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Gleichberechtigung durch die Verfassung? | APuZ 52-53/1993 | bpb.de

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APuZ 52-53/1993 Die Gemeinsame Verfassungskommission Auftrag, Verfahren und Ergebnisse Verfassungsreform und Verfassungsdiskurs Die Gemeinsame Verfassungskommission Eine neue Institution für die Grundgesetzreform Gleichberechtigung durch die Verfassung? Formen unmittelbarer Demokratie im Grundgesetz Soziale Staatsziele als Leitlinien der Politik Staatszielbestimmung Umweltschutz Zur sicherheitspolitischen Orientierung der Verfassung Grundgesetz und Europäische Union. Fortentwicklung der Verfassung im Zuge des europäischen Einigungsprozesses Die Gesetzgebung im Bundesstaat Parlamentsverfassungsrecht -Anstöße für eine Reform Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes

Gleichberechtigung durch die Verfassung?

Dirk Zapfe

/ 12 Minuten zu lesen

möglich war. An der Frage der Kompromißfindung entschieden sich Glanz und Elend der Gemeinsamen Verfassungskommission. Auf diese Weise entwickelten sich die Berichterstatter-gespräche zu den Kernzellen der Verfassungsreform. Sodann stellte sich die Frage nach der Durchführung einer öffentlichen Anhörung, die je nach der politischen und verfassungsrechtlichen Bedeutung des Beratungsgegenstandes entschieden wurde. Die Ergebnisse der Berichterstatter und der Anhörung wurden gegebenenfalls in einer zweiten Aussprache von der Kommission gewürdigt. Die abschließende Abstimmung wurde im -häufig wechselnden -Arbeits-und Terminplan der Kommission rechtzeitig ausgewiesen. Die Beschlußfassung der Gemeinsamen Verfassungskommission über ihren Bericht an Bundestag und Bundesrat auf ihrer letzten Sitzung am 28. Oktober 1993 erfolgte einstimmig, obwohl in der Sache auf manchen Seiten manche Wünsche offengeblieben waren. /Die Kommission hat etwa die Hälfte der Artikel des Grundgesetzes daraufhin überprüft, ob und in welchem Umfang Änderungen und Ergänzungen notwendig sind oder ob die zukünftige Entwicklung mit den gegenwärtigen Verfassungsinstrumenten gemeistert werden kann. Hierzu hat sie aufgrund ihrer Zusammensetzung, ihres Selbstverständnisses und ihres Stellenwertes einen umfangreichen und vielgestaltigen Verfassungsdiskurs geführt. An diesem haben sich Staatsorgane in Bund und Ländern, vor allem die Bundesregierung, die Wissenschaft, Verbände und gesellschaftliche Einrichtungen sowie überaus zahlreiche Bürgerinnen und Bürger mit Sachkenntnis und Engagement beteiligt. Die über 800000 (!) Eingaben von Institutionen, Organisationen und Personen mit verfassungspolitischen und verfassungsrechtlichen Anregungen, Wünschen und Forderungen an die Gemeinsame Verfassungskommission sind beredter Beleg dafür, daß die Kommission in Erfüllung ihres Auftrags in ständigem Kontakt zur Bevölkerung stand.

Die Einigung Deutschlands und die Verfassungen der neuen Bundesländer haben das Verfassungsinteresse einer breiteren Öffentlichkeit geweckt. Dieses Bürgerengagement in Verfassungsfragen hat durch die Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission und die Mitarbeiter des Sekretariats in Wort und Schrift eine sachliche Förderung erfahren. Deshalb blickt auch die deutsche Öffentlichkeit mit Interesse auf das kommende Gesetzgebungsverfahren, in dem die Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission in geltendes Verfassungsrecht umgesetzt werden.

