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Armut verstehen Betrachtungen vor dem Hintergrund der Bremer Langzeitstudie | APuZ 31-32/1995 | bpb.de

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APuZ 31-32/1995 Das empirische Bild der Armut in der Bundesrepublik Deutschland -ein Überblick Sozialpolitik und arbeitsmarktbedingte Armut. Strukturmängel und Reformbedarf in der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit Armut verstehen Betrachtungen vor dem Hintergrund der Bremer Langzeitstudie Was gehört zum notwendigen Lebensstandard und wer kann ihn sich leisten? Ein neues Konzept zur Armutsmessung „Stadt“ als Ort und als Ursache von Armut und sozialer Ausgrenzung

Armut verstehen Betrachtungen vor dem Hintergrund der Bremer Langzeitstudie

Monika Ludwig/Lutz Leisering/Petra Buhr

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In sozialpolitischen Diskussionen gilt es als weitgehend geklärt, mit welchen Formen und Ursachen von Armut wir es in Deutschland zu tun haben. Diese Selbstverständlichkeiten sollen im vorliegenden Beitrag in Frage gestellt und neuere, komplexere Erklärungen skizziert werden. Dies geschieht anhand der Kontroverse um die neue „dynamische" Sicht von Armut, also die Betrachtung von Armutslagen im Zeitverlauf. Zugrunde liegen Ergebnisse der Bremer Langzeitstudie von Sozialhilfeempfängem. Drei Aspekte von Armut werden beleuchtet: die unterschiedlichen Verlaufsmuster individueller Armutslagen („Verzeitlichung von Armut“), der Umgang der Betroffenen mit ihrer Lage („Arme verstehen“) und der Strukturwandel von Armut und Ungleichheit im Zuge gesellschaftlichen Wandels („Armutswandel verstehen“). Zudem wird erstmals zusammenfassend auf die Kritik an der dynamischen Sichtweise eingegangen („Armut verstehen“). „Verzeitlichung“ besagt, daß Armut und Sozialhilfebezug von sehr unterschiedlicher, meist nur begrenzter Dauer sind. Neue Berechnungen für die neunziger Jahre zeigen, daß Kurzzeitbezug sogar zu-und der Anteil von Langzeitfällen abnimmt. Im Abschnitt „Arme verstehen“ werden die Lebenssituationen und Bewältigungsformen verdeutlicht, die hinter kurzem oder langem Bezug stehen. Im Abschnitt „Armutswandel verstehen“ wird gezeigt, daß Armut heute nicht nur mit Ausgrenzung einhergeht („Zweidrittelgesellschaft“), sondern gleichzeitig und stärker sozial „entgrenzt“ ist, also zunehmend in mittlere Schichten jenseits traditioneller Randschichten hineinreicht. Zudem ist Armut nicht nur auf Verhältnisse am Arbeitsmarkt, sondern auch auf Wandlungen der Familie, der Generationenbeziehungen und ethnischer Konstellationen zurückzuführen. Die Politik ist gefordert, diesen neuen Realitäten Rechnung zu tragen.

I. Schwierigkeiten mit der Armut

Schaubild 1: Sinkende Bezugsdauer in der Sozialhilfe -die achtziger und neunziger Jahre im Vergleich Quelle: Bremer Langzeitstudie, Sonderforschungsbereich 186 und Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, Senator für Gesundheit, Jugend und Soziales der Freien Hansestadt Bremen.

Westliche Gesellschaften haben derzeit Schwierigkeiten mit der Armut. Armut nimmt überhand. Die Regierungen sehen sich gezwungen, wie derzeit in Deutschland und in den USA, tiefgreifende Reformen der Sozialhilfe in die Wege zu leiten, um der Kostenexplosion staatlicher Hilfen Herr zu werden. Zugleich ist die Armutsdiskussion in Schwierigkeiten geraten. Die politische Öffentlichkeit tut sich schwer, Armut zu verstehen. Der Diskurs ist gespalten: Für sozial engagierte Beobachter sind Armut und soziale Spaltung ganz selbstverständlich drängende Probleme, und es gilt als grundsätzlich geklärt, mit welchen sozialen Fehlentwicklungen wir es zu tun haben. Auch Gegenmaßnahmen seien bekannt, ihre Durchsetzung scheitere nur an starken wirtschaftsliberalen Interessen. Für manche Politiker und Vertreter der Wirtschaft, aber wohl auch für große Teile der Bevölkerung ist dagegen Armut kein Thema, wird nicht als wichtiger Aspekt der sozialen Entwicklung in Deutschland gesehen, höchstens als finanzpolitisches Problem.

Aber auch jenseits von Ideologie und Tagespolitik zeigt die reale Armutsentwicklung in Deutschland bei näherem Hinsehen Züge, die nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen sind. So hat sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger seit 1970 vervierfacht (von 1, 2 Prozent der Bevölkerung 1970 auf 4, 8 Prozent 1993; Hilfe zum Lebensunterhalt), auch die Wohnungslosigkeit hat zugenommen, aber die Einkommensarmut stagniert seit 10 Jahren bei 10 bis 12 Prozent der Bevölkerung. In den neuen Bundesländern sind historische 40 Prozent der Erwerbsbevölkerung „freigesetzt“ worden, zugleich wachsen dort die Einkommen schneller als im Westen, und Armut, gemessen am Weststandard, geht in großen Schritten zurück (von 27 Prozent 1990 auf 14 Prozent 1994) Schließlich gibt es Anzeichen verfestigter, vom Rest der Bevölkerung abgespaltener Armut, aber gleichzeitig reichen Arbeitslosigkeit und Armut zunehmend in ehedem gesicherte Bevölkerungsschichten hinein.

Die Schwierigkeiten, ein vermeintlich so elementares Phänomen wie Armut zu verstehen, sollen in diesem Beitrag am Beispiel der Ergebnisse der „dynamischen“ Armutsforschung und der Kontroverse um diese neue Forschungsrichtung näher beleuchtet werden. Denn die dynamische oder lebenslauftheoretische Forschung -also die Betrachtung von individuellen Armutsverläufen über einen längeren Zeitraum -kommt zu dem Ergebnis, daß Kurzzeitarmut und kurzer Sozialhilfebezug der typische Fall, langanhaltende Armut dagegen auf Minderheiten beschränkt ist. Dies widerspricht diametral der Annahme, daß immer mehr Menschen dauerhaft ausgegrenzt werden und Langzeitfälle unter den Armen und Arbeitslosen vorherrschen und zunehmen. Wenn man beide Sichtweisen ernst nimmt, also unterstellt, daß jede auf ihre Weise Aspekte der sozialen Wirklichkeit in Deutschland widerspiegelt gilt es, den Gründen der Widersprüchlichkeit nachzugehen und zu übergreifenden Deutungsmustern zu kommen.

Die dynamische Armutsforschung kommt aus den USA und ist in den neunziger Jahren in Europa, vor allem in England und Deutschland, auf­ gegriffen worden. In diesem Beitrag geht es insbesondere um die Bremer Langzeitstudie von Sozialhilfeempfängern, in deren Rahmen eine repräsentative Stichprobe stadtbremischer Neuantragsteller auf Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) des Jahres 1983 sechs Jahre lang, bis 1989, beobachtet wurde Eine Untersuchung von Sozialhilfeverläufen in den neunziger Jahren ist in Arbeit, ebenso wie eine Untersuchung in den neuen Bundesländern.

