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Produktionsstandort Ostdeutschland Zum Stand der Modernisierung und Erneuerung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern | APuZ 17/1994 | bpb.de

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APuZ 17/1994 Aufbau und Erneuerung Über die institutioneilen Bedingungen der Standortentwicklung in Deutschland Produktionsstandort Ostdeutschland Zum Stand der Modernisierung und Erneuerung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern Wirtschaftspolitik zur Verbesserung der Standortbedingungen in den neuen Bundesländern Industriepolitik in Ostdeutschland am Beispiel des Bundeslandes Sachsen

Produktionsstandort Ostdeutschland Zum Stand der Modernisierung und Erneuerung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern

Manfred Wegner

/ 18 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Transformationsschocks bei der Umwandlung der abgeschotteten Kommandowirtschaft der DDR in eine Marktwirtschaft hatten dramatische Folgen für Produktion und Beschäftigung. Die Strukturbrüche haben die unternehmerische, sektorale und regionale Landschaft in der ostdeutschen Wirtschaft gewaltig verändert. Das Grundkonzept der staatlichen Aufbaupolitik in Ostdeutschland zielt auf eine umfassende Kapitalmobilisierung und rasche Privatisierung. Seit 1991 nehmen die Investitionen mit zweistelligen Zuwachsraten zu, und seit 1992 wächst erstmals wieder das reale Bruttoinlandsprodukt. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum hat sich 1993 trotz der tiefen Rezession in Westdeutschland fortgesetzt, wobei die Investitionsdynamik offensichtlich nachzulassen beginnt. Der Aufbau und Strukturwandel in Ostdeutschland wird vor allem von den Infrastrukturinvestitionen einschließlich Energie und Wohnungsbau vorangetrieben, er ist asymmetrisch auf das Baugewerbe, die bauabhängigen Bereiche und lokale Absatzmärkte ausgerichtet und weitgehend transfergestützt. Aufgeholt haben die Dienstleistungen und vorangekommen ist der Aufbau eines Mittelstandes vor allem im Handwerk und Handel. Sorge bereitet jedoch die anhaltende Schwäche vieler Industriesektoren vor allem in der Investitionsgüterindustrie. Erst eine wettbewerbsfähige Industrie kann die längerfristige Zukunft und ein sich selbst tragendes Wachstum in Ostdeutschland sicherstellen. Trümpfe des ostdeutschen Standortes sind auf mittlere Sicht seine moderne Infrastruktur, die Verfügbarkeit von Land, von ausgebildeten und motivierten Arbeitskräften und seine geographische Lage zwischen dem Westen und Mittel-und Osteuropa.

I. Transformationsschocks und Aufbaukonzept

Abbildung 1: Reales Wachstum in den neuen Bundesländern: 1992 -1994* (jährliche Zuwachsraten gegenüber dem Vorjahr in Prozent) Quellen: reales BIP * Schätzungen. BIB = Bruttoinlandsprodukt reale Anlageinvestitionen Statistisches Bundesamt 1993; Institut für Wirtschaftsforschung Halle 1993 (für 1994).

Der Zusammenbruch des politischen Regimes der DDR und die sich daraus ergebende deutsche Einigung kamen unerwartet. Die Vorbereitungen der wirtschaftlichen Vereinigung und der Anschluß Ostdeutschlands an die Bundesrepublik konnten sich weder auf eine kohärdnte Transformationstheorie noch auf konkrete Vorbereitungen in Einzelbereichen stützen. Es lag daher nahe, sich auf das Beispiel des sogenannten „Wirtschaftswunders“ zu stützen, das Anfang der fünfziger Jahre den wirtschaftlichen Aufstieg Westdeutschlands geprägt hat. Die Versprechungen, in Ostdeutschland innerhalb von wenigen Jahren „blühende Landschaften“ zu schaffen, haben sich jedoch nicht erfüllt. Für die Wiederholung eines kräftigen und sich weitgehend selbst tragenden Wachstums und für eine Initialzündung fehlten fast alle Voraussetzungen. Die unrealistischen Erwartungen haben eher zu wirtschaftspolitischen Fehleinschätzungen und Fehlentwicklungen geführt, die nur mühsam und kostspielig korrigiert werden konnten An die Stelle der damaligen Euphorie sind heute vielerorts Enttäuschungen und manchmal sogar Resignation getreten.

Abbildung 3: Bruttoanlageinvestitionen nach Trägem in Mrd DM: 1992 -1994* (in Preisen von 1991) Quellen: Statistisches Bundesamt 1993; Institut für Wirtschaftsforschung Halle 1993 (für 1994).

Im vorliegenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob nach mehr als dreieinhalb Jahren ein negatives Urteil oder vorsichtiger Optimismus über den künftigen Produktionsstandort Ostdeutschland gerechtfertigt sind. Die folgende Analyse konzentriert sich auf den Stand des Transformationsprozesses und die allmählich sichtbar werdenden Entwicklungstrends vor allem im Industriebereich, weil hier über den längerfristigen Erfolg des Transformationsexperiments entschieden wird.

Tabelle 4: Bruttoanlageinvestitionen nach Sektoren: 1991-1994 (in Preisen von 1991) Quellen: Statistisches und 1994).

