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Deutschland und Frankreich zwischen Maastricht und dem Binnenmarkt | APuZ 42/1992 | bpb.de

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APuZ 42/1992 Artikel 1 Wir brauchen eine neue Europapolitik. Zu einer notwendigen Debatte über Struktur und Ziele der Europäischen Gemeinschaft Das Europa der Eurokraten. Zentralismus, Partikularismus und die Rolle des Nationalstaates Deutschland und Frankreich zwischen Maastricht und dem Binnenmarkt Vom kooperativen Föderalismus zum „Europa der Regionen“

Deutschland und Frankreich zwischen Maastricht und dem Binnenmarkt

Christa Randzio-Plath

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Wegbestimmend für die Geschichte der europäischen Einigung waren die deutsch-französischen Beziehungen. Immer wieder bewiesen sie ihre Elastizität, und immer wieder retteten sie -bei allen Rückschlägen -die europäische Integration. Heute scheint das Verhältnis im Zeichen von Binnenmarkt und deutscher Einheit nicht einfacher geworden zu sein. Frankreich sieht seine Sonderrolle gefährdet und setzt auf die europäische Integration als einen Hebel, deutsche Hegemonie in Europa möglichst zu verhindern. Die Wirtschafts-und Währungsunion ist dabei von zentraler Bedeutung. Es gibt auch Interessenkonflikte zwischen den beiden Staaten, wie in der Wirtschafts-und Währungs-sowie der Industriepolitik oder in der Sicherheitspolitik. Dennoch bleiben diese Beziehungen der Motor der europäischen Integration. Diese Integration wird dringend gebraucht, um zur Stabilisierung von Konfliktregionen und zu einem weltweiten Interessenausgleich beizutragen. Dazu fehlt es aber gerade heute in beiden Staaten an einer stärkeren Europäisierung von Politik und politischem Bewußtsein.

I. Zur Zunkunft Europas

Wenn auch das französische Referendum zu Maastricht am 20. September 1992 nur zu einem knappen Ja geführt hat, so besitzt es doch für die Zukunft Europas entscheidende Bedeutung -dies zumal aus deutscher Sicht, denn eine Weiterentwicklung der EG ohne Frankreich wäre genauso-wenig möglich wie eine Europäische Wirtschaftsund Währungsunion ohne die Bundesrepublik Deutschland. Die Zukunft der Europäischen Gemeinschaft hängt an dem Tandem Deutschland-Frankreich, das die europäische Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg trotz unterschiedlicher Interessenlagen immer wieder gemeinsam bestimmt hat. Namen wie die von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, Jean Monnet, Willy Brandt, Giscard d’Estaing, Helmut Schmidt bis zu Francois Mitterrand und Helmut Kohl stehen stellvertretend für diese Politik grenzübergreifender Konfliktlösungen. Die deutsch-französische Freundschaft war die Brücke zur neuen Standortbestimmung in der EG. Sie leistete Geburtshilfe für den Vertrag über die Europäische Union, auch wenn eine kühne europäische Perspektive fehlt. Über Maastricht schrieb „Le Monde“: „Frankreich hat gesiegt.“ Für den deutschen Bundeskanzler war Maastricht ein historisches Ereignis, weil Maastricht bewiesen hat, daß für Deutschland die deutsche Einheit und die Europäische Union zwei Seiten einer Medaille sind. Der Präsident der EG-Kommission, Jacques Delors, verglich Maastricht als Einschnitt in die Geschichte mit Jalta, hielt Maastricht für den Abschied von der alten europäischen Geschichte.

Kann Maastricht eine Ausgangsbasis für ein neues Europa, für eine neue Rolle der EG in der Weltpolitik sein? Maastricht war kein Durchbruch -weder zur Europäischen Integration noch zur „Welt-macht Europa“ (so der amerikanische Publizist Daniel Burstein). Dennoch ist Maastricht ein Erfolg in einer Zeit der Desintegration großer Staaten, des Zusammenbruchs des kommunistischen Imperiums und von Diktaturen, in einer Zeit der Instabilität und Unsicherheit der Menschen und ihrer Überlebenschancen. In Maastricht war nicht mehr zu erreichen, weil die nationalen Egoismen und Unsicherheiten, die Rücksichtnahme auf Wahlchancen und nationale Orientierungen dominierten. Die friedlichen Revolutionen, der GolfKrieg und der Bürgerkrieg in Jugoslawien haben Supranationalität bedauerlicherweise nicht zu einem Entscheidungsdogma für die europäische Zukunft gemacht.

