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Der Umbau kirchlicher Soziallehre in eine Ethik sozialer Bewegungen | APuZ 20/1991 | bpb.de

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APuZ 20/1991 Vom Sozialen zur Politik. Entwicklungslinien, Positionen und Defizite christlicher Soziallehre Der Umbau kirchlicher Soziallehre in eine Ethik sozialer Bewegungen Natur -Gesellschaft -Kultur Auf dem Weg zu einer ökologischen Sozialethik Christliche Sozialethik im Horizont der Ethik der Gegenwart. Zum Problem der Menschenrechte Konfessionalismus und politische Kultur in Deutschland

Der Umbau kirchlicher Soziallehre in eine Ethik sozialer Bewegungen

Friedhelm Hengsbach

/ 28 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der 100. Jahrestag des Sozialrundschreibens „Rerum Novarum“, mit dem Papst Leo XIII. eine Antwort auf die damals neue Herausforderung der Arbeiterfrage zu geben versuchte und der kirchlichen Sozialverkündigung und der wissenschaftlichen Theoriebildung die Aufgabe zuwies, die Sozialschäden des Kapitalismus zu benennen und die Leitbilder einer wohlgeordneten Gesellschaft zu entwerfen, fordert die kirchliche Soziallehre von heute zu einer aktuellen Standortbestimmung heraus. Da ihr Bezugspunkt, das „katholische Milieu“, d. h. die geschlossene Präsenz katholischer Christen in kirchlichen Sozialverbänden, christlichen Gewerkschaften und Weltanschauungsparteien, abgeschmolzen ist, eröffnet sich für die kirchliche Sozial-lehre in einer pluralistischen Gesellschaft die Chance, die Glaubenspraxis katholischer Christen, die in sozialen Bewegungen engagiert sind, sozialethisch zu reflektieren. Eine solche Ethik sozialer Bewegungen beschreibt eine geschichtliche Ausgangslage der Wirtschaftsgesellschaft, eine Vielzahl von Entscheidungsträgem, Interessen und Kompetenzen, diagnostiziert asymmetrische Kräfteverhältnisse im politischen Entscheidungsprozeß und identifiziert als Trägergruppen ethischer Reflexion und politischer Durchsetzung die Arbeiter-, Frauen-, Umwelt-und Friedensbewegung. Sie überprüft kritisch deren ethische Optionen, inwiefern sie den Rang eines allgemeinen Interesses beanspruchen können, und reflektiert deren Organisations-und Aktionsformen, ob gesellschaftliche Konflikte um eine andere Verteilung gesellschaftlicher Macht in einen Prozeß der Verständigung einmünden und zu einer Neudefinition des allgemeinen Interesses führen, nämlich zu einem Mehr an Gerechtigkeit in der Arbeitswelt, in der Beteiligung an wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen, in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen, natürlicher Umwelt und Wirtschaft sowie Industrie-und Entwicklungsländern.

Am 15. Mai 1891 versuchte der damalige Papst Leo XIII. in seinem Rundschreiben „Rerum novarum", eine Antwort auf die damals neue Herausforderung der Arbeiterfrage zu geben. Dieses Dokument kirchlicher Sozialverkündigung war nicht ausschließlich in der römischen Kirchenzentrale entstanden, sondern spiegelte bereits wissenschaftliche Analysen, politische Initiativen und amtliche Stellungnahmen in den Teilkirchen der Länder Europas, insbesondere des deutschen Sprachraums, wider. Noch mehr aber hat dieses Rundschreiben das sozialpolitische Engagement, die kirchliche Sozialverkündigung und die sozialwissenschaftliche Reflexion der Katholiken in aller Welt angeregt -einschließlich der Erweiterung des Fächerkanons der Theologie an den katholischen Fakultäten um das Lehrfach „Katholische Sozial-lehre“.

I. Kirchliche Soziallehre unter Revisionsdruck

Die „Katholische Soziallehre“ als wissenschaftliche Reflexion war seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zum einen eingebunden in den politischen Prozeß einer wachsenden Selbstbehauptung der Katholiken gegen eine preußisch-protestantische Mehrheit im damaligen Deutschen Reich. Dieser sogenannte politische und soziale Katholizismus schuf sich in kirchlichen Sozialverbänden, in christlichen Gewerkschaften und in der Zentrumspartei seine spezifischen, vom konfessionellen Milieu geprägten Organisationsformen. Zum anderen war sie angebunden an die Sozialverkündigung des kirchlichen Lehramts, dessen sozialkritische (prophetische) Äußerungen sie kommentierte und systematisierte. So entstanden sowohl ein Komplex kritischer Analysen, der den gesellschaftlichen Strukturbrüchen, die der industrielle Kapitalismus verursacht hatte, gewidmet war, als auch im Kontrast dazu ein Lehrgebäude, das die „objektiven Ordnungsstrukturen des Lebens der Gesellschaft“ zu erfassen und für eine sozioökonomische Reformpolitik aufzubereiten suchte. In einer Art kirchlicher Arbeitsteilung kam dem Lehramt die Aufgabe zu, die abstrakten Grundsätze einer wohlgeordneten Gesellschaft zu formulieren, während die in Verbänden, Gewerkschaften und Parteien organisierten katholischen Laien diese in der konkreten Situation anzuwenden hatten.

Das „katholische Milieudreieck“ eines religiös-politischen Engagements in katholischen Verbänden, christlichen Gewerkschaften und christlicher Partei, einer amtlichen Sozialverkündigung und einer wissenschaftlichen Soziallehre ist spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg zerbrochen, wenngleich die Erosion des entsprechenden Bewußtseins nicht einmal mit dem Zusammenbruch der DDR und dem Prozeß der deutschen Einigung abgeschlossen sein dürfte Die Erosion des katholischen Milieus hat sich erstens auf das politische Engagement katholischer Christen ausgewirkt. Mit dem Ende der Nachkriegszeit sind alle demokratischen Parteien für Katholiken wählbar geworden. Mehrheitlich unterstützen sie die im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zusammengefaßten Einheitsgewerkschaften. Sie verstehen sich nicht mehr als bloße Anwender einer amtlich-repräsentativen Soziallehre, sondern reflektieren in Basisgruppen und -gemeinden eigenständig ihre politische Praxis aus einem biblischen Glaubensverständnis. Aus einer konfessionellen Geschlossenheit sind sie ausgebrochen und arbeiten in ökumenischen Projekten mit protestantischen Christen zusammen. Aus der parteipolitischen Verflechtung mit dem Staatsapparat haben sie sich herausgelöst und wirken stärker im vorparlamentarischen Raum einer gesellschaftlichen Öf-fentlichkeit. Sie stehen im lebendigen Austausch mit anderen gesellschaftlichen Bewegungen, tragen deren Impulse in die Kirche hinein, filtern und inspirieren sie. Katholische Verbände und Initiativen schotten sich nicht ab gegen den Pluralismus der Interessen, Kompetenzen und Organisationsformen in der modernen Gesellschaft; sie sind selbst ein Bestandteil ihrer Arbeitsteilung und funktionalen Ausdifferenzierung geworden

Zweitens ist auch die Sozialverkündigung der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil grundlegend revidiert worden. Ein naturrechtlich-philosophisch argumentierendes Lehrgebäude wurde ausgewechselt gegen eine Suchbewegung, die die „Zeichen der Zeit“ im Licht des Evangelismus, nämlich eines biblischen Menschenbildes, deutet, die den Inhalt der Verkündigung sowohl im Rückgriff auf die Geschichte Jesu als auch im positiven und kritischen Lebenskontext der Kirche mit der Welt von heute gewinnt Außerdem breitete sich die „hermeneutische Revolution“ der Theologie der Befreiung, ihr mehr prophetischer Charakter und insbesondere ihre „Option für die Armen“, nämlich eine Sichtweise der Gesellschaft von unten und vom Rande her, in der römischen Sozialverkündigung mehr und mehr aus Schließlich verlagerte sich das Gewicht kirchlicher Sozialverkündigung von der römischen Zentrale an die Periphe-Irie: Der lateinamerikanische Bischofsrat in Medellin (1968) und Puebla (1975), die US-amerikanische Bischofskonferenz mit dem Wirtschaftshirtenbrief (1986) und die Österreichische Bischofskonferenz mit dem Sozialhirtenbrief lieferten inzwischen überzeugende Beispiele einer regionalisierten Sozialverkündigung die Papst Paul VI. vermutlich vor Augen hatte, als er 1971 äußerte, daß nicht so sehr am zentralen Ort in Rom, als vielmehr in den Gemeinden und Kirchen vor Ort sowie im Dialog mit anderen Christen und Menschen guten Willens herausgefunden werden müsse, welche politischen und wirtschaftlichen Reformen notwendig seien

