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Alte Menschen in den neuen Bundesländern Das andere deutsche Alter | APuZ 44/1993 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 44/1993 Die demographische Entwicklung Deutschlands: Risiken, Chancen, politische Optionen Im Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Beschäftigungsperspektiven älterer Arbeitnehmer zwischen demographischem Wandel und anhaltender Arbeitslosigkeit Latente Macht und neue Produktivität der Älteren Alte Menschen in den neuen Bundesländern Das andere deutsche Alter

Alte Menschen in den neuen Bundesländern Das andere deutsche Alter

Klaus-Peter Schwitzer

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Zusammenfassung

Die mit der Einheit Deutschlands einhergehenden Veränderungen im sozialen System stellen für die älteren Menschen in den neuen Bundesländern, wie für alle ehemaligen DDR-Bürger, einen Bruch der bisherigen Lebensperspektive dar. Daraus ergeben sich Konsequenzen für nahezu alle Lebensbereiche; sie betreffen Erwerbsbiographien, Einkommensverläufe, Familienbeziehungen, Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung u. a. m. Anhand sozio-demographischer Trends und ausgewählter Lebensbedingungen wird gezeigt, wie sich die soziale Lage älterer Menschen verändert hat bzw. verändern wird. Bei partieller Angleichung der Lebensverhältnisse wird es zu einer Verfestigung bestehender Ungleichheiten zwischen den Alten in Ost und West kommen, so daß es auf Jahre hinaus zwei „deutsche Alter“ geben wird. Aus den aktuellen und absehbaren Problemen ergeben sich spezifische Aufgaben für die Altenpolitik in den neuen Ländern; zugleich gehen von diesen Impulse aus, die für Innovationen und Reformen in Gesamtdeutschland

I. Vorbemerkungen

Tabelle 1: Bevölkerungsentwicklung -neue Bundesländer und Berlin-Ost Quelle: Statistisches Bundesamt

Durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland bedarf das Bild der deutschen Alten einer Ergänzung. Auf dem vormaligen westdeutschen Gruppenbild mit Damen konnten vielfältige Gesellschaftstypen differenziert werden: Da fin-, den wir die „neuen Alten“ Unter diesen Begriff fallen erstens die jungen, kreativen und aktiven, kontaktreichen, körperlich fitten, mitunter auch politisch aufmüpfigen Alten mit vergleichsweise guten Einkommens-und Vermögensverhältnissen und zweitens die kompetenten Alten, die das Alter selbständig, aufgabenbezogen und sinnerfüllt meistem und die im Gegensatz zu defizitären Alters-auffassungen psychogerontologisch das positive Alter verkörpern, sowie jene schicht-spezifischen benachteiligten älteren Mitbürger, die als Folge von Diskontinuitäten im Lebenslauf, durch Veränderungen ihres Gesundheitszustandes und ihrer Leistungsfähigkeit unter anderem spezifischen sozialen Risiken und Gefährdungen ausgesetzt sind. Und wir entdecken privilegierte und benachteiligte Ältere, die in (mindestens) acht unterschiedlichen Milieus ihre verschiedenen Lebensauffassungen und Lebensweisen praktizieren, wobei das Spektrum vom konservativen gehobenen Milieu über das kleinbürgerliche und das traditionelle Arbeitermilieu bis zum hedonistischen oder alternativen Milieu reicht

Tabelle 5: Sozialökonomische Gliederung der Spareinlagen 1989 Quelle: Staatsbank Berlin, unveröffentlichtes statistisches Material.

Fast drei Viertel der 55-bis 70jährigen verteilen sich schwerpunktmäßig auf drei soziale Milieus: „Mit einem Anteil von 15 Prozent an der Grundgesamtheit ist das konservative gehobene Milieu fast doppelt so groß wie in der Gesamtbevölkerung. Die typischen Milieuvertreter -ehemalige leitende Beamte und Angestellte, Freiberufler, Unternehmer -fühlen sich als gesellschaftliche Elite ... Sie legen großen Wert auf eine kultivierte Lebens-art... nehmen intensiv am gesellschaftlichen Leben teil, geben Einladungen, sind kulturell vielseitig interessiert und aktiv... Um glücklich zu sein, brauchen die Angehörigen dieses Milieus einen , distinguierten Rahmen ... Im kleinbürgerlichen Milieu leben mehr als 40 Prozent aller 55-bis 70jährigen in der Bundesrepublik. Es ist damit die in dieser Altersgruppe dominierende Lebens-welt ... Die kleinbürgerliche Leib-und Magenphilosophie lautet: Man muß im Leben etwas Anständiges erreichen. Die übergroße Mehrheit der älteren Kleinbürger kann von sich behaupten, diesen Grundsatz verwirklicht zu haben... Zusätzlich zur Rente bzw. Pension beziehen viele ältere Kleinbürger häufig Zusatzeinkommen aus Vermietung und Verpachtung, der Anteil von Haus-und Wohnungsbesitzern ist überproportional hoch.“ Diese Kurzdarstellung westdeutscher Kernmilieus der Alten, zu denen noch 16 Prozent gehören, die dem aufstiegsorientierten Milieu angehören, läßt bereits erahnen, wie schwer es ist, ostdeutsche Ältere in das Bild hineinzukomponieren. Sie passen in ihrer Mehrheit genausowenig zu den wohlhabenden Alten in ihrem Putz (konservativ gehobenes Milieu), wie zu den Haus-und Wohnungsbesitzern (kleinbürgerliches Milieu) oder den Aufsteigern.

Tabelle 6: Spareinlagen der Bevölkerung im Rentenalter nach sozialökonomischen Merkmalen 1989 Mitglieder Quelle: Staatsbank Berlin, unveröffentlichtes statistisches Material.