Noch kann ein europäischer Prozeß gelingen, der über den Binnenmarkt und die Wirtschafts-und Währungsunion die politische Integration möglich macht. Noch degeneriert die Europäische Gemeinschaft nicht zur Freihandelszone und zur bloßen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Schließlich befindet sich die EG nicht in der Ausgangslage der Vereinigten Staaten von Amerika, sie hat andere -eigene -Zukunftsbilder. Dringend wird ein neues Integrationskonzept gebraucht. „Das Ende der Geschichte“ (so der frühere amerikanische Präsidentenberater Fukuyama) steht noch nicht bevor. Die Gegenwart mit ihren nationalistischen Konflikten, den Kriegen sowie ihren sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisen als „Endpunkt der ideologischen Evoluton der Menschheit und die Globalisierung der westlichen liberalen Demokratie als letztendliche Form menschlicher Herrschaft“ zu bezeichnen, ist zynisch. Die globalen Herausforderungen Armut, Hunger, Elend, Zerstörung und Migration, die im Jahresbericht 1991 „Globale Trends“ der Stiftung „Entwicklung und Frieden“ zutreffend beschrieben werden, sind Sprengkraft genug für Frieden und Wohlstand auch in der EG.

Das Ende der nationalen Alleingänge ist angesagt, es wird aber weder emotional noch politisch von der Bevölkerung akzeptiert. Das gilt nicht nur für Dänemark. Auch in anderen EG-Staaten sind Skepsis und Ablehnung der Bevölkerung gegenüber zentralistischen, bürgerfemen Verwaltungen und Regierungen gewachsen. Gerade in Deutschland wird in Medien und von einigen Politikern Stimmung gemacht gegen Europa, für Deutschland.Alle müssen sich entscheiden, ob den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit den Maastrichter Beschlüssen entsprochen werden kann oder ob nur engstirnig die kleine „heile“ Welt der EG beschützt werden soll, die letztlich doch nicht nach außen hin abgeschottet werden kann. Alle leben in und von einem ökonomisch-technologischen multi-polaren Markt, in dem die EG, die USA und Japan konkurrieren. Die Triade der politischen und ökonomischen Macht wird sich auf eine neue globale Ordnung einrichten müssen, ohne die ein Überleben unmöglich werden wird.

II. Die Maastrichter Beschlüsse

Am 11. Dezember 1991 haben sich die zwölf EG-Mitgliedstaaten auf den Regierungskonferenzen in Maastricht auf eine Wirtschafts-und Währungsunion sowie auf eine Politische Union geeinigt. Am 7. Febraur 1992 ist der Vertrag unterzeichnet worden. Das Ziel der Maastrichter Verträge ist eine Vertiefung der Gemeinschaft. Allerdings wurde eine Europäische Union noch nicht gegründet. Der Vertrag stellt nur „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union zwischen den Völkern dar, bei der die Entscheidungen möglichst nahe bei den Bürgern getroffen werden“. Damit sind nur unzureichende Fortschritte in Richtung einer Politischen Union gemacht worden, die denen zur Wirtschafts-und Währungsunion bedauerlicherweise nachstehen. Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen dem Wirtschafts-Europa und dem Europa der Bürger, das nicht akzeptiert werden kann.

Unter den 345 Millionen Bürgerinnen der zwölf Mitgliedstaaten findet die Weiterentwicklung der EG zur Politischen Union und zur Wirtschafts-und Währungsunion weitgehend Zustimmung. Nach dem Eurobarometer 1992 sind Skeptiker in der absoluten Minderheit. Interessant ist, daß sich 65 Prozent der Befragten für eine europäische Sicherheits-und Verteidigungspolitik aussprechen.

Grundsätzlich ist festzuhalten, daß auf dem Weg zur europäischen Einigung große Fortschritte im Bereich der Wirtschafts-und Währungsunion erzielt wurden, während die Politische Union erheblich hinterherhinkt. Nachbesserung ist erforderlich, weil die EG eine umfassende Reform für ihre Integration und Demokratisierung sowie ihre Erweiterung braucht. Eine effiziente und arbeitsteilige Entscheidungsstruktur gehört genauso dazu wie die demokratische Legitimation jeder Entscheidung. Das Maß an intergouvemementaler Zusammenarbeit ist zu beschränken, damit gerade im Bereich der Außen-und Sicherheitspolitik die EG als Partner für fairen Interessenausgleich in den Nord-Süd-Konflikten wie auch zwischen verschiedenen Regionen wirken kann.

Die EG muß endlich Farbe bekennen, ob sie tatsächlich Fortschritte in der Vertiefung erzielen möchte oder sich auf besondere Formen zwischenstaatlicher Zusammenarbeit verständigen will. Diese Entscheidung muß bald getroffen werden, damit die Verhandlungen mit den neuen Partnern über die Erweiterung der Gemeinschaft unbelastet verlaufen.

III. Deutsch-französische Beziehungen in der EG

In der Vergangenheit gab es eine Arbeitsteilung zwischen Deutschland und Frankreich: Deutschland war wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Zwerg. Entsprechend waren auch die Gewichte in der EG und in der Weltpolitik verteilt. Zwar existierte diese Form der Arbeitsteilung in der Realität schon seit Mitte der sechziger Jahre nicht mehr; dennoch wurde die öffentliche Wahrnehmung durch dieses Bild geprägt, als ob sich beide Staaten in einer idyllischen Wohngemeinschaft eingerichtet hätten.