Drittens schaffen diese Veränderungen auch für die wissenschaftliche Theoriebildung als dritte Säule kirchlicher Soziallehre einen erheblichen Revisionsdruck. Dieser besteht einmal darin, daß sich die theoretische Sozialethik neben einer Praxisreflexion politisch engagierter Christen und neben der kirchenamtlichen Sozialverkündigung als methodische Reflexion politischer Glaubens-praxis begreift Er besteht zum anderen darin, daß eine herkömmliche Ordnungsethik durch eine „Veränderungsethik“ ergänzt wird. Da nun in den Sozialwissenschaften seit einiger Zeit soziale Bewegungen als Instrumente und Träger des gesellschaftlichen Wandels entdeckt werden liegt es nahe, das Programm einer christlichen Gesellschaftsethik zu skizzieren, die sich neben der Normfindung für den Prozeß der Normdurchsetzung und infolgedessen für soziale Bewegungen als gewichtige Träger der ethischen Reflexion und politischen Reform der Gesellschaft interessiert. Ein Programm läßt sich großmundig ankündigen; im Detail mag die theoretische Anstrengung allenfalls darin liegen, die ethische Relevanz gesellschaftlicher Prozesse und Strukturen zu benennen sowie ethische Fragerichtungen anzudeuten.

Eine solche Ethik sozialer Bewegungen beschreibt zunächst eine geschichtliche Ausgangslage der Gesellschaft, eine Vielzahl von Entscheidungsträgern, Interessen und Kompetenzen, analysiert dann asymmetrische Kräfteverhältnisse im politischen Entscheidungsprozeß, benennt danach Träger einer ethischen Reflexion und politischen Durchsetzung, überprüft kritisch deren ethische Optionen, inwiefern sie den Rang eines allgemei-nen Interesses beanspruchen können, und reflektiert schließlich, ob gesellschaftliche Konflikte um eine andere Verteilung gesellschaftlicher Macht in einen Prozeß der Verständigung einmünden und zu einer Neudefinition des allgemeinen Interesses, nämlich zu einem Mehr an Gerechtigkeit, führen.

II. Die geschichtliche Ausgangslage

Als Ausgangslage der ethischen Reflexion soll der Komplex wirtschaftlicher und politischer Entscheidungsträger, Verhaltensmuster, Normen und Institutionen gewählt werden, den man üblicherweise als industriellen Kapitalismus oder Marktwirtschaft bezeichnet Fünf Voraussetzungen prägten diesen, als er sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den westlichen Gesellschaften herausbildete:

Die Wirtschaft, die an erster Stelle die Armut der Bevölkerung zu lindern und deren Lebensstandard zu heben suchte, war konsumorientiert', die menschliche Arbeit galt als bloßer Aufwandsfaktor, dem das Lohneinkommen bzw.der entsprechende Warenkorb als Ertrag gegenüberstand. Die Entscheidung darüber, was und wie produziert wurde, lag ausschließlich in der Hand derjenigen, die über die Produktionsmittel verfügten. Insofern das Eigentum an Kapitalgütem ein Weisungsrecht über begründete, war -die Arbeitskräfte diese Wirt schaft kapitalistisch.

Die Industriegesellschaft hat die bestehenden sexistischen Rollenmuster verstärkt, indem mit der räumlichen Trennung der Produktionsstätte vom Wohnort den Männern die öffentlich organisierte und durch ein Einkommen entgoltene Erwerbsarbeit, den Frauen dagegen die private, unentgeltlich zu leistende materielle Hausarbeit sowie die emotionale Beziehungs-und Erziehungsarbeit zugewiesen wurde 1.

Als ein Erbe der Neuzeit übernahm die Marktwirtschaft das naturwissenschaftlich orientierte, um die Rationalität des Denkens zentrierte Weltbild und setzte es technizistisch um; die natürliche Umwelt des Menschen wurde zum Objekt der Aneignung herabgestuft, zum Ressourcenspeicher, den man zum eigenen Vorteil ausschöpfen darf

Schließlich blieb der industrielle Kapitalismus, wenngleich die Goldwährung grenzüberschreitende Kapitalströme erleichterte, im Kem nationalistisch. Die wirtschaftlichen Führungseliten verfingen sich im politischen Gestrüpp der Agrar-und Industriezölle, die sie als Schutz gegen die ausländische Konkurrenz verlangten, oder sie stellten sich hinter die jeweiligen Kriegsparteien, von denen sie einen Anstieg des Rüstungsgeschäfts erwarteten.

III. Strukturelle Benachteiligungen im industriellen Kapitalismus

Das Profil des industriellen Kapitalismus oder der Marktwirtschaft hat Bedingungen hervorgebracht, die sich für Teilgruppen der Bevölkerung, die einer bestimmten Klasse oder Region, einem bestimmten Geschlecht oder Entwicklungsstand angehören, als strukturelle Benachteiligung erwiesen haben.

Wenn Arbeit rein instrumentell begriffen wird, geht der homofaberproducens mit seinen schöpferischen Fähigkeiten im Produktionsprozeß unter. Dessen Interesse an einer menschengerechten Gestaltung der Erwerbsarbeit kann sich gegen eine fortlaufende Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit und/oder gegen die Angebote einer Freizeitindustrie, die den homo consumens umwirbt, nur schwer durchsetzen.

Da die wirtschaftliche Entscheidungsmacht einseitig verteilt ist, bleibt der größere Teil der Produzenten in einem abhängigen Arbeitsverhältnis. Auf dem Arbeitsmarkt besteht eine Schieflage der Verhandlungschancen, den manche als „Vorrang der Sachen vor den Menschen“ bzw. „ungleichen Tausch“ zu charakterisieren gewohnt sind, insofern sie daran Anstoß nehmen, daß eine Leitungs-kompetenz und ein Direktionsrecht über Menschen ausschließlich aus der Verfügungsgewalt über Kapital abgeleitet werden.

Erwerbstätige Frauen tragen die Doppellast der Haus-und Berufsarbeit. Im proletarischen Milieu werden die Frauen aus Furcht vor Lohnkonkurrenz, im bürgerlichen und kirchlichen Milieu wegen ihrer natürlichen Berufung zur privaten Kindererziehung, Altenbetreuung und Familienpflege aus der Erwerbsarbeit herausgedrängt, jedoch kontrafaktisch, insofern weibliche Erwerbspersonen regelmäßig und nicht nur in Kriegszeiten die Rolle der industriellen Reservearmee zu spielen haben. Diskriminiert sind die Frauen bereits bei der beruflichen Ausbildung und beim Hochschulzugang; sie bleiben es infolge ihrer relativ niedrigen Erwerbseinkommen und ihrer geringen Rente

Auch die natürliche Umwelt wird in Mitleidenschaft gezogen. Eine erste Asymmetrie entsteht zwischen den Industrieländern, die in der Lage sind, z. B. fossile Energieträger, die in unvorstellbaren Zeiträumen auf der Erde angesammelt wurden, während der Lebenszeit nur einiger Generationen definitiv zu verbrauchen, und den Entwicklungsländern, die ihre legitimen Ansprüche auf solche Kollektivgüter der Erde zur Zeit nicht einlösen können. Eine zweite Asymmetrie betrifft das Verhältnis zwischen der gegenwärtigen und den kommenden Generationen; sollte der gegenwärtige Lebensstil bei unveränderten Produktionsverfahren in der Zukunft fortgesetzt und auf die ganze Menschheit übertragen werden, wäre der Kollaps der Erde unausweichlich. Eine dritte Asymmetrie bezieht sich auf das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, insofern er Teil der ihn umgebenden Natur ist. Die Zerstörung der Natur ist eine Form der Selbstzerstörung, eine Abwertung der vegetativen Sensibilität und des psychischen Bewußtseins, also einer Dimension der Innenwelt des Menschen, die nicht weniger als Denken und Wollen seine personale Identität ausmacht.