In Abschnitt II geben wir zunächst einen sehr kurzen Abriß einiger bereits veröffentlichter quantitativer Ergebnisse, erstmals erweitert um Ergebnisse zu Sozialhilfeverläufen in den neunziger Jahren (1989-1994). In den folgenden Abschnitten geht es darum, einem Verständnis des Armutsproblems auf drei Ebenen näherzukommen: In Teil III („Arme verstehen“) werden Ergebnisse des erst kürzlich abgeschlossenen qualitativen Teils der Untersuchung dargestellt, der auf Interviews mit Hilfeempfängern beruht. Teil IV („Armut verstehen“) geht der Kritik an der „dynamischen“ (zeitbezogenen) Forschung nach. In Teil V („Armutswandel verstehen“) werden Folgerungen für die Interpretation des Strukturwandels von Armut und Gesellschaft gezogen.

II. „Verzeitlichung“ von Armut

Schaubild 2: Unterschiedliche Bezugsdauer arbeitsloser Sozialhilfeempfänger Datengrundlage und Quelle: wie Schaubild 1 (aber nur Neuantragsteller des Jahres 1983 sowie Beobachtungszeitraum von 6! 4 Jahren; vgl. Anm. 5; vorläufige Berechnungen ergeben ähnliche Werte für Bezugsverläufe 1989-1994). Graphik erstellt von Andreas Weber.

Sozialhilfeverläufe sind in zeitlicher Hinsicht sehr vielfältig und häufig nur von kurzer Dauer. Die meisten der Neuantragsteller des Jahres 1983 konnten den Sozialhilfebezug innerhalb des Beobachtungszeitraums von sechs Jahren beenden, lediglich ein knappes Fünftel befand sich am Ende des Untersuchungszeitraums noch (oder wieder) im Bezug. Fast die Hälfte aller Bezieher ist nach längstens einem Jahr wieder aus der Hilfe ausgeschieden und innerhalb des Erhebungszeitraums nicht wieder sozialhilfeabhängig geworden. Ein knappes Viertel aller Neuantragsteller sind Langzeitbezieher, die mit oder ohne Unterbrechungen fünf Jahre und länger Sozialhilfe in Anspruch genommen haben.

Aufgrund unserer Annahmen zu gesellschaftlichem Wandel sowie einschlägiger Befunde für die Sozialhilfeentwicklung in Bielefeld in den achtziger Jahren hatten wir vermutet, daß die Bezugs-zeiten in der Sozialhilfe immer kürzer, nicht länger werden. Dies widerspräche allen Erwartungen, die in der aktuellen Diskussion zu Armut und Arbeitslosigkeit geäußert werden. Die ersten, vorläufigen Zahlen über die Neuantragsteller des Jahres 1989, beobachtet bis Ende 1994, belegen unsere Vermutung (Schaubild l) Der Anteil von Kurzzeitbeziehem ist in den neunziger Jahren gestiegen, der von Langzeitbeziehern gefallen.

Im Verlaufe einer „Sozialhilfekarriere“ kann es mehr oder weniger lange Zeiten der Unabhängigkeit von Sozialhilfe geben. So weisen 40 Prozent der Empfänger im Beobachtungszeitraum mehr als eine Bezugsepisode auf. Nur ein knappes Zehntel der Neuantragsteller hat ununterbrochen fünf Jahre und länger Hilfe bezogen. Nur bei diesen kann von Sozialhilfe als dauerhafter Grundsicherung oder „rentenähnlicher Dauerleistung“ gesprochen werden. Dabei handelt es sich besonders häufig um Alleinerziehende, alleinstehende Frauen und ältere Personen, während alleinstehende Männer und Arbeitslose seltener vertreten sind. Der hohe Anteil von Kurzzeitbeziehern kann als Ausdruck beschleunigten sozialen Wandels und entsprechender individueller Risiken im Erwerbs-und Familienleben gesehen werden. Auch die politische Deregulierung des Arbeitsmarktes hat dazu beigetragen, daß Erwerbsbiographien heute unsteter und ungesicherter sind. Individuelle Lebensläufe sind vielfältiger und weniger vorhersehbar geworden. Hierzu gehört das Risiko eines zumindest vorübergehenden Absinkens unter die Armutsgrenze, etwa nach einer Scheidung, bei Arbeitslosigkeit oder zwischen Ausbildungs-und Berufsbeginn.

Die Ursachen für Kurzzeitbezug sind entsprechend vielfältig. Hilfebezug ist dabei zum Teil sozialstaatlich herbeigeführt. Etwa die Hälfte der Kurzzeitbezieher und ein Drittel aller Empfänger sind „Wartefälle“, d. h., Sozialhilfe wird bezogen, bis beantragte Leistungen vorrangiger Träger einsetzen, insbesondere Arbeitslosengeld und Rente Die andere Hälfte der Kurzzeitbezieher setzt sich aus unterschiedlichsten Gruppen zusammen; Arbeitslose, aber auch Asylbewerber, Auszubildende, Personen mit besonderen sozialen Problemen und solche, die durch familiale Ereignisse in den Bezug gekommen sind.

Arbeitslosigkeit geht also -in Umkehrung herrschender Vorstellungen -eher mit kürzerer als mit längerer Sozialhilfedauer einher. Arbeitslose, bei denen weitere Probleme hinzukommen, etwa gesundheitliche oder familiäre Schwierigkeiten, beziehen allerdings deutlich länger Sozialhilfe als andere Gruppen von Arbeitslosen, wie generell die Dauer der Sozialhilfe mit der Anzahl von Problemen steigt. Die „Multiproblemfälle“ unter den Arbeitslosen stehen im Mittel fast zweieinhalb Jahre im Hilfebezug. Arbeitslose, die lediglich auf Auszahlung bereits bewilligter Arbeitslosenunterstützung warten, beziehen dagegen im Mittel nur vier Monate Sozialhilfe. Dazwischen liegen Arbeitslose, die keine zusätzlichen Probleme haben, aber nicht nur „warten“ (Schaubild 2).

Einem großen Teil der Neuantragsteller ist es also gelungen, nach relativ kurzer Zeit wieder unabhängig von der Hilfe zu werden und zu bleiben. Dies führt zu einer Frage, die anhand der amtlichen Sozialhilfestatistik bislang nicht beantwortet werden konnte: Welches sind die Ursachen für das Ende des Bezugs? Ein gutes Drittel aller Sozialhilfeverläufe endet dadurch, daß vorrangige Leistungen einsetzen oder wieder einsetzen. Etwa ein Viertel der Hilfeempfänger beendet den Bezug durch Arbeitsaufnahme, den Beginn einer Ausbildung oder Umschulung oder durch Wechsel von Teil-zu Vollzeitarbeit. Daneben gibt es eine Vielzahl anderer Ausstiegsgründe, so Heirat, freiwilliger Verzicht, Bundeswehr oder Zivildienst, Haft-antritt und Tod. Die Ausstiegsursachen hängen mit bestimmten Einstiegsursachen zusammen, so endet bei „Wartefällen“ der Hilfebezug besonders häufig durch Einsetzen vorrangiger Leistungen und bei nicht wartenden Arbeitslosen durch Arbeitsaufnahme. Die Ausstiegsursachen lassen sich jedoch nicht eindeutig aus den Einstiegsursachen herleiten. Hier ist vielmehr in Rechnung zu stellen, daß sich Sozialhilfeverläufe häufig aus mehreren Episoden zusammensetzen und die Bezugsursachen im Zeit-verlauf wechseln können.