Für die Bundesrepublik war diese Rollenverteilung durchaus vorteilhaft, weil so eine ökonomische Entwicklung ermöglicht wurde, ohne daß sie unangenehme weltpolitische Entscheidungen treffen mußte. Frankreich warf der Bundesrepublik daher häufig vor, sich hinter ihrer Geschichte zu verstecken. Dies hat sich mit der deutschen Einheit geändert, denn Deutschland wurde wieder ein „normaler“ Staat. Damit geht es um die politische Gleichheit von Frankreich und Deutschland in der EG. Sie und die Überwindung einer deutschen Hegemonialstellung sind die Erfüllung eines französischen Wunsches. Seit Beginn der Regierungskonferenzen zur Vorbereitung des Maastrichter Gipfels ging es auch um die deutsche Einheit. Die deutsche Politik hat zu Recht auf ein europäisch gebilligtes Konzept gesetzt und die deutsche Einheit in das Konzept der europäischen Einheit eingebettet. Trotz der Irritationen bei der Vorlage des Zehn-Punkte-Programms durch Bundeskanzler Kohl im Dezember 1989 war Paris mit dem Konzept der deutschen Einheit einverstanden und uh-terstützte den Prozeß der Einigung. Dabei war die Zustimmung der französischen Bevölkerung sogar noch größer als die Zustimmung der politischen Klasse. Fast 70 Prozent der französischen Bevölkerung fanden die deutsche Einheit gut.

Für die Deutschen war Europa selbstverständlich. Das nationale Selbstbewußtsein ist aber seit der deutschen Einheit wieder im Kommen. Das weckt gerade in Frankreich Ängste. Jede Manifestation von Ausländerhaß und Fremdenfeindlichkeit wird besonders registriert, obwohl es in allen Mitgliedstaaten vergleichbare Probleme gibt. An den Prozeß der deutschen Einheit knüpft sich die bange Fragestellung, ob die Deutschen nur solange europäisch gesinnt sind, wie sie schwach sind. Die Angst vor deutschen Träumen ist nicht vergangen. Deutsche Entscheidungen -z. B. die Zinserhöhungen der Bundesbank oder die Diskussion um die deutsche Beteiligung an UNO-Einsätzen -machen ratlos oder unsicher. Objektiv kann darin seitens der Franzosen durchaus eine Überwindung des deutschen Komplexes gesehen werden, die auch von Frankreich gefordert worden ist. Subjektiv verstärkt sich das Unbehagen, das insbesondere in der Kritik an der deutschen Position im Jugoslawien-Konflikt oder in den Vereinbarungen mit den USA zum Ausdruck kam. Auch steigerte sich die Irritation durch die Verstärkung des bisher fehlenden nationalen Elements. War die europäische Einheit für Deutsche und Deutschland nur solange wichtig, wie Deutschland kein souveräner Staat war? Fast scheint es, als würden deutsch-französische Ideen und Rollen vertauscht; denn das Europa der Vaterländer ist nach Meinung vieler Deutscher attraktiv, nicht aber eine verstärkte europäische Integration.

Die neuen europapolitischen Diskussionen senden fatale Signale aus: Europamüdigkeit, sogar Ablehnung wird ausgemacht. Nur 46 Prozent der Deutschen sollen nach Umfragen der amerikanischen Rand-Corporation 1992 noch für die europäische Integration sein. Die Wirtschafts-und Währungsunion wird nach deutschen Meinungsumfragen sogar von 72 Prozent abgelehnt, wenn eine einheitliche europäische Währung die Mark ersetzen soll.

Deutschland steht heute auf der Tagesordnung der europäischen Diskussionen. Deutschland-Diskussionen hat es immer gegeben; immer bestand nämlich eine enge Verbindung zwischen der politischen und rechtlichen Situation in Deutschland und Europa. Aber erst heute-nach dem Fall der Mauer und den demokratischen Revolutionen im Osten -fragen alle politischen Zirkel nach der Zukunft Deutschlands „ohne Mauer“, nach der Zukunft Europas ohne die deutsche Teilung.

Deutschland hatte während des Kalten Krieges seinen traditionellen Platz im Herzen des Kontinents verloren. Nach dem Zerbrechen der bipolaren Weltordnung, in der Deutschland in den Augen beider Supermächte seinen festen Platz hatte, muß seine Rolle neu bestimmt werden. Heute geht es darum, ob Deutschland ein „europäisches Deutschland“ geworden ist, wie es Thomas Mann Anfang der fünfziger Jahre vor Studenten in Hamburg gefordert hatte, und wie es der „gemeinsamen Verantwortung der Deutschen vor der Geschichte“ gerecht wird -so Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag.