Schließlich bleibt die Mehrheit der Weltbevölkerung vom Wohlstand, der von allen produziert worden ist, ausgegrenzt. In den Industrieländern werden die abhängig Beschäftigten gespalten in Kembelegschaften und ethnische Randgruppen, die gemäß der Auftragslage kurzfristig eingestellt und entlassen, als Arbeitsemigranten angeworben und in die Heimat zurückgeschickt werden können, um die konjunkturellen Schwankungen und/oder die strukturellen Spannungen des Arbeitsmarktes zu entschärfen. Die tatsächliche oder vermeintliche Konkurrenzlage zwischen inländischer und ausländischer Wirtschaft, zwischen inländischen und ausländischen Erwerbstätigen entlädt sich zeitweise in einer ausländerfeindlichen Stimmung, die regelmäßig zu gewalttätigen Ausbrüchen und kriminellen Übergriffen eskaliert und dann oft kurzschlüssige Reaktionen von Politikern auslöst.

Die ethische Qualität einer sozialen Bewegung hängt davon ab, wie plausibel ihre Gesellschaftsanalyse ist. Welche realen Benachteiligungen lassen sich präzise definieren? Soziale Ausgrenzung z. B. von Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern oder Obdachlosen wird oft vordergründig auf persönliche Ursachen zurückgeführt, etwa fehlende Leistungsfähigkeit oder Leistungsbereitschaft des einzelnen, oder sie wird durch charakteristische Problemmerkmale wie gesundheitliche Beeinträchtigung, Geschlecht, regionale Herkunft, zu hohes bzw. zu niedriges Alter, fehlende oder falsche Berufsausbildung zu erläutern versucht. Auch das wirtschaftliche Gefälle zwischen Industrie-und Entwicklungsländern sei Folge gravierender wirtschaftspolitischer Fehler der jungen Eliten.

Eine solche Analyse macht jedoch meistens die Opfer struktureller Asymmetrien zu deren Ursache. Welche Prozesse, Institutionen und Interessen lassen sich dann aber als die wirklichen Ursachen diagnostizieren? Und gibt es ethische Maßstäbe, um unter abweichenden Analysen, die miteinander konkurrieren, eine bestimmte Auswahl zu rechtfertigen? Sind logische Stringenz, formale Eleganz, hoher Erklärungswert und aktueller wissenschaftlicher Standard schon abschließende Kriterien? Oder ist diejenige Analyse besonders ausgezeichnet, die das Leiden der Stimmlosen und derer, die sich nicht wehren können, zum Thema macht und zu erklären versucht? Was ist wert, erklärt zu werden -die Funktionstüchtigkeit eines sich selbststeuemden Systems oder der Wohlfahrtsgewinn, den die Grundschicht der Bevölkerung aus diesem zieht? Das Wohlergehen kommender Generationen oder die Existenzsicherung der jetzt Lebenden? Eine einseitige oder faire Verteilung der Lasten? Was sind die erkenntnisleitenden Interessen und der perspektivische Standort der Analyse, was folgt aus ihr für die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft?

IV. Die Entstehung sozialer Bewegungen

Weder die Beschreibung objektiver Benachteiligung noch die Analyse struktureller Asymmetrien sind ein hinreichender Grund dafür, daß soziale Bewegungen entstehen. Wer empfindet eine Strukturasymmetrie als skandalöse Ungerechtigkeit? Nicht der mit Abstand neutrale, wenngleich wohlwollende Beobachter, sondern der unmittelbar Betroffene? Aber oft bleiben gerade diejenigen, deren Leidensdruck besonders groß ist, stumm und regungslos. Die Reaktionen der Unzufriedenheit, Frustration und Empörung sind bei den mittelbar Betroffenen, die die eigene Randlage mit den Chancen der Bessergestellten vergleichen können, offenbar eher zu erwarten. Diese Gruppe oberhalb des sozialen Bodensatzes ist wohl in der Lage, Apathie und Resignation zu überwinden, sich einen größeren Überblick zu verschaffen, zwischen den Stärkeren und den ganz Schwachen solidarische Kontakte zu knüpfen und eine alternative Gegenwelt bzw. kollektive Identität zu etablieren. Vor allem aber müssen sich die Individuen als gesellschaftlich handlungsfähige Subjekte erkennen und eine Vision möglicher Veränderung der bestehenden Verhältnisse haben So können dann erste Projekte, in denen Selbsthilfe oder eine neue Art politischer Einflußnahme praktiziert wird, ausprobiert werden; diese stoßen weitere Experimente an -mit einer Kettenreaktion, die die soziale Bewegung mobilisiert

Eine Merkmalsbeschreibung versteht unter sozialer Bewegung gesamtgesellschaftliche Akteure, die von negativen Folgen sozialen Wandels kollektiv betroffene Menschen in relativ kontinuierliche Handlungszusammenhänge integrieren. Die lebensweltliche Nähe, die dabei zwischen den Aktiven entsteht fördert die Ausbildung konvergenter Wertmuster und erleichtert zugleich eine weitergehende Mobilisierung. Ihre Gegenmacht verkörpert sich in verschiedenen Aktions-und Organisationsformen, die die Bewegungsziele in der Öffentlichkeit darstellen und sie partiell in das bestehende Institutionengefüge der gesellschaftlichen Teilbereiche einbringen

Innerhalb der sozialen Bewegung kann eine primäre Trägergruppe identifiziert werden, die sich den herrschenden gesellschaftlichen Deutungsmustem erfolgreich widersetzt, ihre Lebenslage als Kontrast des eigenen Gerechtigkeitsempfindens beurteilt, das Unbehagen artikuliert und dessen Ursachen systematisiert. Von einer solchen aktiven, zu konstruktiver Aktion und kommunikativer Vermittlung fähigen Trägergruppe läßt sich eine Resonanzgruppe, die Menge der Anhänger und Sympathisanten, in Bewegung setzen. Trotz der gemeinsamen Klammer, die durch ähnliche Wertmuster und Bestände an Alltagswissen gebildet wird, bleiben die Sozialformen und Funktionen innerhalb der Bewegung, die sich in der Regel auf bestehende Untergruppen, Netzwerke und Gegen-milieus stützt, differenziert.

Die deutsche Arbeiterbewegung entstand aus anfangs spontaner Auflehnung und regionalem Protest, aus Lohnkämpfen und Streiks, aus Bildungsvereinen, Hilfsaktionen und Solidaritätskassen, bis im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts eine erste Gewerkschaft und die Sozialistische Arbeiterpartei gegründet wurden. Die Grenzen zwischen einem pragmatischen Zweig der Arbeiterbewegung, der sich vorwiegend für die systemimmanente Verbesserung der Arbeitsbedingungen wie Achtstundentag, Arbeitsschutz, Koalitionsfreiheit und Wahlrecht für alle einsetzte, und einem radikalen Zweig, der die revolutionäre Beseitigung des kapitalistischen Systems anstrebte, waren zunächst fließend, verliefen dann zeitweilig entlang den Organisationslinien von Gewerkschaft und Partei und schließlich innerhalb der Partei Je mehr sich die Arbeiterbewegung darauf beschränkte, die materiellen Interessen ihrer Mitglieder zu sichern, formierte sich ein harter Kern an wirtschafts-und basisdemokratischer Bewegung, die Rätebewegung, die normalerweise gewerkschaftlich gezähmt blieb, in Umbruchzeiten jedoch eine größere Anhängerschaft innerhalb der Gewerkschaften fand und darüber hinaus auch weite Teile der politischen Linken erfaßte

Die historische Frauenbewegung hat sich schon bald ausdifferenziert. Die bürgerliche Frauenbewegung war auf ihrem gemäßigt-liberalen Flügel vor allem eine Bildungsbewegung; ihr radikaler Flügel propagierte eine autonome Sexualität, das Frauenwahlrecht und einen transnationalen Pazifismus, während sich ihr konservativer Flügel darum bemühte, typisch weibliche Erwerbsberufe für Frauen zu erschließen. Demgegenüber verstand sich die proletarische Frauenbewegung als politisch und als Teil der Arbeiterbewegung; die Befreiung der Frau aus der Abhängigkeit vom Mann in der Ehe und aus der Abhängigkeit vom Arbeitgeber war nur von deren Teilnahme an der Erwerbsarbeit und von der Beseitigung des Kapitalismus zu erwarten.

