik ist für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet. Das enge und brüderliche Verhältnis mit ihr garantiert dem Volk der Deutschen Demokratischen Republik das weitere Voranschreiten auf dem Wege des Sozialismus und des Friedens.“

Die politischen Kulturen der beiden Staaten profitierten nur ganz oberflächlich von dem wechselseitigen Kontakt. Mit der Neudefinition der staatlichen Interessen der DDR nach der Volkskammer-wahl vom 18. März 1990 haben die ostdeutsch-sowjetischen Beziehungen ihr Fundament eingebüßt. Gleiches muß man auch hinsichtlich der Beziehungen der DDR zu den anderen ehemals sozialistischen Staaten feststellen. Es ist frappierend, welch geringe Spuren die vierzig Jahre der „sozialistischen Staatengemeinschaft“ in den Interessen-profilen und Perzeptionsmustern der beteiligten Gesellschaften hinterlassen haben. Die nationale Fragmentierung des östlichen Europa, die Konflikte zwischen Ungarn, Rumänen, Türken, Bulgaren, Tschechen und Slowaken sind das aus der Sichtweise eines überzeugten Sozialisten/Kommunisten gewiß deprimierendste und möglicherweise noch folgenreiche Versagen des Sozialismus/Kommunismus.

So hat die DDR gerade auf dem Gebiet ihrer engsten internationalen Beziehungen kaum etwas in eine gemeinsame deutsche Außenpolitik einzubringen. Exemplarisch kann dies am deutsch-polnischen Verhältnis verdeutlicht werden. Stellte die DDR nach dem Zweiten Weltkrieg in polnischer Wahrnehmung zunächst das friedliche gegenüber dem westdeutschen „revanchistischen“ Deutschland dar, so kehrte sich diese Wahrnehmung seit Mitte der siebziger Jahre ins Gegenteil um Die Gemeinsamkeit der „systempolitischen“ Ausrichtung der polnischen und ostdeutschen Außenpolitiken griff nie auf die Ebene gesellschaftlicher Kooperation über

Die Westpolitik der DDR beschränkte sich darauf, internationale Anerkennung zu rekrutieren und Handelsbeziehungen aufzubauen. Diese Beziehungen blieben bei einem niedrigen Profil. Mit der DDR verlieren einige Staaten ein taktisches Instrument gegenüber der Bundesrepublik. Auch hier also: nichts Nennenswertes für die künftige deutsche Außenpolitik. Gleiches muß man von der Poli- tik der DDR gegenüber der Dritten Welt behaupten einer Politik, die früher vor allem auf die Erlangung der Anerkennung als Staat zielte und später die Ausweitung des „sozialistischen Weltsystems“ anvisierte, oft in der Rolle als Stellvertreter und im direkten Auftrage der UdSSR. Entsprechend konzentrierte sich die wirtschaftliche und militärische Unterstützung auf die Staaten, die als Teil dieses Systems galten: Äthiopien, Sambia, Mozambique, Angola, Vietnam, Jemen, Nicaragua. Zeitgleich mit dem Zerfall des „Ostblocks“ haben viele dieser Staaten ihre ideologische Ausrichtung geändert, sei es über Wahlen wie in Nicaragua, sei es als Reorientierung der politischen Elite wie in Äthiopien. Auch von der Arbeit der DDR in internationalen Organisationen, vor allem den Vereinten Nationen, wird kaum etwas übrigbleiben. Das Gesamturteil über die Außenpolitik der DDR ist schließlich auch durch das Bemühen ihres „letzten“ und schon nicht mehr in der Kontinuität der „sozialistischen Außenpolitik“ stehenden Außenministers Meckel, den Liquidationsprozeß einer eigenständigen DDR-Außenpolitik hinauszuzögern, nicht im geringsten verändert worden.