Unter den materiellen, politischen und ideologischen Bedingungen der DDR haben sich eigenständige Lebenswelten herausgebildet, mit sozialen Lagen, Lebensweisen, Wertorientierungen sowie kulturellen Besonderheiten, die mit den sozialen Milieus der alten Bundesrepublik kaum vergleichbar sind. Formal gleichgestellt verfügen die ostdeutschen Alten auch nach drei Jahren politisch-institutionaler, wirtschaftlicher und mentaler Anpassungs-und Ausgrenzungsprozesse über unterschiedliche materielle und politische Ressourcen und haben andere Sorgen, Probleme, Hoffnungen und Ängste als ihre westdeutschen Pendants. Zudem erschweren Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart die Begegnung von gleich zu gleich auf beiden Seiten und, was die Ost-bürger anbelangt, z. T. auch untereinander, wo-durch die Zuordnung im gesamtdeutschen Alters-bild ebenfalls erschwert wird. Wohin etwa mit den älteren Deutschen Demokratischen Revolutionären, einer allerdings kleinen Gruppe, da die Mehrheit der Alten nicht zu den Aktivisten der Wende gehörten? Und würden diese wiederum ihre Nähe zu den ehemals in den Bereichen Justiz, Militär, Staatssicherheit, Inneres und den gesellschaftlichen Organisationen Beschäftigten akzeptieren, besonders zu jenen Zeitgenossen, die in der DDR zu den Befürwortern des Systems gehörten und jetzt auf dem Boden der anderen Gesellschaftsordnung jene Menschenrechte für sich einklagen, die sie früher der Mehrheit verwehrten? Wohin schließlich mit den jungen Alten, die nach dem Zusammenbruch ihrer Betriebe und Genossenschaften oder nach Abwicklung und Evaluierung in den Bereichen Bildung, Verwaltung und Wissenschaft arbeitslos geworden sind oder Altersübergangsgeld in Anspruch nehmen (müssen)? Letzten Endes müßten die Ungleichheiten innerhalb der inhomogenen sozialdemographischen Gruppe der Alten auch bei der Auswahl der Farben Berücksichtigung finden. Hierbei sind subtile Varianten angebracht. Grau-in-Grau-Töne für die ostdeutschen, vielfältige Farbabstufungen für die westdeutschen Alten, mit jeweils bei beiden eingestreuten braunen und roten Tupfen, können alte Klischees der Selbst-und Fremdwahmehmung der Alt-und Neubürger verfestigen oder fördern.

Tabelle 7: Wohnsituation von Älteren (60 Jahre und älter) und Jüngeren (unter 60 Jahre) in den alten und in den neuen Bundesländern (in Prozent) Quelle: SOEP-West (1989), SOEP-Ost (1990), personenbezogene Auswertung. Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) ist eine repräsentative Längsschnittuntersuchung privater Haushalte in Deutschland, die seit 1984 im jährlichen Rhythmus durchgeführt wird (SOEPWest). 1990 wurde sie auf das ehemalige Gebiet der DDR ausgeweitet (SOEP-Ost).

Vielleicht ist es doch einfacher und sinnvoller, getrennte Bilder von zwei deutschen Altern zu entwerfen? Es werden keine langweiligen Bilder sein, wenn die Beziehungen der Menschen zum Leben realistisch dargestellt werden. Beide Kompositionen werden nach dem Stand der Dinge in der Gegenwart und in absehbarer Zukunft nicht ausschließlich von den Gesetzen der Harmonie bestimmt sein, einer Harmonie, die es nur in der Realität der Kunst gibt. Auf alle Fälle ist aber Phantasie gefragt, die auf der Grundlage langer Erfahrungen und eines umfangreichen Wissens über die Gestaltung von Lebenswelten für und mit Alten, Visionen und Modelle hervorbringt und verwirklicht, die gesamtdeutsch als Bild der „neuen Alten“ ohne alte ungerechtfertigte soziale Unterschiede dargestellt werden können.

II. Besonderheiten der ostdeutschen Bevölkerungsentwicklung

Tabelle 2: Kinderwunsch von 18-bis 45jährigen Frauen 1987-1992 (in Prozent) Quellen: Frauenreport ‘ 90; sfz; Leben ‘ 935.

Seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland vor drei Jahren hat sich die Tendenz des Alterns der Bevölkerung (wachsender Anteil älterer Menschen bei gleichzeitigem Rückgang jüngerer Altersgruppen in der Gesamtbevölkerung) in den neuen Bundesländern beschleunigt. Dafür gibt es zwei Hauptursachen: den dramatischen Geburtenrückgang sowie die nach wie vor hohen Abwanderungszahlen jüngerer Einwohner (vgl. Tabelle 1). 1992 wurden in Ostdeutschland nur noch 87000 Kinder geboren, gegenüber 199000 im Jahr 1989 (1988: 215700). Der Rückgang um mehr als die Hälfte in nur drei Jahren ist vor allem auf die Veränderung vormaliger Alltagsstrukturen zurückzuführen (soziale Unsicherheit, veränderte Zukunftsaussichten, Lebensperspektiven, Wertorientierungen, Interessen), die den Kinder-wunsch, insbesondere bei jungen Frauen, negativ beeinflussen (vgl. Tabelle 2). Zu einem geringeren Teil ist die niedrige Zahl der Geburten einer sich ändernden Altersstruktur zuzuschreibien (Abnahme der 18-bis 25jährigen Frauen von 1989 bis 1992 um rund 127000).

Tabelle 8: Verteilung von modernen und schlecht ausgestatteten Wohnungen nach ausgewählten Altersgruppen (in Prozent) Quelle: SOEP-West (1989), SOEP-Ost (1990), haushaltsbezogene Auswertungen.