Eine neue Frauenbewegung entstand 1968 im Universitätsmilieu, als Kinderläden die Frauen von der Kindererziehung und einer entsprechenden Rollenfixierung befreien sollten. Eine Massenbewegung entstand aus dem politischen Streit um die Reform des § 218 StGB. Danach bildeten sich zahlreiche dezentrale Projekte wie autonome Frauenhäuser und -buchläden, Frauenzeitungen und -kalender, in denen die persönliche Erfahrungswelt reflektiert und eine eigene Identität definiert wurde

Die ökologische und alternative Bewegung experimentierte mit neuen Formen des gemeinsamen Arbeitens und Wohnens, mit selbstorganisierten Betrieben und Selbsterfahrungsgruppen. Sie organisierte 1972 den Bundesverband für Umweltschutz und schuf sich mit der Bauplatzbesetzung im badischen Wyhl sowie mit den Großdemonstrationen in Brokdorf, Grohnde, Kalkar und an der Startbahn West in Frankfurt eine Massenbasis. Als Anti-Kemkraftbewegung zog sie nicht wenige Naturwissenschaftler und Techniker an, die um eine dem Menschen angepaßte, umweltschonende und demokratiegerechte Technik als Alternative zur kapitalintensiven Großtechnik besorgt waren und sind.

Die Friedensbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg wehrte sich Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre mit Ostermärschen gegen die Wiederbewaffnung und atomare Aufrüstung der Bundesrepublik, lebte im Widerstand gegen den NATO-Doppelbeschluß 1979 wieder auf und entfaltete unter anderem auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover sowie bei den Großdemonstrationen 1981/82 ihre größte mobilisierende Kraft. Friedensgruppen, die aus dieser Phase entstanden sind, suchen gegenwärtig die regionalen Schwerpunkte der Rüstungsproduktion und des Waffenexports zu identifizieren und veranstalten in regelmäßigen Abständen unternehmensbezogene, spektakuläre Protestaktionen, um auf die Ressourcenverschwendung und die zunehmende Militarisierung auch der deutschen Wirtschaft aufmerksam zu machen. In deren Schatten, aber auch unabhängig von ihnen, haben sich Dritte-Welt-Gruppen gebildet, die die Resultate der Welthandels-und Weltwährungskonferenzen, die sozialen und politischen Folgen der Auslandsverschuldung der Schwellenländer, die Gegenmachtbildung sowie Ansätze einer Abkoppelung und eigenständigen Entwicklung von Entwicklungsländern reflektieren, Befreiungsbewegungen finanziell unterstützen und Produkte von Agrargenossenschaften aus Entwicklungsländern in Dritte-Welt-Läden anbieten.

V. Optionen der Lebensqualität

Eigenwert der Arbeit: Arbeit wird nicht mehr ausschließlich als Instrument zum Erwerb des Lebensunterhalts begriffen. Zwar haben Millionen von Arbeitslosen, insbesondere die Jugendlichen unter ihnen, ein vorrangiges Interesse an Erwerbsarbeit, um den Lebensstandard ihrer erwerbstätigen Freunde und Freundinnen zu erlangen. Aber ebenso ist eine qualifizierte, finanziell abgesicherte Schicht Erwerbstätiger mehr an einer kreativen, kommunikativen Gestaltung der Erwerbsarbeit interessiert als daran, durch eine die Gesundheit belastende, die Freizeit beschränkende Arbeit das Einkommen zu erhöhen. Solchen selbstbewußten und selbstbestimmten Menschen, die sich in der Arbeit selbst darstellen und darin einen Teil ihrer Identität finden können, ist die personale Dimension der Arbeit wichtiger geworden; für sie hat der Arbeitsvollzug Vorrang vor dem Arbeitsergebnis

Mitbestimmung: Die Dichotomie der industriellen Arbeitsorganisation in Planung und Ausführung wird als ineffizient und als inhuman empfunden. Jüngere Mitarbeiter, die im Elternhaus, in der Schule und im Staat befreiende, zumindest positive Erfahrungen mit der Demokratie als Lebensform gemacht haben, treten an die leitenden Mitarbeiter in den Unternehmen mit vergleichbaren Erwartungen heran. Die Konzentration der Verantwortung auf eine kleine Führungselite sowie ein hierarchischer Führungsstil, der die Masse der Belegschaft zu stummen Befehlsempfängem abstempelt, findet keine Zustimmung mehr. Die Achtung der Menschenwürde eines jeden Mitarbeiters, das Bewußtsein von der grundlegenden Gleichheit aller Mitarbeiter läßt die Forderung plausibel scheinen, daß diejenigen, die von wirtschaftlichen Entscheidungen betroffen sind, an der Vorbereitung und Durchführung dieser Entscheidungen sowie an den Entscheidungen selbst beteiligt werden. Aus einer solchen Sicht wird das Unternehmen nicht nur als eine Summe von Gegenständen, sondern auch als eine Einheit von Personen verstanden, die sich unterschiedlich an der Herstellung von Gütern und Diensten beteiligen und daraus ein Recht auf Mitbestimmung herleiten. Aus der Einsicht heraus, daß Beteiligung ein neuer Name für Gerechtigkeit ist, probieren Unternehmensleitungen einen partnerschaftlichen, kommunikativen Führungsstil, delegieren Entscheidungen und freunden sich auch mit Formen einer mindestens paritätischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz, im Betrieb sowie in den Unternehmensorganen an

Verteilungsgerechte Arbeit: Die politische Gleichstellung von Mann und Frau, die erheblich verbesserten Qualifikationen, die Frauen in der allgemeinen und beruflichen Bildung erworben haben, sowie partnerschaftliche Erfahrungen in der Ehe verdichten sich zu der Forderung, die Frauen gleichrangig an der gesellschaftlich organisierten Arbeit zu beteiligen, d. h. die Erwerbsarbeit zwischen Männern und Frauen neu zu verteilen. An dieser Leitidee ist ein neues Arbeitsverständnis und wohl auch ein radikaler Umbau der Industriegesellschaft geknüpft. Denn der durch die Technik ermöglichte Produktivitätsfortschritt hat sowohl zu einem unvorstellbar hohen Lebensstandard als auch zu einer rasanten Verkürzung der Erwerbsarbeit beigetragen, so daß das objektive Gewicht wie auch die subjektive Gewichtung der Erwerbsarbeit, einer der Schlüsselgrößen der Industriegesellschaft, abnimmt. Entsprechend dem verfügbaren Zeit-und Finanzbudget einzelner Personen und ganzer Haushalte treten neben die Erwerbsarbeit verschiedene Formen der Eigenarbeit, Erziehungs-und Beziehungsarbeit, Kranken-und Beratungsdienst, Vereins-und Parteiarbeit.

Umweltverträgliche Arbeit: Die naturale Dimension menschlicher Arbeit wird in der Spätphase des industriellen Kapitalismus neu definiert. Ursprünglich hatten die Menschen ihr physisches Überleben im „Kampf ums Dasein“ sichern und sich gegen eine ihnen von Haus aus feindliche, übermächtige natürliche Umwelt behaupten müssen. Inzwischen hat sich das Gewaltverhältnis umgekehrt: die Menschen haben kapitalintensive Großtechniken entwickelt und angewendet, die biologische Kreisläufe und soziale Netze zerreißen, welche wiederum in der Lage sind, die eigenen Lebensgrundlagen unwiderruflich zu zerstören. Deshalb kommt es dringend darauf an, neue Techniken zu finden, die nicht bloß Umweltschäden reparieren, die sie vorher verursacht haben, sondern solche, die gleichzeitig den arbeitenden Menschen angepaßt, umweltfreundlich und sozial-gerecht sind.

