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Aufbau und Erneuerung Über die institutioneilen Bedingungen der Standortentwicklung in Deutschland | APuZ 17/1994 | bpb.de

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APuZ 17/1994 Aufbau und Erneuerung Über die institutioneilen Bedingungen der Standortentwicklung in Deutschland Produktionsstandort Ostdeutschland Zum Stand der Modernisierung und Erneuerung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern Wirtschaftspolitik zur Verbesserung der Standortbedingungen in den neuen Bundesländern Industriepolitik in Ostdeutschland am Beispiel des Bundeslandes Sachsen

Aufbau und Erneuerung Über die institutioneilen Bedingungen der Standortentwicklung in Deutschland

Fred Klinget

/ 28 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Begründet wird die These, daß die Probleme der Vereinigung in Deutschland eine deutliche sozialkulturelle Wurzel besitzen: die fehlende Bereitschaft, aktuelle Besitzstände aufzugeben und Lebensbedingungen zugunsten gesamtgesellschaftlicher Perspektiven einzuschränken. Damit verbunden sind die Entwicklungsprobleme des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Eine unzureichende Investitionsdynamik und nachlassende Innovationskräfte der deutschen Wirtschaft begrenzen nicht nur die Chancen zum wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung im Osten, sie sind auch Ausdruck schwindender Verteilungskompromisse und verselbständigter Formen der Interessendurchsetzung. Institutioneile Fehlentwicklungen lassen sich deutlich an den Sackgassen der bisherigen Einigungspolitik ablesen: der ins Uferlose wachsenden Staatsverschuldung und den Versuchen, die sozialen Lasten des Strukturwandels in Ost und West durch einen immer umfassenderen Ausbau des Sozialstaats und sozialpolitischer Eingriffe aufzufangen. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Vereinigung werden daher auf Dauer ohne eine zeitgemäße Erneuerung des institutioneilen Grundgerüstes der Bundesrepubük kaum lösbar sein.

I. Einleitung und Problemstellung

Übersicht: Bestimmende Merkmale institutioneller Prägungen in Ost-und Westdeutschland Quelle: Eigene Darstellung.

Der deutsche Integrationsprozeß droht zum Dauerproblem einer mißglückten Strukturanpassung zu werden. Im vierten Jahr nach der Vereinigung steht fest, daß nicht nur die Kosten, Fristen und die Problemtiefe der Systemtransformation erheblich unterschätzt wurden. Ins Wanken geraten ist auch die bequeme Vorstellung, die westdeutsche Gesellschaft könne von den Mühen des Umbau-prozesses im Osten verschont bleiben.

Tatsächlich wird eine integrative Gestaltung des Einigungsprozesses ohne institutionelle Modernisierung nicht zu haben sein Die bislang von Regierungskoalition und Opposition vorgetragenen Konzepte der Strukturanpassung sind allerdings im wesentlichen einfache Übertragungsmodelle, Modelle einer quantitativen Ausdehnung der (unwiederbringlich) alten bundesrepublikanischen Gesellschaft auf die neuen Länder. Die finanziellen Lasten der Vereinigung, aber auch die Erfordernisse der wirtschaftlichen und technologischen Strukturentwicklung sind jedoch mit dem Erhalt der gewachsenen sozialen Besitzstände im Westen ebenso unvereinbar wie mit der Daueralimentierung von wirtschaftlicher Ineffizienz und sozialer Immobilität im Osten. Im folgenden versuche ich, dieser Kernthese im einzelnen nachzugehen und die Erfordernisse einer institutioneilen Erneuerung aufzuzeigen.

II. Leistungen und Grenzen der Privatisierung

Tabelle 1: Kostenstruktur der Arbeit und Produktivitätsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland von 1986 bis 1992 (in Prozent) Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sowie des WSI-Tarifarchivs.

Nach Auffassung von Kritikern hat eine überhastete Schockanpassung an den Markt in den neuen Ländern ein riesiges Zerstörungswerk in Gang gesetzt Die Folgen: ein dramatischer Verlust an Wirtschaftspotential, Deindustrialisierung und eine Massenarbeitslosigkeit von derzeit (Februar 1994) mehr als 1, Millionen Erwerbstätigen 3.

Diese Negativbilanz der Krisenphänomene war in der Tat für das Transformationsgeschehen der vergangenen drei Jahre charakteristisch. Die These von der Zerstörungswirkung , der Marktwirtschaft 1 weist aber insofern eine erhebliche Schieflage auf, als dabei völlig ignoriert wird, daß die Wirtschaft der DDR bereits lange vor der Vereinigung durch technologische Rückständigkeit, erhebliche Fehlallokationen von Kapital und Arbeit und gravierende Einbußen auf den westlichen Absatzmärkten gezeichnet war Dennoch hat die Vereinigung mit der alten Bundesrepublik offenkundig nicht nur als Krisenanker gewirkt, sondern auch zu neuen Strukturdefekten geführt. Abgesehen von der o. g. Verdrängung historischer Ausgangsbedingungen werden bei solchen Bewertungen des Transformationsgeschehens häufig zwei unterschiedliche Problemdimensionen vermengt: erstens das Problem der schockartigen Umwälzung des Wirtschaftsmechanismus -auf Makro-ebene kommt es durch die Einrichtung von Privateigentum und Wettbewerb zum System-bruch zweitens das Problem der schrittweisen Strukturentwicklung einer funktionierenden marktwirtschaftlichen Ordnung. Beide Dimensionen müssen jedoch sowohl analytisch als auch zeitlich und hinsichtlich der Gestaltungserfordernisse deutlich voneinander getrennt betrachtet werden. So sind in den privatisierten Betrieben relativ rasch neue, an marktwirtschaftlichen Verwertungsbedingungen ausgerichtete Beschäftigungsstrukturen entstanden Es ist in der Regel zunächst zu einem schockartigen, dramatischen Beschäftigungsabbau gekommen, der nach Erfahrungswerten bei etwa 60 bis 75 Prozent der ehemaligen Belegschaftsstärken, teilweise aber auch noch höher liegt. Ohne diesen Schnitt wären die neuen Leistungsträger von vornherein ohne jede Chance gewesen. Die Ertragsentwicklung dieser Betriebe zeigt jetzt eine deutliche Aufwärtstendenz. Im Frühjahr 1992, d. h. vor dem konjunkturellen Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte, schrieben nach Befragungen z. B. etwas mehr als 20 Prozent der privatisierten Unternehmen schwarze Zahlen; Ende 1992 waren es, trotz des bereits einsetzenden konjunkturellen Ab-schwungs, sogar schon 40 Prozent

Bei aller im Detail an der operativen Privatisierungsarbeit angebrachten Kritik (so an dem unzureichenden Vertragscontrolling, den problematischen Teilverkäufen, die zu funktionsunfähigen Unternehmensresten führten, u. a. m.) sollte der ordnungspolitische Umbau, der von der Treuhandanstalt in nur drei Jahren bewirkt wurde, korrekterweise vor dem Hintergrund der enormen Privatisierungsprobleme der osteuropäischen Transformationsökonomien beurteilt werden. Die Treuhandanstalt hat in der kurzen Zeitspanne ihres Wirkens ein atemberaubendes Tempo bei der Umwälzung des Wirtschaftsmechanismus vorgelegt: Aus dem Gesamtbestand von 13384 übernommenen bzw. (durch Teilung) neuentstandenen Unternehmen, die bis zum 31. 12. 1993 unter Treuhandverwaltung standen, wurden 6180 Unternehmen vollständig oder mehrheitlich privatisiert; zu dieser Privatisierungsbilanz kommen des weiteren 420 Bergwerksrechte (Eigentum an