Ob der erkennbare deutliche Trend in Richtung Ein-Kind-Familie zu einem dauerhaften Phänomen wird, dürfte von der Entwicklung jener materiellen, sozialen und kulturellen Beziehungen abhängen, die in ihrer Gesamtheit das demographische Verhalten beeinflussen. Nach Stand der Dinge ist -zumindest auf absehbare Zeit -nicht damit zu rechnen.

Die Wanderungen zwischen den alten und neuen Bundesländern sind dadurch gekennzeichnet, daß nach wie vor jüngere Altersgruppen gen Westen ziehen, wobei sich die Zahl der Fortziehenden bis September des vergangenen Jahres auf einem* Niveau von rund 17000 pro Monat einpendelte und eine wachsende, aber insgesamt geringfügige Zuwanderung aus dem früheren Bundesgebiet erfolgt.

(Tabelle 2)

III. Soziale Lage älterer Menschen

Tabelle 3: Entwicklung der Durchschnittsrenten (1990-1993) in der gesetzlichen Rentenversicherung in den neuen Bundesländern und Berlin-Ost

Für ältere Menschen in den neuen Ländern stellen die mit der Einheit Deutschlands einhergehenden sozialen Umstellungen einen erneuten, nach dem Faschismus und dem sogenannten Realsozialismus dritten, für die, welche noch das Kaiserreich erlebt haben, nunmehr vierten Bruch in ihrer Lebensperspektive dar. Die neuen sozialen, politischen und institutionellen Gegebenheiten führen zu anderen Lebensbedingungen und -lagen, beeinflussen soziale Beziehungen und Verhaltensweisen. Die neue deutsche Wirklichkeit hat zugleich beträchtliche Folgen für die Selbstorientierung älterer Mitbürger im Osten Deutschlands und findet ihren Niederschlag in entsprechenden subjektiven Bewertungen und Erwartungshaltungen. 1. Einkommen Die durchschnittlichen Versichertenrenten sind in den neuen Ländern vom 30. Juni 1990 bis zum 1. Juli 1993 um rund 134 Prozent gestiegen, um 157 Prozent bei den Männern und um 120 Prozent bei den Frauen (vgl. Tabelle 3).

Aufgrund wesentlich längerer Versichertenzeiten der ostdeutschen älteren Frauen lag die durchschnittliche Versichertenrente 1992 um rund zehn Prozent und nach der Rentenanpassung Anfang Juli 1993 um rund ein Viertel höher als in den alten Bundesländern. Allerdings ist anzumerken, daß -die Rentenhöhen der Frauen, die im Westteil Deutschlands eine eigene Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, auf eine nachhaltig schlechtere Stellung der Frauen hinweisen und -dort von niedrigen Renten nicht auf geringfügige individuelle oder Haushaltseinkommen geschlossen werden kann, da die Einkommens-situation älterer Frauen stärker als die der Männer vom Familienstand geprägt ist

Durch die Übertragung des altbundesdeutschen Hinterbliebenenrechts hat sich der Kreis der Anspruchsberechtigten im Beitrittsgebiet per 1. Januar 1992 von rund 155000 im Dezember 1991 auf etwa 938000 bedeutend erweitert und die Rente beträchtlich erhöht. So stieg diese für rund 753000 Witwen, deren eigene Versichertenrente einen Auffüllbetrag enthält, per 1. Januar 1992 von durchschnittlich 833 DM um 37 Prozent auf 1144 DM Da die meisten ostdeutschen Witwen eigene Rentenansprüche durch langjährige Erwerbstätigkeit erworben haben, ist die Einkommenssituation von verwitweten Männern und Frauen -anders als in Westdeutschland -nahezu gleich Anders sieht die Situation bei den rund 15 Prozent alleinlebenden über 60jährigen Frauen aus, die ledig oder geschieden sind; vor allem für diese treffen die in Tabelle 3 dargestellten beträchtlichen Differenzen zwischen Frauen-und Männerrenten zu. Insgesamt bleibt jedoch festzustellen, daß die mit dem „Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten-und Unfallversicherung“ (Rentenüberleitungsgesetz) eingeleitete Fortentwicklung der Renten für die überwiegende Mehrheit der älteren Menschen positive Auswirkungen hat; dies findet seinen Niederschlag in der -im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen -höheren und weiter ansteigenden Zufriedenheit ostdeutscher A Prozent alleinlebenden über 60jährigen Frauen aus, die ledig oder geschieden sind; vor allem für diese treffen die in Tabelle 3 dargestellten beträchtlichen Differenzen zwischen Frauen-und Männerrenten zu. Insgesamt bleibt jedoch festzustellen, daß die mit dem „Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten-und Unfallversicherung“ (Rentenüberleitungsgesetz) eingeleitete Fortentwicklung der Renten für die überwiegende Mehrheit der älteren Menschen positive Auswirkungen hat; dies findet seinen Niederschlag in der -im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen -höheren und weiter ansteigenden Zufriedenheit ostdeutscher Altersrentnerinnen und -rentner mit ihren Lebensbedingungen. Nach Einschätzung von 1001 im Mai/Juni 1992 befragten ostdeutschen älteren Menschen („Senioren ‘ 92 nbl“) haben sich die finanziellen Möglichkeiten seit der Wende für 46 Prozent verbessert, für 30 Prozent sind sie gleich-geblieben und für 23 Prozent haben sie sich verschlechtert 11. Die seither eingetretenen Rentenanpassungen führten dazu, daß die Ein-Personen-Rentnerhaushalte im zweiten Halbjahr 1992 pro Monat durchschnittlich 344 DM und ein Zwei-Personen-Rentnerhaushalt durchschnittlich 461 DM mehr als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres zur Verfügung hatten 12.