Weltweit solidarische Arbeit: Die weltweite Dimension der sozialen Frage offenbart die Grenzen einer an nationalen Zielen orientierten Arbeitspolitik. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit dadurch erhalten oder wiedergewinnen zu wollen, daß inländische und ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen mit ihren Löhnen nach unten konkurrieren, oder einheimische Arbeitsplätze durch Erhaltungssubventionen oder Rüstungsproduktionen und Waffenexporte sichern zu wollen, mag für einzelne Unternehmen und deren Betriebsräte plausibel sein, volkswirtschaftlich und weltwirtschaftlich sind solche Vorschläge kontraproduktiv und schaden allen. Dem sozialstrukturellen Defizit des Welthandels-und Weltwährungssystems scheint ein allerdings wachsendes Bewußtsein weltweiter Abhängigkeit und Verantwortung gegenüberzutreten, das nationale Regierungen, multilaterale Einrichtungen (Währungsfonds, Welt-bank, UNCTAD), Gewerkschaftsbewegungen und transnationale Unternehmen zu entwickeln beginnen, und das sich in der Suche nach einem Verhaltenskodex und Initiativen internationaler Arbeitersolidarität niederschlägt.

Ein ethisches Urteil über die Optionen richtet sich zunächst auf die Inhalte, in welchem Grad sie diffus sind oder profiliert, totalitäre Züge annehmen oder anschlußfähig sind, integrieren oder spalten, defensiven oder aggressiven, kreativen oder destruktiven Charakter haben. Danach ist die Frage angebracht, wer beim Definieren der Bewegungsziele die Hauptrolle spielt -die primäre Trägergruppe bzw. die Sympathisanten oder intellektuelle Seiteneinsteiger? Welcher Prüfungsmaßstab -Effizienz oder Partizipation -soll vorrangig angelegt werden? Ist die Veränderung des politischen und ökonomischen Systems oder bloß ein anderer Lebensstil im Rahmen selbstorganisierter Projekte angezielt? Sollen die Schaltstellen der gesellschaftlichen und politischen Macht umbesetzt werden, oder will man bloß die Ausübung dieser Macht verhindern? Verbirgt sich hinter dem vordergründig partikulären Interesse sozialer Bewegungen ein allgemeines Interesse?

VI. Der Prozeß der politischen Durchsetzung

Sich über ungerechte Zustände zu empören, gesellschaftliche Strukturdefizite zu analysieren und ethisch gehaltvolle Optionen zu formulieren, ist eine Sache. Etwas anderes ist es, die ethischen Impulse politisch durchzusetzen. Dieser Prozeß verläuft indessen nach Mustern, die miteinander vergleichbar sind, aber auch voneinander abweichen. So läßt sich ein analoges Phasenbild der Mobilisierung, des Konflikts und der Vermittlung nachzeichnen. 1. Mobilisierung Soziale Bewegungen versuchen, ihr Ressourcen-potential zu mobilisieren, es stärker zu kontrollieren und auf die Bewegungsziele zu lenken; in der Regel bildet sich dabei eine neue Leitungsinstanz und Avantgarde heraus. Oder die Mitglieder der Bewegung setzen bisher latente Energien in einer Kettenreaktion von Projekten frei und machen dabei spontane Lernerfahrungen. Wie können die Identifizierung der Mitglieder mit der Bewegung und ihr gesellschaftlicher Einfluß verstärkt werden? Durch Konzentration auf ein homogenes Profil? Durch Mitgliederwerbung über den Kreis der ursprünglichen Sympathisanten hinaus? Durch schichten-und milieuübergreifende Massenbasis? Durch Projekte, bereits existierende Beziehungen und nachbarschaftliche Netzwerke? Durch offene Konfrontation mit den etablierten Machtträgern?

Die sozialen Bewegungen bauen Gegenmacht auf, mit deren Hilfe sie gesellschaftliche und politische Entscheidungsprozesse in ihrem Sinn zu beeinflussen und die tatsächliche Verteilung gesellschaftlicher Macht zu verändern suchen. Eine ethische Reflexion der Macht sozialer Bewegungen muß sich davon lösen, dieses Phänomen ausschließlich im Kontext staatlicher Legitimation oder formaler Weisungsbefugnis zu analysieren. Weder die herkömmliche Rechtsphilosophie noch Max Webers Machtdefinition werden der Erfahrung gerecht, daß zwischen sozialen Akteuren ein instabiles Kräfteverhältnis herrscht, von dem Aktion und Reaktion der Handelnden gesteuert werden, daß Macht und Ohnmacht in der Regel nicht einseitig verteilt sind, und daß das Auftreten sozialer Bewegungen signalisiert, wie sich das gesellschaftliche Machtgleichgewicht bereits verschoben hat

Die Bewegungsmacht verkörpert sich in spezifischen Organisationsformen Eine zentral-bürokratische Organisation teilt Funktionen und Kompetenzen eindeutig zu, ordnet einen fachlich qualifizierten Stab auf eine hierarchische Führung hin und garantiert, daß die Mitglieder generalstabsmäßig in Bewegung gesetzt werden können. So hat sich beispielsweise die Arbeiterbewegung für eine solche straffe Verbandsorganisation entschieden, die das Element demokratischer Meinungsbildung mit dem Anliegen effizienter und schneller Entscheidungsfähigkeit zu kombinieren suchte; manche kirchlichen Sozialverbände sind ihr da gefolgt. Der Vorteil der Effizienz verlangt einen Preis -weniger Basisbeteiligung. Manchen erscheint dieser Preis zu hoch, wenn ein effizienter Apparat die Bewegung von ihrem ursprünglichen Ziel, beispielsweise direkter Demokratisierung, zu entfernen droht. Eine dezentrale Organisation dagegen knüpft Querverbindungen und Kommunikationslinien zwischen unabhängig voneinander entstandenen Projekten, koordiniert Netzwerke mit unterschiedlichem Verdichtungsgrad und gestattet in der Regel eine stärkere Beteiligung der Basis an den Entscheidungsprozessen. Diese Organisationsform wird von den neuen sozialen Bewegungen bevorzugt, die es häufig ablehnen, mit systemimmanenten Machtinstrumenten systemsprengende Ziele zu verwirklichen.

Während der Mobilisierung stoßen alternative Führungsgestalten zur sozialen Bewegung. Die spezifische Funktion des Agitators mag in der theoretischen Profilierung und programmatischen Abgrenzung, die des Organisators in der Integration von Theorie und Praxis, im Aufbau tragfähiger Kommunikationslinien liegen. Eine ethische Reflexion der Leitungsgrundsätze und Leitungspraxis sozialer Bewegungen ermittelt die Vor-bzw. Nachteile funktionaler und charismatischer Führung, den Wert beteiligungsgerechter Leitung sowie den Unwert totalitärer Führungsansprüche. 2. Konflikt Die gesellschaftliche Macht, die soziale Bewegungen durch interne Mobilisierung gewonnen haben, richten sie in spezifischen Aktionsformen gegen die herrschenden Kräfte, um sie in politische Entscheidungsmacht umzusetzen und auf die politischen Entscheidungsprozesse bzw. -resultate einzuwirken. Direkte Aktionsformen suchen das reibungslose Funktionieren staatlicher Kontrollen zu stören. Extreme Beispiele sind Straßenkämpfe, bewaffneter Aufstand, Terror, Sabotage und politische Streiks; großenteils anerkannt, wenngleich als „gewaltfreie Aktionen“ umstritten, sind Blokkaden, bürgerlicher Ungehorsam, Arbeitskämpfe und Betriebsbesetzungen sowie radikale Kriegsdienstverweigerung. Intermediäre Aktionsformen bedienen sich der vorhandenen Einrichtungen politischer Willensbildung. Im vergangenen Jahrhundert reichte man Petitionen ein, gründete Vereine, druckte Zeitungen. Heutzutage nimmt man am Wahlkampf teil, beeinflußt die Kandidatenauswahl in den Parteien, organisiert gezielte Streiks, pflegt Kontakte zu Parlamentariern und verschafft sich Zugang zu den Massenmedien. Demonstrative Aktionsformen tragen einen stark symbolischen und expressiven Akzent, sind häufig selbstadressiert und lebensweltbezogen oder bleiben allenfalls im vorparlamentarischen Raum außerhalb der Parteienszene. Früher rief man zu Kundgebungen und lud zu Volksfesten ein; heutzutage werden Unterschriften gesammelt, Mahnwachen und Straßen-theater veranstaltet, liturgische Handlungen wie Fasten und Schweigen politisch transformiert, Menschenketten gebildet, Straßen und Plätze symbolisch umbenannt, spontaner Protest und spielerische Demos als kollektives Happening durchgeführt.