III. Arme verstehen

Was verbirgt sich hinter der äußerlich beobachtbaren Vielfalt von Sozialhilfeverläufen? Welche Lebensschicksale, welche individuellen Problem-lagen stehen dahinter? Wie ist etwa der hohe Anteil vorübergehenden Hilfebezugs plausibel zu machen? In der Öffentlichkeit wird oft die Ansicht vertreten, daß Arme keine Handlungsspielräume haben, insbesondere ohne Chance sind, den Sozialhilfebezug zu beenden. Wir haben aktuelle und ehemalige Sozialhilfeempfänger in offenen biographischen Interviews selbst zu Wort kommen lassen, um ihrer Handlungsperspektive auf die Spur zu kommen. Dabei zeigte sich, daß die Betroffenen ihre Probleme ganz unterschiedlich erleben und verarbeiten Wir haben drei Bewältigungsmuster gefunden: verfestigter Sozialhilfebezug, aktive Bewältigung eines dauerhaften Lebens in der Sozialhilfe und aktive Überwindung der Sozialhilfe. 1. Verfestigung der Sozialhilfe Diese Gruppe von Armen entspricht weitgehend dem althergebrachten Armutsbild. Einige Personen erleben die Sozialhilfe tatsächlich als „Teufelskreis“. Es handelt sich überwiegend um jüngere, alleinstehende Männer. Sie sind langzeitarbeitslos, gering qualifiziert und beziehen dauerhaft Sozialhilfe. Diese Hilfeempfänger wollen erwerbstätig sein, aber aufgrund kumulativer Benachteiligungen wie Krankheit und Behinderung oder aufgrund von früherem „abweichenden Verhalten“ wie Kleinkriminalität haben sie heute objektiv wenig Chancen, dauerhaft ins Erwerbsleben zurückzukehren.

Auch mit den Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug -Geldknappheit, soziale Isolation, Langeweile -kommen diese Personen kaum zurecht. Selbst kleine Versuche, die Armutslage erträglich zu machen, scheitern. Mit der Zeit macht sich Hoffnungslosigkeit breit, und die Probleme verfestigen sich.

Um diese Personen wieder in die Gesellschaft einzugliedern, müßten vielfältige individuelle Probleme bearbeitet werden. Hierfür stehen zwar bewährte sozialpolitische und sozialpädagogische Maßnahmen bereit. Aber paradoxerweise kommen gerade Personen mit kumulativen sozialen Problemen nicht in den Genuß bestehender Hilfe-angebote, sie werden vielmehr nicht selten davon ausgeschlossen. Behördenmitarbeiter schreiben sie ab, weil sie behindert sind, eine kriminelle Karriere hinter sich haben oder auf andere Weise „auffällig“ geworden sind. So erzeugt oder verstärkt der Sozialstaat mitunter soziale Probleme, statt die Betroffenen zu unterstützen

Bei verfestigtem Sozialhilfebezug verengen sich die Handlungschancen der Betroffenen tatsächlich. Dies trifft auf die beiden anderen Armutsgruppen jedoch nicht zu, sie widersprechen geläufigen Bildern über Arme. 2. Aktive Bewältigung eines dauerhaften Lebens in der Sozialhilfe Auch Angehörige dieser Gruppe können den Hilfebezug nicht beenden, aber anders als Personen mit verfestigtem Sozialhilfebezug gehen sie mit den Folgen ihrer objektiven Chancenlosigkeit gut um -sie stellen sich auf die dauerhafte Armutslage ein und bewältigen sie aktiv. Die Betroffenen sind trotz vieler Einschränkungen und Unannehmlichkeiten im großen und ganzen mit ihrem Leben zufrieden, da sie dennoch wichtigen eigenen Interessen nachgehen können.

Die lange Dauer des Hilfebezugs ist bei diesem Typus nicht, wie bei verfestigtem Sozialhilfebezug, allein auf Langzeitarbeitslosigkeit zurückzuführen. Vielmehr gibt es ein breites Spektrum sozialer Probleme: Wir finden alleinerziehende Frauen, die die ersten Jahre mit ihrem Kind mit Sozialhilfe überbrücken, aber auch langzeitarbeitslose ältere oderkranke Personen, die sich damit abgefunden haben, kaum Chancen am Arbeitsmarkt zu haben, sowie einige langzeitarbeitslose junge Männer, die eine Phase ihres Lebens bewußt mit Sozialhilfe abstützen. Und es gibt ältere Frauen, die ihre Rente aufstocken. Gemeinsam ist allen, daß Wege in den Arbeitsmarkt zumindest mittelfristig nicht gangbar sind.

Die Sozialhilfe übernimmt hier die Funktion einer dauerhaften, rentenähnlichen Existenzsicherung. Die finanzielle Dauerversorgung durch Sozialhilfe ist in diesem Rahmen eine rationale sozialpolitische Lösung, da ein Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt bei den meisten objektiv nicht möglich ist. Die Betroffenen haben auch sonst keine auffälligen sozialen Probleme. Sie kommen mit ihrem Alltagsleben zurecht und sind sozial integriert. Daher sind weitergehende Maßnahmen wie psychosoziale Hilfen nicht nötig. Sie brauchen vor allem eine angemessene finanzielle Unterstützung. 3. Aktive Überwindung der Sozialhilfe Die Personen aus dieser Gruppe beenden nach kurzer, mittlerer oder auch langer Dauer endgültig den Hilfebezug und beziehen auch in der Folgezeit nicht erneut Sozialhilfe. Die Problemprofile der einzelnen Personen unterscheiden sich stark. Wir finden hier Personen, die nur wenige Monate auf die Auszahlung von vorrangigen Sozialleistungen warten, vor allem Arbeitslosengeld und Rente. Ferner gehören Personen dazu, die kurz-oder mittelfristig krank oder arbeitslos sind. Und schließlich gibt es ledige, geschiedene oder getrennt lebende Frauen, die wegen der Erziehung eines Kindes für längere Zeit Sozialhilfe beziehen. Gemeinsam ist diesen Personen, daß ein Austritt aus der Sozialhilfe von vornherein wahrscheinlicher ist, weil sie jung und gut ausgebildet sind oder weil ihre Probleme absehbar nur von begrenzter Dauer sind, etwa bei einer vorübergehenden psychischen Krise oder Krankheit. Auch bestimmte Muster von Arbeitslosigkeit sind hier einzuordnen.

Diese günstigen Austrittschancen sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß die betroffenen Personen selbst am Weg aus der Sozialhilfe entscheidend mitwirken. Sie fassen einen Austritt von vornherein ins Auge und wirken darauf hin. Die Sozialhilfe wird als finanzielle Rückendeckung gesehen, um individuelle Krisen und soziale Probleme anzugehen und zu überwinden oder einen Übergang, etwa in eine Ausbildung, abzustützen.

Bei dieser Gruppe von Armen ist die Sozialhilfe sozialpolitisch kein Problemerzeuger und auch keine finanzielle Dauerversorgung. Vielmehr wirkt sie als -manchmal länger gedehnte -Ubergangshilfe. Die Betroffenen überwinden vorübergehende Notlagen selbständig, und die Sozialhilfe unterstützt dies finanziell.

Die drei vorgestellten Bewältigungsmuster unterscheiden sich grundlegend voneinander: Verfestigter Sozialhilfebezug liegt vor, wenn Personen ihre benachteiligte Lebenslage aus eigener Kraft nicht verändern kühnen und der Sozialstaat die Probleme eher verstärkt als abmildert. Zu einer aktiven Bewältigung des Lebens in der Sozialhilfe kommt es, wenn Personen mit den Folgen einer objektiven Chancenlosigkeit besser umgehen können und dabei vom Sozialstaat abgesichert werden. Eine aktive Überwindung der Sozialhilfe -der mit mehr als 75 Prozent vorherrschende Typ -ist bei Personen gegeben, die eine vorübergehende Risikolage erfahren und diese früher oder später selbständig, aber mit finanzieller Unterstützung von seiten des Sozialamts überwinden.