Entgegen den Ratschlägen der Ökonomen wurde aus politischen und wahltaktischen Überlegungen der große „Big Bang“, eine Superschock-Therapie, als Einigungskonzept gewählt. Sowohl die Übernahme der institutioneilen Infrastruktur, der Rechtsordnung, der wirtschaftlichen und sozialen Regelungssysteme aus Westdeutschland als auch die Einführung der D-Mark als neue Währung erfolgten schlagartig. Hinzu kam die vollständige und abrupte Liberalisierung der Preise, Märkte und Handelsbeziehungen, welche die ostdeutsche Wirtschaft fast ohne Übergangsfristen dem internationalen Wettbewerb aussetzten. Ein zentraler Bestandteil der Einigungsstrategie bestand in der raschen Privatisierung der bisher volkseigenen Kombinate und Betriebe durch die Treuhandanstalt. Diese Aufgabe wird offensichtlich bis Ende 1994 abgeschlossen sein. Schließlich kamen nach einer anfänglichen „Anschubfinanzierung“ umfangreiche staatliche Transferzahlungen zugunsten von Infrastrukturinvestitionen, von Subventionen für private Investitionen und Untemehmensgründungen sowie für Sozial-und Arbeitsmarktmaßnahmen hinzu. Die Finanzierungsleistungen stützen sich dabei vorwiegend auf den Bundeshaushalt sowie auf eine steigende Staatsverschuldung. Das teilweise durch „Versuch und Irrtum“ entstandene Transformationskonzept und -Instrumentarium ist also in seiner Intention hauptsächlich auf eine Kapitalmobilisierungspolitik und damit auf den möglichst raschen Strukturwandel und Aufbau einer modernen Infrastruktur und eines hochtechnologischen privaten Kapitalstocks ausgerichtet Über die Notwendigkeit und den Nutzen einer staatlichen Strukturpolitik im Sinne gezielter Wachstums-und industriepolitischer Eingriffe (z. B. durch die Treuhandanstalt) gibt es bis heute eine erregte Diskussion *Gegner dieser Politik -etwa zur Erhaltung industrieller Kerne -befürchten Strukturkonservierung und Fehlentwicklungen durch die Politisierung der Entscheidungsprozesse. Befürworter fordern ein langfristiges Strukturanpassungsprogramm, das sich auf den Aufbau einer industriellen Basis konzentriert und die verschiedenen globalen und regionalen Förderinstrumente unter Führung des Staates und mit Hilfe der Treuhandanstalt stärker als bisher miteinander verzahnt. Die Schaffung spezifischer wachstumspolitischer Rahmenbedingungen wurde den Ländern im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ übertragen, die wegen der zahlreichen Hindernisse und Mängel erst allmählich in Gang kam. Ob eine solche regionale Strukturpolitik für den Fall einer Totalkorrektur und eines flächendeckenden Aufbaus einer marktwirtschaftlichen Industriebasis ausreicht, soll hier nicht diskutiert werden

II. Gesamtwirtschaft: Stand, Entwicklung, Perspektiven

Tabelle 1: Reale Bruttowertschöpfung in Ostdeutschland: 1991-1994 (in Preisen von 1991) Quellen: Statistisches für Wirtschaftsforschung Halle 1993 (für 1994).

Die Auswirkungen beim Übergang von der weitgehend abgeschotteten östlichen Kommandowirtschaft zu einer dezentralisierten, offenen Marktwirtschaft waren dramatisch. Das Ausmaß und die Gründe dieser einmaligen Depression sind anderswo mehrfach beschrieben worden Gesamtwirtschaftlich sind die Fortschritte beim Aufbau der ostdeutschen Wirtschaft (einschließlich Berlin-Ost) inzwischen nicht zu übersehen. Nach dem dramatischen Einbruch von Produktion und Beschäftigung in den Jahren 1990 und 1991 hat das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1992 zum ersten Male wieder um fast 10 Prozent und 1993 um 7 Prozent zugenommen. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum könnte sich 1994 und 1995 mit Jahresraten zwischen 7 und 8 Prozent fortsetzen. Obgleich sich dieses globale Wachstum weitgehend auf den Bausektor, die baunahen Zulieferbereiche und einige Dienstleistungen stützt, nimmt seit 1993 auch die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe merklich zu. Die Aufwärtsentwicklung in den neuen Bundesländern gewinnt offensichtlich an Breite und berechtigt zur Hoffnung, daß sich dieser Trend mittelfristig fortsetzen wird, wenn der Strukturwandel sowie der Aufbau und die Modernisierung des Kapitalstocks nicht behindert und die staatlichen investiven Hilfen weiterlaufen werden. Eine Reihe von Anzeichen deutet außerdem daraufhin, daß der Rückgang der gesamten Erwerbstätigenzahl allmählich ausläuft (vgl. Abbildung 1). Trotzdem gibt es weiterhin Gründe zur Besorgnis. Der letzte Anpassungsbericht dreier Wirtschaftsforschungsinstitute vom September 1993 kommt zur Schlußfolgerung: „Tatsächlich ist die Konstitution aber noch immer schwach. Weiterhin ist die ostdeutsche Wirtschaft auf hohe Transfers angewiesen, und viele Unternehmen sind nur am Tropf staatlicher Hilfen überlebensfähig... Die ostdeutsche Wirtschaft braucht aber eine gesunde industrielle Basis, um von Transfers aus dem Westen unabhängig zu werden. Für diese Aufgabe zeichnen sich nach wie vor keine überzeugenden Lösungen ab.“

Tabelle 5: Gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität: 1992-1994 in den neuen Bundesländern (jährliche Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in Prozent) Quellen: Statistisches Bundesamt 1993; Institut für Wirtschaftsforschung Halle 1993 (für 1994).