Eine ethische Reflexion wird zunächst die universelle Tatsache sozialer Konflikte auf Grund asymmetrischer Verteilung von Lebenschancen zur Kenntnis nehmen Wenn sie nicht verdrängt werden sollen, indem man sie personalisiert, moralisiert und kriminalisiert, wenn man keine Ventil-einrichtungen in Form von Ersatzmedien oder Ersatzobjekten schafft, um sie auf innere oder äußere Feinde abzuleiten, müssen sie geregelt werden. Soziale Konflikte sind sogar konstruktiv, wenn sie die gesellschaftliche Dynamik erhöhen, wenn sie um wohldefinierte Machtansprüche geführt werden, wenn sie thematisch eingegrenzt bleiben, aber nicht entlang einer einzigen Spannungslinie verlaufen. Umgekehrt sind sie destruktiv, wenn sie lediglich Aggressionen wecken, diffus und explosiv auftreten, als Selbstzweck entfesselt werden, den Grundkonsens aufkündigen und mit der Vernichtung des politischen Gegners drohen.

Nach solchen Kriterien lassen sich die verschiedenen Aktionsformen sozialer Bewegungen einstufen. Das Urteil über die Wahl einer direkten, intermediären oder demonstrativen Aktionsform ist auch abhängig von dem charakteristischen Profil einer sozialen Bewegung sowie von der Reaktion der Kontrollinstanzen. Werden direkte Aktionsformen kumuliert eingesetzt, ist mit einer Polarisierung der sozialen Bewegungen selbst sowie mit einer Militarisierung sozialer Konflikte zu rechnen. Vermutlich sind auch in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft Aktionsformen bürgerlichen Ungehorsams gerechtfertigt Denn wenn gegen repressive Maßnahmen der Legislative und Exekutive die Berufung auf politische Grundrechte unwirksam bleibt, ist eine symbolische Ver-letzung einzelner Gesetze im Interesse einer übergeordneten Verfassungsnorm legitim.

Soziale Bewegungen stoßen auf Widerstand. Die gesellschaftlichen Gruppen, die bisher über den Großteil der politischen Macht verfügten, reagieren heftig abwehrend gegen das mobilisierte Netzwerk sozialer Bewegungen, weil sie darin eine Bedrohung ihrer Position, der eingespielten Organisation der Gesellschaft und des in der politischen Öffentlichkeit behaupteten allgemeinen Interesses erblicken. Den Konflikt zwischen der Stabilität des Systems und dem gesellschaftlichen Wandel suchen sie zunächst repressiv zu regeln; sie mobilisieren den Verbund der staatlichen Kontrollinstanzen, Verwaltung, Polizei und Justiz, gegen die Bewegungsmacht. Die spezialisierten Agenturen können sich dabei schnell verselbständigen und die Eigengesetzlichkeit schikanöser Ermessensentscheidungen entfalten, zumal die Grenzziehung zwischen einer legitimen Unordnung, die soziale Bewegungen verursachen, und kriminellen Handlungen äußerst delikat ist. Außerdem kann die aktuelle Rigidität einer zu einem Parteien-, Verbände-und Verwaltungsapparat verwahrlosten parlamentarischen Demokratie dazu beitragen, daß der ethische Anspruch und die politische Gegenmacht sozialer Bewegungen äußerst heftig zurückgewiesen und verdächtigt werden. Eine nicht weniger repressive, wenngleich sublime Abwehr-reaktion der Kontrollmächte äußert sich darin, daß dem ethisch motivierten Protest der sozialen Bewegungen das Argument der Sachgesetzlichkeit und der Funktionsfähigkeit des Systems entgegengehalten wird.

Beispielsweise wurden im vergangenen Jahrhundert streikende Arbeiter von Polizeitruppen auseinandergetrieben und als Rädelsführer verhaftet, während die Unternehmer sie auf schwarze Listen setzten. Bismarcks Sozialistengesetz trieb Tausende, die sich in der Arbeiterbewegung engagiert hatten, ins Exil und zerschlug den Kern der gewerkschaftlichen Organisation Gegen die Mitbestimmungsforderung, die aus der gemeinsamen Arbeit im Unternehmen abgeleitet wurde, behaupteten die Kapitaleigner das Grundrecht auf Privateigentum Gegen die Optionen der bürger-liehen und proletarischen Frauenbewegung mobilisierten die Arbeiter in den Betrieben Konkurrenz-angst, die Arbeiter zusammen mit den Bürgern traditionelle Rollenklischees Gegen die Anti-Kernkraftbewegung veranstaltete die Energiewirtschaft anfangs Podiumsdiskussionen, Fachkongresse und Großkundgebungen, um Abgeordnete umzustimmen Die Exportwirtschaft argumentiert mit dem internationalen Konkurrenzdruck, um Lohnsenkungen, Sonntagsarbeit und einen Abbau betrieblicher Schutzrechte durchzusetzen. 3. Vermittlung Wie läßt sich die starre Blockade der herrschenden Gruppen und der sozialen Bewegungen auflösen? Soziale Bewegungen brauchen das Wohlwollen und die Neutralität von Teilen der Gesellschaft ebenso wie die aktive Unterstützung von Verbündeten. Welche Rolle übernehmen dabei die Massenmedien? Sollen die sozialen Bewegungen außerhalb der öffentlichen Medien bleiben und eine subkulturelle Gegenöffentlichkeit herstellen? Sollen sie an den Medien vorbei direkt gegen die Kontrollmächte intervenieren? Oder sollen sie Einfluß auf die Medien nehmen bzw. diese gar verdrängen? Umgekehrt mag sich die repressive Reaktion der Kontrollmächte als gegenproduktiv erweisen und die sozialen Bewegungen stärken. Unterstellt man bei den Kontrollmächten ein Mindestmaß an Problembewußtsein, demokratischen Reformwillen und politische Toleranz, erhöht sich der Handlungsspielraum der sozialen Bewegungen sowie die Chance gesellschaftlicher Veränderung.

Der Prozeß der Verständigung zwischen den sozialen Bewegungen und den Kontrollmächten zeigt vier bemerkenswerte Tendenzen: Erstens greifen die sozialen Bewegungen, die darauf drängen, an der politischen Entscheidungsmacht beteiligt zu werden, zu intermediären Aktionsformen, wenngleich in Grenzen und mit abweichender Intensität. Damit lassen sie sich partiell auf die Spielre-geln und Sprachspiele der Kontrollmächte und Vermittlungsinstanzen ein. Zweitens löst die Berührung mit dem Konfliktgegner einen Prozeß der Differenzierung innerhalb der sozialen Bewegungen aus -mit dem Risiko, daß sich radikale und gemäßigte, fundamentalkritisch und realpolitisch eingestellte Untergruppen bilden, Argumentationsmuster immer mehr voneinander abweichen, illegale Formen des Widerstands gegensätzlich bewertet werden, über die politische Strategie und die Auswahl taktischer Instrumente zermürbend gestritten wird und die Organisationen sich spalten. In der Regel endet der interne Differenzierungsprozeß damit, daß extreme Gruppen aus den sozialen Bewegungen ausgegrenzt werden.