Wenn französische Intellektuelle wie Bernard-Henri Levy die Deutschlandphobie der Franzosen betonen, sind darüber viele Deutsche enttäuscht. Sie meinen, daß sie die besten Freunde Frankreichs seien. Zum Trost gibt es auch positive Meinungsumfragen. So wollen die Franzosen -nach Frankreich natürlich -am liebsten in Deutschland leben. In seinem Buch „France-Allemagne. Le retour de Bismarck“ schreibt Georges Valance: Es gibt nur eine einzige positive Antwort auf die deutsche Einheit -nämlich die Franzosen auf ein neues großes Ziel hin zu mobilisieren. Heinrich Heines Schriftstellerkollege Ludwig Börne verzweifelte in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts an den falschen, nationalistischen Vorstellungen der Franzosen und schrieb, daß die Franzosen ihre Freiheit nicht auf dem Platz der Bastille finden, sondern an den Ufern der Elbe, weil Freiheit und Glück auch davon abhängen, ob Freiheit und Glück der Deutschen anerkannt werden. Welch eine Parallele zu heute!

IV. Zu Frankreichs europäischer Sonderrolle

Frankreich spielte eine besondere Rolle in der Weltpolitik, weil es sowohl eine europäische wie eine eigenständige Rolle für andere EG-Partner -z. B. gegenüber den USA -übernahm. Frankreich konnte diese Rolle spielen, weil Deutschland und Europa geteilt waren. Der Fall der Mauer und der Zusammenbruch der diktatorischen kommunistischen Regime führten daher trotz aller Euphorie in Frankreich zu Befürchtungen vor einem Übergewicht der wirtschaftlich dominanten Bundesrepublik, das sich nunmehr auch politisch auswirken könnte. Die Angst vor einer Marginalisierung Frankreichs war so groß, daß Frankreich auf eine gesamteuropäische Konföderation (Mitterrand) so­ wie auf eine europäische Ordnung setzte, der ein Ausbau der westeuropäischen Gemeinschaft vorangehen sollte. Sie sollte gleichzeitig die Eigenständigkeit der EG gegenüber den USA demonstrieren. Das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft 1952 am Nein Frankreichs gerät heute in der europapolitischen Diskussion zum Alptraum. Selbst die gaullistische Opposition unter Frangois Leotard fürchtete sich vor dem Plebiszit, vor einem Nein mit fatalen Konsequenzen für Frankreichs Zukunft, und warnte vor einem neuen „schwarzen Tag in der Geschichte unseres Kontinents“.

Insofern diente die Integrationswilligkeit Frankreichs nicht nur der Einbindung Deutschlands, sondern gleichzeitig der Stärkung der französischen Position. Selbst wenn Deutschland weiterhin geteilt geblieben wäre, hätte sich Frankreichs frühere Rolle als besondere Mittelmacht durch die Veränderungen in Osteuropa und vor allem durch den Zerfall der Sowjetunion und des kommunistischen Zentralismus verändert. Dies realisierte die französische Politik schnell und setzte noch stärker als bisher auf die Europäisierung: „Frankreich ist unser Vaterland, Europa ist unsere Zukunft“, sagte Frangois Mitterrand bereits vor drei Jahren. Die Auffassung, daß Frankreich nur dann eine bestimmende internationale Rolle spielen kann, wenn es auf die europäische Karte setzt, teilen in Frankreich die Wirtschaft wie die politische Klasse.

V. Angst vor einer deutschen Hegemonie

Bei allem Respekt vor der deutsch-französischen Freundschaft und der Geschichte der Beziehungen auf allen Ebenen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind versteckte, aber auch offene Ängste vor einer deutschen Dominanz in Europa immer wieder zu finden. Das verdeutlichen die Debatten über die deutsche Einheit, über die Alleingänge der Deutschen Bundesbank, den Einsatz der Bundeswehr oder das ostpolitische Engagement. Dabei stellt sich in Frankreich die Frage, ob sich Deutschland in gleichem Maße wie Frankreich europäisiert. Die Furcht besteht, daß Deutschland im Zeichen der deutschen Einheit und der Umwandlungsprozesse in Osteuropa bzw.den GUS-Republiken sein Interesse an der (westeuropäischen Integration verliert. Die Entscheidung über die Höhe der Mehrwertsteuer wurde dagegen im Ausland als ein Beweis dafür gesehen, daß „Deutschland ein zuverlässiger Partner in der Gemeinschaft“ bleibt. Französische Maastricht-Befürworter nutzten überdies die versteckten oder offenen Zweifel an Deutschland für ihre ^“ -Kampagne zum Referendum: Wenn die Deutschen nicht in Versuchung geführt werden sollen, andere Optionen zu wählen, dürfe Frankreich nicht Maastrichter Türen durch ein „Nein“ zuschlagen.

Deutschland wird zum Gravitationszentrum in Europa durch seine geographische Lage wie durch seine wirtschaftliche Stärke. Für Deutschland und seine Nachbarn ist daher ein integriertes Europa besser als ein desintegriertes. Gegen eine deutsche Hegemonie gibt es nach Meinung vieler Franzosen -im Gegensatz zum französischen Europaabgeordneten und Schriftsteller Max Gallo, der die französische Europapolitik als Leisetreterei unter dem Banner der DM geißelt -nur die Vertiefung der EG als „Gegengift“.