VI. Die Außenpolitik Deutschlands

Die Außenpolitik Deutschlands wird aus der Außenpolitik der Bundesrepublik erwachsen, aber sie wird nicht mit ihr deckungsgleich sein. Denn die geopolitische Situation in Mitteleuropa hat sich verändert: Polen ist ein Nachbarstaat geworden, und die Sowjetunion rückt näher. Die Verantwortung für die Modernisierung im östlichen Europa wird steigen; schon während der Phase der ökonomischen Konsolidierung der früheren DDR (sie muß auch erst einmal erarbeitet werden!) wird sich der Anforderungsdruck aus dem internationalen Umfeld auf Deutschland verstärken.

Grundlage der Außenpolitik Deutschlands ist die westeuropäische Integration. Sie umfaßt die intraregionale Anpassung der verschiedenen Politiken, aber auch die inter-regionale Verbesserung der Koordinations-und Steuerungsinstrumente weltpolitischer und weltwirtschaftlicher Interdependenz sowie die bündnispolitische Gewährleistung der äußeren Sicherheit. Für all dies bietet die westdeutsche Europapolitik ein stabiles Fundament, und zwar sowohl für den weiteren Integrationsprozeß als auch für die über Europa hinausgreifende Kooperation. Auf dem Feld der deutschen Sicherheitspolitik wird es hingegen zu Modifikationen kommen, die für absehbare Zeit nur Übergangslösungen zulassen. Den Zeitraum für solche Übergangslösungen (z. B. NATO-Integration Deutschlands bei gleichzeitiger Sonderbehandlung des Territoriums der früheren DDR) sollte man billigerweise nicht zu kurz ansetzen.

Weil die Außenpolitik Deutschlands strukturell derjenigen der Bundesrepublik entsprechen wird, ist es möglich, einige Problemkreise zu identifizieren, die zu Konflikten oder Spannungen um die internationale Stellung des neuen Akteurs führen können. Als besonders hervorstechende Probleme sind dabei zu nennen: die sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA; die Statusdifferenz zwischen wirtschaftlichem Einfluß und militärischer Ohnmacht; die außenpolitische Souveränität Deutschlands.

Die sicherheitspolitische Abhängigkeit der westeuropäischen Staaten von den USA ist unterschiedlich. Frankreich und Großbritannien verfügen über eigene Nuklearwaffen-Arsenale. Italien und die Bundesrepublik blieben demgegenüber von den USA abschreckungs-und abrüstungspolitisch stark abhängig. Dies erfuhr die Bundesrepublik als „Frontstaat“ im Ost-West-Konflikt nachhaltig Zeitweise stand sogar die Vorstellung im Vordergrund aufgeregter Debatten, wonach die beiden deutschen Staaten nichts als das doppelte Glacis der Weltmächte in Europa darstellten — ein Vorwurf an die Adresse der USA, der im übrigen noch schärfer gegenüber der französischen Sicherheitspolitik hätte erhoben werden können, was indes unterblieb

Der sicherheitspolitischen Abhängigkeit wird auch ein vereintes Deutschland auf absehbare Zeit nicht entkommen, weil die UdSSR nicht auf ihre Nuklearwaffen verzichten wird, diese aber nur im Rückgriff auf die amerikanischen Potentiale ausgeglichen werden können. Damit sind Konflikte angelegt, weil der amerikanische „Abschreckungs-Service“ für Westeuropa politisch abgesichert werden muß und dies wiederum eine kompatible Politik gegenüber der UdSSR seitens der USA und Westeuropas voraussetzt.

Die sicherheitspolitische Schwäche Deutschlands, das weder eigene kriegsverhindernde Abschrekkungsleistungen erbringen kann, noch eine dominierende Rolle im Prozeß der Rüstungsreduzierung spielen wird, steht in deutlichem Kontrast zu seinem wirtschaftlichen Gewicht. Dieser Kontrast kann in bestimmten Konflikten eine Milderung bewirken und den Handlungsspielraum des Akteurs erweitern; aber zwangsläufig ist ein solcher positiver Effekt keineswegs.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der außenpolitischen Souveränität Deutschlands. Nun muß man hierbei berücksichtigen, daß bei den modernen industriellen oder postindustriellen Gesellschaften mit ihren mannigfachen Verflechtungen auf den verschiedenen Ebenen sozialen Handelns die Vorstellung von Souveränität als unantastbarer Handlungsfreiheit ohnehin überholt ist. Hier kann Souveränität nur als Entscheidung zur Handlungsbindung verstanden werden. Die Entwicklung wechselseitiger Abhängigkeiten zwischen Akteuren in internationalen Handlungskontexten entspricht genau dieser Rationalität von Handlungsbindung So steht die westeuropäische Integration Deutschlands nicht mehr zur Disposition außenpolitischer Souveränität.