Hervorhebenswert ist ferner, daß die verfügbaren Einkommen in den vergangenen drei Jahren stärker als die Kosten der Lebenshaltung gewachsen sind 13. Zugleich muß jedoch auf folgende Besonderheit der Einkommenssituation der ostdeutschen älteren Mitbürger hingewiesen werden: 1. Die Alterssicherung beruht nahezu ausschließlich auf der gesetzlichen Rentenversicherung.

Betriebliche Altersversorgungssysteme und berufsständische Versorgungswerke spielten in der DDR nur eine unbedeutende bzw. überhaupt keine Rolle. 2. Die Möglichkeit einer Eigenvorsorge i. S. von privaten Rentenversicherungen, renditeträchtigen Kapitalanlagen und Erwerb von Eigentumswohnungen gab es in der DDR nicht.

Dies findet seinen Niederschlag in bedeutend niedrigeren Geldvermögensbeständen und Vermögens-einkommen der ostdeutschen Rentnerhaushalte. Alle deutschen Rentner-und Pensionärshaushalte zusammen bezogen 1992 fast 54 Milliarden DM an Zinsen und Dividenden (vgl. Tabelle 4); davon erhielten die Haushalte in den neuen Ländern nur einen Anteil von 2, 4 Milliarden 14.

Anders als im westlichen Landesteil der Bundesrepublik, wo die „Aufbau-Generation“ der heutigen Alten in mehrfacher Hinsicht privilegiert war (Vollbeschäftigung, Teilhabe am Wirtschaftswunder und an betrieblichen, berufsständischen und Zusatzversorgungssystemen, Eigenvorsorge durch vielfältige Möglichkeiten der Vermögensbildung), konnten die Ostdeutschen im Verlauf der 40 Jahre DDR nur bescheidene finanzielle Vermögen ansammeln, in der Hauptsache Spareinlagen. Deren Struktur -letztmalig 1989 erfaßt und erstmalig 1993 veröffentlicht 15 -zeigt, daß dort die Alters-rentner (Frauen ab 60 Jahre, Männer ab 65 Jahre) über knapp 23 Prozent der Konten und knapp 39 Prozent des Geldvermögens verfügten (vgl. Tabelle 5).

Zu beachten ist, daß die Zuordnung zu Arbeitern und Angestellten äußerst diffus erfolgte; Offiziere, Funktionäre sowie Minister, Künstler und andere DDR-Prominente mit überdurchschnittlichem Einkommen wurden zu den Arbeitern und Angestellten gerechnet (vgl. Tabelle 6).

Aus den durchschnittlich 11400M Spareinlagen pro Konto wurden nach der Währungsreform 8700 DM. Es wird deutlich, daß ältere Menschen, auch wenn sich ihre materielle Lage im Vergleich zu DDR-Zeiten erheblich verbessert hat kaum in der Lage sein werden, die sogenannten Not-und Wechselfälle des Lebens längerfristig zu überbrücken. Bei eintretender Pflegebedürftigkeit, die eine Heimaufnahme oder eine andere Form stationärer Pflege erforderlich machte, wären fast alle Betroffenen binnen kürzester Zeit auf Sozialhilfe angewiesen. Diese müßte von den Kommunen aufgebracht werden, welche gegenwärtig und auf absehbare Zeit selbst in schwierigen Finanzlagen stecken. Daher hat es wenig Sinn, angesichts der verfügbaren Einkommen und Geldvermögen der Rentnerhaushalte im Osten Deutschlands die Diskussion darüber, ob und inwieweit es möglicht ist, das akkumulierte Vermögen der Alten bzw.der mittleren Generation künftig zur sozialen Sicherung heranzuziehen, auf die neuen Länder auszudehnen. Hinzu kommt, daß es sich hierbei aus ökonomischen und sozialpolitischen Gründen -auch für die Lösung der anstehenden Probleme in den alten Bundesländern -um einen mehr als zweifelhaften Ausweg handelt und daß sinnvollere Szenarien denkbar sind Außerdem partizipieren auch in Westdeutschland bei weitem nicht alle Älteren am Wohlstand

Obwohl im Osten die Rentenanpassungen auf höherem Niveau als im Westen erfolgen, wird sich die Einkommens-und Vermögensstruktur auf lange Zeit deutlich unterscheiden. Die hohe Zahl der Arbeitslosen (1, 16 Millionen), Kurzarbeiter(143400), Teilnehmer an Umschulung und Weiterbildung (295000), Beschäftigten in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (203000), Empfänger von Vorruhestands-bzw. Altersübergangsgeld (826000) -jeweils Stand September 1993 -lassen auf mittlere Sicht nicht erwarten, daß künftige Rentenbezieher ihre Alterseinkommen durch Betriebsrenten oder eigene Vermögenseinkommen wesentlich ergänzen können. Davon besonders betroffen sind die Frauen; sie stellen über 60 Prozent der Arbeitslosen. Von den 45-bis unter 55jährigen Frauen waren Anfang 1992 rund 22 Prozent und von den 55-bis 60jährigen rund 34 Prozent arbeitslos Diese Sachverhalte haben gravierende Folgen für die Alterssicherung, da Altersübergang, Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe sich in der Rentenberechnung als beitragsgeminderte Zeiten niederschlagen. Damit ist die Altersarmut für viele Frauen vorprogrammiert 2. Wohnen Zum Erbe der DDR gehört ein Wohnbestand, dessen Qualität vom Volksmund in Abwandlung des Textes der Nationalhymne bereits Jahre vor dem Herbst 1989 folgendermaßen persifliert wurde: „Einverstanden mit Ruinen und der Zukunft zugewandt.“ 1989 hatten 18 Prozent der Wohnungen kein Bad bzw. keine Dusche, 24 Prozent keine Innentoilette, 53 Prozent keine moderne Heizung und 84 Prozent kein Telefon, bei beträchtlichen territorialen Unterschieden. Während in Ost-Berlin 95 Prozent der Wohnungen über ein Innen-WC und 63 Prozent über eine moderne Heizung verfügten, waren es in Sachsen 62 Prozent bzw. 38 Prozent. Für das Wohnumfeld, vor allem in den Neubausiedlungen der Großstädte, waren und sind städtebauliche Uniformität und Mängel in der Infra-und Versorgungsstruktur typisch Der Vergleich mit dem bundesdeutschen Standard läßt erkennen, daß die älteren Menschen in den neuen Bundesländern und im Ostteil Berlins sich deutlich mit schlechteren Wohnverhältnissen zufrieden-geben müssen, die Konsequenzen hinsichtlich Art und Umfang gegebenenfalls erforderlicher Hilfe-und Betreuungsleistungen haben (vgl. Tabelle 7).