Eine Umfrage 1992 unter den Topmanagern (von Prognos Institut, Wall Street Journal sowie Handelsblatt) unterstreicht, daß ein wachsender Einfluß Deutschlands in Europa erwartet wird. Diese Tatsache trifft auf Zustimmung wie auf Skepsis. In Frankreich erwarten 88, 1 Prozent der Spitzenmanager mehr Einfluß Deutschlands, glauben allerdings 61, 3 Prozent, daß auch Frankreichs Einfluß in den nächsten Jahren zunimmt. 40, 5 Prozent von ihnen ist der wachsende deutsche Einfluß auf die europäische Politik nicht willkommen. Den deutschen Einfluß auf die Wirtschafts-und Währungsunion begrüßen sie dagegen. Bei der technischen Standardisierung und Normierung lehnen 52, 4 Prozent eine führende Rolle Deutschlands ab. 50 Prozent der französischen Manager meinen ferner, daß Deutschland in Europa nach Hegemonie strebt. Hier hat sich das Vorurteil über drei Generationen bewahrt, weil die deutsch-französische Verständigung immer noch nicht ganz selbstverständlich ist. Manager wie Jean Weber sind der Auffassung, daß die deutsch-französische Verständigung eine „Absprache an der Spitze“ ist, die „von der Allgemeinheit noch nicht getragen wird“. Diese Meinung muß bestritten werden. Die Erfolge der deutsch-französischen Freundschaft bestehen auf kommunaler Ebene, auf der Ebene der Jugendarbeit oder in der Partnerschaft zwischen Vereinen und Verbänden. Es fehlt wohl eher an dem Dialog der politischen Klassen und der Wirtschaft. Die Bürgerinnenverständigung ist weiter fortgeschritten, als die Vorurteile der Herrschenden dies lehren mögen. In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß noch nicht einmal drei Prozent der deutschen Auslandsinvestitionen in Frankreich getätigt wurden. Erst jetzt bahnt sich mit der Stärkung und Stabilisierung der französischen Finanz-und Wirtschaftspolitik und einem Ausgleich in der Handelsbilanz die mit dem Binnenmarkt erwünschte Wende an. Die französischen Investitionen in Deutschland betrugen Anfang der neunziger Jahre bereits 8, 4 Mrd. DM. Frankreichs Firmen kauften 67 Betriebe und sind der größte ausländische Investor in den neuen Bundesländern. Darüber hinaus stiegen im Zeichen der deutschen Einheit die französischen Exporte in die Bundesrepublik um ein Fünftel auf 78, 9 Mrd. DM im Jahre 1991 und trugen so zu einer ausgeglicheneren Handelsbilanz bei. Frankreich war 1991 wiederum Deutschlands größter Exportkunde. Wichtig sind auch die zunehmenden Aktivitäten von deutschen und französischen Beratungsfirmen, Freiberuflern sowie von mittleren und kleinen Unternehmen und Kooperationen im Wissenschafts-und Technologiebereich. Diese Entwicklung kann positive Auswirkungen auf die weitere Verflechtung der deutsch-französischen Beziehungen haben und damit auch zu einem weiteren Abbau der gegenseitigen Vorurteile und Ängste beitragen.

Die Angst vor einer deutschen Hegemonie kommt u. a. bei der Kritik an den deutschen Investitionen und an den Hilfen für Osteuropa und die frühere Sowjetunion zum Ausdruck. Allerdings ist diese Kritik unberechtigt; denn Frankreich hat immer schon eine engagiertere Ostpolitik in der EG gefordert. Es war Frankreich, das die Idee eines Europäischen Hauses von Lissabon bis zum Ural geprägt und die Idee einer „Europäischen Konföderation“ ins Spiel gebracht hat. Daher muß sich Frankreich -wie übrigens auch die anderen europäischen Partner -stärker ostpolitisch engagieren und Verantwortung übernehmen. Frankreich muß auch mehr als bisher in Osteuropa investieren.

VI. Die Wirtschafts-und Währungsunion als Hebel gegen die Dominanz der Deutschen Mark

Mit der Vergemeinschaftung des Wirtschafts-und Währungssektors gibt es die Chance, ein größeres Deutschland durch weitere Integration zu kontrollieren. Die französische Europaministerin Elisabeth Guigou unterstreicht: „Maastricht, das ist vor allem die Vollendung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.“ Die Furcht vor der DM als Weltwährung bestärkte Frankreich darin, Maastricht zu einem Erfolg machen zu müssen. So setzte Präsident Mitterrand durch, daß der 1. Januar 1999 zum unwiderruflichen Datum für den Eintritt in die Endstufe der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion wurde, während Bundeskanzler Kohl die Europäische Zentralbank nach deutschem Muster durchsetzte. Auch die französische Verfassung muß nun „wegen Europa“ erstmals geändert werden.