Gruben und Bodenschürfrechten) hinzu. Der Nettobestand an Unternehmen in Treuhandbesitz schrumpfte damit zum Jahresende 1993 auf 951 Unternehmen mit 213000 Beschäftigten Der Umfang dieser Privatisierungsleistungen wird besonders deutlich, wenn man die hierbei betroffenen Beschäftigungsgrößen vergleicht. Sie zeigen allein für den Zeitraum ab 1991, daß von den 2, 9 Millionen Beschäftigten in Treuhandunternehmen etwa 1, 4 Millionen in durch Privatisierung zugesicherte Arbeitsplätze überführt werden konnten

Die Bilanz der auf absehbare Zeit nicht aufzuwiegenden Arbeitsplatzverluste und die Anlaufschwierigkeiten des Aufschwungs weisen aber auch unmißverständlich darauf hin, daß die Privatisierungsstrategie unter den gegebenen Bedingungen auch auf harte Grenzen stößt: Das wirtschaftspolitische Dogma, daß die Dynamik der Wettbewerbskräfte schon an sich dazu in der Lage sei, eine marktwirtschaftliche Ordnung hervorzubringen, oder -anders ausgedrückt -daß der makroökonomische Strukturbruch, der durch Privatisierung und Konkurrenz ausgelöst wurde, die institutionellen Funktionsbedingungen einer marktwirtschaftlichen Ordnung gleichsam miterzeugen würde, ist durch die Fakten zwingend widerlegt worden. Unter den Bedingungen einer Transformationsökonomie fehlt nicht nur eine Vielzahl der dazu erforderlichen institutionellen Voraussetzungen, es gibt auch eine Reihe strukturell wirksamer Hemmfaktoren, deren Einfluß durch die Wirkung von Wettbewerbskräften allein gar nicht zurückgedrängt werden kann. Die wichtigsten dieser Hemmfaktoren und institutionellen Lücken seien hier ohne Rangfolge zunächst kurz aufgelistet und kommentiert:

1. In einer vom Weltmarkt weitgehend abgekoppelten Planökonomie muß es aufgrund des Fehlens aussagekräftiger Preise im Laufe der Zeit zu einer erheblichen Fehlallokation der Produktionsfaktoren kommen. In der DDR betraf das insbesondere technologisch rückständige Unternehmen aus Altindustrien im Montanbereich sowie im Bereich der Chemie, zum anderen Betriebe aus stark schrumpfenden Branchen wie der Textilindustrie, der konventionellen Metallverarbeitung oder Elektrotechnik, die auch im Westen von Stillegung oder Produktionsverlagerung betroffen sind. Dementsprechend mußte eine Vielzahl von Betrieben (z. T. ganze Industriebranchen, die nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben weder privatisiert noch -innerhalb des gegebenen Produkt-und Leistungsspektrums -saniert werden können) in das marktwirtschaftliche System übernommen werden.

2. Das endogene, also in den neuen Ländern vorhandene Potential an unternehmerischen Kräften und marktorientierten Fertigkeiten ist stark begrenzt; bei objektiv gegebenen Privatisierungschancen fehlt es subjektiv häufig an den entsprechenden Einstellungen und Erfahrungen, d. h. am sozialkulturellen Unterbau.

3. Besonders schwer wiegen die infrastrukturellen Rückstände. Die ostdeutschen Regionen erreichen beispielsweise im Bereich der technischen Infrastrukturen (Kommunikation, Verkehrswege etc.) gerade einmal ein Ausstattungsniveau von 10 bis 25 Prozent der europäischen Spitzenwerte. Bei wichtigen Merkmalen, wie etwa der Telekommunikation, gehören acht der ehemals fünfzehn DDR-Bezirke zu den am schlechtesten ausgestatteten Regionen Europas überhaupt. Selbst Ostberlin erreicht hier nur das Niveau von Kreta oder Nordirland, ist also auch international gesehen kaum attraktiv Aber auch administrative und soziale Rahmenbedingungen wie die Funktionsschwächen der neuen Landes-und Kommunalverwaltungen, das Fehlen einer Vielzahl intermediärer Instanzen oder etwa die desolate Versorgung mit Wohnraum verschlechtern die Standortqualität zusätzlich

4. Mit der Vereinigung sind aber auch exogene, neue, also aus dem Westen gewissermaßen eingeschleppte Strukturmängel hinzugekommen. So ist die Wirtschafts-und Sozialordnung der alten Bundesrepublik in vielen Bereichen deformiert, wodurch die Entwicklungsdynamik im Osten begrenzt wird. Denn es können nichtökonomische Mittel eingesetzt werden, um einerseits aus der Vereinigung Vorteile zu ziehen, andererseits aber den Aufwand und das Risiko eigener Strukturanpassungen zu minimieren.

III. Endogene und exogene Entwicklungshemmnisse: Institutionelle Prägungen und unzureichende Investitionsdynamik

Tabelle 2: Verschuldung öffentlicher Stellen in Mrd. DM: 1989 und 1992 Quelle: Nach Angaben der Deutschen Bundesbank.

1. Endogene Faktoren -Das Gewicht der institutioneilen Prägungen

Zwischen ostdeutscher und westdeutscher Gesellschaft bestehen eine Reihe weithin ungeklärter Unterschiede in typischen Verhaltens-und Einstellungsmerkmalen Darin offenbaren sich verschiedenartige Muster sozialkultureller Identität. Ihre Wurzeln liegen vermutlich in den jeweils andersgearteten Mechanismen der Systemintegration, d. h. in der Funktionsweise von Märkten und dezentralen Koordinationen auf der einen sowie von Hierarchien und zentraler Lenkung auf der anderen Seite. Diese jeweils unterschiedlichen Mechanismen haben das soziale Leben beeinflußt und sich im Laufe der Zeit zu einem stabilen Gefüge institutioneller Prägungen verfestigt. Als sozialkulturelle Muster haben sie sich in der Vergangenheit als besonders wirksame Integrationsbarriere erwiesen und sind inzwischen -Hohn aller technokratischen Kalküle -im deutschen Einigungsprozeß zum Kostenfaktor par excellence avanciert. Als kulturelle Faktoren unterscheiden sie sich von anderen Einflußvariablen durch ihre symbolische Qualität. Das heißt, sie sind an Prozesse der geistigen Verarbeitung gebunden und damit auch an die Zeitbedingungen, die für Lernprozesse erforderlich sind. Daraus erklärt sich eine charakteristische Konstante: jene häufig konstatierbare Beharrungstendenz (vergleichbar dem „cultural lag“ bei Ogburn u. a.), die sich vor allem dann mit Heftigkeit zu Bewußtsein bringt, wenn sturzartige Prozesse des Systemwandels nicht mehr mental verarbeitet werden können und zu sozialer Verunsicherung führen

In der folgenden Übersicht sind entlang einer analytischen Unterscheidung zwischen lebenswelt-liehen und systemischen Bezügen die bestimmenden Merkmale institutioneller Prägungen zusammengestellt. Sie sind alß soziale Typik zu verstehen und stellen natürlich nur ein grobes Raster dar. Die in der Übersicht ebenfalls angeführte Dimension der Steuerungsmedien bezeichnet die typischen Fertigkeiten und Ressourcen, die für die individuelle Interessendurchsetzung normalerweise eingesetzt werden.

Es ist hier nicht der Platz, diese Merkmalsunterschiede im Detail ihrer sozialen, ökonomischen und politischen Hintergründe darzustellen. Hinzuweisen wäre jedoch auf dreierlei:

Erstens stellen die Merkmalsausprägungen jeweils unterschiedliche Verhaltensrepertoires für gleichartige soziale Problemlagen dar. So tritt beispielsweise in den ehemaligen oder noch bestehenden sozialistischen Systemen, in denen Lebenschancen hierarchisch zugeteilt werden, die Auseinandersetzung um knappe Güter vor allem im Nahbereich von Gruppen und kleinen Gemeinschaften, innerhalb von Gefolgschaften und Klientelen in Erscheinung. Die Auseinandersetzungen werden dadurch häufig informal abgeschottet und personalisiert, jedoch wird der äußeren Form nach eine individuelle Verselbständigung gegenüber Gruppennormen und zentralen Abhängigkeiten verhindert. Ich nenne dieses Muster des sozialen Austauschs bzw.der Konfliktregulierung ohne jede Wertung daher „Integrativ 11. Ganz anders würde sich dasselbe Problem in der entwickelten westlichen Gesellschaft darstellen: Das Beziehungsmuster nähme hier typischerweise die Gestalt einer mehr oder weniger individualisierten Konkurrenz um Lebenschancen an, würde also ein „konfliktives“ Erscheinungsbild besitzen.