Aber hier stoßen wir erst auf das eigentliche Problem — der internationale Standort der Deutschen wird es nötig machen, daß ihr Staat auch künftig eine Reihe selbstgewählter Bindungen akzeptiert. Die historischen Belastungen des 20. Jahrhunderts wirken sich dabei ebenso aus wie die nicht ganz einfache geopolitische Situation Deutschlands. Obwohl also formal und gewiß auch informell eine ganze Reihe von Restriktionen — etwa hinsichtlich der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs — für ein vereintes Deutschland hinfällig sind, bleibt doch der Anspruch oder die Erwartung von außen an die Deutschen, einige dieser Selbstbindungen nicht abzustreifen oder abstreifen zu wollen. Auch der Rekurs auf das Selbstbestimmungsrecht könnte dagegen nichts ausrichten.

VII. Außenpolitische Orientierungsdebatte

Die Außenpolitik Deutschlands wird weitgehend der der Bundesrepublik entsprechen. Dies wird nur auf dem Gebiet der Außenwirtschaftspolitik (die aber zunehmend auf transnationale Akteure über-’ gehen soll) durch die Handelsverbindungen der früheren DDR mit der UdSSR unwesentlich eingeschränkt. Konzeptionell hat die DDR zur gemeinsamen deutschen Außenpolitik aus ihrer vierzigjährigen Geschichte hingegen nichts beizutragen. Deshalb kann man vermuten, daß in mittlerer Sicht die Westintegration Deutschlands gerade von der Bevölkerung der früheren DDR mit einem Fragezeichen versehen wird. Hier erwächst der politischen Bildung eine neue und umfassende Aufgabe, die darin besteht, eine realitätsangemessene Interpretation der Nachkriegsgeschichte zu vermitteln. Das wird, wie Nachrichten von Umstellungsschwierigkeiten im sekundären und tertiären Bildungssektor in der Übergangs-und Schlußphase der DDR befürchten lassen, gar nicht so einfach werden.

Aber auch in der Bundesrepublik lassen sich Wahr-nehmungs-und Interpretationsmuster beobachten, die eine Intensivierung der außenpolitischen Orientierungsdebatte nötig machen. Wir denken etwa an die Vorstellungen über die vollständige deutsche Abrüstung, über die Zielgerichtetheit und Erfolge der sowjetischen Reformpolitik, über die nun endlich möglich gewordene Distanz zu den USA oder die Reorientierung der deutschen Politik und Wirtschaft auf Ost-und Ostmitteleuropa. Mögen diese Vorstellungen auch gegenwärtig wenig Resonanz besitzen, so kann diese ihnen in schwierigen Phasen europäischer Politik doch zuwachsen, und es ist geraten, sich darauf vorzubereiten.

Schon bei der Diskussion über die Neuorganisation der NATO tauchen nicht wenige dieser Vorstellungen auf. Antiamerikanische Ressentiments, die sich in der Bundesrepublik seit zehn Jahren allmählich aufgestaut haben, können populistisch genutzt werden. In den USA wäre damit eine weitere Konjunktur der Isolationismus-Debatte vorprogrammiert.

Im Zentrum dieser Wahrnehmungs-und Interpretationsmuster steht indes die Bewertung der sowjetischen Politik seit 1985. Daß diese Politik Abrüstung und Demokratisierung im östlichen Europa faktisch ermöglicht hat, wird dabei mit ihrer Intention gleichgesetzt — als seien der Abschied vom Sozialismus, Demokratisierung und der eklatante sowjetische Einflußverlust die Ziele sowjetischer Politik gewesen.