Grund zur Hoffnung geben die bisher erreichten Fortschritte bei der Umwandlung der ostdeutschen Wirtschaft in eine Marktwirtschaft und die Investitionen -die entscheidende Variable des Aufbauprozesses. Der Strukturwandel ist bisher asymmetrisch verlaufen, noch sehr instabil und größtenteils transfergestützt. Detaillierte Analysen und Umfrageergebnisse haben auf die Nützlichkeit der staatlichen Förderung in den zurückliegenden dreieinhalb Jahren verwiesen Die knapper werdenden Ressourcen geben jedoch Anlaß zu der Frage, ob es sinnvoll ist, diese in der bisherigen Form weiterzuführen. Es gibt eine verwirrende Vielfalt von Instrumenten -die massiven globalen und regionalen Fördermittel werden weitgehend nach dem Gießkannenprinzip, also eher ungezielt eingesetzt -, über deren koordinierten Einsatz nachzudenken wäre.

Die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote (als Anteil an der Inlandsverwendung) bleibt mit über 30 Prozent ungewöhnlich hoch und zwar trotz der westdeutschen Rezession. Das Volumen der Bruttoanlageinvestitionen wird mit fast zwei Dritteln von den Bauinvestitionen dominiert, kommt also weitgehend dem Aufbau der ostdeutschen Infrastruktur (einschließlich Wohnungsbau, Energie und Verkehr) zugute. Die gesamten Bruttoanlageinvestitionen sind von 1991 bis 1993 real um jährlich rund 20 Prozent gewachsen und werden pro Einwohner 1994 das westdeutsche Niveau übertreffen. Der Investitionsboom verliert jedoch offensichtlich seine frühere Dynamik. Die realen Ausrüstungsinvestitionen, der Kernbereich der industriellen Modernisierung, wuchsen 1993 noch um 8 Prozent und dürften 1994 nur noch um rund 6 Prozent zunehmen. Natürlich sind die realen Zuwachsraten auf der Entstehungsseite des BIP zum einen auch Reflex des niedrigen Ausgangsniveaus infolge des steilen Produktionseinbruchs in den Jahren 1990 und 1991 (um insgesamt 45 Prozent beim realen BIP und 65 Prozent bei der Nettoproduktion des Verarbeitenden Gewerbes) und zum anderen das Ergebnis massiver Transferleistungen und staatlicher Hilfen. Das heißt: Der Aufbau der ostdeutschen Wirtschaft wird weitgehend von außen alimentiert und entspricht daher noch längst keinem sich selbst tragenden Wachstum

1. Produktion und Beschäftigung: Entwicklungstrends

Der Strukturwandel der ostdeutschen Wirtschaft war gewaltig und einschneidend. Ebenso differenziert wie die Schrumpfung verläuft die seit 1992 sichtbar werdende Aufwärtsentwicklung der Produktion nach großen Wirtschaftsbereichen. Ganz eindeutig sind es das Produzierende Gewerbe, das die Bereiche Bergbau, Energie, Verarbeitende Industrie und das Baugewerbe umfaßt, und die Dienstleistungsunternehmen, die das globale Wachstum in Ostdeutschland vorantreiben (vgl. Tabelle 1).

Die Expansion des Produzierenden Gewerbes insgesamt geht vor allem auf boomartige Zuwächse (jährlich teilweise um 30 Prozent) des Baugewer-bes zurück, die sich allmählich zurückbilden und neuerdings durch eine Aufwärtsentwicklung des verarbeitenden Sektors ergänzt werden. Ebenso dramatisch ist die Anpassung bei den Beschäftigten verlaufen -Folge der im Industriebereich und auch in der Landwirtschaft radikalen und einmaligen Bereinigung der wenig konkurrenzfähigen Produktionsstruktur, die noch nicht zu Ende ist. Von den ursprünglich 10 Millionen Beschäftigten sind bis Ende 1993 nur noch rund 5, 7 Millionen reguläre Arbeitsplätze übriggeblieben. Mehr als die Hälfte der Beschäftigungsverluste entfallen auf die Industrie.

In Ostdeutschland geht die Sorge um, daß die anhaltende Anpassungskrise zu einer Verödung der industriellen Basis führen könnte, die sich nur sehr langfristig wieder umkehren lassen würde. Ende 1993 machte die Industrieproduktion in Ostdeutschland nur noch vier Prozent der gesamtdeutschen Produktion aus. Der Anteil der Wertschöpfung des Warenproduzierenden Gewerbes, der einmal bei über 60 Prozent der Gesamtwirtschaft lag, ist bis 1991 auf rund 36 Prozent geschrumpft. Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes am BIP ist dabei heute geringer als der des Baugewerbes. Inzwischen wird die Entstehungsseite des BIP fast zu zwei Dritteln von den Dienstleistungen dominiert, wobei auf den Staatssektor (einschließlich private Haushalte und Organisationen ohne Erwerbszweck) mit fast 24 Prozent ein ungewöhnlich hoher Anteil entfällt, der in Westdeutschland nur bei nahezu 14 Prozent liegt (vgl. Tabelle 2).