Die Tränen, die über den möglichen Verlust der DM in der Bundesrepublik geweint werden, machen das geringe Ausmaß europäischer Orientierung der Deutschen deutlich. 73 Prozent der Deutschen sprechen sich 1992, wenige Monate vor dem Inkrafttreten des Binnenmarktes, gegen die Wirtschafts-und Währungsunion aus. Zunehmend mehr Menschen halten Fortschritte in der europäischen Integration für eine Überforderung. Dabei vergessen sie, daß sie ihren Wohlstand nicht nur ihrer stabilen Währung, sondern auch der europäischen Integration verdanken, die gerade Deutschland sowohl hinsichtlich der Exporte als auch der Arbeitsplätze im EG-Vergleich die meisten Vorteile verschaffte.

Die EG-Partner begreifen die deutsche Kritik an der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion (EWWU) nicht, weil sich das Modell der deutschen Geldpolitik und der Bundesbank durchgesetzt hat und sie daher ihre Politik und Institutionen verändern müssen. Das gilt vor allem für Frankreich, das seine am deutschen Modell ausgerichtete Stabilitätspolitik mit hoher Arbeitslosigkeit und Wahlniederlagen der Regierung bezahlt. Heute meint der französische Finanzexperte Francois Renard, daß Frankreich „tugendhaft“, Deutschland hingegen mit seinen Milhardendefiziten, Preissteigerungen und Lohnforderungen „zügellos“ geworden sei. Regierung und Finanzkasse in Frankreich waren über die Zinserhöhungen in Deutschland irritiert, äußerten aber mehr Verständnis als andere EG-Partner, weil die Entscheidung die internationalen und europäischen Finanzmärkte kaum berührte. So galt sie in Frankreich sogar als „verantwortungsbewußt“. Für „Le Monde“ war sie sogar der beste Beweis dafür, daß eine EWWU tatsächlich gebraucht wird und man den „DM-Egoismus“ ersetzen möchte durch die Souveränität einer „geteilten Währung“.

VII. Französische und deutsche Europa-Diskussionen

In Frankreich gibt es eine sehr lebendige konzeptionelle Europa-Diskussion in Politik, Wirtschaft und der Publizistik. Das Jahr 1993 ist für die Franzosen ein Begriff; denn alle Anstrengungen der vergangenen Jahre zu einem Mehr an Leistungsfähigkeit und Sparsamkeit sind mit der Vollendung des Binnenmarktes und Frankreichs neuer Position als europäischer Staat mit einer europäisch wettbewerbsfähigen Wirtschaft verbunden. 78 Prozent der Franzosen sind für die europäische Einigung, und über die Hälfte der Franzosen erwarten dayon mehr für Frankreich. Allerdings meinen 44 Prozent, daß der EG zu viele Kompetenzen zugestanden worden sind. Die Debatte um die Supranationalität -ein unvergessener Streit zwischen de Gaulles Europa der Vaterländer und Jean Monnets Föderativem Europa ist seit Maastricht wieder aufgeflammt. Eine vergleichbare Europa-Debatte wie auch die Frage nach der Souveränität und dem aktiven bzw. passiven kommunalen Wahlrecht für EG-Europäer polarisieren die öffentliche Meinung. Wahrscheinlich gehört die heftige Debatte über die künftige Rolle und Bedeutung des Nationalstaates Frankreich zu den Geburtswehen des europäischen Bewußtseins. Eine vergleichbare Debatte gibt es auch in Deutschland. Die dicken Tränen um die DM sind ein Zeichen dafür, daß europäische Prozesse die deutsche Emotionalität ähnlich berühren, aber eben anders.

Weitaus stärker als in Deutschland wird in Frankreich in der Europa-und Binnenmarktdiskussion auf die grenzübergreifende Dimension der großen Probleme von heute hingewiesen, wie wirtschaftliche Entwicklung und Geldpolitik, Technologie und Umwelt, Verstädterung und Migration oder Drogen. Welt-oder Gemeinschaftslösungen sind hier von der französischen Öffentlichkeit sehr deutlich gefordert. Es mag sein, daß der Meinungswandel über die Umweltpolitik, der sich auch bei den Regionalwahlen 1992 zeigte, hiermit verbunden ist. Jedenfalls ist nach der Umfrage von „Baromätre“ 1992 die Mehrheit der Bevölkerung für eine EG-Umweltpolitik, nicht für eine autonome Umweltpolitik Frankreichs. In der Bundesrepublik Deutschland erwacht der europapolitische Dialog durch das dänische Nein glücklicherweise aus dem zu langen Winterschlaf. Vielleicht war das Erwachen aber zu unsanft; denn differenzierte Töne und sachkundige Argumente sind weniger zu hören als Schlagworte, die der Europäischen Gemeinschaft jedes Versagen der Politik in die Schuhe schieben wollen. Deswegen ist in der Bundesrepublik eine stärkere, aber auch differenziertere Europa-Diskussion endlich wieder notwendig!