Eine neue Qualität deutsch-sowjetischer Politik in den Mittelpunkt einer Neuordnung deutscher Außenpolitik zu stellen, wäre fatal. Denn erstens ist die sowjetische Entwicklung viel zu diffus, als daß sich stabile Perspektiven kalkulieren ließen. Zweitens braucht es eine einvernehmliche und gleichgerichtete Sowjetunion-Politik aller wichtiger westlicher Staaten (einschließlich Japans) und kein deutsch-sowjetisches Sonderverhältnis. Westintegration und Ostkooperation müssen — auch in dieser Reihenfolge — Grundlinien der deutschen Außenpolitik bleiben. Kurzfristige Entscheidungen für ein System kollektiver Sicherheit in Europa und dessen wirtschaftliche Fundierung würden Aufmerksamkeit und materielle Ressourcen von der zu forcierenden Westintegration ablenken und zugleich die künftige Entwicklung in Europa in viel zu starkem Maße von der politischen Entwicklung der UdSSR abhängig machen.

Wir haben versucht, die Prioritäten und Prinzipien der künftigen Außenpolitik eines vereinten Deutschland nicht allein unter dem Blickwinkel einer auf diesen neuen Akteur des internationalen Systems zentrierten Betrachtungsweise zu formulieren, sondern sie statt dessen aus dem Veränderungsschub dieses internationalen Systems selbst herzuleiten. Zu großen Teilen wird diese Außenpolitik Antwort auf neue Herausforderungen aus der internationalen Umwelt sein. Deswegen ist es wichtig, diese Herausforderungen schärfer in den Blick zu nehmen.

Eines ist jedenfalls unabweisbar: Wenn sich auch in der Region Europa mit dem Ende des Ost-West-Konflikts entscheidende Strukturveränderungen angebahnt und durchzusetzen begonnen haben, so ändern sich die Grundkennzeichen und Charakteristika des internationalen Systems als eines anarchischen Systems mit höchst verschiedenen, ihre jeweiligen Interessen verfolgenden Akteuren, ändert sich also auch die Natur von Politik nicht. Weil das so ist, bleibt sie ein schwieriges Geschäft, bei dem Patentlösungen und Heilserwartungen, Harmonie-versprechungen und „gute Absichten“ für das, worauf es ankommt, eher im Wege stehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Heinrich End. Zweimal deutsche Außenpolitik. Internationale Dimensionen des innerdeutschen Konflikts 1949— 1972. Köln 1973.

  2. Vgl.den „Vertrag über die Schaffung einer Währungs-. Wirtschafts-und Sozialunion“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. in: Bulletin, hrsg. vom Presse-und Informationsamt der Bundesregierung. Nr. 63 (18. Mai 1990). S. 517 ff.; den „Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. in: Bulletin, ebd.. Nr. 104(6. September 1990). S. 877 ff.; den „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ zwischen den vier Siegermächten und den beiden deutschen Staaten, in: Bulletin, ebd.. Nr. 109 (14. September 1990). S. 1153ff.

  3. Vgl. Karl Rudolf Korte. Der Standort der Deutschen. Akzcntvcrlagerungen der deutschen Frage in der Bundesrepublik Deutschland seit den siebziger Jahren. Köln 1990.

  4. Vgl. Wolfgang Heisenberg. Sicherheitspolitische Bedingungen und Handlungsmöglichkeiten für die deutsch-deutschen Beziehungen in den 90er Jahren; Cord Schwartau. Wirtschaftspolitische Bedingungen und Handlungsmöglichkeiten für die deutsch-deutschen Beziehungen in den 90er Jahren. Forschungsberichte der Friedrich-Naumann-Stiftung. Königswinter 1989.

  5. Vgl. als eindrucksvolle und überaus anregende Studie über die Unwägbarkeiten der internationalen Beziehungen der Gegenwart: James N. Rosenau. Turbulence in World Politics. A Theory of Change and Continuity. Princeton. N. J. 1990; ferner Wilfried von Bredow. Nation und internationales System. Referat auf dem 25. Deutschen Soziologentag. Frankfurt 1990 (vervielf. Manuskript).