Die Deindustrialisierung der ostdeutschen Wirtschaft spiegelt sich vor allem im Abbau der industriellen Beschäftigung wider. Im Verarbeitenden Gewerbe (einschließlich Klein-und Handwerksbetriebe) ist die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 1989 und 1993 um mehr als 2, 1 Millionen, das sind fast zwei Drittel, geschrumpft. Der Anteil dieses Bereichs an der Gesamtbeschäftigung betrug 1993 nur noch 21 Prozent (gegenüber 35 Prozent im Jahre 1989) und nimmt auch noch 1994 ab. Der Industriebesatz, die Zahl der Erwerbstätigen im Verarbeitenden Gewerbe je 1000 Einwohner, lag 1993 bei 82, in Westdeutschland bei 130. Der Prozeß des Abbaus von Arbeitsplätzen läuft außerdem auch noch in der Landwirtschaft (deren Beschäftigungsanteil einst 10 Prozent betrug und 1993 nur noch bei knapp 4 Prozent lag), im Verkehr und im Staatsbereich weiter.

2. Zur Entwicklung des Verarbeitenden Gewerbes

Die Nettoproduktion des Verarbeitenden Gewerbes hat sich im vierten Quartal 1993 im Vergleich zum Vorjahr um 11, 1 Prozent erhöht (und damit mehr als drei Viertel des Niveaus der zweiten Hälfte 1990 erreicht). Auch bei der Analyse des Verarbeitenden Gewerbes darf man nicht bei einer Globalbetrachtung stehenbleiben. Aus der Entwicklung der Nettoproduktionsindizes (vgl. Abbildung 2 und Tabelle 3) geht hervor, daß sich die industrielle Aufwärtsbewegung fast ausschließlich auf Bereiche konzentriert, die vom Bauboom, wie der Stahl-und Leichtmetallbau, die Eisen-, Blech-und Metallwarenbranche sowie die Steine-und Erdenindustrie, oder von der lokalen Verbrauchemachfrage profitieren, wie das Druckereigewerbe, die Mineralölverarbeitung sowie das Nahrungs-und Genußmittelgewerbe. Letzteres spürt seit einiger Zeit die Rückorientierung der ostdeutschen Verbraucher, konnte allerdings bislang kaum auf westdeutsche Märkte Vordringen. Alle Industriezweige, deren Produkte auf internationalen Märkten gehandelt werden und dem Wettbewerb ausgesetzt sind -wie die der Textil-und Schuhindustrie, des Maschinenbaus und der Elektrotechnik -, haben sich noch nicht von den massiven Schlägen und Verlusten in den vorangegangenen Jahren erholt. Eine Ausnahme davon macht der Straßenfahrzeugbau, wo die großen Neuinvestitionen auf der grünen Wiese (Opel, VW) jetzt produktionswirksam werden. In den ersten vier Quartalen 1993 hat dort die Produktion um 53 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen, obwohl damit die Pkw-Fertigung nur 2 Prozent der gesamtdeutschen Pkw-Produktion ausmacht.

Einstmals gehörten der Maschinenbau und die Chemische Industrie zu den Vorzeigebranchen der DDR-Industtie, die große Teile Mittel-und Ost-europas belieferten. Beide liegen (noch) am Boden und beschäftigen vielleicht nur noch ein Viertel der früheren Erwerbstätigen. Ohne die Mineralölindustrie sind in der Ostchemie von den ursprünglich 180000 Beschäftigten drei Jahre nach der Vereinigung nur noch rund 45000 Arbeitsplätze (oft allerdings nur mit Kurzarbeit) übriggeblieben (im Chemiedreieck Halle-Merseburg-Bitterfeld/Wolfen noch 23400). Der Großteil der nicht mehr Beschäftigten ist dort in Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Struktur-entwicklung (ABS-Gesellschaften) untergekommen, die in den neuen Bundesländern zur Sanierung maroder Staatsbetriebe und Umwelt-verbesserung gegründet wurden. Im Maschinenbau und in der Chemischen Industrie sind noch eine große Anzahl von Firmen in Treuhandbesitz.

Nach Befragungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) im September 1993 lag die Kapazitätsauslastung in der ostdeutschen Industriebei durchschnittlich 66 Prozent, bei einem Viertel der Unternehmen sogar unter 50 Prozent. Die allgemeine Wettbewerbsschwäche der ostdeutschen Industrie manifestiert sich auch im Exportbereich. Seit dem Schrumpfen der Exporte in den Jahren 1990 und 1991 um zwei Drittel stagnieren die ostdeutschen Ausfuhren. Vom Exportausfall sind vor allem das Investitionsgütergewerbe betroffen. Die Lieferungen des ostdeutschen Schienenfahrzeugbaus kommen nicht ohne Hermes-Bürgschaften aus. Die Gründe für die Schwäche im Außenhandel liegen einmal in der bisher einseitigen Lieferstruktur nach Mittel-und Osteuropa und zum anderen in der unzureichenden Wettbewerbsfähigkeit ostdeutscher Produkte, im Fehlen von Marktinformationen und bekannter Markennamen sowie in der nur zögernd aggressiven Exportstrategie ostdeutscher Unternehmen. Eines der großen Handicaps für die Modernisierung des ostdeutschen Standorts stellt das rapide Verschwinden der Forschungskapazitäten dar. Von den einstmals 75000 industrienahen Forschem sind gegenwärtig vielleicht noch 13000 tätig. Dem Tiefpunkt der Industrieforschung entspricht der Absturz der Patentaktivitäten, die z. Zt. ein Niveau von 15 Prozent des Jahres 1989 erreicht haben. Die Forschungsförderung durch Bund und Länder konnte bisher kaum die Innovationsschwäche der ostdeutschen Wirtschaft überwinden helfen. Ein weiterer Nachteil der Kostenpeitsche durch exzessive Löhne ist, daß sie eine Rationalisierung über wenig beschäftigungsintensive Prozeßinnovationen erzwingt, statt beschäftigungsschaffende Produktinnovationen zu fördern.