Fragen der Gleichberechtigung von Frauen und Männern haben sich in den letzten Jahren zu dauerhaft diskutierten Themen entwickelt, wobei zunehmend eine Änderung des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 2 GG) ins Gespräch gekommen ist. Dabei scheint die Verfassung einer der wenigen Bereiche zu sein, in dem die Gleichberechtigung von Frauen und Männern bereits vorbildlich verwirklicht ist. Kann eine Verfassung überhaupt mehr leisten, als explizit zum Ausdruck zu bringen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“?

Dieser Satz -Art. 3 Abs. 2 GG -wurde von der Rechtsprechung lange Zeit nur im Sinne einer Gleichheit vor dem Gesetz interpretiert. Dabei gilt es aber festzuhalten, daß diese normative Gleichheit sicherlich noch nicht in allen Bereichen verwirklicht ist. Als Beispiel dazu mag die Neuregelllung des Namensrechts dienen. Erst im Juli 1976 hat der Gesetzgeber darauf reagiert, daß es mit Art. 3 Abs. 2 GG kaum zu vereinbaren ist, bei einer Eheschließung zwangsläufig den Namen des Mannes zum gemeinsamen Ehenamen zu bestimmen. Im Jahr 1991 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß " es gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstößt, daß der Name des Mannes von Gesetzes wegen Ehename wird, wenn die Ehegatten keinen ihrer Geburtsnamen zum Ehenamen bestimmen (BVerfGE 84, 9). Der Gesetzgeber hat erst jetzt durch ein Gesetz zur Neuregelung des Namens-rechts auf diese Situation reagiert.

Der Anspruch auf die Gleichheit vor dem Gesetz ist zwar wesentlich für die Gleichberechtigung der Geschlechter -die Garantie allein normativer Gleichheit kann jedoch eine faktische Gleichberechtigung nicht bewirken. Es ist offensichtlich, daß die Lebenswirklichkeit nicht von der vollen Gleichberechtigung von Frauen und Männern geprägt ist; vielmehr sind auch heute noch Benachteiligungen von Frauen festzustellen. Von den Schwierigkeiten, Berufs-und Familienaufgaben miteinander zu vereinbaren, sind in erster Linie Frauen betroffen. Daraus resultierend verfügen sie im Alter wegen der durch die Erziehungszeiten unterbrochenen Erwerbstätigkeit häufig nur über geminderte oder abgeleitete Renten. Eine deutliche Unterrepräsentanz von Frauen in verantwortungsvollen und einflußreichen Positionen zeigt sich sowohl im privatwirtschaftlichen als auch im öffentlichen Bereich. Dies wird auch bei der Besetzung von Gremien deutlich. Wie in dem Bericht der Bundesregierung über die Berufung von Frauen in Gremien, Ämter und Funktionen, auf deren Besetzung die Bundesregierung Einfluß hat (BTDrucksache 12/594), dargestellt wird, beträgt der durchschnittliche Frauenanteil in den untersuchten Gremien nur 7, 2 Prozent. In 53, 2 Prozent der überprüften Gremien wirkte zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Frau mit.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Altersruhegeldentscheidung (BVerfGE 74, 163) und in der Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot (BVerfGE 85, 191) auf die weitergehende Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 GG hingewiesen. Dabei führte das Gericht aus, der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 2 GG bestehe darin, daß er ein Gleichberechtigungsgebot aufstelle, das sich auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstrecke. Wegen dieses Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG dürften faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden. Die Fachgerichte (vgl. z. B. OVG Münster, Beschl. v. 15. 6. 1989 -6 B 1318/89 und Beschl. v. 23. 10. 1990 -12 B 2298/90) beurteilten die Möglichkeit begünstigender Regelungen zum Ausgleich faktischer Nachteile häufig kritischer und erachteten diese teilweise als unzulässig, da die begünstigende Regelung ihrerseits nicht mit Art. 3 Abs. 2 GG vereinbar sei. Jede einseitig begünstigende Regelung für Frauen beinhalte schließlich auch eine Benachteiligung der Männer.