Zweitens geht es bei der Gegenüberstellung systemtypischer Merkmale des Verhaltens nicht um normative Bewertungen, sondern um jeweils andersgeartete Formen der sozialkulturellen Vergesellschaftung: Der zu Eigeninitiative und Strategie-bildung fähige Westmanager hätte sich vermutlich in ein Häuflein Elend verwandelt, wäre er mit der Verantwortung für östliche Planerfüllungsprozeduren konfrontiert worden. Dort nämlich waren vor allem die Fähigkeit zur Anpassung und zum informellen Durchwühlen („muddling-through“) im Wirtschaftsdickicht gefordert; aber auch die Fähigkeit, mit Umsicht die Klippen willkürlicher politischer Eingriffe und Drohungen zu umschiffen.

Drittens deutet sich bereits auf der Ebene dieser analytischen Gegenüberstellung an, daß die im Osten aufgewachsenen Menschen fürs erste in bezug auf die neue Marktumgebung relativ chancen-los sind. Ihr sozialkulturelles Kapital -das Repertoire ihrer Fertigkeiten und die von ihnen typischerweise genutzten Techniken der Einflußnahme -ist weithin und vermutlich irreversibel entwertet. So ist z. B. die Austragung offener Konflikte in einer Verhandlungsgesellschaft für sie schon deshalb mit so vielen Fragezeichen versehen, weil sie in der Regel nicht über das zureichende Know-how verfügen, um den Schlichen und Tücken des Konfliktaustrags erfolgreich zu begegnen. Und wer in einer auf Konformismus und Integrationszwängen angelegten Gesellschaft auf-wuchs, hat selten die Fähigkeit erworben, die eigene Person expressiv in Szene zu setzen.

Auch wenn die Fundamente parteistaatlicher Herrschaft längst zerbrochen sind, ihre institutionellen Verlängerungen haben im Bewußtsein der Menschen eine bemerkenswerte Kontinuität. Die sozialkulturellen Muster erzielen vor allem dort eine große verhaltenssteuernde Wirkung, wo es im Rahmen größerer Organisationsgebilde sozial abgeschottete Nischen und den Schutzschirm staatlicher Alimentierungen gibt. So läßt sich in der Innenwelt von Treuhandbetrieben (aber nicht nur hier) häufig beobachten, wie die alten Routinen und Erwartungshaltungen ihre sozial-integrierende Potenz bewahren können, wie ein harmloses, aber typisches Beispiel aus den Erfahrungen meiner Feldforschungen belegt: Als in einem Großbetrieb Kurzarbeit Null angeordnet werden mußte, nahm auch die Betriebsleitung ihren , gerechten Anteil. Daß damit der Gesamtbetrieb völlig lahmgelegt war, störte nicht weiter. Höher gewertet wurde die Vermeidung von Unmut, der ohne eine solche Gleichverteilung der Anpassungslasten bei den Arbeitern aufgekommen wäre.

Weiteres reichhaltiges Anschauungsmaterial liefert die Praxis der Arbeitsmarktpolitik in den neuen Bundesländern: Förderkonzepte, die eigentlich dazu bestimmt sind, die Anpassungsfähigkeit an veränderte Wirtschafts-und Arbeitsmarktlagen zu verbessern, tragen indirekt dazu bei, daß immobile und unflexible Strukturen erhalten bleiben und sich der Problemdruck auf Dauer nur erhöht. Sicher sind in Krisengebieten großflächige Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung als Überbrückung und Behelf schon allein deshalb nötig, weil es in Ermangelung anderer Lösungen sonst zum Zusammenbruch einer ganzen sozialen Ökologie käme Bei den insbesondere vom Land Brandenburg ausgehenden Initiativen, mit Hilfe der Arbeitsförderung ersatzweise Strukturpolitik zu betreiben bzw. im „zweiten Arbeitsmarkt“ eine Art Dauerzustand der alimentierten Beschäftigung einzurichten, wird jedoch systematisch die Tatsache übersehen, daß solche Förderkonzepte in der Konsequenz eher dazu führen, die vorhandenen institutioneilen Prägungen zu konservieren, anstatt sie aufzubrechen

Die die Wirtschaft erneuernden Kräfte sind hingegen erst schwach ausgebildet. Eine fast vollständig ausgelöschte Kultur des freien Unternehmertums läßt sich nicht im Schnellverfahren hochzüchten. Rund 180000 Erwerbspersonen zählten zur Gruppe derer, die gegen Ende der DDR noch zu den „Selbständigen“ gehörten. Zusammen mit den Beschäftigten des genossenschaftlichen Sektors, der sich zumindest in Teilen eine gewisse berufliche und soziale Nähe zum selbständigen Wirtschaftshandeln bewahren konnte, belief sich das gesamte Reservoir an einer wie auch immer aktivierbaren Sozialkultur der wirtschaftlichen Selbständigkeit Ende 1989 auf schätzungsweise 360 000 Einzelpersonen Diesen gelang es im Verlaufe erster Gewerbegründungen und Privatisierungsmaßnahmen des Jahres 1990 auch relativ schnell, sich wieder in den alten Stammsektoren des Handels, der Gastronomie sowie im dienstleistenden und produzierenden Handwerk einzurichten. Auf diese Bereiche entfallen etwa 80 Prozent, d. h. die übergroße Mehrheit aller Gewerbegründungen. Die industriellen Ansätze sind hingegen eine Rarität. Bis Anfang 1992 war die Gruppe der Selbständigen einschließlich der mithelfenden Familienangehörigen auf schätzungsweise rund 600000 Personen angewachsen und hat sich -trotz aller wirtschaftlichen Anlaufschwierigkeiten -auf diesem Niveau vermutlich eingependelt. Es muß allerdings berücksichtigt werden, daß eine nicht bekannte Zahl von Gewerben -geht man von den Anmeldungen aus -nur formal besteht und keinen regulären Geschäftsbetrieb widerspiegelt.

2. Exogene Faktoren -Unzureichende Investitionsdynamik und nachlassende Innovationskraft

Die den Arbeitsmarkt betreffende Kernproblematik der ökonomischen Strukturumwälzung ergibt sich aus einer einfachen, aber häufig vergessenen Tatsache: Dauerarbeitsplätze im „ersten Arbeitsmarkt“ entstehen weder durch sozialpolitische Transfers noch durch ausgeklügelte Förderstrategien, sondern allein durch betriebswirtschaftlich rentierliche Investitionen. Dies bedeutet, daß angesichts der Größenordnung der Strukturumwälzungen investive Wachstumsschübe mit Beschäftigungseffekten in Millionenhöhe ausgelöst werden müßten. Ohne diesen Investitionsschub bleiben die Arbeitsmärkte auf Dauer deformiert und müssen (mit abnehmender Leistung) weiterhin alimentiert werden, brechen soziale Strukturen zusammen, bleiben Märkte unterentwickelt, veröden ganze Regionen. Trotz ihres Anstiegs und beachtlicher Größenordnungen erreichten die Bruttoinvestitionen jedoch -pro Kopf der Bevölkerung gerechnet -in den neuen Ländern 1992 mit 109 Milliarden DM nur rund 76 Prozent des westdeutschen Niveaus. Anders ausgedrückt: Wäre im Verhältnis zur jeweiligen Bevölkerungsgröße in Ost und West gleich viel investiert worden, dann hätten die Bruttoinvestitionen in den neuen Ländern im Jahre 1992 um 35 Milliarden DM höher liegen müssen, als es der Fall war Damit wäre erst ein investiver Gleichstand für die laufende Entwicklung hergestellt, nicht jedoch ein entsprechender Beitrag zum Ausgleich der vorhandenen Entwicklungsrückstände geleistet worden.