Für Gesamtdeutschland gilt, daß die Ausstattung der Wohnungen um so schlechter ist, je älter die Bewohner sind, allerdings weniger dramatisch in den alten Bundesländern (vgl. Tabelle 8).

Dennoch sind, wie die o. g. empirische Befragung („Senioren’ 92 nbl“) belegt, rund 73 Prozent der älteren Menschen in den neuen Bundesländern mit ihren Wohnbedingungen zufrieden und ist der Anteil jener, die an ihrer Wohnung etwas auszusetzen haben (Größe und Lage der Wohnung, zu kalt, bauliche Mängel, Renovierungsbedürftigkeit) in den letzten fünf Jahren konstant geblieben. Die einzige, aber für die Älteren in hohem Maße bedeutsame Ausnahme bei der Beurteilung ihrer Wohnqualität stellt das Merkmal „zu teuer“ dar. Als Folge der Mieterhöhungen und der Umlage der (stark gestiegenen) Betriebskosten im Herbst 1991 wuchs der Anteil derjenigen, denen ihre Wohnung zu teuer ist, von 4 Prozent (1987/88) auf 19 Prozent (1992). So zahlten 93 Prozent derBefragten bis September 1991 eine Miete (inklusive Betriebskosten) von unter 100 DM; für 7 Prozent betrug die monatliche Miete 100 DM und mehr. Ab Oktober zahlten knapp 6 Prozent eine Miete von unter 100 DM und ein Drittel von über 300 DM. Insgesamt hat sich für die Befragten die durchschnittliche Monatsmiete vervierfacht; sie stieg von durchschnittlich 59 DM auf 252 DM. Mit der Mieterhöhung zum 1. Januar 1993 ist von einem weiteren Anstieg zwischen 80 und 120 DM auszugehen.

Die dennoch hohe Wohnzufriedenheit kann -wie Zufriedenheitsbewertungen überhaupt -nur mit der „subjektiven Perspektive“ erklärt werden. Anders als die (in der Regel jüngeren) Wissenschaftler, Politiker und Journalisten, die von eigenen Maßstäben, Interessen, Klischees und Stereotypen ausgehen und „Alter“ vielfach vor allem unter den Aspekten Bedarf, Mangel und Armut diskutieren, beurteilen Ältere ihre soziale Lage vor dem Hintergrund ihrer geschichtlichen und generationsspezifisch gebrpchenen sozialen und individuellen Erfahrungen sowie spezifischen Lebensweisen und Ansprüchen. 3. Erwerbstätigkeit Gegenwärtig sind etwa noch 20000 bis 30000 Ostdeutsche im Rentenalter erwerbstätig; genauere Aussagen zur Struktur der Erwerbstätigkeit (Wirtschaftsbereich, Erwerbsquoten nach Altersgruppen und Geschlecht u. a.) liegen z. Z. nicht vor. In der Untersuchung „Senioren ’ 92 nbl“ gaben von den 1001 Befragten lediglich sechs (0, 6 Prozent) an, noch ganztägig zu arbeiten, 24 (2, 4 Prozent) waren noch stundenweise erwerbstätig. Von denen, die nicht mehr berufstätig waren, würden aber 12, 4 Prozent gern wieder arbeiten.

Das Interesse der Älteren an einer erneuten Erwerbstätigkeit korrespondiert mit der Schulbildung, der beruflichen Qualifikation und dem früheren funktionalen Arbeitsinhalt (Tätigkeit und beruflicher Status). Finanzielle Gründe für eine Weiterarbeit sind unter den gegebenen sozialen Bedingungen vielleicht doch nicht so bedeutsam, eher schon der Familienstand. Für die Geschiedenen (rund 8 Prozent aller Befragten) könnten neben den sozialen Beziehungen und kommunikativen Kontakten durchaus auch wirtschaftliche Gründe als Motiv eine Rolle spielen. Erwerbstätigkeit im Alter ist ferner abhängig vom kalendarischen Alter und vom Gesundheitszustand; letzterer wird gemäß dieser Befragung von den Höherqualifizierten besser eingeschätzt als von jenen mit niedrigerem Bildungs-und Qualifikationsniveau.