Durch diese Urteile, die die nicht völlig eindeutige Rechtslage dokumentieren, fühlten sich gesellschaftlich aktive Gruppen dazu aufgefordert, Formulierungsvorschläge für eine Änderung des Art. 3 Abs. 2 GG zu erarbeiten. Neben anderen Verbänden haben die CDU-Frauenunion, die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen und der Deutsche Gewerkschaftsbund Vorschläge zur Reform des Art. 3 Abs. 2 GG erstellt und der Gemeinsamen Verfassungskommission unterbreitet. Diese hat sich ausgiebig des Themas der Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen und Männern angenommen. Die Beratungen begannen im Herbst 1992 und fanden hinsichtlich der Ergänzung von Art. 3 Abs. 2 GG bei der Abstimmung in der 23. Sitzung am 27. Mai 1993 ihren Abschluß.

Das Thema Gleichberechtigung von Frauen und Männern gehörte im Zusammenhang mit den Erörterungen zur Aufnahme von Staatszielen im Grundgesetz zu den originären -in Art. 5 des Einigungsvertrages erwähnten -Beratungsgegenständen der Gemeinsamen Verfassungskommission. Darüber hinaus ist die Befassung mit diesem Thema auch in Art. 31 Abs. 1 des Einigungsvertrages angelegt, da es danach Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers ist, die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen weiter zu entwickeln. Aspekte der Gleichberechtigung sind -vor allem von den Berichterstattern -im Zusammenhang mit Art. 6 GG, der Sprachregelung des Grundgesetzes und Art. 3 Abs. 2 und 3 GG beraten worden.

Zur Änderung des Art. 6 GG wurde von der SPD u. a. vorgeschlagen, in einem gesonderten Absatz folgende Formulierung aufzunehmen: „Wer in familiärer Gemeinschaft Kinder erzieht oder für Hilfebedürftige sorgt, ist durch den Staat zu fördern. Der Staat fördert ebenso die Möglichkeit für Frauen und Männer, die Erfüllung ihrer Familien-pflichten mit der Erwerbstätigkeit und der Teilnahme am öffentlichen Leben zu vereinbaren. “Zur Begründung wurde vorgetragen, mit diesem Vorschlag solle dem Staat das Ziel vorgegeben werden, Maßnahmen zu treffen, um das Spannungsverhältnis zwischen Familie einerseits und Beruf sowie öffentlichem Leben andererseits abzubauen. Zu dem Anspruch der Familie auf erhöhten Schutz und besondere Berücksichtigung gehöre auch, daß die Eltemteile die ökonomische Basis für die Familie sicherstellen können, ohne auf ihre eigene Lebensverwirklichung verzichten zu müssen. Nur auf diese Weise könnten Familien die von ihnen erwartete Erziehungsleistung wirkungsvoll erbringen. Darüber hinaus sei dies eine Grundvoraussetzung für den gleichwertigen Zugang von Frauen und Männern zum Beruf. Die Doppelrolle und die damit verbundene Doppelbelastung treffe in der Praxis regelmäßig die Frau, da erfahrungsgemäß die Verantwortlichkeit für familiäre Pflichten den Frauen obliege und sie dadurch gehindert seien, gleichberechtigt an Erwerbsarbeit und öffentlichem Leben teilzuhaben.

Das sachlich-politische Anliegen einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch von der Gegenseite, vor allem von den Mitgliedern der CDU/CSU, nicht in Frage gestellt worden. Es wurde allerdings kein Bedarf für eine entsprechende Verfassungsänderung gesehen. Bereits die geltende Verfassungslage und die sie konkretisierende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts würden für eine hinreichende Anerkennung der Pflege-und Erziehungsleistungen sorgen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits Art. 6 GG in der geltenden Fassung so interpretiert habe, daß der Staat -insbesondere der Gesetzgeber -dazu angehalten sei, Grundlagen zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbs-und Familienarbeit zu schaffen, müsse geprüft werden, ob die jetzige verfassungsrechtliche Regelung nicht bereits ausreiche.