Einem dauerhaften Investitionsanstieg stehen indes eine Reihe von Hemmfaktoren entgegen. Dazu gehören neben den bereits genannten Standortnachteilen vor allem die in Deutschland erreichten Kosten und Produktivitätsbedingungen der Arbeit. Die für den Wettbewerb entscheidenden Lohnstückkosten, d. h.der Anteil der Löhne am Produktionsergebnis, erreichten 1992 auf dem früheren Gebiet der Bundesrepublik zwar einen -international betrachtet -recht günstigen Durchschnittswert von 54, 4 Prozent Aber diese noch bis Ende der achtziger Jahre positiv verlaufende Entwicklung stieß schon in der Vergangenheit auf Gegenkräfte einer sich globalisierenden Konkurrenz. Die Generaltendenz der Drohungen läßt sich an der Entwicklung des Zuflusses ausländischer Direktinvestitionen nach Deutschland und deutscher Direktinvestitionen im Ausland deutlich ablesen. Sie lautet: Während die deutschen Direktinvestitionen vor allem als Beteiligungskapital in das Verarbeitende Gewerbe des Auslands wandern, hat Deutschland umgekehrt für das Ausland als Produktionsstandort gewerblicher Fertigungen stark an Bedeutung verloren Von 1985 bis 1990 ist der Bestand ausländischer Direktinvestitionen im Verarbeitenden Gewerbe real um gerade einmal sechs Prozent gewachsen. In Schlüsselbranchen wie der EDV und Büromaschinenindustrie stagnierten de facto die Direktinvestitionen von Ausländern in Deutschland. Ihr Bestand stieg in diesem Zeitraum, der zudem eine Phase stürmischen Automatisierungsbooms darstellte, nominell von 5, 4 Milliarden auf nur 5, 9 Milliarden DM Zunehmend ist Deutschland für ausländische Investoren nur noch als logistisches Operationsfeld der Absatz-abteilungen und für Finanztransaktionen von Interesse

Hinter dieser Gesamtentwicklung steht als strukturelle Entwicklungstendenz eine internationale Angleichung der Produktivitätsniveaus von Arbeit und Kapital. Sie bedeutet nichts anderes, als daß global gesehen immer mehr entwickelte Industrie-standorte mit vergleichbarer Leistungsfähigkeit miteinander in Konkurrenz stehen. Diese Welt-marktentwicklung kann nicht aufgehalten werden. Gravierend ist, daß es in der Bundesrepublik nicht gelang, sich den weithin geänderten Rahmenbedingungen anzupassen: Trotz der mit dem deutschen Einigungsprozeß verbundenen Belastungen und trotz des zunehmenden internationalen Konkurrenzdrucks haben sich die grundlegenden Kosten-und Verteilungsrelationen keineswegs verbessert (vgl. Tabelle 1).

Zudem hat sich das Verhältnis von Lohn und Leistung durch Einbeziehung der Wirtschaft der neuen Bundesländer vorerst drastisch verschlechtert, was die Chancen für starke Investitionszuflüsse dorthin zusätzlich mindert. Die Lohnstückkosten lagen in Ostdeutschland -nach überschlägigem Abzug des Arbeitseinkommens der Pendler im Jahre 1991 -um rund 69 Prozent und 1992 immer noch um 55 Prozent über dem westdeutschen Niveau Das ist zweifellos ein negativer Rekord: Es gibt mit Abstand weltweit keinen vergleichbaren Produktionsstandort, der im Durchschnitt gleichzeitig so teuer, so leistungsschwach und infrastrukturell so schlecht ausgestattet wäre. Gerade für die neu entstandenen mittelständischen Unternehmen stellt der rasante Anstieg der Lohnstückkosten häufig eine existenzbedrohende Belastung dar. Etwa 60 Prozent der Neugründungen bzw. Privatisierungen befinden sich nach Betriebs-befragungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) noch (oder schon wieder) in einer Verlustzone Als möglichen Ausweg aus einer lohnkostenbedingten Arbeitsplatzvemichtung werden inzwischen v. a. von den Vertretern der Gewerkschaften selektive „Lohnkostenzuschüsse bzw. -Subventionen“ vorgeschlagen, die „aus Steuermitteln durch den Bund“ finanziert werden müßten Der rationale Kern dieser Lohnpolitik besteht offensichtlich darin, durch die rasche Angleichung der Vergütungen eine verbandspolitisch gefährliche Leistungskonkurrenz der Standorte und Verwertungschancen zu vermeiden. Unter den gegebenen Bedingungen führt jedoch die gewerkschaftliche Strategie entweder zur Alimentierung der Erwerbslosen durch die Sozialversicherungen (im Falle der Arbeitsplatzvemichtung) oder zu weiteren staatlichen Subventionslasten (im Falle der Lohnkostenzuschüsse). So oder so, die Konsequenzen bleiben dieselben: Immer werden die sozialen Kosten für die Wohlfahrtserträge, die aus der Besitzstandswahrung erwachsen, externalisiert und der Gesellschaft als Ganzem, hier konkret: Staat und Steuerzahler, aufgebürdet. Auch an den negativen Auswirkungen für den Arbeitsmarkt ändert sich grundsätzlich nichts. Denn in jedem Falle steht ein relativ schrumpfender Teil von Erwerbstätigen im „ersten Arbeitsmarkt“ einem relativ wachsenden Teil von Erwerbspersonen gegenüber, der entweder vom Erwerbsleben ausgeschlossen oder in alimentierte Bereiche des „zweiten Arbeitsmarktes“ abgeschoben wird

Die aus dem Lot geratenen Verteilungsrelationen dürfen jedoch nicht den Blick auf gravierende Fehlentwicklungen in der westdeutschen Wirtschaft verstellen, die zunehmend in der Produktion selbst zum Tragen kommen. Unter sonst gleichen Bedingungen wären ja die ansteigenden Lohn-kosten auch dann noch zu verkraften, wenn sie durch entsprechende Wertschöpfungen kompensiert würden. Genau an dieser Stelle jedoch, im zunehmenden Verlust an innovativer Leistungsfähigkeit und Marktkompetenz, die Günter Ogger griffig im Syndrom der „Nieten in Nadelstreifen“ beschrieb, zeichnen sich brisante, weil kurzfristig nicht mehr korrigierbare Strukturdefekte ab. Die bundesdeutsche Wirtschaft hat seit Jahren kontinuierlich an Innovationsfähigkeit verloren. So zeigen Produktanalysen des IFO-Instituts für Wirtschaftsforschung, daß der Saldo aus Produkten, die sich in der Markteinführungsphase und solchen, die sich in der Schrumpfungsphase befinden, in den achtziger Jahren deutlich negativ geworden ist. Salopp ausgedrückt: Der Anteil der Ladenhüter im Erzeugnissortiment hat gegenüber den Neuentwicklungen stark zugenommen

Realistische Marktchancen ergeben sich für die bundesdeutsche Wirtschaft jedoch einzig im Schwerpunkt der technologisch hochentwickelten Gütermärkte, während sie auf den Niedrigpreismärkten konventioneller Produktion kaum Konkurrenzfähigkeit besitzt Um so schwerer wiegt, daß es in der Bundesrepublik nicht einmal gelungen ist, wenigstens das Ausstattungsniveau der wissenschaftlichen und technischen Infrastrukturen, also die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F& E), stabil zu halten Zwar sagen monetäre Aufwandsindikatoren an sich noch nichts über die Effizienz der Forschungsleistungen aus, aber in den neuen Bundesländern hat der quantitative Rückgang der F & E-Aufwendungen inzwischen jede qualitative Grenze gesprengt: Dort sind mit der Vereinigung die früheren Potentiale der Industrieforschung fast vollständig vernichtet worden. So kommt das IWH in einer Analyse der industriellen Forschungslandschaft der neuen Bundesländer zu dem Ergebnis, daß von den ursprünglich 75000 Industrieforschern im Jahre 1993 bestenfalls noch 13 000 verfügbar seien und sich dieser Bestand bis zum Jahresende 1993 nochmals auf nur noch 3000 Personen reduzieren würde Potentialverluste in dieser Größenordnung bedeuten jedoch, daß in den neuen Bundesländern die strukturellen Voraussetzungen zur Hervorbringung von Innovationen und für technologische Effizienzsteigerung inzwischen für einen nicht mehr absehbaren Zeitraum verlorengegangen sind.