Viele Probleme des Verhältnisses Frankreich-Deutschland hängen mit der Krise des politischen Systems in Frankreich zusammen. In Deutschland funktioniert das politische System besser. Das hat viele Gründe. Ein Grund dafür ist die Tatsache, daß Wählerkritik regional aufgefangen werden kann und der Föderalismus ein Korrektiv ist, das positiv wirkt. Überhaupt spielt es eine Rolle, daß im europäischen politischen System die deutschen Institutionen so erfolgreich sind. Dabei sind nicht wenige von ihnen Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten „diktiert“ worden. Es fragt sich, warum diese damaligen Zwangsgeschenke, die sich als Wohltat erwiesen haben, beispielsweise von Frankreich nicht selbstbewußter übernommen werden können.

Die Ergebnisse von Maastricht stabilisieren die deutsch-französischen Beziehungen und damit den europäischen Integrationsprozeß. Die Kompromißfähigkeit war auf beiden Seiten groß. Als Tandem haben beide Regierungen trotz unterschiedlicher Interessen die Schwächen der Präsidentschaften sowie die niederländisch-britische Obstruktionspolitik gegenüber dem Integrationsprozeß erfolgreich abgefangen. Dabei hat sich die Integration Spaniens in die deutsch-französische Abstimmungspolitik als zusätzlicher Erfolgs-faktor erwiesen.

VIII. Binnenmarkt’ 92: Chance oder Schreckgespenst?

Überwiegend positiv wird die Binnenmarkt-Vollendung in Frankreich bewertet. Die Vergrößerung des Absatzmarktes für französische Produkte und Dienstleistungen wird eindeutig als Erfolg gesehen. So tragen Deutschland und Frankreich durch ihre Abstimmungen zur Umsetzung der EG-Binnenmarktgesetzgebung bei, wenngleich beide bei der Umsetzung des EG-Rechts in nationales Recht nur im Mittelfeld liegen. Auch in Frankreich wird -wie in Deutschland -das Binnenmarktprogramm als Erfolg gewertet, der zur wirtschaftlichen Erholung in der EG, zu Wirtschaftswachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beigetragen hat. Die Angleichung der Normen und Standards auf EG-Ebene wird als wichtiger Beitrag zur Verdrängung japanischer und amerikanischer Konkurrenz und damit zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie gesehen.

Beklagt werden in Frankreich wie in Deutschland die äußerst geringen Fortschritte für ein soziales Europa, die immer wieder an Großbritannien scheitern. Bereits die Europäische Sozialcharta war Ausdruck der Ohnmacht Deutschlands und Frankreichs gegenüber der unerbittlichen Maggie Thatcher. Dabei enthält sie nicht einmal verbindliche individuelle oder kollektive Arbeitnehmer-rechte. Bis heute sind die Einführung eines europäischen Betriebsrates, der EG-weite Mutterschutz oder die Festlegung von Arbeitszeit an solchen Widerständen gescheitert. Das gleichgelagerte Interesse beider Staaten hängt auch mit der Stellung und Anerkennung der organisierten Arbeitnehmerschaft zusammen, die für den sozialen Frieden und damit für den Erfolg von Wirtschaftsund Beschäftigungspolitik von zentraler Bedeutung ist. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten im sozialen Bereich wird von beiden Staaten -im Gegensatz zur britischen Regierung -abgelehnt.

IX. Industriepolitik als Schlüssel für die Zukunft der EG

Mit der Vollendung des Binnenmarktes wachsen -paradoxerweise -einige Probleme der europäischen Industrie. Die Schutzquoten für europäische Autos gegenüber den japanischen oder südkorea-nischen Importen sind ein Beispiel dafür. 40 Prozent der Franzosen halten eine gemeinschaftliche Industriepolitik für besonders wichtig, weil nach Meinung Frankreichs nationale Aktionen nicht mehr ausreichen, um die Wettbewerbsfähigkeit französischer Unternehmen zu gewährleisten. Frankreich hat eine interventionistische, protektionistische Tradition in der Industriepolitik. Deutschland lehnt hingegen Industriepolitik ab, wenn sie zu dirigistischen, sektorspezifischen Eingriffen mißbraucht werden kann. Frankreich setzte in Maastricht die Aufnahme einer Vorschrift über die gemeinschaftliche Industriepolitik in einem bescheidenen Rahmen durch.

Frankreich ist übrigens -im Gegensatz zu der Bundesregierung und der deutschen Industrie -der Meinung, daß es immer eine deutsche Industriepolitik gegeben habe. Für Frankreich hat Deutschland -wenn auch mit anderen Instrumenten -ähnlich interventionistisch gehandelt wie der französische Zentralstaat: Die Interdependenz von Wettbewerbspolitik, deutschem Liberalismus, öffentlicher Hilfe für Investitionen in die industrielle Entwicklung, von Beziehungen zwischen Banken und Industrie, von staatlich gewährleisteten guten Bildungs-und Ausbildungsbedingungen, von öffentlichem Auftragswesen und Subventionen ist für Frankreich der Schlüssel zum Erfolg der deutschen Industrie. Deswegen wird die deutsche Kritik an der industriepolitischen Orientierung des neuen Vertrages genausowenig verstanden wie die Kritik an den auto-und luftfahrtpolitischen Vorschlägen der EG-Kommission.