  6. Vgl. Dieter Senghaas. Europa 2000. Ein Friedensplan. Frankfurt 1990; Thomas Jäger. Deutsche Interessen und europäische Politik, in: liberal. (1989) 4. S. 9— 19.

  7. Vgl. Jürgen Habermas. Der DM-Nationalismus. in: Die Zeit vom 30. März 1990; zur Kritik daran: Henning Ritter, Die Ökonomie als die Quelle alles Bösen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. April 1990.

  8. Hier liegt das Manko der in den USA mit Heftigkeit geführten Auseinandersetzungen um die These vom „Abstieg“ der USA als Weltmacht Nummer Eins, die ausgelöst wurde von Paul Kennedy. Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, Frankfurt 1989. bes. Kap. 8.

  9. Wir bevorzugen hier den Terminus „europäische Ordnung“. Andere Autoren benutzen für denselben sachlichen Kontext lieber Metaphern wie „gemeinsames europäisches Haus“ oder „neue politische Architektur Europas“. Wir bescheiden uns damit. Politologen zu sein und keine Baumeister oder Landschaftsgärtner.

  10. Zur sozialwissenschaftlichen Begründung dieser These vgl. Walter Bühl. Transnationale Politik. Internationale Beziehungen zwischen Hegemonie und Interdependenz. Stuttgart 1978. S. 179 f.

  11. Dies ist Konsens der zivilen wie militärischen Experten der internationalen Beziehungen.

  12. Vgl. Gerhard Simon. Der Umbruch des politischen Systems der Sowjetunion, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 19-20/90. S. 3 ff.

  13. Vgl. die grundlegende Darstellung bei Seweryn Bialer. The Soviet Paradox. External Expansion. Internal Dccline. New York 1986.

  14. Michail Gorbatschow. Perestroika. Die zweite russische Revolution — Eine neue Politik für Europa und die Welt. München 1989. S. 31. Seither ist in regelmäßigen Abständen von einer „Radikalisierung“ der Wirtschaftsreformen die Rede — und davon, daß sie nicht greifen wollen.

  15. Vgl. Siegfried Kupper. Der RGW bleibt bestehen. Zur Diskussion auf der 45. Tagung des östlichen Wirtschaftsbündnisses. in: Deutschland Archiv. (1990) 3. S. 391 ff. (Der Titel ist ironisch zu verstehen.)

  16. Zur Entwicklung des RGW vgl. Adam Zwass. Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe 1949— 1987. Der dornige Weg von einer politischen zu einer wirtschaftlichen Integration. Wien-New York 1988.

  17. Kritische Zusammenfassungen und Analysen dieser Debatte bei Thomas Jäger, Europas neue Ordnung. Mitteleuropa als Alternative?. München 1990, bes. Kap. 4; Andreas Barz, Neutralität im Internationalen System, Diss. phil., Kaiserslautern 1990.

  18. Vgl. Werner Weidenfeld, Die europäische Antwort auf die deutsche Frage, in: Michael Mertes u. a.. Europa ohne Kommunismus. Bonn 1990. S. 53— 63.

  19. Daß kollektive Ängste — oft mit Anachronismen und Vorurteilen durchsetzt, zugleich auch manipulierbar und „modernisierungsfähig“ — in der Politik eine wichtige Rolle spielen können, hat zuletzt die „Nachrüstungs-Debatte“ zu Beginn der achtziger Jahre demonstriert. Eine theoretisch inspirierte Analyse solcher Phänomene fehlt derzeit noch.

  20. Dieses Problem stellt sich nicht zum ersten Mal. Vgl. z. B. Bernard Burrows. Amerikanischer Atomschirm. NATO und europäische Verteidigungskooperation, in: Max Kohnstamm/Wolfgang Hager (Hrsg.). Zivilmacht Europa — Supermacht oder Partner?. Frankfurt 1973. S. 158— 185. Zur Entwicklung der WEU vgl. Alfred Cohen. The Western Union and NATO. Building a European Defence Identity Within the Context of Atlantic Solidarity. London 1989.