IV. Die Sackgassen der Vereinigung: Defizitfinanzierung und sozialer Etatismus

1. Die Risiken der Defizitfinanzierung

Die finanzielle Zwickmühle ist offenkundig: Die Entwicklungshemmnisse im Osten und die unzureichende Leistungsdynamik im Wirtschaftsbereich verstärken das Gewicht der negativen Standortfaktoren und bremsen den oft beschworenen Aufschwung Ost. Das Warten auf diesen Aufschwung erinnert mehr und mehr an ein bekanntes Theaterstück von Samuel Beckett. Im Gegenzug expandiert die politische Lückenbüßerfunktion des Staates und wachsen die alimentierenden Eingriffe ins Uferlose.

Die erheblichen Risiken einer defizitfinanzierten Einigungspolitik sind inzwischen überdeutlich geworden. Die Gesamtverschuldung aller öffentlichen Stellen (d. h. einschließlich aller Sondervermögen und sonstiger Nebenhaushalte wie z. B. die Treuhandanstalt) lag 1992 bei schätzungsweise 1, 6 Billionen DM (vgl. Tabelle 2).

Damit sind die Schulden aller öffentlichen Hände seit dem Beginn des deutschen Einigungsprozesses um rund 566 Milliarden DM in die Höhe geschnellt. Die finanzielle Belastung läßt sich insbesondere daran ablesen, daß der 1989 bestehende Schuldenstand durch Neuverschuldungen binnen dreier Jahre um fast 55 Prozent zugenommen hat. Die Schuldenquote, d. h.der Anteil der Staatsschulden am Bruttosozialprodukt, stieg trotz wirtschaftlichen Wachstums im selben Zeitraum von 46, 2 Prozent auf 53, 1 Prozent Die damit in Gang gesetzte Schuldenspirale programmiert eine gravierende Verknappung nicht nur zukünftiger Ressourcen (denn wie und durch wen auch immer, die Staatsschulden müssen beglichen werden!), sondern -in der Gegenwart -auch den zunehmenden Ausfall der öffentlichen Hand als Gestaltungsfaktor.

Die Spielräume in den öffentlichen Haushalten sind in der Regel ohnehin eng begrenzt; die überwiegende Zahl der Ausgabepositionen liegt immer schon fest und ist durch rechtliche oder andere Verpflichtungen gebunden. Die fiskalische Manövriermasse für neue Projekte und flexible Gestaltungen beläuft sich beispielsweise im größten Einzeletat des Bundeshaushalts, dem Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, im laufenden Jahr auf gerade einmal ein Prozent der Gesamtausgaben (derzeit 1, 1 Milliarden DM)

Wenn nun unter diesen Bedingungen immer größere Teile des Haushalts für den Schuldendienst aufzubringen sind, dann drohen auch noch die verbliebenen Rinnsale politischer Steuerung zu versiegen. Politik degeneriert unter solchen Bedingungen mangels finanzieller Spielräume immer mehr zum fiskalischen Krisenmanagement einer überwuchernden Staatsschuld, die jeden programmatischen Grundsatz und jeden gesellschaftspolitischen Gesamtzweck auf eine dürre Buchhaltungsfrage schrumpfen läßt. Wenn schließlich die Schuldenquote das bonum commune definiert und nicht mehr umgekehrt, dann haben politische Mittel und Zwecke ihre Plätze getauscht. Die fiskalische Selbstblockade wird zur Ohnmacht der öffentlichen Hände inmitten drängendster Handlungsbedürfnisse.

Die Fähigkeit des öffentlichen Sektors zur gestaltenden Anpassung an neue Aufgaben und an veränderte Umweltbedingungen hat in der Tendenz stetig abgenommen. Das Strukturbild der Staatsausgaben gehorcht seit den siebziger Jahren den Wiederholungszwängen eines stereotypen Musters: Dem kontinuierlichen Anstieg sozialer Leistungen entspricht der relative Rückgang investiver Verwendungen. Die staatlichen Ausgaben für soziale Leistungen (hier in der statistischen Abgrenzung der Staatsausgaben des Statistischen Bundesamtes) betrugen 1970 erst knapp das Dreifache der Bruttoinvestitionen der öffentlichen Hand (86 Milliarden DM gegenüber rund 31 Milliarden DM) 1992 machten sie jedoch schon mehr als das Sechsfache der Investitionsausgaben aus. In diesem Jahr hatten die Bruttoinvestitionen mit rund 85 Milliarden DM nur noch einen Anteil von 5, 6 Prozent an den gesamten staatlichen Ausgaben. Sie lagen damit noch unter den rund 99 Milliarden DM, die 1992 allein für Zinszahlungen aufgewendet wurden. Gleichzeitig erreichten die sozialen Ausgaben eine Rekordhöhe von über 526 Milliarden DM oder rund 35 Prozent der Gesamtausgaben der öffentlichen Hände Die Grundtendenz der vergangenen zwei Jahrzehnte besteht also in einem Erstarken sozialer (im wesentlichen dem privaten Konsum zufließender) und einem Bedeutungsverlust investiver Verwendungen. Es scheint, als sei die Allokationsfunktion des Staates, seine ökonomischen Aufgaben für die Zuteilung öffentlicher Güter, zunehmend von sozialpolitischen Verteilungszwängen überwuchert worden. Und in der Tat ist die gewaltige Expansion sozialer Leistungen identisch mit der Expansion des Sozialstaates und staatlich definierter Sozialzwecke.

2. Die Risiken des Sozialetatismus

In den zurückliegenden 33 Jahren, d. h. von 1960 bis 1992, ist das Sozialbudget der Bundesrepublik von 68, 9 Milliarden DM oder 1235 DM pro Einwohner auf 1001, 4 Milliarden DM bzw. 12434 DM pro Einwohner gestiegen und hat damit erstmals die Billionengrenze überschritten Auch hier ist der generelle Trend zur Inflexibilität unübersehbar. Ende der achtziger Jahre war es noch zu einem bescheidenen Rückgang der Sozialleistungsquote, d. h.des Anteils staatlicher Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt, von 30 Prozent (1989) auf 29, 4 Prozent (1990) gekommen. Doch diese Entwicklung ist im Verlaufe des Vereinigungsprozesses längst wieder umgekehrt worden. Die Sozialleistungsquote erhöhte sich erneut und erreichte 1992 einen Spitzenwert von über 33 Prozent.

Eine genauere Betrachtung zeigt, daß diese Ausgabenexpansion keineswegs allein eine Folgewirkung der Vereinigung ist. Die sozialen Transfers nach Ostdeutschland -sie umfassen den Ausgleich der Defizite in der Renten-und Arbeitslosenversicherung -haben zwar 1992 mit einem Volumen von rund 43 Milliarden DM deutlich zugelegt (1991: 25 Milliarden DM), aber auch ohne diese zusätzlichen Aufwendungen wuchsen allein die westdeutschen Sozialleistungen im Jahre 1992 um 7, 7 Prozent. Anders ausgedrückt: Das gesamtdeutsche Sozialbudget ist auch deshalb so stark angestiegen, weil die unvermeidlichen Ausgabenzuwächse im Osten nicht durch entsprechende Einsparungen im Westen kompensiert wurden. Ein gesamtwirtschaftlicher Ausgleich für die gestiegenen Sozialaufwendungen wäre in etwa durch ein Einfrieren des westdeutschen Sozialbudgets auf dem nominellen Niveau von 1990 erreicht worden. Doch dürften solche Umschichtungen unter den gegenwärtigen Bedingungen in Deutschland kaum durchsetzbar sein. Das Gegenteil ist der Fall -die Tendenzen zur Erweiterung sozialpolitischer Interventionsbereiche haben im vereinigten Deutschland einen starken Auftrieb erhalten. Dabei scheint die Forderung nach stärkeren staatlichen Eingriffen im Osten in vielerlei Hinsicht nur der Seitenarm einer viel grundsätzlicheren Strömung zu sein: Es geht um die Weiterentwicklung des alten Sozialstaates zu einem universalen System etatistischer Risikosicherungen: einer durchgängigen Absicherung von Existenzrisiken durch den Staat.