IV. Armut verstehen

Die Ergebnisse der dynamischen oder lebenslauf-theoretischen Armutsforschung sind überraschend, auch für uns selbst, und nicht ohne weiteres zu „verdauen“. Sie laufen herkömmlichen Ansichten über Armut und Sozialhilfe zuwider. Von daher sind sie auf vielfaches Interesse und teilweise heftige Kritik in der wissenschaftlichen und politischen Öffentlichkeit gestoßen Anhand einer Diskussion der wichtigsten Kritikpunkte versuchen wir zu zeigen, daß auch ungewohnte und intuitiv zunächst nicht naheliegende Ergebnisse bei näherer Überlegung plausibel sein können. Es ist ein Versuch, die komplexe Wirklichkeit von Armut besser zu verstehen und zugleich die Schwierigkeiten der Analyse von Armut ins Bewußtsein zu heben. 1. „Die Bremer Ergebnisse können nicht verallgemeinert werden“

Viele Kritiker meinen, daß unsere Ergebnisse zu Verzeitlichung und Heterogenisierung von Armut nicht über Bremen hinaus repräsentativ seien. Zudem dürften Befunde zur Armut der achtziger Jahre -auf die sich unsere Forschung bislang beschränkt hat -nicht auf die zunehmend krisenhaften neunziger Jahre übertragen werden. Seither habe die Langzeitarbeitslosigkeit kontinuierlich zugenommen, so daß von einer Zunahme der Langzeitarmut auszugehen sei.

Vergleiche mit anderen Studien -sowie die oben erwähnten eigenen Ergebnisse zu Sozialhilfeverläufen in den neunziger Jahren -verdeutlichen jedoch, daß die Verhältnisse im Bremen der achtziger Jahre durchaus nicht untypisch sind. Eine Untersuchung von Sozialhilfeverläufen in Bielefeld bestätigte die Befunde im wesentlichen ebenso bundesweite Längsschnittanalysen von Einkommensarmut (s. Punkt 3). Armut und Sozialhilfebezug erweisen sich in allen westlichen Gesellschaften als verzeitlicht, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß In den neuen Bundesländern ist Armut sogar noch „beweglicher“ als in Westdeutschland. So führt etwa Arbeitslosigkeit seltener zu Einkommensarmut und zu kürzeren Armutsphasen, was durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren plausibel zu machen ist Auch hat Langzeitarbeitslosigkeit im Deutschland der neunziger Jahre nicht zu längeren Bezugsdauern in der Sozialhilfe geführt; sie hat in den Jahren 1984 bis 1988 ihren Höchststand erreicht, dem wir uns erst jetzt wieder nähern (31 Prozent aller Arbeitslosen im Juli 1994). Im Vergleich zu den sechziger Jahren haben die Arbeitslosen die Alten als wichtigste Gruppe in der Sozialhilfe abgelöst, wodurch eine langfristige Verkürzung der Bezugszeiten plausibel ist. Schließlich haben Untersuchungen in anderen Städten auch unsere qualitativen Befunde bestätigt, daß Hilfeempfänger vielfach handlungsfähig sind und die Sozialhilfe teilweise als Instrument zur aktiven Lebensgestaltung einsetzen 2. „Längsschnittanalysen unterschätzen Langzeitbezug“

Verständnisprobleme gibt es auch immer wieder in bezug auf die Methode der Armutsmessung. Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Man kann eine Gruppe von Personen betrachten, die an einem bestimmten Stichtag Sozialhilfe beziehen. Eine solche Querschnittmessung erfaßt nur aktuell Arme, liefert also Informationen über aktuelle soziale Problemlagen. Bei einer Längsschnittmessung werden dagegen auch ehemalige Arme erfaßt, etwa indem man alle Personen betrachtet, die in den letzten zehn Jahren zeitweise oder länger Sozialhilfe bezogen haben. Die Bremer Studie hat eine besondere Längsschnittausrichtung: Personen, die 1983 einen Erstantrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt gestellt haben, wurden 1989 rückblickend untersucht, einschließlich derer, die vielleicht schon 1984 den Bezug dauerhaft beenden konnten.

Kritiker wenden ein, daß bei Längsschnittmessung Langzeitarmut unterschätzt werde. In der Tat erfaßt man bei Querschnittuntersuchungen mehr Langzeitfälle, nämlich all jene, die irgendwann einmal arm geworden sind und es bis zum Stichtag geblieben sind. Sie schichten sich über die Jahre auf („Kumulationseffekt“, „Bugwelleneffekt“). Für Personen, die nur vorübergehend arm sind, ist es dagegen unwahrscheinlicher, bei einer Stichtagsmessung erfaßt zu werden. Dieser große und laufend wechselnde Personenkreis wird daher bei Querschnittbetrachtung unterschätzt. Die Lösung ist: Weder Längsschnitt-noch Querschnittmessung ist „falsch“. Vielmehr sind jeweils unterschiedliche Interessen und Perspektiven angesprochen. Eine Querschnittsmessung informiert vor allem über Fragen, die für die unmittelbare politische Problembearbeitung von Bedeutung sind. So kann die aktuelle fiskalische und administrative Belastung aufgezeigt werden, analog zur Bettenbelegung in einem Krankenhaus. Dies entspricht der Art und Weise, wie Sozialbehörden und Verbände, aber auch Sach-und Sozialarbeiter vor Ort die anstehenden Probleme wahrnehmen. Es ist eine Rechnungshofperspektive, eine Verwaltungsoptik, bei der Langzeitfälle tatsächlich mehr ins Gewicht fallen -als Kostenfaktor und als Klienten, die die Sozialarbeiter im Alltag mehr als andere in Anspruch nehmen.

Die Längsschnittperspektive vermittelt dagegen eine individuelle Optik. Nur sie erlaubt es, die genaue Vielfalt individueller Lebenswege zu erfassen -auch Wege aus der Armut, während bei Stichtagsmessung zukünftige Wege aus der Armut naturgemäß ausgeblendet sind. Nur in der Längsschnittoptik kann man überhaupt die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der jemand den Sozialhilfebezug überwindet oder nicht überwindet. Nur so kann ermittelt werden, welche Lebenschancen die Betroffenen haben -und wie wirksam soziale Hilfen mittel-und langfristig wirklich sind. 3. „Armut kann nicht auf Sozialhilfebezug eingeschränkt werden“

Häufig wird dem Bremer Projekt vorgehalten, daß es einen zu engen Armutsbegriff gebrauche. Bei Sozialhilfeempfängern habe man es nur mit dem politisch „bekämpften“ Teil von Armut zu tun, die immer noch hohe Dunkelziffer werde ebenso ausgeblendet wie Armut knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze sowie besonders betroffene Rand-gruppen. Zudem sei die Sozialhilfeschwelle eine politisch festgelegte, in den letzten Jahren mehrfach „gedeckelte“ Armutsgrenze. Wer den Sozialhilfebezug beenden könne, sei damit noch nicht unbedingt der Armut entkommen. Hinter dieser Kritik verbirgt sich der Vorwurf der „Verharmlosung“ von Armut: Durch den Bezug auf Sozialhilfe werde letztlich die Zahl der Armen herunter-gerechnet. Bei „bereinigten“ Armutszahlen schwinde der politische Handlungsdruck.

Armut kann in der Tat nur angemessen verstanden werden, wenn ihre sehr verschiedenen Erscheinungsformen betrachtet werden. Aus diesem Grund haben wir in allen unseren Veröffentlichungen auch andere Formen von Armut neben Sozialhilfebezug angesprochen, vor allem Einkommensarmut, wie sie seit 1990 anhand des Sozioökonomischen Panels (SOEP), einer jährlichen Wiederholungsbefragung von mehreren tausend deutschen Privathaushalten, untersucht wird. Entsprechende Analysen bestätigen die Bremer Befunde Auch Einkommensarmut unabhängig von bzw. oberhalb der Sozialhilfeschwelle ist „verzeitlicht“, mit viel Kurzzeit-und wenig Dauerarmut. Die Armutsbevölkerung fluktuiert stark. In jedem Jahr kommen neue Personen hinzu und treten alte ab. Deshalb werden Armutszahlen bei Längsschnittmessungen gerade hoch-, nicht herunter-gerechnet: Im Zeitraum von 1984 bis 1992 lagen 31 Prozent der Bevölkerung mindestens zeitweise unter 50 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens, während es in einem festen Stichjahr jeweils nur 10 bis 12 Prozent waren.