Mittelstand Die DDR-Wirtschaft wurde durch die großen Kombinate (128) dominiert, die fast autarke Untemehmenskonglomerate waren und oft zugleich (wie in Eisenhüttenstadt) Monostrukturen aufwiesen. Die einstigen industriellen Dinosaurier sind in der Regel nicht überlebensfähig gewesen. Ihre Zerlegung durch die Treuhandanstalt war daher eine Notwendigkeit, wenngleich damit auch die Gefahr einer Zerstörung von vernetzten Industrieräumen einherging. Selbständige mittelständische Unternehmen gab es in der DDR-Wirtschaft -außer im Kleinhandwerk -fast nicht mehr. Mit der deutschen Einigung sind neue klein-und mittelständische Unternehmen entstanden, deren Dynamik und Flexibilität einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der ostdeutschen Wirtschaft leisten. In den neuen Bundesländern gibt es schätzungsweise rund 450000 kleine und mittlere Betriebe (einschließlich Freie Berufe). Die Gesamtzahl der Beschäftigten in den mittelständischen Betrieben wird vom Institut für Mittelstandsforschung Bonn auf 2, 5 bis 3 Millionen geschätzt. Relativ rasch haben sich Handwerksbetriebe und der mittelständische Handel entwickelt. Wenig befriedigend ist dagegen der Aufbau des industriellen Mittelstandes. Die Zahl der Unternehmen wurde hier für Ende 1992 auf 7000 geschätzt (alte Bundesländer rund 100000), das ist gegenüber Westdeutschland ein Verhältnis von 1: 14. Entweder ist die Industrie-basis noch allzu zerbrechlich und ungewiß, oder die Fördermaßnahmen für den industriellen Mittelstand sind unzureichend geblieben. Das IWH hat die Zahl der Beschäftigten von Klein-und Mittelbetrieben im Verarbeitenden Gewerbe auf ungefähr 500000 beziffert. In den Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten waren im Herbst 1993 nur noch rund 675000 tätig. Mit einem weiteren Rückgang auf 630000 wird bis Ende 1994 gerechnet.

3. Dienstleistungen und öffentlicher Bereich

Die Dienstleistungen i. w. S. (also Handel, Verkehr, Dienstleistungsunternehmen und Staat) haben kräftig aufgeholt. Durch hohe Investitionen von insgesamt 100 Milliarden DM zwischen 1991 bis 1993 hat sich das Versorgungsangebot im Dienstleistungsbereich (ohne Staat und Wohnungsvermietung) deutlich verbessert. Das Wachstum wurde vor allem durch die Dienstleistungsunternehmen, und zwar im Kredit-und Versicherungsgewerbe, Handel, Nachrichtenwesen und Gastgewerbe einschließlich Tourismus, getragen. In einigen Regionen gibt es bereits Anzeichen für einen Überbesatz von Handelseinrichtungen

Bis Ende 1993 hat hier die Zahl der Selbständigen auf rund 350000 zugenommen und damit drei Viertel des westdeutschen Pro-Kopf-Niveaus erreicht. Die Welle der Neugründungen bei den Dienstleistungsunternehmen i. e. S. und Freien Berufen (Gastgewerbe, Bildung, Wissenschaft, Kultur, Unterhaltung, Gesundheits-und Veterinär-wesen sowie übrige Dienstleistungsunternehmen) dürfte allerdings ihren Höhepunkt überschritten haben. Der große Nachholbedarf bei den unternehmensbezogenen Dienstleistungen wird gegenwärtig noch durch die Schwäche der industriellen Kernbereiche gebremst.

Von 1989 bis 1994 werden im Handel und Verkehr rund 410 000 Erwerbsplätze verlorengehen und bei den Dienstleistungsunternehmen rund 580000 Arbeitsplätze geschaffen werden, so daß der Nettozuwachs insgesamt nur 170000 beträgt. Dem stehen jedoch Beschäftigungsverluste von insgesamt 815000 Personen im öffentlichen Bereich gegenüber, dessen Freisetzungspotentiale noch längst nicht erschöpft sind. Eine weitere Zunahme der Dienstleistungsbeschäftigung hängt zum einen von wachsenden Realeinkommen der privaten Haushalte und zum anderen von der Entwicklung einer breiteren industriellen Basis ab.

III. Investitionen und Arbeitsproduktivität

Tabelle 2: Bruttowertschöpfung* und Beschäftigung in den neuen und in den alten Bundesländern: 1989-1993 (Anteile in Prozent) Quellen: Statistisches Bundesamt 1993 und 1994; Institut für Wirtschaftsforschung Halle 1993 (Erwerbstätige).

Der Stand in der Modernisierung und Erneuerung der ostdeutschen Wirtschaft läßt sich vielleicht am besten anhand der Investitionen und der Fortschritte in der Arbeitsproduktivität beschreiben.