Den Hintergrund dieser neueren Tendenzen bildet eine auch in der westdeutschen Gesellschaft immer deutlicher werdende Krisenerfahrung: Der Erwerbsgesellschaft geht die bezahlbare Arbeit aus; dem Generationenvertrag fehlt der Nachwuchs; tradierte Stabilitäten von Gemeinschaft und sozialer Kontrolle bröckeln unter der Wucht von Individualisierungsschüben. Charakteristisch für diesen neuen sozialen Etatismus sind die Instanzen und Mittel, die man meint für die Krisenabwehr einsetzen zu können. Zu ihnen zählen vor allem ein Mehr an Staatlichkeit und Steuern. Beide werden zu Stabilitätsankern einer sozialen Welt, in der sich die Lebenslagen nicht nur dramatisch individualisieren, sondern auch vielfältig labilisieren können. Geeignete sozialetatistische Problemlösungen werden in Konzepten einer sozialen Grundsicherung gesucht, die jeder Person als Gesellschaftsmitglied, d. h. in ihrem Status als Bürger, zustehen soll; ferner in der festen Etablierung eines dauerhaft alimentierten „zweiten Arbeitsmarktes“ und generell in einer stärkeren (kaufkraftabhängigen) Steuer-finanzierung aller möglichen sozialen Zwecke. Diese (mehr oder weniger starke) Abkopplung sozialer Finanzierungsmodelle von der Bezugsgröße Erwerbsarbeit und von leistungsabhängigen Bei-trägen nimmt bei den neueren Lösungsvorschlägen zum Umbau des Sozialstaates eine zentrale Rolle ein Diese orientieren sich nicht an den Verwertungsbedingungen von Lohn und Leistung, sondern am sozialen Bedürfnis nach Beschäftigung

Doch die Lösungsstrategien weisen einen entscheidenden Konstruktionsfehler auf, der im Grundsatz für alle öffentlichen Umverteilungsmodelle gilt: Er besteht in der Vorstellung von Gesellschaftsmitgliedern, die gegenüber dem Sozialstaat nur die Rolle der passiven Empfänger von Leistungen und Geber von Finanzmitteln einnehmen. Tatsächlich bewegen sich jedoch beide Seiten im Kontext eines historisch gewachsenen, fein gesponnenen Geflechts wechselseitiger Abhängigkeiten. Der moderne Sozialstaat hat dieselben Wurzeln wie die moderne Existenzform der Gesellschaftsmitglieder, die mit der Individualisierung auch die Nabelschnur zu den traditionalen Bindungen verloren haben. Ferner werden unter den Bedingungen moderner Massendemokratie die kollektiven Wohlstandsfunktionen zunehmend zu abhängigen Variablen individueller Ansprüche an das Versorgungssystem Darin eingebaut war vormals der Wettlauf der politischen Makler um das mehrheitsfähigste, attraktivste Angebot an Sozialleistungen; heute hat derselbe Vorgang nur ein negatives Vorzeichen bekommen und erschöpft sich im Feilschen um die politisch unschädlichste Kürzungsstrategie. Offenkundig handelt es sich hierbei um -wie Philipp Herder-Dorneich es in Anlehnung an die Sozialkybernetik nannte -kumulativ-zirkuläre Prozesse Das sind Prozesse, die sich fortlaufend selbst steigern, indem sie ihre Ausgangsbedingungen auf erweiterter Stufe immer wieder als Resultate neu erzeugen. In ihrer modernen Existenz-form sind die Individuen sowohl die Produkte als auch die Erzeuger ihrer eigenen Lebenssituation. In ihr wachsen die strukturellen Abhängigkeiten vom sozialstaatlichen Versorgungssystem um so stärker, je mehr sich Individualität radikalisiert. Ulrich Beck hat u. a. diesen Vorgang zutreffend als das „widersprüchliche Doppelgesicht“ von Individualität und „institutionenabhängigen Lebenslagen“ gekennzeichnet Man darf jedoch annehmen, daß die institutioneilen Abhängigkeiten nicht nur, wie Beck meint, eine äußere, sachliche, sondern auch eine innere, sozialpsychologische Dimension besitzen. In diesem Sinne tragen Individualisierungsprozesse ihre eigenen sozialen Sprengsätze in sich, deren wesentliche Dimension in der Auflösung von Innenwelten, d. h.der Destabilisierung institutioneller Bindungen zu sehen ist.

Prononciert haben vor allem Meinhard Miegel und Stephanie Wahl auf den kulturbedingten Kern dieses Verfallprozesses aufmerksam gemacht, von dem die individualistisch orientierte westliche Gesellschaft gezeichnet sei: die drohende Selbst-zerstörung durch Bevölkerungsschwund und Vergreisung, die eine Kettenwirkung des Identitätsverlustes und wirtschaftlichen Leistungsverfalls nach sich zögen Mit der Dauer sozialstaatlicher Versorgungen ist auch eine gewisse Prägung von Verhaltensmustern und Mentalitätsformen zu unterstellen. Die sozial verwaltete Gesellschaft schafft sich ihre eigene Kultur, ihre eigenen Bedeutungen und Werte, die mit der Zeit zur mentalen Grundausstattung absinken, um schließlich als soziales Datum auch den „Typus der Gesellschaft (zu) verwandeln“

Die Prozesse der Individualisierung sind (nicht nur, aber in wesentlicher Hinsicht) eine Folge sozialstaatlicher Entwicklung, und sie sind gleichzeitig auch das entscheidende Antriebsmoment sozialstaatlicher Expansionen. Daraus ergibt sich, daß die Negativwirkungen etatistischer Versorgungssysteme, ihre Finanzierbarkeit einmal unterstellt, in der Tendenz eher dazu beitragen dürften, daß sich die Zangenbewegung aus individuellen Freiheitsgewinnen und den Kosten sozialer Atomisierung noch zusätzlich verschärfen wird.