Ein Antrag zur sofortigen umfassenden Änderung der Sprachregelung des Grundgesetzes wurde nicht gestellt. Vielmehr sollte -nach einem Antrag der SPD-Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission -die Bundesregierung gebeten werden, dem Bundestag einen Vorschlag zur Umformulierung des Grundgesetzes vorzulegen bzw. zu einer Umformulierung des Grundgesetzes Stellung zu nehmen, -bei der die Verwendung maskuliner Bezeichnungen für Frauen grundsätzlich vermieden wird, -soweit wie möglich geschlechtsneutrale Personen-

und Funktionsbezeichnungen verwendet -und im übrigen feminine und maskuline Bezeichnungen in voll ausgeschriebener Form benutzt werden.

Diese Anträge erhielten ebenso wie alle Änderungsanträge zu Art. 6 GG nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Eine Empfehlung spricht die Gemeinsame Verfassungskommission nur zu folgender Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG aus: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. “

Es bestand der Konsens, daß dem bestehenden Art. 3 Abs. 2 GG „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ zur stärkeren und besseren Durchsetzung in der Lebenswirklichkeit verhülfen werden soll. Allerdings wird durch die Formulierung als Staatsziel deutlich, daß kein Individualanspruch auf ein bestimmtes staatliches Handeln eingeräumt wird. Die zuständigen staatlichen Organe werden dazu angehalten, Maßnahmen zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung zu ergreifen. Die neue Verfassungsbestimmung soll auf Bundes-, Landes-und kommunaler Ebene eine sachgerechte Förderungspolitik zur Erreichung der faktischen Gleichberechtigung bewirken. Welche Handlungsmöglichkeiten jedoch die Normadressaten haben werden, läßt sich aus der Verfassungsergänzung kaum ableiten. Es bestand im Ergebnis nur die Übereinstimmung, daß diese Bestimmung eine Frauenförderung in Gestalt sogenannter starrer Quoten nicht gestattet. Dies ist auch sicherlich eine richtige und sachgerechte Erwägung. Eine Bestimmung, die festlegen würde!, daß in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Anteil von 50 Prozent vorhanden sein müßte, wäre wohl mit den Freiheitsrechten -etwa Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 33 Abs. 2 GG -kaum zu vereinbaren. Jede Gremienbesetzung, Einstellung, Beförderung etc. müßte dann nach dem Prinzip der Geschlechter-parität erfolgen; Leistung und Befähigung der Personen wären nachrangig.

Die Absage an eine sogenannte starre Quote verschließt jedoch nicht die Möglichkeit jeder anderen -evtl, auch quotenabhängigen -Frauenförderungsmaßnahme. Der Begriff der Quotenregelung -vor allem der der starren Quote -ist in den letzten Jahren häufig gebraucht und mißbraucht worden, was zur Folge hatte, daß dieser Terminus politisch besetzt, hinsichtlich seines Regelungsgehaltes aber verwässert worden ist. Teilweise wurde es auch als Quote erachtet, wenn Frauen, die die gleiche Eignung und Befähigung aufweisen wie vergleichbare Männer, bevorzugt behandeltwerden, wenn die Gruppe der Frauen im jeweiligen Bereich unterrepräsentiert ist. Gerade dies soll aber nach Ansicht der SPD-Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission durch die neue Grundgesetzformulierung sichergestellt werden.

Die CDU-Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission stimmten dem nicht zu und hoben ihrerseits hervor, daß die vorgeschlagene Formulierung nur die Chancengleichheit einräume, aber keine Ergebnisgleichheit vorgebe.