Investitionen Die Entwicklung der realen Bruttoanlageinvestitionen nach Trägem geht aus der Abbildung 3 hervor. Am schnellsten haben die Wohnungsbau-investitionen zugenommen; sie könnten 1994 fast 20 Prozent der Gesamtinvestitionen ausmachen, die private Wirtschaft (einschließlich Treuhand und ausländische Unternehmen) beansprucht dagegen fast die Hälfte. Rund ein Drittel entfällt auf die öffentliche Hand (Gebietskörperschaften, Bundespost und Verkehrsunternehmen). Die Verbesserung der Infrastruktur im Verkehrs-und Telekommunikationsbereich hat große Fortschritte gemacht. Der Telefonbestand je 1000 Einwohner lag Ende 1993 in Ostdeutschland -trotz etwa 27 Milliarden DM Investitionen in die Telekommunikation und der Installation von rund 2, 3 Millionen neuer Telefonanschlüsse -noch um die Hälfte niedriger als in den alten Bundesländern, wird aber bis spätestens 1997 das westdeutsche Niveau erreichen In Gang gekommen sind Altlastenbeseitigung und Umweltinvestitionen, wobei sich vor allem die Schadstoffemissionen verringert haben In der Planung befinden sich die Megaprojekte wie zum Beispiel der neue Berlin-Flughafen. Berücksichtigt man die massive staatliche Förderung privater Investitionen, dann liegt der Anteil der öffentlichen Finanzierungsquellen bei deutlich über der Hälfte. Im Jahre 1994 wird der Anteil der Investitionen westdeutscher Unternehmen (1993: rund 33 Milliarden DM) nicht mehr weiter steigen, weil das Engagement im Verarbeitenden Gewerbe als Folge der Rezession zurückgeht. IWH-Befragungen deuten auf ein Sinken der Investitionsbereitschaft westdeutscher Unternehmen hin, das nur teilweise durch den steigenden Anteil ausländischer Investitionen kompensiert werden wird.

Die realen Bruttoanlageinvestitionen haben sich von 1991 bis 1994 auch sektoral sehr unterschiedlich entwickelt (vgl. Tabelle 4). Die stärkste Dynamik wird in der Wohnungswirtschaft, im Baugewerbe (vor allem im Ausbaugewerbe) und im Energiebereich sichtbar, wo nach Beendigung des Rechtsstreits zwischen den großen Energieversorgungsunternehmen und den Kommunen der Nachholbedarf durchschlägt.

Arbeitsproduktivität Die Arbeitsproduktivität hat rasch zugenommen, nicht zuletzt als Folge des schnellen Beschäftigungsabbaus, der wiederum durch den explosiven Lohnanstieg beschleunigt wurde. Der Abstand zu Westdeutschland macht, als Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen gemessen, z. Zt. noch rund 55 Prozent aus, und vermindert sich ebenso langsam wie die Kostenlücke, die Differenz zwischen Pro-Kopf-Löhnen und Produktivität. Die Lohnstückkosten sind 1993 erstmals gesunken.

Die Messung der Arbeitsproduktivität wirft schwierige Fragen der Definition auf (Auslastungsgrad der Kapazitäten, Arbeitsinput u. a.). Bereits die Verwendung verschiedener Arbeitsinputs führt zu unterschiedlichen Zuwachsraten (vgl. Tabelle 5)

Aus der ersten Kostenstrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes geht hervor, daß die Wert-schöpfung je Beschäftigten im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe 1991 nur noch bei 20 Prozent des westlichen Niveaus lag Auch in der gegenwärtigen Transformationsphase wirtschaftet der Großteil der Industriebetriebe noch mit Verlusten. Anfang 1993 waren erst etwa 20 Prozent der ostdeutschen Firmen in der Gewinnzone. Das Tempo im Aufholprozeß gegenüber Westdeutschland und die Unterschiede zwischen Treuhand-und Ex-Treuhandfirmen kann man am Umsatz je Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe beobachten An diesem Produktivitätsmaß gemessen liegen die Treuhandunternehmen um zehn Prozentpunkte niedriger als die Ex-Treuhandfirmen, die 1993 nur 55 Prozent des westdeutschen Standes erreicht haben (1991: 36 Prozent). Die größten Produktivitätsforschritte sind 1993 im Nahrungsgewerbe (75 Prozent) aufgetreten, am weitesten hinkt das Grundstoff-und Produktionsgütergewerbe (41 Prozent) hinterher.

IV. Regionalentwicklung und Standortprobleme

Abbildung 2: Ostdeutsche Industrieproduktion in wichtigen Branchen: 1992 und 1993 (Index der Nettoproduktion: 2. Halbjahr 1990 = 100) Quelle: Statistisches Bundesamt 1994.

Die erste Phase der Anpassungskrise hat mehr oder minder fast alle Regionen Ostdeutschlands gleichermaßen erfaßt. Erst neuerdings ergeben sich mit den sektoralen Krisen -wie im Braunkohlen-und Kalibergbau, im Maschinenbau oder der Chemischen Industrie -auch wachsende regionale Divergenzen und Standortprobleme. Die Unterschiede treten bereits heute in den Unterbeschäftigungsquoten (Arbeitslose, Kurzarbeiter, Personen in Fortbildung und Umschulung, Empfänger von Vorruhestandsgeld sowie Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Prozent der Erwerbs-bevölkerung) nach Arbeitsamtsbezirken zutage, die im Herbst 1993 zwischen 13 Prozent (Berlin-Ost, Dresden) und 34 Prozent (Neubrandenburg, Annaberg) streuten. Krisenregionen sind entweder ehemals stark landwirtschaftlich genutzte Gebiete in peripherer Lage oder alte Industrie-regionen mit ausgeprägter Monostruktur sowie teilweise hoher Umweltbelastung (wie z. B. im Chemiedreieck Halle-Bitterfeld-Merseburg). Die Krisenregionen sind das Ergebnis vielfältiger Ursachen. Zu den Engpässen bei der Regionalentwicklung gehören immer noch die Verkehrsinfrastruktur, die Hindernisse bei der Mobilität von Arbeitskräften, die Wohnungsmängel, die Umwelt-und Lebensqualität sowie Verwaltungsdefizite und Planungsengpässe.