Im übrigen gibt es auch eine noch wenig beachtete dynamische Arbeitslosenforschung, die in bezug auf Verlaufsmuster und biographische Verarbeitung von Arbeitslosigkeit zu vergleichbaren Ergebnissen kommt wie die hier beschriebene Forschung in bezug auf Armut

Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll und legitim, Sozialhilfebezug als eine wichtige Form von Armut zu untersuchen. Denn bei Sozialhilfeempfängern ist nicht nur der Mangel an Geld problematisch, sondern auch die mit Hilfebezug verbundene Diskriminierung, Stigmatisierung und negative Selbst-definition. Diese wird mit dem Ausscheiden aus dem Bezug von Sozialhilfe überwunden. Aber auch finanziell stehen sich Ex-Hilfeempfänger häufig deutlich besser, was etwa bei Arbeitsaufnahme oder Heirat auch plausibel sein kann

Es wird auch argumentiert, daß zwar „Edelarmut“ wie Sozialhilfebezug von Akademikern verzeitlicht und individualisiert sein mag, nicht aber Randgruppenarmut. Gerade „harte“ Problemlagen wie Obdachlosigkeit und Nichtseßhaftigkeit dauerten lange, oft lebenslang an. Zwar fehlen entsprechende aktuelle Untersuchungen, jedoch verweisen schon die Ergebnisse von Studien aus den siebziger Jahren auf „verzeitlichte“ Formen auch vonRandgruppenarmut. So konnten viele obdachlose Personen eine Notunterkunft nach einiger Zeit wieder verlassen. Auch Nichtseßhaftigkeit mündet vermutlich nur bei einer Minderheit in einen Dauerzustand In unserer Studie fanden wir zudem, daß Sozialhilfebezug auch ein sozialer Aufstieg sein kann, nämlich wenn Nichtseßhaftigkeit dadurch verhindert wird. 4. „Armut ist kein individuell-biographisches, sondern ein gesellschaftsstrukturelles Problem“

Oft wird an der Bremer Studie kritisiert, daß sie gesellschaftsstrukturelle Bedingungen von Armut ausblende und sich einseitig auf das Handeln einzelner Personen konzentriere. Damit sei man nicht mehr weit von bekannten „rechten“ Armutsbildern entfernt: „Arme sind an ihrem Schicksal selbst schuld.“ Entsprechende sozialpolitische Folgen würden nicht lange auf sich warten lassen.

Selbstverständlich ist Armut „gesellschaftlich“ bedingt. (Welt-) wirtschaftlicher Strukturwandel, die Verhältnisse am Wohnungsmarkt und in der Wohnungspolitik und der Wandel familialer Lebensformen sind wesentliche Faktoren. Entscheidend ist jedoch, und dies untersucht die Bremer Forschergruppe, wie gesellschaftliche Strukturen in unterschiedlicher Weise auf einzelne einwirken und wie Betroffene damit umgehen. Dabei sind Arme nicht bloß passive Opfer der sozialen Verhältnisse. Sie haben von Fall zu Fall unterschiedliche Probleme, Vorerfahrungen und Handlungsorientierungen. Dies macht es plausibel anzunehmen, daß Menschen auch unter sehr eingeschränkten Bedingungen einen gewissen Handlungsspielraum haben: Sie reagieren, wie wir feststellen konnten, sehr unterschiedlich auf eine gegebene Situation materieller Not. Diese Unterschiede im Umgang mit Armut auszuloten ist politisch sicherlich brisant und könnte zur Begründung von Sozialabbau mißbraucht werden: , Die Passiven sind selbst schuld an ihrer Lage, und die Aktiven brauchen ohnehin keine staatliche Hilfe. 4

Es ist schwierig, Hilfebedürftigkeit und Selbsthilfe-fähigkeit gemeinsam zu betrachten -und doch ist dies eine Voraussetzung, um Armut zu verstehen und in der sozialen Praxis zu arbeiten. * S.

Wir haben dazu die Betroffenen selbst zu Wort kommen lassen, ihre Erzählungen ernst genommen und nachgespürt, wie Armutsbedingungen erlebt, verarbeitet und bewältigt werden. Manche Ergebnisse mögen überraschen, wie die relative Zufriedenheit einiger alleinerziehender Frauen mit der Sozialhilfe. Dies wurde uns zum Teil als zynisch vorgehalten, aber es spiegelt die reale Widersprüchlichkeit von Lebenssituationen, bei denen die Beschränkungen eines Lebens in Sozialhilfe beispielsweise der Abhängigkeit von einem unerträglichen Ehemann vorgezogen werden. Sicherlich „rationalisieren“ Befragte auch -beschönigen oder dramatisieren -, aber dies kann durch sorgfältiges Vorgehen kontrolliert werden. 5. „Die dynamische Armutsforschung ist politisch gefährlich“

Wenn das Bremer Projekt darauf hinweist, daß Armut häufig von kurzer Dauer ist und auch bei längerem Bezug nicht zwangsläufig psychisch und sozial marginalisiert, dann werde Armut, so unsere Kritiker, relativiert, heruntergerechnet, verharmlost -und damit als politisch nicht vordringlich dargestellt. In einer Zeit verschärfter Verteilungskämpfe sei dies schädlich, weil einer rigiden Sparund Disziplinierungspolitik Vorschub geleistet werde.

Schaut man sich allerdings die tatsächlichen politischen Folgen der Bremer Forschung an, so stößt man nur auf zwei konkrete -reformpolitisch positiv zu bewertende -Auswirkungen: In der reformierten Bundessozialhilfestatistik, die seit 1994 angewendet wird, wird erstmals auch die Bezugs-dauer erhoben. Und die „Entdeckung“ der „Wartefälle“ in der Sozialhilfe hat dazu geführt, daß in Bremen, im Rahmen der Seehofer-Reform demnächst möglicherweise auch bundesweit, Maßnahmen ergriffen werden, um Arbeitslose nicht aufgrund verzögerter Auszahlung von Arbeitslosengeld zu Sozialamtsfällen werden zu lassen.

Sicherlich ist die Einsicht in die „Verzeitlichung“ und Heterogenisierung von Armut für sozial engagierte Bürger in Parteien, Verbänden und örtlichen Initiativen auch deshalb schwer zu akzeptieren, weil sie sich nicht in eingängige politische Forderungen übersetzen läßt, auch quer zu „links“ und „rechts“ liegt. Anhand der oben beschriebenen drei Typen des Sozialhilfebezugs -verfestigter Bezug, aktive Bewältigung, Überwindung -kann aber gezeigt werden, daß auch das neue, differenziertere und umfassendere Bild der Armut geeignet ist, Reformszenarien zu konturieren: Verfestigte Armut verweist auf Nachholbedarfe bei denHilfen für die sozial Schwächsten. Gerade ihnen kommt am wenigsten Hilfe zu. Hier ist individuelle Förderung durch besondere Arbeitsangebote und psychosoziale Hilfen vonnöten. Menschen in bewältigter Armut sind durch die Sozialhilfe leidlich versorgt, wären aber durch Sockelung der Sozialversicherung und anderer vorrangiger Leistungen besser bedient. Bei überwundener Armut hat die Sozialhilfe ihre Funktion als Überbrückungshilfe erfüllt.