Es ist nicht zu erwarten, daß die Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG verhindert, daß die Fragen über die Zulässigkeit von Frauenförderungsmaßnahmen häufig erst von den Gerichten geklärt werden. Es wird künftig zu erörtern sein, welche Auslegung dem bisherigen Art. 3 Abs. 2 GG vor dem Hintergrund der Hinzufügung des neuen Staatsziels zukommt. Sicher scheint nur, daß die Funktion des Art. 3 Abs. 2 GG als Gleichberechtigungsgebot verstärkt werden wird und begünstigende Regelungen zum Ausgleich faktischer Nachteile zulässig sind. Eine dahinter zurückbleibende Interpretation müßte dem Verfassungsgeber unterstellen, das Grundgesetz um eine Norm ergänzt zu haben, die noch nicht einmal die bisherige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung festschreibt. Es ließe sich auch kaum damit vereinbaren, daß die folgende Modifikation der Empfehlung: „Der Staat fördert die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung ..." nahezu einhellig abgelehnt worden ist.

Diese Formulierungsvariante wurde als nicht interessengerecht verworfen, da dann zwei verschiedene Begriffsvarianten des Wortes „Gleichberechtigung“ in Art. 3 Abs. 2 GG vorhanden wären. Der Begriff der Gleichberechtigung, wie er bisher in Art. 3 Abs. 2 GG vorhanden sei, sei von der Rechtsprechung bereits von der ausschließlich normativen Gleichberechtigung in Richtung einer faktischen Gleichberechtigung ausgedehnt worden. Wenn nunmehr zwei verschiedene Gleichberechtigungsbegriffe in Art. 3 Abs. 2 GG verankert würden, bestünde die Gefahr, daß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG auf die rein normative Gleichberechtigung zurückgeführt würde, -sobald in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG der Begriff der tatsächlichen Gleichberechtigung aufgenommen werden würde.

Zur weiteren Auslegung der Intention der Gemeinsamen Verfassungskommission, gerade diese Formulierung zu wählen, dient möglicherweise die Kritik gegenüber anderen Anträgen zur Ergänzung von Art. 3 GG. Die SPD-Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission haben beantragt, Art. 3 Abs. 2 GG wie folgt zu fassen: „Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat gewährleistet die Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen. “ Darüber hinaus sollte an Art. 3 Abs. 3 GG folgender neuer Satz 2 angefügt werden: „Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig. “

Als unakzeptabel wurde zum einen erachtet, den Begriff „Gleichstellung“ im Grundgesetz zu verankern. Dieser Begriff impliziere eine Ergebnis-gleichheit, die im Bereich von Einstellungen z. B. nur über die sogenannte starre Quote erreicht werden könne. Gewollt werde aber nur eine Chancen-gleichheit -die Gleichheit der Ausgangschancen. Außerdem werde die Formulierung der rechtlichen Kategorie eines Staatsziels nicht gerecht, sondern vermittele den Eindruck eines einklagbaren Rechtes. Eine Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG dürfe nicht auf alle gesellschaftlichen Bereiche rekurrieren. Der Staat könne die Gleichstellung nicht verbindlich für alle Lebensbereiche „gewährleisten“, da er dann in die Freiheitsrechte anderer Bürger eingreifen würde. Er dürfe nicht die Befugnis erhalten oder gar dazu verpflichtet werden, in alle Bereiche einzuwirken. Eine solche Form des staatlichen Dirigismus könne nicht gewollt sein.

In dem Vorschlag der CDU-Frauenunion war vorgesehen, Art. 3 Abs. 2 GG folgendermaßen zu ergänzen: „Aufgabe des Staates ist es, Bedingungen für die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen; Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind zulässig. “

Gegen diese Formulierung wurde eingewandt, der Begriff Teilhabe entstamme den sozialen Grundrechten, also einem Bereich, der die volle unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte einfordere. Eine solche Drittwirkung könne aber vom Staat nicht garantiert werden, insbesondere wenn wiederum auf alle gesellschaftlichen Lebensbereiche eingewirkt werden müsse. Insoweit standen auch dieser Formulierung ähnliche Argumente wie dem Antrag der SPD-Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission entgegen.