Daß Erwerbstätigkeit im Rentenalter, sofern Interesse daran besteht, künftig realisiert werden kann, wird gegenwärtig kaum von jemandem angenommen. Dagegen sprechen die steigende Zahl von Arbeitslosen und der hohe Anteil von Männern und Frauen, die Vorruhestandsregelungen in Anspruch nehmen (müssen). Der im Osten neue Trend zum „frühen Ruhestand“ zeigt, daß es gesellschaftliche, systemimmanente Gesetzmäßigkeiten gibt, die nicht ohne weiteres durch staatliche Wirtschafts-und Sozialpolitik bzw. individuelles oder kollektives Handeln gestaltet werden können. Das hängt damit zusammen, daß die Konstituierung des Alters ein Resultat der industriellen gesellschaftlichen Organisation der Arbeit ist und soziale Probleme älterer Erwerbstätiger struktureller Bestandteil der Produktionsverhältnisse sind Demzufolge ist der drastische Rückgang der Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern, der quantitativ den der alten Länder bereits weit übertrifft, ebenso wie die Abnahme älterer Erwerbstätiger seit Beginn der siebziger Jahre in den modernen Industrieländern nicht mit dem Druck der Arbeitslosigkeit, Rationalisierungszwängen oder mit neuartigen Qualifikationsanforderungen allein zu begründen. Da es keine Eigengesetzlichkeit der Technik gibt, die vermittelt über Rationalisierungs-und Effizienz-erfordernisse ein Überangebot von Arbeit schafft, bleibt nach den Ursachen, d. h., nach der gesellschaftlichen Zwecksetzung der Arbeit und den daraus erwachsenden Interessen, die letztlich Verwertungsinteressen der Kapitaleigentümer sind, zu fragen. Offensichtlich bestimmen diese Interessen die gesellschaftliche Realität stärker als alle noch so guten und vernünftigen psychologischen, soziologischen und ökonomischen Gründe, die dafür sprechen, die Arbeit gleichmäßiger auf alle Altersgruppen zu verteilen

Was die Erwerbstätigkeit im Alter anbelangt, ist vielleicht ein generelles Umdenken vonnöten. Es erscheint widersinnig, in einer Zeit, wo weltweit in der Sprache der Ökonomen „einem enorm steigenden Angebot an Menschen eine deutlich sinkende Nachfrage gegenübersteht“ und niemand eine Antwort darauf hat, wie die Zukunft der Arbeit gestaltet werden kann, das Recht auf Arbeit für Ältere zu fordern. Genausowenig hat es Sinn, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit festzuschreiben, obwohl die Jungen auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen haben. 4. Gesundheitliche und soziale Betreuung Mit der Vereinigung Deutschlands ist in den neuen Ländern auch das Gesundheitsheits-und das soziale Versorgungssystem umorganisiert worden, „wobei weniger Maßstäbe der , Modernisierung 4 als des im Westen herrschenden Besitzstanddenkens angelegt wurden“

Angesichts der Tatsache, daß es zum Zeitpunkt des Beitritts keine Konzeptionen, Modellvorstellungen und Lösungsvarianten gab, wie die Zusammenführung der beiden unterschiedlichen Gesellschaftssysteme zu gestalten sei, und angesichts der kurzen Zeit, innerhalb der die Umorganisation erfolgte, verlief der Transformationsprozeß innerhalb der Kommunen mit erstaunlicher Effizienz. Das schließt nicht aus, daß es noch geraume Zeit dauern wird, bis allerorten die volle institutionelle Funktionsfähigkeit erreicht sein wird; vielfältige ungelöste Probleme und Aufgaben werden künftig noch zum Alltag der ostdeutschen Alten (und Behinderten) gehören Die für die DDR typischen Versorgungsdefizite bei bestimmten Medikamenten und Verbrauchsmaterialien gehören jedoch der Vergangenheit an, und die ambulante Grundbetreuung hat sich offensichtlich durch die Umstrukturierung des Betreuungssystems nicht verschlechtert. Wie vor fünf Jahren hatten 1992 85 Prozent der befragten älteren Menschen eine bestimmte Ärztin bzw. einen Arzt, die sie seit mehr als zwei Jahren betreuten. 74 Prozent gehen regelmäßig zu diesen Medizinern. Allerdings sind die für ältere Menschen besonders bedeutsamen Hausbesuche nach der Wende um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Eine vor allem quantitative Angebotsverbesserung in der häuslichen Pflege bringen die rund 1000 Sozialstationen, die in den vergangenen zwei Jahren durch die Verbände der freien Wohlfahrtspflege in den neuen Ländern eingerichtet worden sind und die die 5 585 staatlichen und 124 konfessionellen Gemeindeschwestemstationen abgelöst haben, in denen rund 7 000 Mitarbeiterinnen beschäftigt waren, sowie die etwa 120 bis 150 ehemaligen Betreuungs-und Beratungsstellen für ältere Menschen.

Der Wechsel hat neben einer Optimierung der häuslichen Krankenpflege gleichzeitig zu einem Rückgang der zeitaufwendigen psychologischen Betreuung geführt, die vor der Wende nicht extra berechnet wurde, da diese zum Konzept der ganzheitlichen Betreuung gehörte. So gibt es nach einer Analyse aus Dresden gegenwärtig für ca. 40 Prozent der Leistungen im Rahmen der psychosozialen Betreuung und der begleitenden Dienste (Prävention, Rehabilitation), die von Sozialstationen erbracht werden, keine gesicherte Finanzierung mittels geregelter Kostensätze Seit über einem Jahr kämpfen dort die Pflegekräfte um die finanzielle Anerkennung jener Stunden, in denen sie Sterbenden die Hand halten, mit Einsamen reden oder einfach für jemand da sind -bisher ohne Erfolg.