Für die Kooperation bei technologisch interessanten Projekten, wie dem Airbus, hat sich die deutsch-französische Partnerschaft bewährt. Unterschiedliche Haltungen gegenüber der Industriepolitik gibt es nach wie vor. Frankreich will die eigene Industrieproduktion gegenüber Japan und den USA schützen. Noch vertritt die deutsche Industrie die Ansicht, daß fehlender Wettbewerb auf dem Weltmarkt innovations-und entwicklungsfeindlich ist. Diese unterschiedlichen Auffassungen werden unzureichend diskutiert, weil bedauerlicherweise die Kooperation zwischen deutschen und französischen Unternehmen bisher eine wenig entscheidende Rolle gespielt hat. Französischer Protektionismus wird von der deutschen Industrie abgelehnt wie umgekehrt die deutsche absolute Freihandelsorientierung von der französischen Industrie.

X. Die Zukunft der EG-Erweiterung als Streitfall

Differenzen in den Auffassungen Deutschlands und Frankreichs prägen auch die Entscheidung über die Frage der Erweiterung der EG, gegen die Frankreich -im Gegensatz zu Deutschland und Großbritannien -starke Bedenken, ja eine entschieden negative Einstellung hat. Allerdings setzt Deutschland wie Frankreich auf die Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft, will die Erweiterung aber nicht ausschließen.

Auch wenn Frankreich sich gegen die Verhandlungen z. B. mit Österreich, Schweden und Finnland nicht wehrt, so setzt das französische Modell doch auf ein klares Konzept der Integration. Widersprüchlich ist dabei aber die eigene Position, die im Hinblick auf mehr Demokratisierung die Rechte des Europäischen Parlamentes nur geringfügig stärken will und eine größere Macht des Rates ge-genüber der EG-Kommission befürwortet. Darüber hinaus befürchtet Frankreich mit der EG-Erweiterung eine Zunahme des Einflusses der deutschen Sprache, Kultur und Politik. Insofern wird die Erweiterungs-wie die Sicherheitsdebatte in der EG von Spannungen geprägt werden, die auch unmittelbar die deutsch-französischen Beziehungen betreffen.

XI. Hat Deutschland-Furcht Maastricht gerettet?

Ein europäischer Zunkunftstraum ist Maastricht wahrlich nicht. Unentschieden und ohne eine europäische Handschrift einigten sich europäische Regierungs-und Staatschefs über den Fortschritt zur europäischen Integration. Die erwünschte Politische Union kam nicht zustande. Volk und Parlamente wurden nicht eingeschaltet; Mißtrauen herrscht. Unglaubliche Argumente wurden selbst in Frankreich ausgetauscht. Frankreich wollte Maastricht und die Währungsunion. Und sicherlich spielte die neue deutsche Normalität als souveräner Staat, als Staat mit einer größeren Bevölkerung, einer größeren Wirtschaftskraft, eine Rolle.

Während die Rechtsradikalen das Ja zu Maastricht für schlimmer befanden als einen verlorenen Krieg, gaben Sozialisten und Liberale Sicherheit und Wirtschaftskraft bei einem Nein verloren. Das Referendum degenerierte vielfach zu einer Abstimmung über französische Regierungspolitik. Die Volksabstimmung einte die Schar der mit der französischen Regierungspolitik Unzufriedenen mit den Landwirten und den LKW-Fahrern, den Kommunisten und Rechtsextremen der Nationalen Front. Beigetragen zum Ja haben sicherlich die deutsch-französische Freundschaft und die Senkung der Leitzinsen der Deutschen Bundesbank. Die zynische Manipulation von Deutschland-Furcht und Deutschland-Hegemonie machte die Bevölkerung einfach nicht mit, die in Deutschland nach wie vor einen guten Nachbarn sieht. Die Sorge um die französische Wirtschaft und um Arbeitsplätze war sicherlich auch ein Motiv für das Ja zu Maastricht, denn Frankreichs Industrie fürchtet um ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Japan und den USA ohne eine europäische Industriepolitik. So fiel denn auch das Ja überproportional aus in Paris, in den industriellen Zentren, vor allem aber auch bei der Jugend.

Das Ja zu Maastricht erleichtert. Die überall geschürten Vorurteile und Ängste haben sich nicht durchgesetzt, wenngleich sie aufgrund des knappen Ergebnisses ernst zu nehmen und politische Konsequenzen im Management der EG zu ziehen sind.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Christa Randzio-Plath, geb. 1940; Juristin und Autorin; Mitglied des Europäischen Parlaments, Vorsitzende des Unterausschusses Währung. Veröffentlichungen u. a.: Welthandel am Scheideweg, Bonn 1991; Europäischer Sozialfonds: Frauenzimmer im Haus Europa, Köln 1991; Binnenmarkt -eine Herausforderung für Frauen, Bonn 1992.