Diese Standortnachteile sprechen dafür, daß die regionalen Divergenzen in Ostdeutschland in Zukunft weit größer als in Westdeutschland ausfallen werden und sich vermutlich nur sehr langsam durch regionalpolitische Anstrengungen bekämpfen lassen. Das falsche, weil kostspieligste Rezept wäre die pauschale „Erhaltung industrieller Kerne“, die vielfach gefordert wird und den Strukturwandel sowie den Aufbau wettbewerbsfähiger Produktionsstandorte verlangsamen würde. Trotzdem ist noch viel zu tun beim Abbau der auch weiterhin noch bestehenden Investitionshindernisse, bei der Bereitstellung effizienter Verwaltungen und bei der Förderung einer leistungsfähigen Industrieforschung

Mit einiger Sicherheit werden im Süden der neuen Bundesländer die alten Industriezentren zwischen Chemnitz, Leipzig, Jena und Halle Wiedererstehen. Im Großraum Berlin dürfte sich ein dynamisches Dienstleistungs-sowie Kommunikations-und Kulturzentrum bilden, das nach Mittel-osteuropa ausstrahlen könnte. Mit großen Schwierigkeiten werden jedoch die Grenzregionen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu kämpfen haben, um den Entwicklungsabstand und die regionale Arbeitslosigkeit zu vermindern. Es ist also zu befürchten, daß ein doppeltes regionales Gefälle von Nord nach Süd sowie von West nach Ost entsteht.

V. Versuch einer zusammenfassenden Wertung

Tabelle 3: Nettoproduktion im Produzierenden Gewerbe Ostdeutschlands: 1992 und 1993 (Indizes, 2. Halbjahr 1990 = 100) Quelle: Statistisches Bundesamt 1992 und 1993.

Das Grundkonzept der Aufbaupolitik in Ostdeutschland zielt darauf, attraktive Standortbedingungen für Investitionen sowie neue Arbeitsplätze durch Infrastrukturinvestitionen und massive Investitionsförderung zu schaffen. Mit dieser Kapitalmobilisierungs-und Modernisierungspolitik und einer raschen Privatisierung sollen die Voraussetzungen für ein anhaltendes Wachstum und für hochproduktive und dauerhafte Arbeitsplätze entstehen.

Die Transformationsanstrengungen haben sich jedoch als mühsamer und die finanziellen Hilfen als kostspieliger herausgestellt als erwartet. Der Grund dafür ist der gewaltige Kapitalbedarf für den Umbau einer maroden Kommandowirtschaft einerseits und die rasch anschwellenden sozialen und konsumtiven Transferzahlungen andererseits, die sich aus der exzessiven Lohnanpassung und den Arbeitsplatzverlusten ergaben.

In den beiden letzten Jahren ist dennoch ein gesamtwirtschaftliches Wachstum in Gang gekommen, das angesichts der tiefen Rezession in Westdeutschland erstaunt und sich auch fortsetzen dürfte. Die entscheidenden Wachstumsimpulse kamen bisher aus dem Baugewerbe und von den Dienstleistungsuntemehmen und strahlen neuerdings auch vom Verarbeitenden Gewerbe aus. Die sektorale Entwicklung in der Industrie ist jedoch bisher höchst differenziert und teilweise einseitig auf die lokalen Märkte -und nicht auf den Absatz in die alten Bundesländer und den Export -ausgerichtet geblieben. Damit ist die Schaffung einer wettbewerbsfähigen Industriebasis noch keineswegs gesichert.

Die vorsichtige Zuversicht hinsichtlich des Aufbaus der ostdeutschen Wirtschaft leitet sich aus der anhaltenden Investitionstätigkeit und dem überraschenden Tempo in der Privatisierung ab, die demnächst abgeschlossen sein wird. Der Erneuerungsprozeß wird immer noch vor allem von den Infrastrukturinvestitionen einschließlich des Energie-und Wohnungsbereichs vorangetrieben. Sie sind eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für private Investitionsvorhaben. Ostdeutschland wird auf mittlere Sicht das Land mit der modernsten Infrastruktur Europas und vielleicht der Welt werden. Weitere Trümpfe für seine Standortattraktivität liegen in der Verfügbarkeit von Land, ausgebildeten und motivierten Arbeitskräften und in seiner geographischen Lage als Verbindung zwischen dem Westen und Mittel-und Osteuropa. Über die längerfristige Zukunft Ostdeutschlands wird der Aufbau einer wettbewerbsfähigen Industrie entscheiden. Trotz seiner landschaftlichen Attraktionen wird es weder als Tourismus-und Golfland noch als Naturschutzreservat überleben können. Auch eine dynamische Dienstleistungsgesellschaft braucht eine industrielle Basis, wenn dauerhafte Arbeitsplätze entstehen sollen. Die dazu notwendigen Rahmenbedingungen sind von der Wirtschaftspolitik mehr oder weniger geschaffen worden, wenn auch kostspieliger und mühsamer als ursprünglich erwartet. Eine wichtige Rolle beim Aufbau müßten kleinere und mittlere Industrieunternehmen spielen.