Auch andere Leistungen wie die Bereitstellung einer Haushaltshilfe oder von Mittagessen gibt es nicht mehr in gewohntem Umfang -teils aus Kostengründen (für das Mittagessen mußten die älteren Menschen über Nacht statt 0, 30-0, 50 Mark 5, 50 DM bezahlen), teils weil die Haushaltshilfe als eigenständige Dauerleistung nicht oder nur in begrenztem Umfang von den Leistungsträgem finanziert wird. Dadurch und durch das Auslaufen vieler Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) -rund 50 Prozent der Stellen in den ostdeutschen Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege waren 1991/1992 mit ABM-Kräften besetzt -kommt es zum Aufreißen „ambulanter Löcher“ Vor diesem Hintergrund stimmt es hoffnungsvoll, daß aus den neuen Ländern Denkanstöße und Innovationen in Richtung eines höheren Niveaus der Integration und Betreuung ausgehen. Nachdem nach der Wende der Verlust von Altenklubs, psychosozialen Beratungs-und Betreuungsstellen, Kostenfreiheit bei Inanspruchnahme sozialer und gesundheitlicher Dienste, Sachleistungen u. a., vor allem aber die phantasielose Übertragung westlicher Versorgungsstrukturen beklagt wurden gibt es zunehmend Diskussionen, Konzeptionen und Modellprojekte gegen „altbewährte“ Lösungen. Das von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sozialstationen, der Wohlfahrtsverbände und des Dezernats für Gesundheit und Soziales der Stadt Dresden vorgestellte Modellprojekt „Sockelfinanzierung“, das Wege zur Finanzierung einer ganzheitlichen, an den Bedürfnissen der betroffenen Bürger orientierten flächendekkenden sozialen Betreuung und Pflegeversorgung aufzeigt, gehört ebenso dazu, wie das von Bonn geförderte Modell Gemeindepsychiatrie in Leipzig, das Brandenburger Modell zur Umstrukturierung der Polikliniken oder das Modellprojekt „Seniorenhof Plagwitz“. Die Selbsthilfe Plagwitz e. V. fördert z. B. die Begegnung und Selbsthilfe unter dem Motto „Altersvorsorge durch tätige Mithilfe“, die Vernetzung von professionellen und ehrenamtlichen Diensten bei der wohnortnahen Rehabilitation und Pflege sowie Leistungen für und mit den Menschen nach genossenschaftlichem Vorbild, einschließlich der Möglichkeit, Nebenverdienste zu erlangen.

Letztlich sind diese Projekte gegen die mit der Übertragung altbundesdeutscher Regelungen (und dort wohl bekannten) importierten Mängel (Lücken und Unzweckmäßigkeiten, Koordinierungs-und Vernetzungsdefizite, Dominanz von Verbandsinteressen u. a. m.) gerichtet. Es besteht durchaus die Chance, daß aus der Improvisation -die angesichts des Entwicklungsstandes der DDR auf diesem Gebiet und des Tempos der Übertragung „eingefahrener“ Lösungen und Interessenlagen nicht zu vermeiden war -mit Phantasie und gutem Willem der beteiligten Akteure eine Integration werden kann, die künftig zu einer Expansion -der sozialen Sicherheit und Lebensqualität führt. Die angeführten Beispiele zeigen, daß dieses zumindest auf regionaler Ebene machbar ist.

IV. Resümee

Tabelle 4: Vermögenseinkommen der Haushalts-gruppen 1 1992 Quelle: Berechnungen des DIW unter Verwendung amtl. Statistiken.

Die Darstellung ausgewählter Lebenslagen älterer Menschen in den neuen Bundesländern verdeutlicht, daß das weitgehend nivellierte Lebensniveau -gemessen am Durchschnitt altbundesdeutscher sozialer Lagen -erkennbar niedriger ist als in den alten Ländern und auf absehbare Zeit auch bleiben wird. Die Lebensbedingungen sind das Resultat der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der DDR. Arbeitslosigkeit und Vorruhestand werden künftig neue und stärker differenzierte soziale Ungleichheiten zur Folge haben; die soziale Frage stellt sich infolge von Arbeitslosigkeit, Verarmung und Marginalisierung bestimmter sozialer Gruppen anders als in den alten Bundesländern. Dies alles hat beträchtliche Folgen für die Selbstorientierung der älteren Mitbürger im Osten Deutschlands und findet seinen Niederschlag in anderen Alltagsproblemen, Bedürfnissen, Politikinteressen, Erwartungen, Ängsten und Sorgen sowie im Zufriedenheitsniveau. Daher muß davon ausgegangen werden, daß es -bei partieller Angleichung der Lebensverhältnisse -zu einer Verfestigung bestehender Ungleichheiten zwischen den Alten in Ost und West kommen wird. Hieraus ergeben sich spezielle Aufgaben für die Altenpolitik und -arbeit in den neuen Bundesländern, wobei die Einbeziehung der Betroffenen denkbar ist und vorteilhaft wäre.

Eine Besonderheit in den neuen Ländern besteht gerade darin, daß die Mehrheit der in den vergangenen drei Jahren entstandenen Vereine, Interessengruppen und Projekte die die Interessen der älteren Menschen vertreten und Angebote offerieren, sich ausdrücklich auch an die (noch nicht im Rentenalter stehenden) Vorruheständler wenden. Dies bietet die Chance, Möglichkeiten und Potentiale zur aktiven Bürgerbeteiligung zu erschließen. Der Vorruhestand ist für diese „jungen Alten“ nicht Endpunkt einer vorhersehbaren, freiwillig eigenständigen Entscheidung, sondern Ergebnis äußerer, selbst nicht zu beeinflussender politischer oder betriebswirtschaftlicher Zwänge. Dieser Status wird von vielen Betroffenen als so unbefriedigend angesehen, daß er überwunden werden muß. Zudem bringen die Menschen gute Voraussetzungen mit: Männer wie Frauen waren erwerbstätig, verfügen über ein relativ hohes Bildungs-und Qualifikationsniveau und wollen ihre materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnisse und Interessen, die sich nicht einseitig auf Fürsorgeleistungen beschränken lassen, auch in dieser Lebensphase befriedigen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur Diskussion des Begriffs „neue Alte“ vgl. Margret Dieck/Gerhard Naegele, „Neue Alte“ und alte soziale Ungleichheiten -vernachlässigte Dimensionen in der Diskussion des Altersstrukturwandels, in: Gerhard Naegele/Hans Peter Tews (Hrsg.), Lebenslagen im Strukturwandel des Alters, Opladen 1993, S. 43ff.; s. a. die Beiträge von Malte Ristau/Petra Mackroth sowie von Bert Rürup/Werner Sesselmeier in diesem Heft.