Allen drei Gruppen wäre gedient durch Ausbau der Sozialhilfe zu einer modernen Dienstleistungsorganisation und, darüber hinausgehend, durch eine umfassende Armut vermeidende „integrierte“ Familien-, Steuer-, Wohnungs-, Arbeits-und Sozialpolitik. Dieses in Anschluß an Richard Hauser entwickelte Konzept sowie weitere sozialpolitische Vorschläge aus dem Kreis der Bremer Forschungsgruppe -etwa Arbeits-und Sozialpolitik als „Lebenszeitpolitik“ -zielen gerade nicht auf Sozialabbau, sondern auf einen Um-und Ausbau des Sozialstaats, der weit über die Forderungen unserer Kritiker hinausgeht Insbesondere erweist sich die Zauberformel „soziale Grundsicherung“ als unzureichend. Unsere Ergebnisse wurden im übrigen in der Presse zurecht genutzt, um Vorurteile gegenüber Sozialhilfeempfängern -„passive Kostgänger des Steuerzahlers“, „Hängemattenlieger“ -zurückzuweisen.

V. Armutswandel verstehen

Welche Folgerungen ergeben sich für den Wandel von Armut als Strukturmerkmal der deutschen Gesellschaft? Sozial engagierte Wissenschaftler sehen soziale Spaltung und Polarisierung als das Problem der Wirtschafts-und Sozialpolitik der neunziger Jahre wobei die wachsende Langzeitarbeitslosigkeit und ihre Folgen im Vordergrund stehen. Während der Trend zu dauerhafter Abspaltung eines Bevölkerungsteils hier als un-fragliche Gegebenheit behandelt wird, geht die empirisch orientierte Lebenslageforschung nicht weniger selbstverständlich vom Gegenteil aus: „Kurzfristige Arbeitslosigkeit ist in Westdeutschland seit fast zwei Jahrzehnten eine Massen-erscheinung. Für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen in den alten Bundesländern ist Arbeitslosigkeit eine harte, aber relativ schnell vorübergehende Erfahrung.“ Irreführend kann in diesem Zusammenhang vor allem der allgegenwärtige bildhafte Begriff „Sockelarbeitslosigkeit“ sein, denn in ihm werden meist zwei Dinge vermischt: eine anhaltende, nach Rezessionen nicht mehr wesentlich zurückgehende Arbeitslosenquote einerseits und ein sich aufschichtender Sockel dauerhaft ausgegrenzter arbeitsloser Personen andererseits. So heißt es in der Erklärung „Solidarität am Standort Deutschland“ daß „sich in den letzten fünfzehn Jahren der Sockel an Arbeitslosigkeit nach jedem Konjunktureinbruch vergrößert und die Erwerbslosigkeit für die Betroffenen als Dauerschicksal verfestigt“ habe. Tatsächlich handelt es sich jedoch nicht bzw. nur in geringem Umfang um einen Sockel gleichbleibender, dauerhaft ausgegrenzter Menschen, sondern um einen statistischen Sockel mit wechselnden Personen.

Die Spaltungsthese trifft nur einen Teil der sozialen Wirklichkeit. Insgesamt erscheint der Struktur-wandel von Armut durch mindestens drei Aspekte charakterisiert: Erstens gibt es tatsächlich eine soziale Spaltung, von der jedoch weit weniger Menschen betroffen sind als gemeinhin angenommen. So hat, wie gezeigt, der Anteil von Langzeitfällen in der Sozialhilfe von den achtziger auf die neunziger Jahre abgenommen. In Zeiten allgemein wachsender Armut kann das aber immer noch bedeuten -worauf Thomas von Freyberg verwiesen hat -, daß die Anzahl von Langzeitfällen ansteigt. Zweitens, und dies ist das gewichtigere Phänomen, ist gleichzeitig eine -gegenläufige -soziale Entgrenzung von Armut festzustellen, also vorüber-gehende Armut auch bei Personen jenseits traditioneller Randschichten. Eine solche Entgrenzung ist nicht nur in bezug auf Einkommensarmut, sondern auch in bezug auf Benachteiligungen in anderen Lebensbereichen auszumachen Drittens ist von einer Pluralisierung von Spaltungs-und Konfliktlinien auszugehen. Dies ist an den wichtigsten Problemgruppen der Armut abzulesen: Arbeitslose unter den Armen stehen für ökonomische Ungleichheiten; Alleinerziehende für Veränderungen familialer Lebensformen und von Lebenszielen von Frauen; Kinder und alte Pflegebedürftige für Brüche im Generationenvertrag; und Ausländer, die mittlerweile ein Drittel der Sozialhilfeklientel stellen, für Probleme ethnischer Spaltungen und internationaler Wanderungen. Arbeitsmarktbedingte Spaltungen sind nur eine von vier Dimensionen prekären sozialen Wandels.

Die Spaltungsthese unterschätzt also die Komplexität des Wandels von Armut und Ungleichheit: Der beschleunigte soziale Wandel schlägt sich nicht nur in dauerhafter Ausgrenzung als „unbrauchbar“ geltender Gesellschaftsmitglieder nieder, sondern auch und gleichzeitig in einer fluktuierenden „Unterschichtung“ der Gesellschaft. Diese Armut scheint als Puffer gesellschaftlicher Umbrüche und Umstellungen in einer schnellebigen Zeit zu fungieren.

Schon 1986, vier Jahre vor Beginn der dynamischen Armutsforschung, hat Ulrich Beck in seiner „Risikogesellschaft“ die Verzeitlichung, Individualisierung und soziale Entgrenzung von Armut und Arbeitslosigkeit deutlich beschrieben, sogar von einer „Demokratisierung“ sozialer Risiken gesprochen Aufgrund eines „individualistischen Mißverständnisses“ des Beckschen Individualisierungsbegriffs als freischwebende Individualität ist jedoch die Rezeption dieser frühen Einsichten gerade in der sozialpolitischen Diskussion bis heute vielfach blockiert

VI. Fazit: Vom Ende der Selbstverständlichkeiten

Warum ist also eine so elementare soziale Erscheinung wie Armut so schwierig zu verstehen und zu analysieren? Unsere Darstellung hat Anhaltspunkte dafür geliefert: Armut hat sehr heterogene Erscheinungsformen, gerade auch was die Dauer von Armutserfahrungen betrifft („Verzeitlichung“) und den individuellen Umgang mit ihr. Die gesellschaftsstrukturellen Hintergründe von Armut sind gleichfalls mehrdimensional und heterogen: Nicht nur Arbeits-und Konsummärkte, sondern auch Familienformen, Generationenbeziehungen und ethnische Konstellationen verändern sich in diesen Jahren. Die Struktur von Armut ist selbst vielschichtigen Wandlungsprozessen unterworfen, erkennbar etwa an der gleichzeitigen Zunahme von Langzeit-und (stärker) von Kurzzeitarmut. Für die wissenschaftliche Analyse schließlich ergibt sich aus der dynamischen Armutsforschung die paradoxe Folgerung: Will man Armut umfassend analysieren, dürfen nicht nur (derzeit) Arme in die Untersuchung einbezogen, sondern es müssen auch ehemalige Arme befragt werden.