  21. Zum Begriff der Statusdiskrepanz vgl. Maurice A. East, Statusdiskrepanz und Gewalt im internationalen System, in: Daniel Frei (Hrsg.), Theorien der internationalen Beziehungen. München 19772, S. 140— 149.

  22. Vgl. Wilfried von Bredow. Befriedete Ost-West-Beziehungen?. in: Sicherheit und Frieden. (1989) 4. S. 245.

  23. Vgl. Thomas Jäger (unter Mitarbeit von Wilfried von Bredow, Wolfgang Heisenberg und Cord Schwartau). Lösung der deutschen Frage im gesamteuropäischen Zusammenhang. Ein Forschungsbericht, hrsg. im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung von Hans-Jürgen Beyer. Königswinter 1990.

  24. Zum historisch-konzeptionellen Hintergrund vgl. Wolfgang Pfeiler. Deutschlandpolitische Optionen der Sowjetunion. Melle 1987.

  25. Einen ersten Überblick gibt Wilhelm Bruns. Die äußeren Aspekte der deutschen Einigung. Bonn 1996.

  26. Vgl. Anm. 2.

  27. Hier ist besonders der Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion vom 13. September 1990 hervorzuheben, abgedruckt in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. September 1990, S. 7.

  28. Mit diesem Terminus ist im übrigen nicht gemeint, daß alle Strukturen, Institutionen, Konzepte usw., die auf dem Ost-West-Konflikt beruhen, bereits verschwunden seien. Die „Aufräum-Phase“ wird noch viele Jahre benötigen.

  29. Wörterbuch der Außenpolitik und des Völkerrechts, Berlin (Ost) 1980. S. 66.

  30. Vgl. hierzu Bernhard von Plate. Die Außenpolitik und internationale Einordnung der DDR, in: Werner Weidenfeld/Hartmut Zimmermann (Hrsg.), Deutschland-Handbuch. Eine doppelte Bilanz 1949— 1989, Bonn 1989, S. 589— 604.

  31. Vgl. Dieter Bingen, Die Stelung der Bundesrepublik Deutschland in der internationalen Politik aus polnischer Sicht 1969— 1976. Königstein 1980.

  32. Die antipolnischen Ressentiments in der DDR sind geradezu sprichwörtlich und übersteigen deutlich die in der Bundesrepublik.

  33. Vgl. Hans-Joachim Spanger/Lothar Brock. Die beiden deutschen Staaten in der Dritten Welt, Opladen 1987.

  34. Vgl. Leroy Miller, Die deutsche Doppelabhängigkeit, in: Beiträge zur Konfliktforschung, (1987) 1, S. 23— 50.

  35. Diese eigentümliche Differenz unterstreicht, daß es sich bei der nuklearen Sicherheitspolitik im Ost-West-Konflikt in der Hauptsache um „symbolische Politik“ gehandelt hat. Diese Kennzeichnung macht sie nicht weniger wichtig, verändert jedoch den Bezugsrahmen für ihre Analyse.

  36. Vgl. Robert Keohane. After Hegemony. Cooperation and Discord in the World Political Economy. Princeton. N. J. 1984.

  37. Vgl. Wilfried von Bredow. Kontextverschiebung. Neue Wahrnehmungshorizonte für die deutsche Frage in der internationalen Politik der neunziger Jahre. Forschungsbericht der Friedrich-Naumann-Stiftung. Königswinter 1989.

Weitere Inhalte

Wilfried von Bredow, Dr. phil., geb. 1944; Professor am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Veröffentlichungen u. a.: Moderner Militarismus. Analyse und Kritik, Stuttgart 1983; Deutschland — ein Provisorium?, Berlin 1985; (mit R. H. Brocke), Krise und Protest. Ursprünge und Elemente westeuropäischer Friedensbewegungen, Opladen 1987. Thomas Jäger, Dr. phil., geb. 1960; Diplom-Politologe; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Veröffentlichungen u. a.: Neue Wege in der Deutschlandpolitik, Erlangen 1986; Europas neue Ordnung. Mitteleuropa als Alternative?, München 1990.