Drittens lassen sich bei den herrschenden Entscheidungsträgern und Agenturen vergleichbare Prozesse der Fragmentierung mit nicht geringerem Konfliktpersonal beobachten. Der von den sozialen Bewegungen öffentlich aufbereitete Problem-druck sowie die Problemdarstellung in den Medien reißen Einbruchstellen in die Einheitsfront der Kontrollmächte. Fachkompetente Verwaltungsbeamte gewinnen für das analytische Bewußtsein und das ethische Engagement sozialer Bewegungen wachsendes Verständnis. Unter Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und selbst unter Managern gibt es den einen oder anderen authentischen Aussteiger. Solche strukturellen Brückenköpfe bzw. persönlichen Vermittlungsinstanzen erleichtern den sozialen Bewegungen die Chance, in das bestehende System einzudringen und in dessen Institutionengefüge eine Korrektur des Handelns einzuleiten aus den Bewegungen erwachsene Organisationen sind als Verhandlungspartner anerkannt, während einzelne Bewegungsziele in Behördenressorts eingerichtet werden

Viertens müssen die Repräsentanten der Kontroll-. macht wie die sozialen Bewegungen als Träger von Gegenmacht einen gemeinsamen Bezugspunkt, nämlich ein Minimum an unbestrittenen Überzeugungen finden, z. B. die Grundrechtsartikel der Verfassung oder gemeinsame gesellschaftliche Erfahrungen, wenn sie über ihre gegensätzlichen ethischen Optionen und politischen Ziele auf dem Verhandlungswege eine Verständigung erreichen wollen.

So haben in der Endphase des Ersten Weltkriegs die Gewerkschaften der Zentralarbeitsgemeinschaft, dem Zusammenschluß der Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands, zugestimmt, während die SPD schon vorher die Kriegskfedite billigte. Der Sozialstaat der Weimarer Verfassung, die Tarifautonomie und das Betriebsrätegesetz integrierten die Arbeiter in die Gesellschaft und etablierten die Gewerkschaften als Ordnungsfaktor Grundgesetz und soziale Marktwirtschaft haben eine andere Verteilung gesellschaftlicher Macht und wirtschaftlichen Reichtums gefördert. Das allgemeine Wahlrecht und die politische Gleichberechtigung der Frauen haben die Gesellschaft positiv verändert; die wirtschaftliche Gleichstellung der Frauen ist im Grundsatz nicht mehr umstritten. Der Umweltschutz als gesellschaftlich und politisch vordringliches Ziel scheint politisch mehrheitsfähig zu werden. Die Gründung der Partei der GRÜNEN hat den Eintritt der ökologischen Bewegung ins bestehende parlamentarische System sowie dessen Transformation signalisiert.

Andererseits ist der Preis für die Umwandlung sozialer Bewegungen zu loyalen Systemträgern hoch. In der Weimarer Republik gingen sozialdemokratische Polizeikräfte gegen streikende Arbeiter vor. Heute beaufsichtigen Ressortleiter in Umweltministerien, die der Ökologiebewegung entwachsen sind, die Sicherheit von Atomkraftwerken, ohne dem Ausstieg aus der Kernenergie näherzukommen. Frauenbeauftragte in Behörden und Unternehmen wirken wie ein Versuch, die Frauenbewegung zu zähmen. Ist der industrielle Kapitalismus durch soziale Bewegungen bloß kosmetisch korrigiert worden? Haben seine strukturellen Asymmetrien sich in Wirklichkeit zugespitzt?

Auf der weltwirtschaftlichen Ebene überwiegen offensichtlich die destruktiven Tendenzen. Kann man darauf vertrauen, daß der Dialog innerhalb der multilateralen Institutionen und das Suchen transnationaler Konzerne nach abgestimmten Ver-haltensregeln die betriebswirtschaftliche Rentabilität am Menschheitsinteresse ausrichten, auch wenn dies seine Organisationsform noch nicht gefunden hat? Weltweite soziale Bewegungen sind nur erst in Ansätzen entstanden und politisch noch wenig wirksam. Die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sich verschärfende Konfliktphase sowie die noch ausstehende Vermittlungsphase der weltwirtschaftlichen Nord-Süd-Beziehungen werden sich als theoretische und praktische Bewährungsfelder einer zukünftigen Weltethik sozialer Bewegungen herausstellen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gustav Gundlach, Die Ordnung der menschlichen Gesellschaft I, Köln 1964, S. 22.

  2. Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Katholische Verbände. Studientag der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1988; Bernhard Emunds, Krise der Verbände? Theologische Auseinandersetzung mit den beim Studientag „Katholische Verbände“ der Deutschen Bischofskonferenz gehaltenen Vorträgen; Wissenschaftliche Arbeitsstelle der Bildungs-und Begegnungsstätte der KAB und CAJ der Diözese Aachen (Hrsg.), Zur Diskussion gestellt Nr. 1, Herzogenrath 1988.

  3. Vgl. Karl Gabriel, Kirchliche Sozialverkündigung im Umbruch der Sozialform des neuzeitlichen Katholizismus, in: Karl Gabriel/Wolfgang Klein/Wemer Krämer (Hrsg.), Die gesellschaftliche Verantwortung der Kirche. Zur Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Düsseldorf 1988, S. 71-84; Friedhelm Hengsbach, Pluralismus christlicher Präsenz in der Politik. Profilierung oder Preisgabe katholischer Positionen?, in: Anton Rauscher (Hrsg.), Christ und Politik. Mönchengladbacher Gespräche, Köln 1989, S. 67-99.

  4. Vgl. Friedhelm Hengsbach, Katholische Soziallehre zum Anpacken, in: ders., Die Arbeit hat Vorrang, Mainz 1982, S. 274-308.

  5. Vgl. Johannes Paul II., Sollicitudo rei socialis Nr. 42, 46.

  6. Vgl. Heinrich B. Streithofen, Grundsätze des Handelns, in: Die Neue Ordnung, Sonderheft Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle (Februar 1987), S. 1-15; Friedhelm Hengsbach, Der Sozialhirtenbrief der Bischöfe Österreichs, in: Orientierung, 54 (1990), S. 201-203.

  7. Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben „Octogesima adveniens", Nr. 4.

  8. Vgl. Matthias Möhring-Hesse, „... und nicht vergessen: die Solidarität!“ Eine Einführung in kirchliche Soziallehre. Hrsg, von der Wissenschaftlichen Arbeitsstelle der Bildungsund Begegnungsstätte der KAB und CAJ der Diözese Aachen, Arbeiterfragen Nr. 3, Herzogenrath 1989, S. 8.

  9. Werner Kroh, Katholische Soziallehre am Scheideweg, in: Josef Pfammatter/Franz Furger (Hrsg.), Theologische Berichte 14, Zürich-Einsiedeln-Köln 1986, S. 155; vgl. Werner Kroh, Kirche im gesellschaftlichen Widerspruch, München 1982, S. 194.

  10. Vgl. Joachim Raschke, Soziale Bewegungen, Frankfurt/Main 1985; Karl-Werner Brand/Detlef Busser/Dieter Rucht, Aufbruch in eine andere Gesellschaft. Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik, Frankfurt/Main 1984; Rein-hold Roth/Dieter Rucht (Hrsg.), Neue soziale Bewegungen in der politischen Kultur der Bundesrepublik, Bonn 1987; Klaus Peter Japp, Neue soziale Bewegungen und die Kontinuität der Moderne, in: Johannes Berger (Hrsg.), Die Moderne -Kontinuitäten und Zäsuren (Soziale Welt, Sonder-band 4, 1986), S. 312-333.

  11. Vgl. Peter Koslowski, Ethik des Kapitalismus. Mit einem Kommentar von James M. Buchanan, Tübingen 1986’, S. 15-21.

  12. Vgl. Heide Rosenbaum, Familie als Gegenstruktur zur Gesellschaft, Stuttgart 1973; Elisabeth Beck-Gemsheim, Das halbierte Leben. Männerwelt Beruf, Frauenwelt Familie, Frankfurt/Main 1985.