Gegen den ursprünglichen Vorschlag der CDU/CSU-Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission: „Es ist Aufgabe des Staates, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zufördern und Nachteile abzubauen“ wurde vorgebracht, daß eine Interpretation dieser Norm zu dem nicht beabsichtigten Ergebnis führen könne, man habe eine bloße Zuständigkeitsnormin das Grundgesetz einfügen wollen, nach der Aspekte der Frauenförderung ausschließlich in den Kompetenzbereich des Staates fallen würden. Sinn und Zweck der Regelung könne es aber nicht sein, andere gesellschaftliche Bereiche von ihrer Aufgabe zur Frauenförderung zu befreien und dies in die alleinige Zuständigkeit des Staates zu überführen. Auch die Wendung „ ... Nachteile abbauen“ wurde kritisiert. Der Abbau von Nachteilen sei nur ein Prozeß, erforderlich sei es aber, ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Angestrebt werden müsse die völlige Beseitigung der geschlechtsbedingten Nachteile, denen Frauen ausgesetzt seien. Dem Abbau könne schon genügt sein, wenn Benachteiligungen nur gemindert würden.

Diesem Monitum wird die von der Kommission empfohlene Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG gerecht. Durch das Wort „hinwirken“ kommt das Prozeßhafte zum Ausdruck, die Formulierung „Beseitigung bestehender Nachteile“ beschreibt das anzustrebende Ziel. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang, daß durch die Wortwahl „bestehender Nachteile“ im Grundgesetz explizit festgehalten werden soll, daß geschlechts-bedingte Nachteile existieren. Auch das kann die Auslegung des bisherigen Art. 3 Abs. 2 GG beeinflussen, da vor diesem Hintergrund der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ durchaus im Sinne eines „Männer und Frauen werden gleichberechtigt“ verstanden werden könnte.

Auch die in den Vorschlägen der SPD-Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission sowie der CDU-Frauenunion enthaltenen Kompensationsklauseln, die die Zulässigkeit von Förderungsmaßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile bzw. Ungleichheiten ausdrücklich normieren, konnten sich nicht durchsetzen. Gegen die Einführung solcher Kompensationsklauseln wurde vorgebracht, die Beseitigung eines bestehenden Nachteils selbst solle das Ziel des staatlichen Handelns darstellen. Eine vom Nachteil losgelöste Kompensation durch einen mit der konkreten Benachteiligung sachlich nicht verbundenen Vorteil sei nicht erstrebenswert. Der Staat solle vielmehr auf die Beseitigung von Nachteilen hinwirken, also etwa berufliche Nachteile durch berufliche Vorteile ausgleichen. Diesem Ziel werde er nicht gerecht, wenn Kompensationen ermöglicht würden, die mit dem eigentlichen Nachteil nicht in unmittelbarem Zusammenhang stünden.

Resümierend läßt sich auch aus der Begründung für die Ablehnung anderer Vorschläge nur entnehmen, daß ein Staatsziel der Frauenförderung und Nachteilsbeseitigung im Grundgesetz eingeführt werden soll. Dem einfachen Gesetzgeber, der Verwaltung und der Rechtsprechung werden grundsätzlich viele Handlungsalternativen offenstehen, die Rechtsprechung wird durch die Interpretation des dann neuen Art. 3 Abs. 2 GG den Handlungsrahmen abstecken.

Gleichberechtigung durch die Verfassung? Sie wird einen Beitrag zur stärkeren Durchsetzung der Gleichberechtigung in der Gesellschaft leisten. Wie groß der Beitrag sein wird und ob dieser Beitrag tatsächlich auf die Lebenswirklichkeit entscheidenden Einfluß haben wird, bleibt abzuwarten.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Dirk Zapfe, geb. 1960; Regierungsrat z. A.; Referent im Sekretariat der Gemeinsamen Verfassungskommission.