V. Elemente einer institutioneilen Erneuerung

Institutionen sind soziale Knotenpunkte aus stabilen Erwartungen und Verhaltensmustern, mithin jene Strukturen, in denen eine Gesellschaft durch Erziehung, Kontrolle und Konsensbildung für ihren Erhalt sorgt. In den beschriebenen Entwicklungs-und Standortproblemen treten nun allerdings soziale Prozesse in Erscheinung, deren Logik eindeutig auf einen Abbau institutioneller Stabilität und auf eine entsprechende Schwächung von Integrationsmechanismen hinausläuft. Das gilt für die Orientierungsverluste der ostdeutschen Bevölkerung ebenso wie für die zunehmenden Individualisierungsprozesse und die Tendenz der Verselbständigung organisierter Interessen, die in der westdeutschen Gesellschaft um sich greifen. Vor allem deshalb hat letztere längst aufgehört, noch ein sozialkulturelles Modell zu sein, an dem sich der krisenhafte Umbauprozeß im Osten orientieren könnte. Es mag unter diesen Bedingungen mehr als fraglich erscheinen, ob zum Krisenmanagement wachsende Staatseingriffe und finanzielle Transfers noch ausreichen, setzen sie doch die Steuerungsmöglichkeiten des gesellschaftlichen Normal-betriebs voraus. Wir haben es indes mit einer Krise der institutioneilen Basiseinrichtungen zu tun, die sich, vorangetrieben durch den Katalysator der Vereinigung, nunmehr immer deutlicher Bahn bricht. Wenn die ostdeutsche Gesellschaft Zeit braucht für ihre kulturelle Integration und sozialökonomische Anpassung, dann setzt dieser sich in die Länge ziehende Umbauprozeß Transfers und strategische Erschließungsmaßnahmen in Größenordnungen voraus, die mit den gewachsenen Besitzständen der westdeutschen Gesellschaft auf Dauer unvereinbar sind. Doch schon geringfügige Eingriffe in den befestigten Grenzverlauf der Verteilungsfronten führen bekanntlich zu den heftigsten Gegenreaktionen. Das überkommene institutionelle Grundgerüst, das sich noch in den tradierten Spannungsverhältnissen aus individuellem Freiheitsgewinn und staatlich verbürgten Gleichheitsansprüchen bewegt, scheint sich in seiner Entwicklungsfähigkeit inzwischen selbst zu blockieren. Die Endlosspirale aus programmierter Vorteilssuche und Anspruchskonservierung läßt sich immanent, d. h. auf der Grundlage der eigenen institutionellen Voraussetzungen, offenbar nicht mehr anhalten.

Strategische Auswege lassen sich innerhalb einer erneuerten institutioneilen Konstellation vorstellen, die einerseits der Fähigkeit zur individuellen Selbstbegrenzung und Risikoübernahme Raum gäbe und andererseits die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Gesamtsteuerung auf das zeitgemäße Niveau globaler Verflechtungen heben würde. Hier läge die große modernisierende Potenz, die sich aus einem Bedeutungszuwachs dezentraler Netzwerke und kleiner Regelkreise ergäbe, wenn sie sich an den Gestaltungsprinzipien einer neuen Subsidiarität orientierten, d. h an Ordnungsbedingungen des wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lebens, die auf einem gesamtgesellschaftlichen Stufenbau der Selbststeuerung und Selbstverantwortung aufbauen Unter den Bedingungen fortgeschrittener Gesellschaften würde dies freilich nicht nur einen entsprechenden Umbau von Hierarchien und Funktionsbereichen voraussetzen, sondern auch eine angemessene materielle Ausstattung und Professionalität der dezentralen Strukturen. Ob eine solche Grund-erneuerung des Institutionengerüsts nicht nur in der Diagnose richtig, sondern politisch durchführbar ist, mag von manchem skeptisch beurteilt werden. Schließlich wäre ja nicht weniger gefordert als die Einsicht, daß die Chancen gesellschaftlicher Gesamtentwicklung durchaus von der Fähigkeit zur individuellen Selbstbeschränkung abhängen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In der soziologischen Diskussion wurde die Inkorporation der DDR häufig nur unter der eindimensionalen Perspektive einer modernisierenden Angleichung interpretiert. So etwa bei Zapf im Rahmen seines Konzepts der „weitergehenden Modernisierung“. Vgl. Wolfgang Zapf, Der Untergang der DDR und die soziologische Theorie der Modernisierung, in: Bernd Giessen/Claus Leggewie (Hrsg.), Experiment Vereinigung. Ein sozialer Großversuch, Berlin 1991, S. 38-51; im Sinne einer doppelten Modernisierung in Ost und West argumentiert u. a. Rolf Reißig, Transformationsprozeß Ostdeutschlands -empirische Wahrnehmungen und theoretische Erklärungen, in: WZB-papers, P 93-001, Juni 1993, S. 11 f.

  2. Vgl. u. a. Christa Luft, Treuhandreport, Berlin-Weimar 1992, S. 168ff.

  3. Angaben nach: Statistisches Bundesamt, Statistischer Wochendienst vom 30. März 1994, S. 5; vgl. auch zur Gesamtentwicklung Statistisches Bundesamt, Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in den neuen Bundesländern, März 1994, S. 17 ff.

  4. Vgl. hierzu die Beiträge in: Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen (Hrsg.), Glasnost und Perestrojka auch in der DDR?, Berlin 1988, sowie Die Wirtschaftspolitik der Ära Honecker -wirtschaftliche und soziale Auswirkungen, Teil I und II, in: FS-Analysen, (1989) 1 und 2 (FS: Forschungsstelle für deutsche und gesamteuropäische Integrationspolitik Berlin).

  5. Vgl. Fred Klinger, Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung strukturschwacher Regionen in den östlichen Bundesländern, in: Rolf Reißig (Hrsg.), Rückweg in die Zukunft. Über den schwierigen Transformationsprozeß in Ostdeutschland, Frankfurt am Main-New York 1993, S. 88-95.

  6. Vgl. Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Ostdeutschland 1993 und 1994, Frühjahrsgutachten 1993, Berlin-Halle 1993, S. 23; vgl. auch IWH-Konjunkturbericht, (1993) 2, S. 11.

  7. Vgl. Treuhandanstalt (THA), Zentrales Controlling, Monatsinformation der THA, Stand: 31. 12. 1993, S. 3.

  8. Vgl. ebd., S. 19. Nicht in dieser Rechnung enthalten sind die über eine Treuhandtochter -die sogenannten Genossenschaften der Produktion und des Handwerks (GPH) -privatisierten Unternehmen des Handels, die Hotels und die Gaststätten. Die Privatisierung dieser rund 19000 Objekte mit nunmehr rund 50000 Beschäftigten konnte schon Mitte 1991 abgeschlossen werden.

  9. Vgl. Frühjahrsgutachten 1993 (Anm. 6), S. 82f.

  10. Siehe hierzu auch den Beitrag von Manfred Wegner in diesem Heft.

  11. Einer der wenigen ernsthaften Versuche, den Unterschieden in den Mustern mentaler Verfaßtheit zwischen ost-und westdeutscher Gesellschaft systematischer auf den Grund zu gehen, findet sich in dem anregenden Diskussionsbeitrag von Lutz Marz, Dispositionskosten des Transformationsprozesses. Werden die mentalen Orientierungsnöte zum wirtschaftlichen Problem?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/92, S. 3-14.

  12. Zum hier verwendeten sozialwissenschaftlichen Kultur-begriff und den'Zusammenhängen zwischen Verhaltensprägungen, institutionellen Mustern und kulturellen Formen vgl. die grundlegenden Arbeiten von Rainer Lepsius; exemplarisch v. a.: Immobilismus. Das System der sozialen Stagnation in Süditalien, in: ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 170-210.

  13. Das novellierte Arbeitsförderungsgesetz (AFG) hat aus diesen Gründen vor allem mit den Regelungen, die sich aus dem neuen Paragraphen 249h ergeben, einige zusätzliche Möglichkeiten der Arbeitsförderung geschaffen; vgl. AFG i. d. F.des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 21. Dezember 1992, Bundesgesetzblatt (BGBl.) I 2094.

  14. Vgl. exemplarisch für solche Ansätze: Mathias Knuth, Eine Brücke zu neuen Ufern? Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturenwicklung (ABS-Gesellschaft) in den neuen Bundesländern, in: Sozialer Fortschritt, 41 (1992) 8, S. 177ff.; ebenso: Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen, Sofortprogramm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg“, o. O., o. J. (Potsdam 1991; unveröffentlichtes Typoskript).

  15. Vgl. Werner Friedrich, Schaffung von Arbeitsplätzen durch neue Selbständigkeit?, in: Kurt Vogler-Ludwig (Hrsg.), Perspektiven für den Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern, München 1991, S. 103ff.; Schätzungen bei Fred Klinger, Einflußfaktoren auf Soziale Integrationsprozesse, in: FS-Analysen, (1992) 2, S. 18f.; auf diese Quelle beziehen sich auch die nachfolgenden Angaben.

  16. Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zum Bruttoinlandsprodukt 1992.