  2. Vgl. Frank D. Karl (Hrsg.), Die Älteren: Zur Lebens-situation der 55-bis 70jährigen; eine Studie der Institute Infratest Sozialforschung, Sinus und Horst Becker, Bonn 1991, S. 41.

  3. Ebd., S. 45ff.

  4. Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in den neuen Bundesländern, (1993) Sonderausgabe April, Tabellenanhang, S. 7f.

  5. Vgl. Gunnar Winkler (Hrsg.) Frauenreport ’ 90, Berlin 1990, S. 30.; ders., Sozialreport 1992. Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern, Berlin 1993, S. 51; Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum (SfZ) Berlin-Brandenburg e. V. (Hrsg.), Sozialreport, (1993) 1, S. 8.

  6. Zusammengestellt nach: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Ab l. Juli: Mehr Rente, Bonn 1993, S. 5.

  7. Vgl. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, VDR Statistik Rentenbestand am 1. Januar 1992, Band 100, Frankfurt am Main 1992, Beilage Zusammengefaßte Ergebnisse und S. 296.

  8. Vgl. Klaus Kortmann, Kleinrenten, Niedrigeinkommen und Sozialhilfebedarf im Alter, in: Deutsche Rentenversicherung, (1992) 5-6, S. 337-362.

  9. Vgl. Verband Deutscher Rentenversicherer, VDR aktueUvom 13. 3. 1992, S. 4.

  10. Vgl. Verband Deutscher Rentenversicherer (Anm. 7), S. 301f.

  11. Vgl. Elvir Ebert/Eckhard Priller, Einkommen und Konsum, in: G. Winkler, Sozialreport (Anm. 5), S. 123.

  12. Vgl. auch Joachim Frick/Richard Hauser/Klaus Müller/Gerd Wagner, Einkommensverteilung und Einkommenszufriedenheit in ostdeutschen Privathaushalten, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht, (1993) 6, S. 57f.

  13. Vgl. Richard Hauser/Gerhard Wagner, Altem und soziale Sicherung, in: Paul B. Baltes/Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Zukunft des Alterns und gesellschaftliche Entwicklung, Berlin-New York 1992.

  14. Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Landessozialbericht Armut im Alter, Düsseldorf 1992, S. 9 ff.

  15. Vgl. Evelyn Grünheid, Strukturen der Erwerbslosigkeit in den neuen Ländern und Berlin-Ost Anfang 1992, in: Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in den neuen Bundesländern, Sonderausgabe April 1993, S. 19f.

  16. Vgl. Hanna Haupt, Vorprogrammierte Altersarmut von Frauen -jetzt auch im Osten?, in: Sozialreport. Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern, (1993) 1, S. 2f.

  17. Vgl. Wilhelm Hinrichs/Waldemar Eisenberg, Wohnen in den neuen Bundesländern, in: G. Winkler, Sozialreport (Anm. 5), S. 167f.

  18. Vgl. Josef Ehmer, Sozialgeschichte des Alters, Frankfurt am Main 1990, S. 64-69.

  19. Vgl. Martin Kohli, Altem in soziologischer Perspektive, in: B. Baltes/J. Mittelstraß (Anm. 17), S. 245.

  20. Hans Magnus Enzensberger, Die große Wanderung. 33 Markierungen, Frankfurt am Main 19923, S. 30.

  21. Irma Hanke, Die „Dritte Republik“: Wandel durch Integration?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 41/92, S. 19.

  22. Vgl. Klaus-Peter Schwitzer, Ältere Menschen in den neuen Bundesländern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29-30/92, S. 51.

  23. Vgl. Roswitha Jensch, Analysen der Arbeitsgruppe Sozialstationen der Stadt Dresden. „Auswertung des Experten-Ratings zur Finanzierung der Sozialstationen“, Dresden 1991 (unv. Ms.).

  24. Vgl. Roland Schmidt, Sozialstationen und ambulante Dienste in Brandenburg: Problemlagen und Perspektiven, Kurzinformation des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA), Berlin 1993, S. 11.

  25. Vgl. exemplarisch: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Arbeits-und Sozialforschung (Hrsg.), Zukunft sozialer Einrichtungen und sozialer Dienste in den neuen Bundesländern, Referate der Fachkonferenz am 21. und 22. November 1991 in Magdeburg, Bonn 1992.

  26. Vgl. K. -P. Schwitzer/G. Winkler (Anm. 11), Anhang Organisationen, Verbände, Vereine, Modellprojekte.

Weitere Inhalte

Klaus-Peter Schwitzer, Dr. sc. phil., geb. 1946; bis zur Abwicklung des Instituts für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften der DDR Forschungsgruppenleiter; seit Januar 1992 Beschäftigung im Rahmen des Wissenschaftler-Integrations-Programms (WIP) in den neuen Ländern. Veröffentlichungen u. a.: (Mitautor) Lexikon der Sozialpolitik, Berlin 1987; Sozialreport ’ 90, Berlin-Bonn 1990; Aiding and Aging, New York-Westport-London 1990; (Mithrsg, und Mitautor) Altenreport 1992. Zur sozialen Lage und Lebensweise älterer Menschen in den neuen Bundesländern, Berlin 1993.