Armut in diesem umfassenden Sinne zu „verstehen“ ist allerdings ein wissenschaftliches Ideal. Bei politisch oder moralisch angetriebener Beschäftigung mit Armut geht es um etwas anderes, um Teilaspekte von Armut, die als besonders besorgniserregend und änderungsbedürftig gelten. Jede Wahrnehmung von Armut ist perspektivisch und interessengeleitet -auch die Sicht der Wissenschaft Sie zielt idealtypisch auf repräsentative Analysen von Armut, während die soziale Praxis notwendig problemorientiert vorgeht, sich also auf „harte“ oder drängende Fälle verengt und bei diesen wiederum auf problematische Aspekte der Lebenslage. Eine wissenschaftlich indifferente umfassende Behandlung beider Ansätze wäre hier fehl am Platze. Auch richtet die Praxis ihr Augenmerk auf akute Problemlagen, ist „fallorientiert“ -anschaulich im medizinischen Bereich: „bettenorientiert“ („Patientengut“). Dem entspricht eine Stichtags-oder Querschnittsoptik. Die Wissenschaft muß dagegen einen breiteren Zugriff auf menschliche Lebenslagen wählen -dem entspricht eine biographische oder Längsschnittoptik. Beide Herangehensweisen sind für ihren jeweiligen Verwertungszusammenhang sinnvoll. Probleme treten auf, wenn die Wirklichkeitsbilder der politisch-sozialen Praxis mit dem Wandel der sozialen Verhältnisse nicht mehr Schritt halten. Verfestigte Sichtweisen engagierter Vertreter sozialer Professionen und Verbände, aber auch armutsindifferenter Regierungsapparate geraten dann in Schwierigkeiten. „Dynamische“ Armutsforschung mag durch Aufdeckung der Verzeitlichung und sozialen Entgrenzung von Armut dazu beitragen, für veränderte, noch nicht voll verstandene gesellschaftliche Realitäten zu sensibilisieren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Beitrag steht im Zusammenhang einer größeren Studie zu Armut und Sozialstaat, deren Ergebnisse in Stephan Leibfried/Lutz Leisering u. a., Zeit der Armut. Lebensläufe im Sozialstaat, Frankfurt a. M. 1995 ausführlicher dargelegt sind. Vgl. Peter Krause, Armut im Wohlstand. Betroffenheit und Folgen, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Diskussionspapier Nr. 88, 1994, S. 19, sowie mündliche Mitteilung von Peter Krause. Diese Zahlen beziehen sich auf Haushalte, die über weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens westdeutscher Haushalte verfügen.

  2. Begriffe wie „Zweidrittelgesellschaft“ sind daher nicht einfach „Klischees“ wie teilweise gesagt wird (etwa bei Michael Zwick, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Einmal arm, immer arm?, Frankfurt a. M. -New York 1994, S. 7-20).

  3. Die Ergebnisse dieser Studie liegen in Form zahlreicher Aufsätze und von drei Büchern vor: Petra Buhr, Dynamik von Armut. Dauer und biographische Bedeutung von Sozialhilfebezug, Opladen 1995 (quantitative und qualitative Analysen); Stephan Leibfried/Lutz Leisering u. a., Zeit der Armut. Lebensläufe im Sozialstaat, Frankfurt a. M. 1995 (Gesamtzusammenfassung, erweitert um theoretische, historische und politische Analysen); Monika Ludwig, Armutskarrieren zwischen sozialem Abstieg und Aufstieg. Lebens-verläufe und soziales Handeln von Sozialhilfeempfängern, Opladen 1995 (qualitative Analysen; in Vorbereitung). Dort finden sich auch Hinweise auf andere deutsche und ausländische Arbeiten dieser Forschungsrichtung, von denen hier nur genannt seien: Bruce Headey/Roland Habich/Peter Krause, The Duration and Extent of Poverty -Is Germany a Two-Thirds-Society?, Wissenschaftszentrum Berlin 1990 (Arbeitspapier P 90/103); Peter A. Berger, Ungleichheitsphasen. Stabilität und Instabilität als Aspekte ungleicher Lebenslagen, in: ders. /Stefan Hradil (Hrsg.), Lebenslagen, Lebensläufe, Lebensstile, Göttingen 1990 (Sonderband 7 der Sozialen Welt), S. 319-350; Hans-Jürgen Andreß, Steigende Sozialhilfezahlen. Wer bleibt, wer geht und wie sollte die Sozialverwaltung darauf reagieren?, in: M. Zwick (Hrsg.) , (Anm. 2), S. 75-105; Wolfgang Voges/Götz Rohwer, Zur Dynamik des Sozialhilfebezugs, in: Ulrich Rendtel/Gert Wagner (Hrsg.), Lebenslagen im Wandel: Zur Einkommensdynamik in Deutschland seit 1984, Frankfurt a. M. -New York 1991, S. 510-531; Mary Jo Bane/David T. Ellwood, Welfare Realities. From Rhetoric to Reform, Cambridge (Mass.) -London 1994; Greg J. Duncan/Wolfgang Voges/Richard Hauser, Ar-muts-und Sozialhilfedynamiken in Europa und Nordamerika, in: Zeitschrift für Sozialreform, 40 (1994) 5, S. 281-313; Robert Walker (in Zusammenarbeit mit Karl Ashworth), Poverty Dynamics: Issues and Examples, Aldershot u. a. 1994.

  4. Vgl. H. -J. Andreß (Anm. 3).

  5. Um Vergleichbarkeit zu sichern, mußte der Beobachtungszeitraum für den Antragsjahrgang 1983 künstlich von 61/« auf 5% Jahre verkürzt werden (1983 bis Oktober 1988) und war damit gleich lang wie der Beobachtungszeitraum des Antragsjahrgangs 1989 (1989 bis Oktober 1994). Aus diesem Grund weichen die im Schaubild ausgewiesenen Zahlen für den älteren Antragsjahrgang geringfügig von den Angaben im Text und in früheren Veröffentlichungen ab.

  6. Auch wenn man die „Wartefälle“ außer Betracht läßt, bleibt Kurzzeitbezug ein relevantes Phänomen: Der Anteil der Kurzzeitbezieher unserer Untersuchung verringert sich nur von 46 Prozent auf 38 Prozent.

  7. Diese und die folgenden Prozentzahlen beziehen sich auf Fälle mit abgeschlossenem Bezug.

  8. Vgl. ausführlicher Monika Ludwig, Armutskarrieren zwischen Ausgrenzung und Integration, in: „forschung“ (Zeitschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft), (1995) 2 (i. E.); dies. (Anm. 3); P. Buhr (Anm. 3), Kapitel 6 und 7.

  9. Diese Probleme sind einigen Mitarbeitern der Sozialämter durchaus bewußt, wie eine von uns durchgeführte interviewgestützte Analyse des Verwaltungshandelns ergab (Uwe Schwarze, Sozialhilfeverwaltung und Klientel -eine empirische Analyse anhand von Experteninterviews, Universität Bremen, Sonderforschungsbereich 186, Ms., Bremen 1994).

  10. Vgl. Volker Busch-Geertsema/Ekke-Ulf Ruhstrat, Kein Schattendasein für Langzeitarme! Wider die Verharmlosung von Langzeitarmut im Zusammenhang mit der „dynamischen Armutsforschung“, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 72 (1992) 11, S. 366-370; Heide Gerstenberger, Die dynamische Armutsforschung und das Elend der Welt, in: Leviathan, 22 (1994) 1, S. 7-16; Herbert Jacobs, Wer dramatisiert denn hier? Anmerkungen zum Forschungsprojekt „Sozialhilfekarrieren“, in: Sozialer Fortschritt, 43 (1994), S. 121-128; Jens S. Dangschat, Soziale Ungleichheit und die Armut der Soziologie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 39 (1994), S. 872-885; Thomas Eden, Soulfoul Dynamics. Die dynamische Armutsforschung, in: Siesta. Zeitung der Arbeitslosen-selbsthilfe Oldenburg, (1995) 23, S. 8L; ders., Zur Kritik an der dynamischen Armutsforschung, ZEPRA (Landesarbeitsgemeinschaft der Arbeitslosenprojekte für Erwachsene in Niedersachsen), Hannover 1995, Ms., S. 37-42; Wolfgang Völker, Let’s talk about... what? Armut?! Sozialhilfe!? Bemerkungen zur Konjunktur der „Dynamischen Armutsforschung“, in: Widersprüche, 15 (1995) 54, S. 61-66; Thomas von Freyberg, ... im ganzen also sehr widerwärtig ... Verleugnen, Verleumden, Ausgrenzen und sonstiger Umgang mit Armut, Ms., 1995. Als kritische Bilanz s. Wolfgang Ludwig-Mayerhofer, Über die Heterogenität auch der Verläufe von Armut und über Schwierigkeiten ihrer Erfassung anhand prozeß-produzierter Daten, in: BIOS, 7 (1994) 2, S. 223-239.