  13. Vgl. Philipp Schmitz, Ist die Schöpfung noch zu retten?, Würzburg 1985; Friedo Ricken, Anthropozentrismus oder Biozentrismus?, in: Theologie und Philosophie, 62 (1987), S. 1-21; Konrad Hilpert, Verantwortung für die Natur, in: Theologie und Philosophie, 61 (1986), S. 376-399.

  14. Vgl. Silvia Kontos/Karin Walser,... weil nur zählt, was Geld einbringt. Probleme der Hausfrauenarbeit, Gelnhausen 1979; Angelika Wilms-Herget, Frauenarbeit, Frankfurt/Main 1985.

  15. Vgl. Barrington Moore, Ungerechtigkeit. Die sozialen Ursachen von Unterordnung und Widerstand, Frankfurt/Main 1987.

  16. Vgl. Amitai Etzioni, Die aktive Gesellschaft. Eine Theorie gesellschaftlicher und politischer Prozesse, Opladen 1975, S. 421 ff., 656ff.

  17. Zur Definition sozialer Bewegungen vgl. J. Raschke (Anm. lO), S. 76ff.

  18. Vor allem bei den neuen sozialen Bewegungen ist die Ausbildung von Milieus bzw. milieuähnlichen Lebenszusammenhängen als Teil des Bewegungsprozesses zu verstehen: vgl. Roland Roth, Kommunikationsstrukturen und Vernetzungen in neuen sozialen Bewegungen, in: R. Roth/D. Rucht (Anm. 10), S. 68-88. Mit Michael Vester, Solidarisierung als historischer Lernprozeß, in: Dieter Kerbs (Hrsg.), Die hedonistische Linke, Neuwied-Berlin 1970, S. 143-198, ist aber auch die Geschichte der Arbeiterbewegung als Lernprozeß zu verstehen, der von der kollektiven Betroffenheit der Lohnarbeiterexistenz zu einem seiner eigenen sozioökonomischen Lage bewußten Milieu führte.

  19. Vgl. A. Etzioni (Anm. 16); Bernhard Emunds, Gegenmachtbildung sozialer Bewegungen. Eine Problemanalyse in Auseinandersetzung mit Amitai Etzioni (Ms. Frankfurt/Main 1988).

  20. Vgl. Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, München 198010; Arno Klönne, Die deutsche Arbeiterbewegung. Geschichte, Ziele, Wirkungen, Köln 19854; Walter Kendall, Gewerkschaften in Europa, Hamburg 1977.

  21. Vgl. Heinz Oskar Vetter (Hrsg.), Aus der Geschichte lernen -die Zukunft gestalten. Dreißig Jahre DGB, Köln 1980, S. 79-138.

  22. Vgl. Florence Herve (Hrsg.), Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Köln 19832; Jutta Menschik, Feminismus. Geschichte, Theorie, Praxis, Köln 1985’; Alice Schwarzer, So fing es an! Die neue Frauenbewegung, München 1983.

  23. Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann/Burkhard Strümpei, Macht Arbeit krank? Macht Arbeit glücklich?, München 1984; Gerhard Schmidtchen, Neue Technik, neue Arbeitsmoral, Köln 1984.

  24. Vgl. Walter Schmidt, Führungsethik als Grundlage betrieblichen Managements, Heidelberg 1986; Horst Klein/Michael Schumann, Das Ende der Arbeitsteilung? Rationalisierung in der industriellen Produktion, München 1984; Ma-rio Helfert, Chancen neuer Produktionskonzepte. Zur Kontroverse um die neue Studie von Horst Kern und Michael Schumann, in: WSI-Mitteilungen, 38 (1985), S. 136-140.

  25. Vgl. Michel Foucault, Dispositive der Macht, Berlin 1978; ders., Sexualität und Wahrheit, Frankfurt/Main 1983. Vgl. dazu Axel Honneth, Kritik der Macht, Frankfurt/Main 1985, S. 113-224; Steven Lukes, Macht und Herrschaft bei Weber, Marx, Foucault, in: Joachim Matthes (Hrsg.), Krise der Arbeitsgesellschaft?, Frankfurt/Main -New York 1983, S. 106-119.

  26. Vgl. J. Raschke (Anm. 10), S. 205ff., 266ff.

  27. Vgl. ebd., S. 214-220.

  28. Vgl. ebd., S. 274ff.

  29. Vgl. Lewis A. Coser, Theorie sozialer Konflikte, Neuwied-Berlin 1972; Ralf Dahrendorf, Elemente einer Theorie sozialer Konflikte, in: ders., Gesellschaft und Freiheit, München 1963, S. 197-235; ders., Die Funktionen sozialer Konflikte, in: ebd., S. 112-131.

  30. Vgl. Wie der Bundesgerichtshof über die Sitzblockaden entschied, in: Frankfurter Rundschau vom 24. Mai 1988, S. 21; Peter Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt/Main 1983.

  31. Vgl. Roderich Wahsner, Vom Koalitionsverbot zum Aussperrungsverbot. Zur Geschichte von Koalitionsfreiheit und Aussperrung, in: Karl-Jürgen Bieback u. a., Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, Neuwied-Darmstadt 1979, S. 144-183; Klaus Tenfelde/Heinrich Volkmann (Hrsg.), Zur Geschichte des Arbeitskampfs in Deutschland während der Industrialisierung, München 1981.

  32. Vgl. Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, in: Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.), Mitbestimmung, Mitbestimmungs-Gesetz, Montan-Mitbestimmung, Betriebsverfassung, Mitbestimmungs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Bonn 1979.

  33. Die Anhänger Lassalles hielten die Fabrikarbeit der Frauen für etwas, das deren Wesen widersprach, zum anderen sahen sie in ihnen Konkurrenten. Teile der Arbeiter forderten 1848 das gesetzliche Verbot der Frauenarbeit unter dem Motto: „Schafft ab zum ersten die Schneidermammsell’n, die das Brot verkürzt uns Schneidergesell'n." Vgl. F. Herv (Anm. 22), S. 20-25, 32-37, 63-83.

  34. Vgl. K. -W. Brand/D. Büsser/D. Rucht (Anm. 10), S. 97f.

  35. Vgl. Karl-Heinz Stamm, Alternative Öffentlichkeit, Frankfurt/Main -New York 1988.

  36. Vgl. Sebastian Rinken, Von der Bewegung zur Behörde, in: Leviathan, 18 (1990), S. 536-550; Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, (1989) 3/4 (Themenheft: Institutionalisierungstendenzen der Neuen Sozialen Bewegungen).

  37. Zu dem hier angeschnittenen Fragenkomplex vgl. die Beiträge in: Ulrike C. Wasmuht (Hrsg.), Alternativen zur alten Politik, Darmstadt 1989; Forschungsjoumal Neue Soziale Bewegungen, (1990) 1 (Themenheft: Gegenexperten in der Risikogesellschaft).

  38. Vgl. kritisch zu diesem Vorgang Josef Esser, Gewerkschaften in der Krise. Die Anpassung der deutschen Gewerkschaften an neue Weltmarktbedingungen, Frankfurt/Main 1982; den Balanceakt der deutschen Gewerkschaften stärker akzentuierend Friedhelm Hengsbach, Sozialethische und sozialpolitische Dimensionen, in: Hans Pornschlegel (Hrsg.), Macht und Ohnmacht von Gewerkschaftstheorien in der Gewerkschaftspolitik, Berlin 1987, S. 225-236.

Weitere Inhalte

Friedhelm Hengsbach, Dr. phil., geb. 1937; Studium der Philosophie, Theologie und Wirtschaftswissenschaften in München, Frankfurt und Bochum; Professor für Wirtschafts-und Sozialethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Aussperrung und Streik -ungleiche Mittel, Mainz 1981; Die Arbeit hat Vorrang -eine Option katholischer Soziallehre, Mainz 1982; (Hrsg.) Oswald von Nell-Breuning S. J., Den Kapitalismus umbiegen, Düsseldorf 1990; Strukturentgiftung. Kirchliche Soziallehre im Kontext von Arbeit, Umwelt, Weltwirtschaft, Düsseldorf 1990; Wirtschaftsethik -Aufbruch, Konflikte, Perspektiven, Freiburg 1991.