Eine effiziente Wachstumspolitik muß von allen Akteuren in Ostdeutschland getragen werden: den Tarifpartnern, den Ländern und Kommunen, dem Handwerk und den großen sowie kleinen Unternehmen. Neben attraktiven Standortbedingungen in Ostdeutschland sind vor allem risikobereite private Unternehmer und unbürokratische, flexible Verwaltungen nötig. Beide Faktoren sind zu allen Zeiten eine Mangelerscheinung.

Der Aufbau einer ostdeutschen Industriebasis und eines wettbewerbsfähigen Produktionsangebotes erfordert Zeit. Unerläßlich ist jedoch auch eine starke, wachstumsorientierte westdeutsche Wirtschaft, um die massiven Transferströme finanzieren zu können, und eine prosperierende europäische Wirtschaft. Den Aufbau Ostdeutschlands würden sichtbare Erfolge in den mittel-und osteuropäischen Reformländern befördern. Umgekehrt könnte die rasche Umwandlung der ostdeutschen Wirtschaft die Länder in Mittel-und Osteuropa ermutigen. Drei einzigartige und umwälzende Aufgaben werden Deutschland länger als ein Jahrzehnt intensiv beschäftigen und alle seine Kräfte beanspruchen: Es gilt erstens Ostdeutschlands wirtschaftlichen Rückstand aufzuholen, zweitens den osteuropäischen Nachbarländern bei ihren marktwirtschaftlichen Reformen zu helfen und drittens die europäische Integration fortzusetzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Manfred Wegner, Politische Einigung als ökonomische Schocktherapie -eine Bilanz, in: Hans-Ulrich Klose (Hrsg.), Deutschland im Jahre drei, Göttingen 1991.

  2. Vgl. hierzu die verschiedenen Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seit 1990, Stuttgart.

  3. Vgl. z. B. Jan Priewe/Rudolf Hickel, Der Preis der Einheit -Bilanz und Perspektiven der deutschen Einigung, Frankfurt, am Main 1991; Horst Sieben, Das Wagnis der Einheit. Eine wirtschaftspolitische Therapie, Stuttgart 1993.

  4. Vgl. hierzu die Beiträge von Michael Heise und Dirk Nolte in diesem Heft.

  5. Vgl. u. a. Gerlinde Sinn/Hans-Wemer Sinn, Kaltstart -Volkswirtschaftliche Aspekte der deutschen Vereinigung, München 1991; Lutz Hofmann, Warten auf den Aufschwung -Eine ostdeutsche Bilanz, Regensburg 1993.

  6. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin und Institut für Weltwirtschaft Kiel unter Mitarbeit des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische Anpassungsfortschritte in Ostdeutschland (Neunter Bericht), Berlin und Kiel, im September 1993.

  7. Vgl. Institut für Wirtschaftsforschung Halle, Herbstgutachten 1993, Halle 1993; Institut der Deutschen Wirtschaft, Investitionsförderung in den neuen Bundesländern, in: iwtrends, (1993) 3.

  8. Siehe hierzu auch den Beitrag von Fred Klinger in diesem Heft.

  9. Vgl. Institut für Wirtschaftsforschung Halle (Anm. 7).

  10. Im Jahre 1988 waren nur 17 Prozent der Haushalte mit Telefonen ausgestattet.

  11. Vgl. Jens Horbach/Walter Komar, Wirtschaftsentwicklung und Umweltsituation in den neuen Bundesländern, in: Institut für Wirtschaftsforschung Halle (Hrsg.), Wirtschaft im Systemschock, Berlin 1994.

  12. Vgl. Statistisches Bundesamt, Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in den neuen Bundesländern, November 1993; Statistisches Bundesamt, Erste Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 1993, Fachserie 18, Reihe 1. 1., Wiesbaden, Januar 1994.

  13. Vgl. Luitpold Uhlmann, Industrie: Gewinne West -Verluste Ost, in: ifo Schnelldienst, München 1993, S. 35-36.

  14. Vgl. Sozialökonomische Strukturanalysen (SÖSTRA) und Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, Beschäftigungsperspektiven von Treuhanduntemehmen und Ex-Treuhandfirmen -Befragung April 1993, Berlin, Oktober 1993.

  15. Siehe hierzu Gerhard Heimpold/Martin Junkerheinrich, Regionale Wirtschaftspolitik in den neuen Bundesländern; Manfred Wölfling, Nachholende Modernisierung in der ostdeutschen Industrie: das Beispiel Sachsen-Anhalt, beide in: Institut für Wirtschaftsforschung Halle (Hrsg.), Wirtschaft im Systemschock, Berlin 1994.

Weitere Inhalte

Manfred Wegner, Dr. rer. pol., geb. 1931; u. a. Stellvertretender Generaldirektor in der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel; Vorstandsmitglied im Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung; zuletzt Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Veröffentlichungen u. a.: Die Entdeckung Europas. Die Wirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden 1992; (Hrsg.) Die neuen Bundesländer in der EG, Baden-Baden 1993; Fachaufsätze über Arbeitsmarkt, Produktivität, Konjunktur-, Wachstums-und Währungspolitik vor allem in der Europäischen Gemeinschaft.