  11. Vgl. H. -J. Andreß (Anm. 3). Auch hat der Zusammenbruch der Bremer Großwerft AG Weser die Zahl vorübergehender Sozialhilfebezieher nicht, wie teilweise behauptet, in die Höhe getrieben, da die Massenentlassungen erst 1984 stattfanden, während wir Antragsteller des Jahres 1983 untersucht haben. Vgl. dazu Karl Holl/Peter Müller/Peter Reischauer, Grundlinien der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung im Lande Bremen seit 1945, in: Volker Kröning/Günter Pottschmidt/Ulrich K. Preuß/Alfred Rinken (Hrsg.), Handbuch der Bremischen Verfassung, Baden-Baden 1991, S. 66-118, hier S. 106.

  12. Vgl. die Analysen von G. Duncan u. a. (Anm. 3).

  13. Vgl. Klaus Müller/Joachim Frick/Richard Hauser, Die hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern und ihre Verteilungswirkungen, Ms., 1994; Peter Krause, Zur zeitlichen Dimension von Einkommmensarmut, in: Walter Hanesch u. a., Armut in Deutschland. Der Armutsbericht des DGB und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Reinbek 1994, S. 189-214, hier S. 198; zusammenfassend S. Leibfried/L. Leisering u. a. (Anm. 3), S. 260 u. S. 262.

  14. Vgl. beispielsweise Eva Mädje/Claudia Neusüß, Allein-erziehende Sozialhilfeempfängerinnen zwischen sozialpolitischem Anspruch und empirischer Realität, in: M. Zwick (Hrsg.) (Anm. 2), S. 134-155.

  15. Vgl. insbesondere die Arbeiten von Peter Krause (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) und Roland Habich (Wissenschaftszentrum Berlin) (Anm. 1, 3).

  16. Vgl. vor allem Gerd Mutz u. a., Diskontinuierliche Erwerbsverläufe. Analysen zur postindustriellen Arbeitslosigkeit, Opladen 1995.

  17. G. Duncan u. a. (Anm. 3, S. 287f.) weisen für alle OECD-Länder nach, daß auch bei Überwindung von Einkommensarmut relevante Gruppen die Armutsgrenze mehr als geringfügig überschreiten.

  18. Vgl. Günter Albrecht, Obdachlose in Köln. Bericht über eine Längsschnittstudie, in: Arbeitskreis junger Kriminologen (Hrsg.), Randgruppenarbeit. Analysen und Projekte aus der Arbeit mit Obdachlosen, München 1973, S. 29-58; Günter Albrecht/Guido Goergen/Helga Großkopf/Thomas Specht, Lebensläufe. Von der Armut zur „Nichtseßhaftigkeit“ oder wie man Nichtseßhafte macht, Bielefeld 1990, S. 34.

  19. Vgl. Lutz Leisering, Armutspolitik und Lebenslauf. Zur politisch-administrativen Relevanz der lebenslauftheoretischen Armutsforschung, in: Walter Hanesch (Hrsg.), Sozialpolitische Strategien gegen Armut, Opladen 1995, S. 65-111; Stephan Leibfried/Lutz Leisering, Sozialhilfe als Politikum: Mythen, Befunde, Reformen, in: Werner Fricke (Hrsg.), Jahrbuch Arbeit und Technik 1995, Bonn 1995, S. 79-95 (im Druck); S. Leibfried/L. Leisering u. a. (Anm. 3), Kap. 9.

  20. Dies ist das Leitthema der Erklärung „Solidarität am Standort Deutschland“, die vom Oswald von Nell-Breuning-Institut, Frankfurt am Main, herausgegeben (1994) und von zahlreichen Sozialwissenschaftlern unterschrieben wurde (s. besonders S. 3).

  21. Detlef Landua/Roland Habich, Problemgruppen der Sozialpolitik im vereinten Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3/94, S. 3-14, hier S. 7. In gesellschaftstheoretischen Analysen wird den Befunden der dynamischen Armuts-und Arbeitslosigkeitsforschung bislang kaum Rechnung getragen. Als Ausnahme vgl. Georg Vobruba, Arbeit und Einkommen nach der Vollbeschäftigung, in: Leviathan, 23 (1995) 2 (i. E.), sowie die Theorie der Risikogesellschaft, die selbst eine Quelle dynamischer Forschung war (vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a. M. 1986, S. 143-151; P. A. Berger [Anm. 3]). ,

  22. Oswald von Nell-Breuning-Institut (Hrsg.) (Anm. 20), S. 4.

  23. Vgl. Werner Hübinger, Einkommens-und Lebenslagen zwischen Armut und Wohlstand. Sozialstrukturanalysen einer Problempopulation, Ms., Frankfurt a. M. 1995.

  24. U. Beck (Anm. 21), S. 143-151.

  25. Ulrich Beck/Elisabeth Beck-Gernsheim, Nicht Autonomie, sondern Bastelbiographie. Anmerkung zur Individualisierungsdiskussion am Beispiel des Aufsatzes von Günter Burkart, in: Zeitschrift für Soziologie, 22 (1993) 3, S. 178-187, hier S. 180f.

  26. Zum Versuch einer Integration der Zeitdiagnosen „Risikogesellschaft“ und „Zweidrittelgesellschaft“ s. Lutz Leise-ring, Zweidrittelgesellschaft oder Risikogesellschaft? Zur gesellschaftlichen Verortung der „neuen Armut“ in der Bundesrepublik Deutschland, in: Karl-Jürgen Bieback/Helga Milz (Hrsg.), Neue Armut, Frankfurt a. M. -New York, 1995, S. 58-92.

  27. Vgl. H. Jacobs (Anm. 10).

Weitere Inhalte

Monika Ludwig, Dr. phil., geb. 1962; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich 186 der Universität Bremen. Veröffentlichungen zu Armut und Sozialhilfe, zuletzt: Armutskarrieren zwischen sozialem Abstieg und Aufstieg. Lebensverläufe und soziales Handeln von Sozialhilfeempfängern, Opladen 1995 (in Vorbereitung). Lutz Leisering, Ph. D. (Econ ), geb. 1953; Privatdozent für Soziologie und Sozialpolitik, wissenschaftlicher Assistent am Sonderforschungsbereich 186 der Universität Bremen. Veröffentlichungen u. a.: Sozialstaat und demographischer Wandel. Wechselwirkungen, Generationenverhältnisse, politisch-institutionelle Steuerung, Frankfurt a. M. -New York 1992; (zus. mit S. Leibfried u. a.) Zeit der Armut. Lebensläufe im Sozialstaat, Frankfurt a. M. 1995. Petra Buhr, Dr. rer. pol., geb. 1960; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich 186 der Universität Bremen. Veröffentlichungen zu Sozialpolitik, Familienforschung und Armut, zuletzt: Dynamik von Armut. Dauer und biographische Bedeutung von Sozialhilfe, Opladen 1995.