  17. Noch 1990 lagen die Lohnstückkosten in der (westlichen) Bundesrepublik im internationalen Vergleich in einer Mittelposition; Großbritannien, die USA und Japan wiesen im volkswirtschaftlichen Durchschnitt einen deutlich höheren Anteil der Bruttoeinkommen am Bruttoinlandsprodukt aus; vgl. hierzu Claus F. Hofmann/Stephan Monse, Wirtschaftsstandort Deutschland. Relativ gute Position, in: Bundesarbeitsblatt, (1992) 9, S. 11.

  18. Vgl. Die Kapitalverflechtung der Unternehmen mit dem Ausland in den Jahren 1976 bis 1985, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 39 (1987) 3, hier S. 31; Kapitalverflechtung der Unternehmen mit dem Ausland -Stand Ende 1987 und aktuelle Entwicklung, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 41 (1989) 4, hier v. a. S. 30f.

  19. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1992 für die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1992, S. 697.

  20. Über 44 Prozent des Bestandes an ausländischen Direktinvestitionen, das sind 82 Milliarden DM, bestanden 1991 aus konzerninternen Krediten. Ihr Zuwachs wurde insbesondere durch das hohe Zinsniveau in Deutschland befördert. Vgl. Die Entwicklung der Kapitalverflechtung der Unternehmen mit dem Ausland von Ende 1989 bis 1991, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 45 (1993) 4, hier v. a. S. 37f.

  21. Eigene Berechnung nach Angaben des Statistischen Bundesamts sowie der Bundesanstalt für Arbeit.

  22. Vgl. Steffen Bode/Henry Zimmermann, Auf dem ostdeutschen Verarbeitenden Gewerbe lasten hohe Kosten, in: IWH-Konjunkturbericht, Ostdeutsche Industrie unter Kostendruck, (1993) 1, S. 13.

  23. Reinhard Bispinck, WSI-Tarifarchiv, Sind die Löhne schuld?, in: WSI Mitteilungen, 46 (1993) 3, S. 153.

  24. Ganz in diesem Sinne vgl. Klaus-Dieter Schmidt, Investition-und Beschäftigungsförderung: Wie viele Arbeitsplätze schafft der Markt?, in: Sozialer Fortschritt, 42 (1993) 8, S. 184f.; ähnlich Karl-Heinz Paque, Ein Test für die Tarif-autonomie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Januar 1993, S. 13.

  25. Vgl. VDI nachrichten vom 21. Februar 1993, S. 8.

  26. Für dasselbe textile Produkt kostet beispielsweise eine portugiesische Arbeitsstunde unter sonst gleichen Bedingungen etwas weniger als ein Fünftel der deutschen.

  27. So ist der Anteil der Privatwirtschaft am Gesamtbudget für Forschung und Entwicklung (F & E) von 62, 3 Prozent (1989) auf 58, 9 Prozent (1992) nicht nur deutlich zurückgegangen, er wurde durch staatliche Ersatzaufwendungen auch nicht kompensiert. Der Anteil der gesamten F & E-Aufwendungen am Bruttoinlandsprodukt ist daher auf 2, 58 Prozent gesunken; Vgl. Handelsblatt vom 12. August 1993, S. 4.

  28. Vgl. hierzu v. a. die lfd. Berichterstattung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH); hier IWH-Konjunkturbericht, (1992) i, S. 7-10. Die vorstehenden Angaben beziehen sich auf das Frühjahrsgutachten 1993 (Anm. 6), S. 73 f.

  29. Eigene Berechnung nach Angaben der Deutschen Bundesbank und des Statistischen Bundesamtes.

  30. Zitiert bei Hans-Gert Strübe MdB, Solidarisch Sozialpolitik gestalten, in: Bundesarbeitsblatt, (1992) 9, S. 7.

  31. Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes.

  32. In der Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes; sie ist nicht identisch mit dem Sozialbudget.

  33. Vgl. Wolfgang Scholz, Sozialbudget. Erstmals gesamtdeutsch, in: Bundesarbeitsblatt, (1993) 6, S. 5— 14; auf diese Quelle beziehen sich auch die folgenden Angaben.

  34. Vgl. dazu die zusammenfassende Berichterstattung von Udo Perina, Steuern statt Beiträge, in: Die Zeit vom 18. Juni 1993, S. 21.

  35. Barbara Riedmüller begründet beispielsweise den Sinn einer staatlich garantierten Grundsicherung für alle mit dem Verweis auf die Gemengelage fortgeschrittener Individualisierungsprozesse in einer modernen Gesellschaft, in der sich der „Konsens über die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit und Solidarität“ aufgelöst habe. Barbara Riedmüller, Sozialer Wandel und Sozialstaat, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (1993) 7, S. 395.

  36. Vgl. z. B. die Stellungnahme der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Engelen-Kefer, in: Handelsblatt vom 10. August 1993, S. 3; ähnlich die Ministerin des Landes Brandenburg Regine Hildebraftdt in: Der Tagesspiegel vom 29. Juli 1993, S. 8.

  37. Vgl. unter vielen James M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, Köln 1984, S. 209-235.

  38. Vgl. Philipp Herder-Dorneich, Sozialstaatskrise und soziale Ordnungspolitik, in: Philipp Herder-Domeich/Helmut Klages/Hans-Günther Schlotter (Hrsg.), Überwindung der Sozialstaatskrise. Ordnungspolitische Ansätze, Baden-Baden 1984, S. 30.

  39. Ulrich Beck, Risikogesellschaft, Frankfurt am Main 1986, S. 210.

  40. Vgl. Meinhard Miegel/Stephanie Wahl, Das Ende des Individualismus. Die Kultur des Westens zerstört sich selbst, Bonn 1993, hier S. 64 und S. 97ff.

  41. Hans Achinger hat schon Ende der sechziger Jahre mit heute beeindruckend weitsichtigen Überlegungen auf die möglichen Zusammenhänge von Sozialpolitik und Gesellschaftskrise aufmerksam gemacht. Er fragte danach, ob „eine Gesellschaft in Ordnung sein (könne), die in diesem Umfang künstlicher Eingriffe bedarf, um überhaupt menschenwürdige Verhältnisse zu schaffen, ja, zu funktionieren.“ Die durch staatliche Umverteilung alimentierten Sozialbeziehungen würden diffus, weil sie an elementarer, lebenspraktischer Verbindlichkeit einbüßten. Sozialpolitik erweise sich in diesem Zusammenhang als ein „Prozeß der Institutionalisierung und Verrechtlichung dessen, was früher gegenseitige Hilfe hieß, eine fortschreitende und immer erfolgreichere Entpersönlichung des Hilfsaktes, der als solcher schon gar nicht mehr bezeichnet werden kann, weil er einen Helfer, eine Person voraussetzen würde“. Hans Achinger, Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, Frankfurt am Main 19712, S. 60 und S. 133.

  42. Vgl. hierzu v. a. Kurt H. Biedenkopf, Die neue Sicht der Dinge. Plädoyer für eine freiheitliche Wirtschafts- und Sozialordnung, München-Zürich 1985, S. 113f. und passim.

Weitere Inhalte

Fred Klinger, Dr. rer. pol., geb. 1951; Studium der Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Russistik in Berlin und Glasgow; Freier Publizist, Wirtschafts-u. Politikberater in Berlin; bis 1993 wissenschaftliche Mitarbeit und Referententätigkeit u. a. am Zentralinstitut für Sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität und an der Forschungsstelle für deutsche und gesamteuropäische Integrationspolitik in Berlin. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Hans-Erich Gramatzki und Hans G. Nutzinger) Wissenschaft, Technik und Arbeit: Innovationen in Ost und West, Kassel 1990; Wirtschaftsentwicklung, Beschäftigungssystem, Bildungswesen, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.), Materialien zur Lage der Nation, Köln 1990; Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung strukturschwacher Regionen in den neuen Bundesländern, in: Rolf Reißig (Hrsg.), Rückweg in die Zukunft. Über den schwierigen Transformationsprozeß in Ostdeutschland, Frankfurt am Main